brennpunkt 3-2013 .indd - edition buehrer
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Galerien<br />
Mal besticht in seinen Aufnahmen die<br />
kühle Funktionalität in Axel Schultes<br />
Krematorium, mal die klinische Reinheit<br />
im Krankenhaus Moabit – Räume<br />
mit zartem Lichteinfall oder überstrahlten<br />
Fenstern. Dann wiederum begegnet<br />
uns das noch heute erhaltene propagandistische<br />
Menschenbild in Form<br />
eines Flachreliefs im Berliner Olympiapark<br />
und schließlich immer wieder auch<br />
pure, schlichte Räume, nach mehreren<br />
Renovierungsschritten zeitlos, ohne<br />
Verortung. Der leere, schmucklose<br />
Raum ist dann nurmehr bloße Hülle.<br />
Der Flughafen Tempelhof wird von<br />
Weider hingegen in überraschenden,<br />
unterschiedlichen Blickwinkeln porträtiert:<br />
Dem Photo der Glasfassade im<br />
Eingangsbereich sieht man keineswegs<br />
die enorme Größe der dahinter liegenden<br />
repräsentativen Halle an und in den<br />
technischen Räumen des Flugzeugbaus<br />
entdeckt man an den Wänden zahlreiche<br />
Schleifspuren oder Staubablagerungen.<br />
Dieses flächige Bild besteht eigentlich<br />
nur aus der rückliegenden Wand,<br />
einem Stück Boden und Decke; eine<br />
raumkonstituierende Ecke existiert hier<br />
nicht. Die Funktionalität des Stahlträgers,<br />
jenseits seiner statischen Bedeutung,<br />
erschließt sich uns nicht mehr, und<br />
das angeschnittene Verkehrsschild am<br />
rechten Bildrand lässt den Ort weder<br />
eindeutig als Außen- oder Innenraum<br />
erscheinen. Weider zwingt uns grundsätzlich<br />
zum genauen Hinschauen und<br />
Nachdenken.<br />
Die völlige Aufhebung früherer Funktionen<br />
fällt schließlich auch beim Bild des<br />
ehemaligen Flughafenhotels ins Auge:<br />
Weider wählt ein einfaches Zimmer und<br />
blickt dort in eine Raumecke mit halbzugezogenem<br />
Fenster. So entsteht auch<br />
hier unweigerlich ein Dualismus zwischen<br />
Innen und Außen, selbst wenn<br />
die freiliegende Fensterhälfte hell überstrahlt<br />
und insofern blind bleibt. Die früheren<br />
Nutzer des Hotelzimmers sind<br />
kaum mehr zu imaginieren. Alle diese<br />
Orte sind aufgegeben, verblasst, vergessen<br />
und haben höchstens in einer radikalen<br />
Umnutzung eine Zukunft. Durch<br />
das Bild wird der Ort dem Vergessen<br />
entrissen, jedoch nur exemplarisch und<br />
nur für einen kurzen Moment.<br />
© Arnd Weider, Flughafenhotel, aus der Serie:<br />
Das Provisorium, Berlin 2011, (O.i.F.)<br />
Der Photograph arbeitet in Serien, und<br />
er arbeitet mit seinen Mittel- und Großformatkameras<br />
formal und inhaltlich auf<br />
sehr hohem Niveau. Es sind auch soziologische<br />
Studien, kritische Bestandsaufnahmen,<br />
die wie jede Photographie<br />
zugegebenermaßen subjektiv bleiben.<br />
Weider untersucht unsere Lebensräume<br />
inklusive ihrer Effizienzkriterien,<br />
dies wird besonders deutlich in der<br />
Sequenz mit dem Titel »Aisthesis«, entstanden<br />
über einen Zeitraum von sechs<br />
Jahren, zwischen 2005 und 2011. Er<br />
zeigt dort Außenräume und Naturelemente,<br />
etwa blickdichte Hausfassaden<br />
und einzeln stehende Bäume. Auch hier<br />
fehlt der Mensch, der die Architektur<br />
gebaut und die Natur domestiziert hat:<br />
Es sind Abwesenheitsnotizen, gemeinhin<br />
Stellvertreter.<br />
Mitunter überrascht, ja verstört die radikale<br />
Leere und Stille der menschenleeren<br />
Räume. Photographieren ist für ihn<br />
ein kontemplativer Moment, ein Verschmelzen<br />
äußerer und innerer Wahrnehmung;<br />
insofern spiegeln seine Aufnahmen<br />
auch eine innere Weltsicht<br />
wieder – und entsprechen vielleicht<br />
einer Art Selbstportrait.<br />
Mit bewusst gewählten Kameraperspektiven<br />
und im Wechselspiel zwischen<br />
Dokumentation und Inszenierung kreiert<br />
Weider diese Räume erst für unsere<br />
Rezeption. Insbesondere mit der Aisthesis-Bildserie<br />
thematisiert er Wahrnehmung,<br />
eine Verbindung sinnlichen und<br />
kognitiven Erfassens. Vor seiner Photographieausbildung<br />
unter anderem an<br />
der Ostkreuzschule studierte er unter<br />
anderem Philosophie – und inzwischen<br />
verbindet er konsequent und intelligent<br />
diese unterschiedlichen Interessensgebiete.<br />
Dem eigentlichen photographischen<br />
Werk vorgeschaltet ist die Suche nach<br />
einem geeigneten Ort sowie die Recherche<br />
und Analyse dieses Ortes als Untersuchungsgegenstand.<br />
Die jüngste Bildserie<br />
entstand in Prora unter dem Titel<br />
»Schichtungen« – noch ein Relikt aus<br />
der NS-Zeit mit ihrer damaligen architektonischen<br />
Großmannssucht. Heute<br />
gleicht dieses völlig überdimensionierte<br />
Ferienlager an der Ostsee, dessen Bau<br />
zu Kriegsbeginn gestoppt und dennoch<br />
später unterschiedlich genutzt wurde,<br />
einer Märchenlandschaft, wie Weider<br />
es nennt. Es sind Häuser, die langsam<br />
zerfallen, eingebettet in einen geradezu<br />
mystischen Wald. So entsteht in seinen<br />
Aufnahmen eine unentwirrbare Melange<br />
aus Vergangenheit und Gegenwart, aus<br />
Wirklichkeit und Illusion, kurzum: die<br />
Verdichtung deutscher Geschichte und<br />
der unterschiedlichen Ideologien der<br />
vergangenen acht Jahrzehnte.<br />
Arnd Weider ist natürlich nicht der erste<br />
Photograph, der sich selbst, ohne Auftrag,<br />
solche gesellschaftlich relevanten<br />
Themen setzt, aber er formuliert es mit<br />
seiner Kamera autonom, ungewöhnlich<br />
und überzeugend.<br />
Matthias Harder<br />
bis 26. Juli <strong>2013</strong><br />
Rathaus Tempelhof<br />
Tempelhofer Damm 165<br />
12099 Berlin-Tempelhof<br />
Mo – Fr<br />
9 – 18 Uhr<br />
<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />
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