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Leseprobe - GABAL Verlag

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1<br />

Verkaufen<br />

Sie an 95 Prozent<br />

des Kundengehirns<br />

Etwa 95 Prozent unseres Denkens, Fühlens und<br />

Lernens laufen unbewusst ab, sagt Harvard-Professor und Autor Gerald<br />

Zaltman. 1 Und er ist nicht der einzige Experte, der so denkt; viele<br />

Neurowissenschaftler schätzen den Anteil der unbewussten Gehirntätigkeit<br />

auf 95 Prozent. (NeuroFocus-Gründer und CEO A.K. Pradeep<br />

spricht in seinem Buch The Buying Brain sogar von 99,999 Prozent. 2 )<br />

Auch wenn die exakte Zahl umstritten ist, sind sich alle Neurowissenschaftler<br />

doch einig darüber, dass unter der Oberfläche unserer Gehirne<br />

eine ganze Menge geschieht.<br />

Die Macht unseres Unbewussten zeigt eine Studie, bei der Versuchspersonen,<br />

die ein Rätsel vorgesetzt bekamen, dieses in Wahrheit bereits<br />

acht Sekunden vor dem Augenblick gelöst hatten, in dem ihnen<br />

bewusst wurde, dass sie eine Lösung gefunden hatten. Die Forscher<br />

stellten dies fest, indem sie die Gehirnaktivität mit einem Elektro enzephalo<br />

grafen (EEG) beobachteten und das Muster identifizierten, das<br />

mit dem Erreichen einer Lösung korrelierte. 3 Andere Studien weisen<br />

eine Verzögerung bei der Entscheidungsfindung nach – unsere Gehirne<br />

kommen offenbar zu einem Entschluss, bevor wir dessen gewahr<br />

werden.<br />

Dass unsere Verhaltensweisen in ihrer Mehrzahl unbewusst gesteuert<br />

werden, ist eine Annahme, die den meisten Strategien in diesem<br />

Buch und überhaupt dem gesamten Feld des Neuromarketings zugrunde<br />

liegt. Kunden können im Allgemeinen nicht exakt beschreiben,<br />

warum sie als Marktteilnehmer die eine oder andere Entscheidung<br />

treffen, und Versuche, ihnen diese Information durch Befragung<br />

zu entlocken, sind größtenteils zum Scheitern verurteilt. Daher sind<br />

Marketingmethoden, die sich überwiegend auf Kundenaussagen zu<br />

deren Erfahrungen, Präferenzen und Absichten stützen, nicht sinnvoll.<br />

Verkaufen Sie an 95 Prozent des Kundengehirns<br />

17


ain<br />

fluence<br />

tipp<br />

Hören Sie auf, lediglich an fünf Prozent des Gehirns<br />

Ihrer Kunden zu appellieren<br />

Die übrigen Tipps dieses Buches sind sehr viel konkreter<br />

und praxisnäher, aber dieser Punkt ist wichtig.<br />

Obwohl wir wissen, dass rationale, bewusste Denkvorgänge nur geringen<br />

Einfluss auf die menschliche Entscheidungsfindung haben, setzen<br />

wir bei unserer Botschaft häufig ausgerechnet darauf. Wir bieten Statistiken,<br />

Merkmalslisten, Kosten-Nutzen-Analysen etc. und übersehen<br />

dabei den Riesenanteil des emotionalen und nonverbalen Unbewussten<br />

an der Gehirntätigkeit.<br />

Auch wenn die meisten Entscheidungen durchaus eine bewusste<br />

und rationale Komponente haben, müssen die Marketingexperten<br />

ihre Aufmerksamkeit zuerst auf die Emotionen und unbewussten Bedürfnisse<br />

des Käufers richten. Ein paar nüchterne Fakten schaden in<br />

der Regel aber auch nicht, helfen sie doch dem logischen Verstand des<br />

Kunden, die getroffene Entscheidung zu rechtfertigen – aber umsatzentscheidend<br />

ist das nicht!


Teil I<br />

Brainfluence bei der Angebotsund<br />

Preisgestaltung<br />

Jeder Anbieter muss sich mit der Frage auseinandersetzen,<br />

wie er sein Angebot strukturiert und wie<br />

er die Preise gestalten will. Ein geringfügig höherer<br />

Preis kann einen satten Gewinnzuwachs bringen,<br />

aber ein zu hoher Preis kann auch den Umsatz<br />

killen. Glücklicherweise kann uns das Neuromarketing<br />

zu diesen eng miteinander verwandten Bereichen<br />

eine Menge erzählen!


2 Der<br />

Schmerz beim Bezahlen<br />

Eine Grunderkenntnis, die uns Neuroökonomie und<br />

Neuromarketing vermitteln, lautet, dass bei Kaufvorgängen mitunter<br />

das Schmerzzentrum in unserem Gehirn anschlägt. Forscher von<br />

der Carnegie Mellon und der Stanford University gaben Versuchspersonen<br />

Bargeld, setzten sie in einen funktionellen Magnet resonanztomografen,<br />

um ihre Gehirnaktivität aufzuzeichnen, und boten ihnen<br />

dann Gegenstände zu unterschiedlichen Preisen an. Manche Produkte<br />

waren überteuert, andere echte Schnäppchen. Die Versuchspersonen<br />

durften wählen, ob sie etwas kaufen oder das Geld behalten wollten.<br />

Die Forscher analysierten dann die Berichte der Versuchspersonen zu<br />

ihren Kaufabsichten, die Daten der Gehirnscans und die tatsächlichen<br />

Einkäufe. 1<br />

Nach Erscheinen dieser Arbeit sprach ich mit Professor George<br />

Loewen stein von der Carnegie Mellon University, und er berichtete,<br />

dass die Gehirnscans das Kaufverhalten beinahe ebenso zutreffend<br />

vorhersagten wie die Absichtsbekundungen der Versuchspersonen<br />

selbst. Mit anderen Worten: Um herauszufinden, was die Versuchspersonen<br />

zu tun gedachten, war die Betrachtung der Gehirnscans fast<br />

ebenso zweckdienlich wie die Befragung der Betroffenen.<br />

Loewenstein betonte, dass die Fragen zu den Absichten der Versuchspersonen<br />

in diesem Experiment vergleichsweise direkt waren,<br />

sodass man erwarten würde, dass die Antworten das tatsächliche Verhalten<br />

gut vorhersagen.<br />

Die durch die Kosten erzeugte ablehnende Haltung ist, so Loewenstein,<br />

relativ. Das heißt, es kommt nicht nur auf den Betrag an; was<br />

zählt, ist der Kontext der Verkaufssituation. Wer ein Auto kauft, gibt<br />

unter Umständen viel Geld für Extras aus, ohne dass ihm das sonderlich<br />

wehtut, aber wenn ein Verkaufsautomat 75 Cent Wechselgeld<br />

nicht herausgibt, ist das sehr belastend.<br />

Der Schmerz beim Bezahlen<br />

21


Bündelung minimiert die Schmerzen<br />

Bietet man die Extras als Paket an, wirkt das der ablehnenden Haltung<br />

entgegen. Der Autokäufer beispielsweise kann den einzelnen Komponenten<br />

des Pakets (Ledersitze, Schiebedach etc.) keinen konkreten<br />

Preis zuordnen und deshalb auch nur schwer ermessen, ob der Nutzen<br />

der einzelnen Extras den Preis wert ist.<br />

Fairness zählt<br />

Der Preis ist nicht die einzige Variable, die »Schmerzen« verursacht.<br />

Tatsächlich ist es auch eher die gefühlte Angemessenheit oder Unangemessenheit<br />

des Preises, die die Reaktion hervorruft. Andere Faktoren,<br />

die ein Angebot ebenfalls unangemessen erscheinen lassen, würden<br />

vermutlich eine ähnliche Reaktion zufolge haben wie ein überhöhter<br />

Preis.<br />

Es gibt nicht immer den angemessenen Preis für eine Ware. Die<br />

meisten Menschen würden für eine Tasse Kaffee bei Starbucks vermutlich<br />

einen etwas höheren Preis für angemessen halten als für eine<br />

Tasse desselben Kaffees vom nächsten Straßenstand. Eine berühmte<br />

Studie des Ökonomen Richard Thaler ergab, dass durstige Strandgänger<br />

für ein Bier in einem Kurhotel fast das Doppelte zu zahlen bereit<br />

waren wie für dieselbe Biersorte in einem kleinen, heruntergekommenen<br />

Tante-Emma-Laden. 2<br />

Kredit als Schmerzmittel<br />

Generell zeigte sich Loewenstein nicht begeistert von der Verwendung<br />

seiner Arbeit für Zwecke des Neuromarketings. Er verwies darauf,<br />

dass die Kreditkartenanbieter viele Jahre lang gute Geschäfte damit<br />

gemacht haben, die Verbraucher dazu zu verleiten, mehr auszugeben,<br />

als gut war, und zwar unter Ausnutzung der Prinzipien, die er jetzt in<br />

seiner Studie offenlegte.<br />

Das Problem ist, dass die Kreditkarte für viele Verbraucher den Einkaufsvorgang<br />

vom Schmerz befreit (und das ist mit Blick auf das Kundengehirn<br />

ganz wörtlich zu verstehen). Der Griff zum Bargeld veranlasst<br />

uns hingegen, sorgfältiger über den Einkauf nachzudenken.<br />

22 Teil I Brainfluence bei der Angebots- und Preisgestaltung


Ich halte diese Überlegungen für sehr plausibel, und sie passen gut<br />

zu unserem Alltagsverhalten. Eine Kreditkarte reduziert den Schmerz,<br />

indem sie die Kosten in die Zukunft verlagert. Mit einer Kreditkarte<br />

kann der Verbraucher also nicht nur etwas kaufen, wofür ihm gegenwärtig<br />

das Bargeld fehlt, sondern sie gibt auch den Ausschlag, wenn<br />

das Gehirn den Schmerz des Einkaufs gegen den potenziellen Nutzen<br />

abwägt. Das kann für Menschen mit mangelnder finanzieller Disziplin<br />

eine ungute Kombination sein.<br />

brain<br />

fluence<br />

tipp<br />

Minimaler Schmerz, maximaler Umsatz<br />

Der Preis und das Produkt selbst sollten so gestaltet<br />

sein, dass der Schmerz minimal ist. Vor allem muss<br />

der Preis gerechtfertigt erscheinen. Wenn Ihr Produkt<br />

teurer ist als andere, müssen Sie Ihren Kunden erklären, was Ihr<br />

Produkt vor den anderen auszeichnet.<br />

Wenn Kosten- oder andere Gründe Sie zwingen, den Preis Ihres<br />

Produkts so hoch anzusetzen, dass eine Schmerzreaktion beim Kunden<br />

unvermeidlich ist, könnten Sie das Produkt gegebenenfalls mit<br />

anderen zu einem Paket schnüren, um den Schmerz zu lindern.<br />

Zahlungskonditionen und Kreditoptionen können ebenfalls zur<br />

Schmerzlinderung beitragen. Natürlich sollten Sie Kunden nicht dazu<br />

verleiten, etwas zu kaufen, was sie sich definitiv nicht leisten können,<br />

aber auch ein zahlungskräftiger Kunde weiß es mitunter zu schätzen,<br />

wenn er nicht sofort Bargeld auf den Tisch legen muss.<br />

3<br />

Verkaufen<br />

Sie nicht wie ein<br />

Sushiladen<br />

Ich liebe Sushi. Aber ich hasse die Art, wie manche<br />

Sushi restaurants es verkaufen, mit Einzelpreisen für jede kleine Portion.<br />

Jeder Bissen, den ich in den Mund nehme, scheint ein Preisschild<br />

zu tragen. »Hm … nicht schlecht. Aber ist das Häppchen die fünf Dollar<br />

wert? Will ich wirklich noch ein weiteres?«<br />

Verkaufen Sie nicht wie ein Sushiladen<br />

23


Es zeigt sich, dass mein Gehirn völlig normal arbeitet, zumindest,<br />

was meine Aversion gegen die typische Sushi-Preisgestaltung betrifft.<br />

George Loewenstein von der Carnegie Mellon University hat dargelegt,<br />

dass es dem Verbraucher die größten Schmerzen bereitet, wenn<br />

jedes Bruchstück dessen, was er kauft, sein eigenes Preisschild trägt.<br />

Das sind zwar keine körperlich wahrnehmbaren Schmerzen, aber es<br />

werden dieselben Gehirnareale aktiviert wie bei körperlichen Schmerzen.<br />

In einem Interview mit SmartMoney bemerkte Loewenstein 3 :<br />

[Verbraucher] wiegen den gegenwärtigen Genuss nicht<br />

gegen zukünftige Genüsse ab. Sie spüren einen unmittelbaren<br />

Schmerz [wenn sie daran denken, wie viel sie für<br />

etwas zahlen müssen] …<br />

Das erklärt auch, warum AOL von der stundenweisen<br />

zur monatsweisen Berechnung von Internetdiensten<br />

wechselte. Danach konnte der Provider scharenweise<br />

neue Kunden begrüßen … Warum lieben Menschen es<br />

eigentlich, für Dinge im Voraus zu bezahlen? Warum<br />

bevorzugen sie Flatrates? Auch damit lindern sie den<br />

Schmerz. Die schlechteste Variante ist, wenn Sie Ihr Sushi<br />

Stück für Stück bezahlen. Oder wenn Sie ständig auf das<br />

Taxameter schauen; dann wissen Sie, wie viel Sie jeder<br />

Meter kostet.<br />

Die Firmen wissen das seit vielen Jahren, und sie reagieren darauf<br />

mit Angeboten, die den mit dem Kauf ihrer Produkte verbundenen<br />

Schmerz minimieren. Komplettmenüpreise sind in vielen Restaurants<br />

beliebt. Netflix schlug die Konkurrenz in der Videoverleihbranche<br />

nicht zuletzt mit der »All-you-can-watch«-Preisstrategie. Kreuzfahrten<br />

sind mittlerweile auch deshalb so beliebt, weil sie ein Urlaubserlebnis<br />

zum Festpreis bieten. In allen diesen Fällen nennt der Vermarkter<br />

einen einzigen, vergleichsweise attraktiven Preis, der das Kauferlebnis<br />

von allen weiteren Schmerzen befreit.<br />

Der Preis der Schmerzvermeidung<br />

In vielen Situationen liegt der Pauschalpreis de facto über dem, was<br />

der Verbraucher für die einzelnen Gerichte, Filme etc. hätte zahlen<br />

24 Teil I Brainfluence bei der Angebots- und Preisgestaltung


müssen. Dennoch spricht das Pauschalangebot viele Kunden an, insbesondere<br />

jene, denen Loewenstein die größte Schmerzempfindlichkeit<br />

bei Käufen attestieren würde.<br />

Das Prinzip des Primings (oder auch der Bahnung)<br />

ist einfach, wenn auch etwas beunruhigend: Allein indem Sie einem<br />

Menschen im Vorfeld des eigentlichen Reizes einem vorhergehenden<br />

Reiz aussetzen, können Sie sein nachfolgendes Verhalten beeinflussen,<br />

selbst wenn der Betreffende sich weder des Primings noch der dadurch<br />

ausgelösten Verhaltensänderung bewusst ist. Vorstellungen von Geld<br />

gehören zu den besonders wirkmächtigen Formen des Primings.<br />

Die Psychologin Kathleen Vohs hat sich ausführlich mit dem Priming<br />

befasst und herausgefunden, dass Versuchspersonen, die mit<br />

geldbezogenen Hinweisen geprimt werden, ein stärker ichbezogenes<br />

Verhalten zeigen. Sie und ihre Kollegen gaben beispielsweise studenbrain<br />

fluence<br />

tipp<br />

Vermeiden Sie multiple Schmerzpunkte<br />

Um den Kundenschmerz zu minimieren, sollten Vermarkter<br />

stets versuchen, eine Häufung singulärer<br />

Schmerzpunkte im Kaufprozess zu vermeiden. In<br />

manchen Situationen sind zahlreiche einzelne Kaufvorgänge natürlich<br />

unumgänglich; ein Einzelhändler kann die Einzelauszeichnung<br />

der Waren schwerlich durch eine Pauschale ersetzen.<br />

Viele geschäftliche Situationen hingegen lassen Raum für Experimente<br />

mit Pauschalpreisen für Waren, die für gewöhnlich separat gekauft<br />

werden; oftmals können eine Monats- oder Jahresgebühr eine<br />

Vielzahl von Bezahlvorgängen ersetzen. Die vereinfachte Bezahlform<br />

fördert nicht nur den Umsatz, sondern kommt in Anbetracht dessen,<br />

dass viele Menschen für die Schmerzvermeidung einen Aufschlag zu<br />

zahlen bereit sind, auch den Margen zugute.<br />

4 Die<br />

Bilderwelt des Geldes<br />

Die Bilderwelt des Geldes<br />

25


tischen Versuchspersonen einen Essay zu lesen, in dem das Stichwort<br />

Geld vorkam, oder sie platzierten sie gegenüber von einem Poster mit<br />

Abbildungen von verschiedenen Währungen.<br />

Die Versuchspersonen, die mit Geldhinweisen geprimt worden waren,<br />

brauchten anschließend 70 Prozent mehr Zeit, um bei der Lösung<br />

eines schwierigen Problems um Hilfe zu bitten, und verbrachten nur<br />

halb so viel Zeit damit, einer anderen Person zu helfen, die ihrerseits<br />

um Hilfe gebeten hatte (sie war, was die Versuchsperson nicht wusste,<br />

Teil des Experiments). Die geldgeprimten Versuchspersonen waren im<br />

Vergleich zu den nicht geprimten Personen zudem eher geneigt, zu<br />

Hause zu arbeiten und sich in ihrer Freizeit allein zu beschäftigen. Sie<br />

setzten sich sogar weiter auseinander, als sie Stühle aufstellten, um mit<br />

einer anderen Versuchsperson zu plaudern.<br />

Vohs schließt daraus, dass schon dezente Hinweise auf das Thema<br />

Geld genügen, um die mentale Verfassung eines Menschen zu ändern:<br />

Er will nicht von anderen Menschen abhängen, und er will auch nicht,<br />

dass andere von ihm abhängen.<br />

Diese Arbeit birgt interessante Konsequenzen für Werbetreibende,<br />

die in ihren Anzeigen häufiger mit Geldthemen zu tun haben. Große<br />

Einsparungen, höhere Investitionsrenditen, Vorstellungen von einem<br />

finanziell gut abgesicherten Ruhestand, Geldaufbewahrungsorte<br />

vom Sparschwein bis zum funkelnden Tresorraum … die Werbung ist<br />

voll solcher Bilder. Die meisten dieser Anzeigen sprechen das Eigeninteresse<br />

des Betrachters an, sodass ein eventuelles Priming der intendierten<br />

Botschaft in die Hände spielt. Eine Fondsgesellschaft, die mit<br />

maximaler Rendite und Wohlstand im Alter wirbt, will natürlich an<br />

das Eigeninteresse des Kunden appellieren; sie hofft, dass diese Bilder<br />

ausreichen, um den Betrachter zu veranlassen, ihr sein Geld anzuvertrauen.<br />

Bilder mit Geldbezug kommen jedoch auch in anderen Arten von<br />

Werbung reichlich vor, und nicht alle appellieren an das Eigeninteresse.<br />

Nicht nur Print- und Fernsehwerbung, sondern häufig auch die<br />

Reklametafeln in den Läden betonen den Sparaspekt. Schießen sich<br />

Werber, die »das Geschenk für Mama zum Sparpreis« anpreisen, selbst<br />

ins Knie, indem sie den potenziellen Geber mit eigensüchtigen Gefühlen<br />

primen?<br />

Besonders vorsichtig mit Geldverweisen sollten Werber sein, die an<br />

die Gefühle des Betrachters für andere appellieren wollen. Wer den<br />

Betrachter erst mit Gefühlen der Wärme und dem Wunsch, einem<br />

26 Teil I Brainfluence bei der Angebots- und Preisgestaltung


anderen etwas Gutes zu tun, erfüllt, um ihn dann zum Thema Geld zu<br />

führen, tut sich damit vermutlich keinen Gefallen.<br />

Meist ist eine Gratwanderung erforderlich. Ein guter Verkäufer<br />

nutzt die Gefühle der Verbraucher, um Kaufbereitschaft zu erzeugen<br />

und den Deal dann mit einem finanziellen Lockangebot, das zeitlich<br />

begrenzt ist, abzuschließen. Wenn Sie jemals an einem Timesharing-<br />

Verkaufsgespräch teilgenommen haben, kennen Sie die Masche. Ein<br />

Großteil des Gesprächs dient dazu, positive Gefühle zu wecken, indem<br />

man sich zum Beispiel die schönen Stunden mit Familie und Freunden<br />

ausmalt, und gegen Ende gibt es dann immer ein finanzielles Bonbon:<br />

eine besondere Form der Finanzierung, die nur noch heute erhältlich<br />

ist, eine Preisermäßigung, die nur 48 Stunden lang gewährt wird, etc.<br />

Natürlich funktioniert die Methode. Für den Werber ist es eine Ermessensentscheidung,<br />

ob und wie er das Thema Geld ins Spiel bringt,<br />

wenn der primäre Aufhänger emotionaler Natur ist.<br />

Kein Geld in Sicht<br />

Denken Sie an die Dauerkampagne A Diamond Is Forever. Sie ist ein<br />

gutes Beispiel für eine Werbung, die das Thema Geld peinlichst umschifft.<br />

Die Anzeigen zielen auf den Markt der Luxusgeschenke. Große<br />

Summen auszugeben, um einem anderen Menschen ein poliertes<br />

Stück Kohlenstoff zu schenken, dessen Wert durch seine kartellgestützte<br />

Seltenheit bestimmt wird, ist wohl kaum ein Konzept, das an<br />

den Eigennutz appelliert.<br />

Diese erfolgreiche Werbekampagne spricht den Betrachter ausschließlich<br />

auf der emotionalen Ebene an; eine Werbezeile, die »Sonderermäßigungen<br />

im Dezember« verspräche, würde alles zunichte<br />

machen. Die Anzeigen verzichten sogar darauf, den Investitionswert<br />

zu erwähnen.<br />

Restaurantlektionen<br />

Selbst ein einfaches Währungssymbol vor einem Preis kann den Ausschlag<br />

geben. Eine Studie der Cornell University nahm mehrere verbreitete<br />

Preisauszeichnungstechniken von Restaurants unter die Lupe:<br />

Die Bilderwelt des Geldes<br />

27


Numerisch mit Währungszeichen: € 12,00<br />

Numerisch ohne Währungszeichen und Nachkommastellen: 12<br />

Ausbuchstabiert: zwölf Euro<br />

Die Forscher hätten erwartet, dass die ausbuchstabierten Preise am<br />

besten ankämen, stellten aber fest, dass die Gäste bei den simplen numerischen<br />

Preisen (ohne Währungszeichen und Nachkommastellen)<br />

deutlich mehr ausgaben als die anderen beiden Gruppen. Wenn Sie in<br />

ein Restaurant kommen und auf der Speisekarte die Preise in dieser<br />

kurzen Form dargestellt finden, wissen Sie, dass das Haus mit den Best<br />

Practices des Neuromarketings vertraut ist! 4<br />

brain<br />

fluence<br />

tipp<br />

Verwenden Sie Geldverweise mit Umsicht<br />

Verwenden Sie Währungssymbole in Anzeigen für<br />

Produkte, die mit egoistischen Gefühlen zu vereinbaren<br />

sind – Produkte etwa, die die eigene finanzielle<br />

Unabhängigkeit unterstreichen oder eine Extravaganz darstellen wie<br />

beispielsweise ein Sportwagen.<br />

Bei Kampagnen, in deren Zentrum das Geben steht, wo es beispielsweise<br />

um Geschenke geht oder um Spenden für Non-Profit-Organisationen,<br />

sollten die Werber ein bisschen vorsichtiger sein und die finanzielle<br />

Bilderwelt nach Möglichkeit vermeiden.<br />

5 Anker<br />

werfen!<br />

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie beschließen,<br />

ein Mobiltelefongeschäft aufzusuchen (trotz Ihres Widerwillens,<br />

sich mit einer verwirrenden Zahl von Handymodellen, Optionen, Tarifen<br />

und Preisen auseinanderzusetzen). Wie üblich müssen Sie eine<br />

Weile auf einen freien Verkäufer warten. Der Mitarbeiter beim Empfang<br />

händigt Ihnen eine Karte mit einer großen »97« aus und sagt:<br />

»Es kann sich nur um Minuten handeln. Wir rufen Ihre Nummer auf,<br />

28 Teil I Brainfluence bei der Angebots- und Preisgestaltung


sobald ein Verkäufer für Sie da ist.« Auf einer großen Anzeigetafel an<br />

der Wand wird die Nummer 94 angezeigt. Sie sehen, wie daraus die 95,<br />

die 96 und schließlich die 97 wird. Der Mitarbeiter vom Empfang sagt:<br />

»Nummer 97, bitte«, und ein Mitarbeiter kommt auf Sie zu, um Ihnen<br />

zu helfen. Sie haben sich zunächst nichts bei den Nummern gedacht,<br />

aber es ist möglich, dass der Laden damit ein Ziel verfolgte: Vielleicht<br />

hat man hier versucht, den Preis zu manipulieren, den Sie zu zahlen<br />

bereit sind. Klingt bizarr? Lesen Sie weiter …<br />

Wenn ein Kunde ein Angebot sieht, hängt seine Entscheidung, ob<br />

er es annimmt oder ablehnt, wesentlich davon ab, ob es ihm fair erscheint<br />

oder nicht. Wir wissen, dass der Kaufschmerz – die Aktivierung<br />

des Schmerzzentrums unseres Gehirns, sobald es ans Bezahlen<br />

geht – zunimmt, wenn der Preis ungebührlich hoch zu sein scheint.<br />

Aber wie funktioniert diese Wertgleichung? Die Antwort liefert die<br />

Ankerheuristik. Im Normalfall speichern wir für diverse Produkte<br />

Ankerpreise (zum Beispiel zwei Dollar für eine Tasse Kaffee im benachbarten<br />

Coffee shop), mit deren Hilfe wir den relativen Wert von<br />

etwas bestimmen. Das klingt vergleichsweise einfach, ist es aber nicht.<br />

Manche Ankerpreise sind zäher als andere, und mitunter werden diese<br />

Ankerpunkte von Dingen beeinflusst, die überhaupt nichts damit<br />

zu tun haben. Je besser Vermarkter verstehen, wie das Ankerprinzip<br />

funktioniert, desto kreativere und effektivere Preisstrategien können<br />

sie entwickeln.<br />

Benzin: Treibanker<br />

Lassen Sie uns als Erstes ein Szenario mit beweglichen Ankerpreisen<br />

betrachten, mit denen die meisten von uns täglich zu tun haben: den<br />

schwankenden Benzinpreisen. In den Vereinigten Staaten sehen wir<br />

mittlerweile Preise jenseits der vier US-Dollar je Gallone, was im globalen<br />

Vergleich nicht viel, für US-Amerikaner aber eine neue Schwelle<br />

ist. Als ich das erste Mal eine 4 vor dem Komma erblickte, registrierte<br />

mein Gehirn mit Sicherheit Schmerz, hatte ich mich doch gerade erst<br />

daran gewöhnt, drei US-Dollar für die Gallone berappen zu müssen.<br />

Nach kurzer Zeit aber war mein Anker neu gesetzt. Preise mit einer<br />

4 vorne waren nicht mehr die Ausnahme, und nachdem ich häufiger<br />

Preise wie 4,29 US-Dollar gesehen hatte, erschienen mir 4,09 US-<br />

Dollar sogar als ein guter Preis. Hätte ich eine Tankstelle gesehen, wo<br />

Anker werfen!<br />

29


das Benzin 3,99 US-Dollar kostete – ein Preis, der noch vor wenigen<br />

Monaten unerhört hoch erschien –, hätte ich mich schwer zusammenreißen<br />

müssen, um nicht anzuhalten und von dem »Schnäppchen«<br />

zu profitieren. Natürlich handelt es sich bei Benzin um ein spezielles<br />

Produkt; wir erwarten, dass sein Preis schwankt, und wir sind ständig<br />

über den aktuellen Preis informiert, wenn wir an den Tankstellen vorbeifahren.<br />

Für dieses Produkt setzen wir ständig den Anker neu.<br />

Immobilienpreise<br />

Andere Artikel haben starrere Ankerpreise. In Denken hilft zwar, nützt<br />

aber nichts beschreibt Dan Ariely eine Studie von Uri Simonsohn von<br />

der University of Pennsylvania und George Loewenstein von der Carnegie<br />

Mellon University, die zeigt, dass Hauskäufer nach einem Umzug<br />

etwa ein Jahr brauchen, bis sie sich an die höheren oder niedrigeren<br />

Immobilienpreise am neuen Ort gewöhnt haben. Menschen, die unmittelbar<br />

mit dem Ortswechsel neues Eigentum erwarben, tendierten<br />

dazu, fürs Wohnen genauso viel auszugeben wie zuvor, selbst wenn<br />

das bedeutete, ein Haus zu kaufen, das viel größer oder kleiner war als<br />

das, in dem sie zuvor gelebt hatten. 5<br />

Weniger vertraute Produkte<br />

Aber wie steht es mit Artikeln, für die wir weniger klare Anker haben?<br />

Wir bekommen täglich Feedback zu den Benzinpreisen, und wenn wir<br />

ein Haus besitzen, verfolgen wir vermutlich den Markt für ähnliche<br />

Objekte, um daraus Rückschlüsse auf den Wert unserer eigenen Immobilie<br />

zu ziehen.<br />

Artikel, die unvertraut sind oder selten den Besitzer wechseln, bilden<br />

möglicherweise in dem Augenblick einen Ankerpunkt, wenn wir<br />

über einen Kauf nachdenken. Wenn wir beschließen, uns einen Breitbildfernseher<br />

zuzulegen, sehen wir vielleicht zufällig einen in einem<br />

Prospekt für 1000 US-Dollar. Auch wenn wir ihn nicht kaufen, wird<br />

daraus Ariely zufolge ein Ankerpreis, mit dem sich jedes andere Angebot<br />

messen muss.<br />

30 Teil I Brainfluence bei der Angebots- und Preisgestaltung

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