Das Argument
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Philosophisches Wörterbuch. 391<br />
wo immer sich etwas Unerkennbares über dem Horizont erhebt,<br />
fliegen — denn wer weiß, als was es sich herausstellt? — Kußhändchen<br />
von hüben nach drüben und drüben nach hüben — kurz: alles ist<br />
eitel Frieden.<br />
Nur schade, daß dieser Friede ein Friede auf Bestellung ist! Daß<br />
wir auf Bestellung einander in den Armen liegen! Und auf Bestellung<br />
den kalten Krieg aufgeschmolzen haben!<br />
Welche Macht hat uns damit beauftragt?<br />
Diejenige, die daran interessiert ist, den heißen Krieg, den sie im<br />
Fernen Osten führt, weiter einzuheizen und zu eskalieren und u. U.<br />
auf China auszudehnen, und die es nicht wünscht, in dieser ihrer<br />
Tätigkeit durch die Existenz eines noch so kalten anderswo stattfindenden<br />
Krieges gestört zu werden. In anderen Worten: Um ihren<br />
heißen Krieg sorglos führen zu können, benötigen die Vereinigten<br />
Staaten ,Peace in the Backyard', ein stillsitzendes Europa,<br />
Freundschaft (wenn vielleicht auch nur temporäre) zwischen den östlichen<br />
und westlichen Ländern Europas; vor allem aber die Gewißheit,<br />
daß Moskau unter keinen Umständen ihren Angriff auf Südostasien<br />
oder vielleicht auf China zum Anlaß eines wirklichen Eingreifens,<br />
also eines heißen Weltkrieges, nehmen werde.<br />
Derjenige Friede, den mitzusichern wir angestellt werden, der<br />
ist nicht nur nicht das Gegenteil von Krieg, sondern dessen Voraussetzung.<br />
Um diese Voraussetzung mit herzustellen, werden wir: die<br />
Naivsten von allen, wir Intellektuellen aller Länder, wir, die Autoren<br />
aus Kiew und Rom, Sofia und Paris, Krakau und New York,<br />
Prag und Frankfurt einander in die Arme getrieben. Nicht damit wir<br />
Schillers und Beethovens ,Kuß der ganzen Welt' praktizieren, 'sondern<br />
damit wir und unsere Mitbürger nichts davon merken, daß<br />
während unserer Umarmung die unterentwickelten Völker ihren<br />
Todeskuß empfangen, und damit keiner von uns diesen Todeskuß<br />
verhindere. Was als drittklassige Literaturdiskussion beginnt, soll<br />
als erstklassiger Vietnamkrieg Früchte tragen. Unser Friede ist das<br />
Scherflein, das wir ahnungslos zur Verwüstung von Vietnam beitragen.<br />
Truth begins at home<br />
Der infame Witz, den, wie wir aus Newsweek wissen, der von Präsident<br />
Johnson nach Südvietnam geschickte Bob Hope in den dortigen<br />
camps vorgetragen hat, und der von 10 000 GIs, und gewiß von<br />
farbigen genau so wie von weißen GIs mit ,roaring laughter', mit<br />
,brüllendem Lachen' quittiert worden ist: daß nämlich die Verwüstung,<br />
die die Nordvietnamesen den amerikanischen Großbombenangriffen<br />
verdanken, ,the best slum clearing' sei, ,they (the North<br />
Vietnamese) ever had' — dieser Witz wird an einer ganz anderen<br />
Stelle des politischen Terrains zur Wahrheit, nämlich in Amerika<br />
selbst. Truth begins at home.<br />
Natürlich würde es auf eine unverzeihliche Beleidigung der amerikanischen<br />
Luftwaffe herauslaufen, wenn wir die immensen Großfeuersbrünste,<br />
die diese regelmäßig und mit absolut verläßlicher