01.03.2014 Aufrufe

Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Februar 2013 - Der Fels

Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Februar 2013 - Der Fels

Katholisches Wort in die Zeit 44. Jahr Februar 2013 - Der Fels

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Georg Dietle<strong>in</strong>:<br />

„Ich b<strong>in</strong> bereit“ 44<br />

Den Weg zu e<strong>in</strong>er Kultur des<br />

Lebens wiederf<strong>in</strong>den<br />

Interview mit Gabriele Kuby 51<br />

Jürgen Lim<strong>in</strong>ski:<br />

Wohlstand, Individualismus,<br />

Gerechtigkeitslücke 54<br />

<strong>Katholisches</strong> <strong>Wort</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>44.</strong> <strong>Jahr</strong> <strong>Februar</strong> <strong>2013</strong><br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 33


INHALT<br />

Michael Hesemann:<br />

„Im Zeichen des Kreuzes: 2012/13 –<br />

unser Auftrag im <strong>Jahr</strong> des Glaubens“.....35<br />

Raymund Fobes:<br />

Durch <strong>die</strong> Gottesliebe<br />

standhaft werden....................................42<br />

Georg Dietle<strong>in</strong>:<br />

„Ich b<strong>in</strong> bereit“........................................44<br />

Dr. Eduard Werner:<br />

Reformer und Wegbereiter <strong>in</strong> der Kirche:<br />

Johannes Neuhäusler ...........................49<br />

Dr. Alois Epple:<br />

Credo qui Conceptus est de Spiritu<br />

Sancto, natus ex Maria Virg<strong>in</strong>e ..............50<br />

Den Weg zu e<strong>in</strong>er Kultur des<br />

Lebens wiederf<strong>in</strong>den<br />

Interview mit Gabriele Kuby...................51<br />

Prof. Dr. Hubert G<strong>in</strong>dert:<br />

Um <strong>die</strong> Freiheit zu verlieren,<br />

genügt es, sie nicht festzuhalten............52<br />

Jürgen Lim<strong>in</strong>ski:<br />

Wohlstand, Individualismus,<br />

Gerechtigkeitslücke................................54<br />

Auf dem Prüfstand..................................58<br />

<strong>Zeit</strong> im Spektrum....................................60<br />

Bücher....................................................62<br />

Leserbriefe/ Veranstaltungen..................63<br />

Impressum „<strong>Der</strong> <strong>Fels</strong>“ <strong>Februar</strong> <strong>2013</strong> Seite 63<br />

Redaktionsschluss ist jew. der 5. des Vormonats<br />

Titelbild:<br />

Erläuterung siehe Seite 62<br />

Fotos: 36 R. G<strong>in</strong>dert; 36 (Chorraum), 37 (Kreuz)Das<br />

Bistum des hl. Ulrich – Die Geschichte des Bistum<br />

Augsburg 1, 1991, S. 15, S. 13; 38 L‘Osservatore Romano,<br />

Nr. 45, 4.12.2012, S. 1; 39 privat; 40 Joseph<br />

Kard<strong>in</strong>al Ratz<strong>in</strong>ger: Aus me<strong>in</strong>em Leben, Deutsche Verlags-Anstalt<br />

Stuttgart, S. 13; 41 WJT; 43 li: Kalenderblatt<br />

3-2002; re: wiki commons free 45 G. Dietle<strong>in</strong>; 46 Aisa;<br />

47 li: Die Bibel <strong>in</strong> Bildern, Naumann&Göbel, 1987, S. 72;<br />

re: Stuttgarter Bibel der Buchmalerei, Belser Verlag, S.<br />

749 ; 48 li: <strong>Der</strong> Glaube <strong>in</strong> Bildern, Liberia Editrice Vaticana,<br />

S. 11; re: Maler der Renaissance, Scala, S. 529; 49<br />

Archiv des Erzbistums München und Freis<strong>in</strong>g; 50 Mart<strong>in</strong><br />

von Wagner Museum der Universität Würzburg; 51 G.<br />

Kuby; 53 wiki commons free; 54 - 56 J. Lim<strong>in</strong>ski<br />

Quelle S. 64: Thomas Fandel <strong>in</strong> „Zeugen für Christus“<br />

I Seite 561 - 564<br />

Liebe Leser,<br />

<strong>die</strong> Menschen s<strong>in</strong>d für das<br />

Glück geschaffen. Wir suchen es<br />

lebenslang. Deswegen s<strong>in</strong>d wir<br />

auch anfällig für <strong>die</strong> Glücksversprechen<br />

der Vergnügungs<strong>in</strong>dustrie,<br />

für Wellnessangebote, Fahrten<br />

<strong>in</strong> Urlaubspara<strong>die</strong>se etc..<br />

Enttäuscht merken wir dann,<br />

dass <strong>die</strong>se Botschaften oft nicht<br />

das waren, was <strong>die</strong> Emmausjünger<br />

empfanden, als sie sagten:<br />

„Brannte nicht unser Herz“.<br />

Das wahre Glück besteht <strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer<br />

Freude, <strong>die</strong> sogar Schmerz<br />

und Not überw<strong>in</strong>det. Wer <strong>die</strong>se<br />

Freude kennen lernen will, sollte<br />

zur Bibel greifen. Im Stichwortverzeichnis<br />

e<strong>in</strong>er Ausgabe des<br />

„Neuen Testaments“ s<strong>in</strong>d dazu<br />

36 Stellen zu f<strong>in</strong>den. Die Kirche<br />

er<strong>in</strong>nert mehrmals im <strong>Jahr</strong><br />

an <strong>die</strong> Freude. Auch <strong>die</strong> S<strong>in</strong>neslust<br />

kommt nicht zu kurz, wenn<br />

wir an Karneval („lebe wohl<br />

Fleisch“) und ihre Hochburgen<br />

Ma<strong>in</strong>z, Köln oder Aachen denken.<br />

Sie s<strong>in</strong>d alle <strong>in</strong> katholischen<br />

Landschaften angesiedelt, <strong>die</strong><br />

dadurch gekennzeichnet s<strong>in</strong>d,<br />

dass dort Kirche und Wirtshaus<br />

<strong>in</strong> enger Tuchfühlung stehen.<br />

Karnevalsitzungen haben e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Funktion. Sie ersetzen<br />

<strong>die</strong> Hofnarren an den Fürstenhöfen<br />

von ehedem. Sie sprechen<br />

Wahrheiten aus, <strong>die</strong> uns <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n<br />

das <strong>Jahr</strong> über <strong>in</strong> politischer<br />

Korrektheit verschweigen oder<br />

<strong>in</strong> homöopathischen Dosen verabreichen,<br />

z.B., dass k<strong>in</strong>derlose<br />

Gesellschaften ke<strong>in</strong>e Zukunft<br />

haben, dass Schulden e<strong>in</strong>mal bezahlt<br />

werden müssen, dass <strong>die</strong><br />

„Entsorgung“ unerwünschter<br />

Menschen, ungeborener oder alter,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Eiszeitgesellschaft h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>führen.<br />

Wenn <strong>die</strong> Fasch<strong>in</strong>gskostüme<br />

abgelegt s<strong>in</strong>d, gibt uns <strong>die</strong> Kirche<br />

<strong>in</strong> der Fastenzeit <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Wirklichkeit zurückzuf<strong>in</strong>den.<br />

Diese besteht nach<br />

Josef Pieper dar<strong>in</strong>, dass „Glaube<br />

und Unglaube und der Kampf<br />

zwischen beiden das eigentliche<br />

Thema der Weltgeschichte“ s<strong>in</strong>d.<br />

Über der Fastenzeit steht das<br />

<strong>Wort</strong>: „Denkt um – kehrt um!“<br />

Dem Kundigen ist längst klar,<br />

dass <strong>die</strong>ser Gesellschaft, wie jener<br />

zu Kanaan, der We<strong>in</strong> ausgeht<br />

und dass viele mit Krügen ohne<br />

Öl herumlaufen und <strong>in</strong> Gefahr<br />

stehen, am Lebensziel vorbei zu<br />

leben. Die Frage ist, ob sie <strong>die</strong><br />

Augen öffnende Botschaft hören<br />

wollen oder ob sie lieber möchten,<br />

dass <strong>die</strong> Bordkapelle, wie<br />

auf der Titanic, flotte Weisen weiterspielt,<br />

bis es unwiederbr<strong>in</strong>glich<br />

zu spät ist. Die weitere Frage<br />

ist: Bekommen <strong>die</strong> Menschen bei<br />

uns <strong>die</strong> rettende Botschaft so e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich<br />

zu hören, wie das notwendig<br />

wäre <strong>in</strong> der Politik – aber<br />

auch <strong>in</strong> der Kirche?<br />

In Deutschland haben wir<br />

jetzt <strong>die</strong> Energiewende als e<strong>in</strong>es<br />

der großen politischen Themen.<br />

Das Problem ist, <strong>die</strong> im Norden<br />

gewonnene W<strong>in</strong>denergie nach<br />

Süden fließen zu lassen, weil Leitungen<br />

und Träger fehlen. Wenn<br />

wir an <strong>die</strong> moralische Wende und<br />

<strong>die</strong> religiöse Erneuerung im <strong>Jahr</strong><br />

des Glaubens denken, ist es umgekehrt.<br />

Die Kraft, <strong>die</strong> vom Zentrum<br />

der Weltkirche <strong>in</strong> Rom und<br />

von Papst Benedikt XVI. ausgeht,<br />

f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e entsprechenden Leitungen<br />

und Träger nördlich der<br />

Alpen. Wichtiger s<strong>in</strong>d dort Dialogkonferenzen<br />

und das Bemühen<br />

um e<strong>in</strong>en Glauben „made <strong>in</strong><br />

Germany“.<br />

Wollen <strong>die</strong> Menschen gerettet<br />

werden? So fragt Papst Benedikt<br />

XVI. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Enzyklika „Über<br />

<strong>die</strong> christliche Hoffnung“. Die<br />

Möglichkeit ist gegeben und der<br />

Papst nennt sie: „Die wahre,<br />

<strong>die</strong> große und durch alle Brüche<br />

h<strong>in</strong>durch tragende Hoffnung des<br />

Menschen, kann nur Gott se<strong>in</strong>“<br />

(Ziff. 27). Zu ihm und zu se<strong>in</strong>er<br />

Kirche müssen wir zurückkehren!<br />

Mit den<br />

besten Grüßen<br />

aus Kaufer<strong>in</strong>g<br />

Ihr Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

34 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Kongresses „Freude am Glauben“ 2012<br />

Michael Hesemann:<br />

„Im Zeichen des Kreuzes: 2012/13 –<br />

unser Auftrag im <strong>Jahr</strong> des Glaubens“<br />

Das<br />

Wunderbare an unserem<br />

Heiligen Vater ist<br />

se<strong>in</strong> großes Fe<strong>in</strong>gefühl dafür, woran<br />

es unserer <strong>Zeit</strong> fehlt, und se<strong>in</strong>e Offenheit<br />

für <strong>die</strong> Bedürfnisse der Menschen<br />

und der Kirche. Es ist e<strong>in</strong> wahrhaft<br />

<strong>in</strong>spirierendes Pontifikat, das wir<br />

erleben dürfen, wofür wir dem Herrn<br />

nur danken können und beten, dass<br />

uns <strong>die</strong>ser Papst noch viele <strong>Jahr</strong>e erhalten<br />

bleibt. Mögen <strong>die</strong> Engel ihn<br />

gerade <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Tagen auf se<strong>in</strong>er<br />

Reise <strong>in</strong> den Libanon beschützen, auf<br />

der ich ihn, offen gesagt, auch gerne<br />

begleitet hätte. Aber „Freude am<br />

Glauben“ ist mir Verpflichtung!<br />

Hier wieder e<strong>in</strong> Beispiel für den<br />

Weitblick des Heiligen Vaters:<br />

Vor e<strong>in</strong>em <strong>Jahr</strong> stand ich vor Ihnen<br />

– sagen wir mal: vor vielen von Ihnen<br />

– und appellierte dafür, 2012/13<br />

zum „<strong>Jahr</strong> des Kreuzes“ zu erklären,<br />

zum Auftakt zu e<strong>in</strong>er Rückbes<strong>in</strong>nung<br />

auf <strong>die</strong> Wurzeln unseres Glaubens<br />

und e<strong>in</strong>em Aufbruch zur Erneuerung<br />

des christlichen Europas.<br />

Es gab und gibt dafür e<strong>in</strong>en ganz<br />

konkreten Anlass, der auch e<strong>in</strong> wenig<br />

mit dem Fest der Kreuzerhöhung<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung steht, das wir am Freitag,<br />

dem ersten Tag <strong>die</strong>ses Kongresses,<br />

geme<strong>in</strong>sam feiern durften.<br />

In <strong>die</strong>sen Tagen vor genau 1700<br />

<strong>Jahr</strong>en war Konstant<strong>in</strong> der Große, der<br />

Sohn e<strong>in</strong>es der vier Kaiser (nämlich<br />

des Constantius Chlorus) <strong>in</strong> der Tetrarchie,<br />

der Vierkaiserherrschaft des<br />

Diokletian, auf dem Weg nach Rom,<br />

um se<strong>in</strong>en Thron zu beanspruchen.<br />

Den hatte ihm e<strong>in</strong> Usurpator mit dem<br />

Namen Maxentius streitig gemacht.<br />

So marschierte Konstant<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>en<br />

Legionen, rund 40.000 Mann, gen<br />

Italien. Ende September erreichte er<br />

über <strong>die</strong> Via Flam<strong>in</strong>ia den <strong>Fels</strong>en von<br />

Saxa Rubra, 14 km vor Rom, wo er<br />

se<strong>in</strong> Lager aufschlug. Den nächsten<br />

Schritt se<strong>in</strong>es Gegners abwartend,<br />

reflektierte Konstant<strong>in</strong> an <strong>die</strong>ser Stelle<br />

se<strong>in</strong> Leben, fragte sich, wofür er<br />

stand und welches Schicksal ihn vor<br />

<strong>die</strong> Tore Roms geführt hatte.<br />

Die Antwort kam, glauben wir se<strong>in</strong>em<br />

Biografen Eusebius von Caesarea,<br />

<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Himmelsersche<strong>in</strong>ung.<br />

Das auf jeden Fall will<br />

Eusebius aus dem Munde des Kaisers<br />

persönlich bestätigt bekommen<br />

haben, wie er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „Vita Constant<strong>in</strong>i“<br />

ausdrücklich betont. Wörtlich:<br />

„Um <strong>die</strong> Stunden der Mittagssonne<br />

herum, als sich der Tag schon<br />

neigte, habe er mit eigenen Augen,<br />

behauptete er, am Himmel selbst,<br />

über der Sonne bef<strong>in</strong>dlich, e<strong>in</strong> Kreuz<br />

gesehen, aus Licht bestehend, und<br />

mit ihm <strong>die</strong> <strong>Wort</strong>e vernommen: touto<br />

nika – In <strong>die</strong>sem Zeichen siege!“<br />

Auch se<strong>in</strong> gesamtes Heer habe <strong>die</strong>se<br />

Ersche<strong>in</strong>ung gesehen. In der folgenden<br />

Nacht erschien ihm Christus im<br />

Traum und forderte ihn auf, das Zeichen<br />

des Herrn auf <strong>die</strong> Schilde se<strong>in</strong>er<br />

Soldaten zu malen (so Lactantius,<br />

der ebenfalls über <strong>die</strong> Vision schrieb)<br />

und e<strong>in</strong>e Standarte, das Labarum, mit<br />

<strong>die</strong>sem anzufertigen (so Eusebius).<br />

Was auch immer <strong>die</strong> Ursache <strong>die</strong>ser<br />

Ersche<strong>in</strong>ung war – vielleicht e<strong>in</strong><br />

Naturphänomen wie e<strong>in</strong> sogenanntes<br />

Halo, verursacht durch <strong>die</strong> Brechung<br />

der Sonnenstrahlen –, sie veränderte<br />

<strong>die</strong> Welt. Denn <strong>in</strong> der Tat besiegte<br />

Konstant<strong>in</strong> am Tag darauf se<strong>in</strong>en<br />

Widersacher <strong>in</strong> der Schlacht an der<br />

Milvischen Brücke und marschierte<br />

im Triumph <strong>in</strong> Rom e<strong>in</strong>. Für <strong>die</strong><br />

Christen endete damit <strong>die</strong> Ära der<br />

Verfolgungen. Mit dem sogenannten<br />

Toleranzedikt von Mailand vom<br />

Michael Hesemann bei dem<br />

Vortrag auf dem Kongress<br />

„Freude am Glauben“<br />

Aschaffenburg, 16.09.2012<br />

Mai 313 wurde das Christentum zur<br />

legalisierten Religion, wurden Christen<br />

<strong>in</strong> den Staats<strong>die</strong>nst aufgenommen,<br />

spielten sie fortan e<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong><br />

der Führung des Römischen Imperiums,<br />

bis Theodosius schließlich 380<br />

das Christentum zur Staatsreligion<br />

erklärte. Zwölf <strong>Jahr</strong>e nach se<strong>in</strong>em<br />

Marsch auf Rom, 324, hatte Konstant<strong>in</strong><br />

das gesamte Reich unter se<strong>in</strong>er<br />

Führung vere<strong>in</strong>t und <strong>die</strong> christlichen<br />

Bischöfe nach Nizäa e<strong>in</strong>geladen,<br />

um <strong>in</strong>terne Streitigkeiten beizulegen<br />

und geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> für alle gültiges<br />

Glaubensbekenntnis zu formulieren.<br />

Noch im selben <strong>Jahr</strong> brach se<strong>in</strong>e Mutter<br />

Helena <strong>in</strong>s Heilige Land auf, wo<br />

sie, wenn wir der Legende Glauben<br />

schenken, dabei war, als Arbeiter bei<br />

der Freilegung des Heiligen Grabes<br />

auf e<strong>in</strong>e unterirdische Grotte stießen,<br />

<strong>in</strong> der das „Wahre Kreuz“ des Herrn<br />

versteckt worden war. Fortan wurde<br />

es zur wichtigsten Reliquie der Gra­<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 35


Kongresses „Freude am Glauben“ 2012<br />

beskirche, während Partikel <strong>in</strong> der<br />

ganzen Welt Verbreitung und Verehrung<br />

fanden, <strong>die</strong> größte <strong>in</strong> Deutschland<br />

übrigens im Limburger Dom.<br />

Im Zeichen des Kreuzes also wurde<br />

das christliche Europa vor genau<br />

1700 <strong>Jahr</strong>en begründet, e<strong>in</strong> Europa,<br />

das der Sklaverei und Menschenverachtung<br />

der heidnischen Antike e<strong>in</strong>e<br />

Absage erteilte und <strong>die</strong> Gleichwertigkeit<br />

aller Menschen <strong>in</strong> ihrer Gottebenbildlichkeit<br />

postulierte. Es war<br />

e<strong>in</strong> Europa, das der Welt Werte wie<br />

Demut vor Gott, Brüderlichkeit, soziale<br />

Verantwortung und Achtung vor<br />

dem menschlichen Leben schenkte.<br />

Fresko im Chorraum der Heilig-Kreuz-Kirche <strong>in</strong> Landsberg; Konstant<strong>in</strong><br />

besiegt Maxentius an der Milvischen Brücke <strong>in</strong> Rom. „In hoc v<strong>in</strong>ce“ steht<br />

über dem Kreuz: Dar<strong>in</strong> siege! Die Feldzeichen und Fahnen tragen das<br />

Kreuz oder das griechische Christusmonogramm XP (=Christus). Vom<br />

Kreuz geht der Blitzstrahl aus, der den Gegner Konstant<strong>in</strong>s, Maxentius,<br />

trifft. Die Besonderheit des Kreuzes: Wo immer im Kirchenraum der Betrachter<br />

steht, das Kreuz schaut ihn an.<br />

E<strong>in</strong> Europa, <strong>in</strong> dem wahre Höhenflüge<br />

der Kunst und der Wissenschaft<br />

möglich waren, weil se<strong>in</strong>e Religion<br />

gleichermaßen befreite und <strong>in</strong>spirierte.<br />

Aber auch e<strong>in</strong> Europa, das <strong>in</strong><br />

den vergangenen <strong>Jahr</strong>zehnten immer<br />

häufiger se<strong>in</strong>e christlichen Wurzeln<br />

vergaß und, berauscht von den Moden<br />

des Säkularismus und Relativismus,<br />

se<strong>in</strong>e Identität verleugnete. Das<br />

Kreuz wurde <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem neuen Europa<br />

immer häufiger aus den öffentlichen<br />

Räumen verbannt, aus Schulen<br />

und Krankenhäusern, aus Gerichtssälen<br />

und Amtsstuben, ja sogar aus<br />

den Werbeprospekten der Fremdenverkehrsämter<br />

wie unlängst, als man<br />

das Gipfelkreuz auf der Zugspitze<br />

aus e<strong>in</strong>em Katalog wegretouchierte,<br />

weil man arabische Touristen nicht<br />

verschrecken wollte. So als sei <strong>die</strong><br />

Schönheit unserer Traditionen etwas,<br />

das wir verstecken müssten.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Grund, um das Kreuz<br />

wieder <strong>in</strong> <strong>die</strong> öffentlichen Räume<br />

und das öffentliche Bewusstse<strong>in</strong> zu<br />

tragen, appellierte ich vor e<strong>in</strong>em <strong>Jahr</strong><br />

auf <strong>die</strong>sem Kongress dafür, 2012/13<br />

zum „<strong>Jahr</strong> des Kreuzes“ zu erklären.<br />

Ich schrieb auch an den Heiligen Vater,<br />

<strong>in</strong> der Hoffnung, dass ihm me<strong>in</strong><br />

bescheidener Vorschlag vielleicht gefallen<br />

könnte. Doch Benedikt XVI.<br />

hatte zu <strong>die</strong>sem <strong>Zeit</strong>punkt e<strong>in</strong>e noch<br />

größere Vision, <strong>die</strong> ebenfalls das<br />

kommende <strong>Jahr</strong> betrifft, das er nämlich<br />

stattdessen zum „<strong>Jahr</strong> des Glaubens“<br />

erklärte.<br />

Dieses „<strong>Jahr</strong> des Glaubens“, das<br />

am 11. Oktober 2012 <strong>in</strong> Rom feierlich<br />

eröffnet wird und das an den 50.<br />

<strong>Jahr</strong>estag der Eröffnung des Zweiten<br />

Vatikanischen Konzils er<strong>in</strong>nern soll,<br />

könnte der Höhepunkt des Pontifikats<br />

unseres Heiligen Vaters werden,<br />

denn es dr<strong>in</strong>gt vor zum Kern unseres<br />

Christse<strong>in</strong>s. Das Kreuz ist das Symbol<br />

für unsere Erlösung, doch ohne<br />

den Glauben an den Erlöser ist ke<strong>in</strong>e<br />

Erlösung möglich. Am Glauben<br />

mangelt es unserer <strong>Zeit</strong>, nicht an<br />

Kreuzen, <strong>die</strong> ja nur e<strong>in</strong> Ausdruck <strong>die</strong>ses<br />

Glaubens s<strong>in</strong>d. Und unsere wichtigste<br />

Aufgabe ist es natürlich nicht,<br />

Symbole zu pflegen wie e<strong>in</strong>e liebgewonnene<br />

Tradition, unsere wichtigs­<br />

36 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


„Im Zeichen des Kreuzes: 2012/13 – unser Auftrag im <strong>Jahr</strong> des Glaubens“<br />

te Aufgabe ist <strong>die</strong> Verkündigung des<br />

Evangeliums, genauer gesagt: Die<br />

Neuevangelisierung Europas. Eben<br />

<strong>die</strong>s, „Die Neuevangelisierung zur<br />

Weitergabe des christlichen Glaubens“,<br />

ist dann auch Thema der Vollversammlung<br />

der Bischofssynode,<br />

<strong>die</strong> der Heilige Vater für Oktober<br />

2012 e<strong>in</strong>berufen hat.<br />

So schreibt Papst Benedikt XVI.<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Apostolischen Schreiben<br />

„Porta Fidei“ – „Die Tür des Glaubens“<br />

vom 11. Oktober 2011:<br />

„Die Erneuerung der Kirche geschieht<br />

auch durch das Zeugnis, das<br />

das Leben der Gläubigen bietet.<br />

Aus <strong>die</strong>ser Sicht ist das <strong>Jahr</strong> des<br />

Glaubens e<strong>in</strong>e Aufforderung zu e<strong>in</strong>er<br />

echten und erneuerten Umkehr zum<br />

Herrn, dem e<strong>in</strong>zigen Retter der Welt.<br />

Im Geheimnis se<strong>in</strong>es Todes und se<strong>in</strong>er<br />

Auferstehung hat Gott <strong>die</strong> rettende<br />

Liebe vollends offenbart und ruft<br />

<strong>die</strong> Menschen durch <strong>die</strong> Vergebung<br />

der Sünden zur Umkehr des Lebens<br />

(vgl. Apg 5,31).“<br />

Ist das nicht e<strong>in</strong>e wunderbare Vision<br />

des Heiligen Vaters: e<strong>in</strong>e Erneuerung<br />

der Kirche durch e<strong>in</strong>e Erneuerung<br />

des Glaubens, e<strong>in</strong>e Umkehr<br />

zum Herrn?<br />

Doch wie kann das konkret ausschauen,<br />

wie können wir <strong>die</strong>se Vision<br />

<strong>in</strong> unserem Leben verwirklichen?<br />

Erlauben Sie mir, noch e<strong>in</strong>mal den<br />

Heiligen Vater zu zitieren:<br />

„Nur glaubend also wächst der<br />

Glaube und wird stärker; es gibt ke<strong>in</strong>e<br />

andere Möglichkeit, Gewissheit<br />

über das eigene Leben zu haben, als<br />

sich <strong>in</strong> ständig zunehmendem Maße<br />

den Händen e<strong>in</strong>er Liebe zu überlassen,<br />

<strong>die</strong> als immer größer erfahren<br />

wird, weil sie ihren Ursprung <strong>in</strong> Gott<br />

hat. (…)<br />

Das Bekenntnis des Glaubens<br />

selbst ist e<strong>in</strong> persönlicher und zugleich<br />

geme<strong>in</strong>schaftlicher Akt. (…)<br />

In eben <strong>die</strong>ser Aussicht soll<br />

das <strong>Jahr</strong> des Glaubens e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>helligen<br />

E<strong>in</strong>satz für <strong>die</strong> Wiederentdeckung<br />

und das Studium der grundlegenden<br />

Glaubens<strong>in</strong>halte zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen,<br />

<strong>die</strong> im Katechismus der Katholischen<br />

Kirche systematisch und organisch<br />

zusammengefasst s<strong>in</strong>d.“<br />

Vertiefung des Glaubens also und<br />

Verkündigung, glaubwürdig Zeugnis<br />

ablegen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt, <strong>die</strong> den Glauben<br />

immer mehr verdrängt und zur<br />

Privatsache erklärt, ja zum großen Tabuthema.<br />

Schalten wir doch mal den<br />

Fernseher e<strong>in</strong>, dann bekommen wir<br />

e<strong>in</strong> ebenso realistisches wie erschütterndes<br />

Bild von der Gesellschaft,<br />

<strong>in</strong> der wir heute leben. E<strong>in</strong>e Gesellschaft,<br />

<strong>in</strong> der man selbst <strong>in</strong> Nachmittags-Talkshows<br />

über <strong>die</strong> <strong>in</strong>timsten<br />

D<strong>in</strong>ge völlig ungehemmt redet – nur<br />

nicht über den Glauben. In der selbst<br />

ehemalige Präsidentengatt<strong>in</strong>nen ihre<br />

Eheprobleme <strong>in</strong> Interviews breittreten.<br />

In e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> der<br />

sexuelle Vorlieben, Eheprobleme,<br />

Gesundheitsprobleme, was auch immer,<br />

<strong>in</strong> aller Offenheit vor den Mitmenschen<br />

ausgebreitet werden – und<br />

<strong>die</strong> doch zusammenzuckt, wenn auf<br />

e<strong>in</strong>mal jemand von se<strong>in</strong>er Hoffnung<br />

auf Erlösung spricht. Wir leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Gesellschaft, <strong>in</strong> der vor laufender<br />

Kamera geküsst, gestrippt und<br />

Unzucht getrieben wird – aber nie<br />

gebetet. Und <strong>die</strong> auch noch glaubt,<br />

das sei normal. Diese Tabuisierung<br />

des Religiösen betrifft übrigens nicht<br />

alle<strong>in</strong> das Christentum. Es war ja<br />

schon makaber, mitanzusehen, wie<br />

ausgerechnet <strong>in</strong> Deutschland darüber<br />

diskutiert wurde, ob es sich bei der<br />

Beschneidung Neugeborener – im<br />

Judentum am achten Tag! – um Körperverletzung<br />

handeln könnte, während<br />

<strong>die</strong> Abtreibung Ungeborener<br />

längst gesellschaftlich akzeptiert ist.<br />

Also Töten ist <strong>in</strong> Ordnung, nur nicht,<br />

e<strong>in</strong> Stück Haut abzuschneiden. Ja,<br />

wo ist denn da <strong>die</strong> Logik, wo bleibt<br />

denn da der gesunde Menschenverstand,<br />

mag man sich fragen, doch <strong>die</strong><br />

Antwort ist ganz offensichtlich: Die<br />

Beschneidung hat ja etwas mit Religion<br />

zu tun!<br />

So gesehen <strong>die</strong>nen <strong>die</strong> arabischen<br />

Touristen vielleicht sogar nur als<br />

Vorwand dafür, das lästige Kreuz<br />

von der Zugspitze wegretouchieren<br />

Das Ulrichskreuz<br />

Das Kreuzreliquiar des hl. Ulrich ist prachtvoll gestaltet. Von l<strong>in</strong>ks nach rechts: Die Vorderseite der äußeren Kapsel<br />

mit Gold, Perlen und Edelste<strong>in</strong>en verziert, <strong>die</strong> Rückseite mit der Darstellung der Schlacht gegen <strong>die</strong> Ungarn auf dem<br />

Lechfeld; <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Kapsel: e<strong>in</strong>e Astkreuzdarstellung, auf der Rückseite <strong>die</strong> Inschrift: crux victorialis Sancti Udalrici<br />

= Siegeskreuz des hl. Ulrich; Im Innersten der Kapsel (ganz rechts) <strong>die</strong> Kreuzreliquie, <strong>die</strong> Bischof Ulrich 954 <strong>in</strong><br />

Rom erhalten hat. Vgl. Das Bistum des hl. Ulrich - Die Geschichte des Bistum Augsburg 2, 1991, S 13<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 37


Kongresses „Freude am Glauben“ 2012<br />

zu können, s<strong>in</strong>d es nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong><br />

muslimischen Mitbürger, wegen derer<br />

<strong>die</strong> Kreuze aus den Amtsstuben<br />

und Krankenhäusern verschw<strong>in</strong>den.<br />

Denn, mit Verlaub gesagt, wer sich<br />

als Araber erlauben kann, <strong>in</strong> Europa<br />

Urlaub zu machen, der ist mit Sicherheit<br />

gebildet genug, um zu wissen,<br />

dass hier noch immer mehrheitlich<br />

Christen leben. Ne<strong>in</strong>, es verrät uns<br />

viel mehr über das Unbehagen der<br />

Verantwortlichen, wenn sie mit dem<br />

Glauben und se<strong>in</strong>er Symbolik konfrontiert<br />

werden. Und dem müssen<br />

wir entgegenwirken, wenn wir unseren<br />

K<strong>in</strong>dern und Enkeln noch e<strong>in</strong><br />

christliches Europa vererben wollen,<br />

statt vor dem Islam auf der e<strong>in</strong>en Seite<br />

und dem Atheismus auf der anderen<br />

Seite zu kapitulieren.<br />

Wissen Sie, ich glaube an <strong>die</strong> Ökumene.<br />

Und damit me<strong>in</strong>e ich nicht<br />

das, was man geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> <strong>in</strong> Deutschland<br />

darunter versteht – also dass <strong>die</strong><br />

Katholiken wie <strong>die</strong> Protestanten werden<br />

sollen, damit sie auf Augenhöhe<br />

<strong>in</strong> Dialog mit den Protestanten treten<br />

können, wie man hierzulande gerne<br />

me<strong>in</strong>t. Ne<strong>in</strong>, das me<strong>in</strong>e ich bestimmt<br />

nicht. Denn, bei allem Respekt vor<br />

unseren lutherischen Brüdern und<br />

Schwestern: Ich sehe nicht, dass <strong>die</strong><br />

starke Verweltlichung der EKD zu<br />

vollen Kirchen und vielen Berufungen<br />

geführt hat. Im Gegenteil, es ist<br />

e<strong>in</strong> Vakuum entstanden, das oft durch<br />

Ersatzreligiosität wie etwa <strong>die</strong> Esoterik<br />

gefüllt wird.<br />

Als umso bee<strong>in</strong>druckender empf<strong>in</strong>de<br />

ich, wo immer ich ihr begegne,<br />

<strong>die</strong> Glaubenskraft unserer Brüder<br />

und Schwestern <strong>in</strong> den orthodoxen<br />

Kirchen. Ich habe mich <strong>in</strong> den vergangenen<br />

beiden <strong>Jahr</strong>en, als ich für<br />

me<strong>in</strong> neues Buch „Jesus <strong>in</strong> Ägypten“<br />

recherchierte, recht <strong>in</strong>tensiv gerade<br />

auch mit der koptischen Kirche Ägyptens<br />

befasst, <strong>die</strong> ihren Ursprung auf<br />

den Evangelisten Markus zurückführt.<br />

Tatsächlich war Alexandria, <strong>die</strong> Cathedra<br />

des hl. Markus, über <strong>Jahr</strong>hunderte<br />

h<strong>in</strong>weg das <strong>in</strong>tellektuelle und theologische<br />

Zentrum der Christenheit.<br />

Selbst das Glaubensbekenntnis von<br />

Nizäa wurde von dem hl. Athanasius<br />

verfasst, der später zum Patriarch von<br />

Alexandria gewählt wurde und der,<br />

als er <strong>Jahr</strong>e später aufgrund e<strong>in</strong>er Intrige<br />

der Arianer nach Trier verbannt<br />

wurde, hierzulande im 4. <strong>Jahr</strong>hundert<br />

schon das Mönchtum e<strong>in</strong>führte. Dass<br />

<strong>die</strong> koptische Kirche im 5. <strong>Jahr</strong>hundert<br />

ihre eigenen Wege g<strong>in</strong>g, sei mal<br />

jetzt außen vor gestellt, denn der Anlass,<br />

der Streit um <strong>die</strong> beiden Naturen<br />

des Herrn auf dem Konzil von Chalcedon,<br />

ist schon unter Papst Paul VI.<br />

beigelegt worden.<br />

Was mich jedenfalls <strong>in</strong> Ägypten<br />

bee<strong>in</strong>druckte, war <strong>die</strong> tiefe Religiosität<br />

der Kopten, ihr unbed<strong>in</strong>gtes Bekenntnis<br />

zu ihrem Glauben, obwohl<br />

sie <strong>in</strong> der mehrheitlich muslimischen<br />

Gesellschaft ihres Landes als<br />

Christen diskrim<strong>in</strong>iert und oft genug<br />

drangsaliert werden.<br />

Diese Kirche erlebte <strong>in</strong> den letzten<br />

<strong>Jahr</strong>zehnten e<strong>in</strong> regelrechtes Aufblühen<br />

vor allem auch des monastischen<br />

Lebens. Überall im Land wurden<br />

neue Klöster gebaut und e<strong>in</strong>e ganze<br />

Generation junger Akademiker, ausgebildete<br />

Ärzte und Ingenieure, tritt<br />

dort e<strong>in</strong> – bei den Kopten muss man<br />

zunächst e<strong>in</strong>en Beruf erlernt und gearbeitet<br />

haben, bevor man <strong>die</strong> Welt<br />

verlassen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Kloster e<strong>in</strong>treten<br />

darf. Wie aber kam es zu <strong>die</strong>ser<br />

Renaissance des Glaubens bei den<br />

Kopten? Wo auch immer ich fragte,<br />

gab man mir <strong>die</strong> gleiche Antwort:<br />

Weil man sich <strong>in</strong>tensiv um den Religionsunterricht<br />

für <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der und<br />

Jugendlichen gekümmert hat. Gerade<br />

weil <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em islamisch dom<strong>in</strong>ierten<br />

Staat <strong>die</strong> religiöse Erziehung der<br />

K<strong>in</strong>der nicht <strong>in</strong> den Schulen stattf<strong>in</strong>det,<br />

haben kluge Kopten e<strong>in</strong>e ganze<br />

Bewegung <strong>in</strong>s Leben gerufen, deren<br />

Aufgabe <strong>die</strong> Glaubensvermittlung<br />

an <strong>die</strong> kommende Generation war,<br />

<strong>die</strong> sogenannte „Sonntagsschulbewegung“.<br />

K<strong>in</strong>der und Jugendliche<br />

treffen sich <strong>in</strong> den Geme<strong>in</strong>dehäusern<br />

und lernen ihren Glauben. In <strong>die</strong>sem<br />

Milieu offenbarten sich sowohl seitens<br />

der Lehrer wie auch seitens der<br />

Schüler so viele religiöse Talente,<br />

dass <strong>die</strong> gesamte Kirche davon profitierte.<br />

H<strong>in</strong>zu kam, dass <strong>in</strong> den Familien<br />

der Glaube viel <strong>in</strong>tensiver gelebt<br />

wird als hierzulande. Dass man täglich<br />

geme<strong>in</strong>sam betet und fastet – <strong>die</strong><br />

Kopten fasten über 180 Tage im <strong>Jahr</strong><br />

Bis zum 28. Oktober 2012 berieten mehr als 250 Bischöfe aus der ganzen Welt sowie 140 <strong>in</strong>ternationale Berater,<br />

Beobachter und weitere Fachleute über das Thema „Die neue Evangelisierung – Für <strong>die</strong> Weitergabe des christlichen<br />

Glaubens.“<br />

38 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


„Im Zeichen des Kreuzes: 2012/13 – unser Auftrag im <strong>Jahr</strong> des Glaubens“<br />

Nach e<strong>in</strong>er Taufe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er koptischen Kirche <strong>in</strong> Hurghada.<br />

Die Kirche bef<strong>in</strong>det sich im zweiten Stockwerk,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em mehrstöckigen Wohnhaus. Die ursprüngliche<br />

Zimmerflucht wurde unbemerkt von der<br />

Öffentlichkeit zu e<strong>in</strong>er Kirche umgebaut. Die Kirche<br />

ist von der Straße aus nicht zu erkennen.<br />

– und geme<strong>in</strong>sam zur Kirche geht.<br />

Nun war ich selbst <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Jugend<br />

<strong>in</strong> der KJG und habe dort viel<br />

Sport und Spiel erlebt – was mir<br />

überhaupt nicht gefiel, weil ich immer<br />

schon unsportlich war – aber <strong>die</strong><br />

Vermittlung von Glaubenswissen und<br />

-praxis habe ich wirklich vermisst<br />

– und ich denke, nicht nur mir g<strong>in</strong>g<br />

das so. So ganz erfolgreich waren<br />

<strong>die</strong> damals Verantwortlichen offenbar<br />

auch nicht, denn me<strong>in</strong>e Generation<br />

ist nicht unbed<strong>in</strong>gt dafür bekannt,<br />

dass sie besonders fromm geworden<br />

ist. Traurig! In der Wirtschaft sagt<br />

man, das beste Erfolgsmodell sei<br />

Spezialisierung, Bes<strong>in</strong>nung auf <strong>die</strong><br />

Kernkompetenz. Und <strong>in</strong> der kirchlichen<br />

Jugendarbeit wird der re<strong>in</strong>ste<br />

Gemischtwarenladen angeboten, von<br />

allem etwas, überall wird etwas abgeschaut,<br />

statt dass man sich auf das<br />

Wesentliche konzentriert!<br />

Die Kopten dagegen machen das<br />

ganz richtig. Sie grenzen sich bewusst<br />

von der Ma<strong>in</strong>stream-Gesellschaft<br />

ab, weil sie ihrem Glauben<br />

gegenüber fe<strong>in</strong>dlich e<strong>in</strong>gestellt ist.<br />

Dort s<strong>in</strong>d das <strong>die</strong> Muslime. Aber wir<br />

dürfen uns doch bitte nicht e<strong>in</strong>bilden,<br />

dass <strong>die</strong> „Diktatur des Relativismus“,<br />

<strong>in</strong> der wir leben, dem Glauben wohlgesonnen<br />

ist. Wir s<strong>in</strong>d doch längst<br />

e<strong>in</strong>e wenn auch nicht offen, so doch<br />

Das Foto zeigt <strong>die</strong> Kuppel der Kathedrale von Assuan.<br />

An der Kirche waren <strong>in</strong> der <strong>Zeit</strong> von Mubarak<br />

mehrere Fenster e<strong>in</strong>geworfen. Vor der Kathedrale<br />

stand e<strong>in</strong> Wachposten der Polizei. Die Situation dürfte<br />

sich kaum geändert haben.<br />

Christus nicht mit Segensgeste und Buch z. B. als Pantokrator,<br />

sondern mit weit geöffneten Armen, nicht <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Mandorla, sondern <strong>in</strong> dem <strong>die</strong> Ewigkeit deutenden<br />

Kreis. Die Farben Gold für <strong>die</strong> Gottheit, weiß<br />

für <strong>die</strong> Re<strong>in</strong>heit, Rot für <strong>die</strong> Liebe und das aus Liebe<br />

vergossene Blut.<br />

subtil diskrim<strong>in</strong>ierte<br />

M<strong>in</strong>derheit<br />

geworden<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft,<br />

<strong>die</strong> uns entweder belächelt<br />

oder versucht, lächerlich zu machen.<br />

Verlassen wir uns bitte nicht auf den<br />

Religionsunterricht an den staatlichen<br />

Schulen, der alles Mögliche<br />

lehrt, aber nicht den Glauben unserer<br />

Kirche. Nehmen wir <strong>die</strong> Sache lieber<br />

selbst <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand und bieten e<strong>in</strong>e<br />

solide Glaubensunterweisung auf<br />

der Grundlage des Katechismus bzw.<br />

des Yo u c at an, sorgen wir dafür, dass<br />

unseren K<strong>in</strong>dern unsere Werte vermittelt<br />

werden und nicht <strong>die</strong> Werte<br />

jener, <strong>die</strong> den Glauben ohneh<strong>in</strong> für<br />

überflüssig halten, e<strong>in</strong>en privaten<br />

Spleen bestenfalls, der sich aber bitte<br />

sehr dem Wertesystem e<strong>in</strong>er materialistischen<br />

und relativistischen Gesellschaft<br />

unterzuordnen hat. Denn<br />

<strong>die</strong> wollen unseren K<strong>in</strong>dern doch gerade<br />

das religiöse Rückgrat brechen!<br />

Bilden wir lieber bewusst e<strong>in</strong>e Gegenkultur,<br />

statt uns so lange anzupassen,<br />

bis wir kaum mehr zu erkennen<br />

s<strong>in</strong>d!<br />

Natürlich liegt <strong>die</strong> Verantwortung<br />

zuallererst bei den Familien. Ich b<strong>in</strong><br />

im letzten <strong>Jahr</strong> relativ oft über <strong>die</strong><br />

Familiengeschichte des Heiligen Vaters<br />

befragt worden, seit ich <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerungen<br />

des Papstbruders Prälat<br />

Dr. Georg Ratz<strong>in</strong>ger unter dem Titel<br />

„Me<strong>in</strong> Bruder, der Papst“ veröffentlichte.<br />

Sie erschienen auch <strong>in</strong><br />

den USA, e<strong>in</strong>e ganze Reihe von US-<br />

Rundfunksendern wollte Interviews,<br />

und ich erklärte ihnen allen praktisch<br />

dasselbe, was ich als „The Ratz<strong>in</strong>ger<br />

Family Secret“ betitelte, um<br />

es anschaulicher zu machen. Und<br />

<strong>die</strong>ses „Familiengeheimnis der Ratz<strong>in</strong>gers“<br />

war ihre Kraftquelle, der<br />

Glaube. <strong>Der</strong> tiefe Glaube der Eltern<br />

prägte <strong>die</strong> ganze Familiendynamik.<br />

In Amerika sagt man, und ich liebe<br />

den Spruch: „A family, which prays<br />

together, stays together“. Würde man<br />

den beherzigen, würden alle Eheund<br />

Familientherapeuten arbeitslos!<br />

Es würden auch <strong>die</strong> Scheidungsraten<br />

rapide s<strong>in</strong>ken! Denn es gibt doch<br />

ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Problem, das nicht<br />

durch das geme<strong>in</strong>same Gebet gelöst<br />

werden kann.<br />

Und, ganz ehrlich, schwerer als<br />

<strong>die</strong> Ratz<strong>in</strong>gers es hatten, kann es e<strong>in</strong>e<br />

Familie heutzutage doch kaum<br />

haben. Das Geld war knapp, der Vater<br />

hatte e<strong>in</strong>en gefährlichen Job als<br />

Landgendarm, und über allem zog<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 39


Kongresses „Freude am Glauben“ 2012<br />

drohend der Nationalsozialismus<br />

auf, am Ende der Krieg. Doch über<br />

all das half ihr Glaube h<strong>in</strong>weg. Die<br />

für mich stärkste Szene <strong>in</strong> dem ganzen<br />

Buch ist, wie <strong>die</strong> Familie Ratz<strong>in</strong>ger<br />

fast jeden Tag kniend auf dem<br />

Küchenboden den Rosenkranz betete.<br />

Vater Ratz<strong>in</strong>ger betete vor. Dieses<br />

tägliche Gebet, neben dem regelmäßigen<br />

Kirchgang, schmiedete <strong>die</strong> Familie<br />

zusammen, machte sie immun<br />

gegen <strong>die</strong> Irrungen und Wirrungen<br />

ihrer <strong>Zeit</strong>, <strong>die</strong> braune Ideologie. Fest<br />

im Glauben verankert durchschaute<br />

Vater Ratz<strong>in</strong>ger, <strong>die</strong>ser e<strong>in</strong>fache, klare<br />

Mann, <strong>die</strong> Rattenfänger der Hitlerpartei.<br />

Als Hitler an <strong>die</strong> Macht kam,<br />

sagte er nur: „Es wird Krieg geben,<br />

wir brauchen e<strong>in</strong> Haus“. Glasklar<br />

und geradezu prophetisch.<br />

Denn wer glaubt, der fällt auch<br />

auf ke<strong>in</strong>e ideologischen Rattenfänger<br />

re<strong>in</strong>. Es gibt ja ganze Statistiken,<br />

<strong>die</strong> beweisen, dass <strong>die</strong> NSDAP<br />

<strong>in</strong> den wirklich katholischen Regionen<br />

Deutschlands nie e<strong>in</strong>e Mehrheit<br />

hatte. Man blieb dem Glauben treu,<br />

und be<strong>in</strong>ahe trotzig wurden beide<br />

Söhne Priester. Und was für welche.<br />

Denn das ist das zweite Phänomen<br />

nach der Frage, wie <strong>die</strong>se e<strong>in</strong>fache<br />

Familie <strong>die</strong> Hitlerdiktatur überstehen<br />

konnte, ohne von der NS-Ideologie<br />

<strong>in</strong>fiziert zu werden. Wie konnten aus<br />

e<strong>in</strong>er doch eher e<strong>in</strong>fachen Familie –<br />

der Vater, wie gesagt, Landgendarm,<br />

<strong>die</strong> Mutter gelernte Köch<strong>in</strong> – zwei so<br />

geniale Söhne erwachsen, der e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong> begnadeter Komponist und Chorleiter<br />

von Weltrang – als Joseph Ratz<strong>in</strong>ger<br />

noch Theologie lehrte, galt er<br />

als „der kle<strong>in</strong>e Bruder des berühmten<br />

Chorleiters“ – und der andere der<br />

größte Theologe deutscher Sprache<br />

und heute der Nachfolger Petri. Wie<br />

konnten überhaupt so viele große<br />

Päpste auch ganz e<strong>in</strong>fachen Familien<br />

entstammen?<br />

Die Antwort liegt <strong>in</strong> der <strong>in</strong>spirierenden<br />

Kraft des Glaubens und im<br />

Reichtum unserer katholischen Kultur.<br />

Sie trägt jeden, der fe<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nig<br />

und <strong>in</strong>telligent veranlagt ist, auf ihren<br />

Schw<strong>in</strong>gen h<strong>in</strong>auf <strong>in</strong> <strong>die</strong> höchsten<br />

Höhen. Immerh<strong>in</strong> hat sie <strong>die</strong> größten<br />

Maler, Bildhauer und Komponisten<br />

aber auch <strong>die</strong> größten Wissenschaftler<br />

und Denker der Geschichte <strong>in</strong>spiriert.<br />

Wir haben e<strong>in</strong>en so kostbaren<br />

Schatz <strong>in</strong> unserem katholischen<br />

Glauben und unserer katholischen<br />

Kultur, dass es e<strong>in</strong>e echte Schande<br />

Die Familie des Bayerischen Polizeibeamten Joseph Ratz<strong>in</strong>ger: Joseph<br />

(heute Papst Benedikt XVI.), Georg, Maria, Vater Joseph Ratz<strong>in</strong>ger, Mutter<br />

Maria geb. Pe<strong>in</strong>tner<br />

ist, wie wenig wir heute daraus machen,<br />

wie nachlässig wir damit umgehen.<br />

<strong>Der</strong> Hunger der Jugend ist<br />

doch da!<br />

Das beste Beispiel dafür ist Ni g h t-<br />

f e v e r. Als 2005 der Weltjugendtag<br />

<strong>in</strong> Köln stattfand und der e<strong>in</strong>st so<br />

schüchterne Kard<strong>in</strong>al Ratz<strong>in</strong>ger erstmals<br />

als Nachfolger Petri über e<strong>in</strong>er<br />

Million Jugendlichen gegenüberstand,<br />

saßen <strong>die</strong> meisten Journalisten<br />

im schönen, warmen Pressebüro<br />

im Kölner Messezentrum und haben<br />

sich das Maul darüber zerrissen,<br />

wie weltfremd doch der neue Papst<br />

sei. Da erzählt er doch <strong>in</strong> der Tat den<br />

Jugendlichen etwas von der Eucharistie,<br />

hält e<strong>in</strong>e richtige kle<strong>in</strong>e Vorlesung,<br />

als ob das noch etwas mit ihrer<br />

Lebenswirklichkeit zu tun hätte.<br />

Doch wer statt im warmen Pressebüro<br />

bei Kaffee und Sandwiches lieber<br />

vor Ort war, auf der grünen Wiese<br />

saß und zusammen mit all den Jugendlichen<br />

dem Papst zuhörte, dem<br />

fiel etwas ganz anderes auf: man hätte<br />

e<strong>in</strong>e Stecknadel fallen hören können,<br />

so aufmerksam, ja so fasz<strong>in</strong>iert<br />

hörten sie ihm zu, um gleich darauf<br />

das, worüber der Heilige Vater gesprochen<br />

hatte, zu praktizieren: Die<br />

Anbetung des Allerheiligsten. Denn<br />

auf <strong>die</strong> Papstpredigt folgte <strong>die</strong> vielleicht<br />

größte Anbetung des Altarsakraments<br />

<strong>in</strong> der deutschen Geschichte<br />

mit über e<strong>in</strong>er Million Gläubigen,<br />

<strong>die</strong> das mit e<strong>in</strong>er Ernsthaftigkeit und<br />

H<strong>in</strong>gabe taten, <strong>die</strong> tief berührte.<br />

In <strong>die</strong>ser Nacht wurde das Schönste<br />

geboren, was der deutsche Katholizismus<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem dritten <strong>Jahr</strong>tausend<br />

hervorgebracht hat – Ni g h t f e v e r.<br />

Nightfever ist so ungefähr das totale<br />

Gegenteil von dem, was BDKJ-<br />

Funktionäre glauben, das Jugendliche<br />

wollen. Darum ist Nightfever<br />

auch immer gut besucht, während<br />

der BDKJ deutliche Ermüdungsersche<strong>in</strong>ungen<br />

aufweist. Für alle, <strong>die</strong><br />

es nicht gestern Abend erlebt haben:<br />

Nightfever ist e<strong>in</strong>e ganz traditionelle<br />

eucharistische Anbetung, mit der<br />

Monstranz auf dem Altar. Nur dass<br />

sie manchmal vier, fünf Stunden<br />

dauern kann. Dabei herrscht Dunkelheit,<br />

nur Kerzenlicht, und andächtige<br />

40 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


„Im Zeichen des Kreuzes: 2012/13 – unser Auftrag im <strong>Jahr</strong> des Glaubens“<br />

Stille. Jugendliche s<strong>in</strong>gen, sprechen<br />

Gebete. Jeder E<strong>in</strong>zelne tritt vor, begegnet<br />

dem Herrn <strong>in</strong> Se<strong>in</strong>er eucharistischen<br />

Gestalt. Priester, oft sogar <strong>in</strong><br />

Beichtstühlen, laden zum Sakrament<br />

der Versöhnung e<strong>in</strong>. Und jeder, der<br />

Nightfever verlässt, ist zutiefst bereichert<br />

und beglückt: „Kommt alle<br />

zu mir, <strong>die</strong> ihr euch plagt und schwere<br />

Lasten zu tragen habt. Ich werde<br />

euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28)<br />

– <strong>die</strong>se <strong>Wort</strong>e des Herrn s<strong>in</strong>d das eigentliche<br />

Motto von Nightfever.<br />

Die Begegnung mit dem Herrn<br />

kann so heilend se<strong>in</strong>, gerade auch <strong>in</strong><br />

unserer unsicheren <strong>Zeit</strong>. Dabei ist so<br />

wichtig, dass wir den Glauben nicht<br />

relativieren. Dass wir wieder spüren,<br />

dass der Herr <strong>in</strong> der Tat <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Sakrament<br />

zugegen ist und wir es nicht<br />

bloß mit e<strong>in</strong>er religiösen Symbolsprache<br />

zu tun haben, sondern mit<br />

den tiefen Geheimnissen Gottes, <strong>die</strong><br />

sich wissenschaftlicher Logik entziehen,<br />

aber umso präsenter, realer und<br />

spürbarer s<strong>in</strong>d. Da ist jeder Versuch<br />

e<strong>in</strong>er Rationalisierung, auch wenn<br />

sie von Theologen betrieben wird<br />

und sich „Entmythologisierung“<br />

nennt, e<strong>in</strong> Todesstoß für den lebendigen<br />

Glauben.<br />

Die Krise der Kirche, von der immer<br />

wieder gesprochen wird, ja <strong>die</strong><br />

immer wieder beschworen wird, ist<br />

e<strong>in</strong>zig und alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Krise des Glaubens.<br />

<strong>Der</strong> Heilige Vater hat <strong>die</strong>s erkannt<br />

und mit se<strong>in</strong>er Trilogie „Jesus<br />

von Nazareth“ den Gegenentwurf geliefert,<br />

nämlich e<strong>in</strong>e theologisch brillante<br />

Exegese, <strong>die</strong> aber <strong>die</strong> Geheimnisse<br />

des Glaubens nicht negiert und<br />

rationalisiert, sondern vertieft. Die<br />

nicht den Evangelien ihren Wahrheitsgehalt<br />

abspricht, sie zu frommen<br />

Märchengeschichten erklärt, sondern<br />

ernst nimmt als Zeugnisse von Menschen,<br />

<strong>die</strong> nicht weniger erlebt haben<br />

als das Wirken Gottes. Oder, um es<br />

mit den <strong>Wort</strong>en des hl. Petrus im 2.<br />

Petrusbrief zu sagen: „Denn wir s<strong>in</strong>d<br />

nicht irgendwelchen klug ausgedachten<br />

Geschichten gefolgt, als wir euch<br />

<strong>die</strong> machtvolle Ankunft Jesu Christi,<br />

unseres Herrn, verkündeten, sondern<br />

wir waren Augenzeugen se<strong>in</strong>er<br />

Macht und Größe.“ (2 Petr 1,16)<br />

Solange wir <strong>die</strong><br />

Grundlagen unseres<br />

Glaubens, <strong>die</strong><br />

Evangelien, relativieren,<br />

wird unser<br />

Glaube selbst auf<br />

tönernen Füßen<br />

stehen.<br />

Die Erneuerung<br />

des Glaubens aber<br />

ist das Gebot der<br />

Stunde. Erneuerung<br />

durch Gebet,<br />

durch Empfang<br />

der Sakramente,<br />

durch <strong>die</strong> Begegnung<br />

mit dem<br />

Herrn. Erneuerung<br />

der Kirche durch<br />

<strong>die</strong> Familien, <strong>die</strong><br />

Hauskirche, durch<br />

Vermittlung des<br />

Glaubens an K<strong>in</strong>der und Jugendliche.<br />

Wenn wir uns <strong>die</strong>sen Aufgaben stellen,<br />

dann kann uns <strong>die</strong> Reevangelisierung<br />

Europas gel<strong>in</strong>gen.<br />

Dazu gehört aber auch, dass wir<br />

uns nicht verstecken. Und deshalb<br />

möchte ich doch auch das Kreuz nicht<br />

vergessen, heute, zwei Tage nach dem<br />

Fest der Kreuzerhöhung. Br<strong>in</strong>gen wir<br />

es zurück <strong>in</strong> unser Leben. Tragen wir<br />

es stolz an unserer Brust, an unserem<br />

Revers, verstecken wir es nicht.<br />

Ich habe vorh<strong>in</strong> von den ägyptischen<br />

Kopten gesprochen, <strong>die</strong> seit 1400 <strong>Jahr</strong>en<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er islamisch dom<strong>in</strong>ierten<br />

und damit ihnen fe<strong>in</strong>dlich ges<strong>in</strong>nten<br />

Umwelt überleben mussten. E<strong>in</strong>mal,<br />

im 9. <strong>Jahr</strong>hundert, verbot ihnen der<br />

Emir, der im Auftrag des Kalifen ihr<br />

Land verwaltete, Kreuze zu tragen.<br />

Aus Protest griffen sie zu e<strong>in</strong>em drastischen<br />

Mittel, sie tätowierten sich das<br />

Kreuz auf <strong>die</strong> Hand. Dieser Brauch<br />

hat sich bis heute erhalten, nach wie<br />

vor trägt e<strong>in</strong> Großteil der Kopten e<strong>in</strong><br />

tätowiertes Kreuz auf der Hand.<br />

Ich will damit bitte ke<strong>in</strong>e neue Mode<br />

kreieren. Aber ich will sagen: Wir<br />

dürfen uns nicht gefallen lassen, dass<br />

man uns das Kreuz wegnimmt, und<br />

sei es, <strong>in</strong>dem es aus den öffentlichen<br />

Räumen verschw<strong>in</strong>det. Ich lade sie also<br />

ganz persönlich dazu e<strong>in</strong>, im <strong>Jahr</strong><br />

des Glaubens auch e<strong>in</strong> Zeichen des<br />

Glaubens zu setzen, und Kreuze <strong>in</strong> unsere<br />

Welt zu pflanzen, ja zum Kreuzträger<br />

zu werden wie e<strong>in</strong>st Simon<br />

von Cyrene. Wie wunderbar wäre es,<br />

wenn sich jeder von uns dafür stark<br />

macht, dass <strong>in</strong> jedem Klassenzimmer,<br />

<strong>in</strong> jedem Krankenhauszimmer, <strong>in</strong> jedem<br />

Gerichtssaal, jeder Amtsstube<br />

und über jedem Hotelbett bald wieder<br />

e<strong>in</strong> Kreuz hängt! Damit jeder von uns<br />

se<strong>in</strong>e Erfahrungen mit dem Kreuz teilen<br />

und andere <strong>in</strong>spirieren kann, gibt<br />

es sogar auf dem Internet e<strong>in</strong>e Facebook-Gruppe<br />

„<strong>Jahr</strong> des Kreuzes“, <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Sie hiermit alle von Herzen e<strong>in</strong>geladen<br />

s<strong>in</strong>d. Auch sie steht im Zeichen<br />

der Glaubenserneuerung.<br />

Das <strong>Jahr</strong> des Glaubens, das unser<br />

Heiliger Vater <strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>mal vier<br />

Wochen e<strong>in</strong>läutet, ist e<strong>in</strong> Zeichen<br />

der Hoffnung für uns alle auf e<strong>in</strong>e<br />

Kehrtwende, <strong>die</strong> Europa so dr<strong>in</strong>gend<br />

braucht. Wir müssen unsere Identität<br />

wiederf<strong>in</strong>den, wir müssen wieder Zugang<br />

bekommen zu der Quelle unserer<br />

e<strong>in</strong>stigen Größe, unserer <strong>in</strong>neren<br />

Kraft, unserem Glauben. Dieser Kongress<br />

bürgt dafür und lässt uns spüren,<br />

welche Freude von ihm ausgehen<br />

kann. Tragen wir <strong>die</strong>se Freude am<br />

Glauben h<strong>in</strong>aus <strong>in</strong> unsere Welt, um sie<br />

<strong>in</strong> Christus zu erneuern!<br />

Gott segne Sie alle, und kommen<br />

Sie gut heim! <br />

q<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 41


Raymund Fobes:<br />

Durch <strong>die</strong> Gottesliebe standhaft werden<br />

Die Versuchungen Christi und unsere Fastenzeit<br />

Mitte <strong>Februar</strong> beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />

<strong>Jahr</strong> wieder <strong>die</strong> Fastenzeit,<br />

<strong>die</strong> uns Christen<br />

auf das Osterfest vorbereiten soll –<br />

auf Gottes großes Wunder zu unserem<br />

Heil, auf <strong>die</strong> Auferstehung se<strong>in</strong>es<br />

Sohnes.<br />

Diese Vorbereitung ist notwendig<br />

und wichtig, obgleich das Bewusstse<strong>in</strong><br />

für <strong>die</strong> Fastenzeit <strong>in</strong> der Öffentlichkeit<br />

weitgehend verschwunden<br />

ist. Zumeist geht es den Menschen<br />

heute nur um e<strong>in</strong> bewussteres Essen,<br />

um körperlich abzunehmen, darum,<br />

e<strong>in</strong>em unbedachtem E<strong>in</strong>nehmen der<br />

Mahlzeiten den bewussten Verzicht<br />

auf zu Viel, auf zu Fettiges und zu<br />

Süßes entgegenzustellen.<br />

Für den Christen geht es <strong>in</strong> der Fastenzeit<br />

darum nicht. Das Ziel muss<br />

vielmehr se<strong>in</strong>, Gott näher zu kommen.<br />

Dabei kann e<strong>in</strong> bewussteres Essen<br />

auch e<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>. Maßhalten<br />

öffnet den Blick für das Wesentliche,<br />

also auf Gott h<strong>in</strong>. Und auch dadurch,<br />

dass ich das E<strong>in</strong>gesparte Notleidenden<br />

zur Verfügung stelle, erfülle ich<br />

Gottes Willen, der ja Solidarität unter<br />

den Menschen wünscht, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Geschöpfe s<strong>in</strong>d.<br />

Jesu Fasten und<br />

se<strong>in</strong>e Versuchungen<br />

Wenn wir <strong>in</strong> der Heiligen Schrift<br />

nachschauen, so erfahren wir, dass<br />

auch Jesus selbst vierzig Tage gefastet<br />

hat, um sich auf se<strong>in</strong>en Dienst der<br />

Verkündigung des Gottesreiches vorzubereiten.<br />

In <strong>die</strong>ser Situation muss<br />

er sich dreier Versuchungen durch den<br />

Teufel stellen. Am ersten Fastensonntag<br />

stehen <strong>die</strong>se Texte auch als Evangelium<br />

im Zentrum der Heiligen Messe<br />

stehen. Sie s<strong>in</strong>d uns von den drei<br />

Evangelisten Markus, Matthäus und<br />

Lukas überliefert. Markus schreibt<br />

nur <strong>in</strong> zwei Versen se<strong>in</strong>es ersten Kapitels<br />

davon, dass Jesus versucht wur­<br />

de. Matthäus und Lukas nennen alle<br />

drei Versuchungen, allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> unterschiedlicher<br />

Reihenfolge.<br />

Im Grunde geht es bei <strong>die</strong>sen drei<br />

Versuchungen darum, dass der Widersacher<br />

alles daran setzt, Jesus von<br />

se<strong>in</strong>em himmlischen Vater fortzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Aber Jesus lässt sich davon natürlich<br />

nicht bee<strong>in</strong>drucken, obwohl ihm<br />

auch <strong>die</strong> Askese – konkret der Hunger<br />

– zu schaffen macht.<br />

Die Versuchungsberichte haben<br />

aber auch mit uns und mit unserer<br />

Vorbereitung auf das Osterfest zu tun.<br />

Sie lehren auch uns, wie wir unsere<br />

Beziehung zu Gott vertiefen sollen –<br />

worauf es letztlich ankommt. Im ersten<br />

Band se<strong>in</strong>es Jesus-Buches betont<br />

Papst Benedikt XVI., im Zusammenhang<br />

mit den Versuchungsgeschichten,<br />

dass der Kern e<strong>in</strong>er jeden Versuchung<br />

immer das „Beiseiteschieben<br />

Gottes“, ist, „der neben allem vordr<strong>in</strong>glicher<br />

Ersche<strong>in</strong>enden unseres<br />

Lebens als zweitrangig, wenn nicht<br />

überflüssig und störend empfunden<br />

wird.“<br />

Nicht vom Brot,<br />

sondern von Gottes <strong>Wort</strong><br />

Worum geht es bei den Versuchungen<br />

konkret? Die erste Versuchung<br />

ist bei Lukas und Matthäus <strong>die</strong>, dass<br />

der Teufel den hungrigen Jesus auffordert,<br />

er soll Ste<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Brot verwandeln<br />

und damit beweisen, dass er Gottes<br />

Sohn ist. Diese Aufforderung zum<br />

Beweis der Göttlichkeit kommt auch<br />

<strong>in</strong> der zweiten Versuchung (bei Lukas<br />

ist es <strong>die</strong> dritte) vor. Jesus lässt sich<br />

aber beide Male darauf nicht e<strong>in</strong>. Hier<br />

nun sagt er dem Widersacher: „<strong>Der</strong><br />

Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern<br />

von jedem <strong>Wort</strong>, das aus Gottes<br />

Mund kommt.“ Jesus er<strong>in</strong>nert hier an<br />

Dtn 8,3, also an das Deuteronomium,<br />

das fünfte Buch des jüdischen Gesetzes,<br />

bei dem es um den Hunger der<br />

Israeliten auf ihrer Flucht aus Ägypten<br />

und das Manna geht, das Gott zur<br />

Stillung des Hungers ihnen schenkte.<br />

Interessant ist, dass Jesus auch später,<br />

<strong>in</strong> der im Johannesevangelium überlieferten<br />

Rede vom Brot des Lebens<br />

(Joh 6,22-59), e<strong>in</strong>er Rede, <strong>die</strong> zur Eucharistie<br />

h<strong>in</strong>führt, <strong>die</strong>ses Brot mit dem<br />

Manna vergleicht. Dieses Manna, so<br />

heißt es dort, sättigt nicht wirklich –<br />

aber das lebendige Brot, das Jesus selber<br />

ist. Man könnte also <strong>die</strong> Antwort<br />

an den Teufel auch von der Eucharistie<br />

her lesen. Jesus selbst, den wir geheimnisvoll<br />

empfangen, kann letztlich<br />

wirklich satt machen.<br />

Es ist auf der anderen Seite ganz<br />

klar, dass <strong>die</strong> Antwort Jesu an den<br />

Teufel nicht bedeutet, dass uns der<br />

Hunger <strong>in</strong> der Welt gleichgültig se<strong>in</strong><br />

soll. In der wunderbaren Brotvermehrung<br />

hat Jesus selbst gezeigt, dass es<br />

Gott auch wichtig ist, den leiblichen<br />

Hunger zu stillen.<br />

Aber es geht hier nicht um <strong>die</strong>, <strong>die</strong><br />

wirklich Hunger leiden. Es geht um<br />

<strong>die</strong>, deren Gott der Bauch ist oder,<br />

anders gesagt, um <strong>die</strong>, <strong>die</strong> das Materielle<br />

und re<strong>in</strong> Irdische vergöttern,<br />

<strong>die</strong> immer mehr haben wollen – Karriere,<br />

Reichtum, irdischen Ruhm und<br />

dabei Gott vergessen. Aber letztlich<br />

ist es doch Gott, der me<strong>in</strong> Leben<br />

reich macht. Wer nach materiellem<br />

Reichtum und Ruhm strebt, will immer<br />

mehr – se<strong>in</strong>e Seele kommt nicht<br />

zur Ruhe. Doch das wird nur möglich,<br />

wenn ich mich auf Gott bes<strong>in</strong>ne.<br />

Darum ist es <strong>in</strong> der Fastenzeit s<strong>in</strong>nvoll,<br />

genau h<strong>in</strong>zuschauen, wie wichtig<br />

mir der „Bauch“ und das Irdische<br />

ist und wo ich me<strong>in</strong> Leben noch etwas<br />

mehr <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>n „entweltlichen“<br />

kann. Mit <strong>die</strong>ser Haltung kann<br />

ich mich gut auf Ostern vorbereiten<br />

und dann auch wirklich das Geheimnis<br />

mit ganzem Herzen begreifen,<br />

dass Gott der endgültige Sieger ist,<br />

mit dem ich auf ewig Geme<strong>in</strong>schaft<br />

haben darf.<br />

42 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Gott nicht auf<br />

<strong>die</strong> Probe stellen<br />

In der zweiten Versuchung bei<br />

Matthäus (bei Lukas ist es <strong>die</strong> dritte)<br />

verlangt der Teufel von Jesus, dass er<br />

sich vom Tempel herab stürzt, um zu<br />

beweisen, dass er Gottes Sohn ist. Die<br />

Antwort Jesu ist abermals e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis<br />

auf e<strong>in</strong>e Schriftstelle im Buch Deuteronomium.<br />

„Du sollst den Herrn,<br />

de<strong>in</strong>en Gott nicht auf <strong>die</strong> Probe stellen.“<br />

In <strong>die</strong>ser krassen Form ersche<strong>in</strong>t<br />

uns <strong>die</strong>se Versuchung wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

fremd. Es würde wohl kaum e<strong>in</strong>er auf<br />

<strong>die</strong> Idee kommen, sich von e<strong>in</strong>em hohen<br />

Gebäude herunterzustürzen, um<br />

auf <strong>die</strong>se Weise Gott herauszufordern,<br />

dass er ihn vor den Verletzungen<br />

des Sturzes bewahre. Auf der anderen<br />

Seite gibt es aber auch subtilere<br />

Versuchungen, Gott auf <strong>die</strong> Probe zu<br />

stellen. E<strong>in</strong> typisches Beispiel ist es,<br />

wenn wir von Gott verlangen, dass<br />

er uns unsere Wünsche erfüllt. Es ist<br />

L<strong>in</strong>ks:<br />

Christus am Ölberg:<br />

Wenn es de<strong>in</strong> Wille<br />

ist, Vater, lass <strong>die</strong>sen<br />

Kelch an mir vorübergehen.<br />

Aber es<br />

soll de<strong>in</strong> Wille geschehen.<br />

Rechts:<br />

Die Versuchung Jesu<br />

Christi, Mosaik<br />

im Dom zu Monreale,<br />

Sizilien<br />

vorübergeht. Doch der Vater erhörte<br />

<strong>die</strong>ses Gebet nicht. Jesus hat <strong>die</strong>se<br />

Gebetserhörung am Ölberg allerd<strong>in</strong>gs<br />

nicht verlangt, er sagt e<strong>in</strong>deutig: Auch<br />

wenn du mir den Kelch des Kreuzes<br />

nicht ersparst, es soll de<strong>in</strong> Wille geschehen.<br />

Dieses „De<strong>in</strong> Wille geschehe“ – wir<br />

beten es <strong>in</strong> jedem „Vaterunser“ – muss<br />

aber von der Liebe Gottes her verstanden<br />

werden. Gott will grundsätzlich,<br />

dass es uns wirklich gut geht. Wenn<br />

er unsere Bitten nicht erhört, so hat<br />

das e<strong>in</strong>en tieferen S<strong>in</strong>n, den wir nicht<br />

begreifen. Manchmal verstehen wir<br />

ihn später. Vielleicht ist es Ihnen auch<br />

schon e<strong>in</strong>mal so gegangen, dass Gott<br />

Ihnen e<strong>in</strong>en konkreten Wunsch nicht<br />

erfüllt hat und Sie später gemerkt haben,<br />

dass das letztlich gut so war. In<br />

anderen Fällen ist es dann aber auch<br />

wichtig, das Gottvertrauen e<strong>in</strong>zuüben,<br />

sich mehr und mehr darüber klar zu<br />

werden, dass Gott wirklich das Ziel<br />

hat, dass für uns alles gut wird – vielmanchmal<br />

natürlich auch verständlich,<br />

dass wir <strong>in</strong> schwierigen Situationen,<br />

etwa <strong>in</strong> eigener Krankheit oder<br />

wenn jemand, der uns nahe steht, im<br />

Sterben liegt, von Gott erwarten, dass<br />

er uns oder unsere Angehörigen gesund<br />

macht. Trotzdem wird Gott nicht<br />

immer so reagieren, wie wir es gerne<br />

hätten. Jesus selbst hat <strong>die</strong>se Erfahrung<br />

machen müssen – am Ölberg.<br />

Er bat se<strong>in</strong>en Vater <strong>in</strong>ständig darum,<br />

dass der Kelch des Kreuzes an ihm<br />

leicht nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser, sondern <strong>in</strong> der<br />

künftigen Welt. Auch e<strong>in</strong>em solchen<br />

E<strong>in</strong>üben kann <strong>die</strong> Fastenzeit <strong>die</strong>nen.<br />

Sich für Gott<br />

entscheiden<br />

In der dritten Versuchung – bei<br />

Lukas ist es <strong>die</strong> zweite – fordert der<br />

Teufel Jesus auf, ihn anzubeten. Dafür<br />

will er ihm alle Reiche der Welt<br />

geben. Hier geht es um <strong>die</strong> Urversuchung<br />

des Menschen, sich von Gott<br />

abzuwenden, wenn er me<strong>in</strong>t, anderswo<br />

Besseres zu f<strong>in</strong>den. Und damit<br />

s<strong>in</strong>d wir genau <strong>in</strong> unserer <strong>Zeit</strong>. <strong>Der</strong><br />

Gottes<strong>die</strong>nstbesuch schw<strong>in</strong>det, das<br />

Bußsakrament f<strong>in</strong>det schon seit langem<br />

kaum mehr Interesse. Doch gerade<br />

hier s<strong>in</strong>d wir als gläubige und<br />

praktizierende Christen gefragt, um<br />

andere durch unser Handeln von<br />

der Richtigkeit des Christentums zu<br />

überzeugen.<br />

Es geht darum, immer mehr e<strong>in</strong>zuüben,<br />

dass Gott nichts vorgezogen<br />

werden soll. Das bedeutet nicht, dass<br />

uns unsere Mitmenschen gleichgültig<br />

se<strong>in</strong> sollen – <strong>die</strong> Nächstenliebe ist<br />

ja auch im S<strong>in</strong>ne Gottes. Es bedeutet<br />

aber, dass wir unser Leben von<br />

Gott her verstehen und dass wir aus<br />

der Beziehung zu ihm heraus leben.<br />

Gerade das führt ja zur wahren Solidarität<br />

mit den Mitmenschen und<br />

schlussendlich auch dazu, dass unser<br />

eigenes Leben erfüllter ist. Aber<br />

hierzu ist es wiederum nötig, dass<br />

wir uns mehr und mehr auf Gott e<strong>in</strong>lassen,<br />

uns ganz bewusst fragen, wo<br />

wir ihm noch näher kommen sollten.<br />

Die vorösterliche Fastenzeit ist daher<br />

auch e<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong> der Umkehr, bei<br />

der auch das Bußsakrament se<strong>in</strong>en<br />

Platz haben sollte. Und da wäre e<strong>in</strong><br />

guter Vorsatz der Reue: „Herr, hilf<br />

uns, dass wir nicht <strong>in</strong> Versuchung<br />

fallen.“<br />

q<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 43


Georg Dietle<strong>in</strong>:<br />

„Ich b<strong>in</strong> bereit“<br />

Vom Suchen und F<strong>in</strong>den der eigenen Berufung<br />

Die<br />

Frage nach me<strong>in</strong>er eigenen<br />

Berufung begleitet mich<br />

seit ziemlich genau me<strong>in</strong>em zwölften<br />

Lebensjahr. Ich hatte e<strong>in</strong>e katholische<br />

Grundschule und e<strong>in</strong> erzbischöfliches<br />

Gymnasium besucht und dachte darüber<br />

nach, Priester zu werden. So nahm<br />

ich mit 13 <strong>Jahr</strong>en e<strong>in</strong> Schülerstudium<br />

der katholischen Theologie <strong>in</strong> Bonn<br />

und Köln auf, um me<strong>in</strong>e Berufung zu<br />

prüfen. Ich stu<strong>die</strong>rte also „ganz normal“<br />

geme<strong>in</strong>sam mit anderen Studenten<br />

– nur eben als Schüler. Für<br />

mich stand damals zunächst weniger<br />

das Fach oder das „Abenteuer“ e<strong>in</strong>es<br />

Schülerstudiums im Vordergrund. Ich<br />

wollte <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> an der Universität nutzen,<br />

um mich auf me<strong>in</strong>e mögliche Berufung<br />

„e<strong>in</strong>zulassen“, um mich selbst<br />

zu prüfen, ob ich denn überhaupt zum<br />

Priester „taugen“ würde. Im Rahmen<br />

des Studiums nahm dann <strong>die</strong> Liebe<br />

zur Theologie zu. Das Studium beantwortete<br />

mir entscheidende S<strong>in</strong>nfragen<br />

me<strong>in</strong>es Lebens. Erst mit dem theologischen<br />

Wissen verstand ich so richtig,<br />

wie ich <strong>die</strong> Welt und me<strong>in</strong>e eigene<br />

Existenz zu deuten hatte, worum es<br />

uns als Christen denn eigentlich geht.<br />

Das Studium wurde immer mehr vom<br />

„Ort der Prüfung“ zum „Ort des Lernens“.<br />

Dass <strong>die</strong> Prüfung me<strong>in</strong>er eigenen<br />

Berufung noch nicht abgeschlossen<br />

se<strong>in</strong> konnte, merkte ich genau drei<br />

<strong>Jahr</strong>e später. Ich war gerade 16 <strong>Jahr</strong>e<br />

alt und wurde durch Freunde auf<br />

<strong>die</strong> Politik aufmerksam. In der katholischen<br />

Soziallehre hatte ich bereits<br />

viel darüber erfahren, wie man e<strong>in</strong>e<br />

Gesellschaft nach christlichen Pr<strong>in</strong>zipien<br />

gestalten müsste. Und eigentlich<br />

fehlte mir das auch e<strong>in</strong> wenig: Politik<br />

aus christlicher Verantwortung, das<br />

„C“ <strong>in</strong> der CDU. Und da man Politik<br />

nicht ohne Kenntnisse des geltenden<br />

Rechts gestalten kann, pausierte ich<br />

mit Theologie und begann e<strong>in</strong> Studium<br />

der Rechtswissenschaften. Me<strong>in</strong><br />

politisches Engagement brachte mir<br />

viele Erfahrungen e<strong>in</strong>. Nach me<strong>in</strong>em<br />

Abitur setzte ich im W<strong>in</strong>ter 2010 auf<br />

Jura noch BWL drauf. Damit hatte ich<br />

mich vier <strong>Jahr</strong>e nach Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>es<br />

Theologiestudiums von me<strong>in</strong>er „Überlegung“,<br />

Priester zu werden, weit entfernt.<br />

Das priesterliche Leben hatte für<br />

mich zwar nach wie vor se<strong>in</strong>en großen<br />

Reiz. Ich fühlte mich aber mit 17 <strong>Jahr</strong>en<br />

noch nicht reif dafür, <strong>die</strong>sen Weg<br />

e<strong>in</strong>zuschlagen. Schließlich wusste ich<br />

noch nicht, ob ich Armut, Gehorsam<br />

und Keuschheit wirklich e<strong>in</strong> Leben<br />

lang halten könnte. So eröffneten sich<br />

mit me<strong>in</strong>en neuen Stu<strong>die</strong>nfächern<br />

auch andere Berufsoptionen. Ich hatte<br />

mir immer geschworen, auch <strong>in</strong> zivilen<br />

Berufen engagierter Katholik zu<br />

bleiben. Ich wollte als Laie, als „unbefangener<br />

Christ“ der Kirche <strong>die</strong>nen<br />

und mit <strong>Wort</strong> und Tat für das Evangelium<br />

e<strong>in</strong>treten – <strong>in</strong> der eigenen Familie,<br />

im Rahmen me<strong>in</strong>es Berufs, <strong>in</strong> katholischen<br />

Vere<strong>in</strong>igungen. Manchmal<br />

stellte ich mir aber leise <strong>die</strong> Frage, ob<br />

<strong>die</strong>ser „fromme Vorsatz“ nicht e<strong>in</strong>fach<br />

e<strong>in</strong>e Ausrede war, um me<strong>in</strong>er eigentlichen<br />

Berufung zu entgehen. Waren<br />

mir gesellschaftliches Ansehen, hohes<br />

E<strong>in</strong>kommen und e<strong>in</strong> Beruf, <strong>in</strong> dem ich<br />

mit großen Mandaten und Deals handeln<br />

konnte, wichtiger als me<strong>in</strong> Glaube<br />

geworden? Müsste es nicht heißen:<br />

Wenn Gott Dich ruft, dann geh ke<strong>in</strong>en<br />

Umweg, sondern folge ihm nach –<br />

hier und heute?<br />

Beruf und Berufung<br />

Dies führt zu e<strong>in</strong>er ersten Erkenntnis:<br />

Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz normalen<br />

zivilen Beruf sollten wir niemals<br />

vergessen, dass wir zu etwas berufen<br />

s<strong>in</strong>d. Wir sollten auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

sche<strong>in</strong>baren Allerweltsberuf auf <strong>die</strong><br />

Suche gehen nach unserem Weg, den<br />

Gott ganz konkret mit uns vorhat.<br />

Wenn wir das <strong>Wort</strong> „Berufung“ <strong>in</strong><br />

den Mund nehmen, so denken wir oft<br />

vorschnell an <strong>die</strong> besonderen Berufungen:<br />

<strong>die</strong> Berufung zum geweihten<br />

Leben, zum Diakonat, zum Priestertum.<br />

Nur selten sprechen wir davon,<br />

dass man auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zivilen Beruf<br />

zu etwas berufen se<strong>in</strong> kann. Möglicherweise<br />

haben wir ganz besondere<br />

Gaben und Fähigkeiten, <strong>die</strong> uns e<strong>in</strong>en<br />

bestimmten beruflichen Weg nahe<br />

legen. Vielleicht haben wir auch<br />

e<strong>in</strong>fach nur das gewisse Gespür für<br />

etwas. Oder aber wir gehen <strong>in</strong> unserem<br />

Beruf so sehr auf, dass wir von<br />

uns selbst behaupten würden, wir<br />

seien dazu berufen.<br />

Auch wenn wir <strong>in</strong> solchen Fällen<br />

manchmal von „Be-ruf-ung“ sprechen,<br />

so verdrängen wir doch etwas.<br />

In den allermeisten Fällen bleibt das<br />

verme<strong>in</strong>tliche Gerufen- bzw. Berufen-Se<strong>in</strong><br />

doch etwas Selbstgemachtes,<br />

etwas Selbstbestimmtes, etwas<br />

Selbstgewähltes. Wir lassen uns nicht<br />

berufen, sondern berufen uns selbst.<br />

Wir meiden <strong>die</strong> Frage unseres eigenen<br />

– möglicherweise christlichen –<br />

Berufen-Se<strong>in</strong>s. Wir suchen uns Auswege<br />

und Ausreden. Am Ende s<strong>in</strong>d<br />

es doch wir, <strong>die</strong> wir uns nach unseren<br />

eigenen Neigungen, Vorlieben<br />

und Leidenschaften e<strong>in</strong>en Lebensweg<br />

bahnen. Nur ganz selten fragen<br />

wir uns: Gibt es neben unseren eigenen<br />

Plänen, Berufszielen, Träumen<br />

und Visionen vielleicht noch so etwas<br />

wie e<strong>in</strong>en „Masterplan“ Gottes,<br />

den wir uns nicht e<strong>in</strong>fach selbst „machen“<br />

können, sondern der von außen<br />

an uns herangetragen wird und<br />

den wir uns auch e<strong>in</strong>mal anschauen<br />

könnten? S<strong>in</strong>d wir wirklich offen genug<br />

für e<strong>in</strong>e Berufung?<br />

44 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Georg Dietle<strong>in</strong>, <strong>Jahr</strong>gang 1992, stu<strong>die</strong>rte als Schüler Katholische Theologie <strong>in</strong><br />

Köln und Bonn und ist zur <strong>Zeit</strong> Student der Rechtswissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre<br />

an der Universität zu Köln. Nach se<strong>in</strong>em Studium möchte<br />

er <strong>in</strong>s Priestersem<strong>in</strong>ar e<strong>in</strong>treten.<br />

<strong>Der</strong> Kommunikationsweg<br />

Gottes ist <strong>die</strong> Berufung<br />

Die Heilige Schrift ist durchzogen<br />

von e<strong>in</strong>drucksvollen Berufungserzählungen.<br />

Bereits <strong>die</strong> ersten<br />

Menschen erhalten von Gott<br />

e<strong>in</strong>en klaren Auftrag: „Seid fruchtbar<br />

und vermehrt euch, bevölkert<br />

<strong>die</strong> Erde, unterwerft sie euch“ (Gen<br />

1,28). Immer wenn Gott mit den<br />

Menschen spricht, weist er ihnen<br />

e<strong>in</strong>en Weg. Gott spricht <strong>die</strong> Menschen<br />

direkt an. Sie müssen gar<br />

nicht lange warten. Gott kommt auf<br />

sie zu.<br />

„Zieh weg aus de<strong>in</strong>em Land, von<br />

de<strong>in</strong>er Verwandtschaft und aus de<strong>in</strong>em<br />

Vaterhaus <strong>in</strong> das Land, das ich<br />

dir zeigen werde. Ich werde dich zu<br />

e<strong>in</strong>em großen Volk machen, dich<br />

segnen und de<strong>in</strong>en Namen groß machen“<br />

(Gen 12,1f.). So weitreichend,<br />

e<strong>in</strong>schneidend und folgenreich <strong>die</strong>se<br />

Berufung Abrahams durch Gott<br />

auch se<strong>in</strong> mag: <strong>Der</strong> Berufene folgt<br />

dem Ruf – ohne Widerrede. Gott<br />

ruft, der Mensch antwortet: „Kommt<br />

her, folgt mir nach! Ich werde euch<br />

zu Menschenfischern machen“ (Mk<br />

1,17). Die Apostel hören auf Jesus –<br />

und dann geht es ganz schnell. Sie<br />

lassen ihre Netze liegen und folgen<br />

ihm nach. Vermutlich <strong>in</strong>terpretieren<br />

sie den ganzen Vorgang nicht als<br />

zufälliges Geschehen, sondern im<br />

Rahmen der Heilsgeschichte – im<br />

Wissen um <strong>die</strong> Verheißung Gottes<br />

an Israel: Gott will den Menschen<br />

brauchen, um se<strong>in</strong> Heilswerk an allen<br />

zu vollbr<strong>in</strong>gen. Jeder e<strong>in</strong>zelne<br />

Jünger, den Jesus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Nachfolge<br />

ruft, soll zum Werkzeug <strong>die</strong>ses<br />

Heilswerkes werden. Jeder e<strong>in</strong>zelne<br />

ist von Gott selbst gerufen, wird von<br />

ihm gebraucht.<br />

Warum ich –<br />

und warum überhaupt?<br />

Wenn sich <strong>die</strong> Menschwerdung<br />

Gottes <strong>in</strong> Jesus Christus nicht vor<br />

2000 <strong>Jahr</strong>en <strong>in</strong> Israel, sondern heute<br />

<strong>in</strong> Deutschland ereignet hätte, würden<br />

viele Berufungsszenen vermutlich<br />

anders aussehen. Würden wir uns<br />

aufmachen und auf <strong>die</strong> radikale Forderung<br />

„Kommt her, folgt mir nach!“<br />

mit e<strong>in</strong>em freundlichen „Gerne!“<br />

antworten? – Das Vokabular „gerne“,<br />

„Wieso nicht?“, „Ich b<strong>in</strong> dabei“ wird<br />

uns heute immer fremder. Viel lieber<br />

fragen wir uns: Woh<strong>in</strong> kann ich damit<br />

kommen? Was s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Karriereoptionen?<br />

Wo kann ich da aufsteigen?<br />

Oder grundsätzlicher: Was<br />

br<strong>in</strong>gt mir das? Was hab’ ich davon?<br />

Vermutlich hätten wir dem rufenden<br />

Mann am See Genezareth gar<br />

nicht erst zugehört. Wieso auch? Wir<br />

überhören gerne e<strong>in</strong>mal etwas. Wir<br />

s<strong>in</strong>d oft viel zu laut, zu aufgewühlt<br />

und zu sehr mit uns selbst beschäftigt.<br />

Wir haben ja jetzt schon genug zu tun.<br />

Für Pläne, <strong>die</strong> Gott mit uns vorhat,<br />

bleibt da leider ke<strong>in</strong> Platz. Schade.<br />

Beruf – Berufung – Zukunft<br />

Mit dem Erwachsenwerden werden<br />

junge Menschen mit den tieferen<br />

S<strong>in</strong>nfragen ihres Lebens konfrontiert.<br />

Das fängt bereits bei der Wahl e<strong>in</strong>es<br />

Stu<strong>die</strong>nfachs oder e<strong>in</strong>er Ausbildung<br />

an. Denn mit <strong>die</strong>ser Wahl antizipiere<br />

ich <strong>in</strong> vielen Fällen bereits, welchen<br />

Beruf ich später e<strong>in</strong>mal ausüben<br />

werde. Das ist e<strong>in</strong>e ziemliche Zumutung.<br />

Und selbst <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Entscheidung,<br />

was wir stu<strong>die</strong>ren wollen, s<strong>in</strong>d<br />

wir ja nicht ganz frei. An uns werden<br />

Erwartungen gestellt. Wir sollen<br />

Geld ver<strong>die</strong>nen, erfolgreich se<strong>in</strong>,<br />

möglicherweise sogar den Beruf der<br />

Eltern übernehmen. Mit der Geburt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestimmtes Elternhaus ist oft<br />

bereits entschieden, <strong>in</strong> welchen Kreisen<br />

wir e<strong>in</strong>es Tages e<strong>in</strong>mal verkehren<br />

werden. Und wenn sich andere dann<br />

auch noch bei der Entscheidung e<strong>in</strong>mischen,<br />

was für e<strong>in</strong> Leben wir später<br />

e<strong>in</strong>mal führen sollen, kann man<br />

sich fragen: Wie ernst können wir<br />

eigentlich den Plan Gottes für unser<br />

Leben nehmen?<br />

Christ se<strong>in</strong> me<strong>in</strong>t<br />

berufen se<strong>in</strong><br />

Wenn wir als Kirche wieder zu<br />

neuer Vitalität und neuem Glanz erwachsen<br />

wollen, so sollte es uns vor<br />

allem um e<strong>in</strong>s gehen: um das Suchen<br />

und F<strong>in</strong>den unserer je eigenen Berufung.<br />

Für uns als Christen ist <strong>die</strong>s ke<strong>in</strong>e<br />

Nebensache, sondern lebenslange<br />

Aufgabe. Wir sollten uns jeden Tag<br />

erneut Gedanken über <strong>die</strong>ses Thema<br />

machen. Berufungen erfordern e<strong>in</strong><br />

tiefgründiges Verständnis. Und Gottes<br />

Rufen <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Welt ist ziemlich<br />

leise. Darum gibt es auch nur ganz<br />

selten spektakuläre Berufungsereignisse.<br />

Als Christen wissen wir bereits<br />

darum, dass wir berufen s<strong>in</strong>d: Gott<br />

hat uns <strong>in</strong> <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>schaft se<strong>in</strong>es<br />

Sohnes gerufen. In der Taufe s<strong>in</strong>d<br />

wir ihm gleich gestaltet worden. Wir<br />

s<strong>in</strong>d Hausbewohner Gottes und se<strong>in</strong>e<br />

Erben. Gott beruft aber auch alle<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses<br />

Geschenk nicht annehmen wollen<br />

oder können. Gott hat für jeden – ob<br />

Christ oder nicht – e<strong>in</strong>e ganz persönliche<br />

Berufung.<br />

„Seid heilig, denn ich, der Herr,<br />

euer Gott, b<strong>in</strong> heilig“ (Lev 19,2).<br />

Gott möchte uns Menschen bei sich<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 45


L<strong>in</strong>ks: Abraham, hörend auf Gott (Illum.Initiale,<br />

13.Jhdt).<br />

Gen 12,1 u. 4: „<strong>Der</strong> Herr sprach zu Abram:<br />

‚Zieh h<strong>in</strong>weg aus de<strong>in</strong>er Heimat,<br />

aus de<strong>in</strong>er Verwandschaft und aus<br />

de<strong>in</strong>em Vaterhaus <strong>in</strong> das Land, das<br />

ich dir zeigen werde‘ … Abram brach<br />

auf, wie der Herr ihm geboten hatte.“<br />

Rechts: Mose vor dem brennenden<br />

Dornbusch (Domenico Fetti, 17.Jhdt.)<br />

Ex 2.10-12: „Mose antwortete Gott:<br />

‚Wer b<strong>in</strong> ich denn, dass ich zum Pharao<br />

gehen und <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der Israels aus<br />

Ägypten herausführen soll?‘ Gott antwortete<br />

ihm: ‚Ich will mit dir se<strong>in</strong>!‘“<br />

wissen. Er möchte, dass wir heilig<br />

werden – und zwar im Blick auf <strong>die</strong><br />

Gegenwart und <strong>die</strong> Vollendung. Als<br />

Menschen s<strong>in</strong>d wir nicht nur Geschöpfe<br />

Gottes, sondern auch se<strong>in</strong>e<br />

große Leidenschaft – e<strong>in</strong>e Leidenschaft,<br />

<strong>die</strong> bis <strong>in</strong> den Tod geht.<br />

Gott liebt jeden e<strong>in</strong>zelnen Menschen<br />

und will, dass er Anteil hat an se<strong>in</strong>er<br />

Gottheit. <strong>Der</strong> Auftrag der Kirche<br />

und jedes e<strong>in</strong>zelnen Menschen, Gott<br />

überall und immer zu bezeugen, ist<br />

daher ke<strong>in</strong> Selbstzweck, sondern das<br />

Weiterverschenken der Liebe Gottes.<br />

Johannes Duns Scotus schreibt:<br />

„Deus vult condiligentes“ – Gott will<br />

mitliebende Menschen. Er will den<br />

Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e tr<strong>in</strong>itarische Beziehung,<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e tr<strong>in</strong>itarische Liebe<br />

„h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziehen“, „h<strong>in</strong>aufheben“, damit<br />

er bei Gott ist und Anteil an Gott<br />

und am ewigen Leben hat.<br />

Was hat Gott mit mir vor?<br />

Und dennoch fragen wir uns immer<br />

wieder: Was ist denn me<strong>in</strong>e ganz<br />

<strong>in</strong>dividuelle Berufung? Was hat Gott<br />

ganz konkret mit mir vor? Welchen<br />

Beruf soll ich ergreifen? Soll ich da<br />

nach me<strong>in</strong>en Talenten gehen? Oder<br />

soll ich – trotz oder gerade wegen<br />

me<strong>in</strong>er Gaben und Fähigkeiten – e<strong>in</strong><br />

Leben <strong>in</strong> Armut und Gehorsam führen?<br />

B<strong>in</strong> ich zur Ehe berufen? Wird<br />

Gott mir K<strong>in</strong>der schenken?<br />

Mit <strong>die</strong>sen Fragen ist es mir ganz<br />

genauso ergangen. <strong>Jahr</strong>elang habe<br />

ich mit me<strong>in</strong>er eigenen Berufung gerungen.<br />

Ich b<strong>in</strong> mir sicher: Viel zu oft<br />

steht und stand <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben nur<br />

das im Vordergrund, was eigentlich<br />

ich – und nicht Gott – wollte. Vielen<br />

geht es sicherlich genauso: Wir<br />

lassen uns blenden von Macht, Erfolg,<br />

Reichtum, Geld, Anerkennung<br />

und Lob. Wir lassen uns von anderen<br />

Menschen treiben und verlieren<br />

so unsere eigene Identität: „Lass das,<br />

das passt doch gar nicht zu Dir“ –<br />

„Du kannst doch so viel mehr“ – „Da<br />

kannst Du doch gar ke<strong>in</strong> Geld machen.“<br />

<strong>Der</strong> erste Schritt auf der Suche<br />

nach unserer eigenen Berufung<br />

ist das offene Ohr und das hörende<br />

Herz. Wenn wir Gottes Rufen <strong>in</strong> unserer<br />

<strong>Zeit</strong> hören wollen, so müssen<br />

wir ganz ruhig werden. Wir müssen<br />

mit ihm sprechen – im Gebet, <strong>in</strong> der<br />

Anbetung, <strong>in</strong> der Beichte – regelmäßig.<br />

Leider haben wir allzu oft <strong>die</strong><br />

lästige Angewohnheit, uns <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie von unseren Eltern, Freunden<br />

und Bekannten beraten zu lassen. Für<br />

Gott haben wir h<strong>in</strong>gegen ke<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong>.<br />

Wieso lassen wir uns nicht e<strong>in</strong>fach<br />

e<strong>in</strong>mal von Gott beraten?<br />

Gott erwartet uns immer da, wo<br />

wir ihn gerade nicht erwarten. Nur<br />

dann, wenn wir unser Herz und unsere<br />

Ohren wirklich öffnen, kann er<br />

zu uns sprechen und können wir se<strong>in</strong><br />

Rufen hören. Wir sollten alte und<br />

sche<strong>in</strong>bar gefestigte Pläne für <strong>die</strong> Zukunft<br />

immer wieder e<strong>in</strong>mal nüchtern<br />

zur Seite legen und <strong>in</strong> der eucharistischen<br />

Gegenwart Gottes überdenken.<br />

Laufe ich da gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bahnstraße<br />

oder e<strong>in</strong>e Sackgasse? Woran<br />

orientiere ich mich eigentlich? Habe<br />

ich mich da nicht <strong>in</strong> etwas h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gesteigert?<br />

Berufung zum Priestertum<br />

Immer wieder beruft Gott auch<br />

junge Männer <strong>in</strong> <strong>die</strong> priesterliche<br />

Nachfolge se<strong>in</strong>es Sohnes. Solche<br />

Berufungen s<strong>in</strong>d Zeichen der Liebe<br />

Gottes. Gott lässt se<strong>in</strong>e Kirche nicht<br />

alle<strong>in</strong>. Er will, dass sie Bestand und<br />

Zukunft hat. Er will, dass es <strong>in</strong> ihr<br />

immer Menschen gibt, <strong>die</strong> ihr Leben<br />

ganz Gott widmen und Christus <strong>in</strong><br />

ganz verdichteter Weise darstellen –<br />

als Ordensmann, als Ordensfrau, als<br />

Diakon und Priester. So schwer solche<br />

Wege der Nachfolge ersche<strong>in</strong>en:<br />

Wenn Gott Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Nachfolge<br />

ruft, lässt er sie nicht mit ihrer<br />

Berufung alle<strong>in</strong>e.<br />

Die schwerste Bürde e<strong>in</strong>er Berufung<br />

zum Priestertum ist wohl das<br />

Versprechen, das mit ihr e<strong>in</strong>hergeht:<br />

das Leben nach den evangelischen<br />

Räten – Armut, Gehorsam und<br />

Keuschheit. Viele Menschen sehnen<br />

sich nach e<strong>in</strong>er Familie, nach Geborgenheit<br />

und Liebe – e<strong>in</strong>e Sehnsucht,<br />

<strong>die</strong> uns mit der Schöpfungsordnung<br />

<strong>in</strong>newohnt. Und darum ist<br />

es auch ganz natürlich, dass nicht jeder<br />

Mensch zum Priestertum berufen<br />

46 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Rechts: Die Berufung des Propheten<br />

Jesaia: „Weh mir, ich b<strong>in</strong> verloren,<br />

denn ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Mann mit unre<strong>in</strong>en<br />

Lippen und lebe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Volk mit unre<strong>in</strong>en<br />

Lippen…“, sagt Jesaia, doch<br />

e<strong>in</strong> Engel berührt se<strong>in</strong>e Lippen mit e<strong>in</strong>er<br />

glühenden Kohle vom Altare; Gott<br />

re<strong>in</strong>igt und bereitet den Propheten für<br />

se<strong>in</strong>en Dienst (Jes 6,6-7; Bamberger<br />

Jesaia-Kommentar, Reichenau um<br />

1000).<br />

Jes 6,8: „Und ich hörte <strong>die</strong> Stimme<br />

des Herrn: ‚Wen soll ich senden? Wer<br />

wird für uns h<strong>in</strong>gehen?‘ – Und ich erwiderte:<br />

‚Hier b<strong>in</strong> ich; sende mich!‘“<br />

ist. Viele junge Menschen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em<br />

persönlichen Umfeld r<strong>in</strong>gen wirklich<br />

mit <strong>die</strong>ser Frage: Ehe oder Priestertum<br />

– e<strong>in</strong>e schwierige Entscheidung,<br />

<strong>die</strong> uns Gott letztlich nicht abnimmt.<br />

Da müssen wir uns schon <strong>Zeit</strong> nehmen.<br />

E<strong>in</strong>e solche Entscheidung muss<br />

schließlich im Gebet wachsen. Das<br />

Zölibat – Ehelosigkeit „um des Himmelsreiches<br />

willen“ – ist e<strong>in</strong>e ganz<br />

besondere Gnade, <strong>die</strong> wir <strong>in</strong> uns ergründen.<br />

E<strong>in</strong> Mensch, der sich so<br />

reich von Gott beschenkt weiß, dass<br />

er Priester werden will, kann aus <strong>die</strong>ser<br />

Liebe für se<strong>in</strong> Leben lang zehren.<br />

Dann s<strong>in</strong>d Armut, Gehorsam und<br />

Keuschheit nicht mehr Haltungen<br />

des Verzichts, sondern Haltungen der<br />

Freiheit, Haltungen der Größe, Haltungen<br />

der Gnade: ganz frei zu se<strong>in</strong><br />

für Gott – frei von Reichtum, frei<br />

von Dickköpfigkeit und Selbstverliebtheit,<br />

frei für e<strong>in</strong>e andere Dimension<br />

von Familie, <strong>die</strong> Familie Gottes,<br />

den Leib Christi. <strong>Der</strong> Priester weiß<br />

sich beschenkt von der großen Liebe<br />

Gottes. Dies f<strong>in</strong>det Ausdruck im täglichen<br />

Gebet und <strong>in</strong> der Feier der heiligen<br />

Messe.<br />

In der Heiligen Schrift f<strong>in</strong>den wir<br />

das schöne Gleichnis vom Sämann<br />

(Mt 13,1-9). <strong>Der</strong> Sämann sät se<strong>in</strong>e<br />

Körner auf guten Boden, wo der Same<br />

Früchte trägt: „teils hundertfach,<br />

teils sechzigfach, teils dreißigfach“<br />

(Mt 13,8). In ähnlicher Weise verheißt<br />

Jesus se<strong>in</strong>en Jüngern: „Amen, ich sage<br />

euch: Jeder, der um me<strong>in</strong>etwillen<br />

und um des Evangeliums willen<br />

Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter,<br />

Vater, K<strong>in</strong>der oder Äcker verlassen<br />

hat, wird das Hundertfache dafür<br />

empfangen: Jetzt <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong> wird<br />

er Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter,<br />

K<strong>in</strong>der und Äcker erhalten, wenn<br />

auch unter Verfolgungen, und <strong>in</strong> der<br />

kommenden Welt das ewige Leben“<br />

(Mk 10, 29 – 30). Gott hat e<strong>in</strong>e ganz<br />

große Verheißung für uns. Er ist der<br />

Ursprung und der Keim unserer Berufung.<br />

Er hilft uns dabei, dass der<br />

Keim wachsen kann, wenn wir ihm<br />

„unsere Poren“ nicht verschließen.<br />

Und er ist es auch, der unsere Mühen<br />

30-, 60- und 100-fach entlohnt.<br />

– So können wir uns fragen: Wollen<br />

wir aus Ängstlichkeit und Scheu <strong>die</strong><br />

Chance unseres Lebens verpassen?<br />

Wollen wir das, wozu wir <strong>in</strong> unserem<br />

Leben eigentlich fähig wären, e<strong>in</strong>fach<br />

liegen lassen?<br />

Auswege und Umwege<br />

Wer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Herzen spürt, dass<br />

der Weg des Priesters, se<strong>in</strong> Weg se<strong>in</strong><br />

könnte, der wird schnell – nach e<strong>in</strong>er<br />

anfänglichen Phase der Freude<br />

– Abwehrreaktionen bei sich und <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>em Umfeld auslösen: Was gibt<br />

Dir persönlich der Berufsalltag e<strong>in</strong>es<br />

Priesters? Ist das nicht langweilig –<br />

<strong>die</strong> Aufgabe e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>fachen „Dorfpfarrers“?<br />

Stellst Du Dich damit<br />

nicht auf e<strong>in</strong>e der untersten Stufen<br />

der Gesellschaft? Kannst Du nicht<br />

mehr? – Diese und ähnliche Überlegungen<br />

tragen wir selbst und andere<br />

an uns heran. Aber: Denken wir<br />

wirklich, wir seien zu „schade“ für<br />

<strong>die</strong> Kirche?<br />

Werfen wir e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Blick auf<br />

<strong>die</strong> Berufungsgeschichte des Jeremia,<br />

der auf se<strong>in</strong>e Berufung h<strong>in</strong> antwortet:<br />

„Ach, me<strong>in</strong> Gott und Herr, ich kann<br />

doch nicht reden, ich b<strong>in</strong> ja noch so<br />

jung. – Aber der Herr erwiderte mir:<br />

Sag nicht: Ich b<strong>in</strong> noch so jung. Woh<strong>in</strong><br />

ich dich auch sende, dah<strong>in</strong> sollst<br />

du gehen, und was ich dir auftrage,<br />

das sollst du verkünden. Fürchte dich<br />

nicht vor ihnen; denn ich b<strong>in</strong> mit dir,<br />

um dich zu retten“ (Jer 1,5-8). Wir<br />

dürfen sicher se<strong>in</strong>: Wen Gott beruft,<br />

den stützt er auch. Im Sakrament der<br />

Weihe wird uns das geschenkt.<br />

Berufungen s<strong>in</strong>d<br />

ke<strong>in</strong> Privileg<br />

So mutig der Weg <strong>in</strong> Richtung<br />

Priestertum auch se<strong>in</strong> mag: Geschenkt<br />

wird uns hier nichts. Allzu<br />

gerne blicken wir auf <strong>die</strong> Schönheit<br />

e<strong>in</strong>er priesterlichen Berufung und deren<br />

Bestätigung <strong>in</strong> der Priesterweihe.<br />

Berufene ersche<strong>in</strong>en „auserwählt“,<br />

sie s<strong>in</strong>d „exklusiv“ und e<strong>in</strong>zigartig.<br />

Wer berufen ist – so denken wir –,<br />

der hat dem anderen etwas voraus. Er<br />

kann von sich selbst behaupten: Ich<br />

b<strong>in</strong> berufen. Ich b<strong>in</strong> etwas ganz Besonderes.<br />

Ich kann mich selbst feiern.<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 47


L<strong>in</strong>ks: Die Berufung der Apostel Simon<br />

und Andreas (G. Vasary,1582).<br />

Mk 1,17: „Und Jesus sprach zu ihnen:<br />

‚Kommt, folgt mir nach!‘ Sie verließen<br />

sogleich ihre Netze und folgten ihm<br />

nach.“<br />

Rechts: Die Berufung des Apostels<br />

Matthäus (Scuola di San Giorgio degli<br />

Schiavone).<br />

Mt 9,9: „Jesus sah e<strong>in</strong>en Mann am Zollhaus<br />

sitzen, Matthäus mit Namen, und<br />

er sprach zu ihm: ‚Folge mir nach!‘ Da<br />

stand er auf und folgte ihm nach.“<br />

E<strong>in</strong> solcher Blickw<strong>in</strong>kel wäre<br />

ziemlich verfehlt. Sicherlich: E<strong>in</strong>e<br />

Berufung ist etwas Erhebendes, etwas<br />

S<strong>in</strong>n-Stiftendes, etwas ganz Besonderes.<br />

Aber: Unsere Berufung haben<br />

wir nicht für uns, sondern für andere.<br />

E<strong>in</strong>e Berufung ist zunächst e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong> Geschenk, e<strong>in</strong>e besondere Gnade,<br />

<strong>die</strong> wir von Gott her empfangen. E<strong>in</strong>e<br />

Berufung will angenommen werden<br />

– auch mit ihren Herausforderungen<br />

und Pflichten. Wer berufen ist, wird<br />

nicht herausgehoben, sondern herabgehoben.<br />

Er wird verpflichtet, wird<br />

„<strong>in</strong> <strong>die</strong> Pflicht“, „<strong>in</strong> Dienst“ genommen<br />

– ganz nach dem Vorbild Christi:<br />

„Denn auch der Menschensohn<br />

ist nicht gekommen, um sich <strong>die</strong>nen<br />

zu lassen, sondern um zu <strong>die</strong>nen und<br />

se<strong>in</strong> Leben h<strong>in</strong>zugeben als Lösegeld<br />

für viele“ (Mk 10, 45). Das Pensum<br />

an Aufgaben und Pflichten wird mit<br />

e<strong>in</strong>er Berufung stets größer – damit<br />

aber auch das Pensum an Chancen<br />

und Möglichkeiten, Gott zu begegnen<br />

und Gott zu <strong>die</strong>nen. Wer berufen ist,<br />

sollte tendenziell weniger „aus sich<br />

machen“ und mehr aus sich „machen<br />

lassen“ – er sollte weniger sprechen<br />

und mehr zuhören, weniger bestimmen<br />

und mehr <strong>die</strong>nen, sich weniger<br />

hervortun und mehr zurücknehmen,<br />

weniger an sich denken und mehr an<br />

andere. Wer berufen ist, muss werden<br />

wie Maria.<br />

Das Wichtigste, was Berufene<br />

lernen müssen, ist das Dienen. <strong>Der</strong><br />

Dienst ist Inhalt und Prüfung der<br />

Berufung zugleich. Christus beruft<br />

zwölf Männer zu se<strong>in</strong>en Aposteln,<br />

doch nur elf bleiben. Und selbst <strong>die</strong><br />

elf haben immer wieder mit sich zu<br />

kämpfen. Sie zweifeln an ihrer Berufung<br />

und an dem, der sie gerufen hat,<br />

sie streiten unter sich darum, wer von<br />

ihnen der Größte sei, sie schlafen e<strong>in</strong>,<br />

als sie geme<strong>in</strong>sam mit ihrem Meister<br />

beten sollen. Die Geschichte e<strong>in</strong>er<br />

Berufung ist immer <strong>die</strong> Geschichte<br />

e<strong>in</strong>er Prüfung, <strong>die</strong> Geschichte des<br />

Fallens und des Wiederaufstehens.<br />

Nur wer <strong>die</strong>nen kann, wer sich erniedrigt,<br />

wer se<strong>in</strong> Kreuz auf sich<br />

nimmt, wer nicht nur das Helle, sondern<br />

auch das Dunkle im Leben gesehen<br />

hat, der kann sich sicher se<strong>in</strong>,<br />

dass er richtig liegt, dass er nicht von<br />

hellem Licht verblendet ist. Diese Erfahrungen<br />

sollten vor allem Priesteramtskandidaten<br />

machen. Wer se<strong>in</strong>e<br />

Berufung als In<strong>die</strong>nstnahme begreift,<br />

für den wird sie zu e<strong>in</strong>em unfassbaren<br />

Geschenk, zur Lektion se<strong>in</strong>es Leben,<br />

<strong>die</strong> ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Höhe steigen lässt.<br />

Berufung lebt vom Horchen, vom<br />

Gehorchen und vom Gehorsam. Sie<br />

will lernen, sich öffnen für den, der<br />

ihr Urheber, ihr „Rufer“ ist.<br />

Andererseits: Wer se<strong>in</strong>e Berufung<br />

als Privileg, als Auszeichnung oder<br />

Beförderung feiert, wird selbstherrlich<br />

und selbstgerecht. Er vergisst,<br />

von wem der Ruf eigentlich stammt.<br />

Die Antwort auf den Ruf Gottes kann<br />

daher nicht der Stolz se<strong>in</strong>, sondern<br />

nur aufrichtige Dankbarkeit, Lernbereitschaft<br />

und Demut. Wer mit <strong>die</strong>ser<br />

Haltung den Ruf Gottes annimmt, für<br />

den wird er fruchtbar und fruchtbr<strong>in</strong>gend.<br />

Wer sich dem Ruf h<strong>in</strong>gegen<br />

verschließt, der verpasst <strong>die</strong> e<strong>in</strong>malige<br />

Chance se<strong>in</strong>es Lebens. Ihm ergeht<br />

es wie dem reichen Jüngl<strong>in</strong>g aus dem<br />

Evangelium, dem Jesus – jenseits der<br />

Befolgung der Zehn Gebote – <strong>die</strong><br />

große Chance se<strong>in</strong>es Lebens aufzeigt:<br />

„E<strong>in</strong>es fehlt dir noch: Geh, verkaufe,<br />

was du hast, gib das Geld den Armen,<br />

und du wirst e<strong>in</strong>en bleibenden Schatz<br />

im Himmel haben; dann komm und<br />

folge mir nach“ (Mk 10,21). Dieser<br />

Tipp soll ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>e Überforderung<br />

oder Bestrafung se<strong>in</strong>. Er ist<br />

e<strong>in</strong>e Berufung zu mehr. <strong>Der</strong> reiche<br />

Jüngl<strong>in</strong>g, der zu Jesus tritt, führt e<strong>in</strong><br />

redliches Leben. Er hält von Jugend<br />

auf <strong>die</strong> Gebote Gottes. Jesus hatte<br />

ihn, wie das Evangelium berichtet,<br />

liebgewonnen. Er wollte ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Nachfolge berufen. Vielleicht wäre<br />

er e<strong>in</strong>er der „Zwölf“ geworden. Aber<br />

er konnte sich von se<strong>in</strong>em Reichtum<br />

nicht trennen. Möglicherweise hat<br />

er später doch noch se<strong>in</strong>e Berufung<br />

erkannt und sich der Geme<strong>in</strong>de Jesu<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

Und so können auch wir uns mit<br />

dem reichen Jüngl<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Frage stellen:<br />

Vielleicht steckt auch <strong>in</strong> uns das<br />

Potenzial zu mehr? Vielleicht s<strong>in</strong>d<br />

auch wir zu e<strong>in</strong>em ganz besonderen<br />

Lebensweg berufen? Vielleicht sollen<br />

auch wir e<strong>in</strong> Jünger Jesu werden?<br />

– Also: Halten wir Augen und Ohren<br />

offen. Sagen wir jeden Morgen „Ja“<br />

zu unserer Berufung: Ja, ich b<strong>in</strong> bereit.<br />

<br />

q<br />

48 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Eduard Werner:<br />

Reformer und<br />

Wegbereiter<br />

<strong>in</strong> der<br />

Kirche:<br />

Johannes Neuhäusler 1888 - 1973<br />

Die<br />

Er<strong>in</strong>nerungen an Weihbischof<br />

Neuhäusler s<strong>in</strong>d<br />

so sehr von se<strong>in</strong>em Widerstand gegen<br />

das NS-Regime geprägt, dass<br />

se<strong>in</strong>e Reformen <strong>in</strong>nerhalb der katholischen<br />

Kirche weitgehend <strong>in</strong><br />

Vergessenheit geraten s<strong>in</strong>d. Dieser<br />

bedeutende Kirchenmann wurde<br />

1888 auf e<strong>in</strong>em Bauernhof <strong>in</strong> Eisenhofen<br />

bei Dachau geboren. 1913<br />

wurde er <strong>in</strong> Freis<strong>in</strong>g zum Priester<br />

geweiht. Schon nach wenigen <strong>Jahr</strong>en<br />

<strong>in</strong> der Seelsorge wurde er zum<br />

Generalsekretär des Ludwig-Missions-Vere<strong>in</strong>s<br />

ernannt. Hier konnte<br />

sich se<strong>in</strong> Organisationstalent entfalten.<br />

Mit großer Weltoffenheit sammelte<br />

er nicht nur Geld für <strong>die</strong> Missionsgebiete,<br />

sondern weckte auch<br />

Verständnis für <strong>die</strong> Bedürfnisse der<br />

Menschen <strong>in</strong> Afrika und Asien. Er<br />

gab <strong>Zeit</strong>schriften heraus und organisierte<br />

Vorträge. Zugleich mit dem<br />

katholischen Glauben sollten den<br />

Menschen dort Bildungschancen eröffnet<br />

und mediz<strong>in</strong>ische Hilfe zu teil<br />

werden. Deshalb engagierte er sich<br />

auch bei der Gründung des Missionsärztlichen<br />

Instituts <strong>in</strong> Würzburg.<br />

Anlässlich des Heiligen <strong>Jahr</strong>es 1925<br />

gründete er das Bayerische Pilgerbüro,<br />

um den Pilgern günstige Möglichkeiten<br />

des Reisens zu eröffnen.<br />

In e<strong>in</strong>er <strong>Zeit</strong>, <strong>in</strong> der weder e<strong>in</strong>e staatliche<br />

noch e<strong>in</strong>e universitäre Stelle<br />

an <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>es zweiten<br />

Bildungsweges dachte, gründete er<br />

<strong>in</strong> München-Fürstenried das Spätberufenen-Sem<strong>in</strong>ar<br />

St. Matthias mit<br />

Gymnasium, damit auch Erwachsene<br />

<strong>die</strong> Universitätsreife noch erwerben<br />

konnten. Auf den E<strong>in</strong>wand, wir<br />

hätten doch genug Priester, antwortete<br />

er, dass jede Priesterberufung<br />

e<strong>in</strong> unschätzbarer Wert für sich sei<br />

und daher nicht verloren gehen dür­<br />

fe. Neuhäusler erwies sich als der<br />

eigentliche Pionier des Zweiten Bildungsweges.<br />

1932 berief Kard<strong>in</strong>al Faulhaber<br />

<strong>die</strong>sen ideenreichen und tatkräftigen<br />

Priester <strong>in</strong>s Münchner Domkapitel.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n der nationalsozialistischen<br />

Regierungszeit 1933 übernahm Neuhäusler<br />

das kirchenpolitische Referat<br />

im Domkapitel. Dort war se<strong>in</strong>e Arbeit<br />

mit großen Gefahren verbunden,<br />

denn er musste <strong>die</strong> Hetze der Nationalsozialisten<br />

gegen den Heiligen<br />

Stuhl dokumentieren und alle Verstöße<br />

gegen das Konkordat belegen.<br />

Dazu gehörten u.a. <strong>die</strong> Beh<strong>in</strong>derung<br />

des Religionsunterrichts und <strong>die</strong> Beschlagnahme<br />

von bischöflichen Hirtenbriefen.<br />

Doch wenn es damals<br />

um <strong>die</strong> Verteidigung der Kirche gegen<br />

ihre äußeren Fe<strong>in</strong>de g<strong>in</strong>g, achtete<br />

Neuhäusler nicht auf se<strong>in</strong>e persönliche<br />

Sicherheit. Mit Hilfe von<br />

Geheimboten (u.a. Rechtsanwalt Dr.<br />

Josef Müller) übermittelte er se<strong>in</strong>e<br />

kirchlichen Lageberichte an den Kard<strong>in</strong>alstaatssekretär<br />

Eugen Pacelli,<br />

den späteren Papst Pius XII. Dieser<br />

<strong>in</strong>formierte über den britischen Botschafter<br />

Osborne <strong>die</strong> Regierung <strong>in</strong><br />

London. Dies fiel dem deutschen Geheim<strong>die</strong>nst<br />

auf, was am 4.2.1941 zur<br />

Verhaftung von Johannes Neuhäusler<br />

führte. Über e<strong>in</strong> Gestapo-Gefängnis<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und über das KZ Sachsenhausen<br />

kam Neuhäusler schließlich<br />

<strong>in</strong> das KZ Dachau. Nach vier qualvollen<br />

KZ-<strong>Jahr</strong>en wurde er im Mai<br />

1945 befreit. Soweit es im fast völlig<br />

zerbombten München möglich<br />

war, übernahm er sofort se<strong>in</strong>e alten<br />

Aufgaben wieder. Zuerst dokumentierte<br />

er mit Buchveröffentlichungen,<br />

<strong>Zeit</strong>schriften-Artikeln und Vorträgen<br />

<strong>die</strong> menschenverachtende Ideologie<br />

und Praxis der Nationalsozialisten.<br />

„Hammer und Amboss“ sowie<br />

„Kreuz und Hakenkreuz“ lauteten<br />

se<strong>in</strong>e ersten Veröffentlichungen, <strong>die</strong><br />

leider <strong>in</strong> den siebziger und achtziger<br />

<strong>Jahr</strong>en des vorigen <strong>Jahr</strong>hunderts<br />

nicht neu aufgelegt wurden. Hätte<br />

<strong>die</strong> Kirche <strong>die</strong> Erkenntnisse und Erfahrungen<br />

der KZ-Priester mehr <strong>in</strong><br />

der Priesterausbildung, <strong>in</strong> den Predigten<br />

und im Religionsunterricht<br />

bekannt gemacht, so wäre manchen<br />

68er Revolutionären und Rolf Hochhuth<br />

e<strong>in</strong> gut Teil des Bodens entzogen<br />

worden.<br />

1947 wurde Johannes Neuhäusler<br />

zum Weihbischof von München<br />

ernannt. Er restaurierte Kirchen und<br />

förderte vor allem den Bau des Sühneklosters<br />

„Karmel-Heilig-Blut“<br />

auf dem KZ-Gelände Dachau. Dort<br />

wurde er nach se<strong>in</strong>em Tod 1973 bestattet.<br />

Se<strong>in</strong> ganzes Leben ist von<br />

der Kard<strong>in</strong>altugend der Tapferkeit<br />

geprägt. <br />

q<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 49


Credo<br />

Qui Conceptus est de Spiritu<br />

Sancto, natus ex Maria Virg<strong>in</strong>e<br />

Credo <strong>in</strong> unum De- um, Patrem omni- pot- éntem, factó- rem caeli et terrae, vi- si- bi- li- um<br />

Kupferstich zeigt simultan <strong>die</strong> Empfängnis<br />

und <strong>die</strong> Geburt Christi, wie wir sie im<br />

<strong>Der</strong><br />

Credo bekennen.<br />

<strong>Der</strong> Erzengel Gabriel wendet sich zu Maria und<br />

weist auf <strong>die</strong> Hl. Geist Taube, als spräche er <strong>die</strong> Verkündigungsworte<br />

(Lk 1, 28 – 35). Er hält e<strong>in</strong>en Lilienzweig,<br />

e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf <strong>die</strong> Jungfräulichkeit Marias<br />

und auf Isaias (7, 14), wo steht: Siehe, <strong>die</strong> Jungfrau<br />

wird empfangen und e<strong>in</strong>en Sohn gebären…“.<br />

Maria hat e<strong>in</strong>en Kranz aus Sternen um ihr Haupt.<br />

Da <strong>die</strong>s bei Weihnachtsdarstellungen selten ist, wollte<br />

der Entwerfer <strong>die</strong>ses Stichs etwas Besonderes aussagen.<br />

Er dürfte sich hier auf <strong>die</strong> Offenbarung (12, 1)<br />

beziehen, wo e<strong>in</strong> schwangere Frau mit zwölf Sternen<br />

um ihr Haupt beschrieben wird, und es wörtlich<br />

heißt: Und sie gebar e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en Sohn, der über<br />

alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird.<br />

In hellem Licht schwebt der Hl. Geist. Von ihm<br />

ausgehend streift e<strong>in</strong> Lichtstrahl Maria, H<strong>in</strong>weis auf<br />

<strong>die</strong> jungfräuliche Empfängnis, und<br />

strahlt das Christusk<strong>in</strong>d an. Bei <strong>die</strong>ser<br />

Lichtführung wird man an den<br />

Johannesprolog er<strong>in</strong>nert, wo vom<br />

Licht gesprochen wird, das <strong>in</strong> der<br />

F<strong>in</strong>sternis leuchtet, weil es das Leben<br />

war und letztlich das <strong>Wort</strong>, welches<br />

Fleisch geworden ist.<br />

Das Fleisch gewordene <strong>Wort</strong> ist<br />

hier als nacktes K<strong>in</strong>dle<strong>in</strong> zu sehen,<br />

welches Maria <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Futterkrippe<br />

legt. Da es nicht <strong>in</strong> W<strong>in</strong>deln gewickelt<br />

ist, wie es bei Lukas (2,7)<br />

steht, soll hier wohl an Paulus (Phil<br />

2,6) er<strong>in</strong>nert werden, <strong>in</strong> dem es heißt:<br />

er entäußerte sich selbst und nahm<br />

Knechtsgestalt an, ward den Menschen<br />

gleich. Im Weihnachtslied,<br />

(GL 134) heißt es: Er kommt aus se<strong>in</strong>es<br />

Vaters Schoß und wird e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dle<strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>, er liegt dort elend, nackt<br />

und bloß <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krippele<strong>in</strong>.<br />

<strong>Der</strong> hl. Joseph steht versonnen<br />

abseits und schaut nicht zu Maria mit dem K<strong>in</strong>de.<br />

Er weiß ja um das Geheimnis der Vaterschaft<br />

Christi (Mt 1,20). Er hält e<strong>in</strong>e Kerze, welche aber<br />

nicht strahlt, nicht erhellt, denn das wahre Licht<br />

geht vom Hl. Geist aus und wird von Christus reflektiert.<br />

Die Kerze bezieht sich auf e<strong>in</strong>e Vision<br />

der hl. Brigitta von Schweden (um 1302 – 1373).<br />

Sie sah, wie der hl. Josef bei der Geburt Jesu e<strong>in</strong>e<br />

brennende Kerze brachte, aber ihr Licht wurde<br />

durch <strong>die</strong> himmlische Ausstrahlung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong><br />

den Schatten gestellt.<br />

Da hier nur e<strong>in</strong> behaglich fressender Esel, aber ke<strong>in</strong><br />

Ochse zu sehen ist, wird nicht bildlich Jesaia (1,3) zitiert,<br />

wo es heißt: <strong>Der</strong> Ochse kennt se<strong>in</strong>en Besitzer<br />

und der Esel <strong>die</strong> Krippe des Herrn, sondern eher <strong>die</strong><br />

Geschichte von Bileam und der Esel<strong>in</strong> (Num 22, 22<br />

– 35). Die Esel<strong>in</strong> sah sofort den Engel des Herrn, Bileam<br />

mussten erst <strong>die</strong> Augen geöffnet werden, um den<br />

Engel zu erkennen, so wie sich der Engel des Herrn<br />

erst im Traum Joseph offenbarte (Mt 1, 20). Später<br />

wird Bileam prophezeien: (Numeri, Kapitel 24, 17):<br />

Es wird e<strong>in</strong> Stern aus Jakob aufgehen.<br />

Um das Bild nicht zu überlasten, beschränkt sich<br />

<strong>die</strong> Anbetung des K<strong>in</strong>des durch <strong>die</strong> himmlischen<br />

Heerscharen auf geflügelte Engelköpfe. Vielleicht<br />

dachte Bergmüller, welcher <strong>die</strong>sen Stich entwarf, an<br />

das Zitat, dass im Namen Jesu sich beugen sollen alle<br />

Knie (Phil 2,10), als er e<strong>in</strong> Hirtenpaar vor dem K<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Knie fallen lässt. Sie haben ansche<strong>in</strong>end e<strong>in</strong>en<br />

Korb mit Hühnern mitgebracht, e<strong>in</strong> Detail ohne theologischen<br />

H<strong>in</strong>tergrund, welches jedoch <strong>die</strong> Darstellung<br />

menschlich heimelig, weihnachtlich macht. Den<br />

vor der Krippe Knienden s<strong>in</strong>d im Rücken Mariens<br />

zwei <strong>in</strong> den Stall eilende Hirten (Lk 2,16) kontrapostiert.<br />

<strong>Der</strong> Hirte mit dem Stock hat beim E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> den<br />

Stall voller Ehrfurcht vor dem göttlichen Geheimnis<br />

se<strong>in</strong>en Hut abgenommen.<br />

Im Vordergrund steigt e<strong>in</strong> verwunderter Hirte e<strong>in</strong>e<br />

Treppe h<strong>in</strong>auf. Se<strong>in</strong> Gehen und Schauen nimmt den<br />

Besucher mit zum Wunder der Menschwerdung Gottes.<br />

Alois Epple<br />

50 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Den Weg zu e<strong>in</strong>er Kultur des Lebens wiederf<strong>in</strong>den<br />

Interview mit Gabriele Kuby<br />

Mit Ihrem Buch „Die globale<br />

sexuelle Revolution“ ist Ihnen<br />

zweifellos e<strong>in</strong> großer Wurf gelungen.<br />

S<strong>in</strong>d Sie mit der Nachfrage<br />

nach Ihrem Werk zufrieden?<br />

Ja, das Buch hatte nach wenigen<br />

Wochen <strong>die</strong> zweite Auflage. Offenbar<br />

sagt es e<strong>in</strong>er dem anderen weiter.<br />

Viele schreiben mir, dass sie das<br />

Buch für äußerst wichtig halten, verbreiten<br />

es <strong>in</strong> ihrem Umfeld und weisen<br />

darauf <strong>in</strong> eigenen Publikationen<br />

h<strong>in</strong>. In den großen Me<strong>die</strong>n wurde das<br />

Buch bisher nicht rezensiert. Aber es<br />

gibt hervorragende Rezensionen <strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>eren Me<strong>die</strong>n und Internet-Portalen.<br />

Prof. Robert Spaemann hat das<br />

Vorwort geschrieben. Dar<strong>in</strong> sagt<br />

er: „Dass Gabriele Kuby den<br />

Mut hat, <strong>die</strong> Bedrohung unserer<br />

Freiheit durch e<strong>in</strong>e antihumanistische<br />

Ideologie beim Namen zu<br />

nennen, br<strong>in</strong>gt ihr möglicherwei-<br />

se Fe<strong>in</strong>dseligkeit, ja sogar Hetze<br />

e<strong>in</strong>.“ Hat er damit Recht bekommen?<br />

Jeder, der den Inhalt des Manuskripts<br />

kannte, hat e<strong>in</strong>en Tsunami<br />

der Kritik erwartet, dafür gibt es heute<br />

das <strong>Wort</strong> „shitstorm“. Ich war vor<br />

Veröffentlichung des Buches immer<br />

wieder Attacken ausgesetzt. Diese<br />

sammle ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ordner mit<br />

der Überschrift „Schmähungen“. Es<br />

wird daraufh<strong>in</strong> gearbeitet, auch <strong>in</strong><br />

Deutschland e<strong>in</strong>en neuen Straftatbestand<br />

namens „Hassrede“ e<strong>in</strong>zuführen.<br />

Da hätte ich dann schon mal e<strong>in</strong>e<br />

ganze Menge Material für den Hass,<br />

der gegen Christen gerichtet ist. Aber<br />

seit Ersche<strong>in</strong>en des Buches bleiben<br />

<strong>die</strong> Angriffe aus, was natürlich für<br />

mich persönlich sehr erfreulich ist.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs deutet es darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

e<strong>in</strong>e öffentliche Debatte über <strong>die</strong>ses<br />

heiße Thema nicht stattf<strong>in</strong>den soll.<br />

Was ist <strong>die</strong> eigentliche Absicht<br />

Ihres Buches?<br />

Mir geht es um <strong>die</strong> öffentliche Debatte<br />

von Themen, <strong>die</strong> entscheidend<br />

s<strong>in</strong>d für <strong>die</strong> Zukunft unserer Gesellschaft,<br />

der Familie und des Christentums.<br />

<strong>Der</strong> polnische Aphoristiker Stanislaw<br />

Jerzy Lec sagt: „<strong>Der</strong> Mensch<br />

leidet an e<strong>in</strong>er fatalen Spätzündung.<br />

Er begreift alles erst <strong>in</strong> der nächsten<br />

Generation.“ Damit me<strong>in</strong>t er <strong>die</strong> gleiche<br />

Haltung, <strong>die</strong> Jesus so scharf bei<br />

den Heuchlern angreift, <strong>die</strong> me<strong>in</strong>en:<br />

„Wenn wir <strong>in</strong> den Tagen unserer Väter<br />

gelebt hätten, wären wir nicht am<br />

Tod der Propheten schuldig geworden“<br />

(Mt 23,29-32). Es kommt immer<br />

darauf an, das Böse <strong>in</strong> der Gegenwart<br />

zu erkennen, Widerstand<br />

zu leisten und es mit der Kraft des<br />

Guten zu überw<strong>in</strong>den. Wir bef<strong>in</strong>den<br />

uns <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anthropologischen Revolution,<br />

<strong>die</strong> an <strong>die</strong> Wurzel des Menschen<br />

geht, und s<strong>in</strong>d im Begriff <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e neue Form des Totalitarismus<br />

abzurutschen. <strong>Der</strong> Deckname dafür<br />

ist Gender-Ma<strong>in</strong>stream<strong>in</strong>g – e<strong>in</strong> Begriff,<br />

den kaum jemand kennt. Dafür<br />

versuche ich mit me<strong>in</strong>en Veröffentlichungen<br />

seit 2006 Bewusstse<strong>in</strong> zu<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 51


schaffen. Das neue Buch zeigt das<br />

globale Ausmaß <strong>die</strong>ser Revolution<br />

<strong>in</strong> all se<strong>in</strong>en Dimensionen und Ebenen<br />

von der UN bis zum K<strong>in</strong>dergarten.<br />

Papst Benedikt XVI. sagte <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Weihnachtsansprache für <strong>die</strong><br />

Kurie: „Wo <strong>die</strong> Freiheit des Machens<br />

Gabriele Kuby: Die globale sexuelle<br />

Revolution. Die Zerstörung<br />

der Freiheit im Namen<br />

der Freiheit. fe-me<strong>die</strong>n-Verlag,<br />

466 Seiten. ISBN 078-3-<br />

86357-032-3, Euro 19,95.<br />

zur Freiheit des Sich-selbst-Machens<br />

wird, wird notwendigerweise der<br />

Schöpfer selbst geleugnet und damit<br />

am Ende auch der Mensch als göttliche<br />

Schöpfung, als Ebenbild Gottes<br />

im Eigentlichen se<strong>in</strong>es Se<strong>in</strong>s entwürdigt<br />

... Wer Gott verteidigt, verteidigt<br />

den Menschen.“<br />

Haben Sie von der Resonanz auf<br />

Ihr Buch den E<strong>in</strong>druck bekommen,<br />

dass Ihr Anliegen von den<br />

bestimmenden Kreisen <strong>in</strong> Politik,<br />

im Erziehungsbereich, <strong>in</strong> den<br />

Me<strong>die</strong>n und auch <strong>in</strong> der Kirche<br />

aufgegriffen wird?<br />

Das Buch wurde an alle Bischöfe<br />

und Parlamentarier <strong>in</strong> den deutschsprachigen<br />

Ländern und der EU geschickt.<br />

Ich habe e<strong>in</strong>ige sehr ermutigende<br />

Reaktionen bekommen. Es<br />

liegt nun auf den Schreibtischen und<br />

kann e<strong>in</strong> Werkzeug se<strong>in</strong> für den Widerstand,<br />

der sich <strong>in</strong> anderen Ländern<br />

<strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> öffentlichen Debatten<br />

und Massendemonstrationen kundtut.<br />

Hoffen wir, dass auch <strong>in</strong> Deutschland<br />

bald e<strong>in</strong> breites Bewusstse<strong>in</strong> für <strong>die</strong><br />

negativen Auswirkungen der Hypersexualisierung<br />

der Gesellschaft entsteht<br />

und für <strong>die</strong> Notwendigkeit e<strong>in</strong>er<br />

neuen Zielbestimmung <strong>in</strong> der Erziehung<br />

der K<strong>in</strong>der und Jugendlichen.<br />

Was wollen Sie weiterh<strong>in</strong> tun,<br />

um dem nachzukommen, was<br />

Sie sich als Aufgabe mit Ihrem<br />

Buch gesetzt haben?<br />

Wie bisher rede ich über <strong>die</strong>se Themen,<br />

wo immer sich <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

dazu bietet. Das hat <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

zu konkreten politischen Erfolgen<br />

geführt wie dem Rückzug der<br />

pädophilen BZgA-Broschüren durch<br />

Familienm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> von der Leyen<br />

oder der Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es Gender-Instituts<br />

<strong>in</strong> Sachsen. Immer mehr<br />

Menschen erkennen, dass <strong>die</strong> Sexualisierung<br />

der K<strong>in</strong>der und Jugendlichen<br />

durch <strong>die</strong> sogenannte „neoemanzipative<br />

sexuelle Bildung“<br />

beendet werden muss, wenn wir e<strong>in</strong>en<br />

Weg zu e<strong>in</strong>er neuen Kultur des<br />

Lebens f<strong>in</strong>den wollen.<br />

Außerdem bekomme ich häufiger<br />

E<strong>in</strong>ladungen <strong>in</strong> mittel- und osteuropäische<br />

Länder. Es gibt bereits Übersetzungsvere<strong>in</strong>barungen<br />

für me<strong>in</strong> Buch<br />

<strong>in</strong> Polen, Ungarn und der Slowakei.<br />

Die Länder, <strong>die</strong> bis 1989 unter kommunistischer<br />

Diktatur gelebt haben,<br />

wurden von der 68er-Revolte weitgehend<br />

verschont. Natürlich s<strong>in</strong>d sie<br />

jetzt ebenso der sexuellen Revolution<br />

ausgesetzt, aber sie ist noch nicht so<br />

weit fortgeschritten. Die Menschen<br />

s<strong>in</strong>d schockiert, wenn sie hören, was<br />

bei uns <strong>in</strong> den Schulen geschieht. Ich<br />

hoffe, dass sie ihr eigenes Land davor<br />

bewahren und geme<strong>in</strong>sam gegen <strong>die</strong><br />

Bestrebungen der EU, <strong>die</strong> ethischen<br />

Normen der Sexualität zu deregulieren,<br />

Widerstand leisten.<br />

Bei alledem b<strong>in</strong> ich mir bewusst,<br />

dass menschliche Bemühungen zwar<br />

e<strong>in</strong>e notwendige, aber ke<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>reichende<br />

Bed<strong>in</strong>gung für Erfolg s<strong>in</strong>d.<br />

<strong>Der</strong> liegt <strong>in</strong> den Händen Gottes.<br />

Vielen Dank für das Gespräch.<br />

Das Interview führte Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

Das<br />

8. Gebot lautet: „Du<br />

sollst nicht falsch gegen<br />

de<strong>in</strong>en Nächsten aussagen“. In<br />

e<strong>in</strong>er Me<strong>die</strong>ngesellschaft trifft das<br />

<strong>in</strong> besonderer Weise zu. Denn „Me<strong>die</strong>nschaffende<br />

haben e<strong>in</strong>e ethische<br />

Verantwortung gegenüber Me<strong>die</strong>nnutzern.<br />

Vor allem müssen sie wahrheitsgemäß<br />

<strong>in</strong>formieren. Sowohl <strong>die</strong><br />

Recherche wahrer Sachverhalte wie<br />

auch deren Veröffentlichung müssen<br />

<strong>die</strong> Rechte und Würde des Menschen<br />

beachten. Die sozialen Kommunikationsmittel<br />

sollen zum Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

gerechten, freien und solidarischen<br />

Welt beitragen. Tatsächlich werden<br />

Me<strong>die</strong>n nicht selten als Waffen <strong>in</strong> der<br />

ideologischen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

e<strong>in</strong>gesetzt“ (Youcat Ziff 459).<br />

Gabriele Kuby hat <strong>in</strong> ihrem Buch<br />

„Die globale sexuelle Revolution<br />

– Zerstörung der Freiheit im Namen<br />

der Freiheit“ dargelegt, wie <strong>die</strong><br />

Gender-Ideologie <strong>die</strong> Geschlechteridentität<br />

egalisiert und e<strong>in</strong>nivelliert<br />

und wie e<strong>in</strong>e raff<strong>in</strong>ierte Totalsexualisierung<br />

<strong>die</strong> Gesellschaft<br />

vom K<strong>in</strong>dergarten bis <strong>in</strong> <strong>die</strong> Altenheime<br />

e<strong>in</strong>er Ideologie ausliefert,<br />

<strong>die</strong> den Menschen ihre Würde, ihre<br />

Selbstbestimmung und Freiheit fast<br />

klammheimlich wegnimmt. Wer<br />

sich <strong>die</strong>sen totalitären Tendenzen<br />

und ihren Vorkämpfern <strong>in</strong> den Me<strong>die</strong>n<br />

und <strong>in</strong> der Politik entgegenstellt<br />

und sie entlarvt, wird als homophob<br />

(menschenfe<strong>in</strong>dlich) denunziert. Er<br />

erlebt das, was wir <strong>in</strong> der Fernsehsendung<br />

„Hart aber Fair“ vom 3.<br />

Dezember 2012 gesehen haben. Es<br />

g<strong>in</strong>g dabei wieder e<strong>in</strong>mal um <strong>die</strong><br />

gesellschaftliche Aufwertung von<br />

Homosexualität. Dass wir uns richtig<br />

verstehen: Das Thema war nicht,<br />

ob Homosexuelle vor Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />

geschützt werden sollen. Darüber<br />

waren sich alle auf dem Podium<br />

e<strong>in</strong>ig. Homosexuelle können <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>ser Gesellschaft ihren Lebensstil<br />

ohne E<strong>in</strong>schränkung praktizieren.<br />

Sie könnten übrigens ihre partnerschaftlichen<br />

Beziehungen auch ohne<br />

Staat privatrechtlich regeln. Auf<br />

dem Podium g<strong>in</strong>g es um <strong>die</strong> völlige<br />

Gleichstellung homosexueller<br />

Partnerschaften mit der Ehe mit allen<br />

Konsequenzen bis h<strong>in</strong> zum Adoptionsrecht<br />

für K<strong>in</strong>der. <strong>Der</strong> Staat,<br />

der <strong>die</strong>se Gleichstellung im S<strong>in</strong>ne<br />

der homosexuellen Partnerschaften<br />

regelt, verstößt gegen den Verfassungsgrundsatz:<br />

„Ehe und Familie<br />

52 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Hubert G<strong>in</strong>dert:<br />

Um <strong>die</strong> Freiheit zu verlieren,<br />

genügt es,<br />

sie nicht festzuhalten<br />

stehen unter dem besonderen Schutz<br />

staatlicher Ordnung“ (Art. 6,1 GG).<br />

Das Podium war von der nichtausgewogenen<br />

Besetzung bis h<strong>in</strong><br />

zur Moderation nicht fair. Trotzdem<br />

konnten Birgit Kelle und Mart<strong>in</strong><br />

Lohmann mit überlegenen Argumenten<br />

<strong>die</strong> Diskussion offen halten.<br />

Die Resonanz der Fernsehzuschauer<br />

zeigt e<strong>in</strong> bemerkenswertes Ergebnis.<br />

Frau Kelle erreichten vom 3. bis<br />

5. Dezember über 500 Schreiben.<br />

Das zu 90% positive Echo für sie<br />

zeigt, dass <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e radikale M<strong>in</strong>derheit <strong>die</strong><br />

Menschen mit E<strong>in</strong>schüchterung,<br />

unbewiesenen Behauptungen und<br />

sche<strong>in</strong>humanen Forderungen zu manipulieren<br />

versucht.<br />

Nicht alle Reaktionen waren, wie<br />

Frau Kelle berichtet, positiv. „Etwa<br />

10% schätzungsweise s<strong>in</strong>d voller<br />

Hass und Abscheu, wie folgende<br />

Zitate belegen: „Nazitusse … ich<br />

wünsche Ihnen <strong>die</strong> Hölle auf Erden<br />

… gehen Sie zurück <strong>in</strong>s 16. 17. 18.<br />

<strong>Jahr</strong>hundert, nach Rumänien … ich<br />

wünsche Ihnen schwule K<strong>in</strong>der …<br />

bei Frauen wie Ihnen müssen Männer<br />

ja schwul werden … Ihre K<strong>in</strong>der,<br />

Ihr Mann tun mir leid … Sie s<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>e Schande für <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

… der sollte man <strong>die</strong> K<strong>in</strong>der wegnehmen<br />

… der gehört e<strong>in</strong>e über den<br />

Kopf geklöppelt … <strong>Zeit</strong>geist? Ja! haben<br />

Sie! Hitlers <strong>Zeit</strong>geist! ... Sie s<strong>in</strong>d<br />

nicht besser als <strong>die</strong> Nazis … Frauen<br />

wie Sie gehören nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

etc.“.<br />

Es gibt Me<strong>die</strong>nleute, <strong>die</strong> <strong>in</strong> ihrem<br />

Kreuzzug für <strong>die</strong> „globale sexuelle<br />

Revolution“ und <strong>die</strong> „Zerstörung der<br />

Freiheit im Namen der Freiheit“ an<br />

den französischen Journalisten Jean<br />

Paul Marat <strong>in</strong> der Französischen Revolution<br />

er<strong>in</strong>nern. Marat war Jakob<strong>in</strong>er<br />

und Herausgeber der <strong>Zeit</strong>ung<br />

„Freund des Volkes“. Gegen se<strong>in</strong>e<br />

politischen Gegner und angenommene<br />

Konterrevolutionäre schleuderte<br />

er wüste Drohungen, und er forderte<br />

<strong>die</strong> Köpfe der „Verräter“. Von<br />

ihm schreibt Alphonse de Lamart<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift „Gestalten der Revolution“<br />

(Portraits de Revolutionaires):<br />

Er „rächte sich an allem, was<br />

groß war … überall, wo er irgendetwas<br />

hervortreten oder glänzen sah,<br />

verfolgte er es wie e<strong>in</strong>en Fe<strong>in</strong>d …<br />

er hätte <strong>die</strong> ganze Schöpfung e<strong>in</strong>ebnen<br />

mögen. Die Gleichheit war se<strong>in</strong><br />

wütendes Streben, weil <strong>die</strong> Überlegenheit<br />

se<strong>in</strong> Martyrium war. Er liebte<br />

<strong>die</strong> Revolution, weil sie alles bis<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Reichweite erniedrigte … er<br />

wollte <strong>die</strong> Gesellschaft umbrechen,<br />

wie man e<strong>in</strong>en Acker mit dem Pflug<br />

umbricht“.<br />

Die Vorkämpfer und Trendsetter<br />

des Lebensstils, <strong>die</strong> heute <strong>die</strong> sexuelle<br />

Revolution durchzusetzen versuchen,<br />

s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> neuen Idole. Wenn<br />

e<strong>in</strong>er von ihnen stirbt, wie kürzlich<br />

Dirk Bach, er<strong>in</strong>nern <strong>die</strong> Nachrufe<br />

an e<strong>in</strong>e Apotheose (Götzenanbetung).<br />

Es ist höchste <strong>Zeit</strong>, für <strong>die</strong> Freiheit<br />

aufzustehen. <strong>Der</strong> Franzose Alexis<br />

de Tocqueville (1805 - 1859) ist<br />

nach der französischen Revolution<br />

leidenschaftlich „den Möglichkeiten<br />

der Freiheit <strong>in</strong>nerhalb der demokratischen<br />

Welt“ nachgegangen, „nach<br />

den Arten ihrer Gefährdung und den<br />

Waffen, welche <strong>die</strong> Demokratie für<br />

alle bereit hält, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Freiheit<br />

kämpfen wollen“. Um <strong>die</strong> Gleichheit<br />

zu verlieren, me<strong>in</strong>te Tocqueville,<br />

müsste e<strong>in</strong>e Gesellschaftsordnung<br />

geändert werden, um <strong>die</strong> Freiheit zu<br />

verlieren „genügt es, sie nicht festzuhalten“.<br />

(He<strong>in</strong>z Rauch <strong>in</strong> „Politische<br />

Denker II, bayr. Landeszentrale für<br />

politische Bildungsarbeit, München<br />

1981, S. 131 – 147). q<br />

Alexis de Tocqueville entstammte<br />

altem französischem<br />

Adel. Im Namen der<br />

französischen Regierung<br />

g<strong>in</strong>g Tocqueville mit Gustave<br />

de Beaumont 1831 <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong> Vere<strong>in</strong>igten Staaten, um<br />

dort das Rechtssystem und<br />

den Strafvollzug zu stu<strong>die</strong>ren.<br />

Als Ergebnis des Aufenthaltes<br />

<strong>in</strong> den USA entstand<br />

das Werk „Über <strong>die</strong><br />

Demokratie <strong>in</strong> Amerika“<br />

(De la democrati <strong>in</strong> Amerique).<br />

Dar<strong>in</strong> zeigt Tocqueville<br />

wie <strong>die</strong> amerikanische<br />

Demokratie funktioniert<br />

und wie Dezentralisierung<br />

und <strong>die</strong> aktive Teilnahme<br />

der Bürger am politischen<br />

Leben der „Tyrannei der<br />

Mehrheit“ entgegenwirkt.<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 53


Jürgen Lim<strong>in</strong>ski:<br />

Wohlstand, Individualismus, Gerechtigkeitslücke<br />

Zu den wahren Ursachen des Geburtendefizits / Wo das Glück zuhause ist<br />

Vor<br />

etwas mehr als zehn <strong>Jahr</strong>en<br />

führte das Demoskopie-Institut<br />

Allensbach e<strong>in</strong>e Umfrage<br />

durch, um herauszuf<strong>in</strong>den, warum<br />

K<strong>in</strong>derlose ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der haben. Das<br />

Ergebnis war ernüchternd: 47 Prozent<br />

gaben f<strong>in</strong>anzielle Gründe an, 44<br />

Prozent fehlte der „geeignete Partner“,<br />

und nur 14 Prozent begründeten<br />

ihre Entscheidung mit dem Mangel<br />

an Betreuungsplätzen. Trotz <strong>die</strong>ser<br />

Fakten me<strong>in</strong>ten <strong>die</strong> Verantwortlichen<br />

<strong>in</strong> der Politik sagen zu müssen, dass<br />

der Mangel an Krippenplätzen <strong>die</strong><br />

Hauptursache für <strong>die</strong> fehlenden Geburten<br />

sei. Sie waren von e<strong>in</strong>flussreichen<br />

Personalberatern wider alle Tatsachen<br />

zu <strong>die</strong>ser Aussage gedrängt<br />

worden.<br />

Heute, e<strong>in</strong>e Generation und e<strong>in</strong>e<br />

massive Krippenoffensive später,<br />

geht e<strong>in</strong> anderes Phantom um: Schuld<br />

an den fehlenden K<strong>in</strong>dern sei das traditionelle<br />

Mutterbild <strong>in</strong> Deutschland.<br />

Es schrecke junge Frauen ab, K<strong>in</strong>der<br />

zu bekommen. Folglich müsse, so der<br />

Tenor <strong>in</strong> Politik, Me<strong>die</strong>n und Wirtschaft,<br />

das Mutterbild modernisiert<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Geburtenrückgang <strong>in</strong> Deutschland<br />

Nicht <strong>die</strong> „K<strong>in</strong>derlosigkeit“, sondern der Rückgang k<strong>in</strong>derreicher<br />

Familien hat den Geburtenrückgang verursacht<br />

Familien (<strong>in</strong> Mio)<br />

K<strong>in</strong>der (<strong>in</strong> Mio)<br />

1960<br />

1990<br />

werden. Es müsse wie <strong>in</strong> Frankreich<br />

oder <strong>in</strong> Skand<strong>in</strong>avien selbstverständlich<br />

se<strong>in</strong>, K<strong>in</strong>der zu bekommen und<br />

zu erziehen und gleichzeitig e<strong>in</strong>em<br />

Erwerbsberuf nachzugehen. Es war<br />

das Bundes<strong>in</strong>stitut für Bevölkerungsforschung,<br />

das angeblich „erstmals“<br />

<strong>die</strong> „Gefühlslage der Deutschen bei<br />

der Frage nach dem dauerhaften Geburtenrückgang“<br />

untersucht habe.<br />

Das „kulturelle Leitbild der guten<br />

Mutter“ sei e<strong>in</strong> zentraler Grund für<br />

<strong>die</strong> im „globalen Vergleich“ e<strong>in</strong>zigartig<br />

hohe K<strong>in</strong>derlosigkeit und so dafür<br />

verantwortlich, dass Deutschland<br />

zu den „Schlusslichtern“ bei den Geburten<br />

gehöre. Abgesehen davon, dass<br />

Allensbach schon mehrfach <strong>die</strong> Gründe<br />

für das dauerhafte Geburtendefizit<br />

erfragt hatte, hielten sich <strong>die</strong> Schlussfolgerungen<br />

an <strong>die</strong> gewohnten Vor-<br />

Urteile, <strong>die</strong> man <strong>in</strong> Me<strong>die</strong>n und Politik<br />

zu Ehe und Familie f<strong>in</strong>det.<br />

Die Forderungen g<strong>in</strong>gen sogar<br />

noch e<strong>in</strong>en Schritt weiter: Nicht nur<br />

<strong>die</strong> Betreuungsangebote sollten erweitert<br />

werden, sondern es sollte<br />

auch e<strong>in</strong>e gezielte Politik der „habit<br />

formation“ gestartet werden, um<br />

<strong>die</strong> Deutschen von ihren hergebrachten<br />

Familienidealen und Lebensformen<br />

abzubr<strong>in</strong>gen. Zu <strong>die</strong>ser Strategie<br />

gehöre <strong>die</strong> Legende von der<br />

Rabenmutter. <strong>Der</strong> Familienforscher<br />

Stefan Fuchs weist allerd<strong>in</strong>gs darauf<br />

h<strong>in</strong>, dass <strong>die</strong>ser Begriff schon lange<br />

nur noch von denjenigen verwendet<br />

werde, „<strong>die</strong> den Deutschen e<strong>in</strong>reden<br />

wollen, dass ihr Familienbild im europäischen<br />

Vergleich besonders „traditionell“<br />

und also „rückständig“ sei.<br />

Denn empirische Erhebungen zeigten<br />

e<strong>in</strong> differenzierteres Bild: „Die<br />

Westdeutschen beurteilen demnach<br />

<strong>die</strong> Erwerbstätigkeit von Müttern<br />

mit kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern skeptischer als<br />

Skand<strong>in</strong>avier und auch Franzosen,<br />

unterscheiden sich <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht<br />

aber kaum von Briten oder Niederländern.“<br />

Besonders kritisch seien<br />

<strong>die</strong> E<strong>in</strong>schätzungen, wenn nach e<strong>in</strong>er<br />

Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern<br />

gefragt werde – selbst <strong>in</strong> Dänemark<br />

und Schweden bevorzugten <strong>die</strong> meisten<br />

Befragten e<strong>in</strong>e Teilzeiterwerbstätigkeit.<br />

Diese Teilzeitpräferenz zeigten<br />

sogar <strong>die</strong> Ostdeutschen, <strong>die</strong> von<br />

allen Europäern – abgesehen von<br />

den Dänen – am wenigsten an der<br />

Vere<strong>in</strong>barkeit der Erwerbstätigkeit<br />

von Müttern mit der Erziehung kle<strong>in</strong>er<br />

K<strong>in</strong>der zweifeln. Fast nirgendwo<br />

sonst <strong>in</strong> Europa ist <strong>die</strong> Ganztagsbetreuung<br />

von K<strong>in</strong>dern so verbreitet<br />

wie <strong>in</strong> Ostdeutschland.<br />

Dies ist nicht nur e<strong>in</strong> Erbe der<br />

DDR, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> umfassendes Ganztagssystem<br />

aufgebaut hatte. Es belegt<br />

auch, dass <strong>die</strong> Betreuungsstruktur<br />

nicht <strong>die</strong> Ursache für <strong>die</strong> K<strong>in</strong>derlosigkeit<br />

der Deutschen ist. Wäre dem<br />

so, müsste bei e<strong>in</strong>er flächendeckenden<br />

Betreuungsstruktur wie <strong>in</strong> Ost­<br />

„Die Verr<strong>in</strong>gerung der Zahl um 2 Millionen ist so gut wie ausschließlich auf <strong>die</strong><br />

Reduktion der Drei- und Vierk<strong>in</strong>derfamilien zurückzuführen.“ (Quelle: Sachverständigenkommission<br />

Siebter Familienbericht: Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit<br />

– Perspektiven für e<strong>in</strong>e Lebenslaufbezogene Familienpolitik, München 2005, S. 36)<br />

© Stefan Fuchs<br />

54 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Das Pr<strong>in</strong>zip der<br />

Subsidiarität<br />

„E<strong>in</strong>e übergeordnete Gesellschaft<br />

darf nicht so <strong>in</strong> das <strong>in</strong>nere Leben<br />

e<strong>in</strong>er untergeordneten Gesellschaft<br />

dadurch e<strong>in</strong>greifen, dass<br />

sie <strong>die</strong>se ihrer Kompetenzen beraubt.<br />

Sie soll sie im Notfall unterstützen<br />

und ihr dazu helfen, ihr<br />

eigenes Handeln mit dem der anderen<br />

gesellschaftlichen Kräfte im<br />

H<strong>in</strong>blick auf das Geme<strong>in</strong>wohl abzustimmen“.<br />

Aus: Johannes Paul II, Enz. Centesimus<br />

Annus (1991), 48<br />

deutschland <strong>die</strong> Geburtenquote dort<br />

besonders hoch se<strong>in</strong>. Sie lag aber<br />

lange noch unter dem Bundesdurchschnitt<br />

und liegt auch heute ähnlich<br />

niedrig wie <strong>in</strong> Westdeutschland. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

bleiben <strong>in</strong> Ostdeutschland<br />

Frauen deutlich seltener als <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

k<strong>in</strong>derlos. <strong>Der</strong> Grund für<br />

<strong>die</strong> ger<strong>in</strong>ge Geburtenquote ist, dass<br />

ostdeutsche Frauen nur selten drei<br />

und mehr K<strong>in</strong>der haben. Noch e<strong>in</strong>mal<br />

Fuchs: „Solche Mehrk<strong>in</strong>derfamilien<br />

spielen für das Geburtenniveau e<strong>in</strong>e<br />

Schlüsselrolle, wie der <strong>in</strong>ternationale<br />

Vergleich zeigt: Auch <strong>in</strong> Großbritannien,<br />

den Niederlanden und den USA<br />

liegen <strong>die</strong> Anteile k<strong>in</strong>derloser Frauen<br />

deutlich höher als <strong>in</strong> Ostdeutschland.<br />

Trotzdem s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Geburtenraten<br />

wesentlich höher als <strong>in</strong> Ost- sowie<br />

<strong>in</strong> Westdeutschland, weil Eltern sich<br />

häufiger für dritte und weitere K<strong>in</strong>der<br />

entscheiden. <strong>Der</strong> größere Anteil<br />

von Mehrk<strong>in</strong>derfamilien erklärt auch<br />

zu e<strong>in</strong>em wesentlichen Teil, mehr<br />

noch als <strong>die</strong> etwas niedrigere K<strong>in</strong>derlosigkeit,<br />

<strong>die</strong> höheren Geburtenraten<br />

<strong>in</strong> Frankreich und Nordeuropa.“ Und<br />

überall gilt, dass „traditionelles Familienleitbild“<br />

und Mehrk<strong>in</strong>derfamilie<br />

zusammen zu sehen s<strong>in</strong>d: Mit der<br />

K<strong>in</strong>derzahl geht <strong>die</strong> Erwerbstätigkeit<br />

von Müttern – vor allem <strong>in</strong> Vollzeit<br />

– zurück. Das ist klar, denn <strong>die</strong> Erziehung<br />

mehrerer K<strong>in</strong>der ist echte<br />

Arbeit, <strong>die</strong> viel <strong>Zeit</strong> und Energie erfordert.<br />

H<strong>in</strong>zu kommt: Erziehung geschieht<br />

meist spontan. Die Präsenz<br />

zu Hause ist deshalb konstitutiv für<br />

<strong>die</strong> Erziehung. Ohne sie gibt man<br />

<strong>die</strong> Erziehung ab, entweder an e<strong>in</strong>e<br />

Erzieher<strong>in</strong> oder an <strong>die</strong> so genannten<br />

Miterzieher <strong>in</strong> den Me<strong>die</strong>n oder auf<br />

der Straße. Das kann im E<strong>in</strong>zelfall<br />

auch mal e<strong>in</strong>e Lösung se<strong>in</strong>, pr<strong>in</strong>zipiell<br />

aber kann man sagen: Es gibt für<br />

Eltern ke<strong>in</strong>en Ersatz. Das ist wie e<strong>in</strong><br />

physikalisches Gesetz: E<strong>in</strong> Vakuum<br />

ist nicht möglich. Die Lücke wird sofort<br />

von anderen Elementen gefüllt.<br />

Früher gab es <strong>die</strong> Tanten, <strong>die</strong> Onkel,<br />

<strong>die</strong> Verwandten und Bekannten. Dieses<br />

Netz ist weitgehend verloren gegangen,<br />

<strong>die</strong> Kle<strong>in</strong>familie lebt heute,<br />

wie <strong>die</strong> Soziologen sagen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

<strong>in</strong>sulären Situation. In <strong>die</strong>ser Situation<br />

ist sie e<strong>in</strong>er scharfen Konkurrenz<br />

ausgesetzt. Die schärfste ist der<br />

Staat, <strong>die</strong> „professionellen Erzieher“,<br />

wie man <strong>in</strong> Politik und Me<strong>die</strong>n, den<br />

mittlerweile traditionellen Fe<strong>in</strong>den<br />

der Familie, sagt.<br />

Die Fürsprecher des „modernen<br />

Leitbilds der Mutter“ hält <strong>die</strong>s nicht<br />

davon ab, selbst von k<strong>in</strong>derreichen<br />

Müttern Vollzeiterwerbstätigkeit zu<br />

fordern. Aber Eltern für <strong>die</strong>se im<br />

Vergleich zu K<strong>in</strong>derlosen doppelte<br />

Belastung materiell zu entschädigen<br />

ist nicht vorgesehen – Geldtransfers<br />

und K<strong>in</strong>dererziehungszeiten <strong>in</strong> der<br />

Rentenversicherung auszubauen gilt<br />

als obsolet. Eltern sollen ihre K<strong>in</strong>der<br />

eben nicht mehr selbst erziehen,<br />

aber mehr noch als bisher für deren<br />

Kosten aufkommen. Dass e<strong>in</strong>e solche<br />

„Modernisierung“ Elternschaft attraktiver<br />

machen soll, lässt sich <strong>in</strong> der Tat<br />

bezweifeln. Eher s<strong>in</strong>d noch weniger<br />

K<strong>in</strong>der zu erwarten. Die Argumentation<br />

<strong>in</strong> den e<strong>in</strong>schlägigen Me<strong>die</strong>n<br />

ist jedenfalls logisch nicht nachvollziehbar,<br />

ja geradezu widers<strong>in</strong>nig. Das<br />

Gegenteil wäre richtig. Konkret: <strong>die</strong><br />

Arbeit der Frau und Mutter anzuerkennen<br />

und monetär aufzuwerten.<br />

Dafür plä<strong>die</strong>rte auch der selige Papst<br />

Johannes Paul II. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Brief an<br />

<strong>die</strong> Frau (siehe Kasten).<br />

Das ist ke<strong>in</strong>e Frage der Fertilität,<br />

sondern der Gerechtigkeit. Und des<br />

Glücks. In e<strong>in</strong>er Ansprache <strong>in</strong> Irland<br />

sagte Johannes Paul II. zu jungen Eltern,<br />

gerade <strong>in</strong> Anlehnung an <strong>die</strong> mangelnde<br />

Anerkennung der Gesellschaft<br />

für junge Familien: „Glaubt an eure<br />

Berufung, <strong>die</strong> schöne Berufung zur<br />

Ehe und Elternschaft, <strong>die</strong> Gott euch<br />

geschenkt hat. Glaubt, dass Gott bei<br />

euch ist, denn jede Elternschaft im<br />

Himmel und auf Erden hat ihren Namen<br />

von Ihm. Me<strong>in</strong>t nicht, dass ihr<br />

Bedeutenderes <strong>in</strong> eurem Leben tun<br />

könntet als gute christliche Väter und<br />

Mütter zu se<strong>in</strong>. Mögen <strong>die</strong> Väter und<br />

Mütter, jungen Frauen und Mädchen<br />

nicht auf jene hören, <strong>die</strong> ihnen sagen,<br />

es sei wichtiger, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weltlichen<br />

Beruf zu arbeiten und dort Berufserfolg<br />

zu haben, als <strong>die</strong> Berufung, Leben<br />

zu schenken und für <strong>die</strong>ses Leben<br />

als Mutter zu sorgen. Die Zukunft der<br />

Kirche, <strong>die</strong> Zukunft der Menschheit<br />

hängen großenteils von den Eltern und<br />

vom Familienleben ab, das sie <strong>in</strong> ihrem<br />

Heim entfalten“. Die Familie, so<br />

der Papst weiter, „ist das wahre Maß<br />

für <strong>die</strong> Größe e<strong>in</strong>er Nation, so wie <strong>die</strong><br />

Würde des Menschen das wahre Maß<br />

der Zivilisation ist.“<br />

Familien nach K<strong>in</strong>derzahl und Lebensform<br />

Mehr als 80 Prozent der Familien mit zwei mehr K<strong>in</strong>dern gründen<br />

auf Ehe – Alle<strong>in</strong>erziehende vor allem unter Familien mit nur<br />

e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d vertreten<br />

Verteilung der Familienformen nach der Zahl der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Familie im April 2006<br />

4 und<br />

mehr K<strong>in</strong>der<br />

3 K<strong>in</strong>der<br />

2 K<strong>in</strong>der<br />

1 K<strong>in</strong>d<br />

Ehepaare Lebensgeme<strong>in</strong>schaften Alle<strong>in</strong>erziehende<br />

Datenquelle: Statistisches Bundesamt: Statistisches <strong>Jahr</strong>buch 2008, S. 46.<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 55


Diese Größe und <strong>die</strong>se Würde s<strong>in</strong>d<br />

im Begriff, verloren zu gehen. Die Angriffe<br />

gegen Ehe und Familie sowie <strong>die</strong><br />

Debatte um <strong>die</strong> aktive Sterbehilfe und<br />

das Schweigen um den andauernden<br />

Skandal der Abtreibung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der<br />

reichsten Länder der Erde, geben beredtes<br />

Zeugnis dafür ab. <strong>Der</strong> drohende<br />

Verlust hat zu tun mit der wachsenden<br />

Dom<strong>in</strong>anz dessen, was <strong>die</strong> Soziologen<br />

<strong>die</strong> „Ich-Gesellschaft“ nennen.<br />

Die Ich-Bezogenheit bestimmt das<br />

Lebensgefühl. In nur wenigen Stu<strong>die</strong>n<br />

der letzten zwanzig <strong>Jahr</strong>e wird das<br />

so deutlich wie <strong>in</strong> den Befunden von<br />

Allensbach über <strong>die</strong> Gründe der K<strong>in</strong>derlosigkeit<br />

<strong>in</strong> Deutschland. An erster<br />

Stelle rangiert das Geld. Dieses Faktum<br />

ist bekannt und wird von der Politik<br />

seit <strong>Jahr</strong>en verdrängt. Es folgen <strong>die</strong><br />

Gründe, <strong>die</strong> mehr oder weniger damit<br />

zusammenhängen: Reisen, Hobbies,<br />

Karriere, persönliche Autonomie. Das<br />

Ich ist der Maßstab, und das System<br />

begünstigt <strong>die</strong>se Haltung. K<strong>in</strong>derlosigkeit<br />

wird prämiert, Erziehung und<br />

Familie werden bestraft. Das ifo-Institut<br />

hat e<strong>in</strong>mal ausgerechnet, was<br />

Eltern trotz der Urteile des Bundesverfassungsgerichts<br />

zuviel an Steuern<br />

zahlen. Für den <strong>Zeit</strong>raum 1994 bis<br />

2004 kamen dabei 44 Milliarden Euro<br />

„K<strong>in</strong>derstrafsteuer“ heraus. Die Erhöhung<br />

der Freibeträge hat <strong>die</strong>ses Unrecht<br />

nur ger<strong>in</strong>gfügig verändert. <strong>Der</strong><br />

FELS hat mehrfach darüber berichtet,<br />

<strong>in</strong> den meisten Me<strong>die</strong>n, vor allem<br />

Fernsehen und Radio, geistert <strong>in</strong>des<br />

immer wieder <strong>die</strong> Zahl der 188 Milliarden<br />

Euro an Transferleistungen<br />

durch <strong>die</strong> Berichte. Was regelmäßig<br />

nicht gesagt wird: Die Eltern erwirtschaften<br />

davon schon fast vier Fünftel<br />

selbst.<br />

Schon Professor Lampert (Emeritus<br />

der Universität Augsburg) hatte Ende<br />

der achtziger <strong>Jahr</strong>e demoskopisch ermittelt,<br />

dass <strong>die</strong> meisten Deutschen<br />

sich K<strong>in</strong>der wünschen, <strong>die</strong>ser Wunsch<br />

aber nicht erfüllt wird, weil man den<br />

f<strong>in</strong>anziellen E<strong>in</strong>bruch fürchtet. Neunzig<br />

Prozent der Paare, <strong>die</strong> sich K<strong>in</strong>der<br />

wünschten und ke<strong>in</strong>e bekamen, entschieden<br />

sich aus f<strong>in</strong>anziellen Gründen<br />

gegen e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d. Das ist <strong>in</strong> gewissem<br />

S<strong>in</strong>n noch verständlich, niemand<br />

wird gern freiwillig arm. Auch heute<br />

liegt der K<strong>in</strong>derwunsch bei etwa zwei<br />

K<strong>in</strong>dern, geboren werden aber nur 1,3<br />

K<strong>in</strong>der. K<strong>in</strong>der bedeuten immer Opfer,<br />

aber auch Glück. Wenn das Opfer<br />

allerd<strong>in</strong>gs zu groß wird, kann <strong>die</strong><br />

Glücks erwartung auch verdrängt werden,<br />

und das f<strong>in</strong>anzielle Opfer ist <strong>in</strong><br />

der Tat <strong>in</strong> den letzten <strong>Jahr</strong>zehnten erheblich<br />

gestiegen. Zwar weisen <strong>die</strong><br />

Politiker ständig auf <strong>die</strong> so genannten<br />

Transferleistungen h<strong>in</strong>. Aber <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zig<br />

relevante Größe ist <strong>die</strong> Kaufkraft,<br />

gemessen <strong>in</strong> Arbeitsstunden. Und<br />

hier sieht es traurig aus. In den sechziger<br />

und frühen siebziger <strong>Jahr</strong>en betrug<br />

der Familienlastenausgleich noch<br />

rund 400 Arbeitsstunden im <strong>Jahr</strong>, heute<br />

s<strong>in</strong>d es weniger als 200. Die Steigerungen<br />

des Ausgleichs hielten mit<br />

den Steigerungen von Lohn, Rente<br />

auf der e<strong>in</strong>en und Kosten, Miete auf<br />

der anderen Seite nicht mit, so dass<br />

seit mehreren <strong>Jahr</strong>zehnten <strong>die</strong> Alle<strong>in</strong>erziehenden<br />

mit K<strong>in</strong>dern und <strong>die</strong> k<strong>in</strong>derreichen<br />

Familien <strong>in</strong> den Armutsberichten<br />

und –Statistiken der Republik<br />

an der Spitze stehen. Wenn nicht beide<br />

Elternteile arbeiten, oder e<strong>in</strong>er weit<br />

über dem Durchschnitt (rund 3300<br />

Euro) ver<strong>die</strong>nt, droht der Familie mit<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>die</strong> Verarmung. Und ohne<br />

den familiären Generationenausgleich<br />

– <strong>die</strong> Großeltern helfen den K<strong>in</strong>dern<br />

und Enkeln jährlich mit mehr als 30<br />

Milliarden Euro – wäre <strong>die</strong> Misere der<br />

deutschen Familie noch größer.<br />

H<strong>in</strong>zu kommen allerd<strong>in</strong>gs auch<br />

Erwartungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> älteren Generationen<br />

nicht hatten. Das s<strong>in</strong>d nicht<br />

unbed<strong>in</strong>gt nur <strong>die</strong> Markenklamotten,<br />

das Auto und ausreichend Wohnraum,<br />

sondern vor allem Sicherheit.<br />

Die Bereitschaft zum Wagnis, <strong>die</strong><br />

Offenheit zum Leben, <strong>die</strong> Lebensbejahung<br />

geht verloren. Das wiederum<br />

hat zu tun mit der Lebense<strong>in</strong>stellung,<br />

mit der Hoffnung, <strong>die</strong> jeder im Herzen<br />

trägt. Sie macht es möglich, dass<br />

man guter Hoffnung se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

unter dem Herzen tragen kann. Vielleicht<br />

s<strong>in</strong>d manche Eltern der älteren<br />

Generation an <strong>die</strong>ser Schw<strong>in</strong>dsucht<br />

der Lebenshoffnung, e<strong>in</strong>er durch und<br />

durch christliche Lebensart, nicht unbeteiligt.<br />

Indem man sich nach dem<br />

Krieg dem Aufbau widmen musste,<br />

wurde nolens volens der Hauptakzent<br />

der Lebensgestaltung auf materielle<br />

Verhältnisse gelegt, und das mit<br />

durchaus guter Absicht: Die K<strong>in</strong>der<br />

sollten es e<strong>in</strong>mal besser haben. Aber<br />

Verzichtenkönnen um e<strong>in</strong>es höheren<br />

Gutes willen setzt das Verzichtenlernen<br />

und <strong>die</strong> Kenntnis von <strong>die</strong>sen höheren<br />

Gütern voraus.<br />

K<strong>in</strong>der und E<strong>in</strong>stellung zur Müttererwerbstätigkeit<br />

Eltern mit mehreren K<strong>in</strong>dern sprechen sich – <strong>in</strong> Westdeutschland<br />

– häufiger als K<strong>in</strong>derlose für e<strong>in</strong>e häusliche K<strong>in</strong>dererziehung aus<br />

80,0%<br />

70,0%<br />

Anteil der Befragten <strong>die</strong> – „unabhängig von ihrer eigenen Konstellation“ me<strong>in</strong>en, dass wenn<br />

das jüngste K<strong>in</strong>d unter drei <strong>Jahr</strong>en alt ist, <strong>die</strong> Frau nicht berufstätig se<strong>in</strong> sollte<br />

60,0%<br />

k<strong>in</strong>derlos<br />

50,0%<br />

1 K<strong>in</strong>d<br />

40,0%<br />

2 K<strong>in</strong>der<br />

30,0%<br />

3 K<strong>in</strong>der<br />

20,0% Neue Bundesländer<br />

Alte Bundesländer<br />

4 K<strong>in</strong>der<br />

10,0%<br />

5 K<strong>in</strong>der<br />

0,0%<br />

und mehr<br />

„Frauen mit mehreren K<strong>in</strong>dern s<strong>in</strong>d zwar deutlich häufiger mit e<strong>in</strong>em traditionellen<br />

Arrangement […] zufrieden, als dass bei kle<strong>in</strong>eren Familien der Fall ist. Dennoch unterscheiden<br />

sie sich <strong>in</strong> ihrem Wunsch, Familie und Beruf mite<strong>in</strong>ander zu verb<strong>in</strong>den,<br />

kaum von Frauen mit nur e<strong>in</strong>em oder zwei K<strong>in</strong>dern.“ (Vgl.: Bundesm<strong>in</strong>isterium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Monitor Familienforschung, Ausgabe Nr. 10: K<strong>in</strong>derreichtum <strong>in</strong><br />

Deutschland, S. 7/Datenquelle der Grafik: Bien, W.: Mehrk<strong>in</strong>dfamilien. Erkenntnisse aus den Daten des<br />

Familiensurvey, Wellen 1988, 1994 und 2004, München 2007/Datenquelle: DJI-Familiensurvey 2000)<br />

© Stefan Fuchs<br />

Hier hört <strong>die</strong> Soziologie und ganz<br />

allgeme<strong>in</strong> <strong>die</strong> empirische Wissenschaft<br />

auf. Sie kann rückblickend<br />

<strong>die</strong> Fertilität messen und Wünsche<br />

demoskopisch festhalten. Sie kann<br />

vielleicht sogar noch e<strong>in</strong>e Momentaufnahme<br />

des Wertebewusstse<strong>in</strong>s erstellen<br />

und Kurven der Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit<br />

<strong>in</strong> <strong>die</strong> Zukunft ziehen. Was<br />

<strong>die</strong> Menschen tief <strong>in</strong> ihren Herzen<br />

bewegt, das ist nicht messbar. Hier<br />

versagen <strong>die</strong> Prognosen. Hoffnung<br />

und Liebe s<strong>in</strong>d eben ke<strong>in</strong>e masch<strong>in</strong>ell<br />

herstellbaren Produkte. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

lassen sich Verb<strong>in</strong>dungen zwi­<br />

56 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


schen den immateriellen Werten und<br />

Lebense<strong>in</strong>stellungen und den tatsächlichen<br />

Lebensformen erkennen.<br />

So ist <strong>die</strong> Fertilität bei verheirateten<br />

Paaren signifikant höher als bei unverheirateten,<br />

und bei religiösen Ehepaaren<br />

ist <strong>die</strong> Zahl der K<strong>in</strong>der noch<br />

e<strong>in</strong>mal höher als bei religiös gleichgültigen<br />

Ehen (siehe Grafik). Ferner<br />

lässt sich feststellen, dass <strong>in</strong> allen Industriestaaten<br />

über alle Kulturen und<br />

Mentalitäten h<strong>in</strong>weg mit wachsendem<br />

Wohlstand und Fortschritt <strong>die</strong><br />

K<strong>in</strong>derzahl s<strong>in</strong>kt. Das gilt vor allem<br />

für den asiatischen Raum, aber auch<br />

für islamische Länder. Zwar herrscht<br />

<strong>in</strong> vielen <strong>die</strong>ser Länder noch Armut,<br />

und der mediz<strong>in</strong>ische Fortschritt hat<br />

<strong>die</strong> Sterblichkeit von Säugl<strong>in</strong>gen und<br />

K<strong>in</strong>dern deutlich gesenkt. Aber auch<br />

unabhängig davon lässt sich erkennen,<br />

dass Wohlstand <strong>die</strong> Geburtenquoten<br />

senkt und zu jener „seltsamen<br />

Unlust an der Zukunft“ führt, von<br />

der Benedikt XVI. noch als Kard<strong>in</strong>al<br />

Ratz<strong>in</strong>ger schrieb und <strong>die</strong> heute vor<br />

allem für Europa gilt.<br />

Was folgt aus all dem für <strong>die</strong> Politik?<br />

Zum e<strong>in</strong>en wäre der Geburtsfehler<br />

der umlagef<strong>in</strong>anzierten Sozialsysteme<br />

zu korrigieren, <strong>in</strong>dem man<br />

endlich <strong>die</strong> Erziehungsleistung <strong>in</strong>s<br />

Kalkül zieht. Adenauer me<strong>in</strong>te noch,<br />

„K<strong>in</strong>der kriegen <strong>die</strong> Leute immer“<br />

und damit wäre sozusagen das Unrecht<br />

gleichmäßig verteilt, man brauche<br />

ke<strong>in</strong>e Familienkasse. Aber das<br />

Unrecht hat se<strong>in</strong>e eigene Dynamik.<br />

E<strong>in</strong>e Korrektur würde mehr Gerechtigkeit<br />

für Familien schaffen. Das<br />

Betreuungsgeld ist e<strong>in</strong> Schritt <strong>in</strong> <strong>die</strong>se<br />

Richtung. Es würde <strong>die</strong> Gerechtigkeitslücke<br />

zwar nicht schließen,<br />

dafür ist es zu ger<strong>in</strong>g. Aber es würde<br />

<strong>die</strong> Lücke verkle<strong>in</strong>ern und Anerkennung<br />

für e<strong>in</strong>e Leistung schaffen,<br />

ohne <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Gesellschaft nicht solidarisch<br />

leben kann. Das Bundesverfassungsgericht<br />

spricht <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem<br />

S<strong>in</strong>n vom „generativen Beitrag“, den<br />

<strong>die</strong> Eltern leisten, und der müsse mit<br />

dem f<strong>in</strong>anziellen Beitrag bei den Sozialsystemen<br />

verrechnet werden. Das<br />

wäre e<strong>in</strong>e Politik nach dem Pr<strong>in</strong>zip<br />

der Subsidiarität, das Freiheit lässt<br />

und Gerechtigkeit schafft (siehe Kasten).<br />

Papst für<br />

Erziehungslohn<br />

Die Mühen der Frau, <strong>die</strong>, nachdem<br />

sie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zur Welt gebracht hat,<br />

<strong>die</strong>ses nährt und pflegt und sich<br />

besonders <strong>in</strong> den ersten <strong>Jahr</strong>en<br />

um se<strong>in</strong>e Erziehung kümmert, ist<br />

so groß, dass sie den Vergleich<br />

mit ke<strong>in</strong>er Berufsarbeit zu fürchten<br />

brauchen. Das wird klar anerkannt<br />

und nicht weniger geltend<br />

gemacht als jedes andere mit<br />

der Arbeit verbundene Recht. Die<br />

Mutterschaft und all das, was sie<br />

an Mühen mit sich br<strong>in</strong>gt, muss<br />

auch e<strong>in</strong>e ökonomische Anerkennung<br />

erhalten, <strong>die</strong> wenigstens der<br />

anderer Arbeiten entspricht, von<br />

denen <strong>die</strong> Erhaltung der Familie<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er derart heiklen Phase ihrer<br />

Existenz abhängt.<br />

Aus: Johannes Paul II, Brief an <strong>die</strong><br />

Familien vom 2.2.1994<br />

Mehr Geld bedeutet aber nicht<br />

gleich mehr K<strong>in</strong>der. Zwar lässt sich<br />

empirisch nachweisen, dass weniger<br />

Geld zu e<strong>in</strong>em Geburtenrückgang<br />

führt. Die Politik könnte also den weiteren<br />

Rückgang aufhalten. Wenn sie<br />

aber Geburten wirklich fördern wollte,<br />

müsste sie auch das Institut der Ehe<br />

und <strong>die</strong> k<strong>in</strong>derreiche Familie fördern.<br />

Mehr als vier K<strong>in</strong>der gibt es praktisch<br />

nur <strong>in</strong> Ehen. Das ist auch der markante<br />

Unterschied zwischen den relativ<br />

geburtenstarken Ländern wie Frankreich<br />

und Irland auf der e<strong>in</strong>en, und<br />

den geburtenschwachen Ländern wie<br />

Italien, Deutschland, Spanien, Griechenland<br />

auf der anderen Seite. Aber<br />

genau <strong>die</strong>se Förderung erfolgt nicht.<br />

Im Gegenteil, <strong>die</strong> Ehe wird immer<br />

weiter abgewertet, gleichgeschlechtliche<br />

Paare dagegen aufgewertet. Es<br />

ist nur e<strong>in</strong>e Frage der <strong>Zeit</strong>, bis das<br />

Bundesverfassungsgericht den so genannten<br />

Homo-Ehen auch e<strong>in</strong> Adoptionsrecht<br />

und das Ehegattensplitt<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>räumt. Es ist schon merkwürdig:<br />

Man wettert gegen <strong>die</strong> Auswüchse des<br />

Liberalismus an den F<strong>in</strong>anzmärkten<br />

und gleichzeitig redet man <strong>in</strong> der Gesellschaftspolitik<br />

e<strong>in</strong>em ausuferndem<br />

Liberalismus das <strong>Wort</strong>. E<strong>in</strong>e kohärente<br />

bürgerliche und vor allem christlich<br />

geprägte Politik sieht anders aus. Tatsächlich<br />

leben <strong>in</strong> Deutschland nur <strong>in</strong><br />

knapp 10 Prozent aller e<strong>in</strong>getragenen<br />

Lebenspartnerschaften K<strong>in</strong>der. Wo e<strong>in</strong>e<br />

Ehe besteht, da gibt es dagegen <strong>in</strong><br />

der Regel Nachwuchs: Etwa 90 Prozent<br />

der verheirateten Frauen zwischen<br />

40 und 44 <strong>Jahr</strong>en haben K<strong>in</strong>der.<br />

Bei Ehepaaren wachsen <strong>in</strong> Deutschland<br />

etwa 10 Millionen K<strong>in</strong>der auf,<br />

<strong>in</strong> „e<strong>in</strong>getragenen Lebenspartnerschaften“<br />

leben etwa 2000, <strong>in</strong> so genannten<br />

Regenbogenfamilien (gleichgeschlechtliche<br />

Paare mit K<strong>in</strong>dern)<br />

<strong>in</strong>sgesamt etwa 7000 K<strong>in</strong>der.<br />

Die Zahlen sprechen e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige<br />

Sprache. Heute aber haben <strong>die</strong><br />

Gottlosen und <strong>die</strong> Feigen das Sagen.<br />

<strong>Der</strong> Salzburger Weihbischof Laun,<br />

e<strong>in</strong> mutiger Kämpfer für <strong>die</strong> Familie,<br />

formulierte es e<strong>in</strong>mal so:<br />

„Ursache der demographischen Katastrophe<br />

ist <strong>die</strong> schon lange andauernde<br />

liberal-atheistische Politik <strong>in</strong><br />

ganz Europa. Sie hat <strong>die</strong> Familie zerstört,<br />

sie macht es den Frauen unmöglich,<br />

bei ihren K<strong>in</strong>dern zu bleiben, und<br />

macht sie glauben, dar<strong>in</strong> bestünde ihre<br />

Befreiung. Sie hat <strong>die</strong> Sexualmoral <strong>in</strong><br />

ihr Gegenteil verkehrt, sie propagiert<br />

Verhütung und erlaubt Abtreibung,<br />

sie belohnt K<strong>in</strong>derlose und fördert mit<br />

Steuergeldern homosexuelle Partnerschaften.<br />

Also s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Atheisten <strong>die</strong><br />

Schuldigen? Ja, aber auch ne<strong>in</strong>: Die<br />

eigentlich Schuldigen s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Christen,<br />

Laien und Kleriker, <strong>die</strong> geschwiegen<br />

haben und untätig geblieben s<strong>in</strong>d.<br />

Während man <strong>die</strong> Splitter und Balken<br />

<strong>in</strong> den Augen der Vorfahren katalogisierte,<br />

verdrängte man <strong>die</strong> eigenen<br />

Splitter und Balken. Wie so oft schon<br />

<strong>in</strong> der Geschichte: Die Macht des Bösen<br />

folgte aus der Bl<strong>in</strong>dheit, der Trägheit<br />

und der Feigheit der Guten.“<br />

Viele junge Leute suchen das Glück<br />

im Geld, <strong>in</strong> der Karriere. Sie ahnen<br />

nicht (mehr), dass man auch <strong>in</strong> der Familie<br />

Karriere machen kann. Nur heißt<br />

hier Erfolg eben Glück. Paul Kirchhof<br />

sagt es so: „Wer das Glück sucht, f<strong>in</strong>det<br />

<strong>die</strong> Familie.“ Das gilt auch heute,<br />

trotz des Unrechts und trotz der Politik.<br />

Denn <strong>in</strong> der Familie ist <strong>die</strong> Liebe<br />

zuhause. <br />

q<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 57


Lust am Untergang?<br />

Auf<br />

dem<br />

Prüfstand<br />

„Deutsche Frauen haben wenig<br />

Lust auf K<strong>in</strong>der“, schrieb <strong>die</strong> Augsburger<br />

Allgeme<strong>in</strong>e <strong>Zeit</strong>ung vom<br />

18.12.2012. Im Untertitel heißt es:<br />

„Im Vergleich zu anderen europäischen<br />

Ländern schrecken alte Rollenbilder<br />

und der Wunsch nach Selbstverwirklichung“<br />

ab.<br />

E<strong>in</strong>e „Rolle“ kennen wir von Theater<br />

und Film. Man schlüpft <strong>in</strong> sie<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und spielt beispielsweise e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>en Heiligen und e<strong>in</strong> anderes<br />

Mal e<strong>in</strong>en Schurken. Im Fall des Vater-<br />

oder Mutterse<strong>in</strong>s entstehen jedoch<br />

menschliche Beziehungen, <strong>die</strong> man<br />

nicht e<strong>in</strong>fach an der Garderobe abgeben<br />

kann.<br />

Selbstverwirklichung steht nach<br />

dem o.a. Untertitel dem Mutterse<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong>er Berufung von Natur her, im<br />

Wege. E<strong>in</strong> eigenartiger Begriff von<br />

Selbstverwirklichung, <strong>die</strong> sich ihrer<br />

eigenen Natur entäußert.<br />

E<strong>in</strong>e Stu<strong>die</strong> des Münchner Instituts<br />

für Bildungsforschung nennt <strong>die</strong><br />

schwierige Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie<br />

und Beruf als Grund für <strong>die</strong> im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Vergleich niedrige Geburtenrate<br />

von 1,39 K<strong>in</strong>dern. Tatsache<br />

ist, dass von der Mutter erwartet wird,<br />

dass sie ihr K<strong>in</strong>d unmittelbar nach<br />

der Geburt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kita gibt, um außer<br />

Haus zu arbeiten. Es wäre auch<br />

denkbar, dass sie e<strong>in</strong>ige <strong>Jahr</strong>e bei ihren<br />

K<strong>in</strong>dern bleibt, bis <strong>die</strong>se entwicklungsmäßig<br />

gefestigt s<strong>in</strong>d, und danach<br />

arbeiten geht.<br />

Die K<strong>in</strong>der seien e<strong>in</strong> Karrierekiller.<br />

Das zeigt e<strong>in</strong>en bemerkenswerten Realitätsverlust.<br />

Früher hat man Rekruten<br />

vorgegaukelt, jeder trage den Marschallstab<br />

im Tornister. Bekanntlich<br />

gibt es nicht so viele Marschälle wie<br />

Soldaten, ebenso wenig Karriereposten<br />

für arbeitende Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Unternehmen, selbst wenn sie hoch<br />

qualifiziert s<strong>in</strong>d. Was es wirklich gibt,<br />

s<strong>in</strong>d Laufbahnen. Frauen, <strong>die</strong> z.B.<br />

zehn <strong>Jahr</strong>e bei ihren K<strong>in</strong>dern bleiben<br />

und mit 35 <strong>in</strong> das Berufsleben e<strong>in</strong>steigen,<br />

können noch <strong>die</strong> üblichen Ziele<br />

im Berufsleben erreichen: als Oberstu<strong>die</strong>nrät<strong>in</strong>,<br />

Abteilungsleiter<strong>in</strong> etc.<br />

<strong>Der</strong> weitere E<strong>in</strong>wand, Frauen, <strong>die</strong><br />

erst <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Alter <strong>in</strong> <strong>die</strong> außerhäusliche<br />

Arbeitswelt e<strong>in</strong>steigen, müssten<br />

bei Null anfangen, mutet merkwürdig<br />

an. Sie zeigen überholte Denkschablonen<br />

gerade bei jenen, <strong>die</strong> von e<strong>in</strong>em<br />

lebenslangen Lernen und davon sprechen,<br />

man müsse heute bereit se<strong>in</strong>, im<br />

Verlauf e<strong>in</strong>es Berufslebens, zwei- bis<br />

dreimal <strong>in</strong> neue Berufsfelder h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zuwachsen.<br />

Die Verantwortlichen für<br />

Ausbildung und Führung von Wirtschaftsbetrieben<br />

sollten darüber nachdenken,<br />

wie weiterqualifizierende<br />

Maßnahmen für arbeitswillige Frauen<br />

aussehen können, damit <strong>die</strong>se qualifiziert<br />

mit 35 <strong>in</strong> das Berufsleben e<strong>in</strong>steigen<br />

können.<br />

Was das Mutterse<strong>in</strong> unattraktiv<br />

macht, so <strong>die</strong> Begründung weiter,<br />

sei auch <strong>die</strong> „Gefühlslage der Deutschen“.<br />

K<strong>in</strong>der werden nicht mehr<br />

ohne weiteres als Quelle von Lebensfreude<br />

und Zufriedenheit wahrgenommen.<br />

Nur 45 Prozent der k<strong>in</strong>derlosen<br />

Bundesbürger zwischen 18 und 45<br />

<strong>Jahr</strong>en glauben, dass sie glücklicher<br />

seien, wenn sie <strong>in</strong> den nächsten drei<br />

<strong>Jahr</strong>en Nachwuchs bekommen würden.<br />

Stattdessen gibt e<strong>in</strong>e Mehrheit zu<br />

Protokoll, dass für sie das Verfolgen<br />

beruflicher Interessen, <strong>die</strong> Pflege von<br />

Freundschaften und Hobbys e<strong>in</strong>en höheren<br />

Stellenwert hätten als K<strong>in</strong>der.<br />

Mit der „Gefühlslage“ kommen<br />

wir der Wahrheit näher. Wie entsteht<br />

<strong>die</strong>se Sicht? Doch auch durch <strong>die</strong>jenigen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Me<strong>in</strong>ung machen, nämlich<br />

<strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n. Das ist nicht weiter<br />

verwunderlich. Sitzen doch <strong>in</strong> den Redaktionen<br />

<strong>die</strong>ser Me<strong>die</strong>n, statistisch<br />

gesehen, besonders viele, <strong>die</strong> unverheiratet<br />

s<strong>in</strong>d, ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der haben und<br />

e<strong>in</strong> Gesellschaftsbild propagieren, das<br />

sich durch egoistische Selbstverwirklichung<br />

auszeichnet.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Erkenntnis der Stu<strong>die</strong>:<br />

„Je qualifizierter e<strong>in</strong>e Frau ist, desto<br />

ger<strong>in</strong>ger ist <strong>die</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit,<br />

dass sie Mutter ist. 30 Prozent der<br />

zwischen 1964 und 1968 geborenen<br />

Frauen mit Hochschulabschluss s<strong>in</strong>d<br />

k<strong>in</strong>derlos geblieben, weil sie sich für<br />

den Beruf entschieden haben. D.h.<br />

aber im Umkehrschluss, dass 70 Prozent<br />

K<strong>in</strong>der bekamen.<br />

<strong>Der</strong> Trend zur K<strong>in</strong>derlosigkeit bestehe<br />

seit rund vier <strong>Jahr</strong>zehnten <strong>in</strong> der<br />

Bundesrepublik und sei damit zu e<strong>in</strong>em<br />

festen Verhaltensmuster geworden,<br />

das schwer zu ändern sei. D.h.,<br />

dass sich seit <strong>Jahr</strong>zehnten etwas Beobachtbares<br />

entwickelt hat, dem verantwortliche<br />

Politiker durch e<strong>in</strong>e bessere<br />

Familienpolitik hätten gegensteuern<br />

sollen. Das wäre auch möglich gewesen,<br />

wie das am Beispiel anderer Länder<br />

berichtet wird. E<strong>in</strong>es ist sicher,<br />

wie der Kommentator der AZ am Ende<br />

se<strong>in</strong>es Berichtes richtig sieht: „Die<br />

Erkenntnis ist so banal wie brutal: E<strong>in</strong><br />

Land ohne K<strong>in</strong>der ist e<strong>in</strong> Land ohne<br />

Zukunft.“<br />

Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

Ganz unverblümt <strong>die</strong> Katze<br />

aus dem Sack gelassen<br />

Welche Politik betreibt der Siemens-Konzern<br />

gegenüber Frauen,<br />

Familien und K<strong>in</strong>dern? Unter der<br />

Überschrift „Siemens macht Betreuungsgeld<br />

Konkurrenz“ wird deutlich,<br />

worum es dem Weltkonzern geht.<br />

Hier der Text <strong>in</strong> der Augsburger Allgeme<strong>in</strong>en<br />

<strong>Zeit</strong>ung vom 29.12.12:<br />

„Mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>derbetreuungszuschuss<br />

von bis zu 500,-- Euro pro<br />

Monat will Siemens se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<br />

ermuntern, nach der Geburt e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des möglichst schnell wieder<br />

an den Arbeitsplatz zurückzukehren.<br />

Mitarbeiter <strong>in</strong> Elternzeit, <strong>die</strong> schon<br />

während der ersten 14 Lebensmonate<br />

des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> Teilzeit wieder an ihren<br />

Arbeitsplatz zurückkehren, können<br />

bis zu 500,-- Euro pro K<strong>in</strong>d und<br />

Monat für <strong>die</strong> Betreuungskosten erhalten“.<br />

Siemens fragt nicht, was für das<br />

K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>e Entwicklung am besten<br />

ist. Siemens fragt auch nicht, wie<br />

<strong>die</strong> Mutter mit ihrer Doppelaufgabe,<br />

nämlich außerhäuslicher Arbeit<br />

und K<strong>in</strong>dererziehung zurechtkommt.<br />

Selbstverständlich will der Konzern<br />

maximale Leistung am Arbeitsplatz.<br />

Worum es Siemens geht, ist, kurz<br />

ausgedrückt, <strong>die</strong> Arbeitskraft junger<br />

gut ausgebildeter Frauen zur Profitmaximierung.<br />

Das ist gut für <strong>die</strong><br />

Führungskräfte und <strong>die</strong> Aktionäre.<br />

E<strong>in</strong> traditionsreicher Konzern<br />

sollte <strong>in</strong> Generationen denken. Frauen,<br />

<strong>die</strong> bei Siemens arbeiten und e<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d bekommen, werden kaum mo­<br />

58 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


?<br />

tiviert, e<strong>in</strong> zweites K<strong>in</strong>d aufzuziehen.<br />

Das mag dem Weltkonzern wurst<br />

se<strong>in</strong>. Er wird, wenn <strong>die</strong> nächste Generation<br />

mit noch weniger K<strong>in</strong>dern ansteht,<br />

se<strong>in</strong>e Produktionsstätten dorth<strong>in</strong><br />

transferieren, wo es mehr K<strong>in</strong>der<br />

gibt. Dann stimmt <strong>die</strong> Konzernbilanz<br />

wieder!<br />

Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

Auch e<strong>in</strong> Stil<br />

Wenn angeblich <strong>die</strong> ganze Richtung<br />

nicht stimmt und Personen, <strong>die</strong><br />

dafür stehen, nicht wegzukriegen<br />

s<strong>in</strong>d, bleibt <strong>die</strong> Möglichkeit sie als<br />

„unmöglich“ wegzuschreiben. – e<strong>in</strong>er<br />

der <strong>die</strong>s so praktiziert ist der Journalist<br />

Daniel Deckers. Wir kennen solche<br />

Portraits von ihm, z.B. das von<br />

Bischof Mixa, als er von Eichstätt<br />

nach Augsburg kam. Am 8.12.2012<br />

lieferte Daniel Deckers wieder e<strong>in</strong><br />

solches Beispiel <strong>in</strong> der FAZ ab. Es<br />

bezog sich auf Georg Gänswe<strong>in</strong>, den<br />

Privatsekretär von Papst Benedikt<br />

XVI. und neu ernannten Erzbischof.<br />

Das Stück hieß „Wir s<strong>in</strong>d Papst“.<br />

Daniel Deckers schrieb: … „Was<br />

hierzulande das Ende e<strong>in</strong>er Legislaturperiode<br />

ist, das ist <strong>in</strong> Rom der<br />

Herbst e<strong>in</strong>es Pontifikats. Dann wird<br />

es höchste <strong>Zeit</strong>, Vorsorge für ver<strong>die</strong>nte<br />

Mitarbeiter zu treffen. Geradezu<br />

spektakulär verlief <strong>die</strong> Karriere von<br />

Stanislaw Dziwisz … Nicht schlecht<br />

mit se<strong>in</strong>en Vertrauten me<strong>in</strong>t es auch<br />

Joseph Ratz<strong>in</strong>ger. <strong>Der</strong> Paderborner<br />

Priester Josef Clemens etwa sollte<br />

ihm von 1983 an fast zwei <strong>Jahr</strong>zehnte<br />

zur Hand gehen. Als … Ratz<strong>in</strong>ger<br />

auf e<strong>in</strong>e Rückkehr nach Bayern hoffte,<br />

wurde Clemens Bischof und Sekretär<br />

des päpstlichen Laienrates. An<br />

se<strong>in</strong>e Stelle trat im <strong>Jahr</strong>e 2003 Georg<br />

Gänswe<strong>in</strong> … Das blieb er auch, als<br />

Ratz<strong>in</strong>ger zum Papst gewählt wurde<br />

… damit <strong>die</strong>ses bis zum Ende des<br />

Pontifikates so bleiben kann, musste<br />

e<strong>in</strong> anderer weichen: <strong>Der</strong> Präfekt<br />

des päpstlichen Hauses, der amerikanische<br />

Erzbischof James Harvey<br />

… Damit tritt der designierte Erzbischof<br />

nicht nur dem Rang nach <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

Nachfolge von Stanislaw Dziwisz<br />

und darf hoffen, wie <strong>die</strong>ser e<strong>in</strong>st <strong>in</strong><br />

der Hierarchie se<strong>in</strong>es Heimatlandes<br />

obenauf zu se<strong>in</strong>“. Das wäre für Daniel<br />

Deckers e<strong>in</strong> Alptraum.<br />

Im Artikel von Daniel Deckers<br />

fehlt jedes <strong>Wort</strong> e<strong>in</strong>er Anerkennung<br />

über den aufreibenden Dienst der<br />

Papstsekretäre Dziwisz und Gänswe<strong>in</strong><br />

rund um <strong>die</strong> Uhr oder über ihre<br />

herausragenden Fähigkeiten, <strong>die</strong> sie<br />

für das neue Amt qualifizieren. Dafür<br />

gibt es Verdächtigungen und Unterstellungen.<br />

Das ist e<strong>in</strong> Stil, den man<br />

<strong>in</strong> Bayern „h<strong>in</strong>terfotzig“ nennt.<br />

Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

Familienpolitik –<br />

so erklärt sich manches<br />

Wer selber Millionen ver<strong>die</strong>nt,<br />

kann sich kaum <strong>in</strong> <strong>die</strong> Situation solcher<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>denken, <strong>die</strong> 1500,-- Euro<br />

pro Monat ver<strong>die</strong>nen und damit e<strong>in</strong>e<br />

Familie versorgen müssen. Problematisch<br />

wird es dann, wenn Großver<strong>die</strong>ner<br />

Sozialpolitik für <strong>die</strong> machen,<br />

<strong>die</strong> mit ihren E<strong>in</strong>kommen kaum über<br />

<strong>die</strong> Runden kommen.<br />

Ähnlich ist <strong>die</strong> Lage bei uns <strong>in</strong><br />

der Familienpolitik. Da bestimmen<br />

Abgeordnete über <strong>die</strong> Familienforderung,<br />

über K<strong>in</strong>dergeld, Betreuungsgeld<br />

oder den Ausbau von Kitas<br />

– ohne <strong>die</strong> Situation der Familien<br />

oder Alle<strong>in</strong>erziehender beurteilen zu<br />

können. Warum? Weil sie <strong>in</strong> großem<br />

Umfang selber ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der haben!<br />

Nach den Angaben der Internetseite<br />

des Bundestages s<strong>in</strong>d von den<br />

Bundestagsabgeordneten von der<br />

SPD 38,4 %, von der FDP 39,8 %,<br />

von der Partei der L<strong>in</strong>ken 39,5 % und<br />

von den Grünen 42,6 % ohne K<strong>in</strong>der.<br />

Die CDU/CSU-Abgeordneten haben<br />

zu 26,6 % ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der. Die Hälfte<br />

aller 620 Bundestagsabgeordneten<br />

kommen auf e<strong>in</strong>en Durchschnitt von<br />

0,3 K<strong>in</strong>dern! Jeder Bundesbürger,<br />

der <strong>die</strong> wichtigen Zukunftsfragen der<br />

Gesellschaft nicht e<strong>in</strong>fach verdrängt,<br />

weiß, dass <strong>die</strong> Probleme, <strong>die</strong> vor uns<br />

stehen, wie Verschuldung, Sicherung<br />

der Renten, Sorge für <strong>die</strong> Alten etc.<br />

nur durch gesunde Familien mit K<strong>in</strong>dern<br />

gelöst werden können. Die Bundestagsabgeordneten<br />

und <strong>die</strong> Regierung<br />

haben ke<strong>in</strong> wirkliches Konzept<br />

für <strong>die</strong> Lösung der Probleme.<br />

Abgeordnete ohne K<strong>in</strong>der haben<br />

ke<strong>in</strong> Gespür für <strong>die</strong> Bedürfnisse<br />

der Familie, denn sie werden davon<br />

nicht unmittelbar berührt. <strong>Der</strong> Verfassungsauftrag,<br />

Schaden vom Volk<br />

abzuwenden, ist für e<strong>in</strong>e große Zahl<br />

von Abgeordneten ke<strong>in</strong> Thema, weil<br />

sie nicht über <strong>die</strong> Wahlperiode h<strong>in</strong>aus<br />

denken. Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

Liebe Leser!<br />

Wir bitten um Spenden für den <strong>Fels</strong><br />

Unsere <strong>Zeit</strong> braucht e<strong>in</strong> klares <strong>Wort</strong> der Orientierung<br />

und Ermutigung im Glauben – das katholische <strong>Wort</strong>.<br />

Unterstützen Sie uns weiter, damit wir unser Bemühen<br />

mit dem FELS fortsetzen können.<br />

Recht herzlichen Dank<br />

Ihre <strong>Fels</strong>-Redaktion<br />

<strong>Fels</strong>-Vere<strong>in</strong> e.V., Auslieferung, Postfach 11 16, 86912 Kaufer<strong>in</strong>g<br />

DPAG, Postvertriebsstück, Entgeld bezahlt, 04215<br />

xxxxxxx<br />

Frau Mustermann<br />

Musterstraße 1<br />

12345 Musterstadt<br />

Bitte Beziehernummer<br />

des „FELS“ (ist auf dem<br />

Adressetikett) bei der<br />

Überweisung angeben<br />

DER Konto FELS <strong>Fels</strong> 2/<strong>2013</strong> e.V.:, Landsberg-Ammersee Bank eG, KontoNr.: 514 75 22, BLZ: 700 916 00 59<br />

Weitere Banken siehe Impressum Seite 63


Warum „ökumenischer<br />

Stillstand“?<br />

„Evangelischer Pfarrer wird katholisch“<br />

– Unter <strong>die</strong>sem Titel brachte „Kirche<br />

heute“ e<strong>in</strong> Interview mit Andreas Theurer,<br />

der Pfarrer der Evangelischen Landeskirche<br />

<strong>in</strong> Württemberg war und am<br />

30. Oktober 2012 zur katholischen Kirche<br />

übertrat, nachdem er <strong>die</strong> Gründe dafür<br />

<strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en Buch „Warum werden<br />

wir nicht katholisch?“ niedergelegt<br />

hatte (Siehe <strong>die</strong> Rezension <strong>in</strong> „<strong>Fels</strong>“ Nr.<br />

10/2012, S.30 - Das Interview <strong>in</strong> „Kirche<br />

heute 1/<strong>2013</strong>, S.12; Postfach 1406,<br />

D-84498 Altött<strong>in</strong>g). Aus dem Interview<br />

hier <strong>die</strong> Passage über das Streben nach<br />

E<strong>in</strong>heit der Christen.<br />

Kirche heute: Ihr Buch strahlt e<strong>in</strong>e<br />

große persönliche Sehnsucht nach der<br />

E<strong>in</strong>heit der Christen <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Kirche<br />

aus. Wie beurteilen Sie das Verhältnis<br />

zwischen evangelischer und katholischer<br />

Kirche heute?<br />

Theurer: Re<strong>in</strong> formal ist das Verhältnis<br />

<strong>in</strong>zwischen sehr gut. Man arbeitet <strong>in</strong><br />

vielen Bereichen gut und effektiv zusammen,<br />

und das ist natürlich e<strong>in</strong> großer<br />

Fortschritt gegenüber früher. Lehrmäßig<br />

haben sich wohl auf beiden Seiten viele<br />

damit abgefunden, dass man sich ohneh<strong>in</strong><br />

nicht e<strong>in</strong>igen kann, und deshalb werden<br />

<strong>die</strong> strittigen Themen oft ausgeblendet.<br />

Bedauerlich f<strong>in</strong>de ich es außerdem,<br />

dass <strong>in</strong> der Öffentlichkeit oft der E<strong>in</strong>druck<br />

vorherrscht, <strong>die</strong> Katholiken seien<br />

schuld daran, dass es nicht vorwärts<br />

geht, weil sie nicht bereit s<strong>in</strong>d, von ihren<br />

Standpunkten abzurücken. Ich sehe<br />

es freilich umgekehrt: der Protestantismus<br />

entfernt sich <strong>in</strong> den dogmatischen<br />

und ethischen Fragen unserer <strong>Zeit</strong> immer<br />

weiter vom früheren allgeme<strong>in</strong>christlichen<br />

Konsens und ist somit der Hauptschuldige<br />

am ökumenischen Stillstand.<br />

Kirche heute: Was schadet dem ökumenischen<br />

Bemühen Ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach am meisten?<br />

Theurer: E<strong>in</strong>e Wischi-Waschi-Theologie,<br />

<strong>die</strong> dazu führt, dass man sich – wie<br />

es Kard<strong>in</strong>al Kasper e<strong>in</strong>mal so schön sagte<br />

– vor allem dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ig ist, woran man<br />

geme<strong>in</strong>sam nicht mehr glaubt.<br />

Kirche heute: Was erwarten Sie von<br />

der katholischen Kirche auf dem Gebiet<br />

der Ökumene?<br />

Theurer: Klare Standpunkte, auch<br />

wenn sie unbequem s<strong>in</strong>d (…)<br />

E<strong>in</strong>e „Sternstunde“ <strong>in</strong> Castelgandolfo<br />

„Ökumene im Geist der Wahrheit und des<br />

gegenseitigen Respekts“ ist e<strong>in</strong> Bericht<br />

<strong>in</strong> „Diakrisis“, der Vierteljahresschrift<br />

der Internationalen Konferenz Bekennender<br />

Geme<strong>in</strong>schaften, überschrieben;<br />

<strong>Zeit</strong><br />

im<br />

Spektrum<br />

er br<strong>in</strong>gt, wie der Untertitel sagt, „Beobachtungen<br />

e<strong>in</strong>es evangelischen Gastes<br />

zum <strong>die</strong>sjährigen Treffen des Schülerkreises<br />

des Papstes <strong>in</strong> Castelgandolfo“ (Diakrisis<br />

4/2012, Seite 179; Postfach 1131<br />

D-91502 Ansbach). Das Treffen 2012<br />

war dem Thema „Ökumene“ gewidmet;<br />

außer dem Verfasser des Berichtes, Dr.<br />

Werner Neuer, nahmen daran auch zwei<br />

weitere lutherische Theologen teil: Altbischof<br />

Prof. Ulrich Wilckens (Lübeck)<br />

und Prof. Theodor Dieter (Straßburg). –<br />

Dr. Neuer zu dem Treffen u. a.:<br />

(…) Zwar konnten manche der angesprochenen<br />

Fragen nur sehr fragmentarische<br />

erörtert werden. Aber <strong>die</strong> Vorträge<br />

waren trotz ihrer Kürze von e<strong>in</strong>er solchen<br />

Ernsthaftigkeit, Tiefe und Gründlichkeit,<br />

und <strong>die</strong> sich anschließenden Diskussionen<br />

wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solch respektvollen<br />

und geschwisterlichen Geisteshaltung<br />

des gegenseitigen Hörens und Lernens<br />

ausgetragen, dass man ohne Übertreibung<br />

von e<strong>in</strong>er Sternstunde der Ökumene<br />

sprechen kann: der Schülerkreis wurde<br />

Zeuge e<strong>in</strong>er ökumenischen Begegnung<br />

im Geist der Wahrheit und des gegenseitigen<br />

Respekts, <strong>die</strong> von den Anwesenden<br />

nicht ohne <strong>in</strong>nere Bewegung aufgenommen<br />

und mitvollzogen wurde!<br />

Dazu, dass <strong>die</strong>s möglich wurde, trug<br />

maßgeblich Papst Benedikt XVI. als<br />

Gastgeber des Treffens bei. (…)<br />

Es erwies sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Sicht während<br />

des gesamten Verlaufes der Tagung<br />

als e<strong>in</strong>e glückliche Fügung, dass der<br />

Papst gerade <strong>die</strong>se beiden Repräsentanten<br />

lutherischer Theologie und Frömmigkeit<br />

e<strong>in</strong>geladen hatte. Beide haben – wie<br />

sich <strong>in</strong> vielen Reaktionen der Teilnehmer<br />

zeigte – bei den katholischen Hörern e<strong>in</strong>en<br />

überzeugenden E<strong>in</strong>druck h<strong>in</strong>terlassen,<br />

der zu e<strong>in</strong>er weiteren Beschäftigung<br />

mit ökumenischen Fragen im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

und lutherischer Theologie im Besonderen<br />

e<strong>in</strong>lud. Dazu trug sicher ganz<br />

wesentlich bei, dass sich beide <strong>in</strong> ihrer<br />

geistlichen Haltung und <strong>in</strong> ihrem theologischen<br />

Denken wohltuend unterschieden<br />

von e<strong>in</strong>em Protestantismus, der <strong>die</strong><br />

Heilige Schrift und das reformatorische<br />

Erbe zugunsten zeitgeistkonformer Positionen<br />

h<strong>in</strong>ter sich lässt und dadurch<br />

gerade auf katholischer Seite manches<br />

verständliche Misstrauen gegenüber der<br />

Tragfähigkeit ökumenischer Bemühungen<br />

hervorruft. (…)<br />

Beten <strong>in</strong> priesterarmer <strong>Zeit</strong><br />

E<strong>in</strong>en Vorschlag für <strong>die</strong> derzeitige priesterarme<br />

<strong>Zeit</strong> hierzulande machte Prof.<br />

Dr. Ludwig Mödl, Spiritual am Georgianum<br />

<strong>in</strong> München und Universitätspredigen<br />

<strong>in</strong> St. Ludwig ebendort, <strong>in</strong> der „Katholischen<br />

Sonntagszeitung“ (12./13. 1.<br />

<strong>2013</strong>):<br />

Das Wichtigste, was <strong>die</strong> Pastoral <strong>in</strong><br />

nächster <strong>Zeit</strong> leisten muss: sie muss <strong>die</strong><br />

Menschen das Beten lehren. Schätze der<br />

Tradition muss sie erschließen. Vor allem<br />

soll sie das Psalmengebet vermitteln,<br />

damit künftige Gebetsgruppen <strong>in</strong><br />

unseren Kirchen und Kapellen, <strong>in</strong> denen<br />

nur noch selten <strong>die</strong> Messe gefeiert<br />

wird, täglich e<strong>in</strong> Stundengebet pflegen.<br />

Nur so kann der Glaube <strong>in</strong> priesterarmer<br />

<strong>Zeit</strong> auch öffentlich leben. Psalmenbeten<br />

müssen wir lehren und lernen.<br />

Die Psalmen s<strong>in</strong>d hymnische Texte.<br />

Ihre Tiefen erschließen sich dem, der<br />

sich e<strong>in</strong>fühlt und – wie bei e<strong>in</strong>em Gedicht<br />

– zwischen den Zeilen zu lesen<br />

lernt. Jeder Psalm will Gebet se<strong>in</strong>, selbst<br />

wenn ganze Passagen nicht wie e<strong>in</strong> Gebet<br />

kl<strong>in</strong>gen. (…)<br />

Psalmen beten <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft könnte<br />

e<strong>in</strong>e Gruppe von Leuten jeden Tag<br />

nach dem Aufsperren der Kirche <strong>in</strong><br />

der Frühe oder vor dem Absperren am<br />

Abend. So könnte e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de, <strong>die</strong><br />

jetzt organisatorisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Großraum<br />

e<strong>in</strong>gegliedert wurde, selbständig bleiben<br />

– als sichtbare Gebetsgeme<strong>in</strong>schaft.<br />

Wenn der Papst „twittert“<br />

„Auch der Papst twittert“ – Meldungen<br />

<strong>die</strong>ser Art kamen im letzten Dezember<br />

über viele Me<strong>die</strong>n. <strong>Der</strong> „Osservatore<br />

Romano“ berichtete nun über <strong>die</strong> ersten<br />

Erfahrungen mit <strong>die</strong>sem neuen Internet-<br />

Kommunikationsmittel, bei dem <strong>die</strong> Teilnehmer<br />

mit Kurzmitteilungen zum aktuellen<br />

Geschehen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en öffentlichen<br />

Dialog e<strong>in</strong>treten; der Papst tut es über @<br />

pontifex (OR deutsch, 11.1.<strong>2013</strong>).<br />

„Wenn wir uns ganz Gott anvertrauen,<br />

ändert sich alles. Wir s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>es<br />

liebenden Vaters, der uns nie verlässt.“<br />

Dies ist der Tweet, den Benedikt XVI.<br />

am Mittwoch, 2. Januar, <strong>in</strong>s Netz stellte<br />

… Den ersten gab es am 12. Dezember,<br />

dem historischen Term<strong>in</strong>, der das päpstliche<br />

Debüt im Netz sah, mit e<strong>in</strong>em Tweet,<br />

der weltweit gleich mehrere tausend mal<br />

angeklickt wurde: „Liebe Freunde! Gerne<br />

60 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


verb<strong>in</strong>de ich mich mit Euch über Twitter.<br />

Danke für <strong>die</strong> netten Antworten. Von Herzen<br />

segne ich euch.“ (…)<br />

<strong>Der</strong> Präsident des Päpstlichen Rates<br />

für <strong>die</strong> sozialen Kommunikationsmittel,<br />

Erzbischof Claudio Maria Celli,<br />

sprach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview darüber, wie<br />

<strong>die</strong> Tweets Benedikts XVI. entstehen.<br />

„Die dafür zuständigen Büros des Staatssekretariates<br />

bereiten e<strong>in</strong>en Text vor, den<br />

der Papst billigen muss. Wir glauben und<br />

wollen unbed<strong>in</strong>gt, dass <strong>die</strong> Tweets wirklich<br />

von Benedikt XVI. stammen,“ sagte<br />

Celli; … er betonte, „dass der Papst <strong>die</strong><br />

Texte überarbeitet“. Celli verbirgt nicht,<br />

dass ke<strong>in</strong>eswegs alle Kommentare zu den<br />

Tweets positiv ausgefallen seien ... Wir haben<br />

wunderschöne Botschaften erhalten,<br />

von Jung und Alt und aus allen Kont<strong>in</strong>enten.<br />

Dann aber auch ironische, beleidigende,<br />

kritische Botschaften. Aber ich gestehe,<br />

dass das für uns, <strong>die</strong> wir <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Kontext<br />

leben, ke<strong>in</strong>e Überraschung war. Wir waren<br />

uns völlig im klaren darüber, was geschehen<br />

würde: wenn der Papst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Dialog<br />

mit den Menschen unserer <strong>Zeit</strong> e<strong>in</strong>treten<br />

und sich auf e<strong>in</strong> Niveau mit ihnen stellen<br />

will, dann gibt es Risiken, <strong>die</strong> man e<strong>in</strong>gehen<br />

und akzeptieren muss.“<br />

Des<strong>in</strong>formierte, verführte,<br />

traumatisierte K<strong>in</strong>der<br />

Um derzeitige Probleme mit der Sexualkunde<br />

und Sexualerziehung an den<br />

Schulen g<strong>in</strong>g es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganzseitigen<br />

Bericht der „Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />

<strong>Zeit</strong>ung“ (5.1.<strong>2013</strong>, Seite 3: Susanne<br />

Kusicke „Denn sie wissen nicht, was es<br />

ist“). E<strong>in</strong> Vorspann fasst den Inhalt zusammen:<br />

„Was <strong>in</strong> den Schulbüchern<br />

über Sex steht, hilft den Lehren oft nicht<br />

weiter, wenn Sexualkunde auf dem Lehrplan<br />

steht. Denn ihre Schüler haben im<br />

Internet schon so viel gesehen und gelesen,<br />

dass es nur noch darum geht, über<br />

Pornographie aufzuklären“ – Hier e<strong>in</strong>ige<br />

Stellen mit H<strong>in</strong>weisen auf <strong>die</strong> Situation<br />

aus dem Bericht selber:<br />

(…) Im nächsten <strong>Jahr</strong> sollen [<strong>in</strong> Hessen]<br />

<strong>die</strong> Sexualkundelehrpläne für alle<br />

Schulformen überarbeitet werden. Sie<br />

sollen moderner werden und konkreter<br />

„Wir müssen uns damit ause<strong>in</strong>andersetzen,<br />

dass Jugendliche gerade heute wegen<br />

des vollkommen ungefilterten Internetangebots<br />

handfeste Informationen<br />

brauchen und dass sich auch das Familienbild<br />

ändert,“ sagt e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>isterialbeamter.(…)<br />

„Das soziale Milieu spielt da kaum<br />

e<strong>in</strong>e Rolle. Schon bei Erstklässlern s<strong>in</strong>d<br />

heute alle relevanten Vokabeln bekannt.<br />

Viertklässler haben Fragen, dass e<strong>in</strong>em<br />

glatt <strong>die</strong> Tränen kommen können.“ (…)<br />

Jugendliche wachsen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kultur<br />

systematischen Tabubruches und<br />

aggressiver Nacktheit auf, <strong>die</strong> sich ihnen<br />

täglich aufdrängt, und zwar überall.<br />

Im Fernsehen plappern plat<strong>in</strong>blon<strong>die</strong>rte<br />

Verschnitte aus Verona Feldbusch und<br />

Lilo Wanders am hellichten Tag über ihre<br />

Brustimplantate. In Nachrichtenmagaz<strong>in</strong>en<br />

wird seitenweise „Aufklärung“<br />

abgedruckt, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>Wort</strong> und Bild ke<strong>in</strong>e<br />

Fragen mehr offenlässt. Auf dem Christopher-Street-Day<br />

stecken Homosexuelle<br />

e<strong>in</strong>ander demonstrativ <strong>die</strong> Zunge <strong>in</strong> den<br />

Hals. Bordelle preisen an jeder Straßenecke<br />

mit Pappaufstellern „Massagen“ an.<br />

Und <strong>in</strong> edlen Parfümerien wirbt <strong>die</strong> Popsänger<strong>in</strong><br />

Lady Gaga praktisch nackt für<br />

e<strong>in</strong> Parfüm, das nach ihrer eigenen Beschreibung<br />

„nuttig“ riecht.<br />

Was sollen Jugendliche aus <strong>die</strong>sem<br />

„Angebot“ schließen? Oder aus der Tatsache,<br />

dass sie <strong>die</strong>ser Kultur oft selbst<br />

e<strong>in</strong>fach zugerechnet werden – und zwar<br />

wiederum <strong>in</strong> den Me<strong>die</strong>n? Dann werden<br />

sie als hemmungslose „Generation<br />

YouPorn“ beschrieben... (…)<br />

„E<strong>in</strong> Don Bosco oder<br />

viele Boscos im Kle<strong>in</strong>format“<br />

Zum 31. Januar <strong>2013</strong> er<strong>in</strong>nert das „Directorium<br />

spirituale“ an den hl. Don<br />

Bosco als Vorbild und Fürsprecher (Heft<br />

Januar <strong>2013</strong>; Leibnizstr.11, D-93055 Regensburg):<br />

(…) In se<strong>in</strong>em Leben war das Übernatürliche<br />

fast natürlich und das Außergewöhnliche<br />

gewöhnlich, soll Papst Pius<br />

XI. über ihn gesagt haben. Wie sehr<br />

bräuchte doch auch unserere heutige Jugend,<br />

<strong>die</strong> von Kultursoziologen als weith<strong>in</strong><br />

wohlstandsverwahrlost bezeichnet<br />

wird, e<strong>in</strong>en Don Bosco oder wenigstens<br />

viele Boscos im Kle<strong>in</strong>format, <strong>die</strong> sich<br />

um K<strong>in</strong>der und Jugendliche <strong>in</strong> ihren Lebensfragen<br />

kümmern. Leider sche<strong>in</strong>t das<br />

von den kirchenverbandlichen Gruppierungen<br />

und E<strong>in</strong>richtungen kaum noch<br />

geleistet zu werden. Anstatt <strong>in</strong>nerkirchliche<br />

Richtungskämpfe zu befeuern und<br />

Jugendliche vor e<strong>in</strong>em Papstgottes<strong>die</strong>nst<br />

(wie im September 2011 <strong>in</strong> Freiburg geschehen)<br />

mit Leuchtstäben über den Zölibat<br />

abstimmen zu lassen, sollte – wie<br />

von Don Bosco – <strong>die</strong> konkrete Not der<br />

Jugendlichen nüchtern wahrgenommen<br />

und ihr hilfreich begegnet werden. Wie<br />

kann kirchliche Jugendarbeit z.B. helfen<br />

bei der zunehmenden familiären Zerrissenheit,<br />

bei der gesellschaftlich geförderten<br />

zerstörerischen Frühsexualisierung<br />

und der medialen Zerstreuung der<br />

K<strong>in</strong>der und Jugendlichen? Man müsste<br />

den K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen <strong>in</strong> der<br />

Schule ebenso wie <strong>in</strong> den Gruppenstunden<br />

nachgehen mit klaren Weisungen im<br />

Bezug auf Sexualität und Partnerschaft,<br />

sie e<strong>in</strong>weisen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kritisch-selbständigen<br />

Umgang mit Me<strong>die</strong>n (mit Handys<br />

z.B.) und sie mit elementarem Glaubenswissen<br />

und grundsätzlicher Glaubensfreude<br />

ausstatten. Dass dabei Spiel und<br />

Beruf nicht aus dem Blick geraten dürfen,<br />

versteht sich von selbst. Kirchliche<br />

Jugendarbeit wird dann aber auch widerständig<br />

se<strong>in</strong> gegenüber politischen Erziehungsvorgaben<br />

und gesellschaftlich<br />

im Trend liegenden Wertvorstellungen.<br />

Diesbezüglich immer wieder Johannes<br />

Bosco als Fürsprecher anzurufen, würde<br />

vielen Verantwortlichen <strong>in</strong> der kirchlichen<br />

Jugendarbeit gut anstehen und ihrem<br />

E<strong>in</strong>satz sicher nicht zum Schaden<br />

gereichen. (…)<br />

E<strong>in</strong>e verfassungswidrige<br />

Organisation?<br />

Zu Forderungen der Organisation „Pro<br />

Familia“ nahm <strong>die</strong> „Aktion Leben“ <strong>in</strong><br />

ihrem Rundbrief 6/2012 Stellung (Aktion<br />

Leben e.v., Postfach61, D-69518 Abste<strong>in</strong>ach).<br />

(…) „Pro Familia“ strebt fortdauernd<br />

an, den sog. Schwangerschaftsabbruch<br />

aus dem Strafrecht (§ 218 StGB) herauszunehmen.<br />

Mit <strong>die</strong>sem Vorschlag könnten<br />

wir uns e<strong>in</strong>verstanden erklären, also<br />

„Weg mir dem § 218!“ als Sonderstrafrecht,<br />

wenn dafür <strong>die</strong> Strafrechtsparagraphen<br />

211 f (Mord, Totschlag etc.) zuständig<br />

würden. Das wäre logisch, denn<br />

es gibt ke<strong>in</strong>en Unterschied – Würde und<br />

Lebensrecht betreffend – zwischen noch<br />

nicht geborenen und bereits geborenen<br />

Menschen, es sei denn, dass der Mensch,<br />

je kle<strong>in</strong>er, wehrloser, hilfloser er ist, um<br />

so mehr Schutz und Fürsorge braucht.<br />

Das Bundesverfassungsgericht (BVG)<br />

sagte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Urteil vom 25.<strong>Februar</strong><br />

1975 zum § 218 StGB: „Das sich im<br />

Mutterleib entwickelnde Leben steht<br />

als selbständiges Rechtsgut unter dem<br />

Schutz der Verfassung (Art. 2 II 1, Art.<br />

11 GG). Die Schutzpflicht des Staates<br />

verbietet nicht nur unmittelbare staatliche<br />

E<strong>in</strong>griffe <strong>in</strong> das sich entwickelnde<br />

Leben, sondern gebietet dem Staate auch,<br />

sich schützend und fördernd vor <strong>die</strong>ses<br />

Leben zu stellen. Die Verpflichtung des<br />

Staates, das sich entwickelnde Leben <strong>in</strong><br />

Schutz zu nehmen, besteht auch gegenüber<br />

der Mutter. <strong>Der</strong> Lebensschutz der<br />

Leibesfrucht genießt grundsätzlich für<br />

<strong>die</strong> gesamte Dauer der Schwangerschaft<br />

Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht<br />

der Schwangeren und darf nicht<br />

für e<strong>in</strong>e bestimmte Frist <strong>in</strong> Frage gestellt<br />

werden.“<br />

Würde das BVG heute noch so formulieren?<br />

Die Frage stellt sich: Haben wir<br />

e<strong>in</strong>en anderen Staat, e<strong>in</strong> anderes Grundgesetz<br />

als 1975? Oder ist „Pro Familia“<br />

e<strong>in</strong>e verfassungswidrige Organisation?<br />

In <strong>die</strong>sem Fall wären <strong>die</strong> Politik und <strong>die</strong><br />

Justiz aufgefordert, schnell zu handeln.<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 61


Erläuterung<br />

zum Titelbild<br />

Bücher<br />

Das Titelbild aus dem Speyerer<br />

Exangeliar, geschaffen im Auftrag<br />

Kaiser He<strong>in</strong>rich III. (1017 –<br />

1056), zeigt, laut Beschriftung<br />

a c c i p i e n s s y m e o n p v e r v(m) i(es v)m <strong>in</strong><br />

m a n i b u s e t b e n e d i x(it) e v(m) e t dixit:<br />

n v n c dimittis se r v(v)m tv v(m) <strong>in</strong> pa c e<br />

<strong>Der</strong> Raum hier ist der Tempel<br />

von Jerusalem, das Haus Gottes.<br />

Er hat e<strong>in</strong>en Mittelturm mit drei<br />

Fenstern, wohl Symbol für <strong>die</strong><br />

göttliche Dreifaltigkeit, seitlich<br />

davon je fünf Fenster. Die unteren<br />

Fenster haben <strong>die</strong> Form von<br />

Gesetzestafeln. So ist wohl anzunehmen,<br />

dass <strong>die</strong> „Fenster“<br />

für <strong>die</strong> Zehn Gebote stehen. Das<br />

Tempel<strong>in</strong>nere ist gänzlich aus<br />

Gold. In der Mitte steht e<strong>in</strong> Opferaltar.<br />

Da alle Erstl<strong>in</strong>ge Gott gehörten<br />

(Ex 13,2; Num 3,3), waren<br />

sie ihm zu opfern. Dies geschah<br />

durch e<strong>in</strong> Auslösungsopfer (Ex<br />

34,20), z.B. <strong>in</strong> Form von zwei junge<br />

Tauben (Lk 2, 24). So steht<br />

rechts der Greis Simeon, um<br />

Christus zu opfern und l<strong>in</strong>ks Maria,<br />

um für <strong>die</strong>sen als Opfer zwei<br />

Tauben auf den Altar zu legen.<br />

Christus hat e<strong>in</strong>en Kreuznimbus.<br />

Dies weist nicht nur auf se<strong>in</strong>e<br />

Heiligkeit, sondern auch auf<br />

se<strong>in</strong>en Tod. Nur noch Maria hat<br />

e<strong>in</strong>en Heiligensche<strong>in</strong>. Ihr Haupt<br />

ist von e<strong>in</strong>em weißen Schleier<br />

umhüllt. Nach der paul<strong>in</strong>ischer<br />

Tradition, muss <strong>die</strong> Frau im Hause<br />

Gottes ihr Haupt bedecken.<br />

Es stellt sich <strong>die</strong> Frage, wer <strong>die</strong><br />

beiden Personen <strong>in</strong> Rücken Mariens<br />

s<strong>in</strong>d? Nach dem Evangelium<br />

kann es sich nur um Joseph und<br />

<strong>die</strong> Prophet<strong>in</strong> Hanna handeln.<br />

<br />

Alois Epple<br />

Andreas Püttmann: Führt Säkularisierung<br />

zum Moralverfall? E<strong>in</strong>e Antwort<br />

auf Hans Joas, Bonn <strong>2013</strong>, 48 S.,<br />

5,- Euro.<br />

Benedikt XVI. schrieb im März 2009<br />

an alle Bischöfe: „Das eigentliche Problem<br />

unserer Geschichtsstunde ist es, dass<br />

Gott aus dem Horizont der Menschen<br />

verschw<strong>in</strong>det und dass mit dem Erlöschen<br />

des von Gott kommenden Lichts<br />

Orientierungslosigkeit <strong>in</strong> <strong>die</strong> Menschheit<br />

here<strong>in</strong>bricht, deren zerstörerische Wirkungen<br />

wir immer mehr zu sehen bekommen“.<br />

Ausgerechnet e<strong>in</strong> Inhaber der<br />

Regensburger Joseph-Ratz<strong>in</strong>ger-Gastprofessur,<br />

der jüngst <strong>in</strong>s Zentralkomitee<br />

der deutschen Katholiken gewählte<br />

Freiburger Soziologe Hans Joas, trat im<br />

Sommer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aufsatz <strong>in</strong> der Jesuiten-<strong>Zeit</strong>schrift<br />

„Stimmen der <strong>Zeit</strong>“ mit<br />

der Gegenthese hervor. „Säkularisierung<br />

führt bisher nicht nachweislich zu Moralverfall“.<br />

Wohl niemand wäre geeigneter, Joas‘<br />

„Empirische gestützte Überlegungen“<br />

(so se<strong>in</strong> Untertitel) kritisch zu überprüfen<br />

als der Politikwissenschaftler und Autor<br />

Andreas Püttmann, dessen Buch „Gesellschaft<br />

ohne Gott“ 2012 <strong>in</strong> <strong>die</strong> vierte Auflage<br />

g<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der „Neuen Ordnung“<br />

publizierten Kurz-Replik, <strong>die</strong> von der<br />

FAZ als stichhaltig gelobt wurde (wogegen<br />

„Joas‘ Belege erstaunlich mager“<br />

seien), ließ Püttmann nun <strong>die</strong> 48seitige<br />

Broschüre „Führt Säkularisierung zum<br />

Moralverfall? E<strong>in</strong>e Antwort auf Hans Joas“<br />

folgen. Sie widerlegt überzeugend<br />

<strong>die</strong> These von der angeblich moralischen<br />

Folgelosigkeit der fortschreitenden Sä­<br />

kularisierung und ist auch ohne Kenntnis<br />

der Joas-Publikation mit großem Gew<strong>in</strong>n<br />

zu lesen. E<strong>in</strong>gehend setzt sich Püttmann<br />

mit Joas‘ Leugnung heutiger Dekadenzsymptome<br />

ause<strong>in</strong>ander und führt zahlreiche<br />

Stu<strong>die</strong>n zu Rechtsbewusstse<strong>in</strong>, Lebensschutz<br />

und Wertorientierung an, <strong>die</strong><br />

sehr wohl für e<strong>in</strong>en Zusammenhang von<br />

Glaube und Moral sprechen. Püttmann<br />

übersieht dabei nicht, dass es auch „atheistische<br />

Moralkompetenz und religiöses<br />

Moralversagen“ gibt. Dies zugestanden,<br />

fragt er aber: „Was passiert, wenn e<strong>in</strong>e<br />

ganze Gesellschaft oder der größere<br />

Teil von ihr den Anker lichtet, den das<br />

Grundgesetz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Präambel mit der<br />

,Verantwortung vor Gott‘ geworfen hat?“<br />

Zum Schluss fasst Püttmann <strong>die</strong> moralisch<br />

kulturgestaltende Kraft des Christentums<br />

mit Josef Isensee <strong>in</strong>sbesondere<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des Menschenbildes im<br />

Vergleich zu anderen geistesgeschichtlichen<br />

Strömungen zusammen. Joas dagegen<br />

sche<strong>in</strong>e „<strong>die</strong> Säkularisierung mehr<br />

zu illustrieren als zu analysieren“. Zum<br />

Siechtum des europäischen Christentums<br />

gehöre, so Püttmann, „se<strong>in</strong> Mangel<br />

an Selbstbewusstse<strong>in</strong>, den Menschen<br />

nicht nur e<strong>in</strong>e ,Option‘, sondern etwas<br />

‚Unverzichtbares‘ (Benedikt XVI.) mitzuteilen,<br />

und zwar nicht nur für e<strong>in</strong> jenseitiges<br />

Heil, sondern auch für das irdische<br />

Wohl. <br />

Lothar Roos<br />

Das Büchle<strong>in</strong> kann beim Onl<strong>in</strong>e-<br />

Buchversand „Media Maria“ oder beim<br />

Autor selbst (andreas.puettmann@web.<br />

de) bestellt werden.<br />

Manfred Hauke: „Für viele vergossen.“ Stu<strong>die</strong><br />

zur s<strong>in</strong>ngetreuen Wiedergabe des pro multis <strong>in</strong><br />

den Wandlungsworten. Dom<strong>in</strong>us-Verlag Augsburg<br />

2012, 2. erweiterte Auflage, 136 Seiten, ISBN 978-<br />

3-940879-01-1, Euro 6,90 zzgl. Versandkosten.<br />

Bestellung: Dom<strong>in</strong>us Verlag, Tel.: 0821-5665658,<br />

E-Mail: bestellung@dom<strong>in</strong>us-verlag.de<br />

Die Ause<strong>in</strong>andersetzungen um <strong>die</strong> richtige<br />

Übersetzung der Wandlungsworte dürften im Laufe<br />

<strong>die</strong>ses <strong>Jahr</strong>es wieder aufleben, wenn <strong>die</strong> Übersetzung<br />

des Römischen Messbuchs herauskommt<br />

und dann auch e<strong>in</strong>geführt werden muss. Papst Benedikt<br />

XVI. hat schon vor längerer <strong>Zeit</strong> verlangt,<br />

dass „an <strong>die</strong> Stelle der <strong>in</strong>terpretativen Auslegung<br />

‚für alle‘ <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fache Übertragung ‚für viele‘ treten<br />

müsse. Nicht e<strong>in</strong>zelne Bischöfe haben <strong>die</strong>se<br />

Bitte des Papstes bisher abgelehnt, sondern das<br />

unpersönliche Gremium „Bischofskonferenz“.<br />

Professor Hauke erklärt <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Buch den aktuellen Sachstand und <strong>die</strong> Gründe, <strong>die</strong><br />

für <strong>die</strong> richtige Übersetzung ‚für viele‘ sprechen. Auf <strong>die</strong>se Argumente werden wir <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>sem <strong>Jahr</strong> noch zurückgreifen müssen.<br />

Eduard Werner<br />

62 DER FELS 2/<strong>2013</strong>


Leserbrief<br />

Veranstaltungen<br />

Seit der Gründung lese ich den<br />

FELS, also länger, als Herr Prof. G<strong>in</strong>dert<br />

Chefredakteur <strong>die</strong>ses <strong>Fels</strong>ens <strong>in</strong><br />

der atheistischen Brandung ist. Zudem<br />

b<strong>in</strong> ich der Me<strong>in</strong>ung, dass <strong>die</strong> Beiträge<br />

von Herrn Prof. G<strong>in</strong>dert zu den besten<br />

zählen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses „katholische <strong>Wort</strong> <strong>in</strong><br />

der <strong>Zeit</strong>“ pub liziert. Aber ausgerechnet<br />

Herrn Prof. Spaemann auf <strong>die</strong> Ergänzungsbedürftigkeit<br />

se<strong>in</strong>es Interviews <strong>in</strong><br />

der WELT h<strong>in</strong>zuweisen, ist ergänzungsbedürftiger!<br />

Welches Interview, welcher<br />

Artikel und welcher Leserbrief <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Tageszeitung ist nicht ergänzungsbedürftig<br />

– schon aus Platzgründen? Und<br />

<strong>die</strong> Überschrift ist <strong>in</strong> der Regel nicht<br />

vom Autor, sondern vom Redakteur.<br />

Und der „E<strong>in</strong>druck“ Spaemanns, mit<br />

dem 2. Vaticanum habe sich F<strong>in</strong>sternis<br />

über e<strong>in</strong>e vitale, kirchliche Landschaft<br />

ausgebreitet, ist doch wohl nur deshalb<br />

missverständlich, weil man <strong>die</strong>se vitale<br />

Landschaft nach dem Konzil vergeblich<br />

sucht. Im Gegenteil, auch Prof. G<strong>in</strong>dert<br />

hält <strong>die</strong> Me<strong>in</strong>ung von dem Niedergang<br />

des kirchlichen Lebens nach dem Konzil<br />

für unbestritten! In der Tat hat das<br />

Konzil viele Katholiken lasch gemacht.<br />

Wie lange sie zu ihrer Laschheit und zu<br />

den daraus folgenden Fehlentwicklungen<br />

stehen, wird sich zeigen, „wenn <strong>die</strong><br />

von materiellen und politischen Lasten<br />

befreite Kirche wieder das Wesentliche<br />

der Botschaft Christi der Welt präsentiert<br />

und ke<strong>in</strong>e weichgespülten Kopien“<br />

(nach Prof. G<strong>in</strong>dert).<br />

Natürlich s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Bischöfe zuständig,<br />

wenn <strong>die</strong> Lehre der Kirche um<strong>in</strong>terpretiert<br />

wird. Aber <strong>die</strong>sen wahren<br />

H<strong>in</strong>weis kann doch niemand mehr ernst<br />

nehmen. Alle Fehlentwicklungen, Irrlehren<br />

und Missbräuche, <strong>die</strong> seit <strong>Jahr</strong>en<br />

von den Professoren Hoeres, May, G<strong>in</strong>dert<br />

und vielen andern im FELS kritisiert<br />

werden, geschahen und geschehen<br />

unter den Augen der Bischöfe! Viele<br />

Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz<br />

haben sich doch über <strong>Jahr</strong>e den<br />

Anordnungen des Papstes <strong>in</strong> Sachen §<br />

218 widersetzt, allen voran der Vorsitzende!<br />

Und der Kard<strong>in</strong>al der kath. Kirche<br />

Suenens vergleicht das 2. Vaticanum<br />

mit der französischen Revolution<br />

von 1889. Die Frage, welche Bischöfe<br />

noch zu den mit dem Papst verbundenen<br />

zählen, wage ich gar nicht erst zu<br />

stellen. Jedenfalls ist <strong>die</strong> Feststellung,<br />

dass Papst Benedikt XVI. am Konzil<br />

nichts zu kritisieren habe, falsch. Und<br />

„mit der großen Kraft für <strong>die</strong> stets notwendigen<br />

Erneuerungen der Kirche“<br />

ist nicht unbed<strong>in</strong>gt das Vaticanum II<br />

geme<strong>in</strong>t, dessen Texte ja nicht alle e<strong>in</strong>deutig<br />

formuliert s<strong>in</strong>d. Wer z.B. sagt,<br />

dass <strong>die</strong> Kirche Jesu Christi <strong>in</strong> der katholischen<br />

Kirche subsistiert, setzt <strong>die</strong><br />

Existenz zweier Kirchen voraus und<br />

nicht deren Identität. Und schon deshalb<br />

ist es mehr als unverständlich, von<br />

der Pius bruderschaft <strong>die</strong> Annahme aller<br />

Texte des Konzils zu verlangen. Das<br />

verlangt man ja auch nicht von den Anhängern<br />

des Konzils, von denen mit Sicherheit<br />

95% <strong>die</strong> Texte noch nie gelesen<br />

haben.<br />

Dr. Jakobus Lüttmer<br />

Veranstaltungen der Initiativkreise<br />

– Aktionsgeme<strong>in</strong>schaften:<br />

München:<br />

05. März <strong>2013</strong> · 18:00 Uhr · Hansa Haus<br />

· Briennerstraße 39 · 80333 München ·<br />

H. H. Pfr. Dr. Friedrich Oberkofler: „Das<br />

2. Vatikanische Konzil, e<strong>in</strong> Lichtereignis<br />

der Kirche im Widerstreit der Auslegung“<br />

· H<strong>in</strong>weise: 089-605732<br />

OSTERAKADEMIE KEVELAER<br />

3.-6. April <strong>2013</strong><br />

„Suchet zuerst das Reich Gottes“ (Mt<br />

6,33) Die Welt von heute bedarf des<br />

christlichen Zeugnisses · Tagungsort:<br />

Priesterhaus Kevelaer (an der Gnadenkapelle)<br />

· H<strong>in</strong>weise: Kard<strong>in</strong>al-von-Galen-<br />

Kreis e. V. · Tel.: 02563-905269<br />

St. Thomas Gunzenheim: Wallfahrt zur<br />

Madonna im Strahlenkranz · Mariä Lichtmess<br />

– Darstellung des Herrn · 2. <strong>Februar</strong><br />

· 9.30 Uhr · Beichtgel. · 10.00 Uhr ·<br />

Wallfahrtsamt m. Predigt: S. Exz. Bischof<br />

em. Dr. Walter Mixa · Bes. Anliegen an jd<br />

Herz-Mariä-Sühnesa.: Gebet für Eltern,<br />

<strong>die</strong> e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d verloren haben · www.wallfahrt-gunzenheim.de<br />

Gebetsme<strong>in</strong>ung des<br />

Hl. Vaters im <strong>Februar</strong> <strong>2013</strong><br />

1. Für <strong>die</strong> Migrantenfamilien: besonders<br />

den Müttern werde Unterstützung<br />

zuteil.<br />

2. Für alle <strong>in</strong> Kriege verwickelten<br />

Menschen: um e<strong>in</strong>e friedvolle Zukunft.<br />

Anschriften der Autoren <strong>die</strong>ses Heftes<br />

‣ Georg Dietle<strong>in</strong><br />

L<strong>in</strong>denweg 12, 50937 Köln<br />

‣ Dr. Alois Epple<br />

Krautgartenstr. 17, 86842 Türkheim<br />

‣ Raymund Fobes<br />

Zillenweg 8, 85051 Ingolstadt<br />

‣ Michael Hesemann<br />

Worr<strong>in</strong>gerstr. 1, 40211 Düsseldorf<br />

‣ Gabriele Kuby<br />

Gänsbach 31, 83253 Rimst<strong>in</strong>g<br />

‣ Jürgen Lim<strong>in</strong>ski<br />

Neckarstr. 13, 53757 St. August<strong>in</strong><br />

‣ Dr. Eduard Werner<br />

Römerweg 3 A<br />

82346 Andechs<br />

DER FELS - Katholische Monatsschrift. Gegründet 1970 von Pater Gerhard Hermes SAC<br />

Verlag: <strong>Der</strong> <strong>Fels</strong>-Vere<strong>in</strong> e.V.<br />

Herausgeber: <strong>Der</strong> <strong>Fels</strong>-Vere<strong>in</strong> e.V.<br />

Verantwortlicher Redakteur: Prof. Dr. Hubert G<strong>in</strong>dert<br />

Redaktion: Eichendorffstr. 17, D-86916 Kaufer<strong>in</strong>g, Tel.: 08191/966744, Fax: 08191/966743,<br />

e-mail: Redaktion: Hubert.G<strong>in</strong>dert@der-fels.de Bestellung: Renate.G<strong>in</strong>dert@der-fels.de<br />

Verlagsleitung: ebendort, Grafik und Layout: Renate G<strong>in</strong>dert, Bernau;<br />

Druck: Mayer & Söhne, Druck und Me<strong>die</strong>ngruppe GmbH, 86551 Aichach<br />

DER FELS ersche<strong>in</strong>t monatlich im Umfang von 32 Seiten.<br />

Bestellung: An den <strong>Fels</strong>-Vere<strong>in</strong> e.V., Postfach 1116, D-86912 Kaufer<strong>in</strong>g<br />

E<strong>in</strong>zahlung Deutschland: Konto <strong>Fels</strong> e.V.:,<br />

Landsberg-Ammersee Bank eG, KontoNr.: 514 75 22, BLZ: 700 916 00;<br />

Postbank München, KontoNr.: 903 166 809, BLZ 700 100 80<br />

Österreich: Bestellungen wie oben, Landeshypothekenbank Salzburg, <strong>Fels</strong> e.V.,<br />

Konto Nr.: 2 493 378, BLZ: 55 000;<br />

Schweiz: Bestellungen wie oben, Post F<strong>in</strong>ance, <strong>Der</strong> <strong>Fels</strong> e.V.,<br />

Konto Nr.: 60-377132-6, (Ausland) IBAN: CH80 0900 0000 6037 7132 6; BIC: POFICHBEXXX<br />

Für übrige EU-Länder: Wer Spenden auf unser Konto überweisen möchte, kann <strong>die</strong>s zu Inlandsgebühren<br />

erledigen, wenn er bei der Überweisung anstelle der Kontonummer <strong>die</strong> IBAN<br />

(=Internationale Kontonummer) DE 46 7009 1600 0005 1475 22 und anstelle der Bankleitzahl<br />

<strong>die</strong> BIC (Identifikation des Kredit<strong>in</strong>stitutes) GENODEF1DSS angibt.<br />

DER FELS 2/<strong>2013</strong> 63


DER FELS 4215<br />

PVSt/Entgelt bezahlt/DPAG<br />

<strong>Fels</strong>-Vere<strong>in</strong> e.V., Auslieferung<br />

Postfach 11 16<br />

86912 Kaufer<strong>in</strong>g<br />

Wilhelm Caroli – e<strong>in</strong> Kämpfer gegen den <strong>Zeit</strong>geist<br />

In<br />

manchen Epochen herrscht<br />

e<strong>in</strong> dämonischer <strong>Zeit</strong>geist,<br />

der jeden Widerstand brutal zu brechen<br />

versucht. In den zwölf <strong>Jahr</strong>en<br />

zwischen 1933 und 1945 war <strong>die</strong>s<br />

der Nationalsozialismus. Damals<br />

haben europaweit über 4000 katholische<br />

Priester ihr E<strong>in</strong>treten für <strong>die</strong><br />

Menschenwürde und <strong>die</strong> Achtung<br />

der Zehn Gebote mit dem eigenem<br />

Leben bezahlt. E<strong>in</strong>er von ihnen war<br />

Pfarrer Wilhelm Caroli. Er wurde<br />

1895 <strong>in</strong> Saarlouis geboren. 1921 wurde<br />

er im Speyerer Dom zum Priester<br />

geweiht. 1926 wurde ihm <strong>die</strong> Pfarrei<br />

Rhe<strong>in</strong>gönheim bei Ludwigshafen anvertraut.<br />

Dort gründete er u.a. e<strong>in</strong>en<br />

Theatervere<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Cäcilienvere<strong>in</strong><br />

und e<strong>in</strong>e Fußballabteilung <strong>in</strong>nerhalb<br />

des katholischen Sportbundes DJK.<br />

Im „Katholischen Kirchenblatt“ trat<br />

er offen für den Schutz der Juden<br />

e<strong>in</strong> und zeigte <strong>die</strong> Verlogenheit der<br />

nationalsozialistischen Judenpolitik.<br />

Am 22.1.1933 schrieb er: „Hitler<br />

verkehrt <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> viel im Haus<br />

e<strong>in</strong>es italienischen Vertreters. Dessen<br />

Frau ist re<strong>in</strong>rassige Jüd<strong>in</strong>. Dieser<br />

Frau überreichte Hitler jüngst e<strong>in</strong>en<br />

Strauß roter Rosen und küsste<br />

ihr dabei <strong>die</strong> Hand. Ob zum ersten<br />

Mal? So handelt der Führer jener Bewegung,<br />

<strong>die</strong> den wüstesten Antisemitismus<br />

<strong>in</strong> Deutschland treibt. Ob<br />

der große Führer nun e<strong>in</strong>gesehen hat,<br />

dass der Antisemitismus, genau wie<br />

so mancher andere Punkt se<strong>in</strong>es Programms,<br />

e<strong>in</strong> ganz großer Blöds<strong>in</strong>n<br />

ist?“ Das Lächerlichmachen Hitlers<br />

reizte <strong>die</strong> Nationalsozialisten so sehr,<br />

dass sie Pfarrer Caroli am 27.6.1933<br />

auf offener Straße krankenhausreif<br />

schlugen. Da Pfarrer Caroli trotzdem<br />

das Nazi-Regime weiter kritisierte,<br />

löste das Bezirksamt Ludwigshafen<br />

im September 1933 alle katholischen<br />

Vere<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Pfarrei auf. 1935 veranstalteten<br />

<strong>die</strong> Nazis e<strong>in</strong>e Demonstration<br />

gegen Pfarrer Caroli mit etwa<br />

1000 Mann. Caroli war jedoch durch<br />

e<strong>in</strong>en vertraulichen H<strong>in</strong>weis schon<br />

<strong>in</strong>formiert. Er verließ den Ort vorübergehend,<br />

um sich der Verhaftung<br />

zu entziehen. Se<strong>in</strong>e Getreuen hatte er<br />

vorher beauftragt, <strong>die</strong> Kirchentüren<br />

zu verschließen und beim Aufmarsch<br />

der Nazis <strong>die</strong> Glocken zu läuten, um<br />

<strong>die</strong> Sprechchöre zu übertönen. Das<br />

taten sie auch. Dafür wurden sie von<br />

den Nazis verprügelt, und sie verloren<br />

auch ihren Arbeitsplatz. Nun war<br />

Pfarrer Caroli <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Pfarrei nicht<br />

mehr zu halten. Er wurde zu e<strong>in</strong>er Gefängnisstrafe<br />

verurteilt. Die Gestapo<br />

verhängte darüber h<strong>in</strong>aus gegen ihn<br />

noch e<strong>in</strong> Aufenthaltsverbot für <strong>die</strong><br />

Pfalz. Nach Verbüßung der Haft fand<br />

er Zuflucht <strong>in</strong> den Pfarrhäusern se<strong>in</strong>er<br />

beiden priesterlichen Brüder <strong>in</strong><br />

Kell und <strong>in</strong> Kürrenberg <strong>in</strong> der Diözese<br />

Trier. Doch auch dort wurden se<strong>in</strong>e<br />

Predigten abgehört. 1941 wandte<br />

er sich gegen <strong>die</strong> so genannte Euthanasie,<br />

bei der Beh<strong>in</strong>derte massenweise<br />

vergast wurden. Vermutlich kannte<br />

er auch <strong>die</strong> e<strong>in</strong>schlägigen Predigten<br />

des Münsteraner Bischofs von Galen.<br />

Den Schutz des Lebens für jeden<br />

E<strong>in</strong>zelnen hielt er für unveräußerlich<br />

– egal ob es sich um politisch, religiös<br />

oder mediz<strong>in</strong>isch Verfolgte handelte.<br />

Se<strong>in</strong>en Mut bezog er aus dem<br />

Glauben an Gott. Pfarrer Caroli wurde<br />

erwartungsgemäß wieder verhaftet<br />

und <strong>in</strong> das KZ Dachau gebracht.<br />

Dort starb der unbeugsame Pfarrer<br />

am 23.8.1942 <strong>in</strong>folge von Misshandlungen.<br />

Völlig unterernährt musste er<br />

auch bei Regen und Gewittern e<strong>in</strong>en<br />

Pflug durch <strong>die</strong> Plantage ziehen. Dabei<br />

musste er ständig mit Schlägen<br />

rechnen. An trockene Kleidung war<br />

nicht zu denken. Diesen Kreuzweg<br />

g<strong>in</strong>g er bewusst bis zum Tod. Deshalb<br />

wird ihm auch <strong>die</strong> österliche<br />

Auferstehung sicher se<strong>in</strong>. Für ihn gilt<br />

das Bibelwort Mt 5,6: „Selig s<strong>in</strong>d,<br />

<strong>die</strong> hungern und dürsten nach der<br />

Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt<br />

werden.“ Heute br<strong>in</strong>gen klare<br />

<strong>Wort</strong>e gegen den <strong>Zeit</strong>geist den sozialen<br />

Tod. Eduard Werner<br />

64 DER FELS 2/<strong>2013</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!