Das Argument
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386 Günther Anders<br />
,Kansas City Star' die Freimütigkeit, in ihrer Wirtschaftsbeilage zu<br />
erklären, daß es,,selbst wenn das Schlimmste einträte, nämlich wenn<br />
Frieden in Korea einzöge, noch immer den Trost eines irgendwoanders<br />
drohenden Krieges' gäbe. Was daran interessiert, ist nicht,<br />
daß der Prophet, der damals in der Redaktionsstube in Kansas saß,<br />
unterdessen recht behalten hat, sondern daß es eben sogar damals<br />
schon nicht mehr als anstößig galt, öffentlich vom ,Trost eines drohenden<br />
Krieges' zu sprechen.<br />
In der Tat herrscht heute nun universelle Freiheit der Meinungsäußerung,<br />
es gibt niemanden mehr, der nicht die Wahrheit aussprechen<br />
dürfte. Den Oppositionellen wird diese Freiheit deshalb vergönnt,<br />
weil die Inhaber der Macht diese verachten, d. h. deshalb,<br />
weil sie überzeugt davon sind, daß diese Protestierer, gleich was sie<br />
schreien mögen — und sie sollen sich nur tüchtig ausschreien! —<br />
ohnehin keine Wirkung haben werden.<br />
Und sich selber brauchen die Inhaber der Macht natürlich Freiheit<br />
nicht eigens zu akkordieren.<br />
Nun haben das die Inhaber der Macht zwar niemals nötig gehabt,<br />
aber im Unterschiede zu heute hatten sie es doch früher für opportuner<br />
gehalten, ihre Zunge besser in Zaum zu halten: nämlich den<br />
Machtlosen gegenüber zu verschweigen, wie frei sie selbst waren.<br />
Während es in den Blütezeiten der Ideologien, die ja immer zugleich<br />
auch Blütezeiten der Scham gewesen waren, Ausdrücke wie ,Trost<br />
eines drohenden Krieges' nicht gegeben hatte, sind sie nun heute von<br />
jeder Hemmung frei. Und zwar deshalb, weil sie — darin besteht<br />
eben die konterrevolutionäre Leistung der heutigen demokratisch<br />
aufgeputzten Herrschaft — die Majorität der Bevölkerung bereits<br />
total mitkorrumpiert haben, d. h.: weil sie Komplizität selbst von<br />
den Opfern ihrer Infamien erwarten dürfen. Unter Spießgesellen<br />
erübrigt es sich zu lügen. Gute Zeiten waren es gewesen, als die<br />
Machthaber, noch überzeugt von der Wahrnehmbarkeit der Wahrheit,<br />
geglaubt hatten, den Schein einer wahrnehmbaren und verifizierbaren<br />
Wahrheit herstellen, also uns anlügen, zu müssen.<br />
Spontan<br />
Der Wiener Kurier meldet am 29.7.1967, daß Präsident Johnson ad<br />
hoc eine 'Sonderkommission zur Untersuchung der Ursachen der Rassenzwischenfälle'<br />
gebildet habe und dieser geheime Polizeiakten übergeben<br />
werde, damit die Mitglieder dieser Kommission .herausfinden<br />
können, ob die Unruhen spontan oder organisiert waren'.<br />
Die Alternative ,spontan oder organisiert' ist rührend. Unter einem<br />
,spontanen Ereignis' versteht man natürlich eine völlig ungeplante,<br />
unorganisierte, eruptionsartige und deshalb unschuldige Katastrophe.<br />
Da nun aber Menschen niemals einfach nur Naturobjekte oder Naturkräfte<br />
sind, da es deshalb diese Spontaneität und diese ,Unschuld'<br />
unter Menschen niemals gibt, steht die Entscheidung der Kommission<br />
von vornherein fest: die Zwischenfälle' müssen geplant gewesen<br />
sein, sie müssen organisiert worden sein, es muß ,Rädelsführer'<br />
gegeben haben — kurz: die Neger müssen schuldig sein.