Soziale Determinanten von Gesundheit - WHO/Europe - World ...
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<strong>Soziale</strong><br />
<strong>Determinanten</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />
DIE<br />
FAKTEN<br />
Healthy Cities<br />
Health for All<br />
International<br />
Centre<br />
Health and<br />
Society
HFA Policy on <strong>Europe</strong>: Target 14<br />
SETTINGS FOR HEALTH PROMOTION<br />
By the year 2000, all settings of social life and activity,<br />
such as the city, school, workplace, neighbourhood<br />
and home, should provide greater opportunities for<br />
promoting health.<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Gesundheit</strong>spolitik und –praxis müssen auf die sozialen<br />
<strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> ausgerichtet sein,<br />
wenn man Krankheiten ursächlich angehen will, bevor<br />
sich diese Ursachen zu Problemen auswachsen können.<br />
Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe für Entscheidungsträger,<br />
Akteure im <strong>Gesundheit</strong>sbereich und alle,<br />
die sich zu Fürsprechern der öffentlichen <strong>Gesundheit</strong><br />
machen. Der entscheidende Einfluß sozialer <strong>Determinanten</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> ist wissenschaftlich mittlerweile<br />
längst nachgewiesen, doch die Diskussion wird<br />
immer noch fast ausschliesslich nur in wissenschaftlichen<br />
Kreisen geführt. Hier sollen die Fakten über die<br />
sozialen <strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> im Rahmen<br />
einer Kampagne des <strong>WHO</strong>-Regionalbüros für Europa<br />
klar und verständlich dargestellt werden. Für zehn<br />
ausgewählte Politikbereiche wird gezeigt, welche<br />
Konsequenzen sich aus diesen Erkenntnissen ergeben.<br />
Die Kampagne soll bewirken, daß man sich des<br />
Stellenwerts der sozialen <strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />
stärker bewußt wird. Sie soll die Diskussion<br />
anregen und die Handlungsbereitschaft fördern.<br />
Schlüsselwörter<br />
PUBLIC HEALTH<br />
SOCIOECONOMIC FACTORS<br />
SOCIAL ENVIRONMENT<br />
SOCIAL SUPPORT<br />
HEALTH BEHAVIOUR<br />
HEALTH PROMOTION<br />
HEALTHY CITIES<br />
EUROPE<br />
EUR/ICP/CHVD 03 09 01<br />
1999<br />
© Weltgesundheitsorganisation<br />
Alle Rechte an diesem Dokument sind dem <strong>WHO</strong>-Regionalbüro für<br />
Europa vorbehalten. Es ist indessen ohne weiteres gestattet, das<br />
Dokument unter vollständiger Angabe der Quelle zu rezensieren,<br />
auszugsweise wiederzugeben, zu vervielfältigen oder in andere<br />
Sprachen zu übersetzen (sofern dies nicht zum Zwecke des Verkaufs<br />
oder im Zusammenhang mit anderen kommerziellen Zwecken<br />
geschieht). Das <strong>WHO</strong>-Emblem darf nicht ohne Genehmigung des<br />
<strong>WHO</strong>-Regionalbüros benutzt werden. Alle Übersetzungen sollten<br />
den Satz: Der Übersetzer dieses Dokuments ist für die Genauigkeit<br />
der Übersetzung verantwortlich enthalten. Das Regionalbüro bittet<br />
um Zusendung <strong>von</strong> drei Kopien jeder Übersetzung. Für namentlich<br />
gekennzeichnete Beiträge sind ausschließlich die Autoren verantwortlich.
<strong>Soziale</strong><br />
<strong>Determinanten</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />
DIE<br />
FAKTEN<br />
Herausgegeben <strong>von</strong> Richard Wilkinson und Michael Marmot
Mitarbeiter<br />
Dr. Mel Bartley<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Dr. David Blane<br />
Charing Cross and Westminster<br />
Medical School, London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Dr. Eric Brunner<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Dr. Danny Dorling<br />
Geography Department,<br />
Bristol University,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Jane Ferrie<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Dr. Martin Jarvis<br />
Imperial Cancer Research Fund<br />
Health Behaviour Unit,<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Dr. Mary Shaw<br />
Geography Department,<br />
Bristol University,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Professor Aubrey Sheiham<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Dr. Stephen Stansfeld<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Professor Mike Wadsworth<br />
Medical Research Council<br />
National Survey of<br />
Health and Development,<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Professor Richard Wilkinson<br />
University of Sussex, Brighton,<br />
and University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Professor Michael Marmot<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich<br />
Professor Mark McCarthy<br />
University College London,<br />
Vereinigtes Königreich
Inhalt<br />
Mitarbeiter 2<br />
Vorwort 4<br />
Geleitwort 5<br />
Einleitung 6<br />
1. Das soziale Gefälle 8<br />
2. Stress 10<br />
3. Frühe Kindheit 12<br />
4. <strong>Soziale</strong> Ausgrenzung 14<br />
5. Arbeit 16<br />
6. Arbeitslosigkeit 18<br />
7. <strong>Soziale</strong> Unterstützung 20<br />
8. Sucht 22<br />
9. Lebensmittel 24<br />
10. Verkehr 26
VORWORT<br />
Wenn man Entscheidungsträger und <strong>Gesundheit</strong>swissenschaftler<br />
auffordert, sich mit den sozialen<br />
Bestimmungsfaktoren <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> zu befassen, so<br />
muß man wissenschaftlich fundiert argumentieren<br />
können. Die meisten Menschen wissen rein intuitiv,<br />
daß sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen positiv<br />
und negativ auf ihre <strong>Gesundheit</strong> auswirken. Für diese<br />
Annahme fehlt es zwar keineswegs an schlagkräftigen<br />
Beweisen, doch die Debatte über die sozialen <strong>Determinanten</strong><br />
<strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> beschränkt sich weiterhin<br />
hauptsächlich auf wissenschaftliche Kreise. Sogar in<br />
den Fällen, in denen die Tatsachen ihre unwiderlegbare<br />
Sprache sprechen, hat man <strong>von</strong> seiten der<br />
<strong>Gesundheit</strong>swissenschaften jahrelang tatenlos zugesehen.<br />
Das gilt beispielsweise für das Thema Tabak. Die<br />
Tabakindustrie mußte inzwischen zugeben, daß<br />
Rauchen Tabakabhängigkeit erzeugt. Daß dies aber<br />
erst vor gut einem Jahr geschah, ist überaus beunruhigend;<br />
denn oft lehnte man <strong>von</strong> politischer Seite ein<br />
Eingreifen mit dem Hinweis darauf ab, es gebe dafür<br />
nicht genügend triftige Gründe.<br />
Die Erkenntnis, daß sich Wirtschafts- und Sozialpolitik<br />
sowie soziale und wirtschaftliche Verhältnisse auf den<br />
<strong>Gesundheit</strong>szustand einer Bevölkerung auswirken,<br />
könnte weitreichende Konsequenzen haben. Es<br />
könnte nämlich sein, daß dadurch gesellschaftliche<br />
Entscheidungen darüber, in welche Richtung die<br />
gesellschaftliche Entwicklung verlaufen soll, entscheidend<br />
beeinflußt werden könnten, und es könnte auch<br />
sein, daß man die Wertvorstellungen und Grundsätze,<br />
auf die sich die gesellschaftlichen Institutionen gründen,<br />
und die Maßstäbe, anhand deren man Fortschritte<br />
mißt, gründlich hinterfragen muß. Gut ist, daß<br />
Entscheidungsträger auf allen Ebenen zunehmend<br />
erkennen, daß man auf <strong>Gesundheit</strong> und nachhaltige<br />
Entwicklung setzen muß. Dafür brauchen sie jedoch<br />
eindeutige Fakten ebenso wie strategische Orientierungshilfe<br />
und politische Instrumente. Niemand<br />
erwartet <strong>von</strong> der Wissenschaft, daß sie eine Schwarz-<br />
Weiß-Zeichnung liefert oder die Handlungsmöglichkeiten<br />
auf ein Entweder-Oder reduziert, doch<br />
ihre Erkenntnisse müssen zugänglich sein, eine offene<br />
Debatte und danach eine begründete Entscheidung<br />
ermöglichen.<br />
Am <strong>WHO</strong>-Regionalbüro für Europa hat das Zentrum<br />
für <strong>Gesundheit</strong> in Städten in enger Zusammenarbeit<br />
mit dem Referat Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit<br />
und dem neuen Europäischen Netzwerk für<br />
<strong>Gesundheit</strong>skommunikation eine Kampagne ins Leben<br />
gerufen, durch die das Bewußtsein für die sozialen<br />
<strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> geschärft, die Diskussion<br />
über diese Bestimmungsfaktoren angeregt und<br />
einschlägige Maßnahmen gefördert werden sollen. Die<br />
Kampagne soll ein möglichst breites Publikum ansprechen,<br />
nämlich alle, die sich zu Fürsprechern der<br />
öffentlichen <strong>Gesundheit</strong> machen, <strong>Gesundheit</strong>sfachkräfte<br />
und –wissenschaftler, Bürgergruppen und<br />
Entscheidungsträger. Die Kampagne wird mit eigens<br />
für diesen Zweck erarbeitetem Informationsmaterial<br />
geführt, das den Zielgruppen die Thematik in ansprechender,<br />
leicht lesbarer und leicht zu übersetzender<br />
Form nahe bringen soll. Ein wichtiger Motor der<br />
Kampagne werden überall in der Europäischen Region<br />
die Netzwerke des Gesunde-Städte-Projekts der <strong>WHO</strong><br />
sein. Ein besserer Zeitpunkt für die Kampagne wäre<br />
kaum denkbar, da sie mit dem neuen <strong>WHO</strong>-Rahmenkonzept<br />
„<strong>Gesundheit</strong> für alle für das einundzwanzigste<br />
Jahrhundert“ und dem Beginn der Phase III<br />
(1998-2002) des Gesunde-Städte-Projekts zusammenfällt<br />
und sich zugleich eine Reihe <strong>von</strong> Städten zunehmend<br />
für die lokale Agenda 21 engagiert.<br />
Das Rückgrat der Kampagne bilden aktuelle Informationen<br />
über die Schlüsselbereiche sozialer <strong>Determinanten</strong>,<br />
die präzise, klar und entschieden gegeben werden<br />
müssen. Möglich wurde dies durch die enge partnerschaftliche<br />
Zusammenarbeit zwischen der <strong>WHO</strong> und<br />
dem International Centre for Health and Society,<br />
4
GELEITWORT<br />
University College, London, Vereinigtes Königreich.<br />
Mein Dank gilt Professor Michael Marmot und Professor<br />
Richard Wilkinson, die die Ausarbeitung des Heftes<br />
redaktionell begleitet und koordiniert haben. Es<br />
entstand durch informelle Diskussionen und Konsultationen.<br />
Danken möchte ich auch allen Mitgliedern des<br />
wissenschaftlichen Teams, die zu dieser Arbeit beigetragen<br />
haben. Ich bin überzeugt, daß das Heft ein<br />
nützliches Instrument zum Verständnis der sozialen<br />
<strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> und für den Umgang<br />
mit diesen Bestimmungsfaktoren abgeben wird.<br />
Ein besonderes Dankeschön geht an Dr. Jill Farrington,<br />
<strong>WHO</strong>-Beraterin und Ansprechpartnerin für die den<br />
sozialen <strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> gewidmeten<br />
Kampagne für ihren Einfallsreichtum, ihre hilfreiche<br />
redaktionelle Arbeit und dafür, daß sie das Zentrum für<br />
<strong>Gesundheit</strong> in Städten ständig über den Stand der<br />
Arbeit auf dem Laufenden gehalten hat. Dank schulden<br />
wir auch Patricia Crowley, die als Verwaltungsleiterin<br />
des International Centre for Health and Society<br />
alle Arbeitsphasen der wissenschaftlichen Papiere<br />
effizient und effektiv verfolgt hat. Nicht zuletzt möchte<br />
ich auch Mary Stewart Burgher danken, die kurzfristig<br />
die sprachliche Redaktion des Textes übernommen<br />
hat.<br />
Dr. Agis Tsouros<br />
Leiter, Zentrum für <strong>Gesundheit</strong> in Städten<br />
<strong>WHO</strong>-Regionalbüro für Europa<br />
Die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in<br />
politische Konzepte und praktische Maßnahmen ist<br />
immer ein komplexer Prozeß, der sich besonders<br />
schwierig gestaltet, wenn die sich daraus ergebenden<br />
Konsequenzen für die praktische Politik bewirken<br />
könnten, daß wir auch unsere Vorstellung da<strong>von</strong>, wie<br />
Politik <strong>Gesundheit</strong> beeinflußt, ändern müssen. Regierungen<br />
und Entscheidungsträger haben mehr als ein<br />
halbes Menschenalter gebraucht, um sozial bedingte<br />
gesundheitliche Ungleichheiten zu erkennen und sich<br />
ernsthaft damit zu befassen.<br />
Heute mehren sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
über die sozialen Bestimmungsfaktoren <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />
immer rascher. Immer deutlicher zeigt sich, daß<br />
unsere Anstrengungen hier ansetzen müssen. Wir<br />
müssen der „Public Health“, der „Öffentlichen <strong>Gesundheit</strong>“,<br />
ihren eigentlichen Sinn zurückgeben, das<br />
Bewußtsein für die sozialen <strong>Determinanten</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Gesundheit</strong> schärfen und die Debatte fördern.<br />
Die Forschungsarbeit des International Centre for<br />
Health and Society gilt den sozialen Bestimmungsfaktoren<br />
<strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong>, wobei sich das Centre auch<br />
bemüht, die Forschungserkenntnisse in eine für<br />
Politiker und die Öffentlichkeit brauchbare Form zu<br />
bringen. Die <strong>WHO</strong>-Kampagne bietet uns die überaus<br />
begrüßenswerte Möglichkeit, uns an der interessanten<br />
und wichtigen Aufgabe der Förderung einer<br />
gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik zu beteiligen.<br />
Sir Donald Acheson<br />
Vorsitzender, International Centre for<br />
Health and Society<br />
University College London<br />
5
EINLEITUNG<br />
Selbst in den reichsten Ländern leben die Wohlhabenden<br />
mehrere Jahre länger als die Armen, und sie<br />
werden auch weniger häufig <strong>von</strong> Krankheiten geplagt.<br />
Diese gesundheitlichen Unterschiede stellen eine<br />
große soziale Ungerechtigkeit dar. Es spiegeln sich<br />
darin einige der mächtigsten Auswirkungen auf die<br />
<strong>Gesundheit</strong>, die in der modernen Welt zu finden sind.<br />
Die Art und Weise, wie Menschen leben, und die<br />
Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten,<br />
beeinflussen ihre <strong>Gesundheit</strong> und entscheiden darüber,<br />
wie lange sie leben.<br />
Foto: Gesunde-Städte-Projekt der <strong>WHO</strong><br />
Die <strong>Gesundheit</strong> der Menschen wird stark durch ihre Lebensweise und durch die Bedingungen, unter denen sie leben und arbeiten, beeinflußt.<br />
6
Mit guter ärztlicher Versorgung kann man schwere<br />
Krankheiten zwar besser überleben, doch die sozialen<br />
und wirtschaftlichen Bedingungen, die darüber<br />
entscheiden, ob jemand überhaupt krank wird, sind<br />
für die <strong>Gesundheit</strong> der Bevölkerung insgesamt weitaus<br />
wichtiger. Schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />
führen zu schlechterer <strong>Gesundheit</strong>. Eine ungesunde<br />
natürliche Umwelt und ungesundes Verhalten wirken<br />
sich direkt schädlich aus, doch auch die Sorgen und<br />
Unsicherheiten des Alltags haben einen Einfluß, so wie<br />
es auch Folgen hat, wenn die Menschen in ihrem<br />
sozialen Milieu keine Unterstützung finden.<br />
Im folgenden geht es um zehn unterschiedliche<br />
Aspekte der sozialen Bestimmungsfaktoren <strong>von</strong><br />
<strong>Gesundheit</strong>, die jedoch eng miteinander verzahnt sind.<br />
Erläutert wird,<br />
1. daß man <strong>von</strong> politischer Seite dafür sorgen<br />
muß, daß die Menschen nicht auf Dauer<br />
benachteiligt werden;<br />
2. wie sich das soziale und psychologische<br />
Milieu auf die <strong>Gesundheit</strong> auswirkt;<br />
3. wie wichtig es ist, daß Kinder <strong>von</strong> Anfang an<br />
geborgen aufwachsen;<br />
4. welchen Einfluß die Arbeit auf den <strong>Gesundheit</strong>szustand<br />
hat;<br />
5. welche Probleme durch Arbeitslosigkeit und<br />
ungesicherte Arbeitsverhältnisse entstehen;<br />
6. welche Rolle persönliche Beziehungen und<br />
sozialer Zusammenhalt spielen;<br />
7. welche Gefahren durch soziale Ausgrenzung<br />
lauern;<br />
8. wie sich Alkohol und andere Suchtmittel<br />
auswirken;<br />
9. daß dafür gesorgt sein muß, daß alle Menschen<br />
gesund essen können und<br />
10. daß man gesundheitsverträglichere Verkehrssysteme<br />
braucht.<br />
Damit hält man den Schlüssel in der Hand, der den<br />
Einwohnern der europäischen Industrieländer die Tür<br />
zu einer besseren <strong>Gesundheit</strong> öffnen kann. Gezeigt<br />
werden soll, wie soziale und wirtschaftliche Faktoren<br />
auf allen gesellschaftlichen Ebenen persönliche<br />
Entscheidungen beeinflussen und sich konkret auf die<br />
<strong>Gesundheit</strong> auswirken. Alle Menschen müssen selbst<br />
dafür sorgen, daß sie gesund essen, sich ausreichend<br />
bewegen, nicht rauchen und nicht zu viel Alkohol<br />
trinken. Wir wissen aber auch, daß sich die sozialen<br />
und wirtschaftlichen Gegebenheiten oftmals der<br />
persönlichen Einflußnahme entziehen und damit als<br />
gesundheitliche Bestimmungsfaktoren für den einzelnen<br />
Menschen nicht kontrollierbar sind. Das Heft soll<br />
deshalb sichern helfen, daß auf allen Regierungsebenen,<br />
in allen öffentlichen und privaten Institutionen,<br />
am Arbeitsplatz und im unmittelbaren Lebensumfeld<br />
der Menschen gebührend berücksichtigt wird,<br />
daß wir alle Verantwortung dafür tragen, der <strong>Gesundheit</strong><br />
eine Chance zu geben. Hier soll nun gezeigt<br />
werden, wie eine gesundheitszuträgliche soziale und<br />
wirtschaftliche Umwelt dazu beitragen kann, den<br />
<strong>Gesundheit</strong>szustand der Bevölkerung insgesamt zu<br />
verbessern.<br />
7
1<br />
DAS SOZIALE GEFÄLLE<br />
Die sozialen und wirtschaftlichen Lebensumstände<br />
wirken sich das ganze Leben hindurch<br />
stark auf die <strong>Gesundheit</strong> der Menschen<br />
aus, weshalb die <strong>Gesundheit</strong>spolitik<br />
bei den sozialen und wirtschaftlichen<br />
Bestimmungsfaktoren <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong><br />
anknüpfen muß.<br />
Die Beweislage<br />
Schwierige soziale und wirtschaftliche Lebensumstände<br />
haben das gesamte Leben der Menschen hindurch<br />
einen Einfluß ihren <strong>Gesundheit</strong>szustand. Alle, die ihren<br />
Platz weiter unten in der gesellschaftlichen Hierarchie<br />
haben, laufen zumindest doppelt so häufig Gefahr,<br />
schwer zu erkranken oder vorzeitig zu sterben, wie die<br />
Menschen an der Spitze der Gesellschaftspyramide.<br />
Von oben nach unten zeigt der <strong>Gesundheit</strong>szustand<br />
ein kontinuierliches soziales Gefälle, und zwar so<br />
ausgeprägt, daß sogar jüngere Arbeitnehmer normalerweise<br />
häufiger krank sind und r zu früh sterben als<br />
Arbeitnehmer in leitenden Stellungen.<br />
wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen leben<br />
müssen, um so stärker machen sich körperliche<br />
Verschleißerscheinungen bemerkbar und um so<br />
unwahrscheinlicher wird es, daß sie ihre alten Tage<br />
gesund erleben können.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Der Mensch durchläuft in seinem Leben viele entscheidende<br />
Phasen: gefühlsmäßige und materielle Veränderungen<br />
in der frühen Kindheit, den Schritt <strong>von</strong> der<br />
Schule zur weiterführenden Ausbildung, den Eintritt<br />
ins Arbeitsleben, das Verlassen des Elternhauses, die<br />
Gründung einer eigenen Familie, den Wechsel und<br />
möglichen Verlust des Arbeitsplatzes und schließlich<br />
das Rentnerdasein. Alle diese Veränderungen können<br />
gesundheitliche Auswirkungen haben, ob positive<br />
oder negative, das hängt da<strong>von</strong> ab, ob die Menschen<br />
einen Weg einschlagen, auf dem sie sozialer Benachteiligung<br />
ausgesetzt sind.<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
Die meisten Krankheiten und Todesursachen sind in<br />
den unteren Sozialschichten weiter verbreitet. Das<br />
sozial bedingte <strong>Gesundheit</strong>sgefälle spiegelt materielle<br />
Benachteiligung und die Auswirkungen <strong>von</strong> Unsicherheit,<br />
Sorge und fehlender sozialer Integration wider.<br />
Die Benachteiligung kann die unterschiedlichste Form<br />
annehmen, sie kann außerdem absolut oder relativ<br />
sein. Das bedeutet beispielsweise, daß keine starken<br />
Familienbande bestehen, daß man eine schlechtere<br />
Schulbildung mit auf den Weg bekommt, daß man in<br />
einer beruflichen Sackgasse steckt oder der Arbeitsplatz<br />
nicht gesichert ist, daß man keine anständige<br />
Wohnunterkunft hat und seine Kinder unter schwierigen<br />
Umständen großziehen muß. Alle diese unterschiedlichen<br />
Formen <strong>von</strong> Benachteiligung betreffen<br />
tendenziell immer die gleichen Menschen und haben<br />
kumulative Auswirkungen auf ihren <strong>Gesundheit</strong>szustand.<br />
Je länger die Menschen unter belastenden<br />
BARTLEY, M. ET AL. Health<br />
and the life course: why safety<br />
nets matter. British medical<br />
journal, 314: 1194–1196<br />
(1997).<br />
BLANE, D. ET AL. Disease<br />
etiology and materialist<br />
explanations of<br />
socioeconomic mortality<br />
differentials. <strong>Europe</strong>an journal<br />
of public health, 7: 385–391<br />
(1997).<br />
DAVEY SMITH, G. ET AL.<br />
Lifetime socioeconomic<br />
position and mortality:<br />
prospective observational<br />
study. British medical journal,<br />
314: 547–552 (1997).<br />
MONTGOMERY, S. ET AL.<br />
Health and social precursors<br />
of unemployment in young<br />
men in Britain. Journal of<br />
epidemiology and community<br />
health, 50: 415–422 (1996).<br />
WUNCH, G. ET AL.<br />
Socioeconomic differences in<br />
mortality: a life course<br />
approach. <strong>Europe</strong>an journal<br />
of population, 12: 167–185<br />
(1996).<br />
8
Foto: Joachim Ladefoged, Polfoto<br />
Schwierige soziale Verhältnisse und wirtschaftliche Armut beeinträchtigen die <strong>Gesundheit</strong> das ganze Leben hindurch.<br />
Jemand, der bereits zu den sozial Benachteiligten<br />
zählt, läuft dabei größere Gefahr, auch in jeder neuen<br />
Lebensphase zu kurz zu kommen. Deshalb muß die<br />
Sozialpolitik nicht nur ein Sicherheitsnetz bieten,<br />
sondern auch Möglichkeiten für einen Ausgleich<br />
bereits erlittener sozialer Verteilungsungerechtigkeiten<br />
schaffen.<br />
Eine Bevölkerung kann nur gesund sein, wenn man<br />
dafür sorgt, daß weniger Menschen ihre Ausbildung<br />
abbrechen, daß weniger Menschen das Gefühl haben,<br />
ihr Arbeitsplatz sei nicht gesichert, und wenn die<br />
Einkommensunterschiede in einer Gesellschaft nicht<br />
immer weiter auseinander klaffen. Wir müssen sicherstellen,<br />
daß weniger Menschen einen sozialen Absturz<br />
erleben und daß sie nicht so tief sinken. Bildungs-,<br />
Beschäftigungs- und Wohnungspolitik entscheiden mit<br />
darüber, wie gesund eine Bevölkerung ist. Eine Gesellschaft,<br />
die alle ihre Bürger befähigt, sich vollgültig und<br />
sinnvoll am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen<br />
Leben ihres Gemeinwesens zu beteiligen, wird gesünder<br />
sein als eine Gesellschaft, in der die Menschen mit<br />
Unsicherheit, sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung<br />
zu kämpfen haben.<br />
9
2<br />
STRESS<br />
Streß schadet der <strong>Gesundheit</strong><br />
Die Beweislage<br />
<strong>Soziale</strong> und psychologische Umstände können langfristig<br />
Streß hervorrufen. Andauernde Sorgen, Unsicherheit,<br />
geringe Selbstachtung, soziale Vereinsamung und<br />
fehlende Möglichkeiten, am Arbeitsplatz selbstbestimmt<br />
arbeiten zu können und das Familienleben in<br />
den Griff zu bekommen, wirken sich einschneidend<br />
auf den <strong>Gesundheit</strong>szustand aus. Diese psychosozialen<br />
Risiken akkumulieren sich im Laufe des Lebens und<br />
machen es wahrscheinlicher, daß der psychische<br />
<strong>Gesundheit</strong>szustand der Menschen unter dieser<br />
Belastung leidet und daß sie vorzeitig sterben. Lange<br />
sorgenvolle und unsichere Lebensphasen und fehlende<br />
stützende zwischenmenschliche Beziehungen sind in<br />
allen Lebensbereichen gesundheitsschädlich.<br />
Wie beeinflussen diese psychosozialen Faktoren den<br />
körperlichen <strong>Gesundheit</strong>szustand der Menschen? In<br />
Foto: Morten Overgaard, Polfoto<br />
Wenn man weder am Arbeitsplatz noch zu Hause selbstbestimmt handeln kann, wirkt sich das einschneidend auf die <strong>Gesundheit</strong> aus.<br />
10
Belastungssituationen werden durch die Streßreaktion<br />
Streßhormone aktiviert, die sich auf Herz und Kreislauf<br />
und auf das Immunsystem auswirken. Unsere Hormone<br />
und unser Nervensystem lassen uns auf eine<br />
unmittelbare physische Bedrohung reagieren. Unser<br />
Herz schlägt schneller, das Blut fließt in die Muskeln,<br />
wir reagieren mit Angst und Wachsamkeit. Wenn wir<br />
diese biologische Streßreaktion jedoch zu oft und zu<br />
lange einschalten, hat das wahrscheinlich in mehrfacher<br />
Hinsicht negative Folgen für unsere <strong>Gesundheit</strong>.<br />
Depressionen, eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen,<br />
für Diabetes und gesundheitsschädliche Cholesterin-<br />
und Blutfettwerte, für Bluthochdruck und die<br />
damit einhergehenden Herz- und Schlaganfallrisiken<br />
sind nur einige der uns dadurch drohenden Gefahren.<br />
Der Mensch und verschiedene in freier Wildbahn und<br />
in Gefangenschaft untersuchte Primaten bewältigen<br />
psychosozialen Streß mit ähnlichen Mechanismen.<br />
Primatenstudien zeigen, daß untergeordnete Tiere mit<br />
größerer Wahrscheinlichkeit an Thrombosen und<br />
Stoffwechselveränderungen leiden als sozial dominierende<br />
Tiere. Beim Menschen sind solche Veränderungen<br />
darüber hinaus mit der erhöhten Gefahr verbunden,<br />
an Herz-Kreislaufkrankheiten zu erkranken. Für<br />
die Industrieländer gilt, daß diese <strong>Gesundheit</strong>sprobleme<br />
um so häufiger zu beobachten sind, je<br />
weiter unten jemand in der gesellschaftlichen Rangordnung<br />
rangiert.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Ein Arzt wird vielleicht versuchen, die mit Streß verbundenen<br />
biologischen Veränderungen durch Medikamente<br />
in den Griff zu bekommen. Man sollte sich<br />
jedoch unbedingt sehr viel stärker darauf konzentrieren,<br />
die einem schlechten <strong>Gesundheit</strong>szustand zugrunde<br />
liegenden Ursachen anzugehen.<br />
In der Schule, am Arbeitsplatz und in anderen Einrichtungen<br />
sind soziale Befindlichkeit und materielle<br />
Sicherheit für die <strong>Gesundheit</strong> häufig ebenso wichtig<br />
wie die natürliche Umwelt. Wenn man den Menschen<br />
das Gefühl der Zugehörigkeit und Wertschätzung<br />
vermitteln kann, werden sie sehr wahrscheinlich<br />
gesünder sein, als wenn sie sich ausgeschlossen,<br />
mißachtet und ausgenutzt fühlen.<br />
Die Regierungen sollten erkennen, daß Sozialpolitik<br />
die psychosozialen wie die materiellen Bedürfnisse des<br />
Menschen berücksichtigen muß. In beiden Bereichen<br />
können Angst und Unsicherheit entstehen. Vor allem<br />
muß die Politik Familien mit kleinen Kindern stützen,<br />
den aktiven Gemeinschaftssinn anregen, soziale<br />
Vereinsamung bekämpfen, materielle und finanzielle<br />
Unsicherheit begrenzen und durch Ausbildungs- und<br />
Rehabilitationsmaßnahmen die Fähigkeit der Menschen<br />
fördern, die Herausforderungen ihres Lebens<br />
besser zu meistern.<br />
BRUNNER, E.J. Stress and the<br />
biology of inequality. British<br />
medical journal, 314: 1472–<br />
1476 (1997).<br />
KARASEK, R.A. & THEORELL,<br />
T. Healthy work: stress,<br />
productivity and the<br />
reconstruction of working life.<br />
New York, Basic Books, 1990.<br />
MARMOT, M.G. Does stress<br />
cause heart attacks?<br />
Postgraduate medical journal,<br />
62: 683–686. (1986)<br />
MARMOT, M.G. ET AL.<br />
Contribution of job control<br />
and other risk factors to social<br />
variations in coronary heart<br />
disease. Lancet, 350: 235–<br />
239 (1997).<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
SAPOLSKY, R.M. & MOTT, G.E.<br />
Social subordinance in wild<br />
baboons is associated with<br />
suppressed high density<br />
lipoprotein-cholesterol<br />
concentrations: the possible<br />
role of chronic social stress.<br />
Endocrinology, 121: 1605–<br />
1610 (1987).<br />
SHIVELY, C.A. & CLARKSON,<br />
T.B. Social status and coronary<br />
artery atherosclerosis in<br />
female monkeys.<br />
Arteriosclerosis thrombosis,<br />
14: 721–726 (1994).<br />
11
3<br />
FRÜHE KINDHEIT<br />
Die frühkindliche Entwicklung prägt das<br />
ganze Leben. Ein positiver Lebensanfang<br />
bedeutet, daß man Mütter und Kleinkinder<br />
unterstützen muß.<br />
Die Beweislage<br />
Wichtige Grundlagen der <strong>Gesundheit</strong> im<br />
Erwachsenenalter werden bereits vor der Geburt und<br />
in der frühen Kindheit gelegt. Verzögertes Wachstum<br />
und fehlende emotionale Unterstützung in dieser<br />
Phase erhöhen das Risiko, daß man ein Leben lang<br />
kränkelt und als Erwachsener körperlich, kognitiv und<br />
emotional mit eingeschränkter Funktionsfähigkeit<br />
leben muß. Schlechte soziale und wirtschaftliche<br />
Ausgangsbedingungen gefährden die <strong>Gesundheit</strong><br />
eines Kindes am meisten und geben ihm einen<br />
schlechten sozialen und bildungsmäßigen Start ins<br />
Leben.<br />
Wenn die Mutter schlecht ernährt oder fehlernährt ist<br />
und raucht und die Eltern arm sind, kann das die<br />
Entwicklung des Kindes bereits vor der Geburt und im<br />
Säuglingsalter beeinträchtigen. Frühkindliche Wachstumsstörungen<br />
sind mit eingeschränkter Funktionsfähigkeit<br />
des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwegsorgane,<br />
der Nieren und des Pankreas im Erwachsenenalter<br />
assoziiert. Wenn die Eltern rauchen, behindern sie<br />
die Entwicklung des kindlichen Atemwegssystems, was<br />
wiederum die Atemwegsfunktionen beeinträchtigt<br />
und somit die Anfälligkeit des Erwachsenen erhöht.<br />
Foto: Finn Frandsen, Polfoto<br />
Bereits in frühester Kindheit werden die Grundlagen für die <strong>Gesundheit</strong> des Erwachsenen geschaffen.<br />
12
Eine schlechte Ernährung und körperliche Entwicklungsstörungen<br />
beeinträchtigen die kognitive Entwicklung<br />
des Kindes. Hinzu kommt, daß die mit Armut<br />
verbundene psychische Erschöpfung und Depression<br />
den Eltern nur eingeschränkte Möglichkeiten läßt, ihr<br />
Kind ausreichend zu stimulieren, was die emotionale<br />
Bindung schwächen kann,.<br />
Armut der Eltern kann eine Kettenreaktion sozialer<br />
Risiken auslösen, die bereits früh einsetzt, da den<br />
Kindern unter Umstände die nötige Schulreife fehlt.<br />
Das wiederum führt zu Verhaltensstörungen und<br />
Leistungsschwäche in der Schule und später dazu, daß<br />
sich der Erwachsene als soziale Randexistenz empfindet,<br />
daß er der unteren Sozialschicht verhaftet bleibt<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
BARKER, D.J.P. Mothers, babies<br />
and disease in later life.<br />
London, BMJ Publishing Group,<br />
1994.<br />
BARKER, W. ET AL. Child<br />
protection: the impact of the<br />
child development programme.<br />
Bristol, Early Childhood<br />
Development Unit, University<br />
of Bristol, 1992.<br />
HERTZMAN, C. & WIENS, M.<br />
Child development and longterm<br />
outcomes: a population<br />
health perspective and<br />
summary of successful<br />
interventions. Social science<br />
and medicine, 43: 1083 (1996)<br />
KUH, D. & BEN-SHLOMO, Y. A<br />
life course approach to chronic<br />
disease epidemiology. Oxford,<br />
Oxford University Press, 1997.<br />
ROBINS, L. & RUTTER, M., ED.<br />
Straight and devious<br />
pathways from childhood to<br />
adulthood. Cambridge,<br />
Cambridge University Press,<br />
1990.<br />
TAGER, I.B. ET AL. Longitudinal<br />
study of the effects of<br />
maternal smoking on<br />
pulmonary function in<br />
children. New England journal<br />
of medicine, 309: 699 (1983).<br />
SCHWEINHART, L.J. ET AL.<br />
Significant benefits: the High/<br />
Scope Perry Preschool Study<br />
through age 27. Ypsilanti, The<br />
High Scope Press, 1993.<br />
und nie erlebt, was es heißt, selbstbestimmt arbeiten<br />
zu können. Dieses Muster aus unzulänglichem Bildungsniveau<br />
und unbefriedigenden Arbeitsbedingungen<br />
wirkt gesundheitsschädigend und beeinträchtigt<br />
letztlich auch die kognitive Funktionsfähigkeit des<br />
alten Menschen.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Will man etwas dafür tun, daß sich vor allem Kinder,<br />
die unter schlechten sozialen und wirtschaftlichen<br />
Bedingungen aufwachsen, gesund entwickeln können,<br />
so muß man neue Wege gehen. Ziel der Politik<br />
sollte es sein:<br />
1. Eltern dazu zu bringen, weniger zu rauchen;<br />
2. Den Eltern verstärkt gesundheitliches Wissen und<br />
Einsicht in die emotionalen Bedürfnisse des Kindes<br />
zu vermitteln;<br />
3. Vorschulprogramme einzuführen, die nicht nur<br />
dazu dienen, die Lesefertigkeit zu verbessern und<br />
die kognitive Entwicklung anzuregen, sondern<br />
auch eine Begrenzung der kindlichen Verhaltensprobleme<br />
bewirken, die schulische Leistungsfähigkeit<br />
fördern, später die Berufsaussichten des<br />
Erwachsenen verbessern helfen und dazu führen,<br />
daß er sich gesundheitsbewußt verhält;<br />
4. die Eltern in diese Vorschulprogramme einzubinden,<br />
um so deren erzieherische Wirkung zu stärken<br />
und Kindesmißbrauch einzuschränken;<br />
5. sicherzustellen, daß Mütter angemessene soziale<br />
und wirtschaftliche Ressourcen haben, und<br />
6. allen Altersgruppen bessere Bildungsmöglichkeiten<br />
zu bieten. Je besser das Bildungsniveau, um so<br />
stärker das Bewußtsein für gesundheitliche Anliegen<br />
und die Möglichkeit, sich verantwortlich um<br />
die eigene <strong>Gesundheit</strong> zu kümmern.<br />
Für die <strong>Gesundheit</strong> und Leistungsfähigkeit der künftigen<br />
Erwachsenenbevölkerung würde es entscheidene<br />
Vorteile bringen, wenn die Politik auf diese Prinzipien<br />
setzen würde.<br />
13
4<br />
SOZIALE AUSGRENZUNG<br />
<strong>Soziale</strong> Ausgrenzung schafft Not und kostet<br />
Leben.<br />
Die Beweislage<br />
<strong>Soziale</strong> Ausgrenzungsprozesse und das Ausmaß der<br />
relativen gesellschaftlichen Benachteiligung haben<br />
einen entscheidenden Einfluß auf den <strong>Gesundheit</strong>szustand<br />
der Bevölkerung und die Zahl der Frühsterbefälle.<br />
<strong>Gesundheit</strong> wird nicht nur durch materielle<br />
Benachteiligung geschädigt, sondern leidet auch<br />
durch die sozialen und psychologischen Probleme<br />
eines Lebens in Armut.<br />
Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit haben in<br />
vielen Ländern zugenommen, sogar in einigen der<br />
reichsten. In manchen Ländern lebt bis zu einem<br />
Viertel der Gesamtbevölkerung – und ein höherer<br />
Anteil der Kinder – in relativer Armut (in der Europäischen<br />
Union versteht man darunter, daß jemand<br />
weniger als die Hälfte des nationalen Durchschnittseinkommens<br />
zur Verfügung hat). Relative Armut führt<br />
ebenso wie absolute Armut zu gesundheitlichen<br />
Beeinträchtigungen und verstärkt das Risiko, vorzeitig<br />
zu sterben. Menschen, die fast ihr ganzes Leben in<br />
Armut verbracht haben, leiden ganz besonders unter<br />
einer schwachen <strong>Gesundheit</strong>.<br />
Vor allem Migranten aus anderen Ländern, ethnische<br />
Minderheiten, Gastarbeiter und Flüchtlinge sind <strong>von</strong><br />
sozialer Ausgrenzung bedroht, wobei ihre Kinder<br />
wahrscheinlich noch speziell gefährdet sind. Zuweilen<br />
verweigert man ihnen die Staatsangehörigkeit des<br />
Landes, in dem sie leben, oft finden sie keine Arbeit<br />
und erhalten keine Ausbildung. Sie stoßen häufig auf<br />
Rassismus, Diskrimination und Feindseligkeit, was sich<br />
nachteilig auf ihre <strong>Gesundheit</strong> auswirken kann.<br />
Außerdem tendieren Gemeinschaften dazu, Kranke,<br />
Behinderte oder emotional besonders Schwache wie<br />
ehemalige Kinderheimzöglinge, Häftlinge und<br />
Psychiatriepatienten zu sozialen Randexistenzen zu<br />
Foto: Jan Grarup, Polfoto<br />
14
WICHTIGE LITERATUR<br />
POWER, C. Health and<br />
social inequality in <strong>Europe</strong>.<br />
British medical journal,<br />
309: 1153–1160 (1994).<br />
SIEM, H. Migration and<br />
health - the international<br />
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Rundschau fur Medizin<br />
Praxis, 86(19): 788–793<br />
(1997).<br />
WALKER, R. Poverty and<br />
social exclusion in <strong>Europe</strong>.<br />
In: Walker, A. & Walker, C.,<br />
ed. Britain divided: the<br />
growth of social exclusion<br />
in the 1980s and 1990s.<br />
London, Child Poverty<br />
Action Group, 1997.<br />
WILKINSON, R.G.<br />
Unhealthy societies: the<br />
afflictions of inequality.<br />
London, Routledge, 1996.<br />
VAN DOORSLAER E. ET AL.<br />
Income-related inequalities<br />
in health: some international<br />
comparisons. Journal of<br />
health economics, 16: 93–<br />
112 (1997).<br />
Menschen, die auf der Straße<br />
leben, sterben am häufigsten<br />
vorzeitig.<br />
machen und abzulehnen. Körperliche oder psychische<br />
<strong>Gesundheit</strong>sprobleme bewirken oft, daß die Betroffenen<br />
nur schwer an eine sinnvolle Ausbildung herankommen<br />
und kaum ihren eigenen Lebensunterhalt<br />
verdienen können. Behinderte Kinder sind dabei die<br />
wahrscheinlichsten Opfer <strong>von</strong> Armut. Stigmatisierende<br />
Leiden wie psychische Krankheiten, Körperbehinderungen<br />
oder Krankheiten wie AIDS machen die Sache<br />
nur noch schlimmer. Obdachlose sind diesen Problemen<br />
vielleicht sogar mehrfach ausgesetzt; unter ihnen<br />
sind die meisten Frühsterbefälle zu verzeichnen.<br />
In einer Gesellschaft, die eine stärkere Verteilungsgerechtigkeit<br />
anstrebt, wächst die Wirtschaft oft<br />
schneller, und die Bevölkerung ist gesünder.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Auf unterschiedlichster Ebene ist eine Fülle <strong>von</strong> Maßnahmen<br />
erforderlich, um die gesundheitlichen Auswirkungen<br />
<strong>von</strong> sozialer Ausgrenzung abzufangen, u.a.<br />
gilt das für folgende:<br />
1. Gesetze können dazu beitragen, die Rechte <strong>von</strong><br />
Migranten und Minderheiten zu schützen und<br />
Diskrimination zu verhindern.<br />
2. Durch Public Health-Interventionen sollten Hindernisse<br />
beseitigt werden, die den Zugang zur<br />
<strong>Gesundheit</strong>sversorgung, zu sozialen Leistungen<br />
und bezahlbaren Wohnunterkünften erschweren.<br />
3. Um soziale Ausgrenzung zu verringern, braucht<br />
man Einkommenssubventionierung, ausreichende<br />
nationale Mindestlöhne und eine sinnvolle<br />
Bildungs- und Beschäftigungspolitik.<br />
4. Einkommmen und Wohlstand sollten umverteilt<br />
werden, um materielle Verteilungsungerechtigkeiten<br />
auszugleichen und das Ausmaß<br />
der relativen Armut zu beschränken. Die Bevölkerung<br />
<strong>von</strong> Gesellschaften, die auf eine stärkere<br />
Verteilungsgerechtigkeit bedacht sind, ist oft<br />
gesünder.<br />
15
5<br />
ARBEIT<br />
Streß am Arbeitsplatz verstärkt das<br />
Krankheitsrisiko<br />
Die Beweislage<br />
Wissenschaftlich nachgewiesen ist, daß Streß am<br />
Arbeitsplatz stark zu den großen gesundheitlichen<br />
Unterschieden, zu krankheitsbedingten Fehlzeiten und<br />
sozialschichtenabhängigen Frühsterbefällen beiträgt.<br />
Mehrere europäische Arbeitsplatzstudien haben<br />
erbracht, daß die <strong>Gesundheit</strong> leidet, wenn die Menschen<br />
nur geringe Möglichkeiten haben, ihre Fähigkeiten<br />
auszunutzen und selbstbestimmt zu arbeiten.Wenn<br />
man am Arbeitsplatz nur wenig Entscheidungsspielraum<br />
hat, läuft man verstärkt Gefahr, Rückenschmerzen<br />
zu bekommen, häufig krank zu sein und an Herz-<br />
Kreislaufkrankheiten zu erkranken. Diese Risiken sind<br />
offenbar unabhängig vom psychologischen Profil der<br />
Untersuchten. Sie scheinen also, kurz gesagt, etwas<br />
Foto: Bavaria Bild, Polfoto<br />
Ein Arbeitsplatz, der besonders hohe Anforderungen stellt und nur geringe Entscheidungsfreiheit bietet, birgt besondere Gefahren.<br />
16
mit dem Arbeitsumfeld zu tun zu haben.<br />
Untersucht wurde auch, wie sich die am Arbeitsplatz<br />
gestellten Anforderungen auswirken. In einigen Fällen<br />
ergab sich eine Wechselwirkung zwischen Anforderungen<br />
und dem Grad der Selbstbestimmtheit. Arbeitsplätze<br />
mit hohen Anforderungen, die zugleich<br />
wenig Raum für selbstbestimmtes Arbeiten lassen,<br />
sind dabei besonders risikoträchtig. Einiges spricht<br />
jedoch dafür, daß dieser Effekt bis zu einem gewissen<br />
Grad durch das soziale Umfeld am Arbeitsplatz aufgefangen<br />
werden kann.<br />
Festgestellt wurde auch, daß die Beschäftigten verstärkt<br />
Gefahr laufen, an Herz-Kreislaufkrankheiten zu<br />
BOSMA, H. ET AL. Low job<br />
control and risk of coronary<br />
heart disease in Whitehall II<br />
(prospective cohort) study.<br />
British medical journal, 314:<br />
558–565 (1997).<br />
JOHNSON, J.V. Conceptual<br />
and methodological<br />
developments in occupational<br />
stress research in<br />
occupational stress research:<br />
an introduction to state-ofthe-art<br />
reviews. Journal of<br />
occupational health<br />
psychology, 1: 6–8 (1996).<br />
KARASEK, R.A. & THEORELL, T.<br />
Healthy work: stress,<br />
productivity and the<br />
reconstruction of working life.<br />
New York, Basic Books, 1990.<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
SIEGRIST, J. Adverse health<br />
effects of high-effort/lowreward<br />
conditions. Journal of<br />
occupational health<br />
psychology, 1: 27–41(1996).<br />
THEORELL, T. & KARASEK,<br />
R.A. Current issues relating to<br />
psychosocial job strain and<br />
cardiovascular disease<br />
research. Journal of<br />
occupational health<br />
psychology, 1: 9–26 (1996).<br />
erkranken, wenn ihre Arbeitsleistung nicht genügend<br />
Anerkennung findet. Es kann sich dabei um Geld,<br />
umAnsehen und Selbstachtung handeln. Zu befürchten<br />
ist, daß die sich auf dem Arbeitsmarkt vollziehenden<br />
Veränderungen die dem einzelnen Menschen<br />
offen stehenden Möglichkeiten begrenzen und es<br />
schwerer machen, leistungsgerechte Anerkennung zu<br />
finden.<br />
Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, daß das<br />
psychosoziale Arbeitsumfeld stark zum sozial bedingten<br />
<strong>Gesundheit</strong>sgefälle beiträgt.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
1. Zwischen <strong>Gesundheit</strong> und Arbeitproduktivität gibt<br />
es keinen Kompromiß. Ein eventueller Teufelskreis<br />
läßt sich jedoch verhindern: Bessere Arbeitsbedingungen<br />
machen die Arbeitnehmer gesünder. Das<br />
wiederum verbessert ihre Leistungsfähigkeit und<br />
bietet die Möglichkeit, den Arbeitsplatz noch<br />
gesünder und produktiver zu gestalten.<br />
2. Eine sachgerechte Teilhabe an Entscheidungsprozessen<br />
nützt wahrscheinlich den Beschäftigten auf<br />
allen Ebenen einer Organisation.<br />
3. Es nützt der <strong>Gesundheit</strong>, wenn man die Arbeitsverfahren<br />
überdenkt und damit den Arbeitnehmern<br />
die Möglichkeit bietet, selbstbestimmter zu arbeiten,<br />
die Arbeit abwechslungsreicher zu gestalten<br />
und mit den Aufgaben zu wachsen.<br />
4. Arbeit, die keine angemessene Anerkennung, d.h.<br />
weder Geld noch Selbstachtung oder Ansehen<br />
einbringt, schadet der <strong>Gesundheit</strong>.<br />
5. Arbeitsplätze müssen ergonomisch richtig eingerichtet<br />
sein und einen vernünftigen Arbeitsablauf<br />
ermöglichen. Nur so lassen sich zahlreiche Störungen<br />
der Skelettmuskulatur verhindern.<br />
17
6<br />
ARBEITSLOSIGKEIT<br />
Wenn man sicher sein kann, seinen Arbeitsplatz<br />
zu behalten, ist man gesünder, man<br />
fühlt sich wohler und ist mit seiner Arbeit<br />
zufriedener<br />
Die Beweislage<br />
Arbeitslosigkeit gefährdet die <strong>Gesundheit</strong>. In Gegenden<br />
mit hoher Arbeitslosigkeit ist auch die <strong>Gesundheit</strong><br />
der Bevölkerung stärker gefährdet. Aus mehreren<br />
Ländern weiß man, daß Arbeitslose und ihre Familien<br />
ein erheblich höheres Risiko laufen, vorzeitig zu<br />
sterben, auch wenn man den Einfluß anderer Faktoren<br />
berücksichtigt. Arbeitslosigkeit beeinträchtigt die<br />
<strong>Gesundheit</strong>, weil sie psychologische Folgen hat, aber<br />
auch finanzielle Probleme, vor allem Verschuldung,<br />
nach sich zieht.<br />
Die Wirkungen sind bereits spürbar, bevor die Menschen<br />
tatsächlich arbeitslos werden. Sie brauchen nur<br />
das Gefühl zu haben, daß ihr Arbeitsplatz nicht mehr<br />
gesichert ist, was zeigt, daß auch Angst vor Unsicherheit<br />
gesundheitsschädlich ist. Hat man Angst, den<br />
Arbeitsplatz zu verlieren, so wirkt sich das auf den<br />
psychischen <strong>Gesundheit</strong>szustand aus (typisch sind<br />
Angst und Depressionen). Man fühlt sich krank,<br />
Herzkrankheiten sind häufiger, die Risikofaktoren für<br />
diese Krankheiten mehren sich. Da aber ein unbefriedigender<br />
oder unsicherer Arbeitsplatz ebenso gesundheitsschädlich<br />
sein kann wie tatsächliche Arbeitslosigkeit,<br />
reicht die Tatsache, daß man überhaupt Arbeit<br />
hat, noch keineswegs aus, um die physische oder<br />
psychische <strong>Gesundheit</strong> zu schützen. Wichtig ist die<br />
Qualität der Arbeit.<br />
In den 1990er Jahren änderten sich die volkswirtschaftlichen<br />
Bedingungen und die Verhältnisse auf<br />
dem Arbeitsmarkt der Industrieländer, was unter den<br />
Arbeitnehmern das Gefühl der Arbeitsplatzunsicherheit<br />
verstärkte. Wenn dieses Gefühl anhält,<br />
wird es zum chronischen Streßfaktor, dessen Auswirkungen<br />
um so stärker spürbar werden, je länger die<br />
Menschen ihm ausgesetzt sind. Krankheitsbedingte<br />
Fehlzeiten nehmen zu, die Leistungen des <strong>Gesundheit</strong>swesens<br />
werden stärker in Anspruch genommen.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Von politischer Seite sollte man drei Ziele verfolgen:<br />
• Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit<br />
müssen verhindert werden.<br />
• Die Arbeitslosen dürfen in keine Notlage geraten.<br />
• Die Menschen müssen wieder einen sicheren<br />
Arbeitsplatz finden.<br />
Durch einen staatlich gesteuerten Konjunkturausgleich<br />
kann man entscheidend zur Sicherung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen<br />
und zum Abbau <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit beitragen.<br />
Eine Begrenzung der Arbeitszeit ist u.U. ebenfalls<br />
BEALE, N. & NETHERCOTT, S.<br />
Job-loss and family morbidity:<br />
a study of a factory closure.<br />
Journal of the Royal College<br />
of General Practitioners, 35:<br />
510–514 (1985).<br />
BETHUNE, A. Unemployment<br />
and mortality. In: Drever, F. &<br />
Whitehead, M., ed. Health<br />
inequalities. London, H.M.<br />
Stationery Office, 1997.<br />
BURCHELL, B. The effects of<br />
labour market position, job<br />
insecurity, and unemployment<br />
on psychological health. In:<br />
Gallie, D. et al., ed. Social<br />
change and the experience of<br />
unemployment. Oxford,<br />
Oxford University Press, 1994,<br />
pp. 188–212.<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
FERRIE, J. ET AL., ED. Labour<br />
market changes and job<br />
insecurity: a challenge for<br />
social welfare and health<br />
promotion. Copenhagen,<br />
<strong>WHO</strong> Regional Office for<br />
<strong>Europe</strong> (in press) (<strong>WHO</strong><br />
Regional Publications,<br />
<strong>Europe</strong>an Series, No. 81).<br />
IVERSEN, L. ET AL.<br />
Unemployment and mortality<br />
in Denmark. British medical<br />
journal, 295: 879–884<br />
(1987).<br />
18
nützlich, wenn dabei die Arbeitsplatzsicherung und –<br />
zufriedenheit nicht außer acht gelassen werden.<br />
Wichtig sind ein hohes Ausbildungsniveau und gute<br />
Umschulungsmöglichkeiten, damit die Qualifikationen<br />
der Arbeitnehmer dem Arbeitsstellenangebot entsprechen.<br />
Wahrscheinlich ist die <strong>Gesundheit</strong> <strong>von</strong> Arbeitnehmern,<br />
die ihren Arbeitsplatz verloren haben, besser<br />
geschützt, wenn die Arbeitslosenunterstützung einen<br />
höheren Prozentsatz ihres Arbeitseinkommens ausmacht.<br />
Außerdem könnten Kreditgenossenschaften<br />
eine sinnvolle Funktion erfüllen, da sie Verschuldung<br />
verhindern und den sozialen Zusammenhalt stärken<br />
können.<br />
Foto: Reuter, Polfoto<br />
Arbeitslose und ihre Familien laufen ein sehr viel höheres Risiko, vorzeitig zu sterben.<br />
19
7<br />
SOZIALE UNTERSTÜTZUNG<br />
Freundschaften, gute zwischenmenschliche<br />
Beziehungen und ein starkes stützendes<br />
soziales Netz verbessern die <strong>Gesundheit</strong> zu<br />
Hause, am Arbeitsplatz und in der Gemeinschaft.<br />
Die Beweislage<br />
<strong>Soziale</strong> Unterstützung und gute zwischenmenschliche<br />
Beziehungen sind wichtig für die <strong>Gesundheit</strong>. <strong>Soziale</strong><br />
Unterstützung gibt den Menschen den emotionalen<br />
und praktischen Rückhalt, den sie brauchen. Wenn man<br />
in ein soziales Netz aus Verständnis und gegenseitiger<br />
Foto: Fotokhronika, Polfoto<br />
Man fühlt sich umsorgt, wenn man in ein soziales Beziehungsnetz eingebunden ist.<br />
20
Verpflichtung eingebunden ist, hat man das Gefühl,<br />
umsorgt, geliebt, geachtet und geschätzt zu werden.<br />
Das ist ein starker Schutzfaktor für die <strong>Gesundheit</strong>.<br />
Unterstützung läuft über die individuelle wie über die<br />
gesellschaftliche Schiene. <strong>Soziale</strong> Vereinsamung und<br />
Ausgrenzung führen dazu, daß die Menschen eher<br />
sterben und z.B. nach einem Herzanfall geringere<br />
Überlebenschancen haben. Wenn man <strong>von</strong> der Gemeinschaft<br />
emotional nicht genügend getragen wird,<br />
wird man sich wahrscheinlich weniger wohl fühlen,<br />
häufiger unter Depressionen leiden und chronische<br />
Krankheiten als stärker behindernd empfinden. Frauen<br />
laufen zudem stärker Gefahr, Schwangerschaftskomplikationen<br />
zu erleben. Enge zwischenmenschliche<br />
Beziehungen, die nicht funktionieren, können die<br />
<strong>Gesundheit</strong> der Menschen psychisch und körperlich<br />
beeinträchtigen.<br />
Wieweit man sich emotionaler und praktischer sozialer<br />
Unterstützung erfreuen kann, hängt vom sozialen und<br />
BERKMAN, L.F. & SYME, S.L.<br />
Social networks, host<br />
resistance and mortality: a<br />
nine year follow-up of<br />
Alameda County residents.<br />
American journal of<br />
epidemiology, 109: 186–204<br />
(1979).<br />
KAPLAN, G.A. ET AL. Social<br />
connections and mortality<br />
from all causes and from<br />
cardiovascular disease:<br />
prospective evidence from<br />
eastern Finland. American<br />
journal of epidemiology, 128:<br />
370–380 (1988).<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
KAWACHI, I. ET AL. A<br />
prospective study of social<br />
networks in relation to total<br />
mortality and cardiovascular<br />
disease in men in the USA.<br />
Journal of epidemiology and<br />
community health, 50(3):<br />
245–251 (1996).<br />
OXMAN, T.E. ET AL. Social<br />
support and depressive<br />
symptoms in the elderly.<br />
American journal of<br />
epidemiology, 135: 356–368<br />
(1992).<br />
wirtschaftlichen Status des einzelnen ab. Armut kann zu<br />
sozialer Ausgrenzung und Vereinsamung beitragen.<br />
Der soziale Zusammenhalt, die Tatsache, daß man<br />
einander in der engeren Gemeinschaft und in der<br />
Gesellschaft im breiteren Sinne vertraut und achtet,<br />
bildet einen Schutzwall um die Menschen und ihre<br />
<strong>Gesundheit</strong>. In Gesellschaften mit krassen Einkommensunterschieden<br />
ist der soziale Zusammenhalt häufig<br />
weniger ausgeprägt, die Gewaltkriminalität ist stärker<br />
verbreitet, und die Sterbeziffern sind überhöht. In der<br />
Untersuchung einer Gemeinde mit starkem sozialen<br />
Zusammenhalt zeigte sich, daß koronare Herzerkrankungen<br />
dort nicht sehr häufig vorkamen, daß die<br />
Krankheitsrate jedoch anstieg, als der soziale Zusammenhalt<br />
der Gemeinschaft zerfiel.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Versuchsstudien deuten darauf hin, daß gute soziale<br />
Beziehungen die körperliche Reaktion auf Streßsituationen<br />
mildern können. Interventionen in Risikogruppen<br />
haben gezeigt, daß soziale Unterstützung den Zustand<br />
<strong>von</strong> Herzanfallpatienten und die Überlebensdauer bei<br />
einigen Krebsformen verbessern kann und daß die<br />
Schwangerschaft bei sozial schwachen Frauen dadurch<br />
besser verläuft.<br />
Wenn man sich um einen besseren Einkommensausgleich<br />
bemüht und gegen soziale Ausgrenzung angeht,<br />
kann dies im Gemeinwesen einen verstärkten sozialen<br />
Zusammenhalt bewirken und dazu führen, daß die<br />
Bevölkerung gesünder wird. Wenn man das soziale<br />
Umfeld in Schulen, am Arbeitsplatz und in der Gemeinschaft<br />
allgemein verbessert, trägt das dazu bei, daß sich<br />
die Menschen in mehr Bereichen ihres Lebens geschätzt<br />
und unterstützt fühlen, was wiederum ihrer <strong>Gesundheit</strong>,<br />
vor allem der psychischen, zuträglich ist. Auf allen<br />
Gebieten des persönlichen und öffentlichen Lebens<br />
sollte man vermeiden, daß sich die Menschen als sozial<br />
unterlegen empfinden oder meinen, sie seien weniger<br />
wert als andere; denn das spaltet die Gemeinschaft.<br />
21
8<br />
SUCHT<br />
Die Menschen flüchten sich in Alkohol,<br />
Drogen und Tabak und leiden unter den<br />
Folgen dieses Konsums, der jedoch durch<br />
das soziale Milieu im breiteren Sinne bestimmt<br />
wird.<br />
Die Beweislage<br />
Der Drogengebrauch ist eine Reaktion auf den Zusammenbruch<br />
des sozialen Gefüges und trägt zugleich<br />
entscheidend dazu bei, die dadurch bewirkten gesundheitlichen<br />
Ungleichheiten weiter zu verstärken. Er<br />
Foto: Teit Hornbak, Polfoto<br />
Die Menschen flüchten sich in Alkohol, Drogen und Tabak, um die durch die harte wirtschaftliche und soziale Wirklichkeitt bewirkte Not zu übertäuben.<br />
22
eröffnet einen scheinbaren Fluchtweg aus schwierigen<br />
Lebenslagen und Streßsituationen, verschlimmert die<br />
Probleme jedoch nur.<br />
Alkoholabhängigkeit, illegaler Drogengebrauch und<br />
Rauchen sind alle eng mit den Kennzeichen sozialer<br />
und wirtschaftlicher Benachteiligung verbunden. In<br />
der Russischen Föderation brachte das vergangene<br />
Jahrzehnt beispielsweise tiefgreifende soziale Umwälzungen.<br />
Die auf den Alkoholkonsum zurückgehenden,<br />
durch Unfälle, Gewalt, Vergiftungen, Verletzungen<br />
und Selbstmord bewirkten Sterbefälle schnellten in die<br />
Höhe. Doch auch in anderen Ländern besteht ein<br />
Zusammenhang zwischen Alkoholabhängigkeit und<br />
Sterbefällen durch äußere Einwirkung.<br />
Dabei läuft die Kausalkette wahrscheinlich in beide<br />
Richtungen. Mit Alkohol versuchen die Menschen, das<br />
Leiden an belastenden wirtschaftlichen und sozialen<br />
Verhältnissen zu betäuben. Andererseits führt die<br />
Alkoholabhängigkeit zum sozialen Abstieg. Der<br />
Alkohol erlaubt eine zeitweilige Wirklichkeitsflucht,<br />
verstärkt jedoch ironischerweise letztlich die Faktoren,<br />
die zunächst den Griff zur Flasche ausgelöst haben.<br />
Das gleiche gilt für den Tabak. <strong>Soziale</strong> Benachteiligung,<br />
und zwar nach allen Indikatoren, wie z.B.<br />
schlechte Wohnverhältnisse, niedriges Einkommen,<br />
Alleinerziehende, Arbeitslosigkeit oder Obdachlosigkeit,<br />
zeigen einen starken Zusammenhang mit dem<br />
Rauchen, das nur in sehr wenigen Fällen aufgegeben<br />
wird. Das Rauchen ist eine ungeheure finanzielle<br />
Belastung für Arme und eine sehr starke Ursache für<br />
Krankheit und Frühsterblichkeit. Dabei gewährt<br />
Nikotin keine wirkliche Streßentlastung und hebt auch<br />
keineswegs die Stimmung.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
In der Drogenarbeit muß man zwar die Menschen, die<br />
zu Süchtigen geworden sind, unterstützen und behandeln,<br />
doch das allein reicht nicht aus. Zugleich muß<br />
man nämlich die soziale Benachteiligung an der<br />
Wurzel angehen. Beispielsweise muß die Verfügbarkeit<br />
der Wirkstoffe durch die Preis- und Lizenzpolitik<br />
gesteuert werden. Den Menschen muß gesagt werden,<br />
wie sie damit weniger gesundheitsschädlich<br />
umgehen können. Durch <strong>Gesundheit</strong>serziehung kann<br />
man versuchen, junge Menschen vom Gebrauch<br />
dieser Substanzen abzuhalten, und für Süchtige<br />
braucht man wirksame Behandlungsangebote.<br />
Erfolg ist diesen Maßnahmen allerdings nur dann<br />
beschieden, wenn man auch die dem Substanzengebrauch<br />
zugrunde liegenden sozialen Faktoren zu<br />
ändern versucht. Wenn man die gesamte Verantwortung<br />
auf den einzelnen Menschen abwälzt, greift die<br />
Politik eindeutig zu kurz. Damit schiebt man nur dem<br />
Opfer die Schuld zu, statt sich auf die Komplexität der<br />
sozialen Umstände einzulassen, die zum Substanzengebrauch<br />
führen. Eine wirksame Politik auf diesem<br />
Gebiet muß deshalb durch den breiten Rahmen der<br />
Sozial- und Wirtschaftspolitik abgestützt werden.<br />
MAKELA, P. ET AL.<br />
Contribution of deaths related<br />
to alcohol use of<br />
socioeconomic variation in<br />
mortality: register based<br />
follow up study. British<br />
medical journal, 315 : 211–<br />
216 (1997).<br />
MARKOV, K.V. ET AL.<br />
Incidence of alcohol drinking<br />
and the structure of causes of<br />
death in men 40-54 years of<br />
age. Sovetskoe<br />
Zdravookhranenie, 4: 8–15<br />
(1990).<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
MARSH, A. & MCKAY, S. Poor<br />
smokers. London, Policy<br />
Studies Institute, 1994.<br />
MELTZER, H. ET AL. Economic<br />
activity and social functioning<br />
of adults with psychiatric<br />
disorders. London, H.M.<br />
Stationery Office, 1996 (OPCS<br />
Surveys of Psychiatric<br />
Morbidity in Great Britain,<br />
Report 3).<br />
RYAN, M. Alcoholism and<br />
rising mortality in the Russian<br />
Federation. British medical<br />
journal, 310: 646–648 (1995).<br />
23
9<br />
LEBENSMITTEL<br />
Gesunde Nahrungsmittel sind ein Politikum.<br />
Die Beweislage<br />
Eine gute Ernährung und eine bedarfsgerechte<br />
Lebensmittelversorgung sind entscheidend für die<br />
Förderung <strong>von</strong> <strong>Gesundheit</strong> und Wohlbefinden. Lebensmittelknappheit<br />
und fehlende Abwechslung<br />
verursachen Fehlernährung und Mangelkrankheiten.<br />
Zu viel Essen (auch eine Form der Fehlernährung) trägt<br />
zur Entstehung <strong>von</strong> Herz-Kreislaufkrankheiten, <strong>von</strong><br />
Diabetes, Krebs, degenerativen Augenerkrankungen,<br />
Fettleibigkeit und Karies bei. Lebensmittelknappheit<br />
und Lebensmittelüberfluß schließen sich dabei keineswegs<br />
aus. Für die <strong>Gesundheit</strong> der Bevölkerung entscheidend<br />
ist, daß gesundes, nahrhaftes Essen erhältlich<br />
und erschwinglich ist. Was die Menschen essen,<br />
hängt weniger <strong>von</strong> gesundheitlicher Aufklärung als<br />
vielmehr da<strong>von</strong> ab, was gesunde Lebensmittel kosten<br />
und wie zugänglich sie sind.<br />
<strong>Soziale</strong> und wirtschaftliche Verhältnisse bewirken ein<br />
sozial bedingtes Ernährungsgefälle, das zu gesundheitlichen<br />
Ungleichheiten beiträgt. Der Hauptunterschied in<br />
der Ernährung der verschiedenen Sozialschichten liegt<br />
in der Herkunft der Nährstoffe. Die Armen ersetzen<br />
WICHTIGE LITERATUR<br />
AVERY, N. ET AL. Cracking<br />
the Codex. An analysis of<br />
who sets world food<br />
standards. London, National<br />
Food Alliance, 1993.<br />
COMMITTEE ON MEDICAL<br />
ASPECTS OF FOOD POLICY.<br />
Nutritional aspects of<br />
cardiovascular disease.<br />
London, H.M. Stationery<br />
Office, 1994.<br />
Die Industrialisierung brachte epidemiologisch gesehen<br />
den Übergang <strong>von</strong> den Infektionskrankheiten zu<br />
chronischen Erkrankungen, vor allem Herzkrankheiten,<br />
Schlaganfall und Krebs. Dies ging auch mit einer<br />
Ernährungsumstellung einher. Die Menschen aßen<br />
jetzt zu viel energiereiche Fette und Zucker, was<br />
verstärkt zu Übergewicht führte. Zugleich wurde<br />
Fettleibigkeit unter den Armen üblicher als unter den<br />
Reichen.<br />
Der Welthandel mit Nahrungsmitteln hat sich mittlerweile<br />
zum großen Geschäft entwickelt. Das Allgemeine<br />
Tarif- und Handelsabkommen und die Gemeinsame<br />
Landwirtschaftspolitik der Europäischen Union erlauben<br />
es den globalen Kräften des Marktes, die<br />
Lebensmittelversorgung zu steuern. In internationalen<br />
Gremien wie der Codex-Alimentarius-Kommission, die<br />
über die Lebensmittelqualität entscheiden und<br />
Sicherheitsnormen festlegen, fehlen die Anwälte<br />
gesundheitlicher Interessen, während die<br />
Lebensmittelindustrie stark vertreten ist.<br />
Diet, nutrition, and the<br />
prevention of chronic<br />
diseases. Geneva, <strong>World</strong><br />
Health Organization, 1990<br />
(<strong>WHO</strong> Technical Report<br />
Series, No. 797).<br />
STALLONE, D.D. ET AL.<br />
Dietary assessment in<br />
Whitehall II: the influence of<br />
reporting bias on apparent<br />
socioeconomic variation in<br />
nutrient intake. <strong>Europe</strong>an<br />
journal of clinical nutrition,<br />
51: 815–825 (1997).<br />
WORLD CANCER<br />
RESEARCH FUND. Food,<br />
nutrition and the prevention<br />
of cancer: a global<br />
perspective. Washington,<br />
DC, American Institute for<br />
Cancer Research, 1997.<br />
Foto: Dr. Aileen Robertson, <strong>WHO</strong><br />
Man sollte essen, was aus der Gegend sta<br />
24
frische Lebensmittel durch billigere verarbeitete<br />
Produkte. Eine hohe Fettzufuhr ist allerdings in allen<br />
Sozialschichten häufig anzutreffen. Die niedrigen<br />
Einkommensschichten, zu denen junge Familien,<br />
ältere Menschen und Arbeitslose zählen, können sich<br />
gesundes Essen allerdings am wenigsten leisten.<br />
Ernährungsziele zur Verhütung chronischer Krankheiten<br />
betonen vor allem den Verzehr <strong>von</strong> mehr Frischgemüse,<br />
Obst und Hülsenfrüchten und <strong>von</strong> weniger verarbeiteten<br />
stärkehaltigen Lebensmitteln. Empfohlen wird, den<br />
Verzehr <strong>von</strong> tierischen Fetten, raffiniertem Zucker und<br />
Salz zu begrenzen. Diese Ernährungsziele sind das<br />
Arbeitsergebnis <strong>von</strong> über hundert Expertenausschüssen.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Kommunale Behörden, Nationalregierungen und internationale<br />
Organisationen sollten gemeinsam mit nichtstaatlichen<br />
Organisationen und der Lebensmittelindustrie<br />
sicherstellen, daß:<br />
mmt.<br />
1. allen Menschen, unabhängig <strong>von</strong> ihrer wirtschaftlichen<br />
Lage, qualitativ hochwertige, frische Lebensmittel<br />
zur Verfügung stehen;<br />
2. daß alle die Lebensmittelgesetze betreffenden Entscheidungen<br />
unter Mitsprache aller Interessengruppen,<br />
darunter auch der Verbraucher, demokratisch<br />
getroffen werden und die Verantwortlichen rechenschaftspflichtig<br />
machen;<br />
3. nachhaltige Landwirtschafts- und Lebensmittelproduktionsmethoden<br />
subventioniert werden, die<br />
dem Schutz der Naturressourcen und der Erhaltung<br />
der Umwelt dienen;<br />
4. vor Ort produzierte Lebensmittel nicht durch<br />
Welthandelsprodukte verdrängt werden;<br />
5. die Menschen lernen, gesundheitsbewußter zu essen,<br />
daß sie mehr über gesunde Nahrungsmittel und<br />
gesunde Ernährung sowie über die richtige Zubereitung<br />
des Essens erfahren und daß sie begreifen,<br />
welche soziale Funktion die Essenszubereitung und<br />
gemeinsame Mahlzeiten haben;<br />
6. die Menschen brauchbare Informationen über Lebensmittel,<br />
Kost und <strong>Gesundheit</strong> erhalten können, und<br />
7. für die Aufstellung und Umsetzung einer Ernährungspolitik<br />
wissenschaftlich fundierte Nährstoffreferenzwerte<br />
sowie Ernährungsleitlinien für konkrete Lebensmittel<br />
genutzt werden.<br />
25
10<br />
VERKEHR<br />
<strong>Gesundheit</strong>sverträglicher Verkehr heißt, daß<br />
man weniger Auto fährt, mehr geht und<br />
häufiger das Fahrrad nimmt und daß bessere<br />
öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Die Beweislage<br />
Fahrradfahren, Laufen und öffentliche Verkehrsmittel<br />
dienen der <strong>Gesundheit</strong> vierfach. Man verschafft sich<br />
Bewegung, es passieren weniger tödliche Unfälle, man<br />
stärkt die sozialen Kontakte und verringert die Luftverschmutzung.<br />
Am Arbeitsplatz und im Haushalt verdanken wir der<br />
modernen Technik viele Erleichterungen, zugleich aber<br />
brauchen wir uns auch nicht mehr so viel zu bewegen.<br />
Deshalb müssen wir uns heute anderweitig Bewegung<br />
verschaffen. Wir können öfter mal das Auto stehen<br />
lassen, mehr laufen und Fahrrad fahren und häufiger<br />
die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Regelmäßige<br />
Bewegung schützt vor Herzkrankheiten, begrenzt<br />
das Problem des Übergewichts und verringert damit<br />
die Diabetesgefahr. Sie fördert das Wohlbefinden und<br />
schützt ältere Menschen vor Depressionen.<br />
Weniger Straßenverkehr würde bedeuten, daß es auch<br />
weniger Verkehrstote und weniger schwere Unfälle<br />
gäbe. Durch Autounfälle werden auch Fahrradfahrer<br />
und Fußgänger verletzt, <strong>von</strong> Fahrradunfällen sind<br />
dagegen relativ wenige Menschen betroffen. Eine gut<br />
geplante städtische Umwelt, die Fahrradfahrer und<br />
Fußgänger vom Autoverkehr trennt, macht Radfahren<br />
und Gehen sicherer.<br />
Wenn häufiger gehen, das Fahrrad oder die öffentlichen<br />
Verkehrsmittel nehmen würde, käme es auch<br />
wieder mehr zu zwischenmenschlichen Begegnungen.<br />
Das Auto hat die Menschen dagegen <strong>von</strong> einander<br />
abgeschnitten. Der Straßenverkehr trennt Gemeinden<br />
und macht es schwer, <strong>von</strong> einer Straßenseite auf die<br />
andere zu kommen. Weniger Fußgänger bedeuten,<br />
daß die Straßen ihre Funktion als sozialer Raum<br />
einbüßen, so daß die vereinzelten Fußgänger oft<br />
Überfälle fürchten. Vororte, die nur mit dem Auto zu<br />
erreichen sind, grenzen Menschen, die kein Auto<br />
haben, aus, d.h. also vor allem die Jungen und die<br />
Alten. <strong>Soziale</strong> Vereinsamung und fehlendes Gemeinschaftsgefühl<br />
aber sind stark mitverantwortlich dafür,<br />
daß die Menschen krank werden.<br />
Weniger Straßenverkehr bedeutet, daß die Verschmutzung<br />
durch Autoabgase zurückgeht. Beim Laufen und<br />
Fahrradfahren verbraucht meine keine nicht erneuerbare<br />
Energie und trägt nicht zum Treibhauseffekt bei.<br />
Sie bewirken keine krank machende Luftverschmutzung,<br />
machen nur wenig Lärm und sind die bevorzugte<br />
Form der Fortbewegung in den ökologischen<br />
Ballungszentren der Zukunft. Vor Ort produzierte<br />
Fahrräder hinterlassen im Gegensatz zu Autos eine<br />
gute „ökologische Reifenspur“.<br />
Was die Politik tun kann und muß<br />
Auto fahren schadet der <strong>Gesundheit</strong>, dennoch nimmt<br />
die Zahl der Autos in allen europäischen Ländern rasch<br />
zu. Dagegen gehen die Leute immer weniger zu Fuß<br />
oder nehmen das Fahrrad. Hier hat die Politik auf<br />
kommunaler und nationaler Ebene die Aufgabe, eine<br />
Trendumkehr zu bewirken. Dabei muß sie sich mit den<br />
starken Interessen der Verkehrslobby auseinandersetzen.<br />
Vielen Industriezweigen – Öl, Gummi, Straßenbau,<br />
Autoherstellern, Autoverkäufern und –<br />
mechanikern und der Werbung – bringt das Auto<br />
Vorteile. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde der erste<br />
ernsthafte Versuch unternommen, der Tabak-, Alkohol-<br />
und Drogenabhängigkeit entgegenzutreten, im<br />
einundzwanzigsten Jahrhundert muß es nun darum<br />
gehen, die Menschen wieder unabhängiger vom Auto<br />
zu machen.<br />
Auf den Straßen sollten vor allem in den Städten<br />
Fußgänger und Radfahrer auf kurzen Strecken Vorrang<br />
haben. Für längere Strecken sollte das öffentliche<br />
26
Verkehrsnetz besser ausgebaut werden, so daß auch<br />
ländliche Gebiete regelmäßige und häufige Verkehrsanschlüsse<br />
erhalten. Wir brauchen andere Anreize.<br />
Das heißt zum Beispiel, daß der Straßenbau nicht mehr<br />
so stark subventioniert werden darf, daß der öffentliche<br />
Verkehr dagegen stärker subventioniert werden<br />
muß. Firmenwagen dürfen steuerlich nicht mehr so<br />
begünstigt werden, die Parkgebühren müssen steigen,<br />
und „Knöllchen“ müssen teurer werden. Auch bei der<br />
Raumordnung muß man umdenken lernen, z.B.<br />
müssen Straßenflächen zu Grünflächen werden,<br />
Parkplätze müssen verschwinden, und die Straßen<br />
müssen in erster Linie für Fußgänger und Radfahrer da<br />
sein, was heißt, daß man breitere Fahrradwege<br />
braucht und die Busse ihre eigene Fahrbahn erhalten<br />
müssen. Die flächenintensiven Vororte dürfen nicht<br />
mehr weiter wachsen, und es dürfen keine Supermärkte<br />
auf der grünen Wiese mehr gebaut werden,<br />
die wieder nur mit dem Auto zu erreichen sind. Immer<br />
mehr verdichten sich die Hinweise darauf, daß der<br />
Autoverkehr zunimmt, wenn mehr Straßen gebaut<br />
werden, während Verkehrsbegrenzungen, ganz<br />
entgegen allen Erwartungen, Staus verhindern helfen.<br />
KEY SOURCES<br />
Foto: Finn Frandsen, Polfoto<br />
Auf den Straßen sollten Fahrradfahrer Vorrang haben.<br />
DAVIES, A. Road transport<br />
and health. London, British<br />
Medical Association, 1997.<br />
ELKIN, T. ET AL. Reviving the<br />
city: towards sustainable<br />
urban development. London,<br />
Friends of the Earth, 1991.<br />
On the state of health in the<br />
<strong>Europe</strong>an Union. Brussels,<br />
Commission of the <strong>Europe</strong>an<br />
Communities, 1996.<br />
PRICE, C. & TSOUROS, A., ed.<br />
Our cities, our future. Policies<br />
and action plans for health<br />
and sustainable development.<br />
Copenhagen, <strong>WHO</strong> Regional<br />
Office for <strong>Europe</strong>, 1996<br />
(document).<br />
Traffic impact of highway<br />
capacity reductions. Summary<br />
report. London, MVA and<br />
ESRC Transport Studies Unit,<br />
University College, University<br />
of London, 1998.<br />
27
Das <strong>WHO</strong> Regionalbüro für<br />
Europa<br />
Die Weltgesundheitsorganisation<br />
(<strong>WHO</strong>) ist eine 148<br />
gegründete Sonderorganisation<br />
der Vereinten Nationen, die sich<br />
in erster Linie mit internationalen<br />
<strong>Gesundheit</strong>sfragen under der<br />
öffentlichen <strong>Gesundheit</strong> befaßt.<br />
Das <strong>WHO</strong>-Regionalbüro für<br />
<strong>Europe</strong>a ist eines <strong>von</strong> sechs<br />
Regionalbüros, die überall in der<br />
Welt eigene, auf die <strong>Gesundheit</strong>sbedürfnisse<br />
ihrer Mitgliedsländer<br />
abgestimmte Programme<br />
duchführen.<br />
Mitgliedstaaten<br />
Zentrum für <strong>Gesundheit</strong> in Städten<br />
Weltgesundheitsorganisation<br />
Regionalbüro für Europa<br />
Scherfigsvej 8,<br />
DK-2100 Kopenhagen Ø,<br />
Dänemark<br />
Telefon +45 39 17 12 24<br />
http://www.who.dk/healthy-cities/<br />
Albanien,<br />
Andorra,<br />
Armenien,<br />
Aserbaidschan,<br />
Belgien,<br />
Bosnien-Herzegowina,<br />
Bulgarien,<br />
Dänemark,<br />
Deutschland,<br />
Estland,<br />
Finnland,<br />
Frankreich,<br />
Georgien,<br />
Griechenland,<br />
Irland,<br />
Island,<br />
Israel,<br />
Italien,<br />
Jugoslawien,<br />
Kasachstan,<br />
Kirgisistan,<br />
Kroatien,<br />
Lettland,<br />
Latvia,<br />
Litauen,<br />
Luxemburg,<br />
Malta,<br />
Die ehemalige jugoslawische<br />
Republik Mazedonien,<br />
Monaco,<br />
Niederlande,<br />
Norwegen,<br />
Österreich<br />
Polen,<br />
Portugal,<br />
Republik Moldau,<br />
Rumänien,<br />
Russische Föderation,<br />
San Marino,<br />
Schweden,<br />
Schweiz,<br />
Slowakei,<br />
Slowenien,<br />
Spanien,<br />
Tadschikistan,<br />
Tschechische Republik,<br />
Türkei,<br />
Turkmenistan,<br />
Ukraine,<br />
Ungarn,<br />
Usbekistan,<br />
Vereinigtes Königreich,<br />
Weißrußland