PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut
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Die große Mauer droht zu kippen. Bis sie wie<strong>der</strong> gerichtet werden<br />
kann, müssen Gerüste sie stützen.<br />
NEUBAUP ROJE KTE<br />
Tiryns ist das einzige <strong>der</strong> mykenischen Zentren <strong>der</strong> Palastzeit, das<br />
nach den Zerstörungen um 1200 v. Chr. einen Neuanfang versucht.<br />
Jetzt erst wird das neu gewonnene Bauland in <strong>der</strong> nördlichen Unterstadt<br />
für architektonische Neuplanungen systematisch genutzt.<br />
„Es sieht alles so aus, als hätten Palastbeamte aus <strong>der</strong> dritten o<strong>der</strong><br />
vierten Reihe die längst existierenden Pläne aus <strong>der</strong> Schublade geholt,<br />
um sie in die Tat umzusetzen“, sagt Maran. Sie müssen das<br />
Wissen gehabt haben und fähig gewesen sein, soziale Strukturen<br />
zu steuern, die <strong>der</strong>lei Vorhaben möglich machten. Die Siedlung<br />
wuchs auf geschätzte 25 Hektar Größe an, eine für Zeit und Ort<br />
sensationelle Größe. Die politischen Hintergründe dieses Größenwachstums<br />
liegen ebenso im Dunkeln wie die Frage <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />
Grundlage und <strong>der</strong> ethnischen Zusammensetzung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung, die zum Teil womöglich aus <strong>der</strong> weiteren und<br />
näheren Umgebung zugezogen war. Nach 1200 unternimmt die<br />
neue herrschende Schicht sogar einen Versuch, wichtige Areale<br />
des vom Feuer zerstörten Palastes in ihrem eigenen Sinne wie<strong>der</strong><br />
aufzuladen und zu besetzen, indem sie zentrale Symbole <strong>der</strong> vorten<br />
Anzeichen <strong>der</strong> Instabilität verwandelten sich in <strong>der</strong> stark hierarchisierten<br />
Gesellschaft die schwelenden Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
in offene Konflikte.<br />
Ob doch ein großes Erdbeben für den Untergang <strong>der</strong> Paläste verantwortlich<br />
war, untersuchen die Archäologen <strong>der</strong>zeit in einem<br />
von <strong>der</strong> Gerda Henkel-Stiftung und Fritz Thyssen-Stiftung geför<strong>der</strong>ten<br />
Projekt zusammen mit Alkestis Papadimitriou und dem<br />
Seismologen Klaus-Günter Hinzen von <strong>der</strong> Universität zu Köln.<br />
Joseph Maran hat durchaus Zweifel an <strong>der</strong> herrschenden Forschungsmeinung,<br />
wonach Erdbeben für die Palastzerstörungen<br />
um 1200 v. Chr. verantwortlich waren: „In historischen Zeiten je-<br />
denfalls gehörte die Argolis nicht zu den gefährlichsten Erdbebenzonen<br />
Griechenlands – an<strong>der</strong>es als zum Beispiel Korinth, das<br />
mehrfach zerstört wurde.“<br />
„Vielleicht haben sich die mykenischen Könige durch das Feuerwerk<br />
an Baumaßnahmen in den letzten Jahrzehnten ihrer Herrschaft<br />
vielmehr ihr eigenes Grab geschaufelt“, überlegt <strong>der</strong> Archäologe.<br />
Eine Chance, es an<strong>der</strong>s zu machen, hätten sie kaum<br />
gehabt, wenn sie Könige bleiben wollten. „Schließlich taten sie,<br />
was die Götter verlangten und gerieten so in einen Teufelskreis aus<br />
wirtschaftlicher Ausbeutung und sakraler Fürsorge – die von ihnen<br />
erwartet wurde.“<br />
Dazu gehörte auch die Abwehr von Naturgewalten. Ein kleiner<br />
Fluss überschwemmte und zerstörte die Fel<strong>der</strong>, so dass man –<br />
noch 50 Jahre vor <strong>der</strong> Katastrophe – einen gewaltigen Damm baute.<br />
„Es war <strong>der</strong> erste Damm, <strong>der</strong> das Flussbett komplett versiegelte“,<br />
erklärt Joseph Maran. „Am Konvergenzpunkt verschiedener Bäche<br />
fanden die Baumeister genau den richtigen Punkt, an dem sie den<br />
alten Wasserlauf schließen mussten. Parallel dazu leiteten sie den<br />
Fluss durch ein neues Bett weit an Tiryns vorbei.“ Seitdem blieben<br />
die Fel<strong>der</strong> unbeschadet und es konnte Bauland erschlossen werden<br />
– alles in allem eine ingenieurstechnische Meisterleistung.<br />
„Aber womöglich war <strong>der</strong> Bau dieses gewaltigen Damms auch <strong>der</strong><br />
Sargnagel, <strong>der</strong> den Untergang des Palastes besiegelte, als die Katastrophe<br />
schließlich hereinbrach.“<br />
herigen religiösen und politischen Ordnung wie den Thronplatz<br />
und einen Altar im Hof in ihre Neuplanungen einbezieht. Einen<br />
wesentlichen Teil dieser Bemühungen hatten Schliemann und <strong>der</strong><br />
Bauforscher Wilhelm Dörpfeld für einen unbedeutenden Tempel<br />
aus dem 8. Jahrhun<strong>der</strong>t gehalten, von denen es aus ihrer Sicht so<br />
viele gab, dass sie dem weiter keine Beachtung schenkten.<br />
1998 konnte Joseph Maran nachweisen, dass ein in <strong>der</strong> Ruine des<br />
Großen Megarons von Tiryns errichteter Antenbau ein letztes mykenisches<br />
Megaron war. Der Neubau des Megarons erhielt aber<br />
nicht den Charakter einer Herrscherresidenz, son<strong>der</strong>n eher den<br />
einer Halle, in <strong>der</strong> sich die Gemeinschaft zu bestimmten Anlässen<br />
unter Leitung des auf dem Thron sitzenden Anführers zusammenfand.<br />
Die neuen Würdenträger und Bauherren legitimierten ihre<br />
Macht mit dem Rückgriff auf die Geschichte, durch die Nutzung<br />
alter Symbole und durch die Selbstzuschreibung, aus den ältesten<br />
Familien <strong>der</strong> Region zu stammen. Sie nahmen also die Vergangenheit<br />
für sich in Anspruch, um ihre Position in <strong>der</strong> Gegenwart zu<br />
begründen – und solange die Bevölkerung einigermaßen homogen<br />
ist, funktioniert diese Art <strong>der</strong> Legitimierung von Macht auch.<br />
„Wenn aber Menschen aus an<strong>der</strong>en Regionen und Kulturen mit je<br />
eigener Vergangenheit und eigenem kulturellen Gedächtnis kommen<br />
und sich in einem Gemeinwesen ansiedeln, geht die Kohäsion<br />
mittels gemeinsamer Erinnerung verloren“, sagt Maran. „Der<br />
Bezug auf die Vergangenheit wird stumpf.“<br />
W ISSE NSCHAF TLICHE G ROSSBAUSTE LLE<br />
Die meisten Besucher des antiken Tiryns sind Urlaubsgäste aus<br />
dem nahe gelegenen Nafplion, die in <strong>der</strong> brütenden Augusthitze<br />
die leichte Brise auf <strong>der</strong> Oberburg genießen. Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler kommen inzwischen aus aller Welt nach Tiryns,<br />
das mit je<strong>der</strong> neuen Erkenntnis neue Fragen aufwirft und<br />
noch lange ein archäologische Großbaustelle bleiben wird, die<br />
Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften zusammenführt, um<br />
eine versunkene Kultur als Ganzes zu verstehen.<br />
Auf dem Weg zurück nach Athen kommt man wie<strong>der</strong> an Mykene<br />
vorbei. Es ist nicht mehr ganz das Mykene <strong>der</strong> Dichter, <strong>der</strong> mythisch<br />
überhöhte Ort, in <strong>der</strong> Dichtung geschaffen für eine Selbstvergewisserung<br />
aus <strong>der</strong> Vergangenheit. Es ist nun mehr das Mykene<br />
<strong>der</strong> Archäologen, die nicht nur die Pracht sehen, son<strong>der</strong>n auch<br />
den Preis, <strong>der</strong> dafür gezahlt wurde und die so „Mykene“ ein gutes<br />
Stück näher an die Gegenwart heranrücken.<br />
<br />
Mit großer Sorgfalt werden die „Kyklopischen“ Mauern<br />
von Tiryns restauriert.<br />
Der große Damm von Tiryns, heute kaum noch zu erkennen, war<br />
ein Meisterstück antiker Ingenieurskunst. Möglicherweise war er als<br />
letzte Großbaustelle auch <strong>der</strong> „Sargnagel“, <strong>der</strong> den Untergang des<br />
Palastes besiegelte, als die Katastrophe über Tiryns hereinbrach.<br />
REPORTAGE<br />
Im Zerstörungsschutt einer Werkstatt wurden Funde geborgen, die<br />
neue Perspektiven auf die Intensität <strong>der</strong> Kontakte von Tiryns nach<br />
Zypern und in die Levante eröffnen. Es fanden sich zahlreiche Objekte<br />
nahöstlicher Abkunft, darunter einzigartige Funde wie das Fragment<br />
eines Elfenbein-Stabes mit Keilschriftzeichen, <strong>der</strong> Kopf eines Affen<br />
o<strong>der</strong> des altorientalischen Dämons Humbaba und die erste außerhalb<br />
Zyperns und <strong>der</strong> nördlichen Levante gefundene Tonkugel mit<br />
zypro-minoischen Zeichen.<br />
1 2<br />
3<br />
1 und 2 Foto und Grafik: Kostoula<br />
3 Foto: Vetters<br />
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ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 65