Das Argument
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502 •Besprechungen<br />
fasser die Spuren dieser „messianischen" Träume vom „goldenen<br />
Zeitalter". Der Mechanismus der Revolution verlange demnach, im<br />
Gegensatz zum klassischen Modell, die Einkreisung der Städte durch<br />
das Dorf, wie Lin Piao sie in die Weltpolitik projiziert. Im Rahmen<br />
des Unternehmens, den Sozialismus nicht aus den Widersprüchen<br />
des Kapitalismus abzuleiten, sondern aus der Dynamik einer antifeudalen<br />
und nationalen Bäuernbewegung, wirke das politisch-ideologische<br />
Moment notwendigerweise stärker als das wirtschaftliche<br />
(101).<br />
Diese objektiven Besonderheiten werden, wie Garaudy zeigt, in<br />
ihrer Auswirkung auf die gesellschaftliche Entwicklung noch verstärkt<br />
durch die von Mao Tse Tung in den sinisierten Marxismus<br />
eingeführte Umkehrung des Verhältnisses von Basis und Überbau.<br />
Die chinesische Führung treibe die Entwicklung der Produktionsverhältnisse<br />
weit über den faktischen Zustand der Produktivkräfte<br />
und forciere die Ideologie weit über den Zustand der Produktionsverhältnisse.<br />
<strong>Das</strong> habe sich bereits bei der Gründung der Volkskommunen<br />
gezeigt und zeige sich noch deutlicher in der Kulturrevolution,<br />
die den „neuen Menschen" hervorbringen soll. Die Überbewertung<br />
des subjektiven Faktors sei aber kein Akt von Mutwillen, sondern<br />
die Begleiterscheinung der Schwierigkeiten, die aus der Simultaneität<br />
von unsprünglicher Akkumulation und Aufbau des Sozialismus<br />
erwachsen. Eine unterentwickelte Wirtschaft zu industrialisieren und<br />
zugleich die Grundlagen des Sozialismus errichten, erfordere Anstrengungen,<br />
die den Einbau des voluntaristischen Ventils zumindest<br />
erklären. In der Sowjetunion habe die Lösung der Doppelaufgabe<br />
zu den Verzerrungen der Stalinzeit geführt, in China führe sie zu<br />
den Ausbrüchen der Kulturrevolution. Deshalb warnt Garaudy vor<br />
einem Europa-Zentrismus in der Einschätzung der chinesischen Entwicklung.<br />
In der Kulturrevolution erscheine die Ideologie auf das Niveau der<br />
Strategie gehoben, „wo alles sich entscheidet" (160). Hier setzt Garaudy<br />
mit seiner berechtigten Kritik ein. Die proletarische Ideologie<br />
in einem Lande, in dem die Bauern 95 % der Bevölkerung ausmachen,<br />
zur herrschenden, ja alleinseligmachenden zu erklären, setze<br />
einen Überbau voraus, der sich von der Basis völlig unabhängig gemacht<br />
hat. Die Berufung auf Marx wird zum Lippenbekenntnis.<br />
<strong>Das</strong> Resultat der Operation ist, daß der Kampf um die proletarische<br />
Ideologie den Schulkindern anvertraut wird. „Proletarisch" wird<br />
im chinesischen Leitbild zum subjektiven Bekenntnis. Daß in dieser<br />
Aushöhlung des materialistischen Inhalts der Doktrin viel chinesisches<br />
Erbgut steckt (Konfuzius), belegt der Verfasser allerdings mit<br />
Beispielen, die deshalb nicht stimmen, weil die angeführten Autoren<br />
inzwischen selber im Strudel der Kulturrevolution untergegangen<br />
sind (z. B. Liu-schao-tschis „How to be a good communist"). Garaudys<br />
Beweisführung mündet in einer Polemik gegen Mao Tse Tungs Ironisierung<br />
des Humanismus (Yenan-Rede über Kultur, 1942). Mao<br />
Tse Tung verwechsle den marxistischen Humanismus mit dem bürgerlichen<br />
Individualismus, der sich in China schon deshalb nicht ent-