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In der Nekropole Kabardinka wurden um Gräber herum Steinkreise errichtet. LANDSCHAFT Ausgrabung der Steinkreise. LEBEN AUF DEM HOCHPLATEAU Eine neu entdeckte Kulturlandschaft im nördlichen Kaukasus Blick vom Hang auf den Fundplatz Verchnjaja Kičmalka 1. Es ist eine Siedlung aus dem 15. / 14. Jahrhundert v. Chr. Von West-Nordwest nach Ost-Südost auf einer Länge von 1100 Kilometern verläuft zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer ein Gebirge, das seit der Antike fast überladen ist mit Bedeutung, Kriegen und Reichtümern: der Kaukasus. Gefängnis des Prometheus, zu allen Zeiten Zankapfel zwischen großen Reichen, Sperre gegen die „Hunnen“, aber auch Transit zone, kultureller Schmelztiegel und Rohstofflager, liegt hier, im Grenzgebiet zwischen Europa und Vorderasien, eine der ethnographisch und sprachhistorisch vielfältigsten Regionen der Welt. 26 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 27
Die Prähistorikerin Dr. Sabine Reinhold von der Eurasien-Abteilung des DAI leitet seit 2006 das Projekt „Siedlungstypen im Nordkaukasus in der späten Bronzezeit: Kislovodsk“. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Vor- und Frühgeschichte des Schwarzmeerraumes und Kaukasiens. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Russischen Stiftung für die Geistes- und Sozialwissenschaften (RGNF) gefördert. LANDSCHAFT 1 2 3 1 Luftbild einer Siedlung mit deutlich erkennbarem zentralem Platz. 2 Gebäudegrundriss eines doppelräumigen Wohn-Stallhauses aus der Siedlung Kabardinka 2 3 Einzigartige Steinarchitektur des 2. Jahrtausends v. Chr. – Grundriss eines Hauses aus der Siedlung Gumbaši 1, in dem Mensch und Tier unter einem Dach zusammenlebten. Das Gebäude liegt oberhalb der Wasserscheide zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. S I E DLUNG UND ERNÄHRUNG „Erste Funde aus Grabmonumenten, die mit Hilfe moderner anthropologischer Methoden und Isotopen-Analysen zur Ernährungsbasis untersucht wurden, konnten ganz verschiedene Fragen zu Ernährung und Wirtschaftsstrategien der Siedler beantworten. Es zeigt sich, dass es zwischen dem Leben im Gebirge im 2. Jahrtausend v. Chr. und der Besiedlung der Täler im 1. Jahrtausend v. Chr. einen einschneidenden Wandel bei Ernährung und Wirtschaftsweise gab: Während die Gebirgsbewohner sich vermutlich überwiegend von tierischen Produkten – Fleisch, Milch, Käse – ernährten, konnte nachgewiesen werden, dass die Talbewohner deutlich mehr Getreide, aber fast kein Fleisch zu sich nahmen. Die Isotopenanalysen bestätigen den aus der Logik der Siedlungsstrukturen postulierten Subsistenzwechsel zwischen der älteren Periode im Gebirge und der jüngeren im Tal. Neuere Ausgrabungen ermöglichen es darüber hinaus, Aufschlüsse über die Menschen zu gewinnen, welche die Extremregion als erste besiedelten. Erste Indikatoren aus einem der ältesten Fundorte erbrachten Indizien, dass ein Teil der Siedler im Gebirge vielleicht aus der nordkaukasischen oder nordpontischen Steppe kam. Auch die Untersuchung der Grabformen, der materiellen Kultur und der kulturellen Traditionen, vor allem aber deren Veränderungen zu untersuchen, ist ein weiteres Ziel unseres Nordkaukasus-Projekts. Auch dies kann Facetten der sozialen Dynamik zeigen, die sich in der Siedlungsentwicklung bereits andeuten.“ Sabine Reinhold Große Teile des Kaukasus sind archäologisch gut erforscht. Umso überraschender war es, als 2004 auf einem Hochplateau bei Kislovodsk im Nordkaukasus Spuren menschlicher Anwesenheit gefunden wurden, die völlig neue Perspektiven für die Siedlungsarchäologie der Region eröffneten. „Es ist ein bislang völlig unbekannter Siedlungstypus der Spätbronze- und Früheisenzeit, den wir hier untersuchen“, sagt Sabine Reinhold von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts. Seit 2006 leitet sie das Projekt zu den „Siedlungstypen der späten Bronzezeit in Kislovodsk, Nordkaukasus, Russland“. Die Siedlungen liegen auf einer Plateauzone an der südlichen Peripherie des Talkessels von Kislovodsk – eines der berühmten Kaukasischen Mineralbäder – das sich an einer strategisch bedeutsamen Stelle befindet. Es liegt an einer Passroute, die aus der nordkaukasischen Steppenzone über den 2242 Meter hohen Gumbashi-Pass an den Oberlauf des Kuban und von dort aus ans Schwarze Meer führt. Der Talkessel selbst wird aus fünf kleineren Wasserläufen gebildet, die schließlich bei Kislovodsk in den Fluss Podkumok münden. Von hier sind es nur noch 70 Kilometer zu dem Ort der Mythologie, der bis heute in Dichtung, Sprichwort und Wissenschaft präsent geblieben ist. 5642 Meter hoch erhebt sich der „Fels“, an den Prometheus geschmiedet war, weil er in einem Stängel des Riesenfenchels für die Menschen das Feuer gestohlen hatte, das ihnen Zeus zuvor entzogen hatte. In der Antike als „Strobilus“ bekannt, heißt der Vulkankegel heute El‘brus. Mit dem Montblanc streitet er um die Ehre, der höchste Berg Europas zu sein. H ÄUSE R F ÜR MENSCH UND T I E R „Die Steinarchitektur dieser Kultur des 2. Jahrtausends v. Chr ist einzigartig“ sagt Sabine Reinhold. Bis heute konnten die Wissenschaftler 190 Siedlungsplätze nachweisen. Eine Kombination moderner Fernerkundungsmethoden mit der Vermessung vor Ort ermöglicht eine Erfassung der Bauten bis auf die Ebene einzelner Gebäude. „Die Fundplätze liegen in Höhen zwischen 1400 und 2400 Metern, also oberhalb der heutigen Ackerbaugrenze“, sagt Reinhold. Die Gebäude waren Kombinationen aus Haus und Stall, sogenannte Wohn-Stallhäuser: Wand an Wand lebten Mensch und Tier unter einem Dach zusammen. „Nur so konnte man das Vieh durch die harten Winter bringen“, erklärt Reinhold. Anhand der Knochen, welche die Archäologen fanden, ließ sich ermitteln, dass Schafe zwei Drittel der Bestände bildeten. Als Fleischlieferant waren aber Rinder offenbar wichtiger. Sabine Reinhold erklärt, wie es den Archäologen gelang, zum ersten Mal konkrete Aussagen über die Anwesenheit von Tieren direkt in Häusern machen können: „Die Ställe unterscheiden sich von den Wohnräumen der Menschen in den Anteilen von Mikroorganismen, die das Enzym Urease zersetzen, genauso wie im Anteil keratinophiler Mikropilze, die auf und von Tierhaaren leben“, sagt Sabine Reinhold. „Gelangen sie in den Boden, erhalten sich ihre Sporen über Jahrtausende und können heute im Labor wieder reaktiviert werden, was einzigartige Einblicke in Aufteilung und Nutzung der Häuser ermöglicht.“ Aber die Wissenschaftler ermittelten nicht nur die Struktur der Gebäude, auch die Form der Dörfer ließ sich mit einer Kombination aus Grabungen vor Ort und luftgestützten Methoden nachvollziehen: „Die Häuser gruppierten sich rund um einen großen Platz“, beschreibt Reinhold die Anlage. „So entstanden kleine Dorfanlagen von etwa einem Hektar Größe, die zumeist einen ovalen, manchmal sogar einen fischförmigen symmetrischen Grundriss hatten.“ Den Beginn der Besiedlung dieser Region datieren die Archäologen auf das 2. Jahrtausend v. Chr. In dieser Zeit war es zu entscheidenden Veränderungen gekommen, die Teil einer Entwicklung waren, wie sie auch in anderen Regionen Eurasiens – wahrscheinlich im Zuge einer Klimaverbesserung – eintrat: Sesshaftigkeit. Die Ersten waren die Siedler indessen nicht. Schon 1000 Jahr zuvor hatten Hirten ihr Vieh auf den Berghängen geweidet. Wohnhäuser hinterließen sie nicht, aber man fand eine große Zahl von Grab hügeln. A LMWIRTSCHAF T Die Archäologen wissen heute, dass die Bevölkerung in diesen permanenten Siedlungen schnell wuchs, und sie gehen davon aus, dass die Bewohner zur Versorgung von Mensch und Tier ein klassisches Almwirtschaftssystem entwickelten. Im Sommer wurde das Vieh auf die Bergweiden getrieben, im Winter holte man es zurück in die Dörfer. Viele Fragen über diese ungewöhnliche kaukasische Kulturlandschaft sind beantwortet, aber ein Rätsel konnte noch nicht gelöst werden: „Es bleibt auch nach sieben Jahren intensiver Forschung unklar, weshalb die Siedler nicht in die Täler zogen und stattdessen so lang auf den – aus unserer heutigen Sicht – kargen Hochplateaus ausharrten.“ Denn erst um die Wende zum 1. Jahrtausend v. Chr. entstehen in tieferen Lagen erste Ansiedlungen. Wahrscheinlich war es eine erneute Klimaveränderung, welche die Menschen zwang, ihre gewohnte Lebensweise aufzugeben. Bereits 100 Jahre später ist das Hochgebirge fast menschenleer, während sich die Täler der heutigen Kaukasischen Mineralbäder sehr rasch füllen. „Aus Sicht der Landschaftsarchäologie haben wir hier eine äußerst interessante Aufgabe zu lösen“, erklärt Sabine Reinhold. Wir müssen herausfinden, woher die ersten Menschen in der Region überhaupt kamen. Vielleicht können wir dann die noch offenen Fragen klären.“ Auf dem Weg zur Ausgrabung – der Motor streikt. 28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29
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