Oktober (Doppelseiten) - experimenta.de
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Daniela Steffens-Vidkjaer<br />
Prostitution – Strafbar für Freier<br />
Seit 1999 haben die Schwe<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Kauf von Sexualität unter Strafe gestellt<br />
Anfang <strong>de</strong>r Neunziger Jahre studierte ich in Antwerpen. Eine Hafenstadt. Eine Stadt, in <strong>de</strong>r die<br />
Prostitution überall blüht. Straßenweise. Rassenweise. In <strong>de</strong>n einen Straßenzügen stehen die<br />
weißen Frauen an <strong>de</strong>n Hoteleingängen, in an<strong>de</strong>ren die Schwarzen aus <strong>de</strong>m Kongo. Ganz normale<br />
Straßen, in <strong>de</strong>nen ganz normale Menschen leben, überall. Man gerät zufällig vor die Fenster.<br />
Erschrickt, wenn da plötzlich ein Mensch neben einem im Fenster sitzt. Kein nostalgisches rotes<br />
Laternchen hat ihren Anblick angekündigt. Einfach: nackt bis auf die Unterwäsche. Im Falle <strong>de</strong>r<br />
schwarzen Frauen, keine Reizwäsche. Alte, ausgeleierte, Baumwollunterhosen. Nackte Armut.<br />
Ein Schock.<br />
In Deutschland ist Prostitution legal. Die Grünen setzten die Legalisierung als angeblich progressiv<br />
durch. Die Folge: Großbor<strong>de</strong>lle blühen allerorten im Land, es han<strong>de</strong>lt sich gera<strong>de</strong>zu um<br />
Sexfabriken. Frauen wer<strong>de</strong>n dort unter unwürdigen Bedingungen eingesetzt. Müssen sich in<br />
Endlos-Schichten splitternackt dort anbieten. Gleichzeitig kommt die chronisch unterbesetzte<br />
Polizei nicht nach, die Szene so zu überwachen, wie sie es dringend erfor<strong>de</strong>rte. Denn: kann<br />
heute noch von Freiwilligkeit die Re<strong>de</strong> sein? Kann heute wirklich noch die Re<strong>de</strong> davon sein, dass<br />
Frauen sich selbstbestimmt unter solchen Bedingungen verkaufen?<br />
Der Markt wird heute von Frauen aus Osteuropa überrollt, die als Sexsklavinnen in eine unentrinnbare<br />
Notlage geraten sind. Mit Drogen und Gewalt brechen Zuhälter die Frauen, um sie unter<br />
menschenunwürdigen Bedingungen für sie „arbeiten“ zu lassen. „Trafficking“, Menschenhan<strong>de</strong>l<br />
ist in unserem Rechtstaat Realität. In seiner Nachlässigkeit zeigt unser mo<strong>de</strong>rner Rechtsstaat hier<br />
in <strong>de</strong>r Umsetzung ein, gelin<strong>de</strong> gesagt, unschönes, ja schäbiges Gesicht.<br />
In diesem Artikel soll es nicht um Statistiken gehen. Höchstens am Ran<strong>de</strong>. Es geht vor allem um<br />
das Grundsätzliche. Die Schwe<strong>de</strong>n haben in Europa 1999 Aufsehen erregt, als sie die Prostitution<br />
für Freier unter Strafe stellten. Die Nachfrage nach <strong>de</strong>r „Han<strong>de</strong>lsware“ Sex sollte getroffen wer<strong>de</strong>n,<br />
nicht die Anbieter. Die schwedische Gesellschaft ordnet Prostituierte somit grundsätzlich als<br />
Opfer ein und lässt sie bewusst straffrei ausgehen. Das ist ein ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Unterschied<br />
zu unserer Sichtweise.<br />
Es war schon überraschend, dass ein Land wie Schwe<strong>de</strong>n, das für unser Empfin<strong>de</strong>n ähnlich<br />
liberal eingestellt ist wie die Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Belgien, zu einer solchen Entscheidung kam, die<br />
<strong>de</strong>rmaßen diametral <strong>de</strong>r Legalitätslösung seiner Nachbarn gegenübersteht.<br />
Wie kam es zu solch einer Grundsatzentscheidung <strong>de</strong>s schwedischen Gesetzgebers?<br />
Zunächst einmal drängte die verän<strong>de</strong>rte Situation <strong>de</strong>r Szene nach <strong>de</strong>r Öffnung <strong>de</strong>s Ostens,<br />
<strong>de</strong>r das Problem <strong>de</strong>s Menschenhan<strong>de</strong>ls mit sich brachte, zum Han<strong>de</strong>ln. Das Problem traf alle<br />
westeuropäischen Staaten gleichermaßen. Aber nur Schwe<strong>de</strong>n schien die Augen nicht davor<br />
zu verschließen, dass Prostitution kein Geschäft wie je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re ist und noch weniger, seit <strong>de</strong>r<br />
Explosion <strong>de</strong>s Menschenhan<strong>de</strong>ls. Das alte Bild <strong>de</strong>r freiwillig anschaffen<strong>de</strong>n Hure gehört einer<br />
Nostalgie an, die es, wenn wir ehrlich sind, wahrscheinlich noch nie gegeben hat.<br />
Untersuchungen haben gezeigt, dass gera<strong>de</strong>zu in je<strong>de</strong>m Lebenslauf von Prostituierten eine<br />
unverarbeitete Missbrauchsgeschichte in <strong>de</strong>r Kindheit vorausging. Und dass die Prostitution eine<br />
Weile lang in einem Gefühl <strong>de</strong>r Selbststeuerung ausgeübt wird, aber irgendwann <strong>de</strong>r Punkt kommt,<br />
in <strong>de</strong>m es kippt. Die andauern<strong>de</strong> Spaltung von Körper und Seele muss gera<strong>de</strong>zu zwangsläufig zu<br />
Psychosen führen, die die Frauen oft genug mit Drogenkonsum betäuben, um <strong>de</strong>n Seelenschmerz<br />
zu ertragen. Viele Prostituierte berichten ohnehin davon, dass das Verhalten <strong>de</strong>r Kun<strong>de</strong>n immer<br />
rücksichtsloser, gewaltsamer und respektloser wird. Dass Zuhälter sie zwingen, alles Gefor<strong>de</strong>rte<br />
mitzumachen. Infolge <strong>de</strong>r erlittenen Erniedrigungen verlieren sie im Laufe ihrer Tätigkeit je<strong>de</strong>s<br />
Selbstwertgefühl. Viele von ihnen glauben, rechtlos zu sein.<br />
Erfolgreich geht kaum eine Prostituierte alten Schlages aus ihrer Karriere hervor. Über 90% <strong>de</strong>r<br />
Ehemaligen sind voll sozialhilfeabhängig. Für die Sexsklavinnen aus Osteuropa wagt man sich gar<br />
nicht vorzustellen, ob und wie es für sie ein „danach“ noch geben wird.<br />
Da müsste sich <strong>de</strong>m Gesetzgeber doch eigentlich<br />
die Frage aufdrängen, ob er die Zerrüttung von Menschenleben,<br />
und unerträglicher noch: Sklavenzustän<strong>de</strong>,<br />
in seinem Land dul<strong>de</strong>n will. Wie verteidigt eine<br />
Gesellschaft die Menschenwür<strong>de</strong> an ihrem Rand?<br />
Die Gesellschaft drückt ihre Wertvorstellungen, die sie<br />
im Grundgesetz als Ziele formuliert, im Strafgesetz<br />
quasi als Negativabdruck aus. Das Strafgesetz zeichnet,<br />
mal ganz davon abgesehen, ob es auch ein<br />
geeignetes Mittel dafür ist, Missstän<strong>de</strong> zu verbessern,<br />
griffige Konturen <strong>de</strong>s Menschenbil<strong>de</strong>s, das eine<br />
Gesellschaft will.<br />
In unserem Strafgesetz sind Linien gezogen, die die<br />
Gemeinschaft als Grenzüberschreitung ihrer Regeln<br />
<strong>de</strong>s Zusammenlebens verfolgt. So haben wir zum<br />
Beispiel <strong>de</strong>n Diebstahl unter Strafe gestellt. Er<br />
geschieht täglich, lässt sich durch das Strafgesetz<br />
nicht verhin<strong>de</strong>rn, und doch bringen wir mit unserem<br />
Strafgesetzbuch zum Ausdruck, dass wir ihn nicht<br />
wollen und ihn nicht folgenlos tolerieren. Wir haben<br />
Paragraphen gegen Nötigung, gegen Beleidigung,<br />
gegen Freiheitsberaubung. Damit schützen wir die<br />
Wür<strong>de</strong>, die Ehre, die Freiheit <strong>de</strong>s Einzelnen. Wir<br />
haben auch <strong>de</strong>n Verkauf und <strong>de</strong>n Kauf von Drogen<br />
unter Strafe gestellt. Das Strafgesetz will damit<br />
<strong>de</strong>n Menschen vor Abhängigkeit und gefährlicher<br />
Krankheit schützen.<br />
Man könnte meinen, diese Paragraphen könnten doch<br />
bereits genügen, die ungewollten Begleiterscheinungen <strong>de</strong>r Prostitution ausreichend zu verfolgen.<br />
Doch mit <strong>de</strong>r vermeintlichen „Freiwilligkeit“, in <strong>de</strong>r sich die Prostituierten anbieten, hebeln sie<br />
praktisch alle jene Schutzmechanismen aus, die ihnen das Strafgesetzbuch bietet. Sie sind im<br />
Falle einer Strafanzeige außer<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Anzeigepflicht. Der Staatsanwalt hat zwar zu ermitteln.<br />
Aber wir kennen ja die Realität, nicht genügend Personal.<br />
Das ist ein ganz wichtiger Aspekt: viele Befürworter <strong>de</strong>r Legalisierung behaupten, die Sex-Szene<br />
sei besser in <strong>de</strong>r Legalität zu überwachen. Der Personalmangel <strong>de</strong>r Polizei erlaubt dies schlicht<br />
nicht, so dass dieses Argument ins Leere führt.<br />
Interessant ist hier <strong>de</strong>r schwedische Ansatz. In<strong>de</strong>m bereits <strong>de</strong>r Kauf <strong>de</strong>r „Ware“ Sex unter Strafe<br />
gestellt wird, bringen die Schwe<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>s zum Ausdruck: Wir wollen grundsätzlich nicht, das<br />
Menschen käuflich sind. Sex ist keine Dienstleistung wie je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re.<br />
Foto: Sabine Kress<br />
www.eXperimenta.<strong>de</strong> 34 <strong>Oktober</strong> 2013<br />
<strong>Oktober</strong> 2013<br />
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www.eXperimenta.<strong>de</strong>