Umgang mit Heterogenität
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Foto: Alfred Uhing<br />
Die Fachtagung des GEW-Bezirks Nordbaden an der PH Karlsruhe war gut besucht.<br />
Büchertische. Wie sein Vortrag sind seine<br />
Bücher sehr praxisnah und werden in<br />
vielen Schulen bereits benutzt. Allein in<br />
Rheinland-Pfalz gibt es bereits 300 Schulen,<br />
die sich nach ihm „Klippertschulen“<br />
nennen. Das Verb „klippern“ gibt es<br />
längst auch. Dahinter verbergen sich die<br />
sogenannten Lernspiralen, nach denen<br />
Doppelstunden aufgebaut sind. In verschiedenen<br />
Schülerzusammensetzungen<br />
lernen Kinder und Jugendliche in klar<br />
aufgebauten Phasen den Stoff <strong>mit</strong> drei bis<br />
fünf Anwendungen.<br />
Klipperts Konzept kommt bei vielen Teilnehmenden<br />
auf der GEW-Tagung gut<br />
an. Viele kennen seine Methoden schon,<br />
manche wenden sie bereits an. Allerdings<br />
glauben einige, dass sie den ganzen<br />
Unterrichtsstoff <strong>mit</strong> den Lernspiralen<br />
nicht schaffen würden. „Das kostet zu viel<br />
Zeit“, meinte eine Lehrerin.<br />
„Nicht jede Schule muss sich selbst erneuern“,<br />
sagte der Schulentwickler. Er arbeitet<br />
seit 20 Jahren an dem Konzept und gibt<br />
in seinen Büchern und Vorträgen allen<br />
Lehrkräften ausgereifte Tipps. Die reichen<br />
von Anregungen für Gruppenbildungen<br />
bis zur Sitzordnung im Klassenzimmer.<br />
Alles ganz praktisch.<br />
Lehrkräfte brauchen Wagemut, Offenheit<br />
und Abenteuerlust<br />
Auf der GEW-Tagung in Karlsruhe ging<br />
es ebenfalls um <strong>Heterogenität</strong> in Schule<br />
und Unterricht. Wie in Stuttgart wollten<br />
mehr Lehrkräfte kommen, als Plätze vorhanden<br />
waren. Manche nutzen die Fortbildungen<br />
als Pädagogischen Tag.<br />
Anne Ratzki, Professorin an der Universität<br />
Paderborn, benannte soziale Schieflagen<br />
in Deutschland. Drei Gruppen, referierte<br />
Ratzki, würden in Deutschland von besseren<br />
Bildungschancen ausgeschlossen und<br />
treffe die Auslese hart: Behinderte, Kinder<br />
aus Migrantenfamilien und Kinder aus<br />
sozial benachteiligten Elternhäusern. In<br />
Europa gehen durchschnittlich 85 Prozent<br />
aller behinderten Kinder in Regelschulen,<br />
in Deutschland nur 15 Prozent. Nur 9 Prozent<br />
aller Kinder <strong>mit</strong> ausländischen Wurzeln<br />
besuchen in Deutschland das Gymnasium.<br />
Diese Kinder bleiben 4- bis 5-mal<br />
häufiger sitzen und 30 Prozent haben<br />
keine Berufsausbildung. Anne Ratzki folgerte<br />
daraus: „Unser Bildungssystem sucht<br />
Leistungshomogenität, in Wirklichkeit<br />
geht es aber um soziale Homogenität.“<br />
Auch wenn viele der zuhörenden GEW-<br />
Mitglieder diese Zahlen schon einmal<br />
gehört haben, verdeutlichen sie doch, dass<br />
noch viel zu tun bleibt.<br />
Ratzki, deren Arbeitsschwerpunkt deutsche<br />
und internationale Schulentwicklung<br />
ist, schaut auf andere Länder, die<br />
auf Chancengleichheit setzen und gute<br />
Leistungen haben. Länder wie Norwegen,<br />
Schweden, Kanada oder Südtirol hätten<br />
verantwortungsvolle Systeme. Als Kennzeichen<br />
zählte sie unter anderem auf:<br />
Längeres gemeinsames Lernen, kein Kind<br />
kann abgegeben werden, kein Sitzenbleiben,<br />
keine Nachhilfe, Noten erst in höheren<br />
Klassen. Die langjährige Schulleiterin<br />
der Gesamtschule Köln-Holweide plädierte<br />
für eine andere Schulkultur. Dazu<br />
brauche es bei Lehrkräften Wagemut,<br />
Offenheit und Abenteuerlust. An die Politik<br />
gerichtet sagte sie: „Man muss auch die<br />
Lehrkräfte <strong>mit</strong>nehmen und sie <strong>mit</strong> Rat<br />
und Ressourcen unterstützen“.<br />
Nicht alles, was Achim Albrecht auf der<br />
GEW-Tagung sagte, dürfte den Lehrer/innen<br />
gefallen haben. Albrecht war<br />
16 Jahre lang pädagogischer Leiter der<br />
Offenen Schule Kassel-Waldau und ist<br />
ein leidenschaftlicher Befürworter von<br />
Gemeinschaftsschulen. Zunächst wollte<br />
er kollektive Berufsirrtümer von Lehrer/-<br />
innen ausräumen. Beispielsweise werde<br />
gegen arbeitsteilige Unterrichtsvorbereitung<br />
gerne eingewendet: „Niemand kann<br />
meinen Unterricht besser vorbereiten als<br />
ich selbst. Leider habe ich keine Zeit, das<br />
gründlich zu machen.“ Albrecht empfiehlt<br />
den Lehrkräften Modellschulen<br />
anzuschauen, da<strong>mit</strong> sie einen Beweis hätten,<br />
dass sie nicht als Einzelkämpfer arbeiten<br />
müssten. „Sonst denkt man, das geht<br />
nicht.“<br />
Der Schulberater hat auch eine Erklärung<br />
dafür, warum trotz besserem Wissen,<br />
Frontalunterricht immer noch so häufig<br />
vorkomme: „Die Angst vor Kontrollverlust,<br />
wenn Schüler/innen unterschiedliche<br />
Sachen bearbeiten, ist stärker als das<br />
Wissen, dass bei Frontalunterricht die<br />
Hälfte nichts <strong>mit</strong>bekommt.“ Wichtig ist<br />
dem Lehrer im „Unruhestand“ auch, dass<br />
Ganztagsschulen nicht als Ballast empfunden<br />
werden. Die Halbtagsschule hält er<br />
für eine Kommunikations-Behinderungs-<br />
Anstalt. „Wann soll dort ein Kind darüber<br />
reden, dass sein Kaninchen gestorben ist?<br />
Das ist für das Kind wichtiger als Binomische<br />
Formeln“, erklärte der Pädagoge.<br />
„Nicht Schüler/innen haben ein Problem<br />
<strong>mit</strong> Ganztagsschulen, sondern Lehrer/<br />
innen“. Doch eine gute Ganztagsschule<br />
verschaffe allen mehr Zeit und sorge für<br />
gute Beziehungen. Dann würden Lehrer/<br />
innen die Erfahrung machen, dass ihre<br />
Arbeit leichter und besser werde.<br />
Maria Jeggle<br />
b&w-Redakteurin<br />
bildung & wissenschaft 04 / 2013<br />
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