brennpunkt 3-2013 .indd - edition buehrer
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Galerien<br />
Arnd Weider<br />
»Foucault’sche<br />
Interieurs«<br />
Die Räume, die Arnd Weider in Berlin<br />
und anderswo in Szene setzt, haben es<br />
(im wahrsten Sinne des Wortes) in sich:<br />
Denn sie tragen etwas in sich oder auf<br />
den sie begrenzenden Wänden, etwas<br />
Auratisches, Metaphysisches. Weider<br />
ist mit seiner Architekturphotographie<br />
auf der Suche nach dem Foucault’schen<br />
Begriff der Heterotypien. Dies sind, so<br />
der französische Philosoph Michel Foucault,<br />
wirksame Orte, in die die Gesellschaft<br />
hineingezeichnet ist – es seien tatsächlich<br />
realisierte Utopien.<br />
Und Weider wird auf dieser Suche immer<br />
wieder fündig. Der Flughafen Tempelhof<br />
entspricht beispielsweise diesem<br />
Schema. Ausgestattet mit dem »Tempelhof-Schöneberger<br />
Fotostipendium«<br />
fotografierte er dort vor zwei Jahren<br />
ausgiebig – und nennt die Bildserie<br />
»Das Provisorium«. Vieles in der Berliner<br />
Architektur (aber nicht nur hier)<br />
gleicht einem Provisorium. »Zwischennutzung«<br />
ist nicht nur zu einem geläufigen,<br />
ja inflationären Begriff geworden,<br />
faktisch ist sie eine aus der Not<br />
geborene Tugend. Und Flughäfen sind<br />
genuin transitorische Orte, Schleusen<br />
zwischen den kaum fassbaren Zeitstufen<br />
Nicht-Mehr und Noch-Nicht.<br />
Der Tempelhofer Flughafen hat bekanntlich<br />
eine wechselvolle Geschichte: Er<br />
war nach seiner Eröffnung 1923 einer<br />
der ersten großen Flughäfen in Europa,<br />
steht aber auch für die verbrecherische<br />
Ideologie der Nationalsozialisten sowie<br />
später, zu Zeiten der so genannten Luftbrücke,<br />
für die Hoffnung einer ganzen<br />
Stadt. In mehreren Bauabschnitten,<br />
zuletzt während des NS-Regimes, entstand<br />
eines der größten Gebäude der<br />
Welt. Der zivile Luftverkehr lief dort (auf<br />
recht niedrigem Niveau) immer weiter<br />
und wurde erst vor fünf Jahren eingestellt.<br />
Inzwischen gastiert dort in einigen<br />
Gebäudeteilen mal eine Modemesse,<br />
mal eine Kunstmesse. Es gibt viele Vorschläge<br />
für eine zukünftige Nutzung<br />
© Arnd Weider, Flughafen Tempelhof, Eingangsbereich, aus der Serie: Das Provisorium,<br />
Berlin 2011, (O.i.F. )<br />
(oder Zwischennutzung), vielleicht wird<br />
auch das Alliiertenmuseum dort eines<br />
Tages untergebracht.<br />
Arnd Weider sucht in den Gebäuden<br />
und Räumen des ehemaligen Flughafens<br />
nach Zeitspuren, die die unterschiedlichen<br />
politischen Systeme, die<br />
unterschiedlichen Gebäudefunktionen<br />
und die vielen Menschen dort hinterlassen<br />
haben. Im Idealfall existiert im<br />
finalen Bild nicht nur das Provisorische<br />
oder Zeitspezifische sondern auch ein<br />
Nebeneinander der Zeiten.<br />
Zeitspuren und Zeitschichten existieren<br />
fast überall, in Kirchen und Bürgerhäusern,<br />
in Sportstadien oder Arbeitsämtern.<br />
Doch Arnd Weider spürt mit<br />
seinem Werk besondere Orte auf, in<br />
denen eine besondere atmosphärische<br />
Stimmung herrscht, die er kongenial ins<br />
Bild übersetzt. Möglicherweise würden<br />
wir diese Stimmung, die wir in der Aufnahme<br />
spüren können, im realen Raum<br />
nicht empfinden. In diesem Fall wäre<br />
Weiders photographischer Blick mehr<br />
als eine Übersetzung, vielmehr eine<br />
Stilisierung oder Inszenierung.<br />
12 <strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong>