Anthroposophie weltweit - Goetheanum
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Allgemeine Anthroposophische<br />
Gesellschaft Nachrichten für Mitglieder<br />
<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> 4/13<br />
ó Jahrestreffen und Generalversammlung 2013<br />
6. April 2013<br />
<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4<br />
Anthroposophische Gesellschaft<br />
Jahrestreffen und<br />
Generalversammlung 2013<br />
Seite 1 Jenseits der Antagonismen<br />
Seite 2 Vorbereitung durch<br />
Vorstand und Mitgliedergruppe<br />
Seite 3 Ablauf und Inhalte<br />
Seite 5 Blickpunkte und gestellte Fragen<br />
Seite 6 Interview mit Joan Sleigh<br />
Seite 12 Italien: Jahrestagung 2012<br />
Seite 15 Verstorbene Mitglieder<br />
<strong>Goetheanum</strong><br />
Seite 2 Spendenbarometer Bausanierung<br />
<strong>Anthroposophie</strong> in der Welt<br />
Seite 2 Deutschland: Fachtagung für Kommunikation<br />
‹öffentlich wirken›<br />
Seite 8 Philippinen: Tournee des Jugend-<br />
Öirütmie-Ensembles<br />
Seite 8 Italien: Umwelt-Gemeinschaftsprojekt<br />
‹Unsere Mutter Erde› von<br />
‹La fabbrica›<br />
Seite 10 Kanada:<br />
Cambridge Music Conference<br />
Freie Hochschule<br />
für Geisteswissenschaft<br />
Seite 9 Deutschland:<br />
Hochschultagung in Öschelbronn<br />
Seite 9 Kroatien:<br />
Zehn Jahre Freie Hochschule<br />
Forum<br />
Seite 12 Zum Brief von Sergej Prokofieff<br />
Seite 12 Zum Standort der Gruppe im<br />
<strong>Goetheanum</strong><br />
Feature<br />
Seite 16 100. Geburtstag von<br />
Margaret Barnetson<br />
Kommentar<br />
Jenseits der Antagonismen<br />
Von 22. bis 24. März 2013 fand das Jahrestreffen mit Generalversammlung der Allgemeinen<br />
Anthroposophischen Gesellschaft statt. Wenn ihr auf das Anerkennen ein nächster,<br />
beinahe polarer Schritt folgt, nämlich das Erkennen, dann war sie ein Erfolg.<br />
Wenn jede und jeder von über hundert anderen weiß, sitzt hier die Anthroposophische Gesellschaft<br />
Eine Hyperbel mit ihrem Brennpunkt –<br />
das war das Bild auf der Bühne. 32 Verantwortliche<br />
der Anthroposophischen Gesellschaft<br />
in den Ländern, Sektionen und<br />
am <strong>Goetheanum</strong> saßen in weitem Bogen,<br />
und im Kern des Runds das Rednerpult.<br />
Eine/r für alle und alle für eine/n – ich kann<br />
mich nicht erinnern, dass je so ins Bild gesetzt<br />
gesehen zu haben. Es war keine Inszenierung,<br />
sondern Teil und Vorgriff eines<br />
Wandels, der im Schatten mancher Streitfragen<br />
im letzten Jahr Kraft gefunden hat.<br />
Es ist die Perspektive, nicht mehr vom<br />
Ideal einer Zusammenarbeit polarer Kräfte<br />
und Interessen auszugehen – hier Vorstand,<br />
dort Sektionsleitende, hier <strong>Goetheanum</strong>,<br />
dort Nachlassverwaltung –, sondern<br />
die Einheit, den Zauber anthroposophischer<br />
Gemeinschaft und Gesinnung, an<br />
den Anfang zu setzen, als Boden, auf dem<br />
sich das Leben differenziert. Beispiele für<br />
den Praxistext des Gedankens, von einer<br />
Teilung zu einer Gliederung zu kommen,<br />
finden sich in dieser Ausgabe. Bodo von<br />
Plato hat ihn in seiner Einleitung skizziert:<br />
«Die Anthroposophische Gesellschaft beginnt<br />
dort, wo wir aufhören, in Antagonismen<br />
zu denken.» Die Nachfrage von Tatiana<br />
Garcia-Cuerva erlaubte es ihm, auch<br />
seinen Weg mit Sergej Prokofieff in diesem<br />
Licht zu schildern. Es war einer der wachsten<br />
Momente im Saal, als er beschrieb, wie<br />
Foto: Wolfgang Held<br />
Sergej Prokofieffs und seine eigene biografische<br />
Geschichte sehr verschiedene und<br />
zugleich verwandte Züge tragen.<br />
Frühere Versammlungen waren häufig<br />
Brennglas fragwürdiger Konflikte. Beim<br />
Kampf mit dem Drachen ließen sich Verantwortliche<br />
und Mitglieder von eben diesem<br />
Drachen die Mittel der Auseinandersetzung<br />
diktieren. Das hat zur Pathologie in<br />
diesen Versammlungen geführt. Dass nun<br />
die Vorstandsmitglieder mit Antragstellern<br />
im Vorfeld offenherzige Gespräche geführt<br />
haben, viel Zeit zum Austausch zur Verfügung<br />
stand, gehört zum neuen Geist der<br />
Versammlung. Dabei ist der Initiative einiger<br />
Mitglieder herzlich zu danken<br />
Man solle das Anerkennen vor das Erkennen<br />
stellen. Das rief Rolf Kerler, ehemaliger<br />
Schatzmeister, an einer früheren Generalversammlung<br />
vom Rednerpult. Mit dem<br />
diesjährigen Treffen scheint der erste Teil<br />
dieser Aufgabe in Reichweite. Er führt im<br />
besten Sinne des Wortes zu einer Erlebnisgemeinschaft.<br />
Jetzt geht es um den zweiten<br />
Schritt hin zur Erkenntnisgemeinschaft.<br />
Nach Großherzigkeit als Tugend des ersten<br />
Schritts kommen nun Wachheit und<br />
Strenge als Tugenden des Erkennens hinzu.<br />
Hier gilt es, neben Aufmerksamkeit den Widerspruch,<br />
den wir uns im ersten Schritt<br />
abgewöhnen, auf höherer Ebene wiederzuentdecken.<br />
| Wolfgang Held
2 | <strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4/13<br />
1. Phase<br />
2. Phase<br />
3. Phase<br />
ó <strong>Goetheanum</strong><br />
Spendenbarometer<br />
Bausanierung<br />
Per 19. März 2013 beträgt der Stand der<br />
Spenden für die Sanierungsaufgaben<br />
am <strong>Goetheanum</strong> 5,44 Millionen Franken.<br />
Nachdem das Ziel der ersten Finanzierungsphase<br />
mit 4,5 Millionen Franken am 30.<br />
Januar 2013 zeitgerecht erreicht wurde, gilt<br />
es mit der zweiten Phase, bis 1. Oktober 2013<br />
auf neun Millionen Franken zu kommen.<br />
ó <strong>Anthroposophie</strong> in der Welt<br />
Tagungsinitiative<br />
‹öffentlich wirken›<br />
M<br />
it Öffentlichkeitsarbeit in anthroposophischen<br />
Einrichtungen und Organisationen<br />
sind auch Menschen befasst, die diese<br />
Aufgabe zwar angenommen haben, sich<br />
aber fachlich noch einarbeiten und sich nicht<br />
selten alleingelassen fühlen. Für sie fand 2011<br />
erstmals die Fachtagung für Kommunikation<br />
‹öffentlich wirken› mit 180 Teilnehmenden<br />
statt. Am 1./2. November 2013 folgt die<br />
zweite Fachtagung in Bochum (DE), veranstaltet<br />
von anthroposophischen Unternehmen,<br />
Verbänden und dem ‹<strong>Goetheanum</strong>›.<br />
Anmeldung: www.öffentlich-wirken.de<br />
ó Korrigendum<br />
Mysteriendramenensemble<br />
I<br />
n ‹<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong>› Nr. 3/2013<br />
wurden auf Seite 10 unter der Dachzeile<br />
‹Goethe anum-Bühne: Mysteriendramen›<br />
im Redaktionsvorspann Gioia Falk und Christian<br />
Peter als Leitung der Gesamtinszenierung<br />
der Mysteriendramen und von ‹Mysteriendramen<br />
hautnah› bezeichnet; Letztere<br />
werden jedoch vom ‹Initiativkreis Mysteriendramen<br />
hautnah› verantwortet. Die Zuordnung<br />
‹<strong>Goetheanum</strong>-Bühne› heißt nicht,<br />
dass das Mysteriendramenensemble am<br />
Goethe anum ein festes Ensemble der<br />
Goethe anum-Bühne ist, sondern dass dieses<br />
Ensemble auf der <strong>Goetheanum</strong>-Bühne tätig<br />
ist; die <strong>Goetheanum</strong>-Bühne ist in diesem Fall<br />
also ‹nur› Gastgeber. | Sebastian Jüngel<br />
ó Jahrestreffen mit Generalversammlung 2013<br />
Vorbereitung durch Vorstand und Mitgliedergruppe<br />
Anträge, Begegnung, Initiativen, <strong>Anthroposophie</strong><br />
Das diesjährige Jahrestreffen mit Generalversammlung verdankt seine Bezeichnung<br />
der Zusammenarbeit einer Mitgliedergruppe und des Vorstands sowie dem gemeinsamen<br />
Anliegen, die Jahrestagung mit mehr Atem, Begegnungsmöglichkeiten, stärkerer<br />
Betonung der Mitgliederinitiativen und anthroposophischen Inhalten zu gestalten.<br />
Die Atmosphäre im <strong>Goetheanum</strong> vor<br />
einer Jahrestagung ist wie ein Vorgriff.<br />
Die Stimmung war in Zeiten vieler Anträge<br />
als Ausdruck der Unzufriedenheit angespannt,<br />
diesmal war es in meiner Wahrnehmung<br />
ruhig, entspannt. Ein Grund mag<br />
darin zu suchen sein, dass die Jahrestagung<br />
seit Herbst 2012 vom Vorstand mit einer<br />
Mitgliedergruppe vorbereitet wurde. Mathias<br />
Forster aus der Mitgliedergruppe charakterisierte<br />
den Beginn der Arbeit am<br />
Ende des Jahrestreffens: «Wir wurden mit<br />
offenen Armen und vorsichtig offenen Herzen<br />
empfangen. Das hat sich in eine warme,<br />
vertrauensvolle Herzlichkeit verwandelt.»<br />
Ein anderer Grund liegt in einer situativ<br />
angemessenen Großzügigkeit. Das zeigte<br />
sich beispielsweise darin, dass es keine Redezeitbeschränkung<br />
gab oder im Umgang<br />
mit einem Antrag. Daniel Marston wünschte,<br />
bei Abstimmungen auch die Enthaltungen<br />
zu zählen, um auch diese Form des Abstimmungsverhaltens<br />
sichtbar zu machen.<br />
Formal war sein Antrag zu spät gestellt<br />
worden. Justus Wittich bezog den Antrag<br />
von 2002, dass die Stimmen nur gezählt<br />
werden, wenn die Mehrheitsverhältnisse<br />
nicht eindeutig sind, und Stimmenthaltungen<br />
grundsätzlich nicht gezählt werden,<br />
auf die damalige Situation mit vielen Abstimmungen<br />
(ohne dass der Beschluss damit<br />
aufgehoben wäre) und sagte dann: «Es<br />
ist natürlich wichtig, ob der ganze Saal abstimmt<br />
oder nur eine kleine Mehrheit trägt.<br />
Wir wollen aus freiem Entschluss die Enthaltungen<br />
mitzählen.» | Sebastian Jüngel<br />
Liebe Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft<br />
W<br />
ir möchten mit diesen Zeilen darauf Wahrnehmungen knüpfen sich für uns<br />
aufmerksam machen und davon berichten,<br />
dass sich zusammen mit den Vor-<br />
1. Wie können wir in Zukunft dafür sor-<br />
folgende zwei wichtigen Fragen:<br />
standsmitgliedern Paul Mackay, Justus Wittich<br />
und Seija Zimmermann eine Arbeits-<br />
Beschlüssen eine Begriffs- und Urteilsgen,<br />
dass den gemeinsam zu fassenden<br />
gruppe gebildet hat, die sich um eine Neugestaltung<br />
der jährlich statt findenden Geschiedenen<br />
Seiten der eingebrachten<br />
bildung vorangeht, welche die verneralversammlungen<br />
bemüht. Ausgangspunkt<br />
dieser Zusammenarbeit ist die von 2. Wie können wir dazu beitragen, dass in<br />
Themen beleuchtet?<br />
uns allen empfundene Unzufriedenheit Zukunft bei der Generalversammlung<br />
darüber, dass die Behandlung von Anträgen<br />
in den letzten Jahren innerhalb der Geerneuernd<br />
wirksam sein möchte, stärker<br />
die <strong>Anthroposophie</strong> selbst, die ja kulturneralversammlung<br />
sehr viel Raum einnahm<br />
und die Stimmung der gesamten wahrgenommen werden kann? Um in<br />
in den Vordergrund treten und somit<br />
Veranstaltung wesentlich prägte. Vieles, dieser Richtung Fortschritte zu erreichen,<br />
was innerhalb der Anthroposophischen halten wir es für nötig, dass Initiativen,<br />
Gesellschaft lebt und einen aufbauenden, die innerhalb der Anthroposophischen<br />
konstruktiven und innovativen Zug hat, Gesellschaft, aber auch darüber hinaus<br />
konnte dadurch zu wenig wahrgenommen, aufbauende und konstruktive Beiträge<br />
geschweige denn weiterentwickelt werden.<br />
Die in den Anträgen selber oft enthal-<br />
um wahrgenommen zu werden.<br />
leisten, in Zukunft mehr Raum erhalten,<br />
tenen Fragen, Sorgen oder Gestaltungsideen<br />
kamen dabei meist nicht zur Geltung. beitragen, dass die Generalversammlung<br />
Mit dieser Initiative möchten wir dazu<br />
Zur weiteren Unzufriedenheit hat beigetragen,<br />
dass wegen der Anzahl der ge-<br />
geprägt und getragen werden kann als in<br />
in Zukunft von einer anderen Stimmung<br />
stellten Anträge und auch im Hinblick auf den letzten Jahren und hoffen hierbei auf<br />
die Komplexität der darin angesprochenen<br />
Themen vor den jeweiligen Abstimzung.<br />
| Die Initianten: Tatiana Garcia-<br />
Ihr Verständnis und Ihre Unterstütmungen<br />
nicht genügend Zeit und Raum Cuerva, Eva Lohmann-Heck, Natascha<br />
vorhanden war, sich gemeinsam eine Urteilsgrundlage<br />
zu erarbeiten. An diese Christopher<br />
Neisecke, Mathias Forster, Thomas Heck,<br />
Schümann
<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4/13 | 3<br />
Ablauf und Inhalte<br />
«Ohren wie ein Elefant und das Herz einer Giraffe»<br />
Das Jahrestreffen der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft begann am 22.<br />
März mit einem offenen Plenum noch im Rahmen der Tagung der Verantwortungsträger<br />
und schloss am 24. März mit der eurythmischen Darstellung des Grundsteinspruchs.<br />
Seija Zimmermann wurde im Vorstand bestätigt, Joan Sleigh neu aufgenommen.<br />
Initiativen-Forum: Stand der Jungmediziner/innen<br />
Ein Motiv der letzten Jahrestagung war<br />
die Feststellung: Anthroposophische Gesellschaft<br />
ist das, was ihre Mitglieder tun.<br />
Wie eine Antwort darauf, aber vor allem aus<br />
dem Schmerz, «an den Formen anzustoßen»<br />
(Natascha Neisecke), und weil sich das<br />
Leben der Seele wie «abgewürgt» und «in<br />
seiner Würde verletzt» fühlte (Mathias Forster),<br />
wurden Mitglieder initiativ und bereiteten<br />
gleich das ganze Jahrestreffen mit<br />
dem Vorstand am <strong>Goetheanum</strong> vor (Seite 2).<br />
Von der Peripherie her stark und gesund<br />
Ein Anliegen dabei war, dass die Mitglieder<br />
mit ihren Initiativen sichtbar werden.<br />
Das geschah durch Infostände beispielsweise<br />
des Fachzweigs ‹Arbeitsgemeinschaft<br />
Sterbekultur› der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft in der Schweiz, der<br />
Künstlerassoziation Aerum für ein Grundeinkommen<br />
oder der Jungmediziner/innen<br />
für ihre Pfingsttagung, also fortgeschrittene<br />
Projekte von Mitgliedergruppen. Auch<br />
im Plenum vor und während des Jahrestreffens<br />
stellten Mitglieder ihre Initiativen vor.<br />
Hintergrund dieses Anliegens ist unter<br />
anderem eine Stärkung der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft. Rüdiger Krey nannte<br />
dafür als Möglichkeiten: die Leitung stärken,<br />
Mitglieder gewinnen oder das Potenzial<br />
in der Anthroposophischen Gesellschaft<br />
erschließen. Er und Franziska Bücklers haben<br />
sich für Letzteres entschieden und die<br />
Initiative Zweigwerk mitgegründet, die unter<br />
anderem die Kölner Tagung zum 100.<br />
Geburtstag der Anthroposophischen Gesellschaft<br />
organisierte. Bücklers ergänzte:<br />
«Aber sie [die Anthroposophische Gesellschaft]<br />
muss nicht immer nur wachsen,<br />
wachsen, wachsen. Sie muss ein gesunder<br />
Organismus sein. Unsere Chance ist, dass<br />
wir von außen, von der Peripherie her stark<br />
und gesund sind, dass wir ein Hin und Her<br />
zwischen Zentrum und Peripherie stattfinden<br />
lassen.» Auch die Mitgliedergruppe um<br />
Carina Vaca Zeller (‹<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong>›<br />
Nr. 1–2/2013) hat solch ein Anliegen.<br />
Eine Frage des Rechts und eine der Kultur<br />
An die Seite des Sichtbarwerdens tritt<br />
die Beweglichkeit in der Form. Mathias<br />
Fors ter wies darauf hin, dass eine «alte<br />
Form im Denken oder Umgang» verwesen<br />
können muss, «damit das Wesen wieder<br />
frei werden kann von der Form, damit neue<br />
Teilformen entstehen können». Ein anderes<br />
Mitglied wünschte sich den Mut, «was<br />
sich spontan ereignet, ins Wort zu bringen»,<br />
also aufzugreifen, was im Moment<br />
erlebbar ist.<br />
Gleichwohl steht auch die Generalversammlung<br />
der Anthroposophischen Gesellschaft<br />
im Zusammenhang mit dem<br />
Vereinsrecht. Jedenfalls machten Redner<br />
wie Herbert Holliger und Daniel Marston<br />
darauf aufmerksam, dass die Versammlung<br />
auch eine (äußere) Rechtsgrundlage<br />
habe, deren Spielregeln einzuhalten seien.<br />
Foto: Sebastian Jüngel<br />
«Wir sind», so Marston, «ein besonderer<br />
Verein. Manchmal haben wir die Tendenz,<br />
das Besondere mehr zu pflegen als das Vereinswesen.»<br />
Auf der anderen Seite artikulierte<br />
beispielsweise Alexander Overhage<br />
das Bedürfnis, dass man zwar natürlich<br />
über Finanzen und das Statutarische abstimme,<br />
aber ansonsten man dahin kommen<br />
sollte, nicht mehr abstimmen zu müssen,<br />
ob beispielsweise ein neues Vorstandsmitglied<br />
gewollt sei oder nicht. Damit<br />
stand das Thema Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit<br />
im Raum. Paul Mackay lud<br />
dazu ein, «Gesellschaft nicht nur vereinsmäßig<br />
zu nehmen – das ist auch richtig –,<br />
sondern als Kultur zu denken. Das Besondere<br />
an unserer Gesellschaft ist, dass sie<br />
ein Versuch ist, einen Zusammenhang von<br />
Menschen zu schaffen, von frei werdenden<br />
Menschen.» Immer wieder wurde die Aufgabe<br />
der Anthroposophischen Gesellschaft<br />
in Bezug auf das Menschsein reflektiert:<br />
«ein Versuch, Mensch zu werden» (Frode<br />
Barkved), der «Mensch als Engel in Ausbildung»<br />
(Rob Steinbuch), oder durch ein Zitat<br />
des von Jean-Michel Florin angeführten<br />
Antoine de Saint-Exupéry: «Jeder Mensch<br />
ist ein Knoten in einem Netz von Beziehungen.»<br />
Damit schien ein weiteres Motiv der<br />
Jahrestagung 2012 neu auf: dass es auf die<br />
realen menschlichen Beziehungen ankomme,<br />
denn erst Beziehung ermöglicht Kultur.<br />
Anträge und Beziehungskultur<br />
Es wurde deutlich, dass der Kontakt zu<br />
den Antragstellern im Vorfeld des Jahrestreffens<br />
dazu führte, dass sich diese nicht<br />
nur gehört fühlten, sondern womöglich das<br />
Anliegen bereits bearbeitet werden konnte.<br />
Moritz Christoph stellte seinen Antrag zum<br />
Umgang mit Geld in der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft für ein Jahr zurück, um<br />
zu sehen, ob überhaupt ein reales Interesse<br />
an dieser für ihn wichtigen Frage bestehe<br />
(siehe auch Kasten auf Seite 5). Herbert Holliger<br />
hatte den Antrag gestellt, in den Statuten<br />
genauer zu regeln, wann und wie der<br />
Vorstand außerordentliche Generalversammlung<br />
einzuberufen habe. Basierend<br />
auf dem für ihn und weitere Mitglieder unbefriedigenden<br />
Umgang mit dem Antrag<br />
auf eine außerordentliche Generalversammlung<br />
zur Frage der Eigentümerverantwortung<br />
gegenüber der Weleda und im<br />
neuen Vertrauen gegenüber dem Vorstand<br />
nach Gesprächen zu dieser Frage zog Holliger<br />
seinen Antrag zurück, zumal der Vorstand<br />
eine entsprechende Erklärung «zuhanden<br />
des Protokolls» verfasst hatte. Darin<br />
hielt der Vorstand fest, dass er im den<br />
Antrag auslösenden Fall formal ungenü-
4 | <strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4/13<br />
ó Jahrestreffen mit Generalversammlung 2013<br />
Foto: Sebastian Jüngel<br />
Konferenz der Generalsekretäre: Demonstration der eurythmischen Arbeit unter Leitung von Margrethe Solstadt (nicht im Bild)<br />
gend gehandelt und kommuniziert habe,<br />
die bisherige Regelung aber für ausreichend<br />
halte.<br />
Tatiana Garcia-Cuerva fragte nach dem<br />
von Gegensätzen belasteten Verhältnis zwischen<br />
Bodo von Plato und Sergej Prokofieff.<br />
Plato hatte am Vortag in anderem Zusammenhang<br />
ausgeführt, dass er nicht mehr<br />
daran glaube, dass man durch das Zusammenfassen<br />
individueller Gegensätze ein<br />
Ganzes zu schaffen vermöge; vielmehr gehe<br />
es darum, «wie wir uns, ausgehend von einem<br />
Ganzen, als Einzelne gliedern können».<br />
Wird das Leben des Gemeinsamen<br />
ermöglicht?<br />
Im Saal lebte eine warm-aufmerksame<br />
Spannung, wie Bodo von Plato auf diese direkte<br />
Frage antworten würde. Plato sprach<br />
trotz Unsicherheit, wie die Anwesenden<br />
seine Antwort aufnehmen würden, herzoffen:<br />
Er habe für die Tätigkeit im Vorstand in<br />
Bezug auf Sergej Prokofieff und ihn immer<br />
etwas gesehen, «was über uns [beide] hinausgeht<br />
und an was wir anknüpfen können.<br />
Daher halte ich die Frage nach den<br />
Gegensätzen zwischen uns nur auf einer<br />
bestimmten Schicht für richtig». Zwar gebe<br />
es Unterschiede in der jeweiligen Sozialisation<br />
– Aufwachsen im Totalitarismus, wo<br />
man esoterisch nur in Abgeschlossenheit<br />
tätig sein konnte, bei Sergej Prokofieff und<br />
in einem umgekehrten ‹Totalitarismus›, wo<br />
alles möglich war, bei ihm selbst –, aber<br />
auch Gemeinsames, da beide in einem Umfeld<br />
aufwuchsen, wo man über Konflikte<br />
und Unterschiede nicht sprach, «das gehörte<br />
zur Höflichkeit». Damit war der Boden<br />
bereitet für die Aussage: «Wir haben es vielleicht<br />
nicht im ausreichenden Maß vermocht,<br />
das, was wir verschieden leben, zusammenzubringen.<br />
Für mich ist aber das<br />
Gemeinsame von uns beiden größer. Ich<br />
habe die Frage, ob es eine Gesellschaft gibt,<br />
die es erlaubt, ja uns auffordert, die Gemeinsamkeit<br />
zu leben, und nicht die Gegensätzlichkeit<br />
betont. Durch unsere Gemeinsamkeit<br />
in der Arbeit im Vorstand ist<br />
mein Vertrauen gewachsen, dass wir ein<br />
Gemeinsames bilden können.»<br />
Veränderungen im Vorstand<br />
Im Umgang mit den drei Veränderungen<br />
im Vorstand zeigten sich weitere Nuancen<br />
real menschlicher Beziehung. Gemäß<br />
Beschluss von der Jahrestagung 2011<br />
war über Seija Zimmermanns Tätigkeit im<br />
Vorstand nach sieben Jahren neu zu befinden.<br />
Frode Barkved, Generalsekretär der<br />
Anthroposophischen Gesellschaft in Norwegen,<br />
erzählte in seiner Laudatio eine<br />
Anek dote. Er habe sich einmal im wahrsten<br />
Sinne des Wortes nasse Füße zugezogen,<br />
als er unangemessen gekleidet war. Die<br />
Ärztin Seija Zimmermann habe nicht nur<br />
erkannt, dass er fror, sondern gleich noch<br />
trockene Schuhe und warme Wollsocken<br />
besorgt. Sie wurde in geheimer, schriftlicher<br />
Wahl mit 334 Stimmen bei 33 Gegenstimmen,<br />
28 Enthaltungen und einer ungültigen<br />
Stimme für weitere sieben Jahre<br />
in ihrem Amt bestätigt.<br />
Virginia Sease schilderte, wie sich aus<br />
den fachlichen und menschlichen Begegnungen<br />
mit Joan Sleigh ergab, sie für die<br />
Ergänzung des Vorstands vorzuschlagen.<br />
Sie vereine zwei Strömungen in ihrer Person:<br />
über ihre Mutter, eine Tochter von Karl<br />
König, die Camphill-Gemeinschaft und die<br />
Christengemeinschaft durch ihren Vater,<br />
der dort Priester ist. Joan Sleigh selbst<br />
schuf einen humorvollen Moment der Begegnung,<br />
als sie am Ende ihrer Vorstellungsrede<br />
auf Elefanten und Giraffen aus<br />
ihrer Heimat Südafrika zu sprechen kam.<br />
Der Elefant («ein tolles Tier«) habe große<br />
Ohren und ein gutes Gedächtnis, er könne<br />
gut lauschen. Giraffen haben von allen<br />
Säugetieren das größte Herz. «Das will ich<br />
gern mitbringen: Elefantenohren und ein<br />
Giraffenherz.» Die Generalversammlung<br />
stimmte mit großer Mehrheit, zwei Gegenstimmen<br />
und sechs Enthaltungen zu, Joan<br />
Sleigh in den Vorstand aufzunehmen.<br />
Würdigung von Sergej Prokofieff<br />
Außerdem hatte Virginia Sease die Aufgabe,<br />
Sergej Prokofieff, der aus gesundheitlichen<br />
Gründen den Vorstand verlässt, sich<br />
aber im Strom der Kontinuität der Aufgaben<br />
des Vorstands empfindet, zu danken<br />
und seinem Wunsch gerecht zu werden,<br />
dass dies schlicht ausfallen solle. Sie ging<br />
darauf ein, dass Sergej Prokofieff und seine<br />
Bücher <strong>weltweit</strong> sehr geschätzt würden. Er<br />
sei durch Studium und Forschung in die<br />
Lage gekommen, ein Interpret Rudolf Steiners<br />
zu werden, und zwar als jemand, der<br />
erkenne, was durch das Werk Rudolf Steiners<br />
durchstrahle. Als Interpret vermöge<br />
Sergej Prokofieff die Urbilder, in deren<br />
Sphäre Rudolf Steiner stand, «in Abbildern<br />
vor uns zu stellen». Sease schloss mit einer<br />
Bitte: Wenn man sich vorstelle, in zehn,<br />
zwanzig, dreißig Jahren auf das Werk von<br />
Sergej Prokofieff zu blicken, dann gebe es<br />
zwei Aufgaben: Mehr <strong>Anthroposophie</strong> zu<br />
tun und «keine Wolke der Begeisterung»<br />
um ihn herum zu bilden. «Denn eine allzu<br />
große Begeisterung verhindert, dass jemand<br />
tätig sein kann.»<br />
Carina Vaca Zeller hatte beim offenen<br />
Plenum im Vorfeld des Jahrestreffens eingefordert,<br />
dass das Jahresthema nicht nur<br />
für die Bedürfnisse mitteleuropäischer<br />
Länder formuliert werden solle. Für Länder
<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4/13 | 5<br />
wie Chile, wo die <strong>Anthroposophie</strong> noch<br />
sehr jung und im Aufbau sei, sei das jetzige<br />
Thema zu abstrakt: ‹’Ich erkennet sich’ – Dimensionen<br />
der Grundsteinlegung›. Wie als<br />
eine Antwort darauf konkretisierten im<br />
Laufe des Jahrestreffens inhaltliche Beiträge,<br />
Voten und Einblicke in die Tätigkeiten<br />
der einzelnen Länder mit Anthroposophischen<br />
Gesellschaften das Jahresthema.<br />
Stellvertretend dafür sei zum einem das<br />
Votum von Claus-Peter Röh, einem der beiden<br />
Leiter der Pädagogischen Sektion, angeführt.<br />
Er stellte dar, wie sich das Ich zunehmend<br />
schon in der Kindheit konstitutionell<br />
eng mit den Wesensgliedern, besonders<br />
mit dem physischen Leib, verbindet.<br />
Das Ergebnis sei schon beim Kind frühe<br />
Wachheit und frühes Bewusstsein. So<br />
habe eine Erstklässlerin mitten in die Erzählung<br />
eines Märchen, in dem die Prinzessin<br />
einen Weg zu wählen hatte, hineingerufen:<br />
«Nimm nicht diesen Weg, das wird<br />
schief gehen.» Oder ein anderes Mädchen<br />
aus der ersten Klasse sagte zu seiner Lehrerin:<br />
«Ich zeichne, wie du es mir gesagt hast<br />
– auf einem zweiten Blatt zeichne ich, wie<br />
ich es machen will.» ‹Ich erkennet sich› ist<br />
ein Erkennen, so Röh, das sich in der Verbindung<br />
des Menschen mit der Leiblichkeit<br />
entwickelt. Die Art, wie sich diese Verbindung<br />
konstituiert, sei Thema und Aufgabe<br />
der Pädagogik.<br />
Das Menschenbild schützen<br />
Zum anderen aber gab Christiane Haid<br />
eine Überschau über verschiedene Schichten<br />
des Ich-Themas: die Entwicklung des Ich<br />
in den Kulturepochen, im Zusammenhang<br />
mit den Volksseelen und der menschlichen<br />
Biografie und weiter bis zur dreifachen Unterscheidung<br />
von Erden-Ich, höherem und<br />
wahrem Ich. Es bleibt die Aufgabe, so Christiane<br />
Haid mit Hinweis auf die <strong>Goetheanum</strong>-Sommertagung<br />
mit allen vier Mysteriendramen<br />
Rudolf Steiners, «Geistesziele<br />
in Sinnestaten» umzusetzen.<br />
Für die nächste Ausgabe von ‹<strong>Anthroposophie</strong><br />
<strong>weltweit</strong>› ist eine Dokumentation<br />
von Beiträgen, die beim Jahrestreffen gehalten<br />
wurden, geplant, um hier Angeführtes<br />
vollständig und um nicht Genanntes überhaupt<br />
zu erwähnen, wozu beispielsweise<br />
der Bericht des Schatzmeisters gehört.<br />
In mehreren Voten wurde die Aufgabe<br />
der Anthroposophischen Gesellschaft angesprochen<br />
und eingefordert, das Menschenbild<br />
zu schützen und den Nöten der<br />
Zeit zu begegnen. Und: Der Vorstand wurde<br />
mit Mehrheit, einer Gegenstimme und<br />
zwei Enthaltungen entlastet. | Sebastian<br />
Jüngel<br />
Blickpunkte und gestellte Fragen<br />
Im Zeichen des offenen Gespräches<br />
Eine Generalversammlung, die ganz im<br />
Zeichen des offenen Gespräches<br />
stand! Ein Wechsel hin zu einem gemeinsamen<br />
Gestalten. Eigentlich ist man fast<br />
peinlich berührt, wenn man über die Generalversammlung<br />
2013 schreiben kann,<br />
dass ein brüderliches Niveau durchgehend<br />
gehalten wurde. Warum hat die<br />
Vergangenheit so anders sein können?<br />
Und doch haben wir erst einen Schritt auf<br />
einem gemeinsamen Weg gemacht. Es<br />
gilt nun, jede kommende Generalversammlung<br />
von Neuem gemeinsam zu<br />
ergreifen und zu gestalten. Jede Generalversammlung<br />
ist ein Projekt, das gemeinsam<br />
zu gelingen und doch auch gemeinsam<br />
zu misslingen vermag!<br />
Eine Nacht der Ruhe vor der Entscheidung<br />
Im Folgenden möchte ich Sie auf einen<br />
Rundgang durch die Generalversammlung<br />
2013 mitnehmen, und zwar unter einem<br />
Blickwinkel, der manches aufgreift, was offen<br />
geblieben ist und vielleicht auf zukünftige<br />
Gestaltung wartet. So wurde auf dem<br />
Vortreffen am Freitag in der Schreinerei<br />
um ein Meinungsbild gebeten: Wie viele<br />
der Anwesenden würden sich wünschen,<br />
dass sich auf der Generalversammlung<br />
2014 jede Landesgesellschaft mit einem<br />
Stand vorstellen kann, der Einblick in ihr<br />
Leben und ihre Arbeit gibt? Diese Idee stieß<br />
auf großes Interesse, und wenig später<br />
hatte bereits der Vorstand der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft in Österreich beschlossen,<br />
dass er auf jeden Fall dann mit<br />
einem Stand dabei sein würde!<br />
Nach der Vorstellung der Zusammenarbeitsweise<br />
in der <strong>Goetheanum</strong>-Leitung<br />
fragte ein Mitglied, ob wir uns über einen<br />
Weg beziehungsweise einen Prozess verständigen<br />
sollten, wie wir zukünftig auftretende<br />
Konflikte erst gar nicht auf<br />
Generalversammlungen zu Eskalationen<br />
kommen lassen können. Es ist die Frage<br />
nach einem gemeinsam erarbeiteten<br />
Verfahren, durch welches eine Vermittlung<br />
möglich wird, bevor die Gegensätze<br />
zu groß werden und in die Gesellschaft<br />
strahlen. Das Suchen von Gesprächen<br />
durch den Vorstand mit den Antragstellern<br />
vor der diesjährigen Generalversammlung<br />
hat bereits gezeigt, dass durch<br />
Gespräche und ein Aufeinanderzugehen<br />
manche Abstimmungen auf Versammlungen<br />
entfallen können.<br />
Für die Behandlung der Anträge war<br />
eine Nacht der Ruhe zwischen Aussprache<br />
und Abstimmung vorgesehen. Diese<br />
Nacht der Ruhe wurde – beim offenen<br />
Rückblick am Ende des Treffens – auch<br />
zwischen Vorstellung und Stimmabgabe<br />
bei der (Wieder-)Bestätigung von Vorständen<br />
gewünscht. Bei diesem offenen<br />
Rückblick war auch ein Mitglied anwesend,<br />
welches Generalversammlungen<br />
ab 1959 vergleichen konnte …<br />
Mut und Zuversicht für unser Wirken<br />
Eine weitere Frage eines Mitgliedes<br />
während der Generalversammlung bezog<br />
sich darauf, ob wir einen Ersten Vorsitzenden<br />
im Vorstand als Ansprechpartner<br />
für die Welt und Verteidiger der <strong>Anthroposophie</strong><br />
gegen Angriffe bestimmen<br />
sollten. Dieser wurde seit dem Tod von<br />
Manfred Schmidt-Brabant nicht mehr bestimmt<br />
und von einer kollegialen Arbeitsweise<br />
mit Zusprechung konkreter Aufgaben<br />
an einzelne Vorstandsmitglieder abgelöst.<br />
Ebenfalls die Gestaltung des Vorstandes<br />
betreffend war die Frage, ob weniger<br />
Mitglieder im Vorstand sein sollten<br />
und dafür mehr Sektionsleiter im <strong>Goetheanum</strong><br />
sein könnten. Schließlich hatte<br />
bei der Gründung der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft fast jedes Vorstandsmitglied<br />
eine Sektion als sein Arbeitsumfeld.<br />
Und ebenfalls offen bleibt, was Mitglieder<br />
wie folgt formuliert haben:<br />
– Wie kann das Geistige bei unseren Versammlungen<br />
durch die ‹Decke› des<br />
Seelischen kommen?<br />
– Wie arbeiten wir so zusammen, dass<br />
wir durch die Begegnung Mut und<br />
Zuversicht für unser (individuelles)<br />
Wirken erhalten?<br />
– Wie schaffen wir eine Gesprächsatmosphäre,<br />
in der wir uns einerseits wohlfühlen<br />
und doch andererseits die Dinge<br />
klar beim Namen nennen können?<br />
Vielleicht einen persönlichen Satz als<br />
fernen Ausblick zum Schluss: I have a<br />
dream … dass eines Tages in einem ‹äußeren<br />
Kräftevorstand› Persönlichkeiten wie<br />
Peter Selg oder Judith von Halle einbezogen<br />
werden und die Verschiedenheiten<br />
im Einsatz für die <strong>Anthroposophie</strong> dennoch<br />
von allen Mitgliedern getragen werden<br />
kann. | Moritz Christoph, Darmstadt<br />
(DE)
6 | <strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4/13<br />
ó Anthroposophische Gesellschaft<br />
Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft: Joan Sleigh neues Mitglied des Vorstands<br />
«In jeder Situation muss neu entschieden werden»<br />
Am 23. März stimmte die Generalversammlung zu, Joan Sleigh als Mitglied des Vorstands<br />
der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft aufzunehmen. Sie bringt Erfahrungen<br />
aus Südafrika und Deutschland sowie als Waldorflehrerin mit. Mit ihr ist erstmals die Südhemisphäre<br />
und Muttersein im Vorstand am <strong>Goetheanum</strong> vertreten.<br />
J<br />
oan Sleigh wurde 1962 in Südafrika geboren,<br />
lebte dort im Camphill und besuchte<br />
zeitweise die Waldorfschule in Kapstadt.<br />
Mit 20 Jahren heiratete sie und übersiedelte<br />
nach Deutschland. Hier gründete sie eine<br />
Familie und wurde dann am Institut für<br />
Waldorfpädagogik in Witten/Annen Waldorflehrerin.<br />
Nach 13 Jahren kehrte sie mit<br />
ihren vier Kindern nach Südafrika zurück,<br />
wo sie seither ebenfalls als Waldorflehrerin<br />
und seit sechs Jahren auch als Dozentin am<br />
Lehrerseminar tätig ist.<br />
Sebastian Jüngel: Wie war die Situation, als<br />
Sie gefragt wurden, ob Sie in den Vorstand<br />
am <strong>Goetheanum</strong> eintreten wollen?<br />
Joan Sleigh: Es kam für mich völlig unerwartet.<br />
Ich war ‹schockiert›, weil ich meine<br />
Aufgabe in Südafrika sah. Erst nach einer<br />
Weile konnte ich überhaupt denken, was<br />
die Vorstandstätigkeit bedeuten könnte.<br />
Ich schaute dann auf mein Leben zurück<br />
und kam zum Ergebnis: Ich nehme die Herausforderung<br />
an. Ich bin in vielen Lebenssituationen<br />
geführt worden und begleitet<br />
gewesen und habe das Gefühl, dass ich<br />
jetzt die Möglichkeit habe, wieder etwas<br />
zurückzugeben.<br />
Jüngel: Wie kann man sich die Situation<br />
vorstellen: Klingelte das Telefon?<br />
Sleigh: Ich kam von Bochum nach Südafrika<br />
zurück und fand eine Nachricht auf<br />
dem Anrufbeantworter. Im anschließenden<br />
Telefongespräch fragte mich Virginia<br />
Sease, ob ich mir vorstellen könnte, diese<br />
Aufgabe anzunehmen.<br />
Verhältnis Afrika und Europa<br />
Jüngel: Afrika und Europa haben dieselben<br />
Zeitzonen – haben sie dadurch auch etwas<br />
Gemeinsames?<br />
Sleigh: Die beiden Kontinente sind sehr<br />
verschieden. Aber ihre Gegensätze brauchen<br />
einander, um ein Ganzes zu bilden.<br />
Ich habe den Eindruck, dass jeder Europäer<br />
mal nach Afrika kommen müsste, und umgekehrt<br />
müsste jeder Afrikaner einmal in<br />
Europa gewesen sein.<br />
Jüngel: Was bedeutet Ihnen Afrika?<br />
Sleigh: Mein Leben in Südafrika war für mich<br />
eine wichtige Vorbereitung für die Aufgabe<br />
am Goethe anum. Südafrika hat besondere<br />
Lebenskräfte: Alles ist offener und leichter,<br />
die Erlebnisse sind intensiver und intimer,<br />
und die Menschlichkeit ist viel unmittelbarer<br />
zu erleben. Man lebt viel näher an der<br />
Schwelle und wird gezwungen, wacher und<br />
präsenter zu sein. Der tägliche Schmerz und<br />
die tägliche Schönheit tragen dazu bei, dass<br />
ich aus der Seelentiefe die Kraft holen kann,<br />
um die neue Aufgabe aufzugreifen. Ich bin<br />
gespannt, wie ich in Europa mit der ‹verdeckten›<br />
Sonne umgehen werde, bin ich<br />
doch ‹sonnenbedürftig›. Vielleicht wird es<br />
möglich, die Sonne im Innern zu tragen.<br />
Jüngel: Und Ihre Beziehung zu Europa?<br />
Sleigh: Die Lebenskräfte und der Schmerz<br />
können in Europa eine Vertiefung erfahren.<br />
Ich lernte in Deutschland, mein Wesen zu<br />
vertiefen und gründlicher zu werden. Ich<br />
hoffe, dass ich viel Lebenskraft und viel Begeisterung<br />
ans <strong>Goetheanum</strong> bringen kann.<br />
Kann sein, dass ich hin und wieder in Südafrika<br />
Lebenskraft und ‹Verrücktheit› auftanken<br />
gehen muss …<br />
Jüngel: Sind Afrika und Europa für sie besondere<br />
Orte, etwa solche, an denen besondere<br />
karmische Aufgaben bearbeitet<br />
werden können?<br />
Sleigh: Ich sehe da im Hinblick auf karmische<br />
Fragen global keine Unterschiede.<br />
Sicher wird man dort geboren oder ‹hingeholt›,<br />
wo karmische Aufgaben zu erledigen<br />
sind. Doch sind zum Beispiel die<br />
Grundbedürfnisse der Kinder global dieselben.<br />
Natürlich bringen Armut und Gewalt<br />
in Afrika andere Nöte mit sich als in<br />
Europa: In Europa liegen die Nöte stärker<br />
auf see lischer Ebene, in Afrika ist man stärker<br />
äußerlich-existenziell gefordert.<br />
Jüngel: Wie blicken Sie auf die Globalisierung?<br />
Sleigh: Ich finde sie wichtig, aber auch gefährlich.<br />
Wichtig ist es, ‹inklusiv› zu werden,<br />
über den eigenen Tellerrand hinauszublicken<br />
und ein Bewusstsein für die gesamte<br />
Menschheit zu bekommen. Gleichzeitig<br />
wird es umso wichtiger, individuelle<br />
Verantwortung bis in die kleinste Entscheidung<br />
und Betätigung zu tragen.<br />
Ich habe in Afrika gelernt, dass wir heute<br />
wach sein müssen – wir können nicht mehr<br />
schlafen. Alles ist im Umbruch und in Bewegung;<br />
in jeder Situation muss neu entschieden<br />
werden, es gibt keine Rezepte. Ich<br />
bin froh, dass wir in einer kritischen Zeit<br />
<strong>Anthroposophie</strong> leben: Joan Sleigh<br />
leben, dass wir gefordert und gefragt sind,<br />
flexibel und präsent zu sein!<br />
Zentrum und Peripherie –<br />
Ruhepunkt und kleine Flammen<br />
Jüngel: Was ist die Anthroposophische Gesellschaft<br />
für Sie?<br />
Sleigh: Am <strong>Goetheanum</strong> ist sie für mich<br />
das Herz, die Feuerstelle, die Heimat für<br />
das Wesen Anthroposophia, das aktiv und<br />
lebendig in die Welt hinausströmen und<br />
wirken kann. Am <strong>Goetheanum</strong> ist ein<br />
Raum, ein Treffpunkt, wo sich alles begegnen<br />
und befruchten kann, um dann, mit<br />
neuer Kraft, an der Peripherie aktiv werden<br />
zu können.<br />
Jüngel: Und was ist die Anthroposophische<br />
Gesellschaft für Sie in Deutschland oder in<br />
Südafrika?<br />
Sleigh: Dort lebt sie wie kleine Flammen,<br />
getrennt von der Feuerstelle. Sie sind für<br />
die jeweiligen Länder ganz wichtig und bedürfen<br />
die Verbindung zum Zentrum. Denn<br />
in Südafrika beispielsweise fühlt man sich<br />
leicht als Einzelkämpfer. Wir alle sind dort<br />
auch Streiter Michaels, aber wir brauchen<br />
eine Verbindung miteinander – und die<br />
geht über das <strong>Goetheanum</strong>. Ein Kollege<br />
sagte zu mir einmal: Man braucht das aktive<br />
Leben in der Peripherie; und das Zentrum<br />
als Ruhepunkt, als Feuerstelle soll das<br />
Leben ermöglichen.
<strong>Anthroposophie</strong> <strong>weltweit</strong> Nr. 4/13 | 7<br />
Jüngel: Doch wofür braucht es die Anthroposophische<br />
Gesellschaft, wenn es doch an<br />
vielen Orten gut laufende Einrichtungen<br />
und eine aktive anthroposophische Arbeit<br />
gibt?<br />
Sleigh: Die Tätigkeit findet in den Gliedern<br />
statt, aber gespeist wird sie vom Herzen,<br />
vom Zentrum. Peripherie und Zentrum<br />
brauchen sich gegenseitig: Im Zentrum<br />
wird der Ur-Impuls gepflegt, dort kann<br />
man sich begegnen. An der Peripherie ist<br />
man in den Lebensfeldern tätig. Wo Tätigkeit<br />
ist, braucht es einen Ruhepunkt zum<br />
Reflektieren. Das ist die Aufgabe des Zentrums.<br />
Denn wenn man das Bewusstsein<br />
im Stillen hält, kann Energie in die Peripherie<br />
fließen. Das Pulsieren in der Peripherie<br />
findet in der Herzstelle ihre Quelle.<br />
Jüngel: Welche Vision von der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft haben Sie?<br />
Sleigh: Mir geht es um die menschliche<br />
Begegnung. Damit meine ich Folgendes: In<br />
der menschlichen Begegnung geht es ja<br />
darum, Raum für den anderen zu schaffen,<br />
damit man den anderen in seinem ganzen<br />
Wesen richtig sehen, hören und erleben<br />
kann. Man lernt dabei sich selbst kennen.<br />
Menschliche Begegnung ist also zugleich<br />
ein Geben und ein Nehmen, ein Erwachen<br />
in sich selbst und im anderen.<br />
Ich will dabei den Menschen – ob Mitglied<br />
oder nicht – ansprechen, und zwar in seinem<br />
reinen Menschsein. Dafür möchte ich<br />
Menschen aus allen Lebensfeldern und<br />
Denkweisen sowie kulturellen Gruppen<br />
wirklich begegnen. Das heißt auch: Ich will<br />
dadurch wirken, dass ich <strong>Anthroposophie</strong><br />
lebe. Natürlich muss man sie auch studieren<br />
und lehren. Für mich heißt Repräsentant<br />
sein: Offenheit gegenüber allen Menschen<br />
und zugleich eine tiefe innere Verbindung<br />
zu Anthroposophia zu haben.<br />
Das Ich stärken – in sich und im anderen<br />
Jüngel: Wo liegt Ihr spirituelles Interesse?<br />
Sleigh: Ich befasse mich mit allem, was<br />
mit dem Sozialen zusammenhängt. Dabei<br />
geht es mir vor allem um das Ich. Die Frage<br />
nach Führung (leadership) ist ein wichtiger<br />
Teil: die persönliche Führung, die Führung<br />
in einer Gemeinschaft oder Führung der<br />
gesamten Menschheit. Braucht man aber<br />
überhaupt noch ‹Führer›? Denn jeder Führer<br />
braucht andere, die folgen. Wer aber<br />
möchte heute noch folgen? Wie wird man<br />
selbst ‹Führer›? Das führt zu den Fragen:<br />
Wo liegt die Ich-Kraft? Wie stärkt man das<br />
Ich in sich und erkennt, anerkennt es im<br />
anderen Menschen? Wie ermöglicht man<br />
dem anderen Menschen, sein Schicksal zu<br />
ergreifen?<br />
Jüngel: Sie haben ja bereits Ihr Anliegen<br />
mit der menschlichen Begegnung betont.<br />
Wo genau findet diese statt?<br />
Sleigh: Im Ich und im anderen, im Ich und<br />
beim Du.<br />
Jüngel: Wie sieht das bei den Menschen<br />
heute aus?<br />
Sleigh: Die Kinder sind sehr viel individualistischer,<br />
viel selbstbezogener und viel<br />
wacher als in der Zeit meiner Kindheit. Sie<br />
haben das Gefühl, dass sie alles tun dürfen.<br />
Sie haben es dadurch schwerer, sich im<br />
Sozialen, im Zwischenmenschlichen wohlzufühlen.<br />
Sie brauchen sehr viel Verständnis<br />
und Anerkennung von uns und gleichzeitig<br />
auch Führung durch lebendiges Beispiel.<br />
Es geht darum, ihnen zu ermöglichen,<br />
ihr Einzigartiges auszubilden und<br />
sich zugleich in einer Gruppe zu Hause zu<br />
fühlen. Das kann man nur durch Üben lernen,<br />
dass jeder dieses Bedürfnis hat, sich<br />
auszuleben.<br />
Menschliche Reifung durch Begegung<br />
Jüngel: Wie stehen die Menschen in Südafrika<br />
zur <strong>Anthroposophie</strong>?<br />
Sleigh: Es gibt eine große Offenheit und<br />
ein großes Interesse für die <strong>Anthroposophie</strong>.<br />
So ‹blüht› beispielsweise die Waldorfpädagogik<br />
bei Eltern und Studierenden<br />
in den Schulen, in der Lehrerausbildung<br />
sowie in der allgemeinen Gesellschaft.<br />
Allerdings gibt es nicht so viele<br />
Menschen, die Mitglied der Anthroposophischen<br />
Gesellschaft werden oder <strong>Anthroposophie</strong><br />
als Lebensweise annehmen.<br />
Es geht dann darum, dass die <strong>Anthroposophie</strong><br />
nicht nur als eine gute Methodik<br />
gilt, sondern als eine Lebensweise. Dieser<br />
entscheidende Schritt findet oft durch die<br />
persönliche Begegnung statt. Durch sie<br />
kann man sich gegenseitig auf etwas<br />
Geistiges, auf etwas Tieferes aufmerksam<br />
machen – menschliche, seelische Reifung<br />
findet nicht durch Studieren statt, sondern<br />
durch die mensch liche Begegnung.<br />
Auf die Frage in der Mitarbeitendenversammlung<br />
am <strong>Goetheanum</strong>, ob sie<br />
wisse, was auf sie zukomme, antwortete<br />
Joan Sleigh: «Als Erstes geht es darum, Virginia<br />
Sease bei den English Studies zu unterstützen.<br />
Außerdem habe ich eine Ahnung,<br />
dass es eine große Aufgabe und<br />
Verantwortung ist. Ich will mich dem stellen.<br />
Ich komme nicht mit fliegenden Fahnen<br />
und will das oder jenes machen. Ich<br />
will ganz offen hören und spüren, was<br />
dran ist. Ich möchte mich selbst und mein<br />
Bestes, das ich leisten kann, zur Verfügung<br />
stellen.» ó<br />
Einundzwanzig<br />
Seiten* hat die<br />
anthroposophische<br />
Woche<br />
*Im Durchschnitt pro Jahr<br />
10 DAS GOETHEANUM Nr. 13-14 · 31. März 2012 · ZUSAMMENHÄNGE<br />
Am . März schrieb Paul Schatz in einem Aufsatz: «Albert<br />
Ste fen machte einmal in einem Vortrag die Bemerkung, da s<br />
Newton wohl darüber nachgedacht habe, warum der Apfel vom<br />
Baum herunterfä lt, nicht aber, wie er heraufgekommen ist. Um die<br />
Kostbarkeit dieses Au spruches zu erme sen, mu s man bedenken,<br />
wie fern es dem modernen Physiker liegt, darüber nachzusinnen,<br />
was im Ganzen der Natur und der Welt dazu geführt haben mag,<br />
da s so etwas wie die Schwere als Bewegungsimpuls überhaupt<br />
in Erscheinung treten kann. Man hat a len Anlass dazu, den Ausspruch<br />
Albert Ste fens folgendermaßen zu var ieren: Solange es<br />
die Gelehrten der physikalischen Naturwi senschaft als außerhalb<br />
ihrer Belange liegend erachten, auch darüber nachzudenken, wie<br />
der Apfel auf den Baum hinaufgekommen ist, solange kann die<br />
Naturwi senschaft selbst auf keinen grünen Zweig kommen»<br />
(‹Die Kräftewirtschaft der Technik – Abfa l, Gefä le und Zerfa l›,<br />
erschienen in der Wochenschrift ‹Das <strong>Goetheanum</strong>›). Paul Schatz<br />
wertschätzte das Wirken Albert Ste fens ausgesprochen. Sein<br />
Aufsatz war Teil einer Folge von Beiträgen, die als ‹Technik und<br />
Geisteswi senschaft› im ‹<strong>Goetheanum</strong>› erschien (/) u n d<br />
die in dem Thema ‹Technik und Auferstehung›, dem Titel des letzten,<br />
zu Lebzeiten von Paul Schatz verö fentlichten Textes (. Januar<br />
im ‹<strong>Goetheanum</strong>›), ihren Ursprung besaß. 1<br />
Aus verschiedenen Geiste strömungen kommend, rangen beide<br />
Individualitäten um Auferstehungsimpulse. Albert Ste fen auf<br />
dem Felde der Dichtkunst, Paul Schatz auf dem der Technik. Beide<br />
verfügten über einen originären geisteswi senschaftlichen Forschungsansatz<br />
bei eigenen übersinnlichen Erlebni sen, der sie<br />
auch zu Einblicken in frühere Erdenleben führte. In ihrer Liebe<br />
zum Werk Rudolf Steiners waren sie einander kongenial, obzwar<br />
der Klang, der aus ihren Schriften spricht, ein jeweils anderer und<br />
sehr individue ler ist. Albert Ste fen erschuf eine neue Dichtkunst;<br />
Paul Schatz legte die Grundlagen für eine zukünftige Technik.<br />
«Künstlerische Gestaltung im geometrischen und technischen<br />
Felde, das ist mein Schicksalsauftrag», schrieb er, und: «Es drängte<br />
sich mir nun die Aufgabe auf, [ .] Mathematik und Geometrie aus<br />
michaelischen Impulsen heraus neu zu gestalten.» hielt er im<br />
Tagebuch fest: «Ich verehre Albert Ste fen. Ich fühle deutlicher die<br />
Stufenwerte als bisher hier in Dornach.» Albert Ste fen regte Paul<br />
Schatz zu Beiträgen für die Wochenschrift an. So entstand unter<br />
anderen der Aufsatz ‹Wege und I rwege des Künstlers im Lichte<br />
der Initiation›. Darin forderte Paul Schatz aus innerer Erfahrung als<br />
Künstler die erkenntnismäßige Durchdringung des schöpferisch<br />
Gestalteten. Albert Ste fen gelang das als Dichter, indem er seine Inspirationen<br />
aus der Sphäre der Verstorbenen bezog. In Paul Schatz'<br />
erstem, noch vor der an Ostern erfolgten Übersiedlung nach<br />
Dornach verö fentlichten Buch mit dem Titel ‹Der Weg zur künstlerischen<br />
Gestaltung in der Kraft des Bewu stseins› steht das Motiv<br />
der Einweihung im Hintergrund. Mit der Schrift, der er vierundzwanzig<br />
Monotypien eigener holzbildhauerischer Werke beigab,<br />
so lte eine neue Art von Buch begründet werden. In einem Brief<br />
an Albert Ste fen (. April ) erklärte er: «Mit der Übersendung<br />
dieses Heftes (‹Der Weg zur künstlerischen Gestaltung in der Kraft<br />
des Bewu stseins›) möchte ich vor a lem zum Ausdruck bringen,<br />
da s ich dem Geist der <strong>Anthroposophie</strong> dienen wi l, so gut es mir<br />
meine Kräfte erlauben. Mein ganzes Streben ist dahin gerichtet,<br />
die wirkliche Praxis der s elischen Entwicklung und Wandlung<br />
durchzumachen, indem ich die Weisheit dieser wirklichen Praxis<br />
suche.» Formulierte Albert Ste fen in seiner Schrift ‹Begegnungen<br />
mit Rudolf Steiner› (): «Das Schnitzen an den Kapitellen und<br />
Archivtraven des <strong>Goetheanum</strong> förderte mich auch als Wortgestalter.<br />
Mein Stil wurde plastischer», so sagte Paul Schatz über sich:<br />
«Am glücklichsten war ich als Holzbildhauer, am unglücklichsten<br />
bin ich jetzt als Erfinder, der seine Erfindungen der Wirtschaft [ .]<br />
übergeben möchte» und: «Rudolf Steiner hat einmal ausgeführt,<br />
da s plastische Schöpfungen aus unterdrückten Imaginationen<br />
hervorgehen, und das ist in der Tat auch die Que lkraft meiner<br />
Figuren.» Dem in der Ichform verfa sten Aufsatz ‹Material und<br />
Gestaltung› ste lte Paul Schatz Albert Ste fens Gedicht ‹La st uns<br />
die Bäume lieben› voran (Erö fnungsnummer von Willy Sto rers<br />
[-] Zeitschrift ‹Individualität – Vierteljahre schrift für<br />
Philosophie und Kunst› im April ). Er kannte Albert Ste fens<br />
Werke bestens und hörte viele seiner Vorträge. Im Februar <br />
berichtete er seiner Frau, die bei Marie Steiner Sprachgestaltung<br />
studierte: «Ste fen – so dünkt mich – hat sich verändert. Seine Stir-<br />
MA THIAS MOCHNER<br />
AUFERSTEHUNGSIMPULSE<br />
IN KUNST UND TECHNIK<br />
Zur Schicksalsbegegnung von Paul Schatz (1898-1979)<br />
und Albert Steffen (1884-1963)<br />
8 DAS GOETHEANUM Nr. 20 · 19. Mai 2012 · ZUSAMMENHÄNGE<br />
er einer nicht bewu st vom Menschen gescha fenen Wirklichkeit,<br />
dies bereits Züge einer höheren Sphäre trägt. Er hat das Material,<br />
das durch innere S elenbildung weiterentwickelt werden und in<br />
eine höhere Erkenntnisebene eingeführt werden kann.<br />
Ste fen äußert über die Entstehung der Kleinen Mythen: «Es sind<br />
keineswegs nur Kinder meiner Fantasie. Wenn sie mir auch ungesucht<br />
zufa len, so liegt ihnen doch eine strenge Gesetzmäßigkeit<br />
zugrunde. Mit einem Wort: Ich finde sie, zu meiner eigenen<br />
Verwunderung, auf dem Weg zum Geiste, wie Edelsteine, Bäume,<br />
Vögel, wie Fernsichten mit Wolken und Regenbogen, wie Wesen,<br />
welche die Reiche der Erde bevölkern, aber immer anders, als ich<br />
vorausgedacht, eh ich den Pfad der Erkenntnis beschri ten. Dieser<br />
ist exakt, klar, rein von Fehlerque len, wenn e richtig ist – methodisch,<br />
wie die Regeln der Mathematik dies auf ihrem Gebiete sind.<br />
Ich mache über das Samenkorn eine Übung, versetze mich in<br />
de sen Wachstum, von Keim zu Bla t, zu Blüte, ich erlebe, wie es<br />
seine Substanzen aus den Elementen zieht und der Sonne entgegenwächst,<br />
wie es sich in vielfältigen Gestalten, außerhalb von<br />
meiner S ele, die es innerlich nachbildet, entwickelt. Diese, erst<br />
subjektiv bestimmt, bildet sich am Werden der Pflanze immer mehr<br />
zu einem Organ, welches objektiv das Lebendige erfa st. Umso gewi<br />
senhafter ich dabei verfahre, umso unvermuteter ist der Fund,<br />
der mir zufä lt. Plötzlich liegt er, auf der Erkenntnisfahrt, zu meinen<br />
Füßen, und er gehört mir ganz. Zunächst mag es nur ein Setzling<br />
sein. Ich trag ihn mit wenigen Sätzen in mein Notizbuch ein. Hier<br />
bleibt er unverändert, bis ich ihn beim Durchblä tern wieder finde.<br />
Dabei erweist sich, da s er selber gewachsen ist, und zwar deshalb,<br />
weil die Nahrung, die ich ihm gebe, meine eigne S ele ist, die sich<br />
seither entfaltet hat. Ich halte das mikromagische Gebilde dem<br />
Licht der Erkenntnis entgegen, das die ganze Welt erfü lt. Und<br />
endlich ist der ‹Kleine Mythos› sich selbst genug.» 6<br />
Da s Ste fen in den er-Jahren eine die Realität der übersinnlichen<br />
Welt mit einbeziehende Wirklichkeitsau fa sung in Kunstform<br />
realisierte, ist sein besonderer Beitrag zur Moderne. Diesem<br />
lag die Intention zugrunde, den suchenden Menschen in der Krisenzeit<br />
nach dem Ersten Weltkrieg innere Orientierung zu vermi<br />
teln, die sie an eine höhere Wirklichkeit anschließt. Die ‹obere›<br />
Welt so lte, in einer vom Materialismus und wi senschaftlichen<br />
Positivismus geprägten Zeit, als eine unverzichtbare Wirklichkeit<br />
wieder in das Leben einbezogen werden. Dies a lerdings aus<br />
moderner Perspektive, nicht durch die Gö ter von oben, durch Offenbarung,<br />
Religion oder Kirche bewirkt, sondern vom Menschen<br />
in inneren Kämpfen, durch Grenzerfahrungen auf a len nur denkbaren<br />
Ebenen des menschlichen Lebens, selbstständig e rungen.<br />
Man kann dies eine an Grenzerfahrungen e rungene Ich-Bildung,<br />
ein Erwecken des höheren Menschen im Menschen nennen. Die<br />
Lektüre der Kleinen Mythen kann heute im künstlerischen Bilde<br />
ein Erwachen für die vielfältigen Schwe len des Lebens anregen,<br />
sind doch gerade in der Gegenwart die Verständnismöglichkeiten<br />
für diese subtilen Proze se durch eine größere Sensibilität weiter<br />
entwickelt als zu Beginn des letzten Jahrhunderts.<br />
Christiane Haid leitet den Verlag am <strong>Goetheanum</strong>.<br />
| 1 Michael Bauer an Albert Ste fen, Brief vom . Januar ,<br />
Archiv der Albert-Ste fen-Stiftung | 2 Albert Ste fen: ‹Kleine<br />
Mythen›, Dornach | 3 siehe Ingeborg Woitsch: ‹Bilder<br />
des Schicksals. Albert Steffens ‹Kleine Mythen› Stu tgart <br />
| 4 Christiane Haid ‹Mythos, Traum und Imagination. Die Kleinen<br />
Mythen Albert Ste fens›, Basel | 5 siehe . | 6 Albert<br />
Ste fen ‹Merkbuch›, Dornach , S. f.<br />
A bildung: Bucheinband ‹Kleine Mythen› von Albert Steffen<br />
Die ‹obere› Welt so lte, als eine unverzichtbare<br />
Wirklichkeit wieder in das Leben einbezogen werden.<br />
Dies a lerdings nicht durch die Götter von oben, sondern<br />
vom Menschen in inneren Kämpfen, durch<br />
Grenzerfahrungen selbstständig errungen.<br />
9<br />
DAS GOETHEANUM Nr. 20 · 19. Mai 2012 · ZUSAMMENHÄNGE<br />
Ein großer Pionier der anthroposophischen Bewegung hat die Erde<br />
verla sen, der englische Bildhauer John Wilkes. Eigentlich fühle ich<br />
mich kaum befähigt, über ihn zu schreiben – wir sind uns nur ab<br />
und zu begegnet, wenn auch über Jahrzehnte hinweg. Andererseits<br />
ist die Bi te kaum auszuschlagen, einem so besonderen Menschen<br />
eine Hommage vorzuenthalten, ihm, der so Bedeutendes, Neues<br />
in die Welt gebracht hat, und zugleich mit einer so bescheidenen,<br />
warmen Menschlichkeit im Leben stand. Ein umfa sendes<br />
Lebensbild vermag ich nicht zu Papier zu bringen, aber doch, in<br />
Dankbarkeit, ein p ar starke Eindrücke.<br />
Meine ersten Begegnungen mit John ha te ich – als junger<br />
Student am Emerson Co lege in England, der großen anthroposophischen<br />
Ausbildung stä te, die er mit aufgebaut ha te: ein viel<br />
beschäftigter Mann, ständig auf Reisen zu seinen vielen Projekten<br />
in verschiedenen Ländern, jemand, der sehr konzentriert viel in<br />
seine Zeit hineinpackte und nicht leicht für ein längeres Gespräch<br />
zu haben war. So vertagten wir uns auf einen ungewi sen Zeitpunkt<br />
in einem anderen Land. Aber dann war das Leben großzügig und<br />
gab uns viele Gelegenheiten, Freunde zu werden. Ich begann, als<br />
Architekt zu arbeiten, erst in Deutschland und dann, seit , in<br />
Portugal, und of trafen wir uns auf Architektur- oder Künstlertagungen<br />
in Dornach, Järna, Amsterdam, Emerson Co lege, und sogar<br />
ein- oder zweimal scheinbar zufä lig am <strong>Goetheanum</strong>! Jetzt gab es<br />
Zeit für gemeinsame Ka f epausen und Spaziergänge, und John<br />
zeigte si ch sehr dankb ar für mei ne Üb ersetzungen sei ner Vor träge.<br />
Als bedeutender Pionier schenkte uns John Wilkes eine vö lig neue<br />
Arbeitsrichtung, den praktisch-spiritue len Impuls der Flowforms<br />
oder Schwingschalen. Sie wurzeln selbstverständlich in Rudolf<br />
Steiners Weltbild und sind zugleich durch und durch origine l. Und<br />
man kann staunen, wie ihm dazu auf seinem Lebensweg die bestmögliche<br />
Vorbereitung zuteil wurde: Als junger Bildhauer wurde er<br />
ans <strong>Goetheanum</strong> gerufen, um die vielen Mode le zu restaurieren,<br />
die aus der engen Zusammenarbeit zwischen Rudolf Steiner und<br />
der englischen Bildhauerin Edith Maryon entstanden waren, für<br />
die große bildhauerische Darste lung des Menschheitsrepräsentanten.<br />
Christus zwischen Luzifer und Ahriman: die Formwelten<br />
FRITZ WE SLING<br />
ANTHONY JOHN WILKES<br />
«Das ‹Wasser des Lebens›, die lebensspendende, kosmisch-rhythmische<br />
Welt waren in a l seinem Denken, Fühlen, Tun anwesend» – Ein Nachru für<br />
den im März verstorbenen Plastiker, Architekten und Schöpfer der Flowforms.<br />
2 DAS GOETHEANUM · 4. Februar 2012 · Nr. 5<br />
Meine Mutter und Rudolf Steiner<br />
Da s ‹die Zukunft in den Archiven liegt›, ist<br />
bekannt, da s ein Altersheim bewu st seine<br />
Schätze hebt, eher seltener. Das Alters- und<br />
Pflegeheim Birkenrain in Zürich ö fnet nun<br />
eine seiner ‹Schatzkisten›. In dem grafisch<br />
schön gestalteten Sonderheft ‹Birkenbla t›,<br />
de sen Texte von Wolfgang G. Vögele zusammengeste<br />
lt wurden, erzählt die <br />
geborene Gertrud Schmied-Hamburger<br />
aus dem Leben ihrer Mu ter, der Kunstgewerblerin<br />
Hede Jahn. Diese verkehrte<br />
in den Kreisen der Wiener Seze sion und<br />
war mit Rudolf Steiner befreundet. Später<br />
sorgte sie sich mehrere Jahre bis zu dessen<br />
Tod um Gustav Steiner, den gehörlosen<br />
Bruder von Rudolf Steiner. Über ihn und<br />
seinen Krankheitsweg war bisher wenig<br />
bekannt. Das reich bebilderte Heft fü lt hier<br />
eine Lücke. Neben vielen neuen Anekdoten<br />
schildert Schmied-Hamburger, wie sie einmal<br />
zwischen Rudolf Steiners Beinen hindurchkra<br />
belte, während dieser «gescheit<br />
mit den Erwachsenen geredet» hat. Als er<br />
dies merkte, machte er sich den Spa s, die<br />
Beine zuzudrücken. «Da hab ich gequiekt,<br />
wie das jedes Kind macht.» Erinnerungen<br />
an Sommerferien im Sonnenhof und den<br />
Hund vorm Haus Haldeck, und weitere Begebenheiten<br />
vermi teln einen intere santen<br />
Einblick in eine Kindheit in Rudolf Steiners<br />
Umkreis. Das Heft kostet Franken und<br />
kann beste lt werden über Telefon: +<br />
oder sekretariat@birkenrain.ch<br />
Es liegt auch in der Buchhandlung am <strong>Goetheanum</strong><br />
und im Archivshop im Haus Duldeck<br />
aus. JG<br />
Zukunftskräfte einladen<br />
Mit ihren Jahren ist sie ein altehrwürdiges<br />
‹Gewächs›, die Anthroposophische<br />
Gese lschaft. Weit verzweigt in der ganzen<br />
Welt, mit vielen dickeren und dünneren Ästen<br />
– auch genannt Landesgese lschaften<br />
– und gut verwurzelt im Dornacher Mutterboden.<br />
In jeder Biografie, auch in derjenigen<br />
einer Vereinigung von Menschen,<br />
gibt es Augenblicke, in denen die Fragen<br />
nach der eigenen Identität, der Daseinsaufgabe<br />
drängender werden. Was sind ihre<br />
Aufgaben, Ideale und Lebensbedingungen?<br />
Vor Jahren wurde die Vorläuferin der<br />
A lgemeinen Anthroposophischen Gese l-<br />
schaft in Deutschland gegründet, auf ihrer<br />
diesjährigen Jahresversammlung im Juni<br />
wird sie am <strong>Goetheanum</strong> zu Gast sein. In<br />
diesem Rahmen möchten wir die Frage nach<br />
der Zukunft der AAG insbesondere aus der<br />
Wahrnehmung der jüngeren Generation<br />
ste len. Deshalb lädt eine Initiativgru pe,<br />
der Jugendfonds und die Jugendsektion,<br />
zu einem vorbereitenden Tre fen ein: .<br />
Februar, ab Uhr, bis . Februar, Uhr,<br />
im Rudolf-Steiner-Haus Stu tgart. Kontakt:<br />
michaelschmock@web.de MORITZ CHRISTOPH,<br />
SARAH NEVEU, EMANUEL SCHMOCK, ANKE STEIN-<br />
METZ, FRIEDEMANN WECKER, NATASCHA NEIS-<br />
ECKE, MARTIN STENIUS, MICHAEL SCHMOCK, LISA<br />
SEIDL, CHE WAGNER<br />
Eurythmie besiegt A lergie<br />
Der nahende Frühling bringt nicht nur<br />
Sonnenschein und milde Temperaturen,<br />
sondern auch den bei A lergikern unliebsamen<br />
Po lenflug. Diejenigen, die ihren Heuschnupfen<br />
nicht mit Table ten und Sprays<br />
bekämpfen möchten, können an der kommenden<br />
Therapiephase der Pilotstudie ‹Bewegungstherapie<br />
gegen Po lena lergie› an<br />
der Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn<br />
teilnehmen. Kontakt: Telefon: + <br />
, www.alanus.edu<br />
ANJA PISKE, HOCHSCHULKOMMUNIKATION<br />
Weleda herausgefordert<br />
Die Weleda AG ist seit führend bei der<br />
Entwicklung und Herste lung von anthroposophischen<br />
Arzneimi teln und anthroposophischer<br />
Naturkosmetik. Bis in die späten<br />
Achtziger waren die Arzneimi tel Hauptumsatzträger<br />
und Basis für das Gedeihen von<br />
Weleda. Seit den Neunzigern haben sich die<br />
positiven Beiträge in ein wachsendes Defizit<br />
gewandelt; aufgrund der zunehmenden<br />
Auflagen bezüglich Registrierung, Herstellung<br />
und Lancierung von Arzneimi teln,<br />
aber auch infolge von Führungsfehlern. Die<br />
Defizite konnten vorerst durch das wachsende<br />
Naturkosmetikgeschäft kompensiert<br />
werden. wurde das während acht Jahrzehnten<br />
stetig angewachsene Arzneimittelsortiment<br />
mit dem Ziel der Stra fung<br />
überprüft. Rückblickend zeigt sich, da s die<br />
ticker<br />
› Seit Beginn des Jahres wird Paul<br />
Mackay von einem A sistenten unterstützt:<br />
Hannes Bohne, Wirtschaft student<br />
an der Alanus-Hochschule in Alfter,<br />
wird zwei Mal im Jahr zehn Wochen lang<br />
im Rahmen der Sektion für Sozialwissenschaften<br />
mitarbeiten. Erste Aufgaben<br />
sind die Weiterentwicklung der<br />
Sektionswebseite und die Mithilfe beim<br />
Sektionstre fen im März. › ‹Bewegen<br />
für die Zukunft – 100 Jahre Eurythmie›<br />
Vom 10. bis 12. Februar findet die öffentliche<br />
Jahrestagung der Anthroposophischen<br />
Gese lschaft in der Schweiz<br />
mit integrierter Mitgliederversammlung<br />
am <strong>Goetheanum</strong> sta t. Dabei werden<br />
die Aquare le von Erika Umbricht Gysel<br />
‹Die 7 Bäume und Planeten› täglich<br />
von 9 bis 20 Uhr in der Nordgalerie im<br />
<strong>Goetheanum</strong> zu sehen sein. ›› Circa 11<br />
Mi lionen Tonnen Lebensmi tel werden<br />
in Deutschland jährlich we geworfen.<br />
7,7 Mi lionen Tonnen davon im eigenen<br />
Haushalt. Experten fordern deshalb, das<br />
Mindesthaltbarkeitsdatum durch einen<br />
o feneren Begri f, wie Englands ‹best before›,<br />
zu ersetzen. › Weihrauch wird<br />
knapp. Durch Brände, Überweidung<br />
und Schädlingsa tacken schrumpft die<br />
Zahl von Weihrauchbäumen rapide. Innerhalb<br />
von 15 Jahren könnte sich die<br />
Harzgewinnung der Boswe lia-Bäume<br />
um die Hälfte ve ringern. www.tinyurl.<br />
com/7w4w8ur › Der Futurum-Verlag<br />
und Rudolf-Steiner-Verlag haben eine<br />
Umfrage gestartet, um herauszufinden,<br />
wie viele Leser sich auch für E-Books<br />
aus ihrem Sortiment intere sieren würden.<br />
www.steinerverlag.com/umfrage.html<br />
› In der deutschsprachigen<br />
Wikipedia wurde dem Artikel über das<br />
<strong>Goetheanum</strong> der ‹Exze lent›-Status<br />
verliehen. Derzeit haben nur 2044 der<br />
1353761 Artikel diese Auszeichnung. Zudem<br />
ist der Artikel nominiert als Artikel<br />
des Tages für den 29. September 2012<br />
und Kandidat für den Artikel des Jahres.<br />
› Fotografie links: Gertrud Schmied-<br />
Hamburger, siehe ‹Meine Mu ter›. Bild<br />
rechts: Der ‹Brennende Mönch› Fotografie<br />
von Malcolm Browne, 1. Juni 1963.<br />
auflösung zum eigentlichen Ziel ihrer Partei<br />
erklärt: «Unser Ziel ist, uns selbst überflüssig<br />
zu machen. Eine Utopie ist, da s die anderen<br />
Parteien sich ganz do l an den Kopf<br />
fa sen, Angst vor den Piraten kriegen und<br />
anfangen, unsere Id en zu klauen. Wenn die<br />
anderen unsere Id en stehlen, könnten wir<br />
uns guten Gewi sens auflösen.» Die Partei<br />
hat sich der O fenheit und Transparenz verschrieben.<br />
Entsprechend forderte Weisband,<br />
Kabine t sitzungen künftig per Livestream<br />
ins Internet zu übertragen. SPIEGEL.DE/JG<br />
Wer kauft he snatur?<br />
Mitarbeiter und Kunden des Ökomode-<br />
Labels wehren sich gegen den Verkauf an<br />
die Private-Equity-Gese lschaft Carlyle. Die<br />
von he snatur-Mitarbeitern gegründete Geno<br />
senschaft hnGeno versucht, das Unternehmen<br />
jetzt selbst zu kaufen. Jeder kann<br />
ab einem Anteil von € Mitglied der hn-<br />
Geno werden und dazu beitragen, da s die<br />
Geno senschaft das Kapital für den Kauf<br />
aufbringen kann Auf einer Internetseite machen<br />
Kunden zusätzlich klar, da s sie dem<br />
Unternehmen treu bleiben, so lte es von<br />
der hnGeno gekauft werden, und da s bei<br />
einer Fairtrade-Marke Kundentreue nicht<br />
auf jeden beliebigen Eigentümer übertragen<br />
werden kann. Infos: www.hngeno.de<br />
und www. wir-sind-die-konsumenten.de JG<br />
† Wilfried Heidt<br />
Am . Februar verstarb Wilfried Heidt in<br />
seinem . Lebensjahr. Der Mitbegründer<br />
des Kulturzentrums Achberg studierte als<br />
Sozialtheoretiker sein Leben lang die soziale<br />
Dreigliederung Rudolf Steiners. Mit seinen<br />
Id en stieß er – zum Teil gemeinsam mit<br />
Joseph Beuys – zahlreiche Initiativen an,<br />
wie die Partei ‹Die Grünen›, ‹Aktion Dri ter<br />
Weg›, ‹Forum›, Dreistufige Volksgesetzgebung,<br />
löste sich aber wieder von den Unternehmungen,<br />
wenn das Leben der Initiativen<br />
Kompromi se forderte. Au strahlungskraft,<br />
Gründlichkeit und später Einzelgängertum<br />
waren in ihm vereint. WH<br />
Der Zweig lebe hoch!<br />
Vor einem halben Jahrhundert wurde der<br />
Johann-Go tlieb-Fichte-Zweig in Baden<br />
gegründet. Albert Ste fen schlug den Namen<br />
vor, im Gedenken an Fichtes Tra ung<br />
in der Kirche in Baden. Seit Jahren<br />
darf der Zweig a lwöchentlich den Raum<br />
einer Schule für seine Tre fen nutzen. Das<br />
Jubeljahr so l durch besondere Höhepunkte<br />
gefeiert werden. Telefon: + <br />
QUE LE: AGORA/JG<br />
DAS GOETHEANUM Nr. 6 · 1. Februar 2012<br />
Die BundesElternVereinigung veranstaltet<br />
seit mi telpunkt-Schreibwerkstä<br />
ten in K operation mit der Zeitschrift<br />
‹Punkt und Kreis›. In diesen Schreibworkshops<br />
entstehen ungewöhnliche<br />
und berührende Gedichte und Geschichten.<br />
Sie sind auch von ungewöhnlichen<br />
Menschen geschrieben. Hier schreiben<br />
Menschen mit einer sogenannten geistigen<br />
Behinderung. In vielen anthroposophisch<br />
geprägten Lebensgemeinschaften<br />
haben sich mi telpunkt-Schreibgru pen<br />
gegründet. Durch unseren Schreib-<br />
Id en-P ol können sie sehen, was die<br />
anderen machen. Ihre Texte, kreative<br />
Schreibtipps, Fotos vom mi telpunkt-<br />
Festival, von Workshops und Lesungen<br />
finden sich hier. Einzelne Geschichten<br />
wurden auch in der Zeitschrift ‹Punkt<br />
und Kreis› verö fentlicht. Gefördert wurde<br />
die Initiative bis von der ‹Aktion<br />
Mensch› und ab von der ‹Stiftung<br />
Lauenstein›. Dieses Jahr steht die ‹kreative<br />
Biografiearbeit› im Zentrum des<br />
Projektes. Eines der Schreibabenteuer<br />
in der Lebensgemeinschaft Richthof<br />
lautete: «Ste l Dir vor, Du erwachst und<br />
plötzlich ist a les anders! Du selbst, Deine<br />
Hauseltern und deine WerkstattleiterIn<br />
haben sich plötzlich in Tiere verwandelt!<br />
Welches Tier bist du selbst? In welches<br />
Tier haben sich deine Hauseltern und<br />
deine Werksta tleiterIn verwandelt. Was<br />
können die einzelnen Tiere besonders<br />
gut, was mögen sie nicht?»<br />
Weitere Texte und Bilder und Kontakt<br />
zur Projektleiterin Ingeborg Woitsch:<br />
www.mi telpunktseite.de<br />
Fotografie von Wolfgang Schmidt<br />
Drei Beispiele von Christian Kurth und<br />
Michaela Grupe zur Frage ‹Wo warst Du<br />
vor deiner Geburt?› und eine Traumge<br />
schichte der jährigen Yve te Martin<br />
Traumgeschichte<br />
Ich befand mich in einer anderen We<br />
und ko nte wahrnehmen, da s ich ei<br />
Esel geworden bin. Ich war ganz stör<br />
Meine Hausmu ter war auf einmal e<br />
Elefant. Mein Hausvater ha te sich<br />
ein Wiesel verwandelt. Ich fühlte m<br />
gut in meiner Haut. Ich laufe auf al<br />
vieren zur Werksta t. Meine Werks<br />
leiterin ist ein Fuchs. Ich setze mich<br />
den Tisch und schlafe. Plötzlich we<br />
ich wach und war wieder Yve te.<br />
Schreibwerkstatt im Mittelpunkt<br />
13<br />
DAS GOETHEANUM Nr. 6 · 1. Februar 2012 · GESPRÄCH<br />
als vierzig Jahre war, spiegelt sich der aus<br />
Auferstehungskräften der Sprache geschöpfte<br />
Zukunftsimpuls der Schönen Wi senschaften,<br />
die an den Universitäten nach wie<br />
vor fehlen und ihrer Wiedergeburt ha ren.<br />
Im Mi telpunkt de rezitatorisch durch<br />
Nathalie Kux umrahmten Arbeit stand der<br />
E sayband ‹Wiedergeburt der Schönen Wissenschaften›,<br />
den Ste fen intere santerweise<br />
im Jahre verö fentlichte und der nun in<br />
einer um Fußnoten ergänzten Neuauflage erschienen<br />
ist. Nachdem Heinz Matile im Erö f-<br />
nungsvortrag Albert Ste fens tiefe Beziehung<br />
zu den Schönen Wi senschaften und das Motiv<br />
geistiger Treue am Beispiel der Schicksalsbegegnung<br />
zwischen Albert Ste fen und<br />
Elsa Carlberg (–) herausgearbeitet<br />
ha te, kamen weitere, für die Teilnehmer<br />
nicht minder unerwartete Ergebni se der<br />
Forschung zur Sprache (Ste fens Beziehung<br />
zu Elsa Carlberg ist nachzulesen in Nr. /<br />
der ‹Hinweise und Studien zum Lebenswerk<br />
von Albert Ste fen›). Zum Erlebnis wurde, wie<br />
Ste fens Werk zur unerschöpflichen Que le<br />
individueller geistiger Arbeit wird, wenn es<br />
in meditativer Aneignung, in das einzelne<br />
Wort mehrfach bewegender Lektüre, erarbeitet<br />
wird. Reinhard Bode arbeitete, Rudolf<br />
Steiners Au sagen über Novalis' magischen<br />
Idealismus in Bezug zu Albert Ste fen ernst<br />
nehmend, methodisch sorgfältig die Gemeinsamkeiten<br />
der Poesie des Novalis mit<br />
der Dichtung Albert Ste fens in fra panter<br />
Weise heraus und konnte so das Spezifische<br />
der Inkarnationsgeste von S elen der<br />
Novalis-Strömung (neben Platonikern und<br />
Aristotelikern) in der Anthroposophischen<br />
Gese lschaft aufzeigen. Auch im Beitrag<br />
Christine Engels über ‹Das sich steigernde<br />
Intere se für andere Menschen – Geheimnis<br />
der Genialität›, am Beispiel eingehend-liebevo<br />
ler Analyse des namensgebenden Essays<br />
‹Wiedergeburt der Schönen Wi senschaften›,<br />
kam der Heilungsimpuls der Schönen<br />
Wi senschaften, über welche Rudolf Steiner<br />
einen Vortragszyklus zu geben vorha te, auf<br />
das Beste zur Vergegenwärtigung. Sie zeigte<br />
auf, wie heilsame Kräfte gegenüber dem<br />
‹Emporsteigen der niederen Neigungen<br />
beim Geiste schüler› durch das kritische<br />
und schöpferische Vermögen des Menschen<br />
im Sinne echten geistigen Intere ses<br />
für andere Menschen wachgerufen werd en.<br />
Ein besonderer Akzent der Tagung war die<br />
von Peter Engels einstudierte Au führung der<br />
s elendramatischen Ski ze ‹Die Balkis-S ele<br />
im Spa nungsfeld zwischen Hieram und Salomo›,<br />
dem Drama ‹Hieram und Salomo› durch<br />
Jana Würker (Balkis), Christian Richter (Salomo)<br />
und Johann Sommer (Hieram). Das mit<br />
seh reduzierten Bühnenmi teln (ohne Requisiten,<br />
kein Bühnenbild) umgesetzte dramatische<br />
Geschehen vermochte im vo l besetzten<br />
Terrassensaal aufgrund der inneren Präsenz<br />
und Wortkraft der Schauspieler das Publikum<br />
von Anfang bis Ende in Bann zu ziehen und<br />
wurde mit lang anhaltendem Beifa l zu Recht<br />
belohnt. Durch die künstlerische Vergegenwärtigung<br />
des Balkis-Hieram-Salomo-Themas<br />
erö fneten sich gegenüber den Vorträgen<br />
nochmals neue Bedeutung sphären, die im<br />
letzten Vortrag der Tagung von Heinz-Peter<br />
Eglo f über ‹Das Rätsel der Schönheit› weiterverfolgt<br />
wurden. Eglo f sprach über die ihn<br />
seit Jahren bewegende Frage der Wiederverkörperung<br />
der drei Individualitäten Balkis,<br />
Hieram und Salomo an der Zeitenwende.<br />
Im abschließenden Rundgespräch wurde die<br />
Einbeziehung von separaten Arbeitsgruppen<br />
zu den in den Vorträgen behandelten<br />
Themenste lungen einstimmig als gelungen<br />
bezeichnet, die Notwendigkeit einer kontinuierlichen<br />
Pflege nicht nur von Albert Ste fens<br />
Werk in den Arbeitszusammenhängen der<br />
Sektion für Schöne Wi senschaften dezidiert<br />
mehrfach artikuliert.<br />
Nicht im Sinne von absolut Feststehendem<br />
erwiesen sich a le Tagungsbeiträge als wertvo<br />
le Handreichungen individue ler Erke ntnisforschungen<br />
für die eigene Arbeit an der<br />
uralten Trias von Wahrheit, Schönheit und<br />
Güte, den geistigen Säulen der Schönen Wissenschaften.<br />
Da gegenwärtig vier Ensembles<br />
mit großen Engagement an einzelnen<br />
Dramen Albert Ste fens in verschiedenen<br />
Sprachen arbeiten, möchte man wünschen,<br />
da s es im Jahre gelingen möge, anlä s-<br />
lich von Ste fens . Todesjahr das eine oder<br />
andere seiner Dramen wieder einmal auf die<br />
<strong>Goetheanum</strong>-Bühne zu bringen.<br />
12 DAS GOETHEANUM · 21. Januar 2012 · Nr. 3<br />
sie seit Jahren durch. Pflanze, Mensch. Was ich natürlich so<br />
gut kenne von den Drogensüchtigen: das triebhafte Begehren.<br />
Die Pflanze hat das nicht. Die Ö fnung für das keusche<br />
Licht, für die Sonne. Durch die höheren S elenfähigkeiten<br />
kann man eingreifen in der Welt der selbstsüchtigen Triebe,<br />
Begehren, Leidenschaften. Durch das Vermögen von<br />
Wahrheit, Schönheit, Moralität, Liebe. Dann kommt das<br />
Bild der Rose, ihrem wunderbaren Rot. So kann es werden,<br />
wenn mit dem Kreuz das Niedere, Selbstsüchtige der Triebe<br />
verbrennt. Die Rosen als Bild der geläuterten Triebe und<br />
Leidenschaften. In der Drogentherapie in Arta kann im<br />
Leben ein ähnliches Proze s sta tfinden. Ich kenne viele<br />
ehemalige Drogensüchtige, die jetzt Re ter sind für andere<br />
Menschen. Sie sind Mitarbeiter in Arta, nachdem sie erst<br />
drei Jahre draußen ohne Sucht gewesen sind. Dann kommt<br />
in der ‹Geheimwi senschaft› die Übung von der Herzensgüte.<br />
Die meditiere ich immer nach der Meditation des<br />
Rosenkreuzes, weil sie meines Erachtens zusammengehören.<br />
Dann wird angeregt, sich eine Vorste lung zu machen<br />
von einem Menschen, der aus der Herzensgüte handelt.<br />
In den letzten Jahren nehme ich Rudolf Steiner, ste le ihn<br />
mir vor, wie er aufgewachsen ist. Wie er in der Weimarer<br />
Zeit, der Berliner Zeit gekämpft hat. Früher ha te ich das<br />
Bild, er sei ein Heiliger. Er konnte vieles nicht fertigbringen.<br />
Er ist viel mehr menschlich für mich geworden. Der den<br />
Egoismus am tiefsten erfahren hat als eine menschliche<br />
Möglichkeit. Der solche Wandlungen durchmacht. Vor<br />
dem Mysterium von Golgatha gestanden hat. Der eine<br />
Aufgabe übernommen hat für die Menschheit, für mich.<br />
Was wäre ich ohne Rudolf Steiner? Ich weiß nicht, was<br />
ich gemacht hä te. Medizin war es nicht, Psychologie war<br />
es nicht, Tennis war es nicht. Wenn Rudolf Steiner nicht<br />
da gewesen wäre, ich wei s nicht, was geworden wäre.<br />
Er hat a les auf sich genommen, hat mich gere tet und so<br />
viele Menschen.<br />
Was ist da Herzensgüte? Da s man die Intere sen des anderen<br />
in der eigenen S ele aufsaugt und zu den eigenen<br />
macht. Dann in die Id e der Herzensgüte vertiefen. Liebe<br />
ist, da s man die S ele des anderen Menschen in der S ele<br />
aufnimmt. Das ist anders als die Hingabe. In der Hingabe<br />
gehe ich in den anderen, in der Liebe kommt er in mich.<br />
Das hat Rudolf Steiner gelebt, da s schließlich das Gefühl<br />
entsteht. Da empfinde ich, da s es das Wesen des Christus<br />
ist. Die Meditation als ein Weg zu Christus. Rudolf Steiner<br />
als der Wegbereiter. Als Frucht, als Stimmung vorbereitet<br />
durch die Rosenkreuzmeditation. Es ist so sozial. Wenn<br />
man nach diesen Meditationen sich wieder der Welt zuwendet,<br />
dann entdeckt man, da s man sie nicht für sich<br />
getan hat, sondern da s man in der Welt be ser mitarbeitet.<br />
Es ist eine Frucht. Das sind Empfindungen größter Dankbarkeit.<br />
Ich möchte doch mitarbeiten. Ich bin doch Anthroposoph.<br />
Es braucht Mut, Ausdauer und die Kraft, den eigenen<br />
Abgrund anzuschauen. ‹Unvermi sbar› für mein Leben,<br />
Rudolf Steiner. Hingabe und Zeit für sich, das ist Studium.<br />
Ron Dunselman ist Generalsekretär der Anthroposophischen<br />
Gese lschaft in den Niederlanden.<br />
besprechungen<br />
Drei zu Eins<br />
VON JULIANE ERDMANN-BRENDEL<br />
UND ARMIN STEUERNAGEL<br />
‹Drei zu Eins› – Die Herausforderung<br />
des Menschen in der Gegenwart<br />
Arbeitstagung vom . bis . Dezember<br />
am <strong>Goetheanum</strong>.<br />
Der Tagungstitel impliziert eine zeitgenössische<br />
Frage: Wie kann ich eine Entwicklung<br />
gegenwärtiger Umstände hin zu einer<br />
Dreigliederung denken und mitbereiten?<br />
Drängende Fragen aus unterschiedlichen<br />
Lebens- und Arbeitskontexten im Gepäck,<br />
reisten am . Dezembe rund junge<br />
«Lebensunternehmer, Berufseinsteiger und<br />
Zukunftsgestalter» – so die Einladung – nach<br />
Dornach, um dort in der Schreinerei zusammenzukommen.<br />
Es folgen einige Gedanken<br />
aus diesen Arbeitstagen.<br />
Die Gegenwart ergibt Fra pierendes: Wirtschaftskrise,<br />
St atskrise, Europa-Krise und<br />
dahinter – so scheint es – eine geistige Krise<br />
der Sinnentl ertheit. Die freie Marktwirtschaft<br />
knechtet ein brüderliches Geistesleben,<br />
das sich wiederum einem tradierten,<br />
überbordenden Rechtsleben unterwirft.<br />
Wie lä st sich systemimmanent sinnvo l<br />
arbeiten, wenn das System in sich krankt?<br />
13<br />
Nr. 3 · 21. Januar 2012 · DAS GOETHEANUM<br />
Um sinnvo l arbeiten zu können, mü sten<br />
die Dreigliederung des sozialen Organismus<br />
begri fen und die nötigen Konsequenzen für<br />
das Miteinander daraus gezogen werden.<br />
Denn so l der Mensch in Zukunft dem wahren<br />
Wortsinne nach Mensch werden, so l er<br />
also Kraft seiner Gedanken und seines Fühlens<br />
frei werden für Taten, die er intuitiv als<br />
richtig erkennt, um so motiviert in der Welt<br />
zu arbeiten, so braucht es ein freies Geistesleben,<br />
ein brüderliches Wirtschaftsleben sowie<br />
ein Rechtsleben, in dem Gleic heit he rscht.<br />
Ansatzpunkt für jede gesundende Entwicklung<br />
in der menschlichen Gese lschaft ist<br />
das Denken. Das Denken, das, erwärmt durch<br />
S elen- und Herzenskräfte, Gutes entwickeln<br />
wi l, vermag nichts Böses: «Da das Herz über<br />
seinen Weg wacht.» Denken meint heute aber<br />
häufig entmenschlichte Inte ligenz, technisch-logische,<br />
kalte Inte ligenz. Diese bringt<br />
das hervor, was in der Reduktion von Weisheit<br />
über Wi sen letztlich als Information an<br />
den Menschen herantri t. Informationen nun<br />
sind vom Menschen getrennt; sie sind «(…)<br />
von a len guten Geistern verla sen», so Johannes<br />
Greiner in seinem Vortrag. Wann mein<br />
Zug abfährt, steht im Internet nur wenige<br />
Clicks entfernt von Meditationsanleitungen<br />
und Videos zu den Weltkriegen. Informationen<br />
führen zu Abkühlung, Nicht-Inanspruchnahme<br />
des originär Menschlichen, seines<br />
Denkens. Diese Erkaltung von Gedanken<br />
grinst uns mitunter schauderlich schlau an,<br />
wenn wir Handlungen wie minutiös kalkulierte<br />
Selbstmorda tentate in ihrer Wirkung<br />
in der Welt betrachten. Wie kommen wir zu<br />
einer Spiritualisierung der menschlichen Inte<br />
ligenz, in der Herz und Haupt gleichsam<br />
zum Ausdruck kommen? Information wird<br />
erst zu Wi sen, wenn Begeisterung, als Gefühlsdomäne,<br />
dies ermöglicht. Damit stehen<br />
wir schon mi ten in der Disku sion über ein<br />
freies Geistesleben. Freies Geistesleben, so<br />
Peter Selg, ist jede Form freier geistiger Arbeit,<br />
die vorerst nur im Dienste der Erkenntnis<br />
steht, sich nicht instrumentalisieren lä st<br />
und doch angesichts der Fragen nach dem<br />
Menschenwert für das Wirtschaftsleben und<br />
nach der Menschenwürde für das Rechtsleben<br />
Geltung erhält.<br />
Das Schöpfungsinstrumentarium für freies<br />
Geistesleben ist das lebendige Denken,<br />
das sich selbst untersucht. In so begri fener<br />
Geisteswi senschaft, also in ausdauernd<br />
geübter Verfolgung der eigenen Gedankenverbindungen,<br />
kann sich Geistiges aus sich<br />
heraus beweisen und Ergebni se für die Welt<br />
hervorbringen. Auch heute. Am Ende solch<br />
ernsthafter Wahrheitsbemühung steht ein<br />
lichtvo les Erkenntnismoment, eine Intuition.<br />
Seit dem Christus-Ereignis hat der<br />
Mensch die Entwicklungsaufgabe hin zur<br />
Freiheit für Taten, die er intuitiv als richtig<br />
erkannt hat und also in der Welt verantworten<br />
kann. Eine zentrale Aufgabe von freier<br />
Geisteswi senschaft ist der Umgang mit der<br />
Frage: ‹Was ist der Mensch?› Die Entwicklung<br />
einer Anthropologie, die in nahezu jedem<br />
Lebensbereich und Berufsumfeld über den<br />
he rschenden Reduktionismus hinauszuweisen<br />
vermag. So vermag freies Geistesleben<br />
ein Weltfaktor zu werden, ein Operand in der<br />
Dreiheit mit Rechts- und Wirtschaftsleben.<br />
Der Mensch mit seinem dreigestaltigen Organismus<br />
lebt im sozialen Organismus. Das<br />
In-Beziehung-Setzen dieser zwei Dreiheiten<br />
zueinander ließ uns Michaela Glöckler miterfahren.<br />
Das freie Geistesleben findet seine<br />
Ausprägung im Sto fwechsel-Gliedmaßen-<br />
System des Menschen. Der Sto fwechsel ist<br />
zur Zerstörung der Nahrung und zum Aufbau<br />
der Eiweißsubstanz befähigt. Hier steht der<br />
Mensch wo lend der Welt gegenüber. «Echtes<br />
Geistesleben», so Michaela Glöckler, «ist<br />
eine Schöpfung aus dem Nichts, ein freies<br />
Wo len.» Im menschlichen Organismus bildet<br />
sich das brüderliche Wirtschafts- und Sozialleben<br />
auf der Ebene des Nerven-Sinnes-Systems<br />
ab. Das Gehirn, als A soziationsorgan<br />
schlechthin, vermag Sinneseindrücke sowie<br />
Eigenkörperwahrnehmungen aufzunehmen,<br />
diese ma nigfaltig zu verarbeiten und Impulse<br />
für Gedanken oder auch Muskeltätigkeit<br />
Das Schöpfungsinstrumentarium für freies Geistesleben<br />
ist das lebendige Denken, das sich selbst untersucht.<br />
DAS GOETHEANUM Nr. 19 · 12. Mai 2012 · GESPRÄCH<br />
14<br />
– ha rt noch einer zusammenfa senden Würdigung.<br />
Denn wer weiß schon, da s er im<br />
Herbst im Kunsthaus in Krakau zur Förderung<br />
einer Kulturgestalt des Osts eraumes<br />
eine Wanderau ste lung mit Werken aus dem<br />
großformatigen Zyklus zum Johannesevangelium<br />
init ierte oder Gerhard Kleins<br />
(–) Erzählungen ‹Beim Schicksal<br />
zu Gast› i lustrierte? Im persönlichen Gespräch<br />
weiß Wilfried Ogilvie Berührendes<br />
von den Fügungen des Schicksals in der eigenen<br />
Biografie zu erzählen: etwa die Flucht<br />
als Jugendlicher aus dem Osten Deutschlands<br />
in den Westen. Wilfried Ogilvies Wirken war<br />
immer auf das Zukünftige gerichtet. Das ist<br />
auch heute noch so. Man erlebt in ihm einen<br />
Menschen, der vo ler Id en ist und der es<br />
versteht, Impulse in die Welt zu bringen. So<br />
bildet denn auch das Projekt eines Kulturzentrums<br />
für die Trias von Kunst, Wi senschaft<br />
und Religion auf Rügen einen Schwerpunkt<br />
der Au ste lung ‹Kunst und Leben. Malerei,<br />
Bildhauerei, Architektur›. Neben dem Gipsmode<br />
l des Kulturzentrums, das einen S al<br />
für bis zu Menschen aufweist, ist eine<br />
der sieben dieses Zentrum umstehenden<br />
Engelsfiguren im Maßstab : zu sehen,<br />
ebenso das Mode l des Portalreliefs. Dazu<br />
kommen Plastiken (darunter zwei größere<br />
Formen) und zehn etwa ein Quadratmeter<br />
große Werke zu Themen wie dem Viergetier<br />
oder der Gestalt des Erzengels Michael. Natürlich<br />
sind hier auch insgesamt sechs der<br />
Bilder zum Johannesevangelium zu sehen.<br />
Die im Format von x cm gemalten<br />
Werke erhalten in den Räumen der Galerie<br />
ausreichend Raum, um ihre Wirkung zu<br />
entfalten. Als ich Wilfried Ogilvie vor einem<br />
dieser Bilder frage, wie man als Maler zu der<br />
aus den Bildern sprechenden Kraftwirkung,<br />
wie man zu dem Motiv des Christus im Ätherischen<br />
komme, denn davon handeln diese<br />
Bilder, meint er schlicht: «So, wie man ihm,<br />
dem Christus, eben begegnet.»<br />
Abschied vom Gestern<br />
VON BALZ RAZ<br />
Au ste lung: Das erste <strong>Goetheanum</strong><br />
in Fotos und Dokumenten.<br />
geöffnet bis zum .Juli im<br />
Schweizer Architekturmuseum, Basel<br />
Im Architekturmuseum in Basel ist die Ausste<br />
lung ‹Das erste <strong>Goetheanum</strong> in Bildern<br />
und Dokumenten› erö fnet worden. Der<br />
zweite Titel ‹Der Bau der Gemeinschaft› weist<br />
auf die lebensnahen Tätigkeiten während<br />
der Bauzeit zwischen der Grundsteinlegung<br />
bis zum Brand am . Dezember hin.<br />
We n man nur schon von den Schilderungen<br />
Andrej Belyis und Margarita Woloschins, die<br />
zitiert werden, ausgeht, he rschte ein intensives<br />
und internationales Leben auf der Baustelle.<br />
Dann denke man auch an die verschieden<br />
Arbeitervorträge, die Rudolf Steiner dort in<br />
dieser Zeit gehalten hat, an die esoterischen<br />
Inhalte, die zum Beispiel in den Säulenkapite<br />
len und in den Deckenmalereien Wirklichkeit<br />
wurde. Ein breit gefächertes Engagement<br />
befeuerte die Menschen in einer Sache, die<br />
weit über den Bau eines Ku pelgebäudes<br />
hinaus ging. Man ha te sich einer großen<br />
Id e verpflichtet, wo lte diese Wirklichkeit<br />
werden la sen und a le, die am Bau mitarbeiteten,<br />
waren Teil dieser Id e. Man begi nt<br />
zu ahnen, wie viel mit dem Brand verloren<br />
ging und versteht so be ser die a lgemeine<br />
Zunahme der Beschäftigung in der Kunstö<br />
fentlichkeit mit dem ersten <strong>Goetheanum</strong>.<br />
Die Au ste lung ist der neuste Teil davon!<br />
Sie beginnt mit einem großen Foto der Brandruine.<br />
Und sie wi l ein architektonisches Gebilde<br />
darste len, das gar nicht mehr existiert,<br />
wi l an Hand von Äußerungen einzelner Mitarbeiter<br />
erklären, wie der Bau zustande kam<br />
und verankert damit das erste <strong>Goetheanum</strong><br />
in der Architekturgeschichte noch be ser.<br />
Die Au ste lungs<br />
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alte Pläne des Joh<br />
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Das <strong>Goetheanum</strong><br />
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Foto: Sebastian Jüngel