PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut
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Archäologie Weltweit – Erster Jahrgang – Berlin, im Oktober 2013 – DAI<br />
2 2013<br />
TITELTHEMA<br />
ANTIKE GROSSBAUSTELLEN<br />
Kultur, Politik und Technik des Bauens in Übergröße<br />
CULTURAL HERITAGE<br />
Türkei – Die Restaurierungsarbei ten<br />
an <strong>der</strong> Roten Halle in Bergama<br />
I M PORTRÄT<br />
Brita Wagener –<br />
Deutsche Botschafterin in Bagdad<br />
I NTERVIEW<br />
Großbaustelle Informationstechnologie<br />
in den Altertumswissenschaften
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
Orte in dieser Ausgabe<br />
Türkei, Bergama. Cultural Heritage, Seite 12<br />
Salomonen, Westpazifik. Alltag Archäologie, Seite 18<br />
Deutschland, München. Standort, Seite 66<br />
Russland, Nordkaukasus. Landschaft, Seite 26<br />
Griechenland, Athen. Das Objekt, Seite 30<br />
Tiryns. Reportage, Seite 60<br />
Libanon, Baalbek. Titelthema, Seite 36<br />
Irak, Uruk/Warka. Titelthema, Seite 41, 46<br />
Ukraine, Talianki. Titelthema, Seite 48<br />
Italien, Rom/Castel Gandolfo. Titelthema, Seite 52<br />
Israel, Jerusalem. Titelthema, Seite 55<br />
Berlin, Zentrale des Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
DAS TITELBILD<br />
In Baalbek kamen die 45 Millionen Jahre<br />
alten verwitterungsresistenten Nummulitenkalke,<br />
die in mächtigen Banken in <strong>der</strong><br />
Erde <strong>der</strong> Region liegen, zu großen Ehren.<br />
Gerade gut genug waren sie für Jupiter<br />
und seinen gigantischen Tempel. Für 18<br />
Meter Säulenhöhe brauchten die Baumeister<br />
nicht mehr als je drei Trommeln, Durchmesser:<br />
2,2 Meter. Das Podium ist aus riesigen<br />
Kalksteinblöcken errichtet, die präzise<br />
zusammengefügt waren. Die zweite Lage<br />
des Podiums, heute als „Trilithon“ bekannt,<br />
wurde allerdings nicht fertiggestellt. Mit<br />
bis zu 1000 Tonnen Gewicht sind die Blöcke<br />
die größten Megalithe <strong>der</strong> bekannten<br />
Geschichte.
EDITORIAL<br />
EDITORIAL<br />
LIEBE LESERIN, L IEBER LESER,<br />
Prof. Dr. Frie<strong>der</strong>ike Fless<br />
Präsidentin des Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
man braucht nicht immer einen Kran o<strong>der</strong><br />
einen Bulldozer für die archäologische Arbeit.<br />
Doch es gibt durchaus Vorhaben, die<br />
den Einsatz schweren Geräts erfor<strong>der</strong>n.<br />
Wenn antike Mauern so erschüttert sind,<br />
dass sie stürzen könnten, wenn in unwegsamem<br />
Gelände die Pflugschicht abgehoben<br />
werden muss, werden die großen Maschinen<br />
herangefahren.<br />
Die „Baustelle“ Grabungsplatz erfor<strong>der</strong>t<br />
ebenso ausgefeilte Logistik wie jede an<strong>der</strong>e<br />
Baustelle auch. Menschen, Maschinen,<br />
Gerätschaften wollen transportiert und<br />
gemäß Fähigkeiten und Bestimmung zum<br />
Einsatz gebracht werden, Lizenzen müssen<br />
erteilt sein, Kooperationsverträge vorbereitet<br />
und geschlossen werden, Flugtickets<br />
bestellt o<strong>der</strong> Fahrzeuge startklar gemacht<br />
werden.<br />
Wenn außerdem verschiedene Disziplinen<br />
– in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Archäologie arbeiten<br />
inzwischen zahlreiche geistes-, sozial- und<br />
naturwissenschaftliche Fächer zusammen<br />
– und vor allem die regionalen, nationalen<br />
und internationalen Partnerinstitutionen<br />
aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt werden müssen,<br />
gewinnt die archäologische Arbeit schnell<br />
den Charakter einer akademischen Großbaustelle.<br />
Wenn die Forschungsprojekte<br />
dann selbst antike Großbaustellen zum<br />
Thema haben, werden Logistik, Ressourcenmanagement<br />
sowie disziplinäre und<br />
politische Aushandlungen und zu einer anspruchsvollen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />
uns noch heute in Staunen versetzen.<br />
Diese Bauvorhaben waren nicht einfach<br />
„nur“ Angelegenheiten <strong>der</strong> Baumeister<br />
und Steinmetze, die in paar Arbeiter dirigierten.<br />
Die Großbauten <strong>der</strong> Antike sind<br />
immer auch gesellschaftliche und politische<br />
Großbaustellen, die gelingen und<br />
scheitern können – an technischem Versagen<br />
ebensogut wie am Wi<strong>der</strong>stand einer<br />
überstrapazierten Gemeinschaft.<br />
Titelthema und Reportage <strong>der</strong> zweiten<br />
Ausgabe von Archäologie Weltweit widmen<br />
sich den antiken Großbaustellen in<br />
ihren technischen, sozialen und kulturellen<br />
Aspekten. Die Einführung neuer IT-Techniken<br />
in den Altertumswissenschaften ist<br />
eine logistische und politische Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
beson<strong>der</strong>er Art, wie das „Interview“<br />
verrät, und wie die <strong>der</strong>zeitigen Möglichkeiten<br />
Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik<br />
in den Län<strong>der</strong>n des Nahen Ostens sich<br />
gestalten, ist in den Porträts nachzulesen.<br />
Wir danken allen Leserinnen und Lesern<br />
<strong>der</strong> ersten Ausgabe von Archäologie Weltweit<br />
für die begeisterte Aufnahme unseres<br />
neuen Magazins!<br />
Viel Vergnügen bei <strong>der</strong> weiteren Lektüre<br />
wünscht Ihnen<br />
Ihre<br />
Prof. Dr. Frie<strong>der</strong>ike Fless<br />
Anspruchsvoll war auch die Durchführung<br />
<strong>der</strong> oft gigantischen Bauvorhaben, die in<br />
<strong>der</strong> Antike ohne das Gerät, das heute zur<br />
Verfügung steht, über Jahre und manchmal<br />
Jahrhun<strong>der</strong>te unglaubliche Ressourcen<br />
banden, um Bauten zu erschaffen, die<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 1
4<br />
NACHRICHTEN<br />
12<br />
CULTURAL HERITAGE<br />
Hadrians mächtiger Tempel – Die Rote Halle in Bergama<br />
18<br />
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
Salomonen – Archäologie auf abgelegenen Inseln<br />
INHALT<br />
24<br />
INTERVIEW<br />
Reinhard Förtsch<br />
INHALT<br />
Porträt<br />
59<br />
VORAUSSCHAUE NDE<br />
DIP LOMATIE<br />
Brita Wagner, deutsche<br />
Botschafterin in Bagdad<br />
Alltag Archäologie<br />
A RCHÄOLOGIE AU F<br />
ABGE L E G E N E N I NSE LN<br />
Uralte Seefahrerkulturen und<br />
die Besiedlung des westlichen Pazifik<br />
16<br />
10<br />
Cultural Heritage<br />
H ADRIANS MÄCHTIGE R TEM PEL<br />
Bergama: Die Restaurierung des<br />
außergewöhnlichsten römischen<br />
Bauwerks in <strong>der</strong> Türkei<br />
26<br />
30<br />
32<br />
IT in den Altertumswissenschaften<br />
LANDSCHAFTEN<br />
Nordkaukasus – Leben auf dem Hochplateau<br />
DAS OBJEKT<br />
Die Frauenporträts vom Kerameikos<br />
STANDPUNKT<br />
Großbaustelle Wissenschaft<br />
T ITE L<br />
ANTIKE GROSSBAUSTELLEN<br />
K ULTUR, POLITIK UND TECHNIK DE S B A U E NS IN Ü B E RGRÖSSE<br />
34<br />
36<br />
44<br />
50<br />
TITELTHEMA<br />
Antike Großbaustellen<br />
Schiere Masse: Technik und Logistik in Baalbek und Uruk<br />
Stadt o<strong>der</strong> nicht Stadt: Siedlungspolitik<br />
in Mesopotamien und Osteuropa<br />
Die Baulust <strong>der</strong> Herrscher<br />
Machtinszenierungen in Rom und Jerusalem<br />
58<br />
IM PORTRÄT<br />
Landschaften<br />
LEB E N AUF DE M H OCHP LATE AU<br />
Eine neu entdeckte Kulturlandschaft<br />
im nördlichen Kaukasus<br />
26<br />
Panorama<br />
H ÜLSE N F RÜCHTE<br />
UND<br />
R I E S E NBÄUME<br />
Archäobotanik und<br />
Dendrochronologie<br />
geben Aufschluss über<br />
Wirtschaftsformen<br />
und Umweltbedingungen<br />
in <strong>der</strong> Antike<br />
58<br />
59<br />
60<br />
66<br />
Margarete van Ess<br />
Brita Wagener<br />
REPORTAGE<br />
Tiryns<br />
Die Musterburg <strong>der</strong> mykenischen Könige<br />
STANDORT<br />
Die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik<br />
68<br />
68<br />
68<br />
PANORAMA<br />
Die Linse, eine unbekannte Größe<br />
70<br />
Der Baobab als Klimaarchiv<br />
72<br />
IMPRESSUM, VORSCHAU<br />
2 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 3
100 Jahre Kerameikos<br />
Neuer Führer über<br />
das Grabungsgelände<br />
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums hat Jutta<br />
Stroszeck einen neuen Führer über den<br />
Kerameikos verfasst. Die dreisprachige<br />
Publikation (Deutsch, Englisch und Griechisch)<br />
wurde durch eine Spende von Dr. Jürgen<br />
Trumpf und Dr. Maria Trumpf-Lyritzaki über die<br />
Gesellschaft <strong>der</strong> Freunde des Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong>s – Theodor Wiegand<br />
Gesellschaft – e.V. ermöglicht.<br />
NACHRICHTEN<br />
NACHRICHTEN<br />
Seit jeher sagen Friedhöfe viel über die<br />
Verfasstheit einer Gesellschaft aus. Für das<br />
Athen <strong>der</strong> klassischen Zeit liefert <strong>der</strong><br />
Kerameikos mit seinen Grabterrassen und<br />
Grabreliefs das Bild, wie die Menschen in<br />
dieser Zeit an diesem Ort ihrer Verstorbenen<br />
gedachten. Heute im Zentrum Athens<br />
zwischen Hermes- und Piräusstraße gelegen,<br />
befand sich das 3,85 Hektar große<br />
Areal in <strong>der</strong> Antike am nordwestlichen<br />
Stadtrand.<br />
Am 13. Juli 2013 wurde in einem Festakt<br />
auf dem Kerameikos in Anwesenheit<br />
des griechischen Kulturministers Panos<br />
Panaiotopoulos die 100-jährige Geschichte<br />
einer erfolgreichen Zusammenarbeit<br />
gefeiert. „Der Kerameikos ist, so wie er heu-<br />
te vor uns steht, ein Zeichen. Ein Zeichen<br />
für eine lange bestehende Zusammenarbeit,<br />
für Vertrauen und Gastfreundschaft“,<br />
sagte DAI-Präsidentin Frie<strong>der</strong>ike Fless. „Er<br />
ist aber auch ein mahnendes Zeichen, das<br />
uns an unsere Verantwortung gegenüber<br />
dem gemeinsamen Welterbe erinnert.“<br />
Vor 100 Jahren, im Juli 1913, wurde dem<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> nach<br />
bereits 40-jähriger Zusammenarbeit die<br />
Grabungslizenz für Arbeiten auf dem berühmten<br />
Athener Friedhof verliehen. Dazu<br />
gehörte die Aufgabe, „für die Bergung und<br />
den Aufbau <strong>der</strong> Funde zu sorgen, das Ruinenfeld<br />
würdig auszugestalten und so an<br />
eindrucksvoller Stelle in <strong>der</strong> Hauptstadt<br />
zugleich für die Gastfreundschaft zu danken,<br />
welche die Deutschen aller Kreise in<br />
Hellas genießen“, wie es <strong>der</strong> „Reichs- und<br />
Staats-Anzeiger“ seinerzeit formulierte.<br />
Die öffentlichen Bauten auf Athens berühmter<br />
Nekropole zu erforschen und zu<br />
pflegen, ist bis heute eine Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />
die aber in enger Zusammenarbeit<br />
zwischen <strong>deutschen</strong> und griechischen Archäologen,<br />
Architekten und Restauratoren<br />
erfolgreich gemeistert wird, wie die anhaltend<br />
steigenden Besucherzahlen zeigen.<br />
Allein im Jahr 2012 wurden 65.000 Besucher<br />
registriert.<br />
Ebenfalls im letzten Jahr hat das DAI erneut<br />
mit einer umfangreichen Kampagne<br />
zur Restaurierung und dauerhaften Präsentation<br />
von Bodendenkmälern begon-<br />
nen, die in den kommenden Jahren systematisch<br />
fortgesetzt werden soll. Ab 2013<br />
wird in bewährter Kooperation und unterstützt<br />
durch die Theodor Wiegand Gesellschaft<br />
das vom Einsturz bedrohte marmorne<br />
Grabdenkmal des Agathon aus<br />
Herakleia aus dem Jahr 350 v. Chr saniert.<br />
Die Archäologen werden es vorsichtig in<br />
Teile zerlegen, um es restaurieren zu können.<br />
Während <strong>der</strong> Arbeiten wird das Denkmal<br />
im Gelände durch eine Kopie ersetzt.<br />
„Die langjährige institutionelle Beziehung<br />
zwischen Griechenland und Deutschland,<br />
die mehrere politische Systeme überdauert<br />
hat, ist die eine Seite <strong>der</strong> Geschichte“,<br />
sagte Dr. Jutta Stroszeck, Leiterin des<br />
Kerameikos-Projekts, während des Festakts.<br />
„Der an<strong>der</strong>e Teil besteht aus den Menschen,<br />
die dahinter stehen, den vielen Wissenschaftlern,<br />
den Architekten, Restauratoren,<br />
Zeichnern, Grabungsarbeitern, Studenten,<br />
Wächtern, Gärtnern und allen, die sich<br />
über die Jahre für Pflege und Erhalt <strong>der</strong> Antiken,<br />
des Geländes und auch des Museums<br />
eingesetzt haben.“<br />
<br />
1 So sah <strong>der</strong> Kerameikos wenige Jahre nach<br />
Beginn <strong>der</strong> archäologischen Arbeiten aus<br />
2 Der Kerameikos heute.<br />
1 2<br />
Fotos: DAI, Abteilung Athen<br />
4 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 5
NACHRICHTEN<br />
NEARCH<br />
Archäologie<br />
und Öffentlichkeit<br />
Archäologie ist seit ihren Anfängen eine<br />
internationale Angelegenheit, und so lange<br />
steht sie auch schon im Interesse <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit. Diesem Umstand trägt nun<br />
auch die Europäische Kommission Rechnung,<br />
die ab 2013 für fünf Jahre das Verbundprojekt<br />
„NEARCH – New scenarios for<br />
a community-involved archaeology“ mit<br />
einem Anteil von 2,5 Millionen Euro för<strong>der</strong>n<br />
wird.<br />
Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> ist<br />
an allen Arbeitspaketen beteiligt und wird<br />
im Jahr 2018 die internationale Abschlusskonferenz<br />
„Archäologie und Kulturerbemanagement<br />
an Weltkulturerbestätten.<br />
Soziale und ökonomische Implikationen“,<br />
organisieren und inhaltlich vorbereiten.<br />
Die Beiträge werden anschließend in einem<br />
Tagungsband veröffentlicht.<br />
NEARCH ist das <strong>der</strong>zeit umfangreichste europäische<br />
Programm zu archäologischer<br />
Forschung in fast allen ihren Aspekten.<br />
15 universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen<br />
aus elf europäischen<br />
Län<strong>der</strong>n sind beteiligt, um an dem<br />
umfangreichen Vorhaben zu arbeiten:<br />
heit“<br />
werden die Mechanismen<br />
untersucht, mit denen die Öffentlichkeit<br />
informiert und in archäologie-relevante<br />
Themen einbezogen werden kann.<br />
Ziel ist es, die <strong>der</strong>zeitige Praxis weiterzuentwickeln<br />
und neue Zielgruppen zu<br />
erreichen.<br />
Archäologie als internationale Wissenschaft – eine Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler<br />
aus verschiedenen europäischen Län<strong>der</strong>n am Grabungsplatz Ulpiana, einer römischen Stadt<br />
in <strong>der</strong> Provinz Moesia superior. Die Ruinen liegen etwa zehn Kilometer südöstlich von Priština<br />
im Kosovo.<br />
Foto: Teichner<br />
<br />
beleuchtet die Schnittstellen zwischen<br />
Wissenschaft und Kunst. Die För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen<br />
Archäologen und zeitgenössischen<br />
Künstlern soll angeregt, das Ergebnis in<br />
Ausstellungen präsentiert werden.<br />
<br />
Möglichkeiten entwickeln, Informationen<br />
aus dem breiten Spektrum von<br />
Wissenschaft und Kulturerbemanagement<br />
auf neuen, vor allem webbasierten,<br />
Wegen weiterzugeben und zu<br />
verbreiten.<br />
<br />
von Nachwuchswissenschaftlern. Hierzu<br />
sollen Wege entwickelt und geför<strong>der</strong>t<br />
werden, wie archäologisches Wissen und<br />
archäologische Praxis an junge Wissenschaftler<br />
weitergegeben werden kann.<br />
<br />
untersucht Archäologie in einem sich<br />
wandelnden ökonomischen Umfeld:<br />
Hier wird ein neues ökonomisches<br />
Modell für nachhaltiges Arbeiten in <strong>der</strong><br />
Archäologie formuliert, das auf dem<br />
Erfahrungsaustausch und auf einschlägigen<br />
Studien in verschiedenen Teilen<br />
Europas basiert.<br />
<br />
auf dem „Weg zu einer globalen<br />
Archäologie“ sollen die sozialen<br />
Komponenten von Archäologie in<br />
verschiedenen Teilen <strong>der</strong> Welt beleuchtet<br />
und ihre wechselseitigen Entwicklungen<br />
untersucht werden.<br />
<br />
Zusammenarbeit sind Koordination und<br />
Projektkommunikation, die För<strong>der</strong>ung<br />
von Forschungsaufenthalten von<br />
Archäologen sowie zielführende<br />
Aktionen zur Verbreitung und Kommunikation<br />
<strong>der</strong> Projektziele.<br />
Für das DAI leitet und koordiniert Dr. Friedrich<br />
Lüth, Son<strong>der</strong>beauftragter des <strong>Institut</strong>s<br />
für Kulturerhalt und Site-Management, die<br />
Arbeiten im Projektverbund NEARCH. <br />
MUSCHELN<br />
Dass die Muscheln hier nicht heimisch sind, sieht man<br />
auf den ersten Blick, nicht aber, wo sie hingerieten …<br />
6 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 7
1 Besuch eines Fundortes mit<br />
einem lokalen Mitarbeiter <strong>der</strong> QMA<br />
2 Fundamente eines Gebäudes<br />
auf <strong>der</strong> Festung von Asaila<br />
NACHRICHTEN<br />
1 2<br />
Kulturlandschaften in ariden Regionen<br />
Archäologie in Katar<br />
Funde eines vorgeschichtlichen<br />
Siedlungsplatzes: Steinbeile<br />
und Messer aus Feuerstein<br />
Fotos: DAI, Orient-Abteilung<br />
Im Jahr 2022 zieht die Fußballweltmeisterschaft<br />
in ein Land, das bislang auf <strong>der</strong><br />
Sport-Landkarte noch nicht so häufig auftauchte.<br />
Große Investitionen sind nötig,<br />
um dem Ereignis eine geeignete Arena zu<br />
bieten – 120 Milliarden Euro will das Emirat<br />
Katar in Infrastruktur und große Bauvorhaben<br />
investieren.<br />
Die geplanten Großprojekte werden massiv<br />
in den Naturraum des Landes eingreifen.<br />
Deswegen hat die katarische<br />
Anti kenbehörde beschlossen, großflächig<br />
archäologische Prospektionen durchzuführen,<br />
um das kulturelle Erbe des Landes<br />
zu dokumentieren. Einer <strong>der</strong> Partner bei<br />
diesem Vorhaben ist das Deutsche Archäologische<br />
<strong>Institut</strong> (DAI). Bereits im letzten<br />
Jahr wurde in Doha ein Abkommen über<br />
eine archäologische Kooperation zwischen<br />
<strong>der</strong> Qatar Museums Authority (QMA) und<br />
dem DAI unterzeichnet.<br />
Im verabredeten Projekt soll zunächst das<br />
archäologische Potential einer ariden Region<br />
auf <strong>der</strong> arabischen Halbinsel erkundet<br />
werden. Das DAI stellt <strong>der</strong> QMA darüber<br />
hinaus Expertise bei <strong>der</strong> systematischen<br />
Erfassung archäologischer Fundplätze zur<br />
Verfügung. Die erste Feldforschungs-Kampagne,<br />
an <strong>der</strong> von Seiten des DAI neun Archäologen<br />
und Geomorphologen beteiligt<br />
waren, fand von Anfang November bis Mitte<br />
Dezember 2012 statt, eine weitere<br />
erfolgte von Februar bis April 2013. Das<br />
Forschungsgebiet umfasste die südliche<br />
Hälfte <strong>der</strong> Halbinsel von Katar, die bisher<br />
noch nicht systematisch erforscht wurde.<br />
Bis heute konnten rund 250 Fundstellen<br />
dokumentiert werden. Die Überreste<br />
menschlicher Besiedlung und Landnutzung<br />
reichen von <strong>der</strong> Jungsteinzeit bis in<br />
die allerjüngste Vergangenheit des Staates,<br />
sie sind deutlich auf unterschiedliche<br />
Landschaften verteilt. Alte Strandwälle<br />
und Küstenlinien werden von Geomorphologen<br />
untersucht und rekonstruiert, weitere<br />
Studien geben Hinweise auf die Verän<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Umwelt im Holozän.<br />
„Zu den herausragenden Fundstätten zählen<br />
Ortslagen, die in den überregionalen<br />
Güter- und Technologietransfer eingebunden<br />
waren“, erklärt Prof. Dr. Ricardo Eichmann,<br />
Direktor <strong>der</strong> Orientabteilung des<br />
DAI. „Das war so in <strong>der</strong> Jungsteinzeit, also<br />
vom 7. bis ins 5. Jahrtausend v. Chr., aber<br />
auch während <strong>der</strong> Kolonialzeit im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.“<br />
Gefunden haben die Archäologen<br />
bislang hauptsächlich Feuersteingeräte<br />
und Fragmente von Keramikgefäßen.<br />
Die nächste Kampagne beginnt im Februar<br />
2014. <br />
MUSCHELFUSSBODEN<br />
… Mauerumrisse eines Gebäudes werden erkennbar. Unendlich viele in<br />
unendlicher Fleißarbeit verlegte Muscheln bedeckten seinen Fußboden in …<br />
8 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 9
MayaArch3D<br />
Ein neues Werkzeug für die Archäologie<br />
NACHRICHTEN<br />
3D-Modelle von Skulpturen und Gebäuden,<br />
ganzer Landschaften und Städte sind<br />
ein wichtiges Arbeitsinstrument mo<strong>der</strong>ner<br />
Altertumsforschung. Vergleicht man sie<br />
miteinan<strong>der</strong> und verknüpft sie mit an<strong>der</strong>en<br />
Daten, können sie neue Aufschlüsse<br />
geben über die Beschaffenheit antiker Gesellschaften.<br />
Doch dazu muss man sie<br />
leicht finden und analysieren können. An<br />
dieser Schnittstelle zwischen Archäologie<br />
und Computerwissenschaften arbeitet das<br />
Verbundprojekt „MayaArch3D“, bei dem<br />
das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> (DAI)<br />
mit <strong>der</strong> Universität Heidelberg kooperiert.<br />
Mit 3D-Technologien und web-gestützten<br />
Geoinformationsdiensten schafft Maya-<br />
Arch3D neue Forschungswerkzeuge für<br />
Archäologie, Kunstgeschichte und Denkmalpflege:<br />
Archäologische Fundorte, weitverstreute<br />
Informationen und Objekte<br />
werden auf einer Internetplattform nach<br />
internationalen Standards dokumentiert,<br />
georeferenziert, virtuell zusammengeführt<br />
und analysiert.<br />
Das Projekt „Webbasierte 3D-Geoinformationssystem<br />
(GIS) zur Analyse <strong>der</strong> Archäologie<br />
von Copan, Honduras“ unter <strong>der</strong> Lei-<br />
tung von Dr. Jennifer von Schwerin und Dr.<br />
Markus Reindel von <strong>der</strong> Kommission für<br />
Archäologie Außereuropäischer Kulturen<br />
des DAI (KAAK) in Bonn ist eine Art Pilotprojekt<br />
für die Entwicklung dieser neuen<br />
Werkzeuge. Informationen zu Archäologie,<br />
Architektur und Funden aus Copán werden<br />
nach Datentyp, Informationsgehalt und<br />
insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich ihrer späteren<br />
Verwendung für die GIS-Analyse gesammelt,<br />
strukturiert und in einer Datenbank<br />
abrufbar gemacht.<br />
„Für Copán können wir so eine Analyse <strong>der</strong><br />
räumlichen Struktur vornehmen, die wichtige<br />
Erkenntnisse über die sozioökonomischen<br />
Verhältnisse, die Verän<strong>der</strong>ung des<br />
Stadtbildes im Laufe <strong>der</strong> Zeit und über die<br />
Geschichte <strong>der</strong> Maya-Kultur im Allgemeinen<br />
geben kann“, sagt Jennifer von Schwerin.<br />
„Durch die Untersuchung von Zugangsmustern<br />
können öffentliche von<br />
nichtöffentlichen Räumen unterschieden<br />
werden. Sichtverbindungen zwischen<br />
Gebäuden und Monumenten geben Aufschluss<br />
über urbane Strukturen und<br />
Gestaltungsprinzipien <strong>der</strong> jeweiligen Herrscher.“<br />
Mit einer Technologie, die normalerweise<br />
bei Computerspielen eingesetzt<br />
wird, und ihrer Kombination mit einem<br />
Geoinformationssystem (GIS), das detaillierte<br />
Daten über die Bauten von Copán<br />
enthält, entsteht ein dreidimensionales<br />
Bild des Komplexes, das es erlaubt, eine Art<br />
virtuellen Spaziergang durch das Areal zu<br />
machen. Zusätzliche Informationen sind<br />
per Mausklick zugänglich.<br />
Das Forschungswerkzeug soll es Wissenschaftlern<br />
erlauben, die Vorteile von 3D-<br />
Darstellungen und -Simulationen mit den<br />
analytischen Möglichkeiten eines GIS zu<br />
kombinieren, um online und in Echtzeit die<br />
Vergleiche und Analyse einer Vielzahl von<br />
Datentypen zu ermöglichen und so Architektur<br />
und Landschaft als ein integriertes<br />
System zu betrachten.<br />
Die Entwicklung des Systems wird vom<br />
Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
geför<strong>der</strong>t. Im Rahmen <strong>der</strong> fortgesetzten<br />
Arbeiten sollen unter an<strong>der</strong>em<br />
eine neue Open Source-Software für die<br />
dreidimensionale Bewegung sowie ein eigener<br />
Geo-Browser entstehen. Jennifer<br />
von Schwerin: „Entscheidend ist, dass wir<br />
Standards für das Management dreidimensionaler<br />
Daten haben.“<br />
<br />
IM HAUS<br />
… in einem Wohnhaus in einer Befestigung.<br />
Los Castillejos de Alcorrín liegen in Manilva in <strong>der</strong> Nähe von Málaga in Spanien. Die Castillejos waren die umfangreichste Befestigung<br />
im fernen Westen, die während <strong>der</strong> frühesten Phase <strong>der</strong> phönizischen Expansion am Ende des 9. Jahrhun<strong>der</strong>ts v. Chr. entstand, aber bereits<br />
im späten 8. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr wie<strong>der</strong> aufgegeben wurde. Zu dieser Zeit hatten sich die phönizischen Faktoreien an <strong>der</strong> Küste<br />
konsolidiert.<br />
Die Abteilung Madrid des DAI unter <strong>der</strong> Leitung von Prof. Dr. Dirce Marzoli erforscht eine Kultur, die ostmediterrane ebenso wie einheimische<br />
Züge trägt. Die Funde in Alcorrín zeigen die Auswirkungen <strong>der</strong> Begegnung zwischen Einheimischen und Phöniziern, die sich in<br />
Gestalt einer orientalisierenden Mischkultur manifestieren.<br />
Das neue Werkzeug ermöglicht es, 3D-Modelle archäologischer Funde<br />
in ihrem Kontext darzustellen und zu verstehen.<br />
Mehr dazu im nächsten Heft.<br />
Fotos: DAI, Abteilung Madrid, Patterson<br />
10 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 11
CULTURAL HERITAGE<br />
Die Rote Halle bestimmt noch heute das Stadtbild von Bergama. Ansicht vom Burgberg.<br />
HADRIANS MÄCHTIGER TEMPEL<br />
Restaurierungsarbeiten an <strong>der</strong> Roten Halle in Bergama<br />
Bergama ist eine kleine Stadt in <strong>der</strong> Türkei, 80 Kilometer nördlich<br />
von Izmir, <strong>der</strong>en archäologischer Ruhm dem flüchtigen Betrachter<br />
vor allem durch einen Altar gegenwärtig ist, <strong>der</strong> in Teilen in einem<br />
Berliner Museum steht. Es trägt sogar den antiken griechischen<br />
Namen <strong>der</strong> Stadt: Pergamon. Nicht ganz so berühmt ist <strong>der</strong> riesige<br />
Vielgöttertempel in Bergama, dessen Grundfläche mit dem vorgelagerten<br />
Platz fast die Ausdehnung des Trajansforums in Rom erreicht.<br />
Ein riesiger Bau, <strong>der</strong> vieles in den Schatten stellte und auch<br />
in seinem Innern nicht auf gewaltige Formen verzichtete. Acht<br />
Meter hohe Stützfiguren mit ausladendem Kopfputz trugen das<br />
Hallendach und schufen so die richtige Atmosphäre für Götterverehrung<br />
und Kaiserkult. Denn <strong>der</strong> Tempel ist römisch, stammt aus<br />
dem 2. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr., <strong>der</strong> Bauherr war Kaiser Hadrian. Die<br />
Stützfiguren waren inspiriert von den Darstellungen ägyptischer<br />
Gottheiten, die Hadrian auf seiner Reise an den Nil gesehen hatte<br />
und die er sich für seinen Monumentalbau in Kleinasien wünschte.<br />
Durch das kaiserliche Bauprojekt wurde das Bild <strong>der</strong> Stadt völlig<br />
verän<strong>der</strong>t, sogar <strong>der</strong> Fluss Selinus wurde in zwei Tunnel gezwängt,<br />
und noch heute bestimmt die Ruine das Bild des<br />
mo<strong>der</strong>nen Bergama, das damit eines <strong>der</strong> bedeutendsten römi-<br />
schen Monumente in Kleinasien beherbergt. Das Hauptgebäude<br />
des Tempels wird „Rote Halle“ genannt – die verbauten Ziegel gaben<br />
ihr den Namen.<br />
I N S ICHE RHE IT<br />
An<strong>der</strong>s als die Ruinen des hellenistischen Ortes wurde die Rote<br />
Halle ein Teil <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Stadt. Das heißt, sie gelangte nie unter<br />
die Erde und wurde knapp zweitausend Jahre lang für unterschiedliche<br />
Zwecke genutzt. Dies konnte nicht geschehen, ohne<br />
Spuren zu hinterlassen: Der südliche <strong>der</strong> zwei Türme, in dem unter<br />
an<strong>der</strong>em eine Fabrik untergebracht war, die Oliven verarbeitete,<br />
war beson<strong>der</strong>s stark gefährdet. In die originale römische Kuppel<br />
drang das Regenwasser ungehin<strong>der</strong>t ein, im Inneren lagerten sogar<br />
tonnenschwere Fundstücke auf einem empfindlichen Gewölbe,<br />
das zudem an mehreren Stellen eingebrochen war.<br />
2006 startete die Abteilung Istanbul des DAI unter <strong>der</strong> Leitung<br />
von Felix Pirson und Martin Bachmann mit Unterstützung <strong>der</strong> Studiosus<br />
Foundation e. V. ein mehrjähriges Projekt zur Restaurierung<br />
des Turms und <strong>der</strong> Überdeckung und Sicherung seiner originalen,<br />
römischen Kuppelkonstruktion.<br />
12 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 13
CULTURAL HERITAGE<br />
Mit Unterstützung des Kulturerhalt-Programms des Auswärtigen<br />
Amts wurde 2008 eine hochwertige, denkmalgerechte Bleideckung<br />
aufgebracht, die den antiken Baubestand auf Jahrzehnte<br />
schützen wird. Nach Abschluss dieser Arbeiten war es auch erstmals<br />
möglich, den großartigen Innenraum <strong>der</strong> Rotunde für Besucher<br />
zu öffnen. Die Einweihung erfolgte im September 2009.<br />
Im selben Jahr begann ebenfalls mit Unterstützung <strong>der</strong> Studiosus<br />
Foundation im Seitenhof <strong>der</strong> Roten Halle ein weiteres Teilprojekt.<br />
Eine <strong>der</strong> Stützfiguren, die einst anstelle von Säulen den Hof gerahmt<br />
hatten und <strong>der</strong>en Fragmente im Inneren des Rundturms<br />
gezeigt werden, wurde in voller Höhe unter Verwendung von Originalteilen<br />
rekonstruiert.<br />
Am 26. September 2013 ist die ägyptische Gottheit Sachmet in<br />
Bergama auferstanden.<br />
<br />
Als man in den dreißiger Jahren die osmanischen Wohnhäuser, die ins<br />
Innere <strong>der</strong> Roten Halle eingedrungen waren, abriss, fand man Fragmente<br />
römischer Monumentalskulpturen, die in ägyptischem Stil gehalten<br />
waren und <strong>der</strong>en Gesichter aus schwarzem Marmor gefertigt waren. Die<br />
Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> Pergamongrabung gingen davon aus, dass<br />
es sich um einen Tempel des Serapis o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Isis handeln musste.<br />
Die Deutung, dass <strong>der</strong> Bau ein Heiligtum ägyptischer Götter war, konnte<br />
im Folgenden bestätigt werden, aber die Götter hatten Gesellschaft<br />
bekommen. Auch <strong>der</strong> römische Kaiser selbst wurde hier verehrt.<br />
Die Stützfigur, die nun restauriert wurde, ist mit an Sicherheit grenzen<strong>der</strong><br />
Wahrscheinlichkeit die Göttin Sachmet, Repräsentantin des Krieges,<br />
<strong>der</strong> Krankheiten und verantwortlich für Epidemien – die sich durch Gebete<br />
aber besänftigen ließ. Auf antikisierende Täuschungen wurde bei <strong>der</strong><br />
Rekonstruktion verzichtet. Die neuen Teile sind deutlich von den originalen<br />
zu unterscheiden. Anhand <strong>der</strong> Muster aus an<strong>der</strong>en Fragmenten, die in <strong>der</strong><br />
Roten Halle gefunden worden waren, konnte man mit Laserscans und einer<br />
digitalen Fräse Modelle <strong>der</strong> Einsatzstücke herstellen, die als Vorlagen für<br />
die Arbeit dienten. Ein Steinmetzmeister aus Bergama schuf in Anlehnung<br />
an die antike Bildhauerkunst das Oberteil aus weißem Marmor von <strong>der</strong><br />
Insel Prokonnesos, dem Material <strong>der</strong> Originalfragmente, neu. Der dunkle<br />
Marmor stammt aus <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> westtürkischen Stadt Afyon. Im<br />
originalen Bau war die technische Konstruktion <strong>der</strong> Großstatuen mit<br />
äußerster Präzision und Raffinesse ausgeführt, und so erwies sich bei <strong>der</strong><br />
Restaurierung die Kombination mo<strong>der</strong>ner Technik mit klassischer<br />
Bildhauerkunst als ideal für die notwendige Präzision beim Herstellen <strong>der</strong><br />
anspruchsvollen Verbindungsstellen. Zusammen mit <strong>der</strong> kulturhistorischen<br />
Bedeutung <strong>der</strong> ägyptisierenden Bildwerke sind Sachmet und ihre<br />
Gefährten wohl die ungewöhnlichsten Zeugnisse römischer Bildhauerkunst<br />
in Kleinasien.<br />
14 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 15
FORSCHUNG F ÜR DIE S TADT<br />
„Die Kombination aus Forschung und<br />
Denkmalpflege, wie das Deutsche Archäologische<br />
<strong>Institut</strong> sie durchführt, schafft Ergebnisse<br />
von großer Nachhaltigkeit, die zu<br />
Meilensteinen <strong>der</strong> Erhaltung und Präsentation<br />
archäologischer Denkmäler in <strong>der</strong> Türkei<br />
geworden sind. Städtebauliche und soziale<br />
Kontexte spielen dabei eine größer<br />
werdende Rolle, und die Rote Halle wurde<br />
zum Schwerpunktprojekt, weil sie eine bedeutende<br />
Schlüsselfunktion im neuen touristischen<br />
Erschließungskonzept für Pergamon<br />
hat. In Zukunft soll die Altstadt von<br />
Bergama mit ihren zahlreichen Monumenten<br />
osmanischer und multiethnisch geprägter<br />
Architektur stärker in das Besichtigungsprogramm<br />
eingebunden werden.<br />
Besucher können so 4000 Jahre Siedlungs-<br />
Prof. Dr. Felix Pirson (li.) ist Direktor <strong>der</strong><br />
Abteilung Istanbul des DAI und Leiter <strong>der</strong><br />
Pergamongrabung. Foto: Engel<br />
Dr.-Ing. Martin Bachmann (re.), stellvertreten<strong>der</strong><br />
Direktor <strong>der</strong> Abteilung, leitet die Arbeiten<br />
an <strong>der</strong> Roten Halle in Bergama.<br />
und Stadtgeschichte <strong>der</strong> Ostägäis im Umfeld<br />
einer mo<strong>der</strong>nen türkischen Kleinstadt<br />
erfahren. Die neuartige Präsentation ist<br />
epochenübergreifend und bezieht das<br />
Umland <strong>der</strong> Stadt mit ein. Sie ist die Grundlage<br />
für die Bewerbung Bergamas um einen<br />
Platz auf <strong>der</strong> Welterbeliste <strong>der</strong> UNESCO.<br />
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />
<strong>der</strong> Stadt sind in diesem Projekt des DAI so<br />
miteinan<strong>der</strong> verbunden, dass nicht nur die<br />
Forschung davon profitiert, son<strong>der</strong>n auch<br />
die Stadt selbst. Lokale Fachkräfte werden<br />
im Rahmen des Projekts ausgebildet, und<br />
die Handwerker arbeiten zum Teil schon<br />
seit Generationen für das Deutsche Archäologische<br />
<strong>Institut</strong>.“<br />
Felix Pirson und Martin Bachmann<br />
KOOPERATION<br />
<strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong><br />
(Leitung und Durchführung)<br />
<strong>Institut</strong> für Baugeschichte, Historische Bauforschung<br />
und Denkmalpflege <strong>der</strong> TU München<br />
(Baudokumentation)<br />
Josef Steiner-Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe<br />
(Tragwerksplanung)<br />
Adnan Elidenk, Bergama (Stahlbauarbeiten)<br />
Christof Kronewirth, Berlin (Steinmetzarbeiten)<br />
Semih Uçar, Istanbul (Bleideckung)<br />
D I E FÖRDE R E R<br />
Die Sanierung, Instandsetzung und museale<br />
Nutzung des südlichen Rundturms <strong>der</strong><br />
„Roten Halle“ wurde seit 2005 von <strong>der</strong> Studiosus<br />
Foundation e. V. finanziert, mit <strong>der</strong><br />
För<strong>der</strong>ung in den Jahren 2008 bis 2009<br />
konnten die Instandsetzungsmaßnahmen<br />
beendet werden. Darüber hinaus för<strong>der</strong>te<br />
die Foundation von 2009 bis 2013 das Projekt<br />
„Ägyptischer Atlant“ mit <strong>der</strong> Restaurierung<br />
und Aufstellung <strong>der</strong> ägyptisierenden<br />
Atlanten im Hof <strong>der</strong> Roten Halle.<br />
Die Kulturerhaltmittel des Auswärtigen<br />
Amts ermöglichten die Errichtung <strong>der</strong> neuen<br />
Bleiabdeckung des südlichen Turms <strong>der</strong><br />
Roten Halle, weitere Unterstützung leisteten<br />
die Ernst Reuter Initiative und die Kulturstiftung<br />
<strong>der</strong> deutsch-türkischen Wirtschaft.<br />
CULTURAL HERITAGE<br />
1<br />
2<br />
3<br />
1 46 Tonnen Material mussten weichen.<br />
2 Zwei erhaltene Marmorkonsolen – letzte<br />
Zeugen des antiken Dachabschlusses – waren<br />
durch eindringende Feuchtigkeit nicht mehr<br />
mit <strong>der</strong> Kuppel verbunden und im Begriff,<br />
mitsamt dem Mauerblock in die Tiefe zu gleiten.<br />
3 Ein Dachdeckermeister aus Bergama besorgte<br />
die neue Bleideckung <strong>der</strong> Kuppel.<br />
Nach Abschluss <strong>der</strong> Arbeiten präsentiert sich<br />
die Kuppel des südlichen Rundturmes <strong>der</strong><br />
Roten Halle nun mit einer dauerhaften Deckung,<br />
wie sie auch in <strong>der</strong> Antike bestanden haben<br />
könnte.<br />
Fotos: DAI, Abteilung Istanbul<br />
16 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 17
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
ARCHÄOLOGIE AUF<br />
ABGELEGENEN INSELN<br />
Forschungen zur Besiedlungsgeschichte des westlichen Pazifik<br />
Es ist heiß, es ist matschig, es ist anstrengend, und man darf nicht<br />
überall hin. Ohne Malariaschutz sollte man ohnehin nicht in <strong>der</strong><br />
Gegend sein. Es gibt we<strong>der</strong> Zerstreuung <strong>der</strong> gewohnten Art, noch<br />
kühle Cocktails, die von lächelnden Kellnern am Platz serviert werden.<br />
Doch wenn Johannes Moser gefragt wird, wo er arbeitet, ist<br />
die Reaktion auf die Antwort immer gleich: „Sofort haben die Leute<br />
eine Fototapete mit palmengesäumten weißen Sandstränden vor<br />
Augen und erklären mir: ‚Du arbeitest, wo an<strong>der</strong>e Urlaub machen.’“<br />
18 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 19
Englisch, die heimischen Sprachen entstammen <strong>der</strong> ozeanischen Sprachgruppe, die ihrerseits<br />
zur austronesischen Familie mit 1150 Sprachen gehören.<br />
D I E FORME N DE S U MGANGS<br />
„Die Sprache <strong>der</strong> Verständigung zwischen Archäologen und Gastgebern ist Pidgin-Englisch“,<br />
erzählt Johannes Moser. Und Verständigung meint wie stets nicht nur die Sprache<br />
an sich. Hat man erst einmal die Lizenz zum Graben vom Ministerium für Kultur und Tourismus,<br />
heißt das noch lange nicht, dass man einfach loslegen kann. Auch <strong>der</strong> Provinzgouverneur<br />
muss zustimmen, am wichtigsten ist aber das OK des lokalen Chiefs, den es nicht<br />
son<strong>der</strong>lich interessiert, ob „<strong>der</strong> Staat“ irgendetwas genehmigt hat.<br />
Gefragt sind Geduld, Sorgfalt, Respekt und Fingerspitzengefühl. Die Inselbewohner haben<br />
allen Grund, misstrauisch zu sein. Die kollektive Erinnerung ist voll von Raub- und<br />
Mordgeschichten, die mit den Kolonisatoren kamen. „Während <strong>der</strong> Kolonialzeit wurden<br />
Ethnographika in rauen Mengen außer Landes geschafft“, weiß Moser. Sie wurden verkauft<br />
o<strong>der</strong> ins Museum gestellt. „Zum Glück kommt jemand, <strong>der</strong> im Ministerium arbeitet,<br />
aus Malaita. Er kann zwischen uns, den Behörden und dem Dorf vermitteln.“<br />
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
Das ‚Ria-Felsschutzdach’ scheint eine nähere Untersuchung wert zu sein. Die Ablagerungen versiegeln und erhalten die archäologischen Funde. Foto: Moser<br />
„Ist man einmal akzeptiert, ist es fast, als sei man adoptiert worden“ erzählt Moser. Damit<br />
ist die Verantwortung für den Gast unverbrüchlich auf die Gastgeber übergegangen.<br />
Nicht, dass ihm etwas zustößt in <strong>der</strong> ihm noch unbekannten Welt. „Umgekehrt würde ich<br />
natürlich niemals auf die Idee kommen, ein Tabu zu brechen“, beschreibt <strong>der</strong> Archäologe<br />
eine <strong>der</strong> Grenzen wissenschaftlicher Arbeit. Es gibt Orte, die unmissverständlich mit einem<br />
strengen Tabu belegt sind und die nicht gestört werden dürfen. Die Zeiten haben<br />
sich geän<strong>der</strong>t. „In the name of science“ heißt heute eben auch zu wissen, wann man aufhören<br />
muss.<br />
„Wenn wir etwas entdecken o<strong>der</strong> vermuten, fragen wir immer zuerst, ob wir nachsehen<br />
dürfen“, sagt <strong>der</strong> Archäologe. „Wenn sie ‚nein’ sagen, ist das ein Nein, und niemand verliert<br />
mehr ein Wort darüber.“<br />
Johannes Moser ist Prähistoriker, Wissenschaftler an <strong>der</strong> Kommission<br />
für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI (KAAK) in<br />
Bonn. Die Vergangenheit, die er erforscht, ist so fern wie die Inseln<br />
am an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Welt, auf denen er seit 2011 die Spuren<br />
menschlicher Anwesenheit in einer archäologisch wenig erforschten<br />
Region untersucht. Denn während die Besiedlungsgeschichte<br />
Südostasiens, Australiens und des Bismarck-Archipels gut untersucht<br />
ist, weiß man noch sehr wenig über die Ausbreitung prähistorischer<br />
Menschen in den pazifischen Raum, welchen Weg sie<br />
wählten, warum sie überhaupt kamen und wann sie auftauchten.<br />
Erste Daten belegen, dass Menschen sich schon vor gut 30.000<br />
Jahren mittels geeigneter Wasserfahrzeuge und im Besitz hervorragen<strong>der</strong><br />
navigatorischer Kenntnisse aufmachten, um die weite<br />
Inselwelt des westlichen Ozeaniens zu erschließen. Vor 3.500 Jahren<br />
gab es eine zweite Einwan<strong>der</strong>ungsbewegung. Die „Neuen“<br />
bringen verzierte, in Stichtechnik aufpunktierte Keramik mit, die<br />
heute als Lapita-Keramik bekannt ist, Obsidian- und Feuersteinhandel<br />
zeugen von einem extensiven Ressourcenmanagement.<br />
Woher die „Lapita“-Leute kamen, ist nicht genau bekannt. Die Archäologen<br />
wissen aber, dass sie viel reisten, um regen Handel zu<br />
treiben.<br />
Die DAI-Wissenschaftler wollen nun die Grundlagen <strong>der</strong> lang andauernden<br />
Tradition <strong>der</strong> Steingerätebearbeitung erforschen, die<br />
erst in <strong>der</strong> Zeit des ersten Kontakts mit den Europäern aufgegeben<br />
wird und nun ganz zu verschwinden scheint.<br />
Die Salomonen waren immer eine bedeutende, gut vernetzte kulturgeographische<br />
Kontaktzone zwischen den Großregionen Südostasien,<br />
Australien und <strong>der</strong> pazifischen Inselwelt. Heute sind sie<br />
eine Parlamentarische Monarchie, Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth<br />
II., denn die seit 1978 unabhängigen Solomon Islands sind<br />
Angehörige des Commonwealth of Nations. Amtssprache ist<br />
1<br />
2<br />
1 In <strong>der</strong> dichten Vegetation des immerfeuchten<br />
Regenwaldes sind Messungen<br />
und Kartierung ein Kunststück.<br />
2 Archäologen und Ethnologen<br />
sind bei <strong>der</strong> Arbeit nie allein.<br />
Fotos: Hartl-Reiter<br />
Foto S. 18/19 Moser;<br />
Karte basierend auf Googlemaps<br />
20 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 21
Die Masse <strong>der</strong> Kerne, Abschläge, Schlagsteine,<br />
Halbfabrikate und fertigen Geräte, die größtenteils<br />
unbenutzt zu sein scheinen, zeigt, dass <strong>der</strong><br />
Fundplatz in erster Linie eine Manufaktur für<br />
Steinbeile und an<strong>der</strong>e Werkzeuge war.<br />
Foto (li.): Raroirae<br />
Fotos (unten): Hartl-Reiter<br />
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
Mosers Mitarbeiter vor Ort:<br />
Die Archäologin Annette Kühlem und <strong>der</strong><br />
Vermessungsingenieur Christian Hartl-Reiter.<br />
Der Prähistoriker Dr. Johannes Moser<br />
ist Referent für den Westpazifik an <strong>der</strong><br />
Kommission für Archäologie Außereuropäischer<br />
Kulturen (KAAK) des DAI<br />
PRODUKTIONSZE NTRUM F ÜR<br />
D E N Ü B E RSEE- H ANDE L<br />
Im Spätherbst 2011 hatten die DAI-Archäologen eine erste Erkundungsreise<br />
auf <strong>der</strong> Insel Malaita unternommen. „Wir entdeckten<br />
mehrere Höhlen und Felsdächer, die Spuren menschlicher Präsenz<br />
in vorgeschichtlicher Zeit zeigen“, sagt Moser. Abschlagmaterial<br />
aus Stein, Geröll, das offenbar ortsfremd war, aber auch Gehäuse<br />
verschiedener Schnecken und Muscheln gehören zu den Funden.<br />
Die Archäologen untersuchten zwei Schlagplatzreviere, von denen<br />
eines abseits des Weilers Maniaha im höher gelegenen und<br />
schwer zugänglichen Bergland liegt. In <strong>der</strong> dichten Vegetation des<br />
immerfeuchten Regenwaldes sind Messungen und Kartierung ein<br />
Kunststück. Doch die Dorfbewohner wissen, dass <strong>der</strong> Platz mehrere<br />
tausend Quadratmeter groß sein muss, und die Masse <strong>der</strong> Kerne,<br />
Abschläge, Schlagsteine, Halbfabrikate und fertigen Geräte,<br />
die größtenteils unbenutzt zu sein scheinen, zeigt, dass <strong>der</strong> Fundplatz<br />
in erster Linie eine Manufaktur für Steinbeile und an<strong>der</strong>e<br />
Werkzeuge war. „Wir waren das nicht“, beteuern die Inselbewohner<br />
gegenüber Moser. Die Bevölkerung von Nariwarawa und Maniaha<br />
kennt die Genealogie <strong>der</strong> namentlich nennbaren Vorfahren, <strong>der</strong><br />
‚Rioanimai’ o<strong>der</strong> ‚great ancestors’ über 13 Generationen bis ins 18.<br />
und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t zurück. Die 14C-Daten weisen ein Alter <strong>der</strong><br />
Fundstücke aus, das in <strong>der</strong> Zeit vor dem ersten Kontakt mit Europäern<br />
Mitte des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts liegt.<br />
„Wir haben es hier mit einem großräumigen Produktionszentrum<br />
zu tun, von dem aus die Fabrikate als Handels- o<strong>der</strong> Tauschware<br />
überregional in Umlauf gebracht wurden“, sagt Moser. Der Fundort<br />
‚Apunirereha’ hat dabei eine Schlüsselposition auf <strong>der</strong> Insel Malaita.<br />
Kontakte zwischen den Inseln, auch über größere Distanzen,<br />
und funktionierende Beziehungsgeflechte haben im melanesischen<br />
Raum eine lange Tradition ebenso wie die Kenntnisse über<br />
Hochseenavigation, die von den Älteren auf die Jüngeren übergingen<br />
und wo Probleme <strong>der</strong> Bestimmung von Längengraden schon<br />
lange gelöst waren, bevor John Harrison zu Beginn des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
seine berühmte Uhr baute.<br />
Johannes Moser hat sich ein Haus aus Pandanussblättern gebaut,<br />
das gut und gern als Grabungshaus dient. Drei Zimmer mit Veranda<br />
– Baukosten: 500 Euro. Der größte Teil davon war <strong>der</strong> Treibstoff<br />
für die Kettensäge. „Es ist wichtig, dass die Leute, die bei einer<br />
Kampagne dabei sind, Erfahrung haben“, betont Moser. Das<br />
feuchtheiße Klima kann an die Nerven gehen, die üblichen Abwechslungen<br />
fehlen völlig. Hier und da läuft vielleicht mal ein Kassettenrekor<strong>der</strong><br />
im Dorf. Aber ansonsten ist es verdammt ruhig.<br />
„Mir fehlt hier nichts“, sagt <strong>der</strong> Archäologe. „Man lernt wie<strong>der</strong>, sich<br />
abends zu unterhalten.“<br />
Gegessen wird Fisch, Yams und Taro. Zur Abwechslung gibt es Instantnudeln.<br />
Auch auf den Salomonen sind es die Chinesen, die<br />
die kleinen Geschäfte betreiben.<br />
Inzwischen mögen die Insulaner „ihre“ Archäologen und sind sogar<br />
ziemlich stolz darauf, dass sich jemand für sie und ihre Geschichte<br />
interessiert. Manchmal drücken sie ein Auge zu, wenn<br />
unwissentlich ein Tabu gebrochen wurde. „Man darf schon kleine<br />
Fehler machen“, erzählt Johannes Moser. „Aber sie lassen es uns<br />
wissen.“ Bei den Diskussionen ist Chief Andrew immer dabei. <br />
D I E ARCHÄOLOGISCHE N<br />
A RBE ITE N<br />
„Der ausgewählte Fundplatz ‚Apunirereha‘<br />
umschreibt ein etwa 1000 m² großes Gebiet mit<br />
außerordentlich umfangreichem Materialaufkommen<br />
an herbeigeschafften Rohmaterialknollen<br />
und geschlagenen Steingerätschaften. Der<br />
Platz wurde geodätisch erfasst und in seinem<br />
Zentrum durch eine 2 m x 3 m Sondage<br />
gegraben. Das Ziel dieser Sondierung war es, die<br />
Akkumulation an steinzeitlichen Hinterlassenschaften<br />
in ihrem Umfang zu erfassen, mögliche<br />
Verteilungsmuster zu erkennen sowie die<br />
stratigraphische Situation zu klären. Gleichzeitig<br />
sollte datierbares Material zur Altersbestimmung<br />
gewonnen werden. Der Fundplatz wurde<br />
während <strong>der</strong> diesjährigen Geländearbeiten bis<br />
auf eine Tiefe von 60 cm unter das heutige<br />
Geländeniveau ergraben. Aus den Feuerstellen<br />
konnten Holzkohleproben verschiedener<br />
Schichtkontexte isoliert werden, die für eine<br />
Radiokarbondatierung bestimmt waren. Zwei<br />
Proben aus den unteren Straten <strong>der</strong> Sondage<br />
wurden zu Messungen an das AMS-Labor<br />
Erlangen (Physikalisches <strong>Institut</strong>) <strong>der</strong> Friedrich-<br />
Alexan<strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg<br />
geschickt. Der lithische Schlagplatz ‚Apunirereha‘<br />
datiert nach den Ergebnissen <strong>der</strong> 14C-Messungen<br />
auf den Zeitraum zwischen 672 BP ± 42<br />
und 395 BP ± 40.“ (BP = Before Present)<br />
Johannes Moser<br />
Das Grabungshaus ist aus Palmblättern gebaut. Foto: Moser<br />
22 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 23
Digitale Baustelle<br />
Nun kann ja jemand argumentieren: Ich<br />
habe meine Daten, ich werde in meinem<br />
Fach verstanden, das reicht doch …<br />
analoger Form vorliegen und nun digitalisiert<br />
werden, damit sie international zur<br />
Verfügung stehen.<br />
INTERVIEW<br />
Prof. Dr. Reinhard Förtsch ist<br />
Wissenschaftlicher Direktor für<br />
Informationstechnologien an<br />
<strong>der</strong> Zentrale des DAI über das DFGgefördete<br />
Projekt IANUS.<br />
Der digitale Systemumbruch hat auch<br />
vor <strong>der</strong> Archäologie nicht haltgemacht.<br />
Doch die Erweiterung des wissenschaftlichen<br />
Horizonts bringt auch eine<br />
exponentiell gestiegene Menge an –<br />
digitalen – Daten mit sich. Wie<br />
bekommt man so etwas in den Griff?<br />
REINHARD FÖRTSCH<br />
… dazu kommt ja auch noch, dass die Arbeitsgebiete<br />
in <strong>der</strong> Archäologie und den<br />
Altertumswissenschaften außerordentlich<br />
vielfältig sind und sehr heterogene Daten<br />
hervorbringen: Wir haben es mit Texten<br />
und kunsthistorischen Analysen zu tun,<br />
mit Knochen, Scherben und Statuen o<strong>der</strong><br />
auch mit großangelegten Regionalstudien<br />
Interview mit Reinhard Förtsch über Infor mationstechnologien<br />
in den Altertumswissen schaften<br />
und Landschaftsrekonstruktionen. Der erste<br />
Schritt, das in den Griff zu bekommen,<br />
ist ein rein kompilatorischer Vorgang. Es ist<br />
eine Datenwolke o<strong>der</strong> Cloud, in die zunächst<br />
die Daten so aufgenommen werden,<br />
wie sie sind, und zwar alle Arten von<br />
Daten, also auch unbearbeitete Quelldaten<br />
und sogar Zufallsdaten. Das wird die Quelldatenbasis.<br />
Das klingt unübersichtlich.<br />
Das ist es zu Beginn auch. Auf dieser dicken<br />
Wolkenschicht sitzt aber IANUS, das neue<br />
„Forschungsdatenzentrum Archäologie<br />
und Altertumswissenschaften“, konzipiert<br />
als Relais und als eine nationale und internationale<br />
Ressource, in <strong>der</strong> alle Fäden zusammenlaufen<br />
und die eine neue IT-Infrastruktur<br />
für die weltweite Vernetzung<br />
schafft. Die beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
dabei ist, die heterogenen Daten so aufzubereiten,<br />
dass sie interoperabel sind, also<br />
miteinan<strong>der</strong> „sprechen“ können, und zwar<br />
(idealerweise) für sehr lange Zeit. In IANUS<br />
werden also die Daten an<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong><br />
Cloud kuratiert.<br />
Wem steht IANUS zur Verfügung?<br />
IANUS bietet seine Dienstleistungen vorwiegend<br />
archäologischen und altertumswissenschaftlichen<br />
Hochschulen und <strong>der</strong>en<br />
Mitglie<strong>der</strong>n an, aber natürlich auch den Einrichtungen<br />
<strong>der</strong> Denkmalpflege, universitären<br />
Projekten im In- und Ausland o<strong>der</strong> für<br />
didaktische Zwecke in Schule o<strong>der</strong> Weiterbildung.<br />
IANUS, bzw. das DAI wird aber auch<br />
die zentrale Anlaufstelle für diejenigen <strong>Institut</strong>ionen<br />
sein, die die neue IT-Infrastruktur<br />
für die eigene Vernetzung nutzen möchten.<br />
150 Jahre lang haben die Altertumswissenschaften<br />
ohne IT gelebt und auch<br />
Daten produziert. Was geschieht mit<br />
denen?<br />
Die Traditionen <strong>der</strong> Wissensspeicherung<br />
sind so zahlreich wie die Systematiken, mit<br />
<strong>der</strong>en Hilfe das geschieht. Die Folgen sind<br />
komplex, weil aus den vielen gedachten<br />
und gewollten Übersichtlichkeiten die eine<br />
große Unübersichtlichkeit entsteht. In den<br />
Fototheken, Bibliotheken o<strong>der</strong> auch Nachlässen<br />
und Archiven überschneiden sich<br />
die Bestände gelegentlich, die Zuordnungen<br />
können nicht immer eindeutig sein.<br />
Viele dieser „alten“ Daten haben aber einen<br />
unschätzbaren Wert für die Forschung und<br />
müssen gesichert werden. Auch heute entstehen<br />
Unmengen von Daten zu ähnlichen<br />
Dingen in unähnlicher Weise – allein schon<br />
bei den vielen Grabungen und Surveys des<br />
DAI. Wir müssen versuchen, diese Inseldialekte<br />
in eine Art Esperanto für die dynamische<br />
Archivierung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Arbeit zu verwandeln. Für Abfragen in Texten,<br />
das Textmining, wird es ein teilautomatisiertes<br />
Analyse-Instrument geben, das<br />
nach Mustern sucht und so einzelne Daten<br />
sinnvoll aufeinan<strong>der</strong> beziehen kann.<br />
Wieviel neue Grammatik muss man mit<br />
dem digitalen Esperanto dazulernen?<br />
Mit <strong>der</strong> „Übersetzung“ in digitale Sprachen<br />
werden natürlich auch Ordnungen neu gesetzt,<br />
alte Kategorien werden durch neue<br />
ersetzt. Das gilt für Vokabeln ebenso wie<br />
für grammatische Strukturen. Wir sortieren<br />
nicht mehr nur nach „Skulptur“, „Bild“,<br />
„Vase“, „Heiligtum“, „Grab“ ..., son<strong>der</strong>n auch<br />
nach den Kontexten, in denen all dies in<br />
einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten<br />
Zeit aufeinan<strong>der</strong> bezogen existierte.<br />
Das heißt zum Beispiel zu ermitteln, welche<br />
Daten mit einem bestimmten Objekt,<br />
einer Person o<strong>der</strong> einem Gebäude verbunden<br />
sind, und – wichtiger noch – in welcher<br />
Form daraus quantifizierbare Dynamiken,<br />
die sich in Zeit und Raum vollziehen,<br />
ablesbar und darstellbar werden.<br />
Archäologische und altertumswissenschaftliche<br />
Daten sollen also in einer<br />
zentralen Service-Einrichtung zusammenlaufen.<br />
Gibt es keine Bedenken in<br />
<strong>der</strong> Community?<br />
Natürlich müssen wir an einigen Stellen<br />
noch Überzeugungsarbeit leisten. Tatsächlich<br />
ist die Bereitschaft <strong>der</strong> meisten <strong>Institut</strong>ionen<br />
und Personen, sich an dem Projekt<br />
zu beteiligen, sehr groß, da ihnen nun ein<br />
Ort zur Verfügung steht, an dem sie ihre<br />
Daten sicher hinterlegen können. Wir sehen<br />
uns in <strong>der</strong> Tat in erster Linie als Service-<br />
Einrichtung.<br />
Wir leben schon lang in einer international<br />
vernetzten Welt. Wir alle leben von Kooperationen;<br />
das DAI tut dies in beson<strong>der</strong>er<br />
Weise. Die gemeinsame Arbeit in unseren<br />
Gastlän<strong>der</strong>n verpflichtet uns, die gemeinsam<br />
erhobenen Daten auch allen zugänglich<br />
machen. Dies gilt auch und insbeson<strong>der</strong>e<br />
für ältere Daten, die bislang nur in<br />
Wie verläuft insgesamt <strong>der</strong> digitale<br />
Systemumbruch in <strong>der</strong> Archäologie?<br />
Der Prozess läuft sehr gut. Wichtig ist zu<br />
vermitteln, dass IT eine Schlüsseltechnologie<br />
und damit eine Querschnittaufgabe ist,<br />
die nicht von den normalen Arbeitsprozessen<br />
abgekoppelt werden kann. <br />
© artefacts-berlin.de<br />
INTERVIEW<br />
24 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 25
In <strong>der</strong> Nekropole Kabardinka wurden<br />
um Gräber herum Steinkreise errichtet.<br />
LANDSCHAFT<br />
Ausgrabung <strong>der</strong> Steinkreise.<br />
LEBEN AUF DEM HOCHPLATEAU<br />
Eine neu entdeckte Kulturlandschaft im nördlichen Kaukasus<br />
Blick vom Hang auf den Fundplatz<br />
Verchnjaja Kičmalka 1. Es ist eine Siedlung<br />
aus dem 15. / 14. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr.<br />
Von West-Nordwest nach Ost-Südost auf einer<br />
Länge von 1100 Kilometern verläuft zwischen<br />
Schwarzem und Kaspischem Meer ein Gebirge,<br />
das seit <strong>der</strong> Antike fast überladen ist mit<br />
Bedeutung, Kriegen und Reichtümern:<br />
<strong>der</strong> Kaukasus. Gefängnis des Prometheus, zu<br />
allen Zeiten Zankapfel zwischen großen Reichen,<br />
Sperre gegen die „Hunnen“, aber auch<br />
Transit zone, kultureller Schmelztiegel und<br />
Rohstofflager, liegt hier, im Grenzgebiet<br />
zwischen Europa und Vor<strong>der</strong>asien, eine <strong>der</strong><br />
ethnographisch und sprachhistorisch<br />
vielfältigsten Regionen <strong>der</strong> Welt.<br />
26 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 27
Die Prähistorikerin Dr. Sabine Reinhold von<br />
<strong>der</strong> Eurasien-Abteilung des DAI leitet seit 2006<br />
das Projekt „Siedlungstypen im Nordkaukasus in<br />
<strong>der</strong> späten Bronzezeit: Kislovodsk“. Ihr Arbeitsschwerpunkt<br />
ist die Vor- und Frühgeschichte<br />
des Schwarzmeerraumes und Kaukasiens. Das<br />
Projekt wird von <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG) und <strong>der</strong> Russischen Stiftung<br />
für die Geistes- und Sozialwissenschaften<br />
(RGNF) geför<strong>der</strong>t.<br />
LANDSCHAFT<br />
1 2<br />
3<br />
1 Luftbild einer Siedlung mit deutlich<br />
erkennbarem zentralem Platz.<br />
2 Gebäudegrundriss eines doppelräumigen<br />
Wohn-Stallhauses aus <strong>der</strong> Siedlung<br />
Kabardinka 2<br />
3 Einzigartige Steinarchitektur des<br />
2. Jahrtausends v. Chr. – Grundriss eines<br />
Hauses aus <strong>der</strong> Siedlung Gumbaši 1,<br />
in dem Mensch und Tier unter einem Dach<br />
zusammenlebten. Das Gebäude liegt<br />
oberhalb <strong>der</strong> Wasserscheide zwischen<br />
Schwarzem und Kaspischem Meer.<br />
S I E DLUNG UND ERNÄHRUNG<br />
„Erste Funde aus Grabmonumenten, die<br />
mit Hilfe mo<strong>der</strong>ner anthropologischer Methoden<br />
und Isotopen-Analysen zur Ernährungsbasis<br />
untersucht wurden, konnten<br />
ganz verschiedene Fragen zu Ernährung<br />
und Wirtschaftsstrategien <strong>der</strong> Siedler beantworten.<br />
Es zeigt sich, dass es zwischen<br />
dem Leben im Gebirge im 2. Jahrtausend<br />
v. Chr. und <strong>der</strong> Besiedlung <strong>der</strong> Täler im<br />
1. Jahrtausend v. Chr. einen einschneidenden<br />
Wandel bei Ernährung und Wirtschaftsweise<br />
gab: Während die Gebirgsbewohner<br />
sich vermutlich überwiegend von<br />
tierischen Produkten – Fleisch, Milch, Käse<br />
– ernährten, konnte nachgewiesen werden,<br />
dass die Talbewohner deutlich mehr<br />
Getreide, aber fast kein Fleisch zu sich nahmen.<br />
Die Isotopenanalysen bestätigen den<br />
aus <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong> Siedlungsstrukturen postulierten<br />
Subsistenzwechsel zwischen <strong>der</strong><br />
älteren Periode im Gebirge und <strong>der</strong> jüngeren<br />
im Tal.<br />
Neuere Ausgrabungen ermöglichen es darüber<br />
hinaus, Aufschlüsse über die Menschen<br />
zu gewinnen, welche die Extremregion<br />
als erste besiedelten. Erste Indikatoren<br />
aus einem <strong>der</strong> ältesten Fundorte erbrachten<br />
Indizien, dass ein Teil <strong>der</strong> Siedler im Gebirge<br />
vielleicht aus <strong>der</strong> nordkaukasischen<br />
o<strong>der</strong> nordpontischen Steppe kam.<br />
Auch die Untersuchung <strong>der</strong> Grabformen,<br />
<strong>der</strong> materiellen Kultur und <strong>der</strong> kulturellen<br />
Traditionen, vor allem aber <strong>der</strong>en Verän<strong>der</strong>ungen<br />
zu untersuchen, ist ein weiteres<br />
Ziel unseres Nordkaukasus-Projekts. Auch<br />
dies kann Facetten <strong>der</strong> sozialen Dynamik<br />
zeigen, die sich in <strong>der</strong> Siedlungsentwicklung<br />
bereits andeuten.“<br />
Sabine Reinhold<br />
Große Teile des Kaukasus sind archäologisch gut erforscht. Umso<br />
überraschen<strong>der</strong> war es, als 2004 auf einem Hochplateau bei Kislovodsk<br />
im Nordkaukasus Spuren menschlicher Anwesenheit gefunden<br />
wurden, die völlig neue Perspektiven für die Siedlungsarchäologie<br />
<strong>der</strong> Region eröffneten.<br />
„Es ist ein bislang völlig unbekannter Siedlungstypus <strong>der</strong> Spätbronze-<br />
und Früheisenzeit, den wir hier untersuchen“, sagt Sabine<br />
Reinhold von <strong>der</strong> Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s. Seit 2006 leitet sie das Projekt zu den „Siedlungstypen<br />
<strong>der</strong> späten Bronzezeit in Kislovodsk, Nordkaukasus, Russland“.<br />
Die Siedlungen liegen auf einer Plateauzone an <strong>der</strong> südlichen Peripherie<br />
des Talkessels von Kislovodsk – eines <strong>der</strong> berühmten Kaukasischen<br />
Mineralbä<strong>der</strong> – das sich an einer strategisch bedeutsamen<br />
Stelle befindet. Es liegt an einer Passroute, die aus <strong>der</strong><br />
nordkaukasischen Steppenzone über den 2242 Meter hohen<br />
Gumbashi-Pass an den Oberlauf des Kuban und von dort aus ans<br />
Schwarze Meer führt. Der Talkessel selbst wird aus fünf kleineren<br />
Wasserläufen gebildet, die schließlich bei Kislovodsk in den Fluss<br />
Podkumok münden. Von hier sind es nur noch 70 Kilometer zu<br />
dem Ort <strong>der</strong> Mythologie, <strong>der</strong> bis heute in Dichtung, Sprichwort<br />
und Wissenschaft präsent geblieben ist. 5642 Meter hoch erhebt<br />
sich <strong>der</strong> „Fels“, an den Prometheus geschmiedet war, weil er in einem<br />
Stängel des Riesenfenchels für die Menschen das Feuer gestohlen<br />
hatte, das ihnen Zeus zuvor entzogen hatte. In <strong>der</strong> Antike<br />
als „Strobilus“ bekannt, heißt <strong>der</strong> Vulkankegel heute El‘brus. Mit<br />
dem Montblanc streitet er um die Ehre, <strong>der</strong> höchste Berg Europas<br />
zu sein.<br />
H ÄUSE R F ÜR MENSCH UND T I E R<br />
„Die Steinarchitektur dieser Kultur des 2. Jahrtausends v. Chr ist<br />
einzigartig“ sagt Sabine Reinhold. Bis heute konnten die Wissenschaftler<br />
190 Siedlungsplätze nachweisen. Eine Kombination mo<strong>der</strong>ner<br />
Fernerkundungsmethoden mit <strong>der</strong> Vermessung vor Ort ermöglicht<br />
eine Erfassung <strong>der</strong> Bauten bis auf die Ebene einzelner<br />
Gebäude. „Die Fundplätze liegen in Höhen zwischen 1400 und<br />
2400 Metern, also oberhalb <strong>der</strong> heutigen Ackerbaugrenze“, sagt<br />
Reinhold.<br />
Die Gebäude waren Kombinationen aus Haus und Stall, sogenannte<br />
Wohn-Stallhäuser: Wand an Wand lebten Mensch und Tier unter<br />
einem Dach zusammen. „Nur so konnte man das Vieh durch die<br />
harten Winter bringen“, erklärt Reinhold. Anhand <strong>der</strong> Knochen,<br />
welche die Archäologen fanden, ließ sich ermitteln, dass Schafe<br />
zwei Drittel <strong>der</strong> Bestände bildeten. Als Fleischlieferant waren aber<br />
Rin<strong>der</strong> offenbar wichtiger.<br />
Sabine Reinhold erklärt, wie es den Archäologen gelang, zum ersten<br />
Mal konkrete Aussagen über die Anwesenheit von Tieren direkt<br />
in Häusern machen können: „Die Ställe unterscheiden sich von<br />
den Wohnräumen <strong>der</strong> Menschen in den Anteilen von Mikroorganismen,<br />
die das Enzym Urease zersetzen, genauso wie im Anteil<br />
keratinophiler Mikropilze, die auf und von Tierhaaren leben“, sagt<br />
Sabine Reinhold. „Gelangen sie in den Boden, erhalten sich ihre<br />
Sporen über Jahrtausende und können heute im Labor wie<strong>der</strong> reaktiviert<br />
werden, was einzigartige Einblicke in Aufteilung und Nutzung<br />
<strong>der</strong> Häuser ermöglicht.“<br />
Aber die Wissenschaftler ermittelten nicht nur die Struktur <strong>der</strong> Gebäude,<br />
auch die Form <strong>der</strong> Dörfer ließ sich mit einer Kombination<br />
aus Grabungen vor Ort und luftgestützten Methoden nachvollziehen:<br />
„Die Häuser gruppierten sich rund um einen großen Platz“, beschreibt<br />
Reinhold die Anlage. „So entstanden kleine Dorfanlagen<br />
von etwa einem Hektar Größe, die zumeist einen ovalen, manchmal<br />
sogar einen fischförmigen symmetrischen Grundriss hatten.“<br />
Den Beginn <strong>der</strong> Besiedlung dieser Region datieren die Archäologen<br />
auf das 2. Jahrtausend v. Chr. In dieser Zeit war es zu entscheidenden<br />
Verän<strong>der</strong>ungen gekommen, die Teil einer Entwicklung waren,<br />
wie sie auch in an<strong>der</strong>en Regionen Eurasiens – wahrscheinlich<br />
im Zuge einer Klimaverbesserung – eintrat: Sesshaftigkeit. Die Ersten<br />
waren die Siedler indessen nicht. Schon 1000 Jahr zuvor hatten<br />
Hirten ihr Vieh auf den Berghängen geweidet. Wohnhäuser hinterließen<br />
sie nicht, aber man fand eine große Zahl von Grab hügeln.<br />
A LMWIRTSCHAF T<br />
Die Archäologen wissen heute, dass die Bevölkerung in diesen<br />
permanenten Siedlungen schnell wuchs, und sie gehen davon<br />
aus, dass die Bewohner zur Versorgung von Mensch und Tier ein<br />
klassisches Almwirtschaftssystem entwickelten. Im Sommer wurde<br />
das Vieh auf die Bergweiden getrieben, im Winter holte man es<br />
zurück in die Dörfer.<br />
Viele Fragen über diese ungewöhnliche kaukasische Kulturlandschaft<br />
sind beantwortet, aber ein Rätsel konnte noch nicht gelöst<br />
werden: „Es bleibt auch nach sieben Jahren intensiver Forschung<br />
unklar, weshalb die Siedler nicht in die Täler zogen und stattdessen<br />
so lang auf den – aus unserer heutigen Sicht – kargen Hochplateaus<br />
ausharrten.“<br />
Denn erst um die Wende zum 1. Jahrtausend v. Chr. entstehen in<br />
tieferen Lagen erste Ansiedlungen. Wahrscheinlich war es eine erneute<br />
Klimaverän<strong>der</strong>ung, welche die Menschen zwang, ihre gewohnte<br />
Lebensweise aufzugeben. Bereits 100 Jahre später ist das<br />
Hochgebirge fast menschenleer, während sich die Täler <strong>der</strong> heutigen<br />
Kaukasischen Mineralbä<strong>der</strong> sehr rasch füllen.<br />
„Aus Sicht <strong>der</strong> Landschaftsarchäologie haben wir hier eine äußerst<br />
interessante Aufgabe zu lösen“, erklärt Sabine Reinhold. Wir müssen<br />
herausfinden, woher die ersten Menschen in <strong>der</strong> Region überhaupt<br />
kamen. Vielleicht können wir dann die noch offenen Fragen<br />
klären.“<br />
<br />
Auf dem Weg zur Ausgrabung –<br />
<strong>der</strong> Motor streikt.<br />
28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29
Salonina, die Frau des römischen Kaisers Gallienus (253–268<br />
n. Chr.) trug stets eine aufwändige Haartracht. Das lange Haar war<br />
in <strong>der</strong> Mitte gescheitelt, in Zöpfe geflochten und als breites Band<br />
vom Nacken aus über den Hinterkopf bis fast zur Stirn gelegt, dort<br />
umgeschlagen und festgesteckt. Die Frisur <strong>der</strong> Kaiserin wurde<br />
Mode im gesamten Imperium. Auch die Frisuren zweier Athenerinnen,<br />
eines jungen Mädchens und einer jungen Frau, <strong>der</strong>en Porträts<br />
vor kurzem in einem Brunnen vor dem Dipylon, dem Doppeltor,<br />
entdeckt wurden, waren nach dieser Mode gesteckt.<br />
Gefunden wurden sie im April 2013 auf dem Kerameikos von<br />
Athen. Der Brunnen war schon 1934 entdeckt und bis 1936 weitgehend<br />
ausgegraben und untersucht worden. Die Dokumentation,<br />
die damals wegen des zu hohen Grundwasserspiegels unterblieb,<br />
sollte nun nachgeholt werden. Auch die aktuellen Arbeiten<br />
2013 konnten nur unter gleichzeitigem Einsatz von vier starken<br />
Pumpen ausgeführt werden. Der Brunnen, aus Steinen gemauert<br />
und innen mit hydraulischem Mörtel verputzt, stammt aus dem<br />
4. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr., er war mehr als 800 Jahre in Gebrauch.<br />
Die marmornen Frauenporträts, die in 5,20 Meter Tiefe unterhalb<br />
des Grundwasserspiegels gefunden wurden, entstammen dem<br />
3. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr. und sind in ungewöhnlich gutem Zustand<br />
erhalten. Einst waren sie sicher vor dem Dipylon aufgestellt: entwe<strong>der</strong><br />
als Ehrenstatuen, als Grabstatuen o<strong>der</strong> als liegende Figuren<br />
auf einem Marmorsarkophag.<br />
Zerstört wurden die Statuen eines Tages wohl gleichzeitig. Sie wurden<br />
enthauptet, durch einen gezielten Meißelhieb in zwei Teile gespalten<br />
und in den Brunnen geworfen. Die Frauen gehörten zur<br />
Rom nahestehenden athenischen Elite; vielleicht lag darin <strong>der</strong><br />
Grund für die Vernichtung <strong>der</strong> Skulpturen, <strong>der</strong>en Repräsentationen<br />
man offenbar zunichte machen wollte. Die Regierungszeit des Gallienus<br />
war geprägt von Barbareneinfällen und Heeresrevolten im<br />
ganzen Reich. Im Jahr 268 wurde er bei <strong>der</strong> Belagerung von Mailand<br />
von seinen eigenen Heerführern getötet. Als Zeitpunkt <strong>der</strong><br />
Zerstörung <strong>der</strong> Marmorstatuen kommt daher zum einen die politische<br />
Situation am Ende <strong>der</strong> Regierungszeit des Kaisers Gallienus in<br />
Frage. Nach dessen Tod wurden seine Angehörigen, seine Anhänger<br />
und seine Ehefrau ermordet. Aber auch eine spätere, religiös<br />
motivierte Zerstörung <strong>der</strong> Porträts, etwa durch christliche Fanatiker,<br />
lässt sich nicht ausschließen. Noch sind die Untersuchung des<br />
Brunnens und die Analyse <strong>der</strong> Funde nicht abgeschlossen.<br />
Jutta Stroszeck<br />
DAS OBJEKT<br />
VERSENKTE BILDER<br />
Die Frauenköpfe aus einem Brunnen des Kerameikos<br />
Die beiden Frauenporträts aus Marmor<br />
wurden in 5,20 Meter Tiefe unterhalb des<br />
Grundwasserspiegels gefunden. Sie<br />
stammen aus dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr.<br />
und sind in ungewöhnlich gutem<br />
Zustand erhalten.<br />
Der Kerameikos ist <strong>der</strong> bedeutendste<br />
antike Friedhof Athens.<br />
Fotos: DAI, Abteilung Athen<br />
Dr. Jutta Stroszeck von <strong>der</strong> Abteilung Athen<br />
des DAI leitet vor Ort die Arbeiten auf dem<br />
Kerameikos in Athen, dem berühmtesten<br />
Friedhof des klassischen Griechenland.<br />
Seit 100 Jahren forscht das DAI an dieser Stelle.<br />
(siehe auch „100 Jahre Kerameikos“, S. 4)<br />
Das Grabungsteam im Kerameikos bestand aus<br />
griechischen und <strong>deutschen</strong> Mitarbeitern,<br />
verstärkt durch eine kleine Gruppe Studenten<br />
von verschiedenen Universitäten aus Berlin,<br />
Gießen, Mainz und Rostock. Die Freilegung des<br />
Brunnens erfolgte im Rahmen eines Forschungsprojektes<br />
zur Wasserversorgung <strong>der</strong> klassischen<br />
Badeanlage vor dem Dipylon.<br />
30 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 31
Großbaustelle Wissenschaft<br />
STANDPUNKT<br />
Das Staunen vor den Pyramiden von Gizeh,<br />
dem Koloss von Rhodos, am Grab des König<br />
Maussolos und vor Zeus in seinem<br />
Tempel in Olmypia war schon <strong>der</strong> Antike zu<br />
eigen. Sieben herausragende Denkmäler<br />
wurden in einer Liste erfasst, die immer<br />
wie<strong>der</strong> geän<strong>der</strong>t und erweitert wurde. Die<br />
„Sieben Weltwun<strong>der</strong>“ gelangten aufgrund<br />
beson<strong>der</strong>er Eigenschaften auf diese Liste:<br />
Sie beeindruckten durch Größe, technische<br />
Finesse, aber auch durch ihre Materialeigenschaften.<br />
So wurden sie zu Sehenswürdigkeiten<br />
und dadurch wie<strong>der</strong> zu den<br />
Denkmälern, die man gesehen haben<br />
musste.<br />
Der Wunsch nach einem Kanon herausragen<strong>der</strong><br />
Denkmäler liegt auch dem heutigen<br />
Vorhaben zugrunde, eine aktuelle Liste<br />
von Weltwun<strong>der</strong>n zu erstellen. Die<br />
meisten dieser Denkmäler sind bereits als<br />
Weltkulturerbe in die öffentliche Wahrnehmung<br />
gerückt worden. Auch bei diesen<br />
mo<strong>der</strong>nen Listen spielt immer wie<strong>der</strong><br />
die physische Präsenz durch schiere Größe<br />
<strong>der</strong> Bauten eine zentrale Rolle, wie bei <strong>der</strong><br />
chinesischen Mauer, beim Kolosseum in<br />
Rom o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Christusstatue in Rio de<br />
Janeiro.<br />
Denkmäler zu bewun<strong>der</strong>n, ist dabei aber<br />
nur eine Art des Zugangs. Sie blendet – wie<br />
ihre Kanonisierung – entscheidende Faktoren<br />
aus, die wie<strong>der</strong>um den Wissenschaftler<br />
interessieren. Mo<strong>der</strong>ne Altertumswissenschaften<br />
untersuchen weit mehr als ein<br />
Denkmal an sich. Sie fragen nach den gesellschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen und<br />
Implikationen <strong>der</strong> Errichtung solcher<br />
Denkmäler und <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> umfangreichen<br />
Großbaustellen. „XXL – Monumentalized<br />
Knowledge. Extra-large Projects<br />
in Ancient Civilizations“ ist <strong>der</strong> Titel<br />
eines großen Verbundprojekts im Berliner<br />
Exzellenzcluster Topoi, in dem von Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftlern <strong>der</strong><br />
Freien Universität, <strong>der</strong> Stiftung Preußischer<br />
Kulturbesitz, des Brandenburgischen Landesamts<br />
für Denkmalpflege und <strong>der</strong> Bauforschung<br />
an <strong>der</strong> Universität in Cottbus<br />
antike Großbaustellen in den Blick genommen<br />
werden. Skythische Großgrabhügel<br />
sind hier ebenso Thema wie die Großbauten<br />
des Alten Vor<strong>der</strong>en Orients in Uruk, Babylon<br />
und Rom.<br />
Die Forscher des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s stellen die Frage, welche<br />
Ressourcen notwendig waren, um die Paläste<br />
<strong>der</strong> römischen Kaiser auf dem Palatin<br />
zu errichten und welche Formen von Baustellenlogistik<br />
sich nachweisen lassen. Bei<br />
den Großbauten von Uruk stellt sich eine<br />
ähnliche Frage. Auch hier geht es darum,<br />
die notwendigen Materialmengen zu berechnen<br />
und zusammen mit den Informationen<br />
<strong>der</strong> Keilschrifttexte über die Zahl<br />
<strong>der</strong> Arbeiter, <strong>der</strong>en Herkunft bis hin zu ihrer<br />
Versorgung Aufschluss über das „Gesamtkunstwerk“<br />
Großbaustelle zu gewinnen.<br />
Wie technische Lösungen gefunden<br />
und architektonische Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
gemeistert wurden, ist ebenfalls Gegen-<br />
stand <strong>der</strong> Betrachtung. Wie brach man die<br />
riesigen Qua<strong>der</strong> für die Tempel in Baalbek<br />
im heutigen Libanon und wie bewegte<br />
man sie überhaupt?<br />
Der Blick auf die Ressourcen, die technischen<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen und ihre Lösungen<br />
ist jedoch nur eine Sichtweise auf das<br />
Phänomen. Diese Perspektiven eröffnen<br />
den Weg zu weiteren Fragen. Wollte man<br />
mit <strong>der</strong> Verwendung riesiger Steinblöcke<br />
im Tempel von Baalbek auch Dauerhaftigkeit<br />
und Unverrückbarkeit zeigen? Waren<br />
Großbauprojekte in Rom durch den Größenwahn<br />
römischer Kaiser bedingt, wie es<br />
Peter Ustinovs filmische Darstellung des<br />
Kaisers Nero in „Quo Vadis“ nahelegt? O<strong>der</strong><br />
war das Errichten einer großen Thermenanlage<br />
schlicht eine Pflicht <strong>der</strong> Kaiser und<br />
wurde vom Volk erwartet? Welche Konstellationen<br />
führten dazu, dass Großbauten<br />
nicht vollendet wurden und welche dazu,<br />
dass viele doch erschaffen wurden?<br />
Diese Fragen für ganz unterschiedliche<br />
Kulturen zu untersuchen, erlaubt es, mögliche<br />
Erklärungsmodelle miteinan<strong>der</strong> zu<br />
vergleichen. Hierzu ist es notwendig, Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler verschiedener<br />
Disziplinen und <strong>Institut</strong>ionen<br />
zusammenzubringen. Solche Zusammenarbeiten<br />
national und international zu intensivieren,<br />
gehört zu den Leitbil<strong>der</strong>n des<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s. Zentrale<br />
Fragen <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte zu<br />
beantworten, bedarf eben auch wissenschaftlicher<br />
Großbaustellen.<br />
Frie<strong>der</strong>ike Fless<br />
»<br />
Die Autorin, Prof. Dr. Frie<strong>der</strong>ike Fless,<br />
ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s<br />
BAALBEK, URUK, DIE UKRAINE, ROM UND JERUSALEM<br />
– EINIGE DIESER MONUMENTALEN BAUVORHABEN,<br />
DIE IM DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUT<br />
UNTER SUCHT WERDEN, SIND GEGENSTAND UNSERES<br />
»<br />
TITEL THEMAS AUF DEN FOLGENDEN SEITEN.<br />
STANDPUNKT<br />
1 Der Jupitertempel in Baalbek<br />
im heutigen Libanon<br />
2 Das Heiligtum für die Göttin<br />
Inanna/Ischtar in Uruk<br />
3 Die Villa Castel Gandolfo<br />
des römischen Kaisers Domitian<br />
4 Das Herodium in <strong>der</strong> Nähe von Jerusalem<br />
32 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 33
TITELTHEMA<br />
ANTIKE GROSSBAUSTELLEN<br />
Kultur, Politik und Technik des Bauens in Übergröße<br />
Das Jupiterheiligtum ist ab dem späten<br />
1. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr. schrittweise um einen<br />
alten prähistorischen Siedlungshügel<br />
herum gebaut worden. Die Arbeiten am<br />
Heiligtum zogen sich bis in das 3. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
hin. Es setzt sich aus vier Komponenten<br />
zusammen: dem Jupitertempel,<br />
dem Altarhof, dem sechseckigen Vorhof und<br />
den Propyläen.<br />
Foto: DAI, Orient-Abteilung<br />
34 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 35
TITELTHEMA<br />
SCHIERE MASSE<br />
Technik und Logistik <strong>der</strong> Großbauten in Baalbek und Uruk<br />
1 000 Tonnen am Stück zu gewinnen,<br />
Unendliche Mengen Material wurden<br />
An <strong>der</strong> Westseite des Jupiter-Tempels wurden<br />
zwei Lagen <strong>der</strong> Riesen-Qua<strong>der</strong> übereinan<strong>der</strong><br />
verbaut. Nur diese Steinlagen waren seit <strong>der</strong><br />
römischen Zeit sichtbar, erhielten von Reisenden<br />
den Namen „Trilithon“ und machten Baalbek<br />
im Mittelalter und in <strong>der</strong> frühen Neuzeit berühmt.<br />
Die Blöcke <strong>der</strong> zweiten Schicht des Podiums<br />
haben die bemerkenswerten Maße von<br />
gut 19 Metern Länge, 4,34 Metern Höhe und<br />
3,65 Metern Breite.<br />
Foto: DAI-Orient-Abteilung<br />
zu transportieren und zu verbauen,<br />
stellt auch heute noch Mensch und<br />
Maschine vor große Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />
Allen Widrigkeiten zum Trotz<br />
wurden in Baalbek im 2. Jahrun<strong>der</strong>t<br />
n. Chr. die größten Megalithe <strong>der</strong><br />
bekannten Geschichte verbaut.<br />
bewegt, um in Uruk die große<br />
Zikkurat zu errichten. Sie entstand<br />
um 2 100 v. Chr., riesig und<br />
massiv gebaut – ein Heiligtum für<br />
Ischtar aus 30 Millionen Ziegeln.<br />
Die Zikkurat, die König Urnamma errichten ließ,<br />
war ein Koloss aus zwei massiv gebauten<br />
Terrassen, die den Tempel trugen.<br />
Ein zentraler Wille und eine hoch differenzierte<br />
und hierarchisch organisierte gesellschaftliche<br />
Arbeitsteilung waren die Voraussetzung für<br />
ein solches Vorhaben.<br />
Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de;<br />
wissenschaftliches Material: DAI<br />
36 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 37
Baalbek, die Stadt <strong>der</strong> großen Steine<br />
Als Baalbek im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t als Etappe einer Grand Tour die<br />
Dichter, Denker und Maler anzog, war die Ruinenromantik in Europa<br />
auf einem Höhepunkt. Erschüttern sollte <strong>der</strong> Anblick <strong>der</strong> verfallenen<br />
Bauten, Gefühle von Erhabenheit und Einsamkeit erzeugen<br />
– und an die Vergänglichkeit des Menschen und seiner Werke erinnern.<br />
Wo es keine echten Ruinen gab, baute man künstliche. Vor<br />
lauter Romantik geriet bisweilen aus dem Blick, dass die echten<br />
Ruinen einmal echte Gebäude waren, die mit kaum ermesslichem<br />
Aufwand und effizient ausgefeilter Baustellenlogistik ihren gigantischen<br />
Auftritt bekamen. Die großen Steine, die in Baalbek im<br />
heutigen Libanon verbaut wurden, lagen zu Beginn <strong>der</strong> Besiedlung<br />
des Ortes in <strong>der</strong> Zeit um 7 000 v. Chr. noch im Verborgenen.<br />
Viel später erst kamen die 45 Millionen Jahre alten verwitterungsresistenten<br />
Nummulitenkalke in spektakulären Heiligtümern zu<br />
großen Ehren. In dicken Banken liegen sie in <strong>der</strong> Erde. Gut geschützt,<br />
bildeten sich homogene Gesteinslagen mit einer Mächtigkeit<br />
von 4,20 Meter und mehr. Gerade gut genug für Jupiter und<br />
seinen gigantischen Tempel, <strong>der</strong> zusammen mit an<strong>der</strong>en gewaltigen<br />
Bauwerken in <strong>der</strong> Zeit errichtet wurde, als die fruchtbare,<br />
wohlhabende und gut gelegene Region um Baalbek zum Imperium<br />
Romanum gehörte. Für 18 Meter Säulenhöhe brauchten die<br />
Baumeister nicht mehr als je drei Trommeln, Durchmesser: 2,2 Meter.<br />
Das Podium ist aus riesigen Kalksteinblöcken errichtet, die präzise<br />
zusammengefügt waren, die zweite Lage des Podiums, heute<br />
als „Trilithon“ bekannt, wurde allerdings nicht fertiggestellt. Mit bis<br />
zu 1000 Tonnen Gewicht sind die Blöcke die größten Megalithe <strong>der</strong><br />
bekannten Geschichte.<br />
Baalbek ist eines <strong>der</strong> Langzeitvorhaben des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s, das sich in viele Teilprojekte glie<strong>der</strong>t. Margarete<br />
van Ess leitet die Projekte zusammen mit dem Bauforscher Prof.<br />
Dr.-Ing. Klaus Rheidt von <strong>der</strong> Brandenburgischen Technischen Universität<br />
Cottbus (BTU).<br />
Der Steinbruch, aus dem die Megalithen stammen, lag einen guten<br />
Kilometer entfernt. Für ein 1 000-Tonnen-Stück eine gewaltige<br />
Strecke, zumal vor 2 000 Jahren. Aber es wäre wohl nicht Rom und<br />
auch nicht <strong>der</strong> Alte Orient, wenn man sich davon hätte einschüchtern<br />
lassen. Die Frage „Wie haben sie das gemacht?“ ist allerdings<br />
noch nicht ganz beantwortet. Gewonnen wurden die Blöcke im<br />
Tagebau, indem man Schrotgräben herausschlug und die Blöcke<br />
schließlich mit Keilen herauslöste.<br />
S T E INBRUCHTE CHNIK<br />
„Wegen <strong>der</strong> Größe und des Gewichts <strong>der</strong><br />
Blöcke bedurfte es beson<strong>der</strong>er Techniken<br />
zum Ablösen <strong>der</strong> Stücke aus dem Mutterstein.<br />
Wie an<strong>der</strong>e Steine auch wurde <strong>der</strong><br />
Megalith zunächst an den Seiten durch<br />
breite Gräben aus dem Fels gearbeitet.<br />
Doch zusätzlich schlug man auch einen<br />
Graben unter dem Stein heraus, in den zur<br />
Stützung Rollen o<strong>der</strong> Rundhölzer eingesetzt<br />
wurden. War <strong>der</strong> Monolith frei, konnte<br />
er auf diesen Rollen zum Heiligtum bewegt<br />
werden, wobei man das natürliche<br />
Gefälle zwischen Steinbruch und Tempelanlage<br />
nutzen konnte. Damit die 1000 Tonnen<br />
nicht ins Rutschen kamen, wurde <strong>der</strong><br />
Megalith wohl von einem Verankerungssystem<br />
gehalten und war an Ankerwinden<br />
vertäut.“<br />
Margarete van Ess<br />
Dr. Margarete van Ess,<br />
Wissenschaftliche Direktorin an<br />
<strong>der</strong> Orient-Abteilung des DAI,<br />
ist Grabungsleiterin in Baalbek.<br />
Foto: Obeloer<br />
TITELTHEMA<br />
Südlich <strong>der</strong> antiken Stadt Baalbek liegt <strong>der</strong> „Haijar al-Hibla. Er ist einer <strong>der</strong> größten Monolithen <strong>der</strong> Welt und das Wahrzeichen<br />
für die Großbaustelle im Tempelbezirk von Baalbek. Der Stein ist 20 Meter lang, vier bis gut fünf Meter breit und etwas über<br />
vier Meter hoch. Sein Gewicht: 1000 Tonnen<br />
Foto: BTU Cottbus, Rheidt<br />
1000-Tonnen-Transport: Damit die Schwerlast nicht ins Rutschen kam, wurde <strong>der</strong> Megalith von einem Verankerungssystem gehalten<br />
und war an Ankerwinden vertäut.<br />
Zeichnung in: Jeanine Abdul Massih, Von den Steinbrüchen zu den Tempeln. Nach Jean-Pierre Adam<br />
38 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 39
I N F RASTRUKTURMASSNAHME<br />
Im aktuellen DAI-Projekt zu Baalbek wird nicht nur die römische<br />
Zeit untersucht. Vielmehr geht es um einen Zeitraum von 9000<br />
Jahren – vom Beginn <strong>der</strong> ersten Besiedlung bis in die Neuzeit. Dennoch<br />
bildet die Wechselbeziehung zwischen <strong>der</strong> Stadt und ihrem<br />
zentralen römischen Heiligtum, das 1984 in die Liste des UNESCO-<br />
Weltkulturerbes aufgenommen wurde, einen beson<strong>der</strong>en Schwerpunkt,<br />
an dem nicht nur Archäologen, son<strong>der</strong>n auch Bauhistoriker<br />
und Geophysiker mitarbeiten. Denn es geht um weit mehr als<br />
„nur“ die religiös-symbolische Bedeutung <strong>der</strong> Tempel-Großbaustellen<br />
für Jupiter und seine göttlichen Gefährten und auch um<br />
mehr als „nur“ die Analyse einer kaiserlichen Herrschaftsinszenierung<br />
<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>klasse.<br />
Neue Fragen <strong>der</strong> Archäologie, die nur im Verbund mit Naturwissenschaftlern<br />
und Ökonomen zu beantworten sind, lauten: War<br />
das ganze gigantische Vorhaben vielleicht auch eine gezielte Infrastrukturmaßnahme<br />
für die Region? Ging es auch darum, die Wirtschaft<br />
in Gang zu halten und Menschen in Lohn und Brot zu bringen,<br />
was wie<strong>der</strong>um die Kaufkraft erhöhte? Wieviele Arbeiter haben<br />
eigentlich wie lange an den Anlagen gearbeitet? Und wer genau<br />
führte die Anweisungen des Kaisers zum Bau des Heiligtums aus?<br />
Der Kaiser selbst wird es kaum gewesen sein – wenn er auch gelegentlich<br />
im Kreise hoher Nobilitäten vorbeischaute. Dann tat man,<br />
wenn die Zeit bis zum hohen Besuch knapp wurde, manchmal<br />
auch schon in Baalbek das, was viel später als (eher sagenhafter)<br />
Trick in die Geschichte einging: Man baute Potemkinsche Dörfer. <br />
Uruk, die Stadt <strong>der</strong> Ziegel<br />
TITELTHEMA<br />
KOOPERATION<br />
„Forschungen zur Stadtentwicklung von<br />
Baalbek (Libanon)“ heißt <strong>der</strong> Teil des<br />
Projekts, <strong>der</strong> am Lehrstuhl Baugeschichte<br />
<strong>der</strong> Brandenburgischen Technischen<br />
Universität Cottbus (BTU) unter <strong>der</strong> Leitung<br />
von Prof. Dr.-Ing. Klaus Rheidt durchgeführt<br />
wird. Hier geht es u.a. um die Analyse von<br />
Technik, Konstruktion und Material <strong>der</strong><br />
Bauten, aber auch um den historischen<br />
Kontext von Bauten. Seit 2002 arbeiten DAI<br />
und BTU zusammen, im Jahr 2008 wurde die<br />
Zusammenarbeit in einem Kooperationsvertrag<br />
besiegelt. Ferner sind die Kooperationspartner<br />
eingebunden in das Projekt „XXL –<br />
Monumentalized Knowledge. Extra-Large<br />
Projects in Ancient Civilizations“ des<br />
Exzellenzclusters „Topoi“.<br />
Foto: BTU Cottbus, Rheidt<br />
Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: DAI<br />
Millionen und Abermillionen Lehmziegel bildeten in Uruk Bauwerke<br />
von unermesslicher Größe, geformt aus den Produkten einer<br />
Technologie, die vor 11.000 Jahren erfunden wurde, in einer Zeit,<br />
als Südmesopotamien noch nicht besiedelt war. Man hatte mit<br />
Steinen experimentiert, aber es gab zu wenige, und das Material<br />
hätte nicht getaugt für das, was man eines Tages vorhaben würde.<br />
Seit dem 6. Jahrtausend v. Chr. wurden in <strong>der</strong> Region Siedlungen<br />
angelegt, in Uruk ab dem Ende des 5. Jahrtausends. Dort konnten<br />
die Archäologen 35 übereinan<strong>der</strong> liegende Schichten ausmachen<br />
und inzwischen eine fast vollständige Besiedlungsgeschichte <strong>der</strong><br />
Stadt schreiben. Auch in Uruk leitet Margarete van Ess für das DAI<br />
die dortigen Arbeiten.<br />
Schon in frühen Schichten, ab ca. 3600 v. Chr., kamen Großbauten<br />
zutage, die typisch waren für das Ende <strong>der</strong> Epoche, die man später<br />
„Uruk-Zeit“ nennen würde. Um 3300 v. Chr. wurden die Gebäude<br />
eingeebnet und in ihrem eigenen Schutt begraben. Nun aber entstand<br />
auf diesem Schutt ein Heiligtum, das die Jahrtausende überdauern<br />
sollte: ein Tempel für die Göttin des Krieges und <strong>der</strong> Liebe<br />
Inanna (semitisch: Ischtar). Die Zikkurat, die König Urnamma dann<br />
um 2100 v. Chr. über den älteren Tempelbauten <strong>der</strong> Göttin errichten<br />
ließ, war ein Koloss aus zwei massiv gebauten Terrassen, die<br />
den Tempel trugen, erbaut aus 30 Millionen Ziegeln.<br />
Uruk ist, archäologisch gesehen, äußerst gut erhalten, und so offenbart<br />
es ohne Umschweife <strong>der</strong> Nachwelt bis heute seine enorme<br />
Bedeutung als wirtschaftliches, religiöses und wissenschaftliches<br />
Zentrum über einen Zeitraum von 3500 Jahren. Wenn auch seine<br />
Bedeutung Schwankungen unterworfen war, ist es doch immer<br />
präsent im Kreise <strong>der</strong> südmesopotamischen Stadtstaaten und später<br />
<strong>der</strong> Großreiche des Vor<strong>der</strong>en Orients.<br />
Der Art des Materials geschuldet, ist das Mauerwerk <strong>der</strong> Lehmziegel-Architektur<br />
Uruks zwar verschwunden, die Fundamente sind<br />
aber noch gut erkennbar. Überreste liegen in vielen Schichten<br />
übereinan<strong>der</strong>, und so entwickelte sich das detaillierte Präparieren<br />
von Bauresten und die Analyse <strong>der</strong> einzelnen Bauschichten zu einem<br />
methodischen Schwerpunkt <strong>der</strong> Ausgrabungen deutscher<br />
Archäologen insgesamt und auch des DAI in Uruk, ergänzt durch<br />
mo<strong>der</strong>ne Verfahren <strong>der</strong> Gebäude-Rekonstruktion.<br />
40 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 41
TITELTHEMA<br />
So konnten die Bauphasen zur Errichtung eines Gebäudes ausgesehen haben. Beispiel ist hier das sogenannte Steinstiftgebäude.<br />
Die einzelnen Bil<strong>der</strong> sind Momentaufnahmen aus einem Film.<br />
Rekonstruktion und Film: @artefacts-berlin.de, wissenschaftliches Material: DAI, Ricardo Eichmann<br />
Hier kann man den Film anschauen: http://www.dainst.org/de/project/visualisierung-uruk?ft=all<br />
EINE BAUSTELLE VOR 5500 JAHREN<br />
In eine Baugrube werden über Streifen aus gebrannten Ziegeln<br />
Schilfmatten gelegt und eine 1,9 Meter hohe Terrasse aus<br />
gestampftem Lehm eingebracht, die mit einer Asphaltschicht<br />
überzogen wird und von einer Ziegelbegrenzung umgeben ist.<br />
Das Gebäudefundament wird aus Kalksteinplatten hergestellt.<br />
Ein L-förmiger Raum wurde mit beson<strong>der</strong>s harten, grauweißen<br />
alabasterartigen Steinen verblendet, die in Asphalt verlegt<br />
sind, und mit einem Boden aus Steinplatten versehen. Nur in<br />
diesem Raum waren die Fundamentwände und <strong>der</strong> Boden<br />
mit einem gipsartigen Mörtel verputzt. Für an<strong>der</strong>e Räume<br />
wurden im Fundament Mauerblöcke aus gebrannten Ziegeln<br />
eingebracht.<br />
Außerhalb des Fundaments wurde die Baugrube mit<br />
Stampflehm, Steinsplittern und Asphalt verfüllt ebenso wie<br />
die Räume innerhalb des Gebäudes bis zur Höhe des<br />
oberirdisch sichtbaren Niveaus. Für das aufgehende Mauerwerk<br />
wurde neben den schon für das Fundament verwendeten<br />
Materialien außerdem ein Kunstgestein aus gelöschtem Kalk<br />
und Keramikgrus-Beimengungen eingesetzt. Er wurde in<br />
zähflüssigem Zustand verarbeitet und in Schichten aufgetragen.<br />
Keramikplatten, die in regelmäßigen Abständen zwischen den<br />
Kunststeinschichten verlegt sind, dienten zur Befestigung <strong>der</strong><br />
aus verschiedenfarbigen Steinen bestehenden Mosaikschalen.<br />
Die Rekonstruktion des Daches erfolgt in Anlehnung an die<br />
traditionelle Architektur des Vor<strong>der</strong>en Orients und analog zu<br />
Ausgrabungsbefunden aus jüngeren Kontexten. Aus <strong>der</strong><br />
bekannten Lage <strong>der</strong> Türen, <strong>der</strong> Umfassungsmauern sowie einer<br />
Feuerstelle, Pfostenlöchern und Rinnen kann bis zu einem<br />
gewissen Grade die Innenausstattung und die Erschließung über<br />
den Hof rekonstruiert werden.<br />
Der Lehm für die 30 Millionen Ziegel kam wohl vom Rande <strong>der</strong><br />
Stadt. Doch hatte man immer genug Stroh und Wasser zum Anrühren<br />
<strong>der</strong> Ziegelmasse? Die Ziegel mussten einzeln in <strong>der</strong> Sonne<br />
getrocknet und zuvor einzeln geformt werden. Sie in einer Schicht<br />
auszubreiten, erfor<strong>der</strong>te viel Platz. Und vor allem: Wer erledigte<br />
welche Arbeiten? Wie in Baalbek erforschen die Archäologen auch<br />
für die Situation in Uruk mit seinen gigantischen Bauten die Baustellenlogistik.<br />
Die Organisation einer solchen Großbaustelle erfor<strong>der</strong>te<br />
ein perfektes Management und den gezielten Einsatz <strong>der</strong><br />
Arbeiter, <strong>der</strong>en Zahl man passgenau festlegen musste.<br />
Das elaborierte technische und räumliche Wissen lernten die späteren<br />
Baumeister bereits in <strong>der</strong> Schule. So lautete eine typische<br />
Aufgabe im Mathematikunterricht: „Wieviele Ziegel einer bestimmten<br />
Größe brauche ich, um eine Mauer bestimmten Maßes<br />
zu bauen?“ Als Uruk um 2900 seine größte Ausdehnung hatte,<br />
wurde die große Stadtmauer gebaut: 9 Kilometer lang, 5 Meter<br />
breit, 8 Meter hoch o<strong>der</strong> mehr, mit 900 Türmen – aus mehr als 306<br />
Millionen Ziegeln. Sie wird im Gilgamesch-Epos als Werk dieses sagenhaften<br />
Königs von Uruk beschrieben. <br />
Architektur <strong>der</strong> „Uruk-Zeit“. das „Gebäude C (um 3300 v. Chr.)<br />
ist nur wenige Ziegellagen hoch erhalten.<br />
Die Rekonstruktion zeigt, wie Gebäude C<br />
ausgesehen haben könnte.<br />
Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de,<br />
wissenschaftliches Material: DAI<br />
42 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 43
TITELTHEMA<br />
STADT ODER NICHT STADT<br />
Die unterschiedlichen Konzepte von Siedlungspolitik<br />
in Mesopotamien und Osteuropa<br />
Zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr.<br />
hatte Uruk mit 5,5 Quadratkilometern<br />
seine größte Ausdehnung.<br />
Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de,<br />
wissenschaftliches Material: DAI<br />
Uruk, die Stadt, scheint die<br />
Blaupause zu sein für alles, was<br />
wir uns heute unter einer<br />
größeren Stadt vorstellen: groß,<br />
laut, vielschichtig, innovativ,<br />
heterogen und von hohen Häusern<br />
beherrscht. Uruk, die erste<br />
Großstadt <strong>der</strong> Welt.<br />
Ein ganz an<strong>der</strong>es Konzept von „Großstadt“<br />
zeigt die antike Tripolje-Kultur im Osten<br />
Europas. Die zahlreichen Bewohner <strong>der</strong><br />
riesigen Siedlungen hatten keinerlei Neigung,<br />
Städte zu erschaffen.<br />
Sie blieben zwei o<strong>der</strong> drei Generationen<br />
am Ort, dann zogen sie weiter.<br />
Ihre Häuser verbrannten sie.<br />
Flaches Land, soweit das Auge reicht.<br />
Das gesamte Areal bis zum Fahrzeug<br />
(Markierung) ist nur <strong>der</strong> Südteil <strong>der</strong> Siedlung.<br />
44 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 45
Prototyp einer Großstadt<br />
TITELTHEMA<br />
DER UNSICHTBARE ARCHITEKT<br />
„Die kolossale Pracht <strong>der</strong> riesigen Bauwerke in<br />
Uruk wirft eine naheliegende Frage auf: Wer hat<br />
diese Architektur entworfen? Wer hat die Statik<br />
errechnet? Wer hat den Wunsch des Königs ins<br />
Werk gesetzt? Vergeblich sucht man nach den<br />
Namen <strong>der</strong> Baumeister. Denn einen – weltlichen<br />
– Architekten konnte es gar nicht geben.<br />
Baumeister waren die Götter, in ihrem Auftrag<br />
vielleicht <strong>der</strong> König. Die Baurituale fußten auf<br />
<strong>der</strong> Vorstellung, dass die Götter den Urtempel<br />
gebaut haben, den <strong>der</strong> König lediglich pflegte.<br />
Dies hatte eine überaus komplizierte Ritualchoreographie<br />
zur Folge, bei <strong>der</strong> rein gar nichts<br />
misslingen durfte. Musste etwa anlässlich einer<br />
Renovierung des Tempels <strong>der</strong> Gott in Form einer<br />
Kultstatue den Tempel verlassen, konnte dies<br />
eine Art staatlichen Ausnahmezustand zur Folge<br />
haben. Vom Gelingen des Rituals hing <strong>der</strong><br />
Fortbestand <strong>der</strong> Welt ab.<br />
Und so zeigen die komplizierten Rituale, worum<br />
es bei den Großbauten wirklich ging. Der<br />
Turmbau zu Babel ist das bekannteste Beispiel:<br />
Der Zweck dieser kolossalen Bauten war es, eine<br />
Verbindung zwischen den Menschen und <strong>der</strong><br />
Welt <strong>der</strong> Götter zu schaffen. Der irdische<br />
Architekt tritt dabei vollkommen hinter die<br />
Sache zurück.“<br />
Margarete van Ess<br />
Aus den kleinen Ansiedlungen bei<strong>der</strong>seits des damaligen Euphratlaufes<br />
entwickelte sich Uruk zu einer Großstadt, die schon um 3300<br />
v. Chr. eine Fläche von ca. 2,5 Quadratkilometern erreichte. Anfang<br />
des 3. Jahrtausends hatte sie mit 5,5 Quadratkilometern ihre größte<br />
Ausdehnung. Bevor dies geschehen konnte, hatte man gelernt,<br />
die Ströme Euphrat und Tigris zu beherrschen, die im April aus ihren<br />
Quellgebieten in <strong>der</strong> Türkei das Wasser <strong>der</strong> Schneeschmelze<br />
genau dann nach Südmesopotamien ergossen, wenn dort die Ernte<br />
anstand. Das erfor<strong>der</strong>te technisches Können, Organisation und<br />
Arbeitsteilung, Absprachen und Hierarchien, also die gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen, die nötig waren, um auch die riesigen Bauwerke,<br />
die Unmengen an Material und Arbeitskraft banden, ins<br />
Werk setzen zu können.<br />
Zwei bedeutende Kultzentren bestimmten den Ruhm <strong>der</strong> Stadt:<br />
dasjenige für den Himmelsgott Anu und das <strong>der</strong> Liebes- und<br />
Kriegsgöttin Inanna/Ischtar. Aber auch in politischer und wirtschaftlicher<br />
Hinsicht ist Uruk eine herausragende Größe in <strong>der</strong> Region,<br />
und um die größer werdenden Volumina an Gütern und Vorgängen<br />
zu bewältigen, erfindet man ein Zeichensystem, welches<br />
das Gedächtnis vor allem <strong>der</strong> Verwalter entlastet, denen die Haushaltung<br />
eines Heiligtums, eines Palastes, eines großen Hofes o<strong>der</strong><br />
die Verwaltung einer Großbaustelle oblag. Der Handel nahm stetig<br />
zu, bewegte Güter mussten erfasst werden: Schafe und Rin<strong>der</strong>, die<br />
Menge des eingelagerten Getreides, das Kupfer, das <strong>der</strong> Schmied<br />
zur Herstellung <strong>der</strong> Werkzeuge erhalten hatte, die Menge <strong>der</strong> zu<br />
liefernden Ziegel, die Zahl <strong>der</strong> Arbeitskräfte.<br />
Mit dem Anwachsen <strong>der</strong> Stadt war eine erste Massenfabrikation<br />
von Keramikgefäßen und Gegenständen des alltäglichen Lebens<br />
entstanden, <strong>der</strong>en Produktion reguliert und die verkauft werden<br />
mussten. Alle diese Prozesse konnten nicht mehr allein „aus dem<br />
Kopf“ gesteuert werden. Die Notizen, bestehend aus Köpfen von<br />
DIE ENTSTEHUNG DER SCHRIFT<br />
AUS DEM GEIST DER VERWALTUNG<br />
1 Liste mit Gefäßbezeichnungen aus Uruk,<br />
Ende 4. Jt. v. Chr. Mit solchen Listen wurden<br />
die Wortzeichen aufgelistet, die in den<br />
archaischen Texten verwendet wurden.<br />
Der Text befindet sich in <strong>der</strong> Uruk-Warka-<br />
Sammlung des DAI an <strong>der</strong> Universität<br />
Heidelberg.<br />
2 Einfache Schreibübung <strong>der</strong> Keilschriftzeichen<br />
KU-KA-KI aus Uruk, Sinkaschid-Palast,<br />
19./18. Jh. v. Chr. Der Text befindet sich in<br />
<strong>der</strong> Uruk-Warka-Sammlung des DAI an<br />
<strong>der</strong> Universität Heidelberg.<br />
Fotos: DAI, Orient-Abteilung, Wagner<br />
Rin<strong>der</strong>n, Kornähren und Trinkschalen in Kombination mit Zahlzeichen<br />
sind <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> sumerischen Keilschrift, die in Uruk<br />
erfunden wurde und die schnell die Runde machte. Weiterentwickelt<br />
in den altsumerischen Machtzentren Ur, Fara, Nippur und Lagash,<br />
wurde sie zu dem äußerst haltbaren Speichermedium, das<br />
die Jahrtausende überdauerte: die luftgetrocknete Tontafel.<br />
Die Erfindung <strong>der</strong> Schrift aus dem Geist <strong>der</strong> Verwaltung war zugleich<br />
<strong>der</strong> Grundstein für die Anfänge <strong>der</strong> Wissenschaft im Vor<strong>der</strong>en<br />
Orient. Es gab Listen von Alltagsgegenständen o<strong>der</strong> von Tierbezeichnungen,<br />
ab dem Ende des 3. Jahrtausends Listen von<br />
Sternen, als die Himmelsbeobachtung eine bedeutenden Rolle<br />
spielte. Schließlich fanden die Archäologen auch Listen mit Berufsbezeichnungen<br />
und Beamtenfunktionen, die ersten Belege dafür,<br />
dass die Gesellschaft sich in Hierarchien aufgespalten hatte. In einigen<br />
<strong>der</strong> Verwaltungstexte waren die Rationen vermerkt, die Personen<br />
für die Durchführung bestimmter Leistungen erhielten;<br />
Grundlage war ein äußerst ausgeklügeltes System <strong>der</strong> Zuteilung.<br />
Die Rationen waren offenbar gerade so bemessen, dass die Menschen<br />
nicht ganz verhungerten.<br />
Zentren des gesellschaftlichen Lebens waren die Tempel und Paläste.<br />
Im altbabylonischen Palast des Herrschers Sin-Kaschid aus<br />
dem 2. Jahrtausend v. Chr., ebenfalls vom DAI untersucht, wurde<br />
nicht „nur“ regiert. Hier trafen sich die Eliten, hier wurde Handel<br />
getrieben, wurden diplomatische Korrespondenzen und juristische<br />
Dokumente nie<strong>der</strong>gelegt. Spezialisierte Handwerker und<br />
Künstler verarbeiteten hier feinste Rohstoffe zu kostbaren Prestigegütern,<br />
und da das Schreiben in diesem nun ausdifferenzierten<br />
gesellschaftlichen Gefüge ein unverzichtbares Handwerk geworden<br />
war, war <strong>der</strong> Palast auch <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Schreiberausbildung. <br />
URUK. GRUNDRISSE DER URUKZEITLICHEN BAUWERKE<br />
IM EANNA-BEREICH.<br />
Rekonstruktionszeichnungen sind seit langem wichtiger Bestandteil<br />
<strong>der</strong> Bauforschung in Uruk. Sie vermitteln Vorstellungen vom Aussehen<br />
und von Details von Bauwerken, die im Laufe von 4 000 Jahren<br />
errichtet und je nach Periode nach ganz unterschiedlichen Plänen<br />
und mit unterschiedlichem technischen Knowhow gestaltet wurden.<br />
Abbildung: DAI. Orient-Abteilung<br />
46 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 47
Großstadt auf Zeit<br />
Das an<strong>der</strong>e Extrem archäologischer Arbeit zeigt sich in einer weiter<br />
nördlich gelegenen Weltgegend in einem an<strong>der</strong>en Extrem<br />
menschlicher Siedlungspolitik. Flaches Land, soweit das Auge<br />
reicht und nicht die Spur einer antiken Ruine – bis man mit ausgefeilten<br />
naturwissenschaftlichen Methoden unter die Erde schaut,<br />
um etwas zu finden, was mittlerweile zahlreiche Forscher aus <strong>der</strong><br />
internationalen Archäologenszene in die Ukraine zieht. Mit großflächigen<br />
geophysikalischen Prospektionen machten sich die Wissenschaftler<br />
<strong>der</strong> Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des<br />
DAI auf die Suche nach genauen Standorten früher kupferzeitlicher<br />
Großsiedlungen im Osten Europas. Tausende von Häusern<br />
standen hier, und die neuen Daten lieferten präzise Angaben zur<br />
Lage <strong>der</strong> Häuser, ihrer Größe und zu ihren technischen Einrichtungen.<br />
Vor allem aber erlauben sie die Rekonstruktion <strong>der</strong> gesamten<br />
Siedlungsanlage und ihrer Befestigungen.<br />
Gegraben wird zwar schon lange auf den Siedlungen <strong>der</strong> Kupferzeit.<br />
Ihre Bedeutung und wahre Ausdehung kennt man aber erst,<br />
seit in den 60er-Jahren Luftbil<strong>der</strong> aufgenommen wurden. Schnell<br />
wurde klar, dass man <strong>der</strong> gewaltigen Dimensionen mit traditionellen<br />
archäologischen Methoden allein nicht Herr werden konnte.<br />
Die Kombination mit mo<strong>der</strong>nen naturwissenschaftlichen Methoden<br />
war das Gebot <strong>der</strong> Stunde. Geomagnetische Untersuchungen<br />
lieferten detaillierte Pläne <strong>der</strong> Siedlung mitsamt den Hausstellen,<br />
ihrer Nebenbauten und den technischen Einrichtungen.<br />
Unterfangen, denn rekonstruieren kann man die Ereignisse im Osten<br />
Europas allein aus archäologischen Daten, da es – an<strong>der</strong>s als im<br />
Vor<strong>der</strong>en Orient – keine schriftlichen Zeugnisse gibt.<br />
<br />
Die riesigen Ausdehungen <strong>der</strong> Siedlungen machen raumgreifende<br />
Untersuchungsmethoden nötig. Die Forscher des DAI setzen bei<br />
den geomagnetischen Untersuchungen fahrzeuggestützte<br />
Systeme ein, mit <strong>der</strong>en Hilfe man in kurzer Zeit große Areale<br />
untersuchen kann.<br />
KUPFERZEITLICHE GROSSSIEDLUNGEN<br />
„Der Ausgangspunkt für die Entstehung von Siedlungen allgemein<br />
ist die Herausbildung von Ackerbau und Viehzucht im Vor<strong>der</strong>en<br />
Orient. In <strong>der</strong> Folge bilden sich bereits im 7. Jahrtausend ausgedehnte<br />
dorfartige Ansiedlungen heraus. Ein Jahrtausend später<br />
greift die neue Lebensweise nach Europa aus. Im Südosten Europas<br />
entstehen im 6. Jahrtausend erste Siedlungen von bis zu 30<br />
Hektar Größe, die mehrere hun<strong>der</strong>t bis ca. 2000 Einwohner beherbergen.<br />
Der Vergleich mit Dörfern im Mittelalter, die in <strong>der</strong> Regel<br />
kaum mehr 100 bis 200 Menschen beherbergten, verdeutlicht die<br />
erstaunliche Dynamik des sozialen und wirtschaftlichen Wandels.<br />
Dieser Prozess stabilisiert sich im Südosten Europas im 5. Jahrtausend.<br />
In dieser Zeit findet hier wie<strong>der</strong> ein weitreichen<strong>der</strong> Wandel<br />
statt. Er ist gekennzeichnet durch die Nutzung eines vollkommen<br />
neuartigen Werkstoffes: des Kupfers. Die neue Technologie verän<strong>der</strong>t<br />
nicht allein die Ökonomie, sie durchdringt die Gesellschaft<br />
und impliziert soziale Verän<strong>der</strong>ungen. In dieser Zeit formieren sich<br />
in einem Gebiet zwischen Karpaten und Dnjepr Gesellschaften,<br />
<strong>der</strong>en Siedlungen nicht nur aufgrund ihrer Größe eine neue Qualität<br />
proto-urbanen Lebens zeigen. Sie münden schließlich in <strong>der</strong><br />
ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. in Siedlungen <strong>der</strong> Tripolje-<br />
Kultur mit mehreren tausend Bewohnern.“<br />
Knut Rassmann<br />
Der Prähistoriker Dr. Knut Rassmann ist<br />
Leiter <strong>der</strong> Technischen Abteilung <strong>der</strong> RGK<br />
TITELTHEMA<br />
A LT E RNATIVE K ONZEPT E<br />
Doch an<strong>der</strong>s als in den Stadtstaaten des Vor<strong>der</strong>en Orients nahm<br />
die Entwicklung hier – trotz ähnlicher Komponenten – einen an<strong>der</strong>en<br />
Verlauf. Die Siedlungen wurden nur kurze Zeit genutzt und<br />
nach zwei bis drei Generationen wie<strong>der</strong> aufgegeben. Aber die Bewohner<br />
gingen nicht einfach weg – sie verbrannten die Häuser<br />
offenbar systematisch – genau wie an an<strong>der</strong>en Fundplätzen <strong>der</strong><br />
sogenannten Tripoljekultur, die das DAI in Rumänien, Moldawien<br />
und in <strong>der</strong> Ukraine bearbeitet. Ukrainische Archäologen fanden<br />
heraus, dass diese Zerstörungen nicht im Zuge kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
stattfanden. Zu regelmäßig sind die Brandmuster.<br />
Die Frage <strong>der</strong> Forscher ist nun, warum die Bewohner ihre<br />
Siedlungen nach so kurzer Zeit wie<strong>der</strong> aufgaben. Ein kompliziertes<br />
TALIANKI<br />
Beispiel für die hoch entwickelte Keramik <strong>der</strong> Tripolje-Kultur:<br />
Keramikgefäß in Form eines Schlittens, <strong>der</strong> von Rin<strong>der</strong>n gezogen wird.<br />
1 Das DAI unterstützte die Prospektion <strong>der</strong> Christian-Albrechts-Universität<br />
zu Kiel in Rumänien, bei <strong>der</strong> auch zwei Cucuteni-Siedlungen in<br />
Bessarabien untersucht wurden, die Römisch-Germanische Kommission<br />
des DAI prospektierte Schlüssel-Siedlungen in Moldawien und in <strong>der</strong><br />
Ukraine. In <strong>der</strong> Zusammenschau <strong>der</strong> Daten eröffnet sich eine neue<br />
Perspektive auf das Siedlungsgefüge <strong>der</strong> Kupferzeit in Südost-Osteuropa.<br />
2 Der Nordwestteil <strong>der</strong> Siedlung Talianki. Die Häuser sind alle fünf mal<br />
zehn Meter groß. Einige Bauten sind größer und liegen stets an<br />
prominenten Stellen.<br />
1 2<br />
3<br />
3 Nachbau eines Hauses im Freilichtmuseum von Legedsine, einem<br />
Nachbarort von Talianki. Die zweigesschossige Bauweise ist durch<br />
Grabungsbefunde belegt.<br />
Fotos und Abbildungen: DAI, RGK; CAU Kiel<br />
48 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 49
TITELTHEMA<br />
DIE BAULUST DER HERRSCHER<br />
Raumgreifende Inszenierungen von Macht in Rom und Jerusalem<br />
Der Gang war in zwei Teile geglie<strong>der</strong>t. Der<br />
nördliche, etwa 250 Meter lange Abschnitt<br />
wurde durch eine dichte Reihe von Fenstern<br />
beleuchtet, die sich zu einem auf einer Terrasse<br />
vorgelagertem Garten öffneten. Der südliche,<br />
insgesamt 90 Meter lange Abschnitt endete in<br />
einer Treppe, die zwischen den beiden<br />
Terrassenniveaus vermittelte. Die Halbtonne <strong>der</strong><br />
Decke war in diesem Bereich glatt belassen. In<br />
die Decke waren auf beiden Seiten Reihen<br />
kleiner Fenster eingefügt, so dass innerhalb des<br />
Ganges das Licht zunächst von <strong>der</strong> Seite und im<br />
zweiten Abschnitt von oben einfiel.<br />
Auf dem Weg zu seinem Kaiser wurde<br />
<strong>der</strong> Besucher von Domitians Castel<br />
Gandolfo durch Architektur und<br />
Lichteffekte vorangetrieben und auf<br />
sein „höheres“ Ziel gelenkt.<br />
Der „König von Jerusalem“ ist nicht<br />
in erster Linie als Baumeister bekannt.<br />
Dabei war das Architekturprogramm<br />
Herodes des Großen ein<br />
Paradebeispiel für Herrschaftsinszenierung<br />
am Bau.<br />
Herrschaftsinszenierung im großen Maßstab.<br />
Das „Herodium“ in <strong>der</strong> Nähe von Jerusalem.<br />
Abbildung: DAI, Abteilung Rom<br />
Wikimedia Commons<br />
50 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 51
Die Villa des Kaisers<br />
Kaiser Domitian und seine Baumeister hatten eine geniale Idee. Sie<br />
verwandelten das Konzept des unterirdischen Gewölbegangs<br />
o<strong>der</strong> Kryptoporikus in <strong>der</strong> kaiserlichen Villa in Castel Gandolfo in<br />
einen Empfangssaal, <strong>der</strong> alles bisher Dagewesene in den Schatten<br />
stellte.<br />
Ein Besucher, <strong>der</strong> sich von <strong>der</strong> Via Appia nähert, betritt diesen<br />
Raum durch den nördlichen Eingang und macht sich auf den Weg<br />
zu seinem Kaiser. Seitliche Türen fehlten, doch die unterschiedlich<br />
breiten Fenster erzeugen eine Wellenbewegung im Lichtfluss – immer<br />
weiter hineingezogen wurden die Besucher, nach vorn getrieben<br />
zum Podium, auf dem <strong>der</strong> Kaiser im Kreise seiner Prätorianer<br />
und ausgewählter Amtsinhaber allmorgendlich diejenigen empfing,<br />
die zur salutatio zugelassen waren.<br />
Im Gang unter ihm traten die unterschiedlichen Gruppen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
gestaffelt auf, und dem Herrscher bot sich Gelegenheit,<br />
mit ihnen jeweils angemessen in Verbindung zu treten, von einer<br />
allgemeinen Begrüßung bis hin zum Einzelgespräch. Henner von<br />
Hesberg, Direktor <strong>der</strong> Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s, leitet die Arbeiten zur Erforschung und Rekonstruktion<br />
<strong>der</strong> Villa.<br />
Die Kaiser besaßen das Monopol des Bauens, die Arbeiten wurden<br />
an private Firmen (redemptores) vergeben, die vom leitenden Architekten<br />
und dem curator des Unternehmens beaufsichtigt wurden.<br />
In einer solchen Konstellation konnte <strong>der</strong> Rohbau einer Anlage<br />
wie <strong>der</strong> Kryptoportikus in wenigen Wochen errichtet werden.<br />
Die Ziegelproduktion, die Marmorbrüche und an<strong>der</strong>e Einrichtungen,<br />
die für den Marmorbetrieb entscheidende Bedeutung besaßen,<br />
lagen vielfach in <strong>der</strong> Hand von Angehörigen <strong>der</strong> Familie des<br />
Kaisers mitsamt ihren Freigelassenen und Sklaven. Domitians<br />
Geldpolitik war entgegen mancher Aussagen seiner Opponenten<br />
sehr solide, so dass er keine Probleme hatte, umfangreiche Bauprogramme<br />
durchzuführen, seien es neue Residenzen auf dem<br />
Palatin, seine Villen o<strong>der</strong> neue große Bauten für Spiele und Theater.<br />
Bei den Unmengen von kaiserlichen Baumaterialien, die in diesen<br />
Zeiten bewegt wurden, konnte hin und wie<strong>der</strong> ein Hofbaumeister<br />
dem Versuch nicht wi<strong>der</strong>stehen, etwas für die Ausstattung eigener<br />
Projekte abzuzweigen. Der römische Autor und Historiker Sueton<br />
überliefert, dass Domitian einen Redemptor, <strong>der</strong> allzu viele Blöcke<br />
beim Neubau des Kapitolstempels für sein eigens Mausoleum abzweigte,<br />
hinrichten und in den Tiber werfen ließ. Das Grabmal wurde<br />
dem Erdboden gleich gemacht.<br />
<br />
TITELTHEMA<br />
Die Arbeiten zur Villa des Domitian werden dankenswerterweise unterstützt von <strong>der</strong> Direzione delle Villa Ponteficie und ihrem Direktor Dr. Saverio Petrillo<br />
sowie <strong>der</strong> Antikenabteilung <strong>der</strong> Musei Vaticani, seinerzeit Paolo Liverani.<br />
Der Terrasse war eine riesige Halle mit einer Länge von 340 Metern vorgelagert, die in <strong>der</strong> Antike offenbar den Hauptzugang in das Innere <strong>der</strong> Villa bildete. Theater und Kryptoportikus<br />
sind heute noch soweit erhalten, dass sich aus den erhaltenen Mauern und Bauteilen ihr Aufbau vollständig erschließen lässt, eine Arbeit, die von Henner von Hesberg und<br />
Ulrike Hess vom DAI Rom und in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführt wurde.<br />
Die Kryptoportikus bildete den vor<strong>der</strong>en<br />
Abschluss <strong>der</strong> Hauptterrasse innerhalb <strong>der</strong> Villa.<br />
Sie war 340 Meter lang, 7,35 Meter breit und<br />
im Scheitel des Gewölbes 10,35 Meter hoch.<br />
Damit war sie die größte bekannte Halle ihrer<br />
Art. Unterschiedlich breite Fenster erzeugen<br />
eine Wellenbewegung im Lichtfluss, so dass<br />
die Besucher immer weiter in den Raum<br />
hineingezogen wurden.<br />
Auf dem Podium empfing <strong>der</strong> Kaiser im<br />
Kreise seiner Prätorianer und ausgewählter<br />
Amtsinhaber allmorgendlich die Personen,<br />
die zur salutatio zugelassen waren.<br />
52 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 53
Der Archäologe Prof. Dr. Henner von Hesberg<br />
ist Direktor <strong>der</strong> Abteilung Rom des DAI.<br />
Herodes und die Großbaustelle Jerusalem<br />
DAS IDEOLOGISCHE RISIKO<br />
„Kaiserliche Großbauten dienten nicht nur<br />
dazu, die Principes in steter Fürsorge für<br />
die Kapitale des Imperium Romanum zu<br />
zeigen o<strong>der</strong> etwa für Arbeit zu sorgen. Vielmehr<br />
definierten sie in außerordentlich<br />
komplexer Weise den Anspruch <strong>der</strong> Herrscher.<br />
In ihnen wurden Beziehungen<br />
zwischen Herrscher und Volk, aber auch<br />
zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb<br />
des Volkes in ganz unterschiedlichen<br />
Bereichen <strong>der</strong> Kommunikation immer<br />
neu definiert und dazu erfor<strong>der</strong>liche<br />
Verhaltensmuster vorgezeichnet und stabilisiert.<br />
Diese Impulse gingen vom Herrscher<br />
und seiner engsten Umgebung aus.<br />
Diese Konstellation dürfte beson<strong>der</strong>s geeignet<br />
sein, eine Antwort auf die Frage<br />
nach <strong>der</strong> Qualität und Bedeutung <strong>der</strong><br />
Großbauten im kaiserlichen Rom zu geben.<br />
Eine schnelle Umsetzung war unbedingt<br />
erfor<strong>der</strong>lich, denn nicht zuletzt war<br />
darin Macht unmittelbar zu spüren.<br />
In diesem Zusammenhang wüsste man<br />
gerne, wie <strong>der</strong> Kaiser mit dem ‚ideologischen<br />
Risiko’ umging. Denn gerade die Einzigartigkeit<br />
des Baus zusammen mit seiner<br />
unerhörten Größe öffneten die Tür für<br />
Fehlverständnis und gehässige Interpretation<br />
unter <strong>der</strong> Bevölkerung. Zeugnisse dafür<br />
gab es in großer Zahl und beson<strong>der</strong>s<br />
die Überlieferung zur Domus Aurea, dem<br />
Palast des Nero in Rom, belegt solche Polemiken.<br />
Domitian und seine Vertrauten<br />
kannten ganz gewiss diese Kritik und<br />
mussten sie mit in ihr Kalkül einbeziehen.<br />
Wieweit sie da auf Risiko setzten o<strong>der</strong> womöglich<br />
einfach ihren Wünschen in <strong>der</strong><br />
Konzeption freien Lauf ließen, lässt sich<br />
kaum mehr beantworten.“<br />
Henner von Hesberg<br />
TITELTHEMA<br />
Modell des herodianischen Tempels in Jerusalem. Als Herodes den jüdischen Tempel in großer Pracht wie<strong>der</strong> aufbauen ließ,<br />
gründete er bei dieser Gelegenheit einen neuen Stadtteil.<br />
Wikimedia Commons<br />
Die Grenzen <strong>der</strong> Villa des Kaisers sind nicht exakt bekannt. Zu vermuten sind <strong>der</strong> See und die Via Appia sowie die Ortschaften Castel Gandolfo und<br />
Albano. Schon in dieser Ausdehnung gehörte die Villa zu den größten Kaiservillen überhaupt und kam <strong>der</strong> bekannten Anlage des Hadrian in Tivoli<br />
in etwa gleich. Fotos und Abbildungen: DAI, Abteilung Rom<br />
Im archäologischen Park unter <strong>der</strong> Erlöserkirche von Jerusalem<br />
führt <strong>der</strong> Weg in die Vergangenheit 2000 Jahre zurück durch eine<br />
mittelalterliche Kirche, einen Marktplatz Konstantins, durch Baureste<br />
aus <strong>der</strong> Zeit Hadrians und Schuttmassen nach Titus’ Zerstörung,<br />
bis man schließlich in einem Steinbruch ankommt. Er stammt<br />
aus <strong>der</strong> Zeit Herodes des Großen, <strong>der</strong> 37–4 v. Chr. „König Jerusalems“<br />
von Roms Gnaden war. Tatsächlich baute Herodes wie ein<br />
Römer. 27 v. Chr. ließ er ein Theater und ein Amphitheater errichten,<br />
wenige Jahre später einen großen Königspalast in Jerusalem<br />
und eine gewaltige Residenz in Judäa, das „Herodium“. Es folgte<br />
<strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Stadt Caesarea maritima und ihres Hafens. Wasserleitungen<br />
und Festungen waren weitere Projekte seiner Baulust,<br />
und als er ab dem Jahre 20 v. Chr. den jüdischen Tempel in großer<br />
Pracht wie<strong>der</strong> aufbaute, gründete er bei dieser Gelegenheit auch<br />
einen neuen Stadtteil. Als König <strong>der</strong> Provinz Juda vergaß er auch<br />
nicht, seine Herrschaft durch die Gewährung von Schutz kundzutun:<br />
Er ließ eine große Mauer errichten, die das neue Stadtviertel<br />
beschützen sollte.<br />
Über den Verlauf dieser „Zweiten Mauer“ berichtet <strong>der</strong> jüdisch-römische<br />
Historiker und Schriftsteller Josephus Flavius: „Die zweite Mauer<br />
nahm ihren Anfang bei einem Tor, das in <strong>der</strong> ersten Mauer [die<br />
alte Stadtmauer Jerusalems] lag und Gennat genannt wurde; indem<br />
sie lediglich den Nordteil <strong>der</strong> Stadt einschloss, führte sie bis hin zur<br />
Antonia [Festungsanlage im nördlichen Teil des Tempelareals].“<br />
D I E Z W E ITE M AUE R<br />
Lange wurde vermutet, die „Zweite Mauer“ läge direkt unter <strong>der</strong><br />
Erlöserkirche, <strong>der</strong>en Bau 1893 begonnen wurde. Doch diese Vermutung<br />
hielt neueren archäologischen Untersuchungen nicht<br />
stand. Die große Mauer unter <strong>der</strong> Kirche war vielmehr die Umfas-<br />
54 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 55
TITELTHEMA<br />
1<br />
2<br />
3 4<br />
1 Jerusalem zur Zeit Herodes d. Großen. 3D-Modell mit Tempelberg, Herodespalast und Gartenareal außerhalb <strong>der</strong> „Zweiten<br />
Mauer“. Die Nadel bezeichnet den heutigen Standort <strong>der</strong> Erlöserkirche.<br />
2 Die Stadt um 4 v. Chr. (grün und rot; grau hinterlegt) im Vergleich zur heutigen Altstadt (schwarz); mit * wird <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong><br />
heutigen Erlöserkirche bezeichnet; das A markiert die Festung Antonia.<br />
SCHEMATISIERTE ILLUSTRATION<br />
DER MESSSITUATION<br />
Oben: Querschnitt ; unten: Draufsicht.<br />
Die Messsonden können nur an<br />
den Wänden des Grabungsloches<br />
angebracht werden.<br />
3 Rekonstruktion des Steinbruchgeländes in <strong>der</strong> herodianischen Stadt. Original-Zeichnung vermutlich von Baurat E. W. Krüger.<br />
4 Unter <strong>der</strong> Erlöserkirche konnte ein großer Teil des Kirchenareals unterhöhlt und ein ca. 8 Meter tiefer Grabungsschnitt angelegt<br />
werden, <strong>der</strong> bis auf den Grund des von Herodes d. Gr. angelegten Steinbruchs führt. Bearbeitungsspuren im gewachsenen<br />
Felsen zeigen noch die Schnittrichtung <strong>der</strong> römischen Steinsägen.<br />
Abbildungen aus: Dieter Vieweger und Gabriele För<strong>der</strong>-Hoff<br />
Der archäologische Park unter <strong>der</strong> Erlöserkirche von Jerusalem. DEI Jerusalem<br />
sungsmauer des an die Grabeskirche anschließenden Marktplatzes<br />
aus <strong>der</strong> Zeit Konstantin d. Gr. Jetzt will das Deutsche Evangelische<br />
<strong>Institut</strong> für Altertumswissenschaft des Heiligen Heiligen<br />
Landes“ (DEI), das dem DAI in einem Kooperationsabkommen verbunden<br />
ist, zusammen mit Geophysikern <strong>der</strong> Technischen Universität<br />
Ilmenau eine Prospektion des Geländes vornehmen, um die<br />
genaue Lage <strong>der</strong> „Zweiten Mauer“ zu ermitteln und damit ein<br />
mehr als 150-jähriges Rätsel <strong>der</strong> Archäologe lösen.<br />
Infolge <strong>der</strong> dichten Bebauung des Geländes ist eine weitere Grabung<br />
nicht möglich, daher müssen die Forscher mit zerstörungsfreien<br />
Methoden arbeiten, um die Existenz <strong>der</strong> „Zweiten Mauer“<br />
nachweisen und <strong>der</strong>en Lage genau bestimmen zu können. Der<br />
Tiefschnitt unter <strong>der</strong> Kirche ist dafür ein guter Ausgangspunkt.<br />
Georadar ist das Mittel <strong>der</strong> Wahl. Die Experten von <strong>der</strong> TU Ilmenau,<br />
Prof. Dr.-Ing. Reiner S. Thomä und Dr.-Ing. Jürgen Sachs, ziehen Antennen<br />
mit direktem Bodenkontakt über das Untersuchungsareal.<br />
Falls die noch verborgenen Objekte einen ausreichend hohen<br />
Kontrast zum Einbettungsmaterial – Boden, Sand o<strong>der</strong> ähnliches<br />
– aufweisen, lassen sich anhand <strong>der</strong> Radardaten die Fundamentstrukturen<br />
wie ein leicht verschwommener Grundriss erkennen.<br />
Unter <strong>der</strong> Projektleitung von Dieter Vieweger macht man sich an<br />
diese nicht ganz leichte Aufgabe: Die Erlöserkirche liegt 14 Meter<br />
über dem Horizont, auf dem Herodes gebaut hatte.<br />
<br />
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger ist<br />
Leiten<strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> <strong>Institut</strong>e in Jerusalem<br />
und Amman<br />
„Das „Deutsche Evangelische <strong>Institut</strong> für Altertumswissenschaft<br />
des Heiligen Landes“ (DEI) wurde im Jahre 1900 durch einen Beschluss<br />
<strong>der</strong> evangelischen Landeskirchen gegründet, besiegelt<br />
durch die Unterschrift des Kaisers. Ziel des DEI sollte es sein, die<br />
Geschichte und Kulturgeschichte des Landes diesseits und jenseits<br />
des Jordan unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> biblischen<br />
Epochen und <strong>der</strong> Entstehung des Christentums wissenschaftlich<br />
zu untersuchen. Hierzu unternimmt das DEI eigene<br />
Projekte o<strong>der</strong> Ausgrabungen wie das „Gadara Region Project“ und<br />
unterstützt an<strong>der</strong>e deutsche Vorhaben, wobei die Forschungsergebnisse<br />
insbeson<strong>der</strong>e auf dem Gebiet <strong>der</strong> Archäologie und Landeskunde<br />
an ein weites Publikum vermittelt und in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Welt diskutiert werden sollen. Um dies realisieren zu<br />
können, unterhält das <strong>Institut</strong> eigene Bibliotheken, gibt eine Publikationsreihe<br />
heraus, organisiert Fachtagungen, Vortragsreihen<br />
und Ausstellungen. Eines <strong>der</strong> Vorhaben ist <strong>der</strong> archäologische Park<br />
unter <strong>der</strong> Erlöserkirche, ein „Schaufenster“ <strong>der</strong> Tätigkeit des <strong>Institut</strong>s<br />
in Jerusalem. Das <strong>Institut</strong> wird von <strong>der</strong> Evangelischen Kirche in<br />
Deutschland getragen und ist zugleich eine Forschungsstelle des<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> (DAI). Es unterhält Standorte<br />
in Jerusalem und Amman (www.deiahl.de).“ Dieter Vieweger<br />
56 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 57
Das Gefühl nach<br />
Hause zu kommen<br />
Vorausschauende<br />
Diplomatie<br />
PORTRÄT<br />
Dr. Margarete van Ess ist Wissenschaftliche<br />
Direktorin <strong>der</strong> Orient-Abteilung des<br />
DAI. Seit 1989 hatte sie die Grabungsleitung<br />
in Uruk/Warka im Irak inne, seit<br />
1997 leitet sie zudem Ausgrabungsprojekte<br />
im Libanon.<br />
Foto: Obeloer<br />
1994 war Margarete van Ess nach den langen<br />
Jahren des Bürgerkrieges zum ersten<br />
Mal wie<strong>der</strong> im Libanon. „Es roch wie in <strong>der</strong><br />
Kindheit“, sagt die Archäologin. Aufgewachsen<br />
ist sie in einer Familie von Orientalisten,<br />
die geraume Zeit ihres Lebens in<br />
dem Land verbrachte, das zu den schönsten<br />
des Nahen Ostens gezählt wird. Das<br />
Gefühl, nach Hause zu kommen, spürt Margarete<br />
van Ess überall im Orient, die Weltgegend<br />
steckt in den Knochen, wenn auch<br />
die Liebe immer wie<strong>der</strong> auf eine harte Probe<br />
gestellt wird. „Die politische Situation<br />
strengt mich an“, räumt sie ein. Das beste<br />
Gegenmittel sei, sich in die Arbeit zu stürzen.<br />
Dem Studium <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>asiatischen Archäologie,<br />
Altorientalistik und Ur- und<br />
Frühgeschichte in Tübingen und Berlin<br />
folgte 1989 <strong>der</strong> Berufseinstieg als Wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin <strong>der</strong> Abteilung<br />
Bagdad des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s und die Grabungsleitung in Uruk,<br />
dem heutigen Warka. Nach dem Abschluss<br />
<strong>der</strong> Promotion 1996 zum Thema „Die Architektur<br />
des Eanna-Heiligtums in Uruk zur Ur<br />
III- und altbabylonischen Zeit. Baukonzeption<br />
eines Heiligtums“ wurde sie Wissenschaftliche<br />
Direktorin <strong>der</strong> Orient-Abteilung<br />
des DAI. 1997 kam die Leitung von Ausgrabungsprojekten<br />
im Libanon dazu.<br />
„Kulturerhalt ist wie überall auch in den<br />
Län<strong>der</strong>n des Orients ein schwieriges Unterfangen“,<br />
sagt die Archäologin – und das<br />
nicht nur in schwierigen Zeiten. Der Reichtum<br />
an Zeugnissen antiker Kulturen ist<br />
nicht immer nur ein Segen. „Es kann nicht<br />
darum gehen, pauschal alles zu erhalten,<br />
was gefunden wird.“ Die Interessenlage ist<br />
komplex, die Bedürfnisse heutiger Bewohner<br />
sind zu respektieren. „Wichtig ist aber,<br />
dass man einen Mechanismus findet, nach<br />
dem entschieden wird, was bleibt und was<br />
nicht“, sagt van Ess. Transparenz sei das<br />
oberste Gebot für alle Beteiligten und die<br />
Frage sei stets, ob ein Konsens in <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
erzielt wurde o<strong>der</strong> ob die Interessen<br />
einzelner Gruppen bedient werden.<br />
Reden hilft, weiß van Ess, die als Wissenschaftlerin<br />
des DAI immer auch Diplomatin<br />
ist, wobei Belehrung die Todsünde <strong>der</strong> internationalen<br />
Zusammenarbeit sei. „Wenn<br />
junge irakische Wissenschaftler nach<br />
Deutschland kommen, zeigen wir ihnen,<br />
wie wir arbeiten – als eine Möglichkeit des<br />
Ansatzes. Wir erklären ihnen nicht, wie es<br />
geht.“ Margarete van Ess erinnert sich an<br />
eine gemeinsame Schifffahrt nach Potsdam.<br />
Vom Wasser aus versteht man die<br />
Sichtachsen und den ordnenden Gedanken<br />
dieses Teils des UNESCO-Weltkulturerbes.<br />
„Die irakischen Gäste verstanden, dass<br />
nicht nur materielle Kulturgüter, son<strong>der</strong>n<br />
auch Ideen schützenswertes Gut sein können.“<br />
Derlei diplomatisches Fingerspitzengefühl<br />
lernt man natürlich nicht im Studium.<br />
„Aber irgendwann erkennt man ohnehin,<br />
dass man an <strong>der</strong> Universität nicht für alles<br />
‚ausgebildet’ wurde“, sagt van Ess. Mehr als<br />
ein Ausgangspunkt für weiteres Fragen<br />
und Forschen kann ein Studium auch nicht<br />
sein, findet sie. Ohne intrinsische Motivation<br />
hält man viele <strong>der</strong> Arbeiten nicht aus,<br />
die indessen die Grundlage für alles Weitere<br />
sind. „Manche scheitern an 20.000 Scherben,<br />
die statistisch erfasst werden müssen“,<br />
weiß die Archäologin. „Natürlich kann so<br />
etwas tödlich langweilig sein, aber wenn<br />
man weiß, wo man hin will, ist es auch unglaublich<br />
spannend.“<br />
Am Ende hilft das harte Training bei <strong>der</strong><br />
forschenden Arbeit in Einsamkeit und Freiheit<br />
ebenso wie beim effizienten Projektmanagement,<br />
wenn es darum geht, eine<br />
Grabung zu organisieren. Seit dem Studium<br />
arbeitet Margarete van Ess zum Tempelbau<br />
in Mesopotamien. „Mein Wunsch<br />
ist, dazu einmal eine große Monographie<br />
zu schreiben und dabei die unterschiedlichen<br />
Tempelkonzepte in Süd- und Nordmesopotamien<br />
und <strong>der</strong> Levante miteinan<strong>der</strong><br />
zu vergleichen. Aber im Moment kann<br />
ich mich nicht einfach hinsetzen und monatelang<br />
daran durcharbeiten.“ Der Arbeitstag<br />
gehört nicht nur <strong>der</strong> Wissenschaft,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> nicht gänzlich ungeliebten<br />
Verwaltung o<strong>der</strong> auch Studierenden,<br />
die betreut sein wollen.<br />
Margarete van Ess hat noch einen an<strong>der</strong>en<br />
Wunsch. „Es wäre schön – und im Sinne internationaler<br />
Zusammenarbeit auch hilfreich<br />
– wenn <strong>der</strong> hiesige Blick auf die Län<strong>der</strong><br />
des Nahen Ostens mehr von <strong>der</strong><br />
Realität mit all ihren kulturellen und<br />
menschlichen Stärken, die auch in schwierigen<br />
Zeiten nicht untergehen, geprägt<br />
wäre und nicht so sehr von sensationsheischen<strong>der</strong><br />
Dauerkriegsberichterstattung.“<br />
Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit.<br />
2009 wurde ihr die Ehrendoktorwürde<br />
des <strong>Institut</strong>s für Arabische Geschichte<br />
und wissenschaftliches Erbe des Irak,<br />
einer <strong>Institut</strong>ion <strong>der</strong> Union <strong>der</strong> Arabischen<br />
Historiker verliehen.<br />
<br />
Brita Wagener ist Botschafterin <strong>der</strong><br />
Bundesrepublik Deutschland in <strong>der</strong><br />
Republik Irak.<br />
Foto: Auswärtiges Amt, Pressestelle<br />
„Man kann auch im Kleinen wichtige Dinge<br />
bewirken“, weiß Brita Wagener – zu weltfremd<br />
wäre auch <strong>der</strong> Versuch, große Probleme<br />
mit einem großen Wurf wegwischen<br />
zu wollen. Nach Jahrzehnten verschiedener<br />
Facetten von Ausnahmezustand ist das<br />
Leben im Irak von <strong>der</strong> Anstrengung geprägt,<br />
Normalität und Alltag wie<strong>der</strong>herzustellen<br />
und <strong>Institut</strong>ionen funktionsfähig zu<br />
machen. Brita Wagener ist seit August 2012<br />
deutsche Botschafterin in Bagdad.<br />
Seit 1983 ist die Juristin im Auswärtigen<br />
Dienst. Als Spezialistin für Völkerrecht war<br />
sie auf verschiedenen Posten in Kairo, Neu<br />
Delhi, Istanbul und Tel Aviv. „Es ist wichtig,<br />
verschiedene Seiten zu sehen, damit sich<br />
<strong>der</strong> Blick nicht verengt.“<br />
Auch <strong>der</strong> Alltag <strong>der</strong> Botschaftsangehörigen<br />
ist – vor dem Hintergrund einer<br />
schwierigen Sicherheitslage – von erheblichen<br />
Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit<br />
geprägt. „Wir haben insgesamt<br />
aber guten Zugang“, sagt Wagener.<br />
„Die Iraker suchen das Gespräch auf allen<br />
Ebenen.“ Ein beson<strong>der</strong>es Interesse gilt den<br />
Wirtschaftsbeziehungen, die sich in einem<br />
komplizierten Aufbauprozess befinden.<br />
Traditionell gute und lange Beziehungen<br />
zwischen beiden Län<strong>der</strong>n gibt es in <strong>der</strong><br />
Kultur- und Wissenschaftspolitik. Eine wesentliche<br />
Komponente dieses Bereichs<br />
sind die Projekte und Kooperationen des<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s, das<br />
seit 1955 eine Außenstelle in Bagdad unterhalten<br />
hat. Von dort aus wurden in bester<br />
Kooperation mit <strong>deutschen</strong>, irakischen<br />
und internationalen Partnern die Arbeiten<br />
durchgeführt, die über 5000 Jahre in <strong>der</strong><br />
Geschichte zurückgehen und Bil<strong>der</strong> mächtiger<br />
Sakralbauten und Paläste hervorrufen<br />
und die von den kulturellen Meisterleitungen<br />
<strong>der</strong> ersten Großstadt <strong>der</strong> Welt berichten,<br />
die in Uruk, dem heutigen Warka, geschaffen<br />
wurden.<br />
„Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik<br />
hat einen erheblichen Stellenwert in<br />
unserer Arbeit“, sagt Brita Wagener. Politik,<br />
Kultur und Wissenschaft arbeiten Hand in<br />
Hand, was allen Beteiligten die Kommunikation<br />
auf schwierigem Terrain erleichtert.<br />
„Über Kultur und Bildung kann man nicht<br />
nur Zugang schaffen“, sagt die Diplomatin.<br />
„Man kann auch vorausschauend etwas für<br />
diejenigen tun, die unter <strong>der</strong> angespannten<br />
Situation beson<strong>der</strong>s leiden, Menschen,<br />
die das aber Land einmal am nötigsten<br />
brauchen wird.“ Wenn es nicht mehr die<br />
Waffen sind, die glauben, die politischen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen bestreiten zu können,<br />
werden es die Intellektuellen, die<br />
Künstler und die Wissenschaftler sein, die<br />
die öffentlichen Debatten bestreiten. Dann<br />
ist es wichtig, dass man das Land nicht aus<br />
dem Blick verliert und die richtigen Signale<br />
setzt. „Es geht nicht immer nur um Geld.“<br />
„Die Herausfor<strong>der</strong>ungen sind enorm“, weiß<br />
Brita Wagener. „Es gibt unendlich viel zu<br />
tun und zu diskutieren. Die wichtigen Themen<br />
sind die Fragen, wie die verschiedenen<br />
Komponenten des Landes Ihr Zusammenleben<br />
organisieren wollen. Sie<br />
betreffen darüber hinaus den Aufbau von<br />
Strukturen, das Management von <strong>Institut</strong>ionen<br />
und die Möglichkeiten, einigermaßen<br />
normale Abläufe zu organisieren.<br />
Für den deutsch-irakischen Kulturaustausch<br />
ist es schon ein Silberstreif am Horizont,<br />
wenn das Goethe-<strong>Institut</strong> mit Sitz in<br />
Erbil, in den ruhigeren Fö<strong>der</strong>alen Regionen<br />
Kurdistan-Irak, nach sehr langer Pause<br />
2013 hoffentlich erstmals wie<strong>der</strong> Deutschkurse<br />
in Bagdad anbietet. Wann die Außenstelle<br />
Bagdad des DAI wie<strong>der</strong> vor Ort arbeiten<br />
kann, ist noch ungewiss. Noch erlaubt<br />
die Sicherheitslage die Rückkehr <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong><br />
Wissenschaftler nicht, so sehr die<br />
irakischen Kollegen <strong>der</strong>en Rückkehr auch<br />
wünschen. „Wir werden das regelmäßig<br />
prüfen“, sagt die Botschafterin.<br />
„Es ist manchmal sehr for<strong>der</strong>nd, wenn man<br />
kein normales städtisches Leben führen<br />
kann“, räumt Brita Wagener ein. Die kleine<br />
Runde um den Block verbietet sich von<br />
selbst. Dafür stehen die Türen <strong>der</strong> Residenz<br />
– wenn es die Lage erlaubt – offen für Veranstaltungen,<br />
seien es Aufführungen einer<br />
Frauentheatergruppe, sei es eine Podiumsdiskussion<br />
mit irakischen Künstlerinnen.<br />
„Bei allen Einschränkungen ist es gut zu<br />
sehen, dass es Dinge gibt, die wir tun können<br />
und die hoffentlich eine nachhaltige<br />
Wirkung haben“, sagt Brita Wagener. „Man<br />
darf die kleinen Schritte nicht unterschätzen.“<br />
<br />
PORTRÄT<br />
58 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 59
REPORTAGE<br />
An einem Sonntag im August empfängt Athen den Besucher nicht<br />
unbedingt mit offenen Türen. Es ist still in <strong>der</strong> riesigen Stadt, aber<br />
vor allem ist es heiß. Die Menschen haben sich in schattige Räume<br />
o<strong>der</strong> aufs Land zurückgezogen. Für die meisten Mitarbeiter <strong>der</strong><br />
Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s beginnt<br />
nun die Zeit <strong>der</strong> Grabungskampagnen. Athen, eine <strong>der</strong> ältesten<br />
Abteilungen des DAI, wurde 1872 gegründet und ist seit 1888 in<br />
einem Haus untergebracht, das einst Heinrich Schliemann im<br />
Athener Stadtzentrum errichten ließ. Olympia und Kerameikos<br />
sind klangvolle Namen, eine <strong>der</strong> Traditionsgrabungen des DAI mit<br />
dem schlichten Titel „Tiryns“ liegt etwa zwei Autostunden südlich<br />
von Athen am gleichnamigen Ort.<br />
TIRYNS<br />
Die Musterburg <strong>der</strong> mykenischen Könige<br />
Die „Musterburg“ <strong>der</strong> mykenischen Könige ist gut erhalten und<br />
zeigt in einzigartiger Weise die Art mykenischer Palastarchitektur.<br />
Der Bau entstand in drei Bauphasen vom 14. bis zum 12. Jh. v. Chr.<br />
und ist in drei Komplexe unterteilt: die Oberburg mit dem Palast,<br />
die etwa zwei Meter tiefer liegende Mittelburg und die Unterburg<br />
auf dem niedrigsten Teil des Hügels an <strong>der</strong> Nordseite.<br />
Foto: A. Papadimitriou:<br />
Tiryns. Historischer und archäologischer Führer, Athen 2001<br />
60 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 61
KRAGGEWÖLBE AN DER OSTGALERIE<br />
Meisterleistung <strong>der</strong> Ingenieure.<br />
Die Kragbauweise <strong>der</strong> Gänge und Kammern<br />
haben die Mykener womöglich von den<br />
Hethitern übernommen. Die Steinblöcke<br />
kragen stufenweise von <strong>der</strong> niedrigsten zur<br />
höchsten Stufe vor. An <strong>der</strong> Spitze sitzt ein<br />
Schlussstein, <strong>der</strong> die Last auf die Seiten ableitet.<br />
Fotos: A. Papadimitriou:<br />
Tiryns. Historischer und archäologischer Führer,<br />
Athen 2001<br />
Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit <strong>der</strong> Darstellung eines<br />
Frauenkopfes. 13. Jh. v. Chr.<br />
Foto: A. Papadimitriou: Tiryns. Historischer und archäologischer<br />
Führer, Athen 2001<br />
REPORTAGE<br />
Nach eineinhalb Stunden Fahrt entdeckt man auf den Ortsschil<strong>der</strong>n<br />
einen <strong>der</strong> Namen, die man zuerst in <strong>der</strong> Schule gehört hat,<br />
wenn man etwas über die große Dichtung <strong>der</strong> Alten lernte, mythisch<br />
und schon im Altertum literarisch überhöht.<br />
Mykene. Im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. schien sie plötzlich da zu sein,<br />
eine Zivilisation in Mittel- und Südgriechenland, die seit Schliemanns<br />
Entdeckung <strong>der</strong> reich ausgestatteten Schachtgräber offenbar<br />
exponierter Personen im Jahre 1876 „mykenische Kultur“ genannt<br />
wird. In seiner Blütezeit während des 14. und 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
v. Chr. entwickelt „Mykene“ eine prachtvolle Palastkultur, treibt<br />
Handel auch mit weit entfernten Län<strong>der</strong>n und zeigt alle Anzeichen<br />
von Wohlhabenheit. Doch um 1200 v. Chr. geht es in einer Phase<br />
dramatischer Umwälzungen im Feuer unter, die Paläste verlieren<br />
ihre Pracht, die „Linear B“ genannte Schrift, mit <strong>der</strong> eine frühe Form<br />
von Griechisch geschrieben wurde, geht verloren, Verwaltungsstrukturen<br />
und Herrschertitel geraten in Vergessenheit.<br />
L OGISTISCHE G ROSSPLANUNG<br />
Die mykenischen Paläste versanken in den „Dunklen Jahrhun<strong>der</strong>ten“<br />
– so schien es. Über die Ursachen <strong>der</strong> Katastrophe wird diskutiert:<br />
Kriege, interne Auseinan<strong>der</strong>setzungen, Erdbeben o<strong>der</strong> Überfälle<br />
<strong>der</strong> „Seevölker“ rangieren auf den ersten Plätzen als<br />
Erklärungen für den spektakulären Untergang.<br />
Tiryns liegt 20 Kilometer südlich von Mykene, näher am Meer und<br />
gut geeignet als Hafen. Schon seit dem 6. vorchristlichen Jahrtausend<br />
war <strong>der</strong> Ort besiedelt und spielte schon lange, bevor die Könige<br />
kamen, eine bedeutende Rolle. Doch zwischen 1400 und<br />
1200 v. Chr. entsteht hier ein stark befestigter Palast mykenischer<br />
Art als logistische Großplanung, das geschlossene Konzept einer<br />
„planned community“ mit Musterzitadelle, <strong>der</strong>en mächtige Mauern<br />
noch lange sichtbar und lang auch im Gedächtnis <strong>der</strong> Menschen<br />
blieben. Die Könige besaßen die Macht und das Wissen, Arbeitskraft<br />
und Material zu ihrer Verfügung zu nehmen, um ein<br />
solches Projekt verwirklichen zu können. Aber auch Tiryns geht unter<br />
in den Feuersbrünsten, doch an<strong>der</strong>s als an den an<strong>der</strong>en Schauplätzen<br />
<strong>der</strong> Verwüstung entsteht hier aus den Trümmern etwas<br />
Neues. „Am interessantesten ist die Zeit nach <strong>der</strong> Katastrophe“,<br />
sagt <strong>der</strong> Archäologe Joseph Maran von <strong>der</strong> Universität Heidelberg,<br />
<strong>der</strong> das Projekt „Tiryns“ seit 1994 im Auftrag des DAI leitet. „Zwischen<br />
etwa 1200 und 1050 v. Chr. stellt sich Tiryns gleichsam gegen<br />
den Strom <strong>der</strong> Geschichte, da es expandierte, während die an<strong>der</strong>en<br />
vormaligen Palastzentren schrumpften o<strong>der</strong> verschwanden.“<br />
D AS I NNE RSTE DE R K ÖNIGSIDE OLOGIE<br />
Die Mauer ist gut sieben Meter dick und besteht aus riesigen Steinblöcken.<br />
Man erkennt die Ungeheuerlichkeit des Baus erst, wenn<br />
man sich nach <strong>der</strong> Passage des torlosen Haupteingangs im Inneren<br />
des Burgareals wie<strong>der</strong>findet. Nach einem Richtungswechsel<br />
erreicht man das Haupttor und betritt, noch geblendet vom gleißenden<br />
Tageslicht, einen engen, dunklen und bedrohlichen Torweg,<br />
dessen Wände aus kyklopischen, rohen, unbehauenen Steinen<br />
bestehen. Es geht bergauf, <strong>der</strong> Weg verengt sich weiter und<br />
führt tiefer ins Dunkel.<br />
Starke Gerüste stützen die noch stehenden Teile <strong>der</strong> einst mächtigen<br />
Mauer, damit sie sich nicht weiter in Schieflage neigt. An dieser<br />
Stelle wird ein Kran es richten und zum Stabilisieren wird Putz<br />
in die Risse eingebracht.<br />
1 2 3<br />
KOOPERATIONEN<br />
Am Eingang zu den Palastruinen von Tiryns informiert eine Tafel darüber, dass <strong>der</strong> Platz seit 1999 zum Weltkulturerbe <strong>der</strong> UNESCO gehört.<br />
Ein kleines Besucherzentrum und <strong>der</strong> Kiosk, in dem man Eintritt zahlt und den archäologischen Führer von Alkestis Papadimitriou in sieben Sprachen<br />
erhält, stehen in seltsamem Kontrast zu den kyklopischen Überresten <strong>der</strong> Anlage, die – wie <strong>der</strong>t griechische Geograph und Historiker Strabon<br />
in seinen Berichten beteuerte – nur von Riesen erbaut worden sein konnte.<br />
Kernpunkt <strong>der</strong> Erforschung von Tiryns ist seit Jahrzehnten eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen griechischen und <strong>deutschen</strong> Archäologinnen und<br />
Archäologen. Die Archäologin Alkestis Papadimitriou, Direktorin des griechischen Antikendienstes in den Landschaften Argolis und Lakonien, ist<br />
Marans Kooperationspartnerin in Tiryns und kennt den Ort seit den Zeiten, in denen Klaus Kilian von <strong>der</strong> Abteilung Athen des DAI Maßstäbe in <strong>der</strong><br />
Erforschung von Tiryns setzte, als er von 1976 bis 1983 die Großgrabung in <strong>der</strong> Unterburg leitete.<br />
Im Magazin, dem Arbeitsraum und Depot <strong>der</strong> heutigen Tirynther Grabung, das in einer alten Käsefabrik untergebracht ist, sind schon die ersten Grabungsarbeiter<br />
und Studierenden versammelt, in Kürze beginnt die diesjährige Kampagne. Alkestis Papadimitriou und Joseph Maran werden mit einer För<strong>der</strong>ung<br />
1 Joseph Maran und Susanne Prillwitz besprechen Einzelheiten <strong>der</strong><br />
Grabungskampagne.<br />
2 Susanne Prillwitz verteilt die Aufgaben, koordiniert die Arbeiten<br />
und weist die Beteiligten in die Abläufe ein. Sie bearbeitet für ihre<br />
Dissertation mit einem archäometrischen Schwerpunkt die Befunde<br />
zur Keramikproduktion in Tiryns von mykenischer bis in<br />
spätgeometrische Zeit.<br />
3 Die ersten Studierenden sind eingetroffen und helfen, die kommende<br />
Ausgrabungskampagne vorzubereiten.<br />
<strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Areal in <strong>der</strong> nördlichen<br />
Unterstadt ergraben, um zu erforschen, wie es dazu kam, dass direkt nach<br />
<strong>der</strong> großen Katastrophe Teile <strong>der</strong> Unterstadt offenbar systematisch bebaut<br />
wurden.<br />
Graben und Funde bearbeiten ist ein Teil <strong>der</strong> archäologischen Arbeit.<br />
Ein an<strong>der</strong>er Teil ist es, die materiellen Zeugnisse <strong>der</strong> Antike zu erhalten.<br />
Diesem Zweck dient ein gewaltiges Restaurierungsprogramm, das <strong>der</strong><br />
griechische Antikendienst unter <strong>der</strong> Leitung von Alkestis Papadimitriou,<br />
die auf nationaler und europäischer Ebene erfolgreich für die Erhaltung<br />
Tiryns’ warb, seit 1997 in Zusammenarbeit mit dem DAI durchführt.<br />
„Liminale Punkte“ nennt Maran die Punkte erzwungener Richtungswechsel,<br />
die den Weg ins Innere des Palastes zu einer rituellen<br />
Expedition machen sollen. Mit jedem Wechsel steigert sich die<br />
symbolische Aufladung des Weges. Irgendwann werden die Steine<br />
kleiner, das Mauerwerk feiner, und plötzlich ist die kultivierte Zone<br />
erreicht, in <strong>der</strong> lebhaft farbige Fresken von großer Schönheit dem<br />
Besucher genau das zeigten, was ihn selbst herführte: eine Prozession<br />
zum Allerheiligsten im Zentrum des Palastes, wo sich vor den<br />
Augen weniger Eingeweihter am zentralen Herdfeuer die Gottheit<br />
manifestieren und mit dem König und <strong>der</strong> Königin vereinen würde.<br />
„Es ist das Innerste <strong>der</strong> Königsideologie“, sagt Maran. Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Könige gibt es indessen nicht. Wichtig war allein das Ritual, dessen<br />
Abläufe in allen Einzelheiten strengstens einzuhalten waren. „Die<br />
ganze Anlage war dafür bis ins kleinste Detail maßgeschnei<strong>der</strong>t“,<br />
erklärt Maran.<br />
DER TEU FELSKRE IS AUS FÜRSORGE<br />
UND A USBE UTUNG<br />
Der Versuch, die Harmonie von Göttern und Menschen immer wie<strong>der</strong><br />
von Neuem zu bekräftigen, hatte einen Preis. Und womöglich<br />
führte er erst herbei, was er abwenden sollte. Um seinen sakralen<br />
Pflichten nachkommen zu können, musste <strong>der</strong> Palast die umliegenden<br />
Ortschaften ausbeuten. Trafen Frondienste, schlechte Ernten<br />
und Bedrohungen von außen aufeinan<strong>der</strong>, konnte dies die<br />
Menschen an den Rand des Erträglichen treiben, und bei den ers-<br />
62 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 63
Die große Mauer droht zu kippen. Bis sie wie<strong>der</strong> gerichtet werden<br />
kann, müssen Gerüste sie stützen.<br />
NEUBAUP ROJE KTE<br />
Tiryns ist das einzige <strong>der</strong> mykenischen Zentren <strong>der</strong> Palastzeit, das<br />
nach den Zerstörungen um 1200 v. Chr. einen Neuanfang versucht.<br />
Jetzt erst wird das neu gewonnene Bauland in <strong>der</strong> nördlichen Unterstadt<br />
für architektonische Neuplanungen systematisch genutzt.<br />
„Es sieht alles so aus, als hätten Palastbeamte aus <strong>der</strong> dritten o<strong>der</strong><br />
vierten Reihe die längst existierenden Pläne aus <strong>der</strong> Schublade geholt,<br />
um sie in die Tat umzusetzen“, sagt Maran. Sie müssen das<br />
Wissen gehabt haben und fähig gewesen sein, soziale Strukturen<br />
zu steuern, die <strong>der</strong>lei Vorhaben möglich machten. Die Siedlung<br />
wuchs auf geschätzte 25 Hektar Größe an, eine für Zeit und Ort<br />
sensationelle Größe. Die politischen Hintergründe dieses Größenwachstums<br />
liegen ebenso im Dunkeln wie die Frage <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />
Grundlage und <strong>der</strong> ethnischen Zusammensetzung<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung, die zum Teil womöglich aus <strong>der</strong> weiteren und<br />
näheren Umgebung zugezogen war. Nach 1200 unternimmt die<br />
neue herrschende Schicht sogar einen Versuch, wichtige Areale<br />
des vom Feuer zerstörten Palastes in ihrem eigenen Sinne wie<strong>der</strong><br />
aufzuladen und zu besetzen, indem sie zentrale Symbole <strong>der</strong> vorten<br />
Anzeichen <strong>der</strong> Instabilität verwandelten sich in <strong>der</strong> stark hierarchisierten<br />
Gesellschaft die schwelenden Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
in offene Konflikte.<br />
Ob doch ein großes Erdbeben für den Untergang <strong>der</strong> Paläste verantwortlich<br />
war, untersuchen die Archäologen <strong>der</strong>zeit in einem<br />
von <strong>der</strong> Gerda Henkel-Stiftung und Fritz Thyssen-Stiftung geför<strong>der</strong>ten<br />
Projekt zusammen mit Alkestis Papadimitriou und dem<br />
Seismologen Klaus-Günter Hinzen von <strong>der</strong> Universität zu Köln.<br />
Joseph Maran hat durchaus Zweifel an <strong>der</strong> herrschenden Forschungsmeinung,<br />
wonach Erdbeben für die Palastzerstörungen<br />
um 1200 v. Chr. verantwortlich waren: „In historischen Zeiten je-<br />
denfalls gehörte die Argolis nicht zu den gefährlichsten Erdbebenzonen<br />
Griechenlands – an<strong>der</strong>es als zum Beispiel Korinth, das<br />
mehrfach zerstört wurde.“<br />
„Vielleicht haben sich die mykenischen Könige durch das Feuerwerk<br />
an Baumaßnahmen in den letzten Jahrzehnten ihrer Herrschaft<br />
vielmehr ihr eigenes Grab geschaufelt“, überlegt <strong>der</strong> Archäologe.<br />
Eine Chance, es an<strong>der</strong>s zu machen, hätten sie kaum<br />
gehabt, wenn sie Könige bleiben wollten. „Schließlich taten sie,<br />
was die Götter verlangten und gerieten so in einen Teufelskreis aus<br />
wirtschaftlicher Ausbeutung und sakraler Fürsorge – die von ihnen<br />
erwartet wurde.“<br />
Dazu gehörte auch die Abwehr von Naturgewalten. Ein kleiner<br />
Fluss überschwemmte und zerstörte die Fel<strong>der</strong>, so dass man –<br />
noch 50 Jahre vor <strong>der</strong> Katastrophe – einen gewaltigen Damm baute.<br />
„Es war <strong>der</strong> erste Damm, <strong>der</strong> das Flussbett komplett versiegelte“,<br />
erklärt Joseph Maran. „Am Konvergenzpunkt verschiedener Bäche<br />
fanden die Baumeister genau den richtigen Punkt, an dem sie den<br />
alten Wasserlauf schließen mussten. Parallel dazu leiteten sie den<br />
Fluss durch ein neues Bett weit an Tiryns vorbei.“ Seitdem blieben<br />
die Fel<strong>der</strong> unbeschadet und es konnte Bauland erschlossen werden<br />
– alles in allem eine ingenieurstechnische Meisterleistung.<br />
„Aber womöglich war <strong>der</strong> Bau dieses gewaltigen Damms auch <strong>der</strong><br />
Sargnagel, <strong>der</strong> den Untergang des Palastes besiegelte, als die Katastrophe<br />
schließlich hereinbrach.“<br />
herigen religiösen und politischen Ordnung wie den Thronplatz<br />
und einen Altar im Hof in ihre Neuplanungen einbezieht. Einen<br />
wesentlichen Teil dieser Bemühungen hatten Schliemann und <strong>der</strong><br />
Bauforscher Wilhelm Dörpfeld für einen unbedeutenden Tempel<br />
aus dem 8. Jahrhun<strong>der</strong>t gehalten, von denen es aus ihrer Sicht so<br />
viele gab, dass sie dem weiter keine Beachtung schenkten.<br />
1998 konnte Joseph Maran nachweisen, dass ein in <strong>der</strong> Ruine des<br />
Großen Megarons von Tiryns errichteter Antenbau ein letztes mykenisches<br />
Megaron war. Der Neubau des Megarons erhielt aber<br />
nicht den Charakter einer Herrscherresidenz, son<strong>der</strong>n eher den<br />
einer Halle, in <strong>der</strong> sich die Gemeinschaft zu bestimmten Anlässen<br />
unter Leitung des auf dem Thron sitzenden Anführers zusammenfand.<br />
Die neuen Würdenträger und Bauherren legitimierten ihre<br />
Macht mit dem Rückgriff auf die Geschichte, durch die Nutzung<br />
alter Symbole und durch die Selbstzuschreibung, aus den ältesten<br />
Familien <strong>der</strong> Region zu stammen. Sie nahmen also die Vergangenheit<br />
für sich in Anspruch, um ihre Position in <strong>der</strong> Gegenwart zu<br />
begründen – und solange die Bevölkerung einigermaßen homogen<br />
ist, funktioniert diese Art <strong>der</strong> Legitimierung von Macht auch.<br />
„Wenn aber Menschen aus an<strong>der</strong>en Regionen und Kulturen mit je<br />
eigener Vergangenheit und eigenem kulturellen Gedächtnis kommen<br />
und sich in einem Gemeinwesen ansiedeln, geht die Kohäsion<br />
mittels gemeinsamer Erinnerung verloren“, sagt Maran. „Der<br />
Bezug auf die Vergangenheit wird stumpf.“<br />
W ISSE NSCHAF TLICHE G ROSSBAUSTE LLE<br />
Die meisten Besucher des antiken Tiryns sind Urlaubsgäste aus<br />
dem nahe gelegenen Nafplion, die in <strong>der</strong> brütenden Augusthitze<br />
die leichte Brise auf <strong>der</strong> Oberburg genießen. Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler kommen inzwischen aus aller Welt nach Tiryns,<br />
das mit je<strong>der</strong> neuen Erkenntnis neue Fragen aufwirft und<br />
noch lange ein archäologische Großbaustelle bleiben wird, die<br />
Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften zusammenführt, um<br />
eine versunkene Kultur als Ganzes zu verstehen.<br />
Auf dem Weg zurück nach Athen kommt man wie<strong>der</strong> an Mykene<br />
vorbei. Es ist nicht mehr ganz das Mykene <strong>der</strong> Dichter, <strong>der</strong> mythisch<br />
überhöhte Ort, in <strong>der</strong> Dichtung geschaffen für eine Selbstvergewisserung<br />
aus <strong>der</strong> Vergangenheit. Es ist nun mehr das Mykene<br />
<strong>der</strong> Archäologen, die nicht nur die Pracht sehen, son<strong>der</strong>n auch<br />
den Preis, <strong>der</strong> dafür gezahlt wurde und die so „Mykene“ ein gutes<br />
Stück näher an die Gegenwart heranrücken.<br />
<br />
Mit großer Sorgfalt werden die „Kyklopischen“ Mauern<br />
von Tiryns restauriert.<br />
Der große Damm von Tiryns, heute kaum noch zu erkennen, war<br />
ein Meisterstück antiker Ingenieurskunst. Möglicherweise war er als<br />
letzte Großbaustelle auch <strong>der</strong> „Sargnagel“, <strong>der</strong> den Untergang des<br />
Palastes besiegelte, als die Katastrophe über Tiryns hereinbrach.<br />
REPORTAGE<br />
Im Zerstörungsschutt einer Werkstatt wurden Funde geborgen, die<br />
neue Perspektiven auf die Intensität <strong>der</strong> Kontakte von Tiryns nach<br />
Zypern und in die Levante eröffnen. Es fanden sich zahlreiche Objekte<br />
nahöstlicher Abkunft, darunter einzigartige Funde wie das Fragment<br />
eines Elfenbein-Stabes mit Keilschriftzeichen, <strong>der</strong> Kopf eines Affen<br />
o<strong>der</strong> des altorientalischen Dämons Humbaba und die erste außerhalb<br />
Zyperns und <strong>der</strong> nördlichen Levante gefundene Tonkugel mit<br />
zypro-minoischen Zeichen.<br />
1 2<br />
3<br />
1 und 2 Foto und Grafik: Kostoula<br />
3 Foto: Vetters<br />
64 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 65
STANDORT<br />
STANDORT<br />
Wort für Wort<br />
Die Kommission für<br />
Alte Geschichte<br />
und Epigraphik<br />
Schriftgelehrte und Entzifferer – so könnte<br />
man die Epigraphiker auch nennen. Historiker<br />
sind sie in jedem Fall, Spezialisten für<br />
Alte Geschichte und beson<strong>der</strong>s für diejenigen<br />
Aspekte des Fachs, die eine Brücke zur<br />
Archäologie schlagen. Griechische und lateinische<br />
Inschriften, Münzen und Papyri<br />
sind keineswegs ein abgeschlossener Kosmos.<br />
Sie zu entziffern heißt nicht nur, geduldig<br />
verwaschene Buchstaben zu lesen,<br />
son<strong>der</strong>n sie in ihren Kontexten <strong>der</strong> Sozial-,<br />
Politik- o<strong>der</strong> Wirtschaftsgeschichte <strong>der</strong><br />
Antike zu verorten und zum Sprechen zu<br />
bringen.<br />
Die Kommission wurde 1951 in München<br />
gegründet und 1967 dem Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong> angeglie<strong>der</strong>t. Der<br />
Auftrag zur interdisziplinären Arbeit stand<br />
von Anfang an im Mittelpunkt und hat seither<br />
nichts von seiner Aktualität verloren.<br />
Das Herz <strong>der</strong> Kommission ist ihre Bibliothek,<br />
die für ihre Schwerpunktgebiete zu<br />
den weltweit besten Einrichtungen gehört<br />
und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />
aller Nationen frequentiert wird.<br />
Neben <strong>der</strong> Grundlagenforschung sind die<br />
Publikationen ein Markenzeichen <strong>der</strong><br />
Kommission: Die Zeitschrift »Chiron. Mitteilungen<br />
<strong>der</strong> Kommission für Alte Geschichte<br />
und Epigraphik des Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong>s« und die Reihe<br />
»Vestigia« sind feste Größen in <strong>der</strong> internationalen<br />
Alten Geschichte.<br />
Der För<strong>der</strong>ung des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses dient das Jacobi-Stipendium,<br />
das von <strong>der</strong> Elise und Annemarie Jacobi-Stiftung<br />
und <strong>der</strong> Gerda Henkel Stiftung<br />
finanziert wird. Es ermöglicht Doktorandinnen<br />
und Doktoranden meist zweimonatige<br />
Forschungsaufenthalte in <strong>der</strong> Bibliothek<br />
<strong>der</strong> Kommission und findet seit<br />
seiner Einführung im Jahr 2005 großes internationales<br />
Interesse. An ihrem Standort<br />
ist die Kommission in das Münchner Zentrum<br />
für Antike Welten (MZAW) eingebunden.<br />
Innerhalb dieser gemeinsamen<br />
Plattform <strong>der</strong> Münchner Altertumswissenschaften<br />
beteiligt sich die Kommission<br />
an dem fächerübergreifenden Promo-<br />
tionsprogramm Altertumswissenschaften<br />
(PAW) und <strong>der</strong> im Rahmen <strong>der</strong> Exzellenzinitiative<br />
bewilligten Graduiertenschule „Ferne<br />
Welten/Distant Worlds“. Wie an an<strong>der</strong>en<br />
Standorten des DAI auch sind die Mitarbeiter<br />
des Hauses in <strong>der</strong> universitären Lehre<br />
engagiert, insbeson<strong>der</strong>e an <strong>der</strong> Ludwig-<br />
Maximilians-Universität, zu <strong>der</strong> die Kommission<br />
enge Kontakte pflegt. <br />
ARCHÄOLOGIE WELT WEIT<br />
Die Standorte des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
Berlin<br />
Bonn<br />
München<br />
Frankfurt am Main<br />
Athen<br />
Istanbul<br />
Rom<br />
Lissabon<br />
Madrid<br />
Kairo<br />
Jerusalem<br />
Amman<br />
Sana‘a<br />
Peking<br />
Bagdad<br />
Damaskus<br />
Ulaanbaatar<br />
Teheran<br />
www.dainst.org/de/department/rgkinfo.rgk@dainst.de<br />
66 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 67
Unbekannte Größe<br />
Die Linse ist eine <strong>der</strong><br />
ältesten Kulturpflanzen <strong>der</strong><br />
Menschheitsgeschichte<br />
PANORAMA<br />
PANORAMA<br />
Zarte Pflanze mit gefie<strong>der</strong>ten Blättern auf anspruchslosem Boden: die Linse.<br />
Fotos: Neef<br />
Eine Bäuerin in Yeha in Äthiopien bei<br />
<strong>der</strong> Ernte. Linsen haben schwache<br />
Wurzeln und lassen sich daher leicht<br />
aus dem Boden ziehen.<br />
In Ain Gazhal fanden<br />
die Archäobotaniker<br />
riesige Mengen 10.000<br />
Jahre alter Linsen.<br />
Allein das ist schon ein<br />
Zeichen, dass es sich<br />
um Kultursorten und<br />
nicht um Wildarten<br />
handelte.<br />
Die Linse ist eine zarte Pflanze mit gefie<strong>der</strong>ten<br />
Blättern, bläulichweißen Blüten<br />
und schwachen Wurzeln. Linsen sind anspruchslos<br />
und gedeihen auf unterschiedlichen<br />
Böden, nur saure Böden und schwere<br />
Tonböden mögen sie nicht. Die meisten<br />
Kulturformen haben graubraune Samen –<br />
geschält sehen sie rötlich aus – , aber es<br />
gibt mit schwarzen, grünen und gelben<br />
Früchten auch farbenfrohere Formen.<br />
Wie alle Hülsenfrüchte sind Linsen enorm<br />
nahrhaft und gesund. In <strong>der</strong> Kombination<br />
mit Getreide können sie ohne weiteres<br />
Fleisch ersetzen, da sie alle wichtigen Aminosäuren<br />
mitbringen. Obwohl von den römischen<br />
Eliten wenig geschätzt und sogar<br />
biblisch geschmäht als Ausdruck für ein<br />
schlechtes Geschäft, ist ein „Linsengericht“<br />
also alles an<strong>der</strong>e als ein billiges Ausweichmanöver.<br />
Aber das ist noch nicht alles, was die kleinen<br />
runden Früchte können. „Linsen gehören<br />
zu den ältesten Kulturpflanzen <strong>der</strong><br />
Menschheit überhaupt“, erklärt Rein<strong>der</strong><br />
Neef, leiten<strong>der</strong> Archäobotaniker am Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong>. Die ältesten<br />
Funde stammen aus dem östlichen<br />
Mittelmeerraum. Über Süd-Ost-Europa kamen<br />
sie bis nach Mitteleuropa. „Wir haben<br />
sogar bronzezeitliche Linsenfunde aus<br />
Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Neef.<br />
Aber mittlerweile ist <strong>der</strong> Linsenanbau in<br />
Mitteleuropa völlig erloschen. Heute liegen<br />
die wichtigsten Anbaulän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Linse<br />
traditionell in eher südlichen Regionen,<br />
zum Beispiel in Äthiopien, in <strong>der</strong> Türkei, im<br />
Iran, in Nordafrika und in Teilen Süd- und<br />
Westasiens.<br />
10.000 J A HRE<br />
Ain Ghazal ist eine Siedlung in <strong>der</strong> Nähe<br />
von Amman in Jordanien. Sie war ungefähr<br />
von 7500 v. Chr. bis 5000 v. Chr. bewohnt<br />
und gehört zu den ältesten Fundplätzen<br />
Ackerbau betreiben<strong>der</strong> Gesellschaften.<br />
„Akeramisches Neolithikum“ nennen die<br />
Archäologen diese Zeit. Mit 15 Hektar Ausdehnung<br />
war Ain Ghazal zudem zeitweise<br />
eine sehr große Siedlung, sie gehört zu den<br />
größten prähistorischen Siedlungen des<br />
Vor<strong>der</strong>en Orients überhaupt. Schon in den<br />
90er-Jahren fand Rein<strong>der</strong> Neef hier Linsen.<br />
Im ersten Moment drängt sich <strong>der</strong> Gedanke<br />
auf, dass es sich um wilde Formen gehandelt<br />
haben müsse. „Wir fanden Linsen<br />
in Massen – weit über 200.000 Stück“, erzählt<br />
Neef. Und allein das, erklärt <strong>der</strong> Archäobotaniker,<br />
ist schon ein Zeichen dafür,<br />
dass es sich um Kultursorten handelt. „Es<br />
handelte sich auch nicht um erste Experimente<br />
<strong>der</strong> Kultivierung, son<strong>der</strong>n um ausgereifte<br />
Zuchtsorten“, sagt Neef. Das gilt<br />
für die Linsen wie auch die an<strong>der</strong>en Kulturpflanzen,<br />
die man in Ain Ghazal fand. „Normalerweise<br />
sitzen bei Getreide o<strong>der</strong> bei<br />
Hülsenfrüchten die Körner ganz locker, damit<br />
sie auf die Erde fallen können“, beschreibt<br />
Neef die Eigenschaften <strong>der</strong> Wildarten.<br />
„Schließlich will die Pflanze sich<br />
vermehren.“ Das aber ist eine höchst unpraktische<br />
Eigenschaft, wenn man die Absicht<br />
hat, ein Nahrungsmittel daraus zu<br />
machen. Also haben die Menschen durch<br />
Selektion Sorten mit einer festen Ährenachse<br />
o<strong>der</strong> Schote gezüchtet.<br />
Ob und wie Menschen wilde o<strong>der</strong> kultivierte<br />
Pflanzen verwendeten, können die<br />
Archäobotaniker anhand botanischer<br />
Makroreste o<strong>der</strong> Pollen ermitteln. Diese<br />
Untersuchungen liefern verlässliche Indikatoren<br />
darüber, wie Menschen in prähistorischer<br />
Zeit natürliche Ressourcen nutzten,<br />
Kulturpflanzen und Landwirtschaft<br />
entwickelten und schließlich auch Handelswege<br />
etablierten.<br />
Hülsenfrüchte setzten den Domestikationsversuchen<br />
von Menschen wenig Wi<strong>der</strong>stand<br />
entgegen. Sie lassen sich schnell in<br />
Zuchtsorten verwandeln, was nicht nur<br />
botanisch interessant ist, son<strong>der</strong>n auch<br />
Schlüsse zulässt über die Lebensweise <strong>der</strong><br />
Menschen, die zu den ersten Ackerbauern<br />
gezählt werden müssen. In einer großen<br />
Siedlung lebten relativ viele Menschen, die<br />
alle ernährt werden mussten. Hülsenfrüch-<br />
te lassen sich gut lagern, und sie sind ausgesprochen<br />
nahrhaft. Linsen sind zwar etwas<br />
mühsam zu gewinnen, da die Schoten<br />
nicht mehr als ein, zwei o<strong>der</strong> drei Körner<br />
enthalten, aber sie lassen sich leicht ernten<br />
– die Pflanzen werden einfach aus <strong>der</strong> Erde<br />
gezogen. Das Grün gibt eiweißreiches<br />
Stroh fürs Vieh, und in <strong>der</strong> Wurzel sitzt ein<br />
Bakterium, das dafür sorgt, dass die Pflanze<br />
Stickstoff aus <strong>der</strong> Luft in den Boden einträgt<br />
– ein natürlicher Dünger.<br />
Wie die Linsen – ebenso wie Getreide kann<br />
man Hülsenfrüchte nicht roh essen – vor<br />
10.000 Jahren zubereitet wurden, wird<br />
wohl immer ein Rätsel bleiben. „Im präkeramischen<br />
Neolithikum gab es zum Kochen<br />
we<strong>der</strong> metallene noch keramische<br />
Gefäße“, sagt Neef. „Holz- o<strong>der</strong> Steingefäße<br />
sind ungeeignet. Was bleibt, sind Glutöfen,<br />
offene Feuerstellen o<strong>der</strong> heiße Steine als<br />
‚Backplatten’.“ Eine Alternative wäre das<br />
Tauchsie<strong>der</strong>prinzip, bei dem Wasser, Gemüse,<br />
Fleisch und Fett in Le<strong>der</strong>beutel gefüllt<br />
wurde, und <strong>der</strong>en Inhalt mit zugefügten<br />
heißen Steinen gegart wurde. „Was wir<br />
aber wissen, ist, dass auch nach fast 10.000<br />
Jahren die biologischen Funde eine Rekonstruktion<br />
<strong>der</strong> Lebensgrundlage und <strong>der</strong><br />
Umwelt <strong>der</strong> Menschen ermöglichen“, erklärt<br />
Rein<strong>der</strong> Neef.<br />
Im nächsten Jahr wird <strong>der</strong> Archäobotaniker<br />
wie<strong>der</strong> Proben nehmen in Ain Ghazal.<br />
Und auch danach wird man nur vermuten<br />
können, wie die Bewohner <strong>der</strong> frühen<br />
Siedlung ihre Linsen gegessen haben.<br />
Marcus Gavius Apicius, ein ausgewiesener<br />
römischer Feinschmecker aus dem ersten<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr., <strong>der</strong> Plinius dem Älteren<br />
gar als luxusbesessener Prasser galt,<br />
verschmähte die kleinen Hülsenfrüchte<br />
keineswegs. In seinem Kochbuch „De re coquinaria“<br />
(„Über die Kochkunst“) nennt er<br />
Rezepte, die zwar ziemlich raffiniert, aber<br />
immerhin „Linsengerichte“ sind. Dazu<br />
passt <strong>der</strong> botanische Name <strong>der</strong> gemeinen<br />
Linse ausgezeichnet: Lens culinaris. <br />
Drs. Rein<strong>der</strong> Neef leitet das Archäobotanische<br />
Labor im Naturwissenschaftlichen<br />
Referat des DAI.<br />
68 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 69
Klimaarchiv Baobab<br />
Ein alter Riese als Zeuge <strong>der</strong> Geschichte<br />
PANORAMA<br />
Der Baobab o<strong>der</strong> „Afrikanische Affenbrotbaum“ (Adansonia digitata) wird sehr groß und sehr alt. Er könnte Zeuge sein für lang vergangene<br />
Geschehnisse im alten Königreich Simbabwe.<br />
240 Kilometer südlich von Harare, <strong>der</strong><br />
Hauptstadt des heutigen Staates<br />
Simbabwe, liegt das einstige „Groß-<br />
Simbabwe“. Der Ort beherbergt<br />
spektakuläre Großbauten, <strong>der</strong>en Ruinen<br />
sich über eine Fläche von sieben<br />
Quadratkilometern ausdehnen, die<br />
Mauern sind aus Granitblöcken<br />
ohne Mörtel erbaut.<br />
Fotos: Slotta<br />
Innen ist er fast wie ein Schwamm, Ringe<br />
sind kaum zu erkennen. Als Gegenstand<br />
einer dendrochronologischen Untersuchung<br />
ist <strong>der</strong> Baobab eine echte Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />
Der Baumriese, bekannter als<br />
„Afrikanischer Affenbrotbaum“ (Adansonia<br />
digitata) aus <strong>der</strong> Familie <strong>der</strong> Malvengewächse,<br />
gehört zu den stammsukkulenten<br />
Pflanzen, das heißt, er lagert für schlechte<br />
Zeiten Wasservorräte in seinem mächtigen<br />
Stamm ein. Dies führt zu <strong>der</strong> eher<br />
schwamm artigen Konsistenz des Holzes.<br />
„Aber es geht“, sagt Karl-Uwe Heußner, <strong>der</strong><br />
am DAI das dendrochronologische Labor<br />
leitet. Die Wissenschaftler wollen herausfinden,<br />
ob sich <strong>der</strong> Baobab als Klimaarchiv<br />
eignet.<br />
Franziska Slotta und Dr. Karl-Uwe Heußner untersuchen,<br />
ob sich <strong>der</strong> Baobab als Klimaarchiv eignet.<br />
Gut ausgeprägte Jahrringe kennt je<strong>der</strong> von<br />
heimischen Bäumen. Mit ihrer Vermessung<br />
kann man die Wachstumsbedingungen für<br />
den Baum ablesen – gute Jahre ergeben<br />
breitere Ringe als schlechte Jahre, das<br />
heißt, die so gewonnenen Daten können<br />
weit in die Zeit zurückreichende Informationen<br />
zu Klimaverän<strong>der</strong>ungen ergeben.<br />
Durch die Überlagerung <strong>der</strong> Ringmuster<br />
vieler Bäume (Crossdating) entsteht eine<br />
gemittelte Baumringabfolge, die aufgrund<br />
<strong>der</strong> überlappenden Lebenszeiten <strong>der</strong> Bäume<br />
viele Jahrtausende abdecken kann.<br />
Auch das Alter verbauter Baumproben<br />
kann auf diese Art bestimmt werden.<br />
Durch Hölzer, die in archäologischen Grabungen<br />
geborgen werden, können solche<br />
Reihen weit in <strong>der</strong> Zeit zurückverfolgt werden.<br />
„Störfaktoren“ wie Nährstoffzufuhr,<br />
Arten-Konkurrenz, Brände o<strong>der</strong> Krankheiten<br />
werden mittels mathematischer Verfahren<br />
herausgerechnet.<br />
ENDE E INE R S TADT<br />
Es ist das alte Königreich Simbabwe, das<br />
die Wissenschaftler veranlasst, sich mit<br />
dem Baobab zu befassen. Heute ist Groß-<br />
Simbabwe ein archäologischer Platz, <strong>der</strong><br />
240 Kilometer südlich von Harare liegt, <strong>der</strong><br />
Hauptstadt des heutigen Staates Simbabwe.<br />
Der Ort beherbergt spektakuläre Großbauten,<br />
<strong>der</strong>en Ruinen sich über eine Fläche<br />
von sieben Quadratkilometern ausdehnen,<br />
die Mauern sind aus Granitblöcken ohne<br />
Mörtel erbaut. Archäologen fanden chinesische<br />
Importkeramik, Zeichen von Luxus<br />
und Pracht allenthalben. Die große Mauer<br />
hat eine Basis von fünf Metern, ist neun<br />
Meter hoch und 244 Meter lang. 18.000<br />
Menschen lebten hier. Bis ungefähr 1500 n.<br />
Chr. Dann wurde die prächtige Stadt aufgegeben,<br />
und bis heute ist nicht geklärt,<br />
warum dies geschah.<br />
Die Baobabs, die in <strong>der</strong> Stadt o<strong>der</strong> in ihrer<br />
Nähe stehen, waren schon da, als die Bewohner<br />
Groß-Simbabwe verließen. Bis zu<br />
2000 Jahre sollen sie alt werden, 1000 Jahre<br />
erreichen sie im Durchschnitt. Allein dies<br />
sichert ihnen einen Platz unter den Heiligtümern<br />
<strong>der</strong> Region. Darüber hinaus sind<br />
ihre Früchte nicht nur schmackhaft, son<strong>der</strong>n<br />
auch gesund und heilsam, und die<br />
Funktion als Wasserreserve macht sie außerdem<br />
schützenswert und verehrungswürdig.<br />
Könnte man also den mächtigen<br />
Bäumen durch dendrochronologische Untersuchungen<br />
ihre Wachstumsgeschichte<br />
entlocken, wären sie ein ideales Klimaarchiv.<br />
J AHRRINGE UNTE R UV- L ICHT<br />
Auch wenn man sie auf den ersten Blick<br />
nicht immer sieht: „Der Baobab hat auch<br />
Ringe“, sagt die Paläontologin Franziska<br />
Slotta, die mit einem Elsa-Neumann-Stipendium<br />
an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin<br />
ihre Doktorarbeit zum Baobab schreibt<br />
und dabei mit den DAI-Naturwissenschaftlern<br />
zusammenarbeitet. „Die Strukturen im<br />
Holz sind aber sehr schwer zu interpretieren.“<br />
Im Frühjahr 2011 nahm Franziska Slotta<br />
bereits Bohrkerne des Baobabs für ihre<br />
Masterarbeit. „Nach <strong>der</strong> Regenzeit waren<br />
die Stämme vollgesogen mit Wasser und<br />
die Bohrkerne sehr weich, fast wie Nudeln.“<br />
Doch unter UV-Licht können die Experten<br />
die Struktur des schwammartigen Gebildes<br />
„lesen“.<br />
Bei den holzanatomischen Untersuchungen<br />
kooperieren die Wissenschaftler mit<br />
dem Geoforschungszentrum Potsdam<br />
(GFZ), das auch bei <strong>der</strong> Beprobung vor Ort<br />
dabei war. „Langfristig sind wir in <strong>der</strong> Lage,<br />
die Klimageschichte des südlichen Afrika<br />
zu rekonstruieren“, erklärt Heußner. Möglicherweise<br />
lassen sich aus den Ergebnissen<br />
Rückschlüsse auf die Ursachen ziehen, warum<br />
die Stadt verlassen wurde. Bei ihren<br />
Untersuchungen betreten die DAI-Forscher<br />
Neuland. „Den Baobab als Klimaarchiv<br />
zu erschließen, ist Grundlagenforschung“,<br />
sagt Heußner. Das Potenzial des<br />
alten Riesen allerdings ist enorm. <br />
70 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 71
IMP R E SSUM<br />
Archäologie Weltweit<br />
Magazin des Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
1. Jahrgang / 2 · 2013<br />
DAS KLEINE BOOT Sophia gehört <strong>der</strong> Abteilung Madrid des<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s. Es liegt im Hafen von Mogador,<br />
einer kleinen Insel vor Essaouira an <strong>der</strong> marokkanischen Atlantikküste<br />
und erkundet die Insel auf den Spuren <strong>der</strong> Phönizier.<br />
Seit dem 9. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. wird das Mittelmeer zu einem<br />
grenzübergreifenden Raum, <strong>der</strong> die Küsten dreier Kontinente miteinan<strong>der</strong><br />
vereint. Die Phönizier waren aus ihrer Heimat Libanon<br />
aufgebrochen, durchsegelten das Meer, trieben Handel und ließen<br />
sich hier und da an den Küsten nie<strong>der</strong>. Diese Nie<strong>der</strong>lassungen werden<br />
zu pulsierenden Knotenpunkten unterschiedlicher Kulturen<br />
und Wirtschaftsräume – bis hin zum exotischen Mogador – am<br />
Rande <strong>der</strong> Antiken Welt.<br />
<br />
HERAUSGE B E R<br />
<strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong><br />
www.dainst.org<br />
TEXT, REDAKTION<br />
UND O RGANISATION<br />
Wortwandel Verlag<br />
Susanne Weiss (sw)<br />
weiss@wortwandel.de<br />
www.wortwandel.de<br />
GESTALTE RISCHE S K ONZEPT<br />
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D RUCK<br />
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VERTRIE B<br />
<strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong><br />
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />
Nicole Kehrer<br />
<br />
<br />
72 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT
In <strong>der</strong> nächsten Ausgabe von Archäologie Weltweit<br />
VERNETZTE WELTEN<br />
Land und Meer, Wege und Handel
Wenn wir unser<br />
kulturelles Erbe erhalten<br />
wollen, brauchen wir<br />
Ihre Unterstützung.<br />
Wie Sie uns helfen<br />
können, sehen Sie hier:<br />
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T WG<br />
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Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
Theodor Wiegand Gesellschaft e.V.<br />
Wissenschaftszentrum Bonn<br />
Ahrstraße 45, 53175 Bonn<br />
Dorothea Lange<br />
Tel.: +49 228 30 22 64<br />
Fax: +49 228 30 22 70<br />
lange@wzbonn.de<br />
Theodor Wiegand Gesellschaft<br />
Deutsche Bank AG, Essen<br />
Konto Nr. 247 194 400<br />
BLZ 360 700 50<br />
o<strong>der</strong><br />
Sparkasse Köln-Bonn<br />
Konto Nr. 290 058 08<br />
BLZ 370 501 98<br />
Ihre Spenden sind<br />
steuerbegünstigt.<br />
Der Zahn <strong>der</strong> Zeit nagt an den Antiken, unser Kulturerbe ist an vielen Stellen gefährdet.<br />
Der Naiskos des Agathon im Grabbezirk <strong>der</strong> Herakleoten an <strong>der</strong> Gräberstraße ist<br />
ein marmornes, giebelbekröntes Grabdenkmal, dessen Rückwand mit dem gemalten<br />
Bildnis des Agathon geschmückt war. U-Bahn-Bau und immer wie<strong>der</strong> starker Regen<br />
verursachten Schäden an <strong>der</strong> Bausubstanz.<br />
1863 war <strong>der</strong> Naiskos entdeckt worden – und stürzte noch im selben Jahr ein. Seit dem<br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>t wurden wie<strong>der</strong>holt Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt, doch<br />
inzwischen zeigen einige Metallteile aus früheren Sicherungsmaßnahmen starke Korrosionserscheinungen,<br />
<strong>der</strong> gesamte Naiskos ist nach vorne geneigt. Wasser kann von<br />
<strong>der</strong> Dachschräge nicht richtig abfließen, was wie<strong>der</strong>um die Korrosion verstärkt. Eine<br />
Reparatur, die nach dem Erdbeben von 1999 erfolgte, musste dringend ausgebessert<br />
werden, da einige <strong>der</strong> Bruchstücke des Naiskos unmittelbar absturzgefährdet waren.<br />
Die Arbeiten erfolgen im Rahmen einer umfangreichen Kampagne des DAI zur Restaurierung<br />
und dauerhaften Präsentation von Bodendenkmälern auf dem Kerameikos,<br />
die in den kommenden Jahren systematisch fortgesetzt werden soll. Das Grabdenkmal<br />
des Agathon werden die Archäologen für die Restaurierung vorsichtig in<br />
Teile zerlegen, im Gelände wird es durch eine Kopie ersetzt.<br />
Vielen Dank!<br />
www.dainst.org