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Das Argument

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406 Herbert Marcuse<br />

einer Änderung des Systems beizutragen, der theoretischen Führung<br />

bedarf. Und wir haben jetzt in den Vereinigten Staaten und in der<br />

Studentenopposition nicht nur Versuche, den Abgrund zwischen der<br />

alten Linken und der neuen Linken zu überbrücken, sondern auch<br />

eine kritische Theorie auszuarbeiten; zum Beispiel arbeitet der amerikanische<br />

SDS (Students for a Democratic Society) an einer Theorie<br />

der gesellschaftlichen Umwandlung, das wird in Publikationen verbreitet,<br />

so weit verbreitet, wie möglich. Als letzten Aspekt der Opposition<br />

möchte ich nun eine neue Dimension des Protestes erwähnen,<br />

die in der Einheit von moralisch-sexueller und politischer Rebellion<br />

besteht. Ich möchte Ihnen eine Illustration geben, die ich als Augenzeuge<br />

kenne, und die in keiner Weise vereinzelt ist, die Ihnen aber<br />

auch den Unterschied zeigen wird, zwischen dem, was in den Vereinigten<br />

Staaten geschieht, und dem, was hier geschieht. Es war auf<br />

einer der großen Anti-Vietnam-Demonstrationen in Berkeley, und<br />

die Polizei hatte zwar die Demonstration genehmigt, aber das Ziel<br />

der Demonstration, nämlich den Militärbahnhof in Oakland gesperrt;<br />

d. h., die Demonstration wäre über einen besonderen und sehr<br />

bestimmten Punkt hinaus illegal geworden, hätte gegen das Demonstrationsverbot<br />

verstoßen. Als Tausende von Studenten sich dem<br />

Punkte näherten, an dem der verbotene Weg anfing, trafen sie auf<br />

eine aus ungefähr zehn Reihen bestehende Barrikade schwer bewaffneter,<br />

mit schwarzen Uniformen und Stahlhelmen ausgestattete<br />

Polizei. Der Zug näherte sich dieser Polizeibarrikade, und wie immer<br />

waren an der Spitze des Demonstrationszuges einige, die schrien,<br />

man solle nicht halt machen, sondern versuchen, den Polizeikordon<br />

zu durchbrechen — was natürlich blutige Köpfe gegeben hätte, ohne<br />

zu irgendeinem Ziel zu führen. Der Demonstrationszug selbst hatte<br />

einen Gegenkordon eingerichtet, sodaß die Demonstranten zuerst<br />

ihren eigenen Kordon hätten durchbrechen müssen, um den Polizeikordon<br />

durchbrechen zu können. <strong>Das</strong> ist natürlich nicht geschehen.<br />

Nach zwei, drei ängstlichen Minuten setzten sich die Tausende auf<br />

die Straße. Die Gitarren, die Mundharmonikas kamen heraus, das<br />

petting, die Liebkosungen begannen, und so ging diese Demonstration<br />

zu Ende. Sie können das lächerlich finden; immerhin glaube ich,<br />

daß hier noch ganz spontan und anarchisch eine Einheit sich hergestellt<br />

hat, die vielleicht letzten Endes ihren Eindruck selbst auf die<br />

Feindlichen nicht verfehlen wird.<br />

Ganz kurz drittens, von den Aussichten der Opposition. Zunächst<br />

einmal darf ich noch einmal die Mißverständnisse beseitigen, als ob<br />

ich geglaubt hätte, daß die intellektuelle Opposition an sich schon<br />

eine revolutionäre Kraft wäre, oder daß ich in den Hippies das Erbe<br />

des Proletariats gesehen hätte. Selbst in den nationalen Befreiungsfronten<br />

der Entwicklungsländer können wir, glaube ich, bis heute<br />

noch keine effektive revolutionäre Bedrohung des Systems des Spätkapitalismus<br />

sehen. Alle Oppositionskräfte wirken heute zur Vorbereitung<br />

und nur zur Vorbereitung, aber auch zur notwendigen<br />

Vorbereitung für eine mögliche Krise des Systems. Und zu dieser<br />

Krise tragen gerade die nationalen Befreiungsfronten bei, nicht nur

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