Das Argument
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394 Günther Anders<br />
<strong>Das</strong> versteckte Verstecken<br />
Die Ehrlichkeit und Offenheit der amerikanischen Regierung ist<br />
die Negation einer Negation. Im Unterschiede zu früheren Geschlechtern<br />
haben die heute Herrschenden nämlich nicht nur gelernt, ihre<br />
Untaten zu verbergen, sondern auch, das Verbergen ihrer Untaten zu<br />
verbergen. <strong>Das</strong> verbergen sie z. B. dadurch, daß sie scheinbar, in gewissem<br />
Sinne sogar wirklich, ihre blutigen Aktionen präsentieren.<br />
Da sie diese aber nicht anders präsentieren als jene ,fiction', nicht<br />
anders als jene Greuelszenen, die sie in ihren Filmen und Fernseh-<br />
Thrillers täglich präsentieren, können sie damit rechnen, daß das an<br />
Filmmord und Filmblut und Filmgrausamkeit gewohnte Publikum<br />
die Abbildungen der wirklichen Greuel genauso konsumieren wird<br />
wie die tägliche GreUelkost, daß es gar nicht in der Lage sein wird,<br />
sich selbst zuzurufen: ,Dies geschieht wirklich!' oder: ,Dies geschieht<br />
wirklich jetzt!'<br />
Wahre Nachrichten können durch die Tatsache, daß sie nicht anders<br />
aussehen als Unterhaltungsbilder, ihre Wahrheit verlieren. Auch<br />
hier gilt Hegels ,<strong>Das</strong> Ganze ist das Wahre'. Einzelne Wahrheiten gibt<br />
es nicht, und wer sich auf die einzelnen Wahrheiten, die er liefert,<br />
beruft, um zu beweisen, daß er ehrlich sei, beweist damit nur seine<br />
Unehrlichkeit.<br />
Unwahre Wahrheit<br />
Einige Mitglieder des Kriegsverbrechertribunals gehen vielleicht<br />
noch von der (bis vor kurzem berechtigten, nun aber) rasch veraltenden,<br />
wenn nicht schon veralteten Voraussetzung aus, daß Kriegsverbrecher<br />
gierig darauf seien, unter allen Umständen ihre Verbrechen<br />
vor der Majorität ihrer Zeitgenossen zu verbergen oder abzuleugnen,<br />
daß deshalb für die Präsentierung der Wahrheit andere, in diesem<br />
Falle wir, Sorge zu tragen hätten. Wenn wir die Hauptschuldigen am<br />
Vietnamkrieg dazu eingeladen haben, sich vor unserem Tribunal zu<br />
verteidigen, bzw. Verteidiger ihrer Aktionen in unsere Sitzungen<br />
zu delegieren, so zwar in erster Linie deshalb, weil jedem Beschuldigten<br />
die Gelegenheit gegeben werden muß, seine Position darzulegen;<br />
außerdem aber auch deshalb, weil wir voraussetzen, daß die<br />
Angeklagten dasjenige, was sie begehen, grundsätzlich verbergen.<br />
Auch die verächtliche Weigerung der Eingeladenen, der Aufforderung<br />
nachzukommen (die vulgären Worte über den vierundneunzigjährigen<br />
Philosophen Russell, mit denen der amerikanische Außenminister<br />
Rusk diese Einladung zurückgewiesen hat, werden diesem<br />
vermutlich Unsterblichkeit einbringen) scheint diese Voraussetzung<br />
noch zu bestätigen. Offenbar sind sich sogar die Angeklagten noch<br />
nicht ganz im Klaren darüber, wie neuartig ihr eigenes tägliches Benehmen<br />
ist: daß sie nämlich, im Unterschiede zu politischen Verbrechern<br />
früherer Zeiten, ihre Mitwelt laufend und aufs sorgloseste<br />
über ihre Taten informieren, und nicht etwa nur über ihre Helden-