Das Argument
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III. Psychologie 489.<br />
Die Studie führt uns vorzüglich angewandte Psychoanalyse vor,<br />
die nicht soziologisch blind ist. Ohne, diesen Schlüssel bliebe der Sinn<br />
des argumentativen Zusammenhangs dunkel. Wir wollen nur auf<br />
wenige Zusammenhänge hinweisen, ohne sie weiter auszuführen:<br />
der stimulierte Haß auf den Reichtum und das uneingeschränkte<br />
Leben des Bankiers führt zu Schuldgefühlen, die der Agitator<br />
wiederum auf seine Mühlen leitet. Die Objekte der Verfolgung werden<br />
zu niederen Tieren erklärt. Mit der Freigabe dieser Opfer<br />
knüpft er an aus Traumatisierungen der psychosexuellen Entwicklung<br />
resultierende Bedürfnisse an, zugleich ist die Aggression nicht<br />
von Schuldgefühlen begleitet, weil die Objekte dehumanisiert wurden.<br />
Mit der Androhung der großen Katastrophe rührt der Agitator<br />
an infantile Ängste, die aufgrund des gesellschaftlichen Stellenwertes<br />
des Subjekts heute gut rationalisiert werden können. Schließlich<br />
ist der Umgang mit dem Masochismus des Publikums, dem vorgegaukelt<br />
wird, es sei die kommende Elite, interessant; der Unterschied<br />
einer solchen Volksbewegung zum Christentum müßte einmal<br />
herausgearbeitet werden. Nicht zuletzt ist es wohl das spezifische<br />
irrationale Verhältnis von Führer und Gefolgschaft, das die<br />
verhetzte Masse von einer politisierten unterscheidet.<br />
Die realistische Vorstellung, daß es, wie in bürgerlichen Zeiten<br />
ja auch schon, nicht am Einzelnen selbst liegen könne, wenn so viele zu<br />
den in dieser Gesellschaft Betrogenen gehören, mündet beim Agitator<br />
sogleich in die Sistierung der Schuldigen. Alle zur Verfügung stehenden<br />
Stereotype: Intellektuelle, Bankiers, Kommunisten, Flüchtlinge,<br />
der Unverstandene, der Fremde überhaupt schießen zur Figur<br />
des Juden zusammen. Er soll an allem, was gesellschaftlich vermittelt<br />
die Existenz der Subjekte unbillig einschränkt, die Schuld tragen.<br />
Was fremd ist an der Gesellschaft, wird in Gestalt des Juden<br />
symbolisiert und vor allem — scheinbar — verfügbar, ausrottbar.<br />
Der Agitator kondensiert und richtet die diffuse Aggression. Zwar<br />
ist der Feind in einer feindlichen Welt überall, aber im Juden konkretisiert<br />
er sich: der ist geeignet für die Vorstellung, daß er stark<br />
und schwach zugleich sei. Er ist immer als so mächtig hinzustellen,<br />
daß sich durch seine Unterdrückung noch jemand erhoben fühlen<br />
kann; immer als so ohnmächtig, ja so dehumanisiert, daß bei seiner<br />
Ausrottung weder Schwierigkeiten noch Schuldgefühle entstehen.<br />
Offensichtlich dient er als Projektionsschirm für jene von der Gefolgschaft<br />
selbst verleugneten Bedürfnisse. Daß der Antisemitismus<br />
schließlich zu einer Reaktion der Antisemiten auf die Verfolgung<br />
durch die Juden wird — so stellt es der Agitator am liebsten dar —,<br />
ist in der Tat im antisemitischen Bewußtsein keine bloße Erfindung,<br />
denn die Antisemiten ertragen es nicht, in einer konformistischen Gesellschaft<br />
ungelebte Möglichkeiten immerzu vor Augen zu haben; ja<br />
sie brauchen diese nicht einmal vor Augen zu haben, denn sie werden<br />
von diesen Bedürfnissen in ihrem eigenen Bewußtsein verfolgt.<br />
In Gestalt der Juden hassen sie ihre eigene Utopie, das ist die Energiebasis<br />
dieser unbarmherzigen Destruktivität. Der Agitator organisiert<br />
das Versacken auf dieser Ebene des Agierens. Im Sinne einer