Das Argument
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486 •Besprechungen<br />
malität gesehen werden, selbst wenn man sozialen Faktoren eine<br />
gewisse Einflußnahme einräumt, wird in diesem Buch die These vertreten,<br />
daß Geisteskrankheiten — ähnlich wie Kriminalität — eine<br />
„soziale Funktion" haben: sie entlasten den Einzelnen von einem<br />
Schicksal, das auch ihm jederzeit widerfahren könnte (277). Indem<br />
B. sich auf Dürkheim und M. Mauss beruft, beschreibt er Geisteskrankheiten<br />
als die Form von Anomalie, in der der Zusammenhang<br />
von individuellen Antrieben und gesellschaftlichen Normen bereits<br />
auf einer genetisch sehr frühen Stufe zerrissen wurde. Geistig<br />
schwer gestörte Personen versagen im Gebrauch von allgemein verständlichen<br />
Symbolen. „De ce point de vue, il importe peu que les<br />
troubles mentaux aient une origine physiologique ou non, car ce que<br />
le sociologue veut atteindre en eux, c'est activité symbolique et sa<br />
situation dans les structures globales de systèmes symboliques collectifs."<br />
(232)<br />
Abgesehen von den speziellen Ätiologien verschiedener Geisteskrankheiten<br />
bedeutet dies, daß ein Komplementärverhältnis zwischen<br />
der symbolbildenden Aktivität von Kranken und Nicht-Kranken<br />
hinsichtlich der Struktur des „objektiven Geistes" („structures<br />
de la mentalité collective") besteht. Die Symbolbereiche der Kranken<br />
sind keine Eigenschöpfungen, da auch sie an der gleichen gesellschaftlichen<br />
Symbol vorläge anknüpfen wie die der Nicht-Kranken;<br />
sie sind nur deswegen unverständlich, weil sie ganz auf die unerfüllten<br />
Bedürfnisse des Kranken zugeschnitten und so in ihrer allgemeinen<br />
Sinnbedeutung beschränkt sind. Wenn es gelingt, die privaten<br />
Objektzeichen der Kranken in allgemeine Wortzeichen zu verwandeln<br />
(„transformer le mot-objet en mot-signe"), dann können die<br />
Wurzeln der jeweiligen individuellen Konfliktstellen bloßgelegt<br />
werden, die die Entstehung einer Geisteskrankheit begünstigt haben.<br />
(262 f.) Dies verweist auf die Methoden der Psychoanalyse. <strong>Das</strong> Vertrauen<br />
der medizinischen Psychiatrie, den Geisteskrankheiten mit<br />
Medikamenten und Elektroschocks beikommen zu können, spiegelt<br />
die Verleugnung der sozialen Natur dieser Krankheiten wider.<br />
Heide Berndt (Frankfurt/M)<br />
Thomae, Hans (Hrsg.): Die Motivation menschlichen<br />
Handelns. Neue Wissenschaftliche Bibliothek. Band 4. Verlag<br />
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1965 (539 S., 19,80 DM).<br />
Thomaes Einführung zu diesem Sammelsurium bereitet den Leser<br />
darauf vor, die „Vielheit der Ansätze" zum Motivationsproblem in<br />
der „Buntheit eines Mosaiks" (30) präsentiert zu bekommen, die<br />
dennoch — das ist die Hoffnung des Herausgebers — die Tendenz<br />
zur systematischen Darstellung schon durchscheinen läßt. Aber weder<br />
ist mit der Sammlung, wie das Nachwort suggerieren möchte, die<br />
Vielschichtigkeit des Motivationsproblems bewiesen, noch ist Thomaes<br />
Einteilung geeignet, auch nur eine Andeutung von systematischer<br />
Darstellung zu vermitteln. Der Leser wird den Verdacht nicht<br />
los, daß hier eine nach dem Schlagwortindex von Bibliographien er-