PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut
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KRAGGEWÖLBE AN DER OSTGALERIE<br />
Meisterleistung <strong>der</strong> Ingenieure.<br />
Die Kragbauweise <strong>der</strong> Gänge und Kammern<br />
haben die Mykener womöglich von den<br />
Hethitern übernommen. Die Steinblöcke<br />
kragen stufenweise von <strong>der</strong> niedrigsten zur<br />
höchsten Stufe vor. An <strong>der</strong> Spitze sitzt ein<br />
Schlussstein, <strong>der</strong> die Last auf die Seiten ableitet.<br />
Fotos: A. Papadimitriou:<br />
Tiryns. Historischer und archäologischer Führer,<br />
Athen 2001<br />
Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit <strong>der</strong> Darstellung eines<br />
Frauenkopfes. 13. Jh. v. Chr.<br />
Foto: A. Papadimitriou: Tiryns. Historischer und archäologischer<br />
Führer, Athen 2001<br />
REPORTAGE<br />
Nach eineinhalb Stunden Fahrt entdeckt man auf den Ortsschil<strong>der</strong>n<br />
einen <strong>der</strong> Namen, die man zuerst in <strong>der</strong> Schule gehört hat,<br />
wenn man etwas über die große Dichtung <strong>der</strong> Alten lernte, mythisch<br />
und schon im Altertum literarisch überhöht.<br />
Mykene. Im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. schien sie plötzlich da zu sein,<br />
eine Zivilisation in Mittel- und Südgriechenland, die seit Schliemanns<br />
Entdeckung <strong>der</strong> reich ausgestatteten Schachtgräber offenbar<br />
exponierter Personen im Jahre 1876 „mykenische Kultur“ genannt<br />
wird. In seiner Blütezeit während des 14. und 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
v. Chr. entwickelt „Mykene“ eine prachtvolle Palastkultur, treibt<br />
Handel auch mit weit entfernten Län<strong>der</strong>n und zeigt alle Anzeichen<br />
von Wohlhabenheit. Doch um 1200 v. Chr. geht es in einer Phase<br />
dramatischer Umwälzungen im Feuer unter, die Paläste verlieren<br />
ihre Pracht, die „Linear B“ genannte Schrift, mit <strong>der</strong> eine frühe Form<br />
von Griechisch geschrieben wurde, geht verloren, Verwaltungsstrukturen<br />
und Herrschertitel geraten in Vergessenheit.<br />
L OGISTISCHE G ROSSPLANUNG<br />
Die mykenischen Paläste versanken in den „Dunklen Jahrhun<strong>der</strong>ten“<br />
– so schien es. Über die Ursachen <strong>der</strong> Katastrophe wird diskutiert:<br />
Kriege, interne Auseinan<strong>der</strong>setzungen, Erdbeben o<strong>der</strong> Überfälle<br />
<strong>der</strong> „Seevölker“ rangieren auf den ersten Plätzen als<br />
Erklärungen für den spektakulären Untergang.<br />
Tiryns liegt 20 Kilometer südlich von Mykene, näher am Meer und<br />
gut geeignet als Hafen. Schon seit dem 6. vorchristlichen Jahrtausend<br />
war <strong>der</strong> Ort besiedelt und spielte schon lange, bevor die Könige<br />
kamen, eine bedeutende Rolle. Doch zwischen 1400 und<br />
1200 v. Chr. entsteht hier ein stark befestigter Palast mykenischer<br />
Art als logistische Großplanung, das geschlossene Konzept einer<br />
„planned community“ mit Musterzitadelle, <strong>der</strong>en mächtige Mauern<br />
noch lange sichtbar und lang auch im Gedächtnis <strong>der</strong> Menschen<br />
blieben. Die Könige besaßen die Macht und das Wissen, Arbeitskraft<br />
und Material zu ihrer Verfügung zu nehmen, um ein<br />
solches Projekt verwirklichen zu können. Aber auch Tiryns geht unter<br />
in den Feuersbrünsten, doch an<strong>der</strong>s als an den an<strong>der</strong>en Schauplätzen<br />
<strong>der</strong> Verwüstung entsteht hier aus den Trümmern etwas<br />
Neues. „Am interessantesten ist die Zeit nach <strong>der</strong> Katastrophe“,<br />
sagt <strong>der</strong> Archäologe Joseph Maran von <strong>der</strong> Universität Heidelberg,<br />
<strong>der</strong> das Projekt „Tiryns“ seit 1994 im Auftrag des DAI leitet. „Zwischen<br />
etwa 1200 und 1050 v. Chr. stellt sich Tiryns gleichsam gegen<br />
den Strom <strong>der</strong> Geschichte, da es expandierte, während die an<strong>der</strong>en<br />
vormaligen Palastzentren schrumpften o<strong>der</strong> verschwanden.“<br />
D AS I NNE RSTE DE R K ÖNIGSIDE OLOGIE<br />
Die Mauer ist gut sieben Meter dick und besteht aus riesigen Steinblöcken.<br />
Man erkennt die Ungeheuerlichkeit des Baus erst, wenn<br />
man sich nach <strong>der</strong> Passage des torlosen Haupteingangs im Inneren<br />
des Burgareals wie<strong>der</strong>findet. Nach einem Richtungswechsel<br />
erreicht man das Haupttor und betritt, noch geblendet vom gleißenden<br />
Tageslicht, einen engen, dunklen und bedrohlichen Torweg,<br />
dessen Wände aus kyklopischen, rohen, unbehauenen Steinen<br />
bestehen. Es geht bergauf, <strong>der</strong> Weg verengt sich weiter und<br />
führt tiefer ins Dunkel.<br />
Starke Gerüste stützen die noch stehenden Teile <strong>der</strong> einst mächtigen<br />
Mauer, damit sie sich nicht weiter in Schieflage neigt. An dieser<br />
Stelle wird ein Kran es richten und zum Stabilisieren wird Putz<br />
in die Risse eingebracht.<br />
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KOOPERATIONEN<br />
Am Eingang zu den Palastruinen von Tiryns informiert eine Tafel darüber, dass <strong>der</strong> Platz seit 1999 zum Weltkulturerbe <strong>der</strong> UNESCO gehört.<br />
Ein kleines Besucherzentrum und <strong>der</strong> Kiosk, in dem man Eintritt zahlt und den archäologischen Führer von Alkestis Papadimitriou in sieben Sprachen<br />
erhält, stehen in seltsamem Kontrast zu den kyklopischen Überresten <strong>der</strong> Anlage, die – wie <strong>der</strong>t griechische Geograph und Historiker Strabon<br />
in seinen Berichten beteuerte – nur von Riesen erbaut worden sein konnte.<br />
Kernpunkt <strong>der</strong> Erforschung von Tiryns ist seit Jahrzehnten eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen griechischen und <strong>deutschen</strong> Archäologinnen und<br />
Archäologen. Die Archäologin Alkestis Papadimitriou, Direktorin des griechischen Antikendienstes in den Landschaften Argolis und Lakonien, ist<br />
Marans Kooperationspartnerin in Tiryns und kennt den Ort seit den Zeiten, in denen Klaus Kilian von <strong>der</strong> Abteilung Athen des DAI Maßstäbe in <strong>der</strong><br />
Erforschung von Tiryns setzte, als er von 1976 bis 1983 die Großgrabung in <strong>der</strong> Unterburg leitete.<br />
Im Magazin, dem Arbeitsraum und Depot <strong>der</strong> heutigen Tirynther Grabung, das in einer alten Käsefabrik untergebracht ist, sind schon die ersten Grabungsarbeiter<br />
und Studierenden versammelt, in Kürze beginnt die diesjährige Kampagne. Alkestis Papadimitriou und Joseph Maran werden mit einer För<strong>der</strong>ung<br />
1 Joseph Maran und Susanne Prillwitz besprechen Einzelheiten <strong>der</strong><br />
Grabungskampagne.<br />
2 Susanne Prillwitz verteilt die Aufgaben, koordiniert die Arbeiten<br />
und weist die Beteiligten in die Abläufe ein. Sie bearbeitet für ihre<br />
Dissertation mit einem archäometrischen Schwerpunkt die Befunde<br />
zur Keramikproduktion in Tiryns von mykenischer bis in<br />
spätgeometrische Zeit.<br />
3 Die ersten Studierenden sind eingetroffen und helfen, die kommende<br />
Ausgrabungskampagne vorzubereiten.<br />
<strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Areal in <strong>der</strong> nördlichen<br />
Unterstadt ergraben, um zu erforschen, wie es dazu kam, dass direkt nach<br />
<strong>der</strong> großen Katastrophe Teile <strong>der</strong> Unterstadt offenbar systematisch bebaut<br />
wurden.<br />
Graben und Funde bearbeiten ist ein Teil <strong>der</strong> archäologischen Arbeit.<br />
Ein an<strong>der</strong>er Teil ist es, die materiellen Zeugnisse <strong>der</strong> Antike zu erhalten.<br />
Diesem Zweck dient ein gewaltiges Restaurierungsprogramm, das <strong>der</strong><br />
griechische Antikendienst unter <strong>der</strong> Leitung von Alkestis Papadimitriou,<br />
die auf nationaler und europäischer Ebene erfolgreich für die Erhaltung<br />
Tiryns’ warb, seit 1997 in Zusammenarbeit mit dem DAI durchführt.<br />
„Liminale Punkte“ nennt Maran die Punkte erzwungener Richtungswechsel,<br />
die den Weg ins Innere des Palastes zu einer rituellen<br />
Expedition machen sollen. Mit jedem Wechsel steigert sich die<br />
symbolische Aufladung des Weges. Irgendwann werden die Steine<br />
kleiner, das Mauerwerk feiner, und plötzlich ist die kultivierte Zone<br />
erreicht, in <strong>der</strong> lebhaft farbige Fresken von großer Schönheit dem<br />
Besucher genau das zeigten, was ihn selbst herführte: eine Prozession<br />
zum Allerheiligsten im Zentrum des Palastes, wo sich vor den<br />
Augen weniger Eingeweihter am zentralen Herdfeuer die Gottheit<br />
manifestieren und mit dem König und <strong>der</strong> Königin vereinen würde.<br />
„Es ist das Innerste <strong>der</strong> Königsideologie“, sagt Maran. Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Könige gibt es indessen nicht. Wichtig war allein das Ritual, dessen<br />
Abläufe in allen Einzelheiten strengstens einzuhalten waren. „Die<br />
ganze Anlage war dafür bis ins kleinste Detail maßgeschnei<strong>der</strong>t“,<br />
erklärt Maran.<br />
DER TEU FELSKRE IS AUS FÜRSORGE<br />
UND A USBE UTUNG<br />
Der Versuch, die Harmonie von Göttern und Menschen immer wie<strong>der</strong><br />
von Neuem zu bekräftigen, hatte einen Preis. Und womöglich<br />
führte er erst herbei, was er abwenden sollte. Um seinen sakralen<br />
Pflichten nachkommen zu können, musste <strong>der</strong> Palast die umliegenden<br />
Ortschaften ausbeuten. Trafen Frondienste, schlechte Ernten<br />
und Bedrohungen von außen aufeinan<strong>der</strong>, konnte dies die<br />
Menschen an den Rand des Erträglichen treiben, und bei den ers-<br />
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ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 63