PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut
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Großstadt auf Zeit<br />
Das an<strong>der</strong>e Extrem archäologischer Arbeit zeigt sich in einer weiter<br />
nördlich gelegenen Weltgegend in einem an<strong>der</strong>en Extrem<br />
menschlicher Siedlungspolitik. Flaches Land, soweit das Auge<br />
reicht und nicht die Spur einer antiken Ruine – bis man mit ausgefeilten<br />
naturwissenschaftlichen Methoden unter die Erde schaut,<br />
um etwas zu finden, was mittlerweile zahlreiche Forscher aus <strong>der</strong><br />
internationalen Archäologenszene in die Ukraine zieht. Mit großflächigen<br />
geophysikalischen Prospektionen machten sich die Wissenschaftler<br />
<strong>der</strong> Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des<br />
DAI auf die Suche nach genauen Standorten früher kupferzeitlicher<br />
Großsiedlungen im Osten Europas. Tausende von Häusern<br />
standen hier, und die neuen Daten lieferten präzise Angaben zur<br />
Lage <strong>der</strong> Häuser, ihrer Größe und zu ihren technischen Einrichtungen.<br />
Vor allem aber erlauben sie die Rekonstruktion <strong>der</strong> gesamten<br />
Siedlungsanlage und ihrer Befestigungen.<br />
Gegraben wird zwar schon lange auf den Siedlungen <strong>der</strong> Kupferzeit.<br />
Ihre Bedeutung und wahre Ausdehung kennt man aber erst,<br />
seit in den 60er-Jahren Luftbil<strong>der</strong> aufgenommen wurden. Schnell<br />
wurde klar, dass man <strong>der</strong> gewaltigen Dimensionen mit traditionellen<br />
archäologischen Methoden allein nicht Herr werden konnte.<br />
Die Kombination mit mo<strong>der</strong>nen naturwissenschaftlichen Methoden<br />
war das Gebot <strong>der</strong> Stunde. Geomagnetische Untersuchungen<br />
lieferten detaillierte Pläne <strong>der</strong> Siedlung mitsamt den Hausstellen,<br />
ihrer Nebenbauten und den technischen Einrichtungen.<br />
Unterfangen, denn rekonstruieren kann man die Ereignisse im Osten<br />
Europas allein aus archäologischen Daten, da es – an<strong>der</strong>s als im<br />
Vor<strong>der</strong>en Orient – keine schriftlichen Zeugnisse gibt.<br />
<br />
Die riesigen Ausdehungen <strong>der</strong> Siedlungen machen raumgreifende<br />
Untersuchungsmethoden nötig. Die Forscher des DAI setzen bei<br />
den geomagnetischen Untersuchungen fahrzeuggestützte<br />
Systeme ein, mit <strong>der</strong>en Hilfe man in kurzer Zeit große Areale<br />
untersuchen kann.<br />
KUPFERZEITLICHE GROSSSIEDLUNGEN<br />
„Der Ausgangspunkt für die Entstehung von Siedlungen allgemein<br />
ist die Herausbildung von Ackerbau und Viehzucht im Vor<strong>der</strong>en<br />
Orient. In <strong>der</strong> Folge bilden sich bereits im 7. Jahrtausend ausgedehnte<br />
dorfartige Ansiedlungen heraus. Ein Jahrtausend später<br />
greift die neue Lebensweise nach Europa aus. Im Südosten Europas<br />
entstehen im 6. Jahrtausend erste Siedlungen von bis zu 30<br />
Hektar Größe, die mehrere hun<strong>der</strong>t bis ca. 2000 Einwohner beherbergen.<br />
Der Vergleich mit Dörfern im Mittelalter, die in <strong>der</strong> Regel<br />
kaum mehr 100 bis 200 Menschen beherbergten, verdeutlicht die<br />
erstaunliche Dynamik des sozialen und wirtschaftlichen Wandels.<br />
Dieser Prozess stabilisiert sich im Südosten Europas im 5. Jahrtausend.<br />
In dieser Zeit findet hier wie<strong>der</strong> ein weitreichen<strong>der</strong> Wandel<br />
statt. Er ist gekennzeichnet durch die Nutzung eines vollkommen<br />
neuartigen Werkstoffes: des Kupfers. Die neue Technologie verän<strong>der</strong>t<br />
nicht allein die Ökonomie, sie durchdringt die Gesellschaft<br />
und impliziert soziale Verän<strong>der</strong>ungen. In dieser Zeit formieren sich<br />
in einem Gebiet zwischen Karpaten und Dnjepr Gesellschaften,<br />
<strong>der</strong>en Siedlungen nicht nur aufgrund ihrer Größe eine neue Qualität<br />
proto-urbanen Lebens zeigen. Sie münden schließlich in <strong>der</strong><br />
ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. in Siedlungen <strong>der</strong> Tripolje-<br />
Kultur mit mehreren tausend Bewohnern.“<br />
Knut Rassmann<br />
Der Prähistoriker Dr. Knut Rassmann ist<br />
Leiter <strong>der</strong> Technischen Abteilung <strong>der</strong> RGK<br />
TITELTHEMA<br />
A LT E RNATIVE K ONZEPT E<br />
Doch an<strong>der</strong>s als in den Stadtstaaten des Vor<strong>der</strong>en Orients nahm<br />
die Entwicklung hier – trotz ähnlicher Komponenten – einen an<strong>der</strong>en<br />
Verlauf. Die Siedlungen wurden nur kurze Zeit genutzt und<br />
nach zwei bis drei Generationen wie<strong>der</strong> aufgegeben. Aber die Bewohner<br />
gingen nicht einfach weg – sie verbrannten die Häuser<br />
offenbar systematisch – genau wie an an<strong>der</strong>en Fundplätzen <strong>der</strong><br />
sogenannten Tripoljekultur, die das DAI in Rumänien, Moldawien<br />
und in <strong>der</strong> Ukraine bearbeitet. Ukrainische Archäologen fanden<br />
heraus, dass diese Zerstörungen nicht im Zuge kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
stattfanden. Zu regelmäßig sind die Brandmuster.<br />
Die Frage <strong>der</strong> Forscher ist nun, warum die Bewohner ihre<br />
Siedlungen nach so kurzer Zeit wie<strong>der</strong> aufgaben. Ein kompliziertes<br />
TALIANKI<br />
Beispiel für die hoch entwickelte Keramik <strong>der</strong> Tripolje-Kultur:<br />
Keramikgefäß in Form eines Schlittens, <strong>der</strong> von Rin<strong>der</strong>n gezogen wird.<br />
1 Das DAI unterstützte die Prospektion <strong>der</strong> Christian-Albrechts-Universität<br />
zu Kiel in Rumänien, bei <strong>der</strong> auch zwei Cucuteni-Siedlungen in<br />
Bessarabien untersucht wurden, die Römisch-Germanische Kommission<br />
des DAI prospektierte Schlüssel-Siedlungen in Moldawien und in <strong>der</strong><br />
Ukraine. In <strong>der</strong> Zusammenschau <strong>der</strong> Daten eröffnet sich eine neue<br />
Perspektive auf das Siedlungsgefüge <strong>der</strong> Kupferzeit in Südost-Osteuropa.<br />
2 Der Nordwestteil <strong>der</strong> Siedlung Talianki. Die Häuser sind alle fünf mal<br />
zehn Meter groß. Einige Bauten sind größer und liegen stets an<br />
prominenten Stellen.<br />
1 2<br />
3<br />
3 Nachbau eines Hauses im Freilichtmuseum von Legedsine, einem<br />
Nachbarort von Talianki. Die zweigesschossige Bauweise ist durch<br />
Grabungsbefunde belegt.<br />
Fotos und Abbildungen: DAI, RGK; CAU Kiel<br />
48 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 49