01.03.2014 Aufrufe

PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut

PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut

PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Prähistorikerin Dr. Sabine Reinhold von<br />

<strong>der</strong> Eurasien-Abteilung des DAI leitet seit 2006<br />

das Projekt „Siedlungstypen im Nordkaukasus in<br />

<strong>der</strong> späten Bronzezeit: Kislovodsk“. Ihr Arbeitsschwerpunkt<br />

ist die Vor- und Frühgeschichte<br />

des Schwarzmeerraumes und Kaukasiens. Das<br />

Projekt wird von <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG) und <strong>der</strong> Russischen Stiftung<br />

für die Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

(RGNF) geför<strong>der</strong>t.<br />

LANDSCHAFT<br />

1 2<br />

3<br />

1 Luftbild einer Siedlung mit deutlich<br />

erkennbarem zentralem Platz.<br />

2 Gebäudegrundriss eines doppelräumigen<br />

Wohn-Stallhauses aus <strong>der</strong> Siedlung<br />

Kabardinka 2<br />

3 Einzigartige Steinarchitektur des<br />

2. Jahrtausends v. Chr. – Grundriss eines<br />

Hauses aus <strong>der</strong> Siedlung Gumbaši 1,<br />

in dem Mensch und Tier unter einem Dach<br />

zusammenlebten. Das Gebäude liegt<br />

oberhalb <strong>der</strong> Wasserscheide zwischen<br />

Schwarzem und Kaspischem Meer.<br />

S I E DLUNG UND ERNÄHRUNG<br />

„Erste Funde aus Grabmonumenten, die<br />

mit Hilfe mo<strong>der</strong>ner anthropologischer Methoden<br />

und Isotopen-Analysen zur Ernährungsbasis<br />

untersucht wurden, konnten<br />

ganz verschiedene Fragen zu Ernährung<br />

und Wirtschaftsstrategien <strong>der</strong> Siedler beantworten.<br />

Es zeigt sich, dass es zwischen<br />

dem Leben im Gebirge im 2. Jahrtausend<br />

v. Chr. und <strong>der</strong> Besiedlung <strong>der</strong> Täler im<br />

1. Jahrtausend v. Chr. einen einschneidenden<br />

Wandel bei Ernährung und Wirtschaftsweise<br />

gab: Während die Gebirgsbewohner<br />

sich vermutlich überwiegend von<br />

tierischen Produkten – Fleisch, Milch, Käse<br />

– ernährten, konnte nachgewiesen werden,<br />

dass die Talbewohner deutlich mehr<br />

Getreide, aber fast kein Fleisch zu sich nahmen.<br />

Die Isotopenanalysen bestätigen den<br />

aus <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong> Siedlungsstrukturen postulierten<br />

Subsistenzwechsel zwischen <strong>der</strong><br />

älteren Periode im Gebirge und <strong>der</strong> jüngeren<br />

im Tal.<br />

Neuere Ausgrabungen ermöglichen es darüber<br />

hinaus, Aufschlüsse über die Menschen<br />

zu gewinnen, welche die Extremregion<br />

als erste besiedelten. Erste Indikatoren<br />

aus einem <strong>der</strong> ältesten Fundorte erbrachten<br />

Indizien, dass ein Teil <strong>der</strong> Siedler im Gebirge<br />

vielleicht aus <strong>der</strong> nordkaukasischen<br />

o<strong>der</strong> nordpontischen Steppe kam.<br />

Auch die Untersuchung <strong>der</strong> Grabformen,<br />

<strong>der</strong> materiellen Kultur und <strong>der</strong> kulturellen<br />

Traditionen, vor allem aber <strong>der</strong>en Verän<strong>der</strong>ungen<br />

zu untersuchen, ist ein weiteres<br />

Ziel unseres Nordkaukasus-Projekts. Auch<br />

dies kann Facetten <strong>der</strong> sozialen Dynamik<br />

zeigen, die sich in <strong>der</strong> Siedlungsentwicklung<br />

bereits andeuten.“<br />

Sabine Reinhold<br />

Große Teile des Kaukasus sind archäologisch gut erforscht. Umso<br />

überraschen<strong>der</strong> war es, als 2004 auf einem Hochplateau bei Kislovodsk<br />

im Nordkaukasus Spuren menschlicher Anwesenheit gefunden<br />

wurden, die völlig neue Perspektiven für die Siedlungsarchäologie<br />

<strong>der</strong> Region eröffneten.<br />

„Es ist ein bislang völlig unbekannter Siedlungstypus <strong>der</strong> Spätbronze-<br />

und Früheisenzeit, den wir hier untersuchen“, sagt Sabine<br />

Reinhold von <strong>der</strong> Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s. Seit 2006 leitet sie das Projekt zu den „Siedlungstypen<br />

<strong>der</strong> späten Bronzezeit in Kislovodsk, Nordkaukasus, Russland“.<br />

Die Siedlungen liegen auf einer Plateauzone an <strong>der</strong> südlichen Peripherie<br />

des Talkessels von Kislovodsk – eines <strong>der</strong> berühmten Kaukasischen<br />

Mineralbä<strong>der</strong> – das sich an einer strategisch bedeutsamen<br />

Stelle befindet. Es liegt an einer Passroute, die aus <strong>der</strong><br />

nordkaukasischen Steppenzone über den 2242 Meter hohen<br />

Gumbashi-Pass an den Oberlauf des Kuban und von dort aus ans<br />

Schwarze Meer führt. Der Talkessel selbst wird aus fünf kleineren<br />

Wasserläufen gebildet, die schließlich bei Kislovodsk in den Fluss<br />

Podkumok münden. Von hier sind es nur noch 70 Kilometer zu<br />

dem Ort <strong>der</strong> Mythologie, <strong>der</strong> bis heute in Dichtung, Sprichwort<br />

und Wissenschaft präsent geblieben ist. 5642 Meter hoch erhebt<br />

sich <strong>der</strong> „Fels“, an den Prometheus geschmiedet war, weil er in einem<br />

Stängel des Riesenfenchels für die Menschen das Feuer gestohlen<br />

hatte, das ihnen Zeus zuvor entzogen hatte. In <strong>der</strong> Antike<br />

als „Strobilus“ bekannt, heißt <strong>der</strong> Vulkankegel heute El‘brus. Mit<br />

dem Montblanc streitet er um die Ehre, <strong>der</strong> höchste Berg Europas<br />

zu sein.<br />

H ÄUSE R F ÜR MENSCH UND T I E R<br />

„Die Steinarchitektur dieser Kultur des 2. Jahrtausends v. Chr ist<br />

einzigartig“ sagt Sabine Reinhold. Bis heute konnten die Wissenschaftler<br />

190 Siedlungsplätze nachweisen. Eine Kombination mo<strong>der</strong>ner<br />

Fernerkundungsmethoden mit <strong>der</strong> Vermessung vor Ort ermöglicht<br />

eine Erfassung <strong>der</strong> Bauten bis auf die Ebene einzelner<br />

Gebäude. „Die Fundplätze liegen in Höhen zwischen 1400 und<br />

2400 Metern, also oberhalb <strong>der</strong> heutigen Ackerbaugrenze“, sagt<br />

Reinhold.<br />

Die Gebäude waren Kombinationen aus Haus und Stall, sogenannte<br />

Wohn-Stallhäuser: Wand an Wand lebten Mensch und Tier unter<br />

einem Dach zusammen. „Nur so konnte man das Vieh durch die<br />

harten Winter bringen“, erklärt Reinhold. Anhand <strong>der</strong> Knochen,<br />

welche die Archäologen fanden, ließ sich ermitteln, dass Schafe<br />

zwei Drittel <strong>der</strong> Bestände bildeten. Als Fleischlieferant waren aber<br />

Rin<strong>der</strong> offenbar wichtiger.<br />

Sabine Reinhold erklärt, wie es den Archäologen gelang, zum ersten<br />

Mal konkrete Aussagen über die Anwesenheit von Tieren direkt<br />

in Häusern machen können: „Die Ställe unterscheiden sich von<br />

den Wohnräumen <strong>der</strong> Menschen in den Anteilen von Mikroorganismen,<br />

die das Enzym Urease zersetzen, genauso wie im Anteil<br />

keratinophiler Mikropilze, die auf und von Tierhaaren leben“, sagt<br />

Sabine Reinhold. „Gelangen sie in den Boden, erhalten sich ihre<br />

Sporen über Jahrtausende und können heute im Labor wie<strong>der</strong> reaktiviert<br />

werden, was einzigartige Einblicke in Aufteilung und Nutzung<br />

<strong>der</strong> Häuser ermöglicht.“<br />

Aber die Wissenschaftler ermittelten nicht nur die Struktur <strong>der</strong> Gebäude,<br />

auch die Form <strong>der</strong> Dörfer ließ sich mit einer Kombination<br />

aus Grabungen vor Ort und luftgestützten Methoden nachvollziehen:<br />

„Die Häuser gruppierten sich rund um einen großen Platz“, beschreibt<br />

Reinhold die Anlage. „So entstanden kleine Dorfanlagen<br />

von etwa einem Hektar Größe, die zumeist einen ovalen, manchmal<br />

sogar einen fischförmigen symmetrischen Grundriss hatten.“<br />

Den Beginn <strong>der</strong> Besiedlung dieser Region datieren die Archäologen<br />

auf das 2. Jahrtausend v. Chr. In dieser Zeit war es zu entscheidenden<br />

Verän<strong>der</strong>ungen gekommen, die Teil einer Entwicklung waren,<br />

wie sie auch in an<strong>der</strong>en Regionen Eurasiens – wahrscheinlich<br />

im Zuge einer Klimaverbesserung – eintrat: Sesshaftigkeit. Die Ersten<br />

waren die Siedler indessen nicht. Schon 1000 Jahr zuvor hatten<br />

Hirten ihr Vieh auf den Berghängen geweidet. Wohnhäuser hinterließen<br />

sie nicht, aber man fand eine große Zahl von Grab hügeln.<br />

A LMWIRTSCHAF T<br />

Die Archäologen wissen heute, dass die Bevölkerung in diesen<br />

permanenten Siedlungen schnell wuchs, und sie gehen davon<br />

aus, dass die Bewohner zur Versorgung von Mensch und Tier ein<br />

klassisches Almwirtschaftssystem entwickelten. Im Sommer wurde<br />

das Vieh auf die Bergweiden getrieben, im Winter holte man es<br />

zurück in die Dörfer.<br />

Viele Fragen über diese ungewöhnliche kaukasische Kulturlandschaft<br />

sind beantwortet, aber ein Rätsel konnte noch nicht gelöst<br />

werden: „Es bleibt auch nach sieben Jahren intensiver Forschung<br />

unklar, weshalb die Siedler nicht in die Täler zogen und stattdessen<br />

so lang auf den – aus unserer heutigen Sicht – kargen Hochplateaus<br />

ausharrten.“<br />

Denn erst um die Wende zum 1. Jahrtausend v. Chr. entstehen in<br />

tieferen Lagen erste Ansiedlungen. Wahrscheinlich war es eine erneute<br />

Klimaverän<strong>der</strong>ung, welche die Menschen zwang, ihre gewohnte<br />

Lebensweise aufzugeben. Bereits 100 Jahre später ist das<br />

Hochgebirge fast menschenleer, während sich die Täler <strong>der</strong> heutigen<br />

Kaukasischen Mineralbä<strong>der</strong> sehr rasch füllen.<br />

„Aus Sicht <strong>der</strong> Landschaftsarchäologie haben wir hier eine äußerst<br />

interessante Aufgabe zu lösen“, erklärt Sabine Reinhold. Wir müssen<br />

herausfinden, woher die ersten Menschen in <strong>der</strong> Region überhaupt<br />

kamen. Vielleicht können wir dann die noch offenen Fragen<br />

klären.“<br />

<br />

Auf dem Weg zur Ausgrabung –<br />

<strong>der</strong> Motor streikt.<br />

28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!