Das Argument
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404 Herbert Marcuse<br />
eigentlich ins Bewußtsein gedrungen ist, daß die Anerkennung des<br />
Widerstandsrechts, nämlich der civil disobedience, zu den ältesten<br />
und geheiligsten Elementen der westlichen Zivilisation gehört. Die<br />
Idee, daß es ein Recht gibt, das höher ist als das positive Recht, ist<br />
so alt als die Zivilisation selbst. Hier ist der Konflikt der Rechte,<br />
vor den jede mehr als private Opposition gestellt ist; denn das Bestehende<br />
hat das legale Monopol der Gewalt und das positive Recht, ja<br />
die Pflicht, diese- Gewalt zu seiner Verteidigung auszuüben. Demgegenüber<br />
steht die Anerkennung eines höheren Rechts und die Anerkennung<br />
der Pflicht des Widerstandes als Triebkraft der geschichtlichen<br />
Entwicklung der Freiheit, civil disobedience als potentielle geschichtliche<br />
Gewalt. Ohne dieses Widerstandsrecht, ohne dieses Ausspielen<br />
eines höheren Rechts gegen das bestehende Recht ständen wir<br />
heute noch auf der Stufe der primitivsten Barbarei. So deckt, glaube<br />
ich, der Begriff der Gewalt zwei sehr différente Formen: Die institutionalisierte<br />
Gewalt des Bestehenden und die Gewalt des Widerstandes,<br />
die notwendig dem positiven Recht gegenüber illegal bleibt.<br />
Von einer Legalität des Widerstandes zu sprechen ist Unsinn. Kein<br />
• Gesellschaftssystem, selbst das freieste nicht, kann verfassungsmäßig<br />
oder in anderer Weise eine gegen dieses System gerichtete Gewalt<br />
legalisieren. Jede dieser beiden Formen deckt entgegengesetzte<br />
Funktionen. Es gibt eine Gewalt der Befreiung und es gibt eine<br />
Gewalt der Unterdrückung. Es gibt eine Gewalt der Verteidigung<br />
des Lebens und es gibt eine Gewalt der Aggression. Und beide Formen<br />
der Gewalt sind geschichtliche Kräfte gewesen und werden<br />
geschichtliche Kräfte bleiben. So steht die Opposition von Anfang an<br />
im Felde der Gewalt. Recht steht gegen Recht, nicht nur als abstrakte<br />
Versicherung, sondern als Aktion. Und noch einmal: das Bestehende<br />
hat das Recht, die Grenzen der Legalität zu bestimmen. Dieser Konflikt<br />
der beiden Rechte, des Widerstandsrechts und der institutionalisierten<br />
Gewalt bringt die ständige Gefahr des Zusammenstoßes mit<br />
der Gewalt mit sich, es sei denn, daß das Recht der Freiheit dem<br />
Recht der bestehenden Ordnung geopfert wird und daß, wie immer<br />
in der Geschichte, die von der Ordnung geforderten Opfer an Zahl<br />
die Opfer, die für die Befreiung fallen, weiterhin übersteigt. <strong>Das</strong><br />
aber bedeutet, daß die Predigt der prinzipiellen Gewaltlosigkeit die<br />
bestehende institutionalisierte Gewalt reproduziert. Und diese Gewalt<br />
ist in der monopolistischen Industriegesellschaft in noch nie dagewesenem<br />
Maße in der Herrschaft konzentriert, die das Ganze der<br />
Gesellschaft durchdringt. So handelt es sich im Falle des Gewaltenkonflikts<br />
um den Zusammenstoß der allgemeinen mit der besonderen<br />
Gewalt und in diesem Zusammenstoß wird die besondere Gewalt<br />
geschlagen werden, bis sie selbst eine neue Allgemeinheit der bestehenden<br />
gegenüberstellen kann. Solange die Opposition nicht die<br />
gesellschaftliche Kraft einer neuen Allgemeinheit entwickelt hat, ist<br />
das Problem der Gewalt primär ein Problem der Taktik. Kann nämlich<br />
in bestimmten Fällen der Konfrontation mit der bestehenden<br />
Gewalt, bei der die herausfordernde Gewalt des Widerstandes notwendig<br />
unterliegen wird, durch die Konfrontation das Kräftever-