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Galerien<br />

Efraim Habermann<br />

«Berlin und auch<br />

Wilmersdorf«<br />

In dem Film »Hitchcock« von 2012,<br />

in dem es um die Entstehung des Psychothrillers<br />

»Psycho« geht, sagt Alfred<br />

Hitchcock alias Sir Anthony Hopkins<br />

über sich selbst: »Ich bin nur der<br />

Mann in der Ecke mit der Kamera, der<br />

zusieht«.<br />

Der Mann, den ich Ihnen heute vorstellen<br />

will, ist kein Regisseur, sondern<br />

ein Fotograf, der seit fast einem halben<br />

Jahrhundert mit der Fotokamera zusieht:<br />

einem Berlin, wie es keiner kennt, Venedig,<br />

wenn die Gondeln Trauer tragen,<br />

oder Jerusalem, wenn die Sonne ihre<br />

gleißenden Strahlen auf die Holocaust-<br />

Gedenkstätte Yad Vashem wirft. Am 19.<br />

Juni 1933 in Berlin geboren, floh Efraim<br />

Habermann wegen seiner jüdischen<br />

Abstammung 1939 mit seinen Eltern<br />

über Triest nach Palästina und lebte<br />

dann in Jerusalem. 1957 kehrte er an<br />

die Spree zurück, seit ca. 1970 wohnt<br />

er im Ortsteil Wilmersdorf, der zu seiner<br />

zweiten Heimat wurde. Zunächst war<br />

er bei Berliner Senatsbehörden als graphisch-technischer<br />

Zeichner tätig und<br />

fand dann den Weg zur Fotografie, für<br />

die er sich schon immer interessiert hat:<br />

Ende der sechziger Jahre war er einer der<br />

Ersten im Westen der Spree-Metropole,<br />

der Kunstfotografien an Tageszeitungen<br />

verkaufte. Seine Arbeiten erschienen in<br />

Tageszeitungen, Fachzeitschriften und<br />

Büchern, einige befinden sich in privatem<br />

wie öffentlichem Besitz. Auch Ausstellungen<br />

haben sein Schaffen gewürdigt,<br />

so 1975 im Jüdischen Gemeindehaus<br />

an der Fasanenstraße, 1976 in Paris<br />

im Maison de la France, 1983 in der<br />

Berliner Neuen Nationalgalerie oder<br />

2011/2012 hier in der Kommunalen<br />

Galerie.<br />

Die knapp 50 Fotografien, die Sie<br />

heute erleben, waren bis jetzt noch<br />

nicht öffentlich zu sehen. Sie entstanden<br />

1982, als das Kunstamt Wilmersdorf<br />

Efraim Habermann los schickte,<br />

© Efraim Habermann, » Fahrrad vor der Neuen<br />

Nationalgalerie«, Berlin<br />

(Anm. der Redaktion: Mit diesem Fahrrad<br />

unternahm der Fotograf seine Fototouren durch<br />

Berlin)<br />

um den Bezirk zu fotografieren. Doch<br />

heraus kamen keine touristenfreundlichen<br />

oder dokumentarisch exakten<br />

Fotos von markanten Orten und Architekturen,<br />

keine um Glamour und Effekt<br />

bemühten Bilder von einer Stadt, die<br />

mit etwa zwei Millionen Einwohnern<br />

bis 1989 eine Insel für politische Utopisten,<br />

Wehrdienstverweigerer, Glücksritter,<br />

gesellschaftliche Losers und Outsiders<br />

inmitten eines feindlich gesonnen<br />

Landes war, das aber die gleiche Sprache<br />

sprach. Den Fall der Mauer hielt<br />

damals noch kaum einer für möglich.<br />

Habermann suchte nicht nach Motiven,<br />

er fand sie - auf den Straßen von Wilmersdorf,<br />

das damals knapp 140.000<br />

Einwohner hatte und 2001 mit den Ortsteilen<br />

Halensee, Schmargendorf und<br />

Grunewald zum Bezirk Charlottenburg-<br />

Wilmersdorf fusionierte. Ursprünglich<br />

eine Ansiedlung von Bauern und<br />

Fischern durch die Markgrafen von Brandenburg,<br />

entwickelte sich das Dorf Ende<br />

des 19. Jahrhunderts im wirtschaftlichen<br />

Boom der Gründerzeit zum Wohnort<br />

und zur Sommerfrische für betuchte<br />

Berliner und Stadtflüchtlinge und erhielt<br />

1906 das Stadtrecht. 1920 nach Groß-<br />

Berlin eingemeindet, lebten in Wilmersdorf<br />

auch viele Intellektuelle und Künstler<br />

wie Harry Graf Kessler, Walter Benjamin,<br />

Rilke, Stefan George, Heinrich<br />

Mann, Walter Leistikow oder Max Pechstein;<br />

der Anteil der jüdischen Bewohner<br />

war bis 1933 relativ hoch.<br />

Habermann fotografierte 1982 Wilmersdorf<br />

als eine Art von überzeitlichem<br />

Berlin, das er, der gebürtige Berliner<br />

und Heimkehrer, aus einer ihm eigentümlichen<br />

Distanz beobachtete: einer<br />

Distanz, die weder verurteilt noch glorifiziert,<br />

sondern Vorgefundenes nochmals<br />

neu entdeckt. Es ist ein Berlin, das<br />

aber auch nur hier, in Berlin, stattfinden<br />

kann. So gibt es auf seinen Bildern<br />

die berlintypischen maroden Mauern,<br />

auf denen er in einer leeren Kartusche<br />

neben den Graffitis ironisch seine Signatur<br />

setzt, oder die er zur Sehdiagonalen<br />

einer Aufnahme macht, die in einem<br />

der damals für Wilmersdorf noch charakteristischen<br />

Hinterhöfe mit Kleingewerbe<br />

mündet – heute sind sie weitgehend<br />

wegsaniert. Es gibt bei Habermann<br />

die prunkvollen Architekturen des<br />

Viertels wie den neobarocken Palast der<br />

Universität der Künste, dessen einstiger<br />

Glanz mittels der Kamera durch Licht-<br />

Schatten-Wirkungen zum Mythos wird.<br />

Oder es gibt die verwunschenen Winkel,<br />

wie die unter Schnee begrabene Figur<br />

des Hasen für die Hasensprungbrücke<br />

zwischen Diana- und Königssee<br />

in Grunewald, oder den noch nicht<br />

von Hunden und ihren Herren irritierten<br />

Grunewaldsee, den Habermann in<br />

einem traumvollen Schwarz-Weiß versinken<br />

ließ. Stets treten seine Fotografien<br />

leise auf, auch, wenn der Mensch, meist<br />

als Einzelperson, innerhalb der Historie<br />

der Stadt ins Blickfeld gerät: die junge<br />

Frau, die auf den nackten Bänken eines<br />

Gartenlokals, womöglich ein Vorgänger<br />

des heutigen Parkcafés am Fehrbelliner<br />

Platz, die Sonnenstrahlen genießt, stört<br />

nicht die Idylle, die Licht und Schatten<br />

auf das Holz zaubern.<br />

Eine Habermannsche Spezialität sind<br />

die Brechungen des Motivs in Fenstern<br />

und Verglasungen, war doch sein<br />

erstes wichtiges Foto 1968 die Spiegelung<br />

der Matthäuskirche in den Scheiben<br />

der Neuen Nationalgalerie Berlin.<br />

Vor dem Museum stand sein Fahrrad,<br />

mit dem er seine Streifzüge durch die<br />

Stadt unternahm.<br />

24 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>

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