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Das Argument

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506 •Besprechungen<br />

heit und Selbständigkeit, welche die Autoren des 19. Jahrhunderts<br />

in Umlauf gesetzt haben, eine spezifische Reaktion gegen<br />

die seit der Abschaffung des Handels bzw. seit ihrer propagandistischen<br />

Vorbereitung entstandene öffentliche Meinung (96 f.). Indem<br />

„geistige Inferiorität" 8 und „Geschichtslosigkeit", „naturgewollte<br />

Versunkenheit in Barbarei" oder „jahrhundertealte Anarchie" stereotyp<br />

begründen sollen, daß das Kolonialsystem „den- Völkern,<br />

die nicht in der Lage (sind), geordnete Verhältnisse in ih^rem Land<br />

herzustellen, die Segnungen von Gesetz und Ordnung bringt (126),<br />

indem das Bewußtsein von der qualitativen Erkenntnis der Wirklichkeit<br />

zu ihrer Verdrängung fortschreitet, verwandeln sich die Imaginationen<br />

und Projektionen des „Wilden" und des „Naturzustandes",<br />

Allegorien einst einer von Zwang befreiten Gesellschaft, jetzt<br />

selbst die zugleich produzierte und perhorreszierte Freiheit von moralischen<br />

Gesetzen und verbindlichen Zivilrechten, zum „zentralen<br />

Mythos der europäischen Expansion" (20). Hinzu tritt, als Charakter<br />

unbeherrschter Natur, „sexuelle Geschichtslosigkeit", deren mythische<br />

Inzest-Bilder und Einbildungen monströser Fruchtbarkeit sich<br />

um 1800, als Trennungsschmerz zynisch zu unbefriedigter Geilheit<br />

wurde, rationalisieren 4 . Die Autarkie der auf der Basis des Naturaltausches<br />

gegründeten Lebensversorgung und der an der Stillung<br />

unmittelbarer Bedürfnisse befriedigten, kurzfristigen Arbeitsplanungen,<br />

dazu die Indifferenz in bezug auf den Gelderwerb und die<br />

Eigentumsbildung, erscheinen, kalvinistisches Zeichen der Verdammnis,<br />

als „störrischer Müßiggang" und naturverfallene Trägheit.<br />

Wenn in der Frühzeit völkerrechtliche Legitimationen zur<br />

Rechtfertigung der Ausbeutung notwendig waren, wie z. B. der<br />

Titulus naturalis et communicationis, so sanktioniert vielfach im<br />

19. Jahrhundert, im Maße, in dem die äußere Naturbeherrschung ins<br />

Riesenhafte wuchs, die Faktizität der mühevollen Akte allein, Arbeit<br />

und Opfer, die Unterdrückung der naturgebundenen Objekte,<br />

zu denen die schwachen Herrschaftssubjekte deformiert und theoretisiert<br />

wurden.<br />

3 Wenn ein Afrikaner über seine Kinderjahre hinauswachse, bemerkt<br />

R. Burton, „wird seine geistige Entwicklung angehalten, und von da ab<br />

entwickelt er sich nach rückwärts statt nach vorwärts" (22).<br />

4 „Die Afrikaner sind von allen menschlichen Wesen am wollüstigsten<br />

und man muß wohl vermuten, daß die Schreie, die sie bei der gewaltsamen<br />

Trennung von ihren Frauen ausstießen, sich hauptsächlich aus<br />

der Furcht ableiteten, sie würden in dem Land, in das man sie verschiffte,<br />

nie mehr die Gelegenheit haben, ihren Leidenschaften zu fröä<br />

nen": so stand im Jahre 1792 in einer in Liverpool erschienenen Broschüre<br />

zu lesen (13). Liverpool war führender Hafen im Sklavenhandel. Eine<br />

„ziemlich zuverlässige" Schätzung für den Zeitraum von 1795 bis 1804, als<br />

der Handel in seiner größten Blüte stand, gibt, hinsichtlich der Zollabfertigung<br />

von Sklavenschiffen, für Liverpool 1099 (London: 155; Bristol: 29)<br />

an. Für zehn frühere Jahre — 1783—1793 — schätzt ein zeitgenössischer<br />

Schriftsteller den Reinverdienst der Sklavenhändler in dieser Stadt auf<br />

etwa 2 360 000 Pfund Sterling bei einer Transportziffer von insgesamt<br />

303 000 Sklaven (70 f.).

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