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PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut

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Prototyp einer Großstadt<br />

TITELTHEMA<br />

DER UNSICHTBARE ARCHITEKT<br />

„Die kolossale Pracht <strong>der</strong> riesigen Bauwerke in<br />

Uruk wirft eine naheliegende Frage auf: Wer hat<br />

diese Architektur entworfen? Wer hat die Statik<br />

errechnet? Wer hat den Wunsch des Königs ins<br />

Werk gesetzt? Vergeblich sucht man nach den<br />

Namen <strong>der</strong> Baumeister. Denn einen – weltlichen<br />

– Architekten konnte es gar nicht geben.<br />

Baumeister waren die Götter, in ihrem Auftrag<br />

vielleicht <strong>der</strong> König. Die Baurituale fußten auf<br />

<strong>der</strong> Vorstellung, dass die Götter den Urtempel<br />

gebaut haben, den <strong>der</strong> König lediglich pflegte.<br />

Dies hatte eine überaus komplizierte Ritualchoreographie<br />

zur Folge, bei <strong>der</strong> rein gar nichts<br />

misslingen durfte. Musste etwa anlässlich einer<br />

Renovierung des Tempels <strong>der</strong> Gott in Form einer<br />

Kultstatue den Tempel verlassen, konnte dies<br />

eine Art staatlichen Ausnahmezustand zur Folge<br />

haben. Vom Gelingen des Rituals hing <strong>der</strong><br />

Fortbestand <strong>der</strong> Welt ab.<br />

Und so zeigen die komplizierten Rituale, worum<br />

es bei den Großbauten wirklich ging. Der<br />

Turmbau zu Babel ist das bekannteste Beispiel:<br />

Der Zweck dieser kolossalen Bauten war es, eine<br />

Verbindung zwischen den Menschen und <strong>der</strong><br />

Welt <strong>der</strong> Götter zu schaffen. Der irdische<br />

Architekt tritt dabei vollkommen hinter die<br />

Sache zurück.“<br />

Margarete van Ess<br />

Aus den kleinen Ansiedlungen bei<strong>der</strong>seits des damaligen Euphratlaufes<br />

entwickelte sich Uruk zu einer Großstadt, die schon um 3300<br />

v. Chr. eine Fläche von ca. 2,5 Quadratkilometern erreichte. Anfang<br />

des 3. Jahrtausends hatte sie mit 5,5 Quadratkilometern ihre größte<br />

Ausdehnung. Bevor dies geschehen konnte, hatte man gelernt,<br />

die Ströme Euphrat und Tigris zu beherrschen, die im April aus ihren<br />

Quellgebieten in <strong>der</strong> Türkei das Wasser <strong>der</strong> Schneeschmelze<br />

genau dann nach Südmesopotamien ergossen, wenn dort die Ernte<br />

anstand. Das erfor<strong>der</strong>te technisches Können, Organisation und<br />

Arbeitsteilung, Absprachen und Hierarchien, also die gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen, die nötig waren, um auch die riesigen Bauwerke,<br />

die Unmengen an Material und Arbeitskraft banden, ins<br />

Werk setzen zu können.<br />

Zwei bedeutende Kultzentren bestimmten den Ruhm <strong>der</strong> Stadt:<br />

dasjenige für den Himmelsgott Anu und das <strong>der</strong> Liebes- und<br />

Kriegsgöttin Inanna/Ischtar. Aber auch in politischer und wirtschaftlicher<br />

Hinsicht ist Uruk eine herausragende Größe in <strong>der</strong> Region,<br />

und um die größer werdenden Volumina an Gütern und Vorgängen<br />

zu bewältigen, erfindet man ein Zeichensystem, welches<br />

das Gedächtnis vor allem <strong>der</strong> Verwalter entlastet, denen die Haushaltung<br />

eines Heiligtums, eines Palastes, eines großen Hofes o<strong>der</strong><br />

die Verwaltung einer Großbaustelle oblag. Der Handel nahm stetig<br />

zu, bewegte Güter mussten erfasst werden: Schafe und Rin<strong>der</strong>, die<br />

Menge des eingelagerten Getreides, das Kupfer, das <strong>der</strong> Schmied<br />

zur Herstellung <strong>der</strong> Werkzeuge erhalten hatte, die Menge <strong>der</strong> zu<br />

liefernden Ziegel, die Zahl <strong>der</strong> Arbeitskräfte.<br />

Mit dem Anwachsen <strong>der</strong> Stadt war eine erste Massenfabrikation<br />

von Keramikgefäßen und Gegenständen des alltäglichen Lebens<br />

entstanden, <strong>der</strong>en Produktion reguliert und die verkauft werden<br />

mussten. Alle diese Prozesse konnten nicht mehr allein „aus dem<br />

Kopf“ gesteuert werden. Die Notizen, bestehend aus Köpfen von<br />

DIE ENTSTEHUNG DER SCHRIFT<br />

AUS DEM GEIST DER VERWALTUNG<br />

1 Liste mit Gefäßbezeichnungen aus Uruk,<br />

Ende 4. Jt. v. Chr. Mit solchen Listen wurden<br />

die Wortzeichen aufgelistet, die in den<br />

archaischen Texten verwendet wurden.<br />

Der Text befindet sich in <strong>der</strong> Uruk-Warka-<br />

Sammlung des DAI an <strong>der</strong> Universität<br />

Heidelberg.<br />

2 Einfache Schreibübung <strong>der</strong> Keilschriftzeichen<br />

KU-KA-KI aus Uruk, Sinkaschid-Palast,<br />

19./18. Jh. v. Chr. Der Text befindet sich in<br />

<strong>der</strong> Uruk-Warka-Sammlung des DAI an<br />

<strong>der</strong> Universität Heidelberg.<br />

Fotos: DAI, Orient-Abteilung, Wagner<br />

Rin<strong>der</strong>n, Kornähren und Trinkschalen in Kombination mit Zahlzeichen<br />

sind <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> sumerischen Keilschrift, die in Uruk<br />

erfunden wurde und die schnell die Runde machte. Weiterentwickelt<br />

in den altsumerischen Machtzentren Ur, Fara, Nippur und Lagash,<br />

wurde sie zu dem äußerst haltbaren Speichermedium, das<br />

die Jahrtausende überdauerte: die luftgetrocknete Tontafel.<br />

Die Erfindung <strong>der</strong> Schrift aus dem Geist <strong>der</strong> Verwaltung war zugleich<br />

<strong>der</strong> Grundstein für die Anfänge <strong>der</strong> Wissenschaft im Vor<strong>der</strong>en<br />

Orient. Es gab Listen von Alltagsgegenständen o<strong>der</strong> von Tierbezeichnungen,<br />

ab dem Ende des 3. Jahrtausends Listen von<br />

Sternen, als die Himmelsbeobachtung eine bedeutenden Rolle<br />

spielte. Schließlich fanden die Archäologen auch Listen mit Berufsbezeichnungen<br />

und Beamtenfunktionen, die ersten Belege dafür,<br />

dass die Gesellschaft sich in Hierarchien aufgespalten hatte. In einigen<br />

<strong>der</strong> Verwaltungstexte waren die Rationen vermerkt, die Personen<br />

für die Durchführung bestimmter Leistungen erhielten;<br />

Grundlage war ein äußerst ausgeklügeltes System <strong>der</strong> Zuteilung.<br />

Die Rationen waren offenbar gerade so bemessen, dass die Menschen<br />

nicht ganz verhungerten.<br />

Zentren des gesellschaftlichen Lebens waren die Tempel und Paläste.<br />

Im altbabylonischen Palast des Herrschers Sin-Kaschid aus<br />

dem 2. Jahrtausend v. Chr., ebenfalls vom DAI untersucht, wurde<br />

nicht „nur“ regiert. Hier trafen sich die Eliten, hier wurde Handel<br />

getrieben, wurden diplomatische Korrespondenzen und juristische<br />

Dokumente nie<strong>der</strong>gelegt. Spezialisierte Handwerker und<br />

Künstler verarbeiteten hier feinste Rohstoffe zu kostbaren Prestigegütern,<br />

und da das Schreiben in diesem nun ausdifferenzierten<br />

gesellschaftlichen Gefüge ein unverzichtbares Handwerk geworden<br />

war, war <strong>der</strong> Palast auch <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Schreiberausbildung. <br />

URUK. GRUNDRISSE DER URUKZEITLICHEN BAUWERKE<br />

IM EANNA-BEREICH.<br />

Rekonstruktionszeichnungen sind seit langem wichtiger Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Bauforschung in Uruk. Sie vermitteln Vorstellungen vom Aussehen<br />

und von Details von Bauwerken, die im Laufe von 4 000 Jahren<br />

errichtet und je nach Periode nach ganz unterschiedlichen Plänen<br />

und mit unterschiedlichem technischen Knowhow gestaltet wurden.<br />

Abbildung: DAI. Orient-Abteilung<br />

46 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 47

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