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Das Argument

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II. Soziologie 479<br />

der gesellschaftlichen Totalität aus dem Interessenzusammenhang<br />

und -gegensatz der sie erst konstituierenden Individuen und Klassen<br />

sowie aus dem daraus resultierenden Begriff gesellschaftlicher<br />

Praxis, der bestimmt erscheint von einem naturwüchsig gesetzten<br />

Organismus „Gesellschaft", der einerseits die Menschen einem<br />

„fatalismue universel" (65) im grundsätzlichen überantwortet, andererseits<br />

ihnen akzidentielle auf Perfektionierung des Bestehenden<br />

abzielende „Modifikationen" gestattet.<br />

Vollends deutlich wird diese innere Logik der Comteschen Lehre<br />

in seinen späten Arbeiten, vor allem im „Système de politique positive".<br />

Nach Darlegung und Analyse des Verhältnisses von Staat und<br />

Gesellschaft sowohl im Übergangsstadium des „gouvernement préparatoire"<br />

als auch im état positif, der „institutionellen Medien der<br />

Integrationsideologie": Manipulation der öffentlichen Meinung, positives<br />

Erziehungssystem und dem System pseudo-religiöser Kulte<br />

wird zur Genüge einsichtig, daß Comtes politische Soziologie mit<br />

liberaler Gesellschaftstheorie, als deren Vollender er sich verstand,<br />

oder gar mit sozialistischen Lehren, nichts zu tun hat. Vielmehr muß<br />

die Verkündigung des positiven Stadiums gesellschaftlicher Entwicklung,<br />

welche Abschaffung des Parlamentarismus, Aufhebung der<br />

Gewaltenteilung, Vermehrung der Zensurrechte des Staates, Beschneidung<br />

individueller Freiheiten und Rechte, sowie die Einführung<br />

neuer, öffentlich angeordneter quasi-religiöser Kulte bedeutet,<br />

als Rückfall hinter die Traditionen der Aufklärung verstanden werden;<br />

ein Rückfall freilich, der durchaus mit konkreten geschichtlichen<br />

Tendenzen und politischen Ereignissen in Frankreich in Zusammenhang<br />

zu bringen ist. Comtes politische Soziologie reflektiert in gewisser<br />

Weise, wenn auch abstrakt und rechtfertigend die reale Entwicklung<br />

in Frankreich seit den 48er Revolutionen bis hin zum<br />

faschistoide Züge tragenden Bonapartismus. Gerade durch die relative<br />

— in der letzten Phase des état positif sogar fast völlige — Verselbständigung<br />

des Staatsapparates soll bei gleichzeitiger Umfunktionierung<br />

einstmals demokratischer gesellschaftlicher Institutionen<br />

und Organisationen die bestehende Sozialverfassung, die aus ihr sich<br />

ergebende herrschaftliche Über- und Unterordnung, die ungerechte<br />

Einkommensverteilung etc. aufrechterhalten bzw. erst recht stabilisiert<br />

werden. Die Funktion der Übergangsdiktatur besteht darin,<br />

die dysfunktionalen Glieder der Gesellschaft ins bestehende Herrschaftsgefüge<br />

einzupassen. Comtes Konstruktion einer gesellschaftlichen<br />

Verfassung, die dem positiven Stadium gesellschaftlicher Entwicklung<br />

angemessen sein soll, mündet in die Konzeption der „Soziokratie",<br />

die von einer „positiven" Priesterschaft geleitet werden<br />

müsse. Die einzelnen Formen der in dieser ,Soziokratie' anzuwendenden<br />

Herrschaftstechniken werden von Comte in großer Detailliertheit<br />

dargelegt. Sie nehmen sich aus wie eine Vorahnung totalitärer<br />

Herrschaftspraktiken. Ist in der Übergangsphase eine dualistische<br />

Herrschaftsteilung zwischen dem Patriziat und den „autorités<br />

spirituels", ja sogar an eine aus Integrationsgründen zweckmäßig<br />

erscheinende, partielle Zulassung eines Vertreters des Proie-

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