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PDF der deutschen Version - Deutsches Archäologisches Institut

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Archäologie Weltweit – Erster Jahrgang – Berlin, im Oktober 2013 – DAI<br />

2 2013<br />

TITELTHEMA<br />

ANTIKE GROSSBAUSTELLEN<br />

Kultur, Politik und Technik des Bauens in Übergröße<br />

CULTURAL HERITAGE<br />

Türkei – Die Restaurierungsarbei ten<br />

an <strong>der</strong> Roten Halle in Bergama<br />

I M PORTRÄT<br />

Brita Wagener –<br />

Deutsche Botschafterin in Bagdad<br />

I NTERVIEW<br />

Großbaustelle Informationstechnologie<br />

in den Altertumswissenschaften


ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

Orte in dieser Ausgabe<br />

Türkei, Bergama. Cultural Heritage, Seite 12<br />

Salomonen, Westpazifik. Alltag Archäologie, Seite 18<br />

Deutschland, München. Standort, Seite 66<br />

Russland, Nordkaukasus. Landschaft, Seite 26<br />

Griechenland, Athen. Das Objekt, Seite 30<br />

Tiryns. Reportage, Seite 60<br />

Libanon, Baalbek. Titelthema, Seite 36<br />

Irak, Uruk/Warka. Titelthema, Seite 41, 46<br />

Ukraine, Talianki. Titelthema, Seite 48<br />

Italien, Rom/Castel Gandolfo. Titelthema, Seite 52<br />

Israel, Jerusalem. Titelthema, Seite 55<br />

Berlin, Zentrale des Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

DAS TITELBILD<br />

In Baalbek kamen die 45 Millionen Jahre<br />

alten verwitterungsresistenten Nummulitenkalke,<br />

die in mächtigen Banken in <strong>der</strong><br />

Erde <strong>der</strong> Region liegen, zu großen Ehren.<br />

Gerade gut genug waren sie für Jupiter<br />

und seinen gigantischen Tempel. Für 18<br />

Meter Säulenhöhe brauchten die Baumeister<br />

nicht mehr als je drei Trommeln, Durchmesser:<br />

2,2 Meter. Das Podium ist aus riesigen<br />

Kalksteinblöcken errichtet, die präzise<br />

zusammengefügt waren. Die zweite Lage<br />

des Podiums, heute als „Trilithon“ bekannt,<br />

wurde allerdings nicht fertiggestellt. Mit<br />

bis zu 1000 Tonnen Gewicht sind die Blöcke<br />

die größten Megalithe <strong>der</strong> bekannten<br />

Geschichte.


EDITORIAL<br />

EDITORIAL<br />

LIEBE LESERIN, L IEBER LESER,<br />

Prof. Dr. Frie<strong>der</strong>ike Fless<br />

Präsidentin des Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

man braucht nicht immer einen Kran o<strong>der</strong><br />

einen Bulldozer für die archäologische Arbeit.<br />

Doch es gibt durchaus Vorhaben, die<br />

den Einsatz schweren Geräts erfor<strong>der</strong>n.<br />

Wenn antike Mauern so erschüttert sind,<br />

dass sie stürzen könnten, wenn in unwegsamem<br />

Gelände die Pflugschicht abgehoben<br />

werden muss, werden die großen Maschinen<br />

herangefahren.<br />

Die „Baustelle“ Grabungsplatz erfor<strong>der</strong>t<br />

ebenso ausgefeilte Logistik wie jede an<strong>der</strong>e<br />

Baustelle auch. Menschen, Maschinen,<br />

Gerätschaften wollen transportiert und<br />

gemäß Fähigkeiten und Bestimmung zum<br />

Einsatz gebracht werden, Lizenzen müssen<br />

erteilt sein, Kooperationsverträge vorbereitet<br />

und geschlossen werden, Flugtickets<br />

bestellt o<strong>der</strong> Fahrzeuge startklar gemacht<br />

werden.<br />

Wenn außerdem verschiedene Disziplinen<br />

– in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Archäologie arbeiten<br />

inzwischen zahlreiche geistes-, sozial- und<br />

naturwissenschaftliche Fächer zusammen<br />

– und vor allem die regionalen, nationalen<br />

und internationalen Partnerinstitutionen<br />

aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt werden müssen,<br />

gewinnt die archäologische Arbeit schnell<br />

den Charakter einer akademischen Großbaustelle.<br />

Wenn die Forschungsprojekte<br />

dann selbst antike Großbaustellen zum<br />

Thema haben, werden Logistik, Ressourcenmanagement<br />

sowie disziplinäre und<br />

politische Aushandlungen und zu einer anspruchsvollen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />

uns noch heute in Staunen versetzen.<br />

Diese Bauvorhaben waren nicht einfach<br />

„nur“ Angelegenheiten <strong>der</strong> Baumeister<br />

und Steinmetze, die in paar Arbeiter dirigierten.<br />

Die Großbauten <strong>der</strong> Antike sind<br />

immer auch gesellschaftliche und politische<br />

Großbaustellen, die gelingen und<br />

scheitern können – an technischem Versagen<br />

ebensogut wie am Wi<strong>der</strong>stand einer<br />

überstrapazierten Gemeinschaft.<br />

Titelthema und Reportage <strong>der</strong> zweiten<br />

Ausgabe von Archäologie Weltweit widmen<br />

sich den antiken Großbaustellen in<br />

ihren technischen, sozialen und kulturellen<br />

Aspekten. Die Einführung neuer IT-Techniken<br />

in den Altertumswissenschaften ist<br />

eine logistische und politische Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

beson<strong>der</strong>er Art, wie das „Interview“<br />

verrät, und wie die <strong>der</strong>zeitigen Möglichkeiten<br />

Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik<br />

in den Län<strong>der</strong>n des Nahen Ostens sich<br />

gestalten, ist in den Porträts nachzulesen.<br />

Wir danken allen Leserinnen und Lesern<br />

<strong>der</strong> ersten Ausgabe von Archäologie Weltweit<br />

für die begeisterte Aufnahme unseres<br />

neuen Magazins!<br />

Viel Vergnügen bei <strong>der</strong> weiteren Lektüre<br />

wünscht Ihnen<br />

Ihre<br />

Prof. Dr. Frie<strong>der</strong>ike Fless<br />

Anspruchsvoll war auch die Durchführung<br />

<strong>der</strong> oft gigantischen Bauvorhaben, die in<br />

<strong>der</strong> Antike ohne das Gerät, das heute zur<br />

Verfügung steht, über Jahre und manchmal<br />

Jahrhun<strong>der</strong>te unglaubliche Ressourcen<br />

banden, um Bauten zu erschaffen, die<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 1


4<br />

NACHRICHTEN<br />

12<br />

CULTURAL HERITAGE<br />

Hadrians mächtiger Tempel – Die Rote Halle in Bergama<br />

18<br />

ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

Salomonen – Archäologie auf abgelegenen Inseln<br />

INHALT<br />

24<br />

INTERVIEW<br />

Reinhard Förtsch<br />

INHALT<br />

Porträt<br />

59<br />

VORAUSSCHAUE NDE<br />

DIP LOMATIE<br />

Brita Wagner, deutsche<br />

Botschafterin in Bagdad<br />

Alltag Archäologie<br />

A RCHÄOLOGIE AU F<br />

ABGE L E G E N E N I NSE LN<br />

Uralte Seefahrerkulturen und<br />

die Besiedlung des westlichen Pazifik<br />

16<br />

10<br />

Cultural Heritage<br />

H ADRIANS MÄCHTIGE R TEM PEL<br />

Bergama: Die Restaurierung des<br />

außergewöhnlichsten römischen<br />

Bauwerks in <strong>der</strong> Türkei<br />

26<br />

30<br />

32<br />

IT in den Altertumswissenschaften<br />

LANDSCHAFTEN<br />

Nordkaukasus – Leben auf dem Hochplateau<br />

DAS OBJEKT<br />

Die Frauenporträts vom Kerameikos<br />

STANDPUNKT<br />

Großbaustelle Wissenschaft<br />

T ITE L<br />

ANTIKE GROSSBAUSTELLEN<br />

K ULTUR, POLITIK UND TECHNIK DE S B A U E NS IN Ü B E RGRÖSSE<br />

34<br />

36<br />

44<br />

50<br />

TITELTHEMA<br />

Antike Großbaustellen<br />

Schiere Masse: Technik und Logistik in Baalbek und Uruk<br />

Stadt o<strong>der</strong> nicht Stadt: Siedlungspolitik<br />

in Mesopotamien und Osteuropa<br />

Die Baulust <strong>der</strong> Herrscher<br />

Machtinszenierungen in Rom und Jerusalem<br />

58<br />

IM PORTRÄT<br />

Landschaften<br />

LEB E N AUF DE M H OCHP LATE AU<br />

Eine neu entdeckte Kulturlandschaft<br />

im nördlichen Kaukasus<br />

26<br />

Panorama<br />

H ÜLSE N F RÜCHTE<br />

UND<br />

R I E S E NBÄUME<br />

Archäobotanik und<br />

Dendrochronologie<br />

geben Aufschluss über<br />

Wirtschaftsformen<br />

und Umweltbedingungen<br />

in <strong>der</strong> Antike<br />

58<br />

59<br />

60<br />

66<br />

Margarete van Ess<br />

Brita Wagener<br />

REPORTAGE<br />

Tiryns<br />

Die Musterburg <strong>der</strong> mykenischen Könige<br />

STANDORT<br />

Die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik<br />

68<br />

68<br />

68<br />

PANORAMA<br />

Die Linse, eine unbekannte Größe<br />

70<br />

Der Baobab als Klimaarchiv<br />

72<br />

IMPRESSUM, VORSCHAU<br />

2 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 3


100 Jahre Kerameikos<br />

Neuer Führer über<br />

das Grabungsgelände<br />

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums hat Jutta<br />

Stroszeck einen neuen Führer über den<br />

Kerameikos verfasst. Die dreisprachige<br />

Publikation (Deutsch, Englisch und Griechisch)<br />

wurde durch eine Spende von Dr. Jürgen<br />

Trumpf und Dr. Maria Trumpf-Lyritzaki über die<br />

Gesellschaft <strong>der</strong> Freunde des Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong>s – Theodor Wiegand<br />

Gesellschaft – e.V. ermöglicht.<br />

NACHRICHTEN<br />

NACHRICHTEN<br />

Seit jeher sagen Friedhöfe viel über die<br />

Verfasstheit einer Gesellschaft aus. Für das<br />

Athen <strong>der</strong> klassischen Zeit liefert <strong>der</strong><br />

Kerameikos mit seinen Grabterrassen und<br />

Grabreliefs das Bild, wie die Menschen in<br />

dieser Zeit an diesem Ort ihrer Verstorbenen<br />

gedachten. Heute im Zentrum Athens<br />

zwischen Hermes- und Piräusstraße gelegen,<br />

befand sich das 3,85 Hektar große<br />

Areal in <strong>der</strong> Antike am nordwestlichen<br />

Stadtrand.<br />

Am 13. Juli 2013 wurde in einem Festakt<br />

auf dem Kerameikos in Anwesenheit<br />

des griechischen Kulturministers Panos<br />

Panaiotopoulos die 100-jährige Geschichte<br />

einer erfolgreichen Zusammenarbeit<br />

gefeiert. „Der Kerameikos ist, so wie er heu-<br />

te vor uns steht, ein Zeichen. Ein Zeichen<br />

für eine lange bestehende Zusammenarbeit,<br />

für Vertrauen und Gastfreundschaft“,<br />

sagte DAI-Präsidentin Frie<strong>der</strong>ike Fless. „Er<br />

ist aber auch ein mahnendes Zeichen, das<br />

uns an unsere Verantwortung gegenüber<br />

dem gemeinsamen Welterbe erinnert.“<br />

Vor 100 Jahren, im Juli 1913, wurde dem<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> nach<br />

bereits 40-jähriger Zusammenarbeit die<br />

Grabungslizenz für Arbeiten auf dem berühmten<br />

Athener Friedhof verliehen. Dazu<br />

gehörte die Aufgabe, „für die Bergung und<br />

den Aufbau <strong>der</strong> Funde zu sorgen, das Ruinenfeld<br />

würdig auszugestalten und so an<br />

eindrucksvoller Stelle in <strong>der</strong> Hauptstadt<br />

zugleich für die Gastfreundschaft zu danken,<br />

welche die Deutschen aller Kreise in<br />

Hellas genießen“, wie es <strong>der</strong> „Reichs- und<br />

Staats-Anzeiger“ seinerzeit formulierte.<br />

Die öffentlichen Bauten auf Athens berühmter<br />

Nekropole zu erforschen und zu<br />

pflegen, ist bis heute eine Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

die aber in enger Zusammenarbeit<br />

zwischen <strong>deutschen</strong> und griechischen Archäologen,<br />

Architekten und Restauratoren<br />

erfolgreich gemeistert wird, wie die anhaltend<br />

steigenden Besucherzahlen zeigen.<br />

Allein im Jahr 2012 wurden 65.000 Besucher<br />

registriert.<br />

Ebenfalls im letzten Jahr hat das DAI erneut<br />

mit einer umfangreichen Kampagne<br />

zur Restaurierung und dauerhaften Präsentation<br />

von Bodendenkmälern begon-<br />

nen, die in den kommenden Jahren systematisch<br />

fortgesetzt werden soll. Ab 2013<br />

wird in bewährter Kooperation und unterstützt<br />

durch die Theodor Wiegand Gesellschaft<br />

das vom Einsturz bedrohte marmorne<br />

Grabdenkmal des Agathon aus<br />

Herakleia aus dem Jahr 350 v. Chr saniert.<br />

Die Archäologen werden es vorsichtig in<br />

Teile zerlegen, um es restaurieren zu können.<br />

Während <strong>der</strong> Arbeiten wird das Denkmal<br />

im Gelände durch eine Kopie ersetzt.<br />

„Die langjährige institutionelle Beziehung<br />

zwischen Griechenland und Deutschland,<br />

die mehrere politische Systeme überdauert<br />

hat, ist die eine Seite <strong>der</strong> Geschichte“,<br />

sagte Dr. Jutta Stroszeck, Leiterin des<br />

Kerameikos-Projekts, während des Festakts.<br />

„Der an<strong>der</strong>e Teil besteht aus den Menschen,<br />

die dahinter stehen, den vielen Wissenschaftlern,<br />

den Architekten, Restauratoren,<br />

Zeichnern, Grabungsarbeitern, Studenten,<br />

Wächtern, Gärtnern und allen, die sich<br />

über die Jahre für Pflege und Erhalt <strong>der</strong> Antiken,<br />

des Geländes und auch des Museums<br />

eingesetzt haben.“<br />

<br />

1 So sah <strong>der</strong> Kerameikos wenige Jahre nach<br />

Beginn <strong>der</strong> archäologischen Arbeiten aus<br />

2 Der Kerameikos heute.<br />

1 2<br />

Fotos: DAI, Abteilung Athen<br />

4 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 5


NACHRICHTEN<br />

NEARCH<br />

Archäologie<br />

und Öffentlichkeit<br />

Archäologie ist seit ihren Anfängen eine<br />

internationale Angelegenheit, und so lange<br />

steht sie auch schon im Interesse <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit. Diesem Umstand trägt nun<br />

auch die Europäische Kommission Rechnung,<br />

die ab 2013 für fünf Jahre das Verbundprojekt<br />

„NEARCH – New scenarios for<br />

a community-involved archaeology“ mit<br />

einem Anteil von 2,5 Millionen Euro för<strong>der</strong>n<br />

wird.<br />

Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> ist<br />

an allen Arbeitspaketen beteiligt und wird<br />

im Jahr 2018 die internationale Abschlusskonferenz<br />

„Archäologie und Kulturerbemanagement<br />

an Weltkulturerbestätten.<br />

Soziale und ökonomische Implikationen“,<br />

organisieren und inhaltlich vorbereiten.<br />

Die Beiträge werden anschließend in einem<br />

Tagungsband veröffentlicht.<br />

NEARCH ist das <strong>der</strong>zeit umfangreichste europäische<br />

Programm zu archäologischer<br />

Forschung in fast allen ihren Aspekten.<br />

15 universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen<br />

aus elf europäischen<br />

Län<strong>der</strong>n sind beteiligt, um an dem<br />

umfangreichen Vorhaben zu arbeiten:<br />

heit“<br />

werden die Mechanismen<br />

untersucht, mit denen die Öffentlichkeit<br />

informiert und in archäologie-relevante<br />

Themen einbezogen werden kann.<br />

Ziel ist es, die <strong>der</strong>zeitige Praxis weiterzuentwickeln<br />

und neue Zielgruppen zu<br />

erreichen.<br />

Archäologie als internationale Wissenschaft – eine Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler<br />

aus verschiedenen europäischen Län<strong>der</strong>n am Grabungsplatz Ulpiana, einer römischen Stadt<br />

in <strong>der</strong> Provinz Moesia superior. Die Ruinen liegen etwa zehn Kilometer südöstlich von Priština<br />

im Kosovo.<br />

Foto: Teichner<br />

<br />

beleuchtet die Schnittstellen zwischen<br />

Wissenschaft und Kunst. Die För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen<br />

Archäologen und zeitgenössischen<br />

Künstlern soll angeregt, das Ergebnis in<br />

Ausstellungen präsentiert werden.<br />

<br />

Möglichkeiten entwickeln, Informationen<br />

aus dem breiten Spektrum von<br />

Wissenschaft und Kulturerbemanagement<br />

auf neuen, vor allem webbasierten,<br />

Wegen weiterzugeben und zu<br />

verbreiten.<br />

<br />

von Nachwuchswissenschaftlern. Hierzu<br />

sollen Wege entwickelt und geför<strong>der</strong>t<br />

werden, wie archäologisches Wissen und<br />

archäologische Praxis an junge Wissenschaftler<br />

weitergegeben werden kann.<br />

<br />

untersucht Archäologie in einem sich<br />

wandelnden ökonomischen Umfeld:<br />

Hier wird ein neues ökonomisches<br />

Modell für nachhaltiges Arbeiten in <strong>der</strong><br />

Archäologie formuliert, das auf dem<br />

Erfahrungsaustausch und auf einschlägigen<br />

Studien in verschiedenen Teilen<br />

Europas basiert.<br />

<br />

auf dem „Weg zu einer globalen<br />

Archäologie“ sollen die sozialen<br />

Komponenten von Archäologie in<br />

verschiedenen Teilen <strong>der</strong> Welt beleuchtet<br />

und ihre wechselseitigen Entwicklungen<br />

untersucht werden.<br />

<br />

Zusammenarbeit sind Koordination und<br />

Projektkommunikation, die För<strong>der</strong>ung<br />

von Forschungsaufenthalten von<br />

Archäologen sowie zielführende<br />

Aktionen zur Verbreitung und Kommunikation<br />

<strong>der</strong> Projektziele.<br />

Für das DAI leitet und koordiniert Dr. Friedrich<br />

Lüth, Son<strong>der</strong>beauftragter des <strong>Institut</strong>s<br />

für Kulturerhalt und Site-Management, die<br />

Arbeiten im Projektverbund NEARCH. <br />

MUSCHELN<br />

Dass die Muscheln hier nicht heimisch sind, sieht man<br />

auf den ersten Blick, nicht aber, wo sie hingerieten …<br />

6 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 7


1 Besuch eines Fundortes mit<br />

einem lokalen Mitarbeiter <strong>der</strong> QMA<br />

2 Fundamente eines Gebäudes<br />

auf <strong>der</strong> Festung von Asaila<br />

NACHRICHTEN<br />

1 2<br />

Kulturlandschaften in ariden Regionen<br />

Archäologie in Katar<br />

Funde eines vorgeschichtlichen<br />

Siedlungsplatzes: Steinbeile<br />

und Messer aus Feuerstein<br />

Fotos: DAI, Orient-Abteilung<br />

Im Jahr 2022 zieht die Fußballweltmeisterschaft<br />

in ein Land, das bislang auf <strong>der</strong><br />

Sport-Landkarte noch nicht so häufig auftauchte.<br />

Große Investitionen sind nötig,<br />

um dem Ereignis eine geeignete Arena zu<br />

bieten – 120 Milliarden Euro will das Emirat<br />

Katar in Infrastruktur und große Bauvorhaben<br />

investieren.<br />

Die geplanten Großprojekte werden massiv<br />

in den Naturraum des Landes eingreifen.<br />

Deswegen hat die katarische<br />

Anti kenbehörde beschlossen, großflächig<br />

archäologische Prospektionen durchzuführen,<br />

um das kulturelle Erbe des Landes<br />

zu dokumentieren. Einer <strong>der</strong> Partner bei<br />

diesem Vorhaben ist das Deutsche Archäologische<br />

<strong>Institut</strong> (DAI). Bereits im letzten<br />

Jahr wurde in Doha ein Abkommen über<br />

eine archäologische Kooperation zwischen<br />

<strong>der</strong> Qatar Museums Authority (QMA) und<br />

dem DAI unterzeichnet.<br />

Im verabredeten Projekt soll zunächst das<br />

archäologische Potential einer ariden Region<br />

auf <strong>der</strong> arabischen Halbinsel erkundet<br />

werden. Das DAI stellt <strong>der</strong> QMA darüber<br />

hinaus Expertise bei <strong>der</strong> systematischen<br />

Erfassung archäologischer Fundplätze zur<br />

Verfügung. Die erste Feldforschungs-Kampagne,<br />

an <strong>der</strong> von Seiten des DAI neun Archäologen<br />

und Geomorphologen beteiligt<br />

waren, fand von Anfang November bis Mitte<br />

Dezember 2012 statt, eine weitere<br />

erfolgte von Februar bis April 2013. Das<br />

Forschungsgebiet umfasste die südliche<br />

Hälfte <strong>der</strong> Halbinsel von Katar, die bisher<br />

noch nicht systematisch erforscht wurde.<br />

Bis heute konnten rund 250 Fundstellen<br />

dokumentiert werden. Die Überreste<br />

menschlicher Besiedlung und Landnutzung<br />

reichen von <strong>der</strong> Jungsteinzeit bis in<br />

die allerjüngste Vergangenheit des Staates,<br />

sie sind deutlich auf unterschiedliche<br />

Landschaften verteilt. Alte Strandwälle<br />

und Küstenlinien werden von Geomorphologen<br />

untersucht und rekonstruiert, weitere<br />

Studien geben Hinweise auf die Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Umwelt im Holozän.<br />

„Zu den herausragenden Fundstätten zählen<br />

Ortslagen, die in den überregionalen<br />

Güter- und Technologietransfer eingebunden<br />

waren“, erklärt Prof. Dr. Ricardo Eichmann,<br />

Direktor <strong>der</strong> Orientabteilung des<br />

DAI. „Das war so in <strong>der</strong> Jungsteinzeit, also<br />

vom 7. bis ins 5. Jahrtausend v. Chr., aber<br />

auch während <strong>der</strong> Kolonialzeit im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.“<br />

Gefunden haben die Archäologen<br />

bislang hauptsächlich Feuersteingeräte<br />

und Fragmente von Keramikgefäßen.<br />

Die nächste Kampagne beginnt im Februar<br />

2014. <br />

MUSCHELFUSSBODEN<br />

… Mauerumrisse eines Gebäudes werden erkennbar. Unendlich viele in<br />

unendlicher Fleißarbeit verlegte Muscheln bedeckten seinen Fußboden in …<br />

8 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 9


MayaArch3D<br />

Ein neues Werkzeug für die Archäologie<br />

NACHRICHTEN<br />

3D-Modelle von Skulpturen und Gebäuden,<br />

ganzer Landschaften und Städte sind<br />

ein wichtiges Arbeitsinstrument mo<strong>der</strong>ner<br />

Altertumsforschung. Vergleicht man sie<br />

miteinan<strong>der</strong> und verknüpft sie mit an<strong>der</strong>en<br />

Daten, können sie neue Aufschlüsse<br />

geben über die Beschaffenheit antiker Gesellschaften.<br />

Doch dazu muss man sie<br />

leicht finden und analysieren können. An<br />

dieser Schnittstelle zwischen Archäologie<br />

und Computerwissenschaften arbeitet das<br />

Verbundprojekt „MayaArch3D“, bei dem<br />

das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> (DAI)<br />

mit <strong>der</strong> Universität Heidelberg kooperiert.<br />

Mit 3D-Technologien und web-gestützten<br />

Geoinformationsdiensten schafft Maya-<br />

Arch3D neue Forschungswerkzeuge für<br />

Archäologie, Kunstgeschichte und Denkmalpflege:<br />

Archäologische Fundorte, weitverstreute<br />

Informationen und Objekte<br />

werden auf einer Internetplattform nach<br />

internationalen Standards dokumentiert,<br />

georeferenziert, virtuell zusammengeführt<br />

und analysiert.<br />

Das Projekt „Webbasierte 3D-Geoinformationssystem<br />

(GIS) zur Analyse <strong>der</strong> Archäologie<br />

von Copan, Honduras“ unter <strong>der</strong> Lei-<br />

tung von Dr. Jennifer von Schwerin und Dr.<br />

Markus Reindel von <strong>der</strong> Kommission für<br />

Archäologie Außereuropäischer Kulturen<br />

des DAI (KAAK) in Bonn ist eine Art Pilotprojekt<br />

für die Entwicklung dieser neuen<br />

Werkzeuge. Informationen zu Archäologie,<br />

Architektur und Funden aus Copán werden<br />

nach Datentyp, Informationsgehalt und<br />

insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich ihrer späteren<br />

Verwendung für die GIS-Analyse gesammelt,<br />

strukturiert und in einer Datenbank<br />

abrufbar gemacht.<br />

„Für Copán können wir so eine Analyse <strong>der</strong><br />

räumlichen Struktur vornehmen, die wichtige<br />

Erkenntnisse über die sozioökonomischen<br />

Verhältnisse, die Verän<strong>der</strong>ung des<br />

Stadtbildes im Laufe <strong>der</strong> Zeit und über die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Maya-Kultur im Allgemeinen<br />

geben kann“, sagt Jennifer von Schwerin.<br />

„Durch die Untersuchung von Zugangsmustern<br />

können öffentliche von<br />

nichtöffentlichen Räumen unterschieden<br />

werden. Sichtverbindungen zwischen<br />

Gebäuden und Monumenten geben Aufschluss<br />

über urbane Strukturen und<br />

Gestaltungsprinzipien <strong>der</strong> jeweiligen Herrscher.“<br />

Mit einer Technologie, die normalerweise<br />

bei Computerspielen eingesetzt<br />

wird, und ihrer Kombination mit einem<br />

Geoinformationssystem (GIS), das detaillierte<br />

Daten über die Bauten von Copán<br />

enthält, entsteht ein dreidimensionales<br />

Bild des Komplexes, das es erlaubt, eine Art<br />

virtuellen Spaziergang durch das Areal zu<br />

machen. Zusätzliche Informationen sind<br />

per Mausklick zugänglich.<br />

Das Forschungswerkzeug soll es Wissenschaftlern<br />

erlauben, die Vorteile von 3D-<br />

Darstellungen und -Simulationen mit den<br />

analytischen Möglichkeiten eines GIS zu<br />

kombinieren, um online und in Echtzeit die<br />

Vergleiche und Analyse einer Vielzahl von<br />

Datentypen zu ermöglichen und so Architektur<br />

und Landschaft als ein integriertes<br />

System zu betrachten.<br />

Die Entwicklung des Systems wird vom<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

geför<strong>der</strong>t. Im Rahmen <strong>der</strong> fortgesetzten<br />

Arbeiten sollen unter an<strong>der</strong>em<br />

eine neue Open Source-Software für die<br />

dreidimensionale Bewegung sowie ein eigener<br />

Geo-Browser entstehen. Jennifer<br />

von Schwerin: „Entscheidend ist, dass wir<br />

Standards für das Management dreidimensionaler<br />

Daten haben.“<br />

<br />

IM HAUS<br />

… in einem Wohnhaus in einer Befestigung.<br />

Los Castillejos de Alcorrín liegen in Manilva in <strong>der</strong> Nähe von Málaga in Spanien. Die Castillejos waren die umfangreichste Befestigung<br />

im fernen Westen, die während <strong>der</strong> frühesten Phase <strong>der</strong> phönizischen Expansion am Ende des 9. Jahrhun<strong>der</strong>ts v. Chr. entstand, aber bereits<br />

im späten 8. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr wie<strong>der</strong> aufgegeben wurde. Zu dieser Zeit hatten sich die phönizischen Faktoreien an <strong>der</strong> Küste<br />

konsolidiert.<br />

Die Abteilung Madrid des DAI unter <strong>der</strong> Leitung von Prof. Dr. Dirce Marzoli erforscht eine Kultur, die ostmediterrane ebenso wie einheimische<br />

Züge trägt. Die Funde in Alcorrín zeigen die Auswirkungen <strong>der</strong> Begegnung zwischen Einheimischen und Phöniziern, die sich in<br />

Gestalt einer orientalisierenden Mischkultur manifestieren.<br />

Das neue Werkzeug ermöglicht es, 3D-Modelle archäologischer Funde<br />

in ihrem Kontext darzustellen und zu verstehen.<br />

Mehr dazu im nächsten Heft.<br />

Fotos: DAI, Abteilung Madrid, Patterson<br />

10 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 11


CULTURAL HERITAGE<br />

Die Rote Halle bestimmt noch heute das Stadtbild von Bergama. Ansicht vom Burgberg.<br />

HADRIANS MÄCHTIGER TEMPEL<br />

Restaurierungsarbeiten an <strong>der</strong> Roten Halle in Bergama<br />

Bergama ist eine kleine Stadt in <strong>der</strong> Türkei, 80 Kilometer nördlich<br />

von Izmir, <strong>der</strong>en archäologischer Ruhm dem flüchtigen Betrachter<br />

vor allem durch einen Altar gegenwärtig ist, <strong>der</strong> in Teilen in einem<br />

Berliner Museum steht. Es trägt sogar den antiken griechischen<br />

Namen <strong>der</strong> Stadt: Pergamon. Nicht ganz so berühmt ist <strong>der</strong> riesige<br />

Vielgöttertempel in Bergama, dessen Grundfläche mit dem vorgelagerten<br />

Platz fast die Ausdehnung des Trajansforums in Rom erreicht.<br />

Ein riesiger Bau, <strong>der</strong> vieles in den Schatten stellte und auch<br />

in seinem Innern nicht auf gewaltige Formen verzichtete. Acht<br />

Meter hohe Stützfiguren mit ausladendem Kopfputz trugen das<br />

Hallendach und schufen so die richtige Atmosphäre für Götterverehrung<br />

und Kaiserkult. Denn <strong>der</strong> Tempel ist römisch, stammt aus<br />

dem 2. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr., <strong>der</strong> Bauherr war Kaiser Hadrian. Die<br />

Stützfiguren waren inspiriert von den Darstellungen ägyptischer<br />

Gottheiten, die Hadrian auf seiner Reise an den Nil gesehen hatte<br />

und die er sich für seinen Monumentalbau in Kleinasien wünschte.<br />

Durch das kaiserliche Bauprojekt wurde das Bild <strong>der</strong> Stadt völlig<br />

verän<strong>der</strong>t, sogar <strong>der</strong> Fluss Selinus wurde in zwei Tunnel gezwängt,<br />

und noch heute bestimmt die Ruine das Bild des<br />

mo<strong>der</strong>nen Bergama, das damit eines <strong>der</strong> bedeutendsten römi-<br />

schen Monumente in Kleinasien beherbergt. Das Hauptgebäude<br />

des Tempels wird „Rote Halle“ genannt – die verbauten Ziegel gaben<br />

ihr den Namen.<br />

I N S ICHE RHE IT<br />

An<strong>der</strong>s als die Ruinen des hellenistischen Ortes wurde die Rote<br />

Halle ein Teil <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Stadt. Das heißt, sie gelangte nie unter<br />

die Erde und wurde knapp zweitausend Jahre lang für unterschiedliche<br />

Zwecke genutzt. Dies konnte nicht geschehen, ohne<br />

Spuren zu hinterlassen: Der südliche <strong>der</strong> zwei Türme, in dem unter<br />

an<strong>der</strong>em eine Fabrik untergebracht war, die Oliven verarbeitete,<br />

war beson<strong>der</strong>s stark gefährdet. In die originale römische Kuppel<br />

drang das Regenwasser ungehin<strong>der</strong>t ein, im Inneren lagerten sogar<br />

tonnenschwere Fundstücke auf einem empfindlichen Gewölbe,<br />

das zudem an mehreren Stellen eingebrochen war.<br />

2006 startete die Abteilung Istanbul des DAI unter <strong>der</strong> Leitung<br />

von Felix Pirson und Martin Bachmann mit Unterstützung <strong>der</strong> Studiosus<br />

Foundation e. V. ein mehrjähriges Projekt zur Restaurierung<br />

des Turms und <strong>der</strong> Überdeckung und Sicherung seiner originalen,<br />

römischen Kuppelkonstruktion.<br />

12 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 13


CULTURAL HERITAGE<br />

Mit Unterstützung des Kulturerhalt-Programms des Auswärtigen<br />

Amts wurde 2008 eine hochwertige, denkmalgerechte Bleideckung<br />

aufgebracht, die den antiken Baubestand auf Jahrzehnte<br />

schützen wird. Nach Abschluss dieser Arbeiten war es auch erstmals<br />

möglich, den großartigen Innenraum <strong>der</strong> Rotunde für Besucher<br />

zu öffnen. Die Einweihung erfolgte im September 2009.<br />

Im selben Jahr begann ebenfalls mit Unterstützung <strong>der</strong> Studiosus<br />

Foundation im Seitenhof <strong>der</strong> Roten Halle ein weiteres Teilprojekt.<br />

Eine <strong>der</strong> Stützfiguren, die einst anstelle von Säulen den Hof gerahmt<br />

hatten und <strong>der</strong>en Fragmente im Inneren des Rundturms<br />

gezeigt werden, wurde in voller Höhe unter Verwendung von Originalteilen<br />

rekonstruiert.<br />

Am 26. September 2013 ist die ägyptische Gottheit Sachmet in<br />

Bergama auferstanden.<br />

<br />

Als man in den dreißiger Jahren die osmanischen Wohnhäuser, die ins<br />

Innere <strong>der</strong> Roten Halle eingedrungen waren, abriss, fand man Fragmente<br />

römischer Monumentalskulpturen, die in ägyptischem Stil gehalten<br />

waren und <strong>der</strong>en Gesichter aus schwarzem Marmor gefertigt waren. Die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong> Pergamongrabung gingen davon aus, dass<br />

es sich um einen Tempel des Serapis o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Isis handeln musste.<br />

Die Deutung, dass <strong>der</strong> Bau ein Heiligtum ägyptischer Götter war, konnte<br />

im Folgenden bestätigt werden, aber die Götter hatten Gesellschaft<br />

bekommen. Auch <strong>der</strong> römische Kaiser selbst wurde hier verehrt.<br />

Die Stützfigur, die nun restauriert wurde, ist mit an Sicherheit grenzen<strong>der</strong><br />

Wahrscheinlichkeit die Göttin Sachmet, Repräsentantin des Krieges,<br />

<strong>der</strong> Krankheiten und verantwortlich für Epidemien – die sich durch Gebete<br />

aber besänftigen ließ. Auf antikisierende Täuschungen wurde bei <strong>der</strong><br />

Rekonstruktion verzichtet. Die neuen Teile sind deutlich von den originalen<br />

zu unterscheiden. Anhand <strong>der</strong> Muster aus an<strong>der</strong>en Fragmenten, die in <strong>der</strong><br />

Roten Halle gefunden worden waren, konnte man mit Laserscans und einer<br />

digitalen Fräse Modelle <strong>der</strong> Einsatzstücke herstellen, die als Vorlagen für<br />

die Arbeit dienten. Ein Steinmetzmeister aus Bergama schuf in Anlehnung<br />

an die antike Bildhauerkunst das Oberteil aus weißem Marmor von <strong>der</strong><br />

Insel Prokonnesos, dem Material <strong>der</strong> Originalfragmente, neu. Der dunkle<br />

Marmor stammt aus <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> westtürkischen Stadt Afyon. Im<br />

originalen Bau war die technische Konstruktion <strong>der</strong> Großstatuen mit<br />

äußerster Präzision und Raffinesse ausgeführt, und so erwies sich bei <strong>der</strong><br />

Restaurierung die Kombination mo<strong>der</strong>ner Technik mit klassischer<br />

Bildhauerkunst als ideal für die notwendige Präzision beim Herstellen <strong>der</strong><br />

anspruchsvollen Verbindungsstellen. Zusammen mit <strong>der</strong> kulturhistorischen<br />

Bedeutung <strong>der</strong> ägyptisierenden Bildwerke sind Sachmet und ihre<br />

Gefährten wohl die ungewöhnlichsten Zeugnisse römischer Bildhauerkunst<br />

in Kleinasien.<br />

14 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 15


FORSCHUNG F ÜR DIE S TADT<br />

„Die Kombination aus Forschung und<br />

Denkmalpflege, wie das Deutsche Archäologische<br />

<strong>Institut</strong> sie durchführt, schafft Ergebnisse<br />

von großer Nachhaltigkeit, die zu<br />

Meilensteinen <strong>der</strong> Erhaltung und Präsentation<br />

archäologischer Denkmäler in <strong>der</strong> Türkei<br />

geworden sind. Städtebauliche und soziale<br />

Kontexte spielen dabei eine größer<br />

werdende Rolle, und die Rote Halle wurde<br />

zum Schwerpunktprojekt, weil sie eine bedeutende<br />

Schlüsselfunktion im neuen touristischen<br />

Erschließungskonzept für Pergamon<br />

hat. In Zukunft soll die Altstadt von<br />

Bergama mit ihren zahlreichen Monumenten<br />

osmanischer und multiethnisch geprägter<br />

Architektur stärker in das Besichtigungsprogramm<br />

eingebunden werden.<br />

Besucher können so 4000 Jahre Siedlungs-<br />

Prof. Dr. Felix Pirson (li.) ist Direktor <strong>der</strong><br />

Abteilung Istanbul des DAI und Leiter <strong>der</strong><br />

Pergamongrabung. Foto: Engel<br />

Dr.-Ing. Martin Bachmann (re.), stellvertreten<strong>der</strong><br />

Direktor <strong>der</strong> Abteilung, leitet die Arbeiten<br />

an <strong>der</strong> Roten Halle in Bergama.<br />

und Stadtgeschichte <strong>der</strong> Ostägäis im Umfeld<br />

einer mo<strong>der</strong>nen türkischen Kleinstadt<br />

erfahren. Die neuartige Präsentation ist<br />

epochenübergreifend und bezieht das<br />

Umland <strong>der</strong> Stadt mit ein. Sie ist die Grundlage<br />

für die Bewerbung Bergamas um einen<br />

Platz auf <strong>der</strong> Welterbeliste <strong>der</strong> UNESCO.<br />

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

<strong>der</strong> Stadt sind in diesem Projekt des DAI so<br />

miteinan<strong>der</strong> verbunden, dass nicht nur die<br />

Forschung davon profitiert, son<strong>der</strong>n auch<br />

die Stadt selbst. Lokale Fachkräfte werden<br />

im Rahmen des Projekts ausgebildet, und<br />

die Handwerker arbeiten zum Teil schon<br />

seit Generationen für das Deutsche Archäologische<br />

<strong>Institut</strong>.“<br />

Felix Pirson und Martin Bachmann<br />

KOOPERATION<br />

<strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong><br />

(Leitung und Durchführung)<br />

<strong>Institut</strong> für Baugeschichte, Historische Bauforschung<br />

und Denkmalpflege <strong>der</strong> TU München<br />

(Baudokumentation)<br />

Josef Steiner-Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe<br />

(Tragwerksplanung)<br />

Adnan Elidenk, Bergama (Stahlbauarbeiten)<br />

Christof Kronewirth, Berlin (Steinmetzarbeiten)<br />

Semih Uçar, Istanbul (Bleideckung)<br />

D I E FÖRDE R E R<br />

Die Sanierung, Instandsetzung und museale<br />

Nutzung des südlichen Rundturms <strong>der</strong><br />

„Roten Halle“ wurde seit 2005 von <strong>der</strong> Studiosus<br />

Foundation e. V. finanziert, mit <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>ung in den Jahren 2008 bis 2009<br />

konnten die Instandsetzungsmaßnahmen<br />

beendet werden. Darüber hinaus för<strong>der</strong>te<br />

die Foundation von 2009 bis 2013 das Projekt<br />

„Ägyptischer Atlant“ mit <strong>der</strong> Restaurierung<br />

und Aufstellung <strong>der</strong> ägyptisierenden<br />

Atlanten im Hof <strong>der</strong> Roten Halle.<br />

Die Kulturerhaltmittel des Auswärtigen<br />

Amts ermöglichten die Errichtung <strong>der</strong> neuen<br />

Bleiabdeckung des südlichen Turms <strong>der</strong><br />

Roten Halle, weitere Unterstützung leisteten<br />

die Ernst Reuter Initiative und die Kulturstiftung<br />

<strong>der</strong> deutsch-türkischen Wirtschaft.<br />

CULTURAL HERITAGE<br />

1<br />

2<br />

3<br />

1 46 Tonnen Material mussten weichen.<br />

2 Zwei erhaltene Marmorkonsolen – letzte<br />

Zeugen des antiken Dachabschlusses – waren<br />

durch eindringende Feuchtigkeit nicht mehr<br />

mit <strong>der</strong> Kuppel verbunden und im Begriff,<br />

mitsamt dem Mauerblock in die Tiefe zu gleiten.<br />

3 Ein Dachdeckermeister aus Bergama besorgte<br />

die neue Bleideckung <strong>der</strong> Kuppel.<br />

Nach Abschluss <strong>der</strong> Arbeiten präsentiert sich<br />

die Kuppel des südlichen Rundturmes <strong>der</strong><br />

Roten Halle nun mit einer dauerhaften Deckung,<br />

wie sie auch in <strong>der</strong> Antike bestanden haben<br />

könnte.<br />

Fotos: DAI, Abteilung Istanbul<br />

16 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 17


ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

ARCHÄOLOGIE AUF<br />

ABGELEGENEN INSELN<br />

Forschungen zur Besiedlungsgeschichte des westlichen Pazifik<br />

Es ist heiß, es ist matschig, es ist anstrengend, und man darf nicht<br />

überall hin. Ohne Malariaschutz sollte man ohnehin nicht in <strong>der</strong><br />

Gegend sein. Es gibt we<strong>der</strong> Zerstreuung <strong>der</strong> gewohnten Art, noch<br />

kühle Cocktails, die von lächelnden Kellnern am Platz serviert werden.<br />

Doch wenn Johannes Moser gefragt wird, wo er arbeitet, ist<br />

die Reaktion auf die Antwort immer gleich: „Sofort haben die Leute<br />

eine Fototapete mit palmengesäumten weißen Sandstränden vor<br />

Augen und erklären mir: ‚Du arbeitest, wo an<strong>der</strong>e Urlaub machen.’“<br />

18 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 19


Englisch, die heimischen Sprachen entstammen <strong>der</strong> ozeanischen Sprachgruppe, die ihrerseits<br />

zur austronesischen Familie mit 1150 Sprachen gehören.<br />

D I E FORME N DE S U MGANGS<br />

„Die Sprache <strong>der</strong> Verständigung zwischen Archäologen und Gastgebern ist Pidgin-Englisch“,<br />

erzählt Johannes Moser. Und Verständigung meint wie stets nicht nur die Sprache<br />

an sich. Hat man erst einmal die Lizenz zum Graben vom Ministerium für Kultur und Tourismus,<br />

heißt das noch lange nicht, dass man einfach loslegen kann. Auch <strong>der</strong> Provinzgouverneur<br />

muss zustimmen, am wichtigsten ist aber das OK des lokalen Chiefs, den es nicht<br />

son<strong>der</strong>lich interessiert, ob „<strong>der</strong> Staat“ irgendetwas genehmigt hat.<br />

Gefragt sind Geduld, Sorgfalt, Respekt und Fingerspitzengefühl. Die Inselbewohner haben<br />

allen Grund, misstrauisch zu sein. Die kollektive Erinnerung ist voll von Raub- und<br />

Mordgeschichten, die mit den Kolonisatoren kamen. „Während <strong>der</strong> Kolonialzeit wurden<br />

Ethnographika in rauen Mengen außer Landes geschafft“, weiß Moser. Sie wurden verkauft<br />

o<strong>der</strong> ins Museum gestellt. „Zum Glück kommt jemand, <strong>der</strong> im Ministerium arbeitet,<br />

aus Malaita. Er kann zwischen uns, den Behörden und dem Dorf vermitteln.“<br />

ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

Das ‚Ria-Felsschutzdach’ scheint eine nähere Untersuchung wert zu sein. Die Ablagerungen versiegeln und erhalten die archäologischen Funde. Foto: Moser<br />

„Ist man einmal akzeptiert, ist es fast, als sei man adoptiert worden“ erzählt Moser. Damit<br />

ist die Verantwortung für den Gast unverbrüchlich auf die Gastgeber übergegangen.<br />

Nicht, dass ihm etwas zustößt in <strong>der</strong> ihm noch unbekannten Welt. „Umgekehrt würde ich<br />

natürlich niemals auf die Idee kommen, ein Tabu zu brechen“, beschreibt <strong>der</strong> Archäologe<br />

eine <strong>der</strong> Grenzen wissenschaftlicher Arbeit. Es gibt Orte, die unmissverständlich mit einem<br />

strengen Tabu belegt sind und die nicht gestört werden dürfen. Die Zeiten haben<br />

sich geän<strong>der</strong>t. „In the name of science“ heißt heute eben auch zu wissen, wann man aufhören<br />

muss.<br />

„Wenn wir etwas entdecken o<strong>der</strong> vermuten, fragen wir immer zuerst, ob wir nachsehen<br />

dürfen“, sagt <strong>der</strong> Archäologe. „Wenn sie ‚nein’ sagen, ist das ein Nein, und niemand verliert<br />

mehr ein Wort darüber.“<br />

Johannes Moser ist Prähistoriker, Wissenschaftler an <strong>der</strong> Kommission<br />

für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI (KAAK) in<br />

Bonn. Die Vergangenheit, die er erforscht, ist so fern wie die Inseln<br />

am an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Welt, auf denen er seit 2011 die Spuren<br />

menschlicher Anwesenheit in einer archäologisch wenig erforschten<br />

Region untersucht. Denn während die Besiedlungsgeschichte<br />

Südostasiens, Australiens und des Bismarck-Archipels gut untersucht<br />

ist, weiß man noch sehr wenig über die Ausbreitung prähistorischer<br />

Menschen in den pazifischen Raum, welchen Weg sie<br />

wählten, warum sie überhaupt kamen und wann sie auftauchten.<br />

Erste Daten belegen, dass Menschen sich schon vor gut 30.000<br />

Jahren mittels geeigneter Wasserfahrzeuge und im Besitz hervorragen<strong>der</strong><br />

navigatorischer Kenntnisse aufmachten, um die weite<br />

Inselwelt des westlichen Ozeaniens zu erschließen. Vor 3.500 Jahren<br />

gab es eine zweite Einwan<strong>der</strong>ungsbewegung. Die „Neuen“<br />

bringen verzierte, in Stichtechnik aufpunktierte Keramik mit, die<br />

heute als Lapita-Keramik bekannt ist, Obsidian- und Feuersteinhandel<br />

zeugen von einem extensiven Ressourcenmanagement.<br />

Woher die „Lapita“-Leute kamen, ist nicht genau bekannt. Die Archäologen<br />

wissen aber, dass sie viel reisten, um regen Handel zu<br />

treiben.<br />

Die DAI-Wissenschaftler wollen nun die Grundlagen <strong>der</strong> lang andauernden<br />

Tradition <strong>der</strong> Steingerätebearbeitung erforschen, die<br />

erst in <strong>der</strong> Zeit des ersten Kontakts mit den Europäern aufgegeben<br />

wird und nun ganz zu verschwinden scheint.<br />

Die Salomonen waren immer eine bedeutende, gut vernetzte kulturgeographische<br />

Kontaktzone zwischen den Großregionen Südostasien,<br />

Australien und <strong>der</strong> pazifischen Inselwelt. Heute sind sie<br />

eine Parlamentarische Monarchie, Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth<br />

II., denn die seit 1978 unabhängigen Solomon Islands sind<br />

Angehörige des Commonwealth of Nations. Amtssprache ist<br />

1<br />

2<br />

1 In <strong>der</strong> dichten Vegetation des immerfeuchten<br />

Regenwaldes sind Messungen<br />

und Kartierung ein Kunststück.<br />

2 Archäologen und Ethnologen<br />

sind bei <strong>der</strong> Arbeit nie allein.<br />

Fotos: Hartl-Reiter<br />

Foto S. 18/19 Moser;<br />

Karte basierend auf Googlemaps<br />

20 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 21


Die Masse <strong>der</strong> Kerne, Abschläge, Schlagsteine,<br />

Halbfabrikate und fertigen Geräte, die größtenteils<br />

unbenutzt zu sein scheinen, zeigt, dass <strong>der</strong><br />

Fundplatz in erster Linie eine Manufaktur für<br />

Steinbeile und an<strong>der</strong>e Werkzeuge war.<br />

Foto (li.): Raroirae<br />

Fotos (unten): Hartl-Reiter<br />

ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

Mosers Mitarbeiter vor Ort:<br />

Die Archäologin Annette Kühlem und <strong>der</strong><br />

Vermessungsingenieur Christian Hartl-Reiter.<br />

Der Prähistoriker Dr. Johannes Moser<br />

ist Referent für den Westpazifik an <strong>der</strong><br />

Kommission für Archäologie Außereuropäischer<br />

Kulturen (KAAK) des DAI<br />

PRODUKTIONSZE NTRUM F ÜR<br />

D E N Ü B E RSEE- H ANDE L<br />

Im Spätherbst 2011 hatten die DAI-Archäologen eine erste Erkundungsreise<br />

auf <strong>der</strong> Insel Malaita unternommen. „Wir entdeckten<br />

mehrere Höhlen und Felsdächer, die Spuren menschlicher Präsenz<br />

in vorgeschichtlicher Zeit zeigen“, sagt Moser. Abschlagmaterial<br />

aus Stein, Geröll, das offenbar ortsfremd war, aber auch Gehäuse<br />

verschiedener Schnecken und Muscheln gehören zu den Funden.<br />

Die Archäologen untersuchten zwei Schlagplatzreviere, von denen<br />

eines abseits des Weilers Maniaha im höher gelegenen und<br />

schwer zugänglichen Bergland liegt. In <strong>der</strong> dichten Vegetation des<br />

immerfeuchten Regenwaldes sind Messungen und Kartierung ein<br />

Kunststück. Doch die Dorfbewohner wissen, dass <strong>der</strong> Platz mehrere<br />

tausend Quadratmeter groß sein muss, und die Masse <strong>der</strong> Kerne,<br />

Abschläge, Schlagsteine, Halbfabrikate und fertigen Geräte,<br />

die größtenteils unbenutzt zu sein scheinen, zeigt, dass <strong>der</strong> Fundplatz<br />

in erster Linie eine Manufaktur für Steinbeile und an<strong>der</strong>e<br />

Werkzeuge war. „Wir waren das nicht“, beteuern die Inselbewohner<br />

gegenüber Moser. Die Bevölkerung von Nariwarawa und Maniaha<br />

kennt die Genealogie <strong>der</strong> namentlich nennbaren Vorfahren, <strong>der</strong><br />

‚Rioanimai’ o<strong>der</strong> ‚great ancestors’ über 13 Generationen bis ins 18.<br />

und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t zurück. Die 14C-Daten weisen ein Alter <strong>der</strong><br />

Fundstücke aus, das in <strong>der</strong> Zeit vor dem ersten Kontakt mit Europäern<br />

Mitte des 16. Jahrhun<strong>der</strong>ts liegt.<br />

„Wir haben es hier mit einem großräumigen Produktionszentrum<br />

zu tun, von dem aus die Fabrikate als Handels- o<strong>der</strong> Tauschware<br />

überregional in Umlauf gebracht wurden“, sagt Moser. Der Fundort<br />

‚Apunirereha’ hat dabei eine Schlüsselposition auf <strong>der</strong> Insel Malaita.<br />

Kontakte zwischen den Inseln, auch über größere Distanzen,<br />

und funktionierende Beziehungsgeflechte haben im melanesischen<br />

Raum eine lange Tradition ebenso wie die Kenntnisse über<br />

Hochseenavigation, die von den Älteren auf die Jüngeren übergingen<br />

und wo Probleme <strong>der</strong> Bestimmung von Längengraden schon<br />

lange gelöst waren, bevor John Harrison zu Beginn des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

seine berühmte Uhr baute.<br />

Johannes Moser hat sich ein Haus aus Pandanussblättern gebaut,<br />

das gut und gern als Grabungshaus dient. Drei Zimmer mit Veranda<br />

– Baukosten: 500 Euro. Der größte Teil davon war <strong>der</strong> Treibstoff<br />

für die Kettensäge. „Es ist wichtig, dass die Leute, die bei einer<br />

Kampagne dabei sind, Erfahrung haben“, betont Moser. Das<br />

feuchtheiße Klima kann an die Nerven gehen, die üblichen Abwechslungen<br />

fehlen völlig. Hier und da läuft vielleicht mal ein Kassettenrekor<strong>der</strong><br />

im Dorf. Aber ansonsten ist es verdammt ruhig.<br />

„Mir fehlt hier nichts“, sagt <strong>der</strong> Archäologe. „Man lernt wie<strong>der</strong>, sich<br />

abends zu unterhalten.“<br />

Gegessen wird Fisch, Yams und Taro. Zur Abwechslung gibt es Instantnudeln.<br />

Auch auf den Salomonen sind es die Chinesen, die<br />

die kleinen Geschäfte betreiben.<br />

Inzwischen mögen die Insulaner „ihre“ Archäologen und sind sogar<br />

ziemlich stolz darauf, dass sich jemand für sie und ihre Geschichte<br />

interessiert. Manchmal drücken sie ein Auge zu, wenn<br />

unwissentlich ein Tabu gebrochen wurde. „Man darf schon kleine<br />

Fehler machen“, erzählt Johannes Moser. „Aber sie lassen es uns<br />

wissen.“ Bei den Diskussionen ist Chief Andrew immer dabei. <br />

D I E ARCHÄOLOGISCHE N<br />

A RBE ITE N<br />

„Der ausgewählte Fundplatz ‚Apunirereha‘<br />

umschreibt ein etwa 1000 m² großes Gebiet mit<br />

außerordentlich umfangreichem Materialaufkommen<br />

an herbeigeschafften Rohmaterialknollen<br />

und geschlagenen Steingerätschaften. Der<br />

Platz wurde geodätisch erfasst und in seinem<br />

Zentrum durch eine 2 m x 3 m Sondage<br />

gegraben. Das Ziel dieser Sondierung war es, die<br />

Akkumulation an steinzeitlichen Hinterlassenschaften<br />

in ihrem Umfang zu erfassen, mögliche<br />

Verteilungsmuster zu erkennen sowie die<br />

stratigraphische Situation zu klären. Gleichzeitig<br />

sollte datierbares Material zur Altersbestimmung<br />

gewonnen werden. Der Fundplatz wurde<br />

während <strong>der</strong> diesjährigen Geländearbeiten bis<br />

auf eine Tiefe von 60 cm unter das heutige<br />

Geländeniveau ergraben. Aus den Feuerstellen<br />

konnten Holzkohleproben verschiedener<br />

Schichtkontexte isoliert werden, die für eine<br />

Radiokarbondatierung bestimmt waren. Zwei<br />

Proben aus den unteren Straten <strong>der</strong> Sondage<br />

wurden zu Messungen an das AMS-Labor<br />

Erlangen (Physikalisches <strong>Institut</strong>) <strong>der</strong> Friedrich-<br />

Alexan<strong>der</strong> Universität Erlangen-Nürnberg<br />

geschickt. Der lithische Schlagplatz ‚Apunirereha‘<br />

datiert nach den Ergebnissen <strong>der</strong> 14C-Messungen<br />

auf den Zeitraum zwischen 672 BP ± 42<br />

und 395 BP ± 40.“ (BP = Before Present)<br />

Johannes Moser<br />

Das Grabungshaus ist aus Palmblättern gebaut. Foto: Moser<br />

22 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 23


Digitale Baustelle<br />

Nun kann ja jemand argumentieren: Ich<br />

habe meine Daten, ich werde in meinem<br />

Fach verstanden, das reicht doch …<br />

analoger Form vorliegen und nun digitalisiert<br />

werden, damit sie international zur<br />

Verfügung stehen.<br />

INTERVIEW<br />

Prof. Dr. Reinhard Förtsch ist<br />

Wissenschaftlicher Direktor für<br />

Informationstechnologien an<br />

<strong>der</strong> Zentrale des DAI über das DFGgefördete<br />

Projekt IANUS.<br />

Der digitale Systemumbruch hat auch<br />

vor <strong>der</strong> Archäologie nicht haltgemacht.<br />

Doch die Erweiterung des wissenschaftlichen<br />

Horizonts bringt auch eine<br />

exponentiell gestiegene Menge an –<br />

digitalen – Daten mit sich. Wie<br />

bekommt man so etwas in den Griff?<br />

REINHARD FÖRTSCH<br />

… dazu kommt ja auch noch, dass die Arbeitsgebiete<br />

in <strong>der</strong> Archäologie und den<br />

Altertumswissenschaften außerordentlich<br />

vielfältig sind und sehr heterogene Daten<br />

hervorbringen: Wir haben es mit Texten<br />

und kunsthistorischen Analysen zu tun,<br />

mit Knochen, Scherben und Statuen o<strong>der</strong><br />

auch mit großangelegten Regionalstudien<br />

Interview mit Reinhard Förtsch über Infor mationstechnologien<br />

in den Altertumswissen schaften<br />

und Landschaftsrekonstruktionen. Der erste<br />

Schritt, das in den Griff zu bekommen,<br />

ist ein rein kompilatorischer Vorgang. Es ist<br />

eine Datenwolke o<strong>der</strong> Cloud, in die zunächst<br />

die Daten so aufgenommen werden,<br />

wie sie sind, und zwar alle Arten von<br />

Daten, also auch unbearbeitete Quelldaten<br />

und sogar Zufallsdaten. Das wird die Quelldatenbasis.<br />

Das klingt unübersichtlich.<br />

Das ist es zu Beginn auch. Auf dieser dicken<br />

Wolkenschicht sitzt aber IANUS, das neue<br />

„Forschungsdatenzentrum Archäologie<br />

und Altertumswissenschaften“, konzipiert<br />

als Relais und als eine nationale und internationale<br />

Ressource, in <strong>der</strong> alle Fäden zusammenlaufen<br />

und die eine neue IT-Infrastruktur<br />

für die weltweite Vernetzung<br />

schafft. Die beson<strong>der</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

dabei ist, die heterogenen Daten so aufzubereiten,<br />

dass sie interoperabel sind, also<br />

miteinan<strong>der</strong> „sprechen“ können, und zwar<br />

(idealerweise) für sehr lange Zeit. In IANUS<br />

werden also die Daten an<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong><br />

Cloud kuratiert.<br />

Wem steht IANUS zur Verfügung?<br />

IANUS bietet seine Dienstleistungen vorwiegend<br />

archäologischen und altertumswissenschaftlichen<br />

Hochschulen und <strong>der</strong>en<br />

Mitglie<strong>der</strong>n an, aber natürlich auch den Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Denkmalpflege, universitären<br />

Projekten im In- und Ausland o<strong>der</strong> für<br />

didaktische Zwecke in Schule o<strong>der</strong> Weiterbildung.<br />

IANUS, bzw. das DAI wird aber auch<br />

die zentrale Anlaufstelle für diejenigen <strong>Institut</strong>ionen<br />

sein, die die neue IT-Infrastruktur<br />

für die eigene Vernetzung nutzen möchten.<br />

150 Jahre lang haben die Altertumswissenschaften<br />

ohne IT gelebt und auch<br />

Daten produziert. Was geschieht mit<br />

denen?<br />

Die Traditionen <strong>der</strong> Wissensspeicherung<br />

sind so zahlreich wie die Systematiken, mit<br />

<strong>der</strong>en Hilfe das geschieht. Die Folgen sind<br />

komplex, weil aus den vielen gedachten<br />

und gewollten Übersichtlichkeiten die eine<br />

große Unübersichtlichkeit entsteht. In den<br />

Fototheken, Bibliotheken o<strong>der</strong> auch Nachlässen<br />

und Archiven überschneiden sich<br />

die Bestände gelegentlich, die Zuordnungen<br />

können nicht immer eindeutig sein.<br />

Viele dieser „alten“ Daten haben aber einen<br />

unschätzbaren Wert für die Forschung und<br />

müssen gesichert werden. Auch heute entstehen<br />

Unmengen von Daten zu ähnlichen<br />

Dingen in unähnlicher Weise – allein schon<br />

bei den vielen Grabungen und Surveys des<br />

DAI. Wir müssen versuchen, diese Inseldialekte<br />

in eine Art Esperanto für die dynamische<br />

Archivierung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Arbeit zu verwandeln. Für Abfragen in Texten,<br />

das Textmining, wird es ein teilautomatisiertes<br />

Analyse-Instrument geben, das<br />

nach Mustern sucht und so einzelne Daten<br />

sinnvoll aufeinan<strong>der</strong> beziehen kann.<br />

Wieviel neue Grammatik muss man mit<br />

dem digitalen Esperanto dazulernen?<br />

Mit <strong>der</strong> „Übersetzung“ in digitale Sprachen<br />

werden natürlich auch Ordnungen neu gesetzt,<br />

alte Kategorien werden durch neue<br />

ersetzt. Das gilt für Vokabeln ebenso wie<br />

für grammatische Strukturen. Wir sortieren<br />

nicht mehr nur nach „Skulptur“, „Bild“,<br />

„Vase“, „Heiligtum“, „Grab“ ..., son<strong>der</strong>n auch<br />

nach den Kontexten, in denen all dies in<br />

einer bestimmten Kultur zu einer bestimmten<br />

Zeit aufeinan<strong>der</strong> bezogen existierte.<br />

Das heißt zum Beispiel zu ermitteln, welche<br />

Daten mit einem bestimmten Objekt,<br />

einer Person o<strong>der</strong> einem Gebäude verbunden<br />

sind, und – wichtiger noch – in welcher<br />

Form daraus quantifizierbare Dynamiken,<br />

die sich in Zeit und Raum vollziehen,<br />

ablesbar und darstellbar werden.<br />

Archäologische und altertumswissenschaftliche<br />

Daten sollen also in einer<br />

zentralen Service-Einrichtung zusammenlaufen.<br />

Gibt es keine Bedenken in<br />

<strong>der</strong> Community?<br />

Natürlich müssen wir an einigen Stellen<br />

noch Überzeugungsarbeit leisten. Tatsächlich<br />

ist die Bereitschaft <strong>der</strong> meisten <strong>Institut</strong>ionen<br />

und Personen, sich an dem Projekt<br />

zu beteiligen, sehr groß, da ihnen nun ein<br />

Ort zur Verfügung steht, an dem sie ihre<br />

Daten sicher hinterlegen können. Wir sehen<br />

uns in <strong>der</strong> Tat in erster Linie als Service-<br />

Einrichtung.<br />

Wir leben schon lang in einer international<br />

vernetzten Welt. Wir alle leben von Kooperationen;<br />

das DAI tut dies in beson<strong>der</strong>er<br />

Weise. Die gemeinsame Arbeit in unseren<br />

Gastlän<strong>der</strong>n verpflichtet uns, die gemeinsam<br />

erhobenen Daten auch allen zugänglich<br />

machen. Dies gilt auch und insbeson<strong>der</strong>e<br />

für ältere Daten, die bislang nur in<br />

Wie verläuft insgesamt <strong>der</strong> digitale<br />

Systemumbruch in <strong>der</strong> Archäologie?<br />

Der Prozess läuft sehr gut. Wichtig ist zu<br />

vermitteln, dass IT eine Schlüsseltechnologie<br />

und damit eine Querschnittaufgabe ist,<br />

die nicht von den normalen Arbeitsprozessen<br />

abgekoppelt werden kann. <br />

© artefacts-berlin.de<br />

INTERVIEW<br />

24 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 25


In <strong>der</strong> Nekropole Kabardinka wurden<br />

um Gräber herum Steinkreise errichtet.<br />

LANDSCHAFT<br />

Ausgrabung <strong>der</strong> Steinkreise.<br />

LEBEN AUF DEM HOCHPLATEAU<br />

Eine neu entdeckte Kulturlandschaft im nördlichen Kaukasus<br />

Blick vom Hang auf den Fundplatz<br />

Verchnjaja Kičmalka 1. Es ist eine Siedlung<br />

aus dem 15. / 14. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr.<br />

Von West-Nordwest nach Ost-Südost auf einer<br />

Länge von 1100 Kilometern verläuft zwischen<br />

Schwarzem und Kaspischem Meer ein Gebirge,<br />

das seit <strong>der</strong> Antike fast überladen ist mit<br />

Bedeutung, Kriegen und Reichtümern:<br />

<strong>der</strong> Kaukasus. Gefängnis des Prometheus, zu<br />

allen Zeiten Zankapfel zwischen großen Reichen,<br />

Sperre gegen die „Hunnen“, aber auch<br />

Transit zone, kultureller Schmelztiegel und<br />

Rohstofflager, liegt hier, im Grenzgebiet<br />

zwischen Europa und Vor<strong>der</strong>asien, eine <strong>der</strong><br />

ethnographisch und sprachhistorisch<br />

vielfältigsten Regionen <strong>der</strong> Welt.<br />

26 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 27


Die Prähistorikerin Dr. Sabine Reinhold von<br />

<strong>der</strong> Eurasien-Abteilung des DAI leitet seit 2006<br />

das Projekt „Siedlungstypen im Nordkaukasus in<br />

<strong>der</strong> späten Bronzezeit: Kislovodsk“. Ihr Arbeitsschwerpunkt<br />

ist die Vor- und Frühgeschichte<br />

des Schwarzmeerraumes und Kaukasiens. Das<br />

Projekt wird von <strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG) und <strong>der</strong> Russischen Stiftung<br />

für die Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

(RGNF) geför<strong>der</strong>t.<br />

LANDSCHAFT<br />

1 2<br />

3<br />

1 Luftbild einer Siedlung mit deutlich<br />

erkennbarem zentralem Platz.<br />

2 Gebäudegrundriss eines doppelräumigen<br />

Wohn-Stallhauses aus <strong>der</strong> Siedlung<br />

Kabardinka 2<br />

3 Einzigartige Steinarchitektur des<br />

2. Jahrtausends v. Chr. – Grundriss eines<br />

Hauses aus <strong>der</strong> Siedlung Gumbaši 1,<br />

in dem Mensch und Tier unter einem Dach<br />

zusammenlebten. Das Gebäude liegt<br />

oberhalb <strong>der</strong> Wasserscheide zwischen<br />

Schwarzem und Kaspischem Meer.<br />

S I E DLUNG UND ERNÄHRUNG<br />

„Erste Funde aus Grabmonumenten, die<br />

mit Hilfe mo<strong>der</strong>ner anthropologischer Methoden<br />

und Isotopen-Analysen zur Ernährungsbasis<br />

untersucht wurden, konnten<br />

ganz verschiedene Fragen zu Ernährung<br />

und Wirtschaftsstrategien <strong>der</strong> Siedler beantworten.<br />

Es zeigt sich, dass es zwischen<br />

dem Leben im Gebirge im 2. Jahrtausend<br />

v. Chr. und <strong>der</strong> Besiedlung <strong>der</strong> Täler im<br />

1. Jahrtausend v. Chr. einen einschneidenden<br />

Wandel bei Ernährung und Wirtschaftsweise<br />

gab: Während die Gebirgsbewohner<br />

sich vermutlich überwiegend von<br />

tierischen Produkten – Fleisch, Milch, Käse<br />

– ernährten, konnte nachgewiesen werden,<br />

dass die Talbewohner deutlich mehr<br />

Getreide, aber fast kein Fleisch zu sich nahmen.<br />

Die Isotopenanalysen bestätigen den<br />

aus <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong> Siedlungsstrukturen postulierten<br />

Subsistenzwechsel zwischen <strong>der</strong><br />

älteren Periode im Gebirge und <strong>der</strong> jüngeren<br />

im Tal.<br />

Neuere Ausgrabungen ermöglichen es darüber<br />

hinaus, Aufschlüsse über die Menschen<br />

zu gewinnen, welche die Extremregion<br />

als erste besiedelten. Erste Indikatoren<br />

aus einem <strong>der</strong> ältesten Fundorte erbrachten<br />

Indizien, dass ein Teil <strong>der</strong> Siedler im Gebirge<br />

vielleicht aus <strong>der</strong> nordkaukasischen<br />

o<strong>der</strong> nordpontischen Steppe kam.<br />

Auch die Untersuchung <strong>der</strong> Grabformen,<br />

<strong>der</strong> materiellen Kultur und <strong>der</strong> kulturellen<br />

Traditionen, vor allem aber <strong>der</strong>en Verän<strong>der</strong>ungen<br />

zu untersuchen, ist ein weiteres<br />

Ziel unseres Nordkaukasus-Projekts. Auch<br />

dies kann Facetten <strong>der</strong> sozialen Dynamik<br />

zeigen, die sich in <strong>der</strong> Siedlungsentwicklung<br />

bereits andeuten.“<br />

Sabine Reinhold<br />

Große Teile des Kaukasus sind archäologisch gut erforscht. Umso<br />

überraschen<strong>der</strong> war es, als 2004 auf einem Hochplateau bei Kislovodsk<br />

im Nordkaukasus Spuren menschlicher Anwesenheit gefunden<br />

wurden, die völlig neue Perspektiven für die Siedlungsarchäologie<br />

<strong>der</strong> Region eröffneten.<br />

„Es ist ein bislang völlig unbekannter Siedlungstypus <strong>der</strong> Spätbronze-<br />

und Früheisenzeit, den wir hier untersuchen“, sagt Sabine<br />

Reinhold von <strong>der</strong> Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s. Seit 2006 leitet sie das Projekt zu den „Siedlungstypen<br />

<strong>der</strong> späten Bronzezeit in Kislovodsk, Nordkaukasus, Russland“.<br />

Die Siedlungen liegen auf einer Plateauzone an <strong>der</strong> südlichen Peripherie<br />

des Talkessels von Kislovodsk – eines <strong>der</strong> berühmten Kaukasischen<br />

Mineralbä<strong>der</strong> – das sich an einer strategisch bedeutsamen<br />

Stelle befindet. Es liegt an einer Passroute, die aus <strong>der</strong><br />

nordkaukasischen Steppenzone über den 2242 Meter hohen<br />

Gumbashi-Pass an den Oberlauf des Kuban und von dort aus ans<br />

Schwarze Meer führt. Der Talkessel selbst wird aus fünf kleineren<br />

Wasserläufen gebildet, die schließlich bei Kislovodsk in den Fluss<br />

Podkumok münden. Von hier sind es nur noch 70 Kilometer zu<br />

dem Ort <strong>der</strong> Mythologie, <strong>der</strong> bis heute in Dichtung, Sprichwort<br />

und Wissenschaft präsent geblieben ist. 5642 Meter hoch erhebt<br />

sich <strong>der</strong> „Fels“, an den Prometheus geschmiedet war, weil er in einem<br />

Stängel des Riesenfenchels für die Menschen das Feuer gestohlen<br />

hatte, das ihnen Zeus zuvor entzogen hatte. In <strong>der</strong> Antike<br />

als „Strobilus“ bekannt, heißt <strong>der</strong> Vulkankegel heute El‘brus. Mit<br />

dem Montblanc streitet er um die Ehre, <strong>der</strong> höchste Berg Europas<br />

zu sein.<br />

H ÄUSE R F ÜR MENSCH UND T I E R<br />

„Die Steinarchitektur dieser Kultur des 2. Jahrtausends v. Chr ist<br />

einzigartig“ sagt Sabine Reinhold. Bis heute konnten die Wissenschaftler<br />

190 Siedlungsplätze nachweisen. Eine Kombination mo<strong>der</strong>ner<br />

Fernerkundungsmethoden mit <strong>der</strong> Vermessung vor Ort ermöglicht<br />

eine Erfassung <strong>der</strong> Bauten bis auf die Ebene einzelner<br />

Gebäude. „Die Fundplätze liegen in Höhen zwischen 1400 und<br />

2400 Metern, also oberhalb <strong>der</strong> heutigen Ackerbaugrenze“, sagt<br />

Reinhold.<br />

Die Gebäude waren Kombinationen aus Haus und Stall, sogenannte<br />

Wohn-Stallhäuser: Wand an Wand lebten Mensch und Tier unter<br />

einem Dach zusammen. „Nur so konnte man das Vieh durch die<br />

harten Winter bringen“, erklärt Reinhold. Anhand <strong>der</strong> Knochen,<br />

welche die Archäologen fanden, ließ sich ermitteln, dass Schafe<br />

zwei Drittel <strong>der</strong> Bestände bildeten. Als Fleischlieferant waren aber<br />

Rin<strong>der</strong> offenbar wichtiger.<br />

Sabine Reinhold erklärt, wie es den Archäologen gelang, zum ersten<br />

Mal konkrete Aussagen über die Anwesenheit von Tieren direkt<br />

in Häusern machen können: „Die Ställe unterscheiden sich von<br />

den Wohnräumen <strong>der</strong> Menschen in den Anteilen von Mikroorganismen,<br />

die das Enzym Urease zersetzen, genauso wie im Anteil<br />

keratinophiler Mikropilze, die auf und von Tierhaaren leben“, sagt<br />

Sabine Reinhold. „Gelangen sie in den Boden, erhalten sich ihre<br />

Sporen über Jahrtausende und können heute im Labor wie<strong>der</strong> reaktiviert<br />

werden, was einzigartige Einblicke in Aufteilung und Nutzung<br />

<strong>der</strong> Häuser ermöglicht.“<br />

Aber die Wissenschaftler ermittelten nicht nur die Struktur <strong>der</strong> Gebäude,<br />

auch die Form <strong>der</strong> Dörfer ließ sich mit einer Kombination<br />

aus Grabungen vor Ort und luftgestützten Methoden nachvollziehen:<br />

„Die Häuser gruppierten sich rund um einen großen Platz“, beschreibt<br />

Reinhold die Anlage. „So entstanden kleine Dorfanlagen<br />

von etwa einem Hektar Größe, die zumeist einen ovalen, manchmal<br />

sogar einen fischförmigen symmetrischen Grundriss hatten.“<br />

Den Beginn <strong>der</strong> Besiedlung dieser Region datieren die Archäologen<br />

auf das 2. Jahrtausend v. Chr. In dieser Zeit war es zu entscheidenden<br />

Verän<strong>der</strong>ungen gekommen, die Teil einer Entwicklung waren,<br />

wie sie auch in an<strong>der</strong>en Regionen Eurasiens – wahrscheinlich<br />

im Zuge einer Klimaverbesserung – eintrat: Sesshaftigkeit. Die Ersten<br />

waren die Siedler indessen nicht. Schon 1000 Jahr zuvor hatten<br />

Hirten ihr Vieh auf den Berghängen geweidet. Wohnhäuser hinterließen<br />

sie nicht, aber man fand eine große Zahl von Grab hügeln.<br />

A LMWIRTSCHAF T<br />

Die Archäologen wissen heute, dass die Bevölkerung in diesen<br />

permanenten Siedlungen schnell wuchs, und sie gehen davon<br />

aus, dass die Bewohner zur Versorgung von Mensch und Tier ein<br />

klassisches Almwirtschaftssystem entwickelten. Im Sommer wurde<br />

das Vieh auf die Bergweiden getrieben, im Winter holte man es<br />

zurück in die Dörfer.<br />

Viele Fragen über diese ungewöhnliche kaukasische Kulturlandschaft<br />

sind beantwortet, aber ein Rätsel konnte noch nicht gelöst<br />

werden: „Es bleibt auch nach sieben Jahren intensiver Forschung<br />

unklar, weshalb die Siedler nicht in die Täler zogen und stattdessen<br />

so lang auf den – aus unserer heutigen Sicht – kargen Hochplateaus<br />

ausharrten.“<br />

Denn erst um die Wende zum 1. Jahrtausend v. Chr. entstehen in<br />

tieferen Lagen erste Ansiedlungen. Wahrscheinlich war es eine erneute<br />

Klimaverän<strong>der</strong>ung, welche die Menschen zwang, ihre gewohnte<br />

Lebensweise aufzugeben. Bereits 100 Jahre später ist das<br />

Hochgebirge fast menschenleer, während sich die Täler <strong>der</strong> heutigen<br />

Kaukasischen Mineralbä<strong>der</strong> sehr rasch füllen.<br />

„Aus Sicht <strong>der</strong> Landschaftsarchäologie haben wir hier eine äußerst<br />

interessante Aufgabe zu lösen“, erklärt Sabine Reinhold. Wir müssen<br />

herausfinden, woher die ersten Menschen in <strong>der</strong> Region überhaupt<br />

kamen. Vielleicht können wir dann die noch offenen Fragen<br />

klären.“<br />

<br />

Auf dem Weg zur Ausgrabung –<br />

<strong>der</strong> Motor streikt.<br />

28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29


Salonina, die Frau des römischen Kaisers Gallienus (253–268<br />

n. Chr.) trug stets eine aufwändige Haartracht. Das lange Haar war<br />

in <strong>der</strong> Mitte gescheitelt, in Zöpfe geflochten und als breites Band<br />

vom Nacken aus über den Hinterkopf bis fast zur Stirn gelegt, dort<br />

umgeschlagen und festgesteckt. Die Frisur <strong>der</strong> Kaiserin wurde<br />

Mode im gesamten Imperium. Auch die Frisuren zweier Athenerinnen,<br />

eines jungen Mädchens und einer jungen Frau, <strong>der</strong>en Porträts<br />

vor kurzem in einem Brunnen vor dem Dipylon, dem Doppeltor,<br />

entdeckt wurden, waren nach dieser Mode gesteckt.<br />

Gefunden wurden sie im April 2013 auf dem Kerameikos von<br />

Athen. Der Brunnen war schon 1934 entdeckt und bis 1936 weitgehend<br />

ausgegraben und untersucht worden. Die Dokumentation,<br />

die damals wegen des zu hohen Grundwasserspiegels unterblieb,<br />

sollte nun nachgeholt werden. Auch die aktuellen Arbeiten<br />

2013 konnten nur unter gleichzeitigem Einsatz von vier starken<br />

Pumpen ausgeführt werden. Der Brunnen, aus Steinen gemauert<br />

und innen mit hydraulischem Mörtel verputzt, stammt aus dem<br />

4. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr., er war mehr als 800 Jahre in Gebrauch.<br />

Die marmornen Frauenporträts, die in 5,20 Meter Tiefe unterhalb<br />

des Grundwasserspiegels gefunden wurden, entstammen dem<br />

3. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr. und sind in ungewöhnlich gutem Zustand<br />

erhalten. Einst waren sie sicher vor dem Dipylon aufgestellt: entwe<strong>der</strong><br />

als Ehrenstatuen, als Grabstatuen o<strong>der</strong> als liegende Figuren<br />

auf einem Marmorsarkophag.<br />

Zerstört wurden die Statuen eines Tages wohl gleichzeitig. Sie wurden<br />

enthauptet, durch einen gezielten Meißelhieb in zwei Teile gespalten<br />

und in den Brunnen geworfen. Die Frauen gehörten zur<br />

Rom nahestehenden athenischen Elite; vielleicht lag darin <strong>der</strong><br />

Grund für die Vernichtung <strong>der</strong> Skulpturen, <strong>der</strong>en Repräsentationen<br />

man offenbar zunichte machen wollte. Die Regierungszeit des Gallienus<br />

war geprägt von Barbareneinfällen und Heeresrevolten im<br />

ganzen Reich. Im Jahr 268 wurde er bei <strong>der</strong> Belagerung von Mailand<br />

von seinen eigenen Heerführern getötet. Als Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Zerstörung <strong>der</strong> Marmorstatuen kommt daher zum einen die politische<br />

Situation am Ende <strong>der</strong> Regierungszeit des Kaisers Gallienus in<br />

Frage. Nach dessen Tod wurden seine Angehörigen, seine Anhänger<br />

und seine Ehefrau ermordet. Aber auch eine spätere, religiös<br />

motivierte Zerstörung <strong>der</strong> Porträts, etwa durch christliche Fanatiker,<br />

lässt sich nicht ausschließen. Noch sind die Untersuchung des<br />

Brunnens und die Analyse <strong>der</strong> Funde nicht abgeschlossen.<br />

Jutta Stroszeck<br />

DAS OBJEKT<br />

VERSENKTE BILDER<br />

Die Frauenköpfe aus einem Brunnen des Kerameikos<br />

Die beiden Frauenporträts aus Marmor<br />

wurden in 5,20 Meter Tiefe unterhalb des<br />

Grundwasserspiegels gefunden. Sie<br />

stammen aus dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr.<br />

und sind in ungewöhnlich gutem<br />

Zustand erhalten.<br />

Der Kerameikos ist <strong>der</strong> bedeutendste<br />

antike Friedhof Athens.<br />

Fotos: DAI, Abteilung Athen<br />

Dr. Jutta Stroszeck von <strong>der</strong> Abteilung Athen<br />

des DAI leitet vor Ort die Arbeiten auf dem<br />

Kerameikos in Athen, dem berühmtesten<br />

Friedhof des klassischen Griechenland.<br />

Seit 100 Jahren forscht das DAI an dieser Stelle.<br />

(siehe auch „100 Jahre Kerameikos“, S. 4)<br />

Das Grabungsteam im Kerameikos bestand aus<br />

griechischen und <strong>deutschen</strong> Mitarbeitern,<br />

verstärkt durch eine kleine Gruppe Studenten<br />

von verschiedenen Universitäten aus Berlin,<br />

Gießen, Mainz und Rostock. Die Freilegung des<br />

Brunnens erfolgte im Rahmen eines Forschungsprojektes<br />

zur Wasserversorgung <strong>der</strong> klassischen<br />

Badeanlage vor dem Dipylon.<br />

30 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 31


Großbaustelle Wissenschaft<br />

STANDPUNKT<br />

Das Staunen vor den Pyramiden von Gizeh,<br />

dem Koloss von Rhodos, am Grab des König<br />

Maussolos und vor Zeus in seinem<br />

Tempel in Olmypia war schon <strong>der</strong> Antike zu<br />

eigen. Sieben herausragende Denkmäler<br />

wurden in einer Liste erfasst, die immer<br />

wie<strong>der</strong> geän<strong>der</strong>t und erweitert wurde. Die<br />

„Sieben Weltwun<strong>der</strong>“ gelangten aufgrund<br />

beson<strong>der</strong>er Eigenschaften auf diese Liste:<br />

Sie beeindruckten durch Größe, technische<br />

Finesse, aber auch durch ihre Materialeigenschaften.<br />

So wurden sie zu Sehenswürdigkeiten<br />

und dadurch wie<strong>der</strong> zu den<br />

Denkmälern, die man gesehen haben<br />

musste.<br />

Der Wunsch nach einem Kanon herausragen<strong>der</strong><br />

Denkmäler liegt auch dem heutigen<br />

Vorhaben zugrunde, eine aktuelle Liste<br />

von Weltwun<strong>der</strong>n zu erstellen. Die<br />

meisten dieser Denkmäler sind bereits als<br />

Weltkulturerbe in die öffentliche Wahrnehmung<br />

gerückt worden. Auch bei diesen<br />

mo<strong>der</strong>nen Listen spielt immer wie<strong>der</strong><br />

die physische Präsenz durch schiere Größe<br />

<strong>der</strong> Bauten eine zentrale Rolle, wie bei <strong>der</strong><br />

chinesischen Mauer, beim Kolosseum in<br />

Rom o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Christusstatue in Rio de<br />

Janeiro.<br />

Denkmäler zu bewun<strong>der</strong>n, ist dabei aber<br />

nur eine Art des Zugangs. Sie blendet – wie<br />

ihre Kanonisierung – entscheidende Faktoren<br />

aus, die wie<strong>der</strong>um den Wissenschaftler<br />

interessieren. Mo<strong>der</strong>ne Altertumswissenschaften<br />

untersuchen weit mehr als ein<br />

Denkmal an sich. Sie fragen nach den gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen und<br />

Implikationen <strong>der</strong> Errichtung solcher<br />

Denkmäler und <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> umfangreichen<br />

Großbaustellen. „XXL – Monumentalized<br />

Knowledge. Extra-large Projects<br />

in Ancient Civilizations“ ist <strong>der</strong> Titel<br />

eines großen Verbundprojekts im Berliner<br />

Exzellenzcluster Topoi, in dem von Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftlern <strong>der</strong><br />

Freien Universität, <strong>der</strong> Stiftung Preußischer<br />

Kulturbesitz, des Brandenburgischen Landesamts<br />

für Denkmalpflege und <strong>der</strong> Bauforschung<br />

an <strong>der</strong> Universität in Cottbus<br />

antike Großbaustellen in den Blick genommen<br />

werden. Skythische Großgrabhügel<br />

sind hier ebenso Thema wie die Großbauten<br />

des Alten Vor<strong>der</strong>en Orients in Uruk, Babylon<br />

und Rom.<br />

Die Forscher des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s stellen die Frage, welche<br />

Ressourcen notwendig waren, um die Paläste<br />

<strong>der</strong> römischen Kaiser auf dem Palatin<br />

zu errichten und welche Formen von Baustellenlogistik<br />

sich nachweisen lassen. Bei<br />

den Großbauten von Uruk stellt sich eine<br />

ähnliche Frage. Auch hier geht es darum,<br />

die notwendigen Materialmengen zu berechnen<br />

und zusammen mit den Informationen<br />

<strong>der</strong> Keilschrifttexte über die Zahl<br />

<strong>der</strong> Arbeiter, <strong>der</strong>en Herkunft bis hin zu ihrer<br />

Versorgung Aufschluss über das „Gesamtkunstwerk“<br />

Großbaustelle zu gewinnen.<br />

Wie technische Lösungen gefunden<br />

und architektonische Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

gemeistert wurden, ist ebenfalls Gegen-<br />

stand <strong>der</strong> Betrachtung. Wie brach man die<br />

riesigen Qua<strong>der</strong> für die Tempel in Baalbek<br />

im heutigen Libanon und wie bewegte<br />

man sie überhaupt?<br />

Der Blick auf die Ressourcen, die technischen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen und ihre Lösungen<br />

ist jedoch nur eine Sichtweise auf das<br />

Phänomen. Diese Perspektiven eröffnen<br />

den Weg zu weiteren Fragen. Wollte man<br />

mit <strong>der</strong> Verwendung riesiger Steinblöcke<br />

im Tempel von Baalbek auch Dauerhaftigkeit<br />

und Unverrückbarkeit zeigen? Waren<br />

Großbauprojekte in Rom durch den Größenwahn<br />

römischer Kaiser bedingt, wie es<br />

Peter Ustinovs filmische Darstellung des<br />

Kaisers Nero in „Quo Vadis“ nahelegt? O<strong>der</strong><br />

war das Errichten einer großen Thermenanlage<br />

schlicht eine Pflicht <strong>der</strong> Kaiser und<br />

wurde vom Volk erwartet? Welche Konstellationen<br />

führten dazu, dass Großbauten<br />

nicht vollendet wurden und welche dazu,<br />

dass viele doch erschaffen wurden?<br />

Diese Fragen für ganz unterschiedliche<br />

Kulturen zu untersuchen, erlaubt es, mögliche<br />

Erklärungsmodelle miteinan<strong>der</strong> zu<br />

vergleichen. Hierzu ist es notwendig, Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler verschiedener<br />

Disziplinen und <strong>Institut</strong>ionen<br />

zusammenzubringen. Solche Zusammenarbeiten<br />

national und international zu intensivieren,<br />

gehört zu den Leitbil<strong>der</strong>n des<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s. Zentrale<br />

Fragen <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte zu<br />

beantworten, bedarf eben auch wissenschaftlicher<br />

Großbaustellen.<br />

Frie<strong>der</strong>ike Fless<br />

»<br />

Die Autorin, Prof. Dr. Frie<strong>der</strong>ike Fless,<br />

ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s<br />

BAALBEK, URUK, DIE UKRAINE, ROM UND JERUSALEM<br />

– EINIGE DIESER MONUMENTALEN BAUVORHABEN,<br />

DIE IM DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUT<br />

UNTER SUCHT WERDEN, SIND GEGENSTAND UNSERES<br />

»<br />

TITEL THEMAS AUF DEN FOLGENDEN SEITEN.<br />

STANDPUNKT<br />

1 Der Jupitertempel in Baalbek<br />

im heutigen Libanon<br />

2 Das Heiligtum für die Göttin<br />

Inanna/Ischtar in Uruk<br />

3 Die Villa Castel Gandolfo<br />

des römischen Kaisers Domitian<br />

4 Das Herodium in <strong>der</strong> Nähe von Jerusalem<br />

32 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 33


TITELTHEMA<br />

ANTIKE GROSSBAUSTELLEN<br />

Kultur, Politik und Technik des Bauens in Übergröße<br />

Das Jupiterheiligtum ist ab dem späten<br />

1. Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr. schrittweise um einen<br />

alten prähistorischen Siedlungshügel<br />

herum gebaut worden. Die Arbeiten am<br />

Heiligtum zogen sich bis in das 3. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

hin. Es setzt sich aus vier Komponenten<br />

zusammen: dem Jupitertempel,<br />

dem Altarhof, dem sechseckigen Vorhof und<br />

den Propyläen.<br />

Foto: DAI, Orient-Abteilung<br />

34 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 35


TITELTHEMA<br />

SCHIERE MASSE<br />

Technik und Logistik <strong>der</strong> Großbauten in Baalbek und Uruk<br />

1 000 Tonnen am Stück zu gewinnen,<br />

Unendliche Mengen Material wurden<br />

An <strong>der</strong> Westseite des Jupiter-Tempels wurden<br />

zwei Lagen <strong>der</strong> Riesen-Qua<strong>der</strong> übereinan<strong>der</strong><br />

verbaut. Nur diese Steinlagen waren seit <strong>der</strong><br />

römischen Zeit sichtbar, erhielten von Reisenden<br />

den Namen „Trilithon“ und machten Baalbek<br />

im Mittelalter und in <strong>der</strong> frühen Neuzeit berühmt.<br />

Die Blöcke <strong>der</strong> zweiten Schicht des Podiums<br />

haben die bemerkenswerten Maße von<br />

gut 19 Metern Länge, 4,34 Metern Höhe und<br />

3,65 Metern Breite.<br />

Foto: DAI-Orient-Abteilung<br />

zu transportieren und zu verbauen,<br />

stellt auch heute noch Mensch und<br />

Maschine vor große Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Allen Widrigkeiten zum Trotz<br />

wurden in Baalbek im 2. Jahrun<strong>der</strong>t<br />

n. Chr. die größten Megalithe <strong>der</strong><br />

bekannten Geschichte verbaut.<br />

bewegt, um in Uruk die große<br />

Zikkurat zu errichten. Sie entstand<br />

um 2 100 v. Chr., riesig und<br />

massiv gebaut – ein Heiligtum für<br />

Ischtar aus 30 Millionen Ziegeln.<br />

Die Zikkurat, die König Urnamma errichten ließ,<br />

war ein Koloss aus zwei massiv gebauten<br />

Terrassen, die den Tempel trugen.<br />

Ein zentraler Wille und eine hoch differenzierte<br />

und hierarchisch organisierte gesellschaftliche<br />

Arbeitsteilung waren die Voraussetzung für<br />

ein solches Vorhaben.<br />

Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de;<br />

wissenschaftliches Material: DAI<br />

36 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 37


Baalbek, die Stadt <strong>der</strong> großen Steine<br />

Als Baalbek im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t als Etappe einer Grand Tour die<br />

Dichter, Denker und Maler anzog, war die Ruinenromantik in Europa<br />

auf einem Höhepunkt. Erschüttern sollte <strong>der</strong> Anblick <strong>der</strong> verfallenen<br />

Bauten, Gefühle von Erhabenheit und Einsamkeit erzeugen<br />

– und an die Vergänglichkeit des Menschen und seiner Werke erinnern.<br />

Wo es keine echten Ruinen gab, baute man künstliche. Vor<br />

lauter Romantik geriet bisweilen aus dem Blick, dass die echten<br />

Ruinen einmal echte Gebäude waren, die mit kaum ermesslichem<br />

Aufwand und effizient ausgefeilter Baustellenlogistik ihren gigantischen<br />

Auftritt bekamen. Die großen Steine, die in Baalbek im<br />

heutigen Libanon verbaut wurden, lagen zu Beginn <strong>der</strong> Besiedlung<br />

des Ortes in <strong>der</strong> Zeit um 7 000 v. Chr. noch im Verborgenen.<br />

Viel später erst kamen die 45 Millionen Jahre alten verwitterungsresistenten<br />

Nummulitenkalke in spektakulären Heiligtümern zu<br />

großen Ehren. In dicken Banken liegen sie in <strong>der</strong> Erde. Gut geschützt,<br />

bildeten sich homogene Gesteinslagen mit einer Mächtigkeit<br />

von 4,20 Meter und mehr. Gerade gut genug für Jupiter und<br />

seinen gigantischen Tempel, <strong>der</strong> zusammen mit an<strong>der</strong>en gewaltigen<br />

Bauwerken in <strong>der</strong> Zeit errichtet wurde, als die fruchtbare,<br />

wohlhabende und gut gelegene Region um Baalbek zum Imperium<br />

Romanum gehörte. Für 18 Meter Säulenhöhe brauchten die<br />

Baumeister nicht mehr als je drei Trommeln, Durchmesser: 2,2 Meter.<br />

Das Podium ist aus riesigen Kalksteinblöcken errichtet, die präzise<br />

zusammengefügt waren, die zweite Lage des Podiums, heute<br />

als „Trilithon“ bekannt, wurde allerdings nicht fertiggestellt. Mit bis<br />

zu 1000 Tonnen Gewicht sind die Blöcke die größten Megalithe <strong>der</strong><br />

bekannten Geschichte.<br />

Baalbek ist eines <strong>der</strong> Langzeitvorhaben des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s, das sich in viele Teilprojekte glie<strong>der</strong>t. Margarete<br />

van Ess leitet die Projekte zusammen mit dem Bauforscher Prof.<br />

Dr.-Ing. Klaus Rheidt von <strong>der</strong> Brandenburgischen Technischen Universität<br />

Cottbus (BTU).<br />

Der Steinbruch, aus dem die Megalithen stammen, lag einen guten<br />

Kilometer entfernt. Für ein 1 000-Tonnen-Stück eine gewaltige<br />

Strecke, zumal vor 2 000 Jahren. Aber es wäre wohl nicht Rom und<br />

auch nicht <strong>der</strong> Alte Orient, wenn man sich davon hätte einschüchtern<br />

lassen. Die Frage „Wie haben sie das gemacht?“ ist allerdings<br />

noch nicht ganz beantwortet. Gewonnen wurden die Blöcke im<br />

Tagebau, indem man Schrotgräben herausschlug und die Blöcke<br />

schließlich mit Keilen herauslöste.<br />

S T E INBRUCHTE CHNIK<br />

„Wegen <strong>der</strong> Größe und des Gewichts <strong>der</strong><br />

Blöcke bedurfte es beson<strong>der</strong>er Techniken<br />

zum Ablösen <strong>der</strong> Stücke aus dem Mutterstein.<br />

Wie an<strong>der</strong>e Steine auch wurde <strong>der</strong><br />

Megalith zunächst an den Seiten durch<br />

breite Gräben aus dem Fels gearbeitet.<br />

Doch zusätzlich schlug man auch einen<br />

Graben unter dem Stein heraus, in den zur<br />

Stützung Rollen o<strong>der</strong> Rundhölzer eingesetzt<br />

wurden. War <strong>der</strong> Monolith frei, konnte<br />

er auf diesen Rollen zum Heiligtum bewegt<br />

werden, wobei man das natürliche<br />

Gefälle zwischen Steinbruch und Tempelanlage<br />

nutzen konnte. Damit die 1000 Tonnen<br />

nicht ins Rutschen kamen, wurde <strong>der</strong><br />

Megalith wohl von einem Verankerungssystem<br />

gehalten und war an Ankerwinden<br />

vertäut.“<br />

Margarete van Ess<br />

Dr. Margarete van Ess,<br />

Wissenschaftliche Direktorin an<br />

<strong>der</strong> Orient-Abteilung des DAI,<br />

ist Grabungsleiterin in Baalbek.<br />

Foto: Obeloer<br />

TITELTHEMA<br />

Südlich <strong>der</strong> antiken Stadt Baalbek liegt <strong>der</strong> „Haijar al-Hibla. Er ist einer <strong>der</strong> größten Monolithen <strong>der</strong> Welt und das Wahrzeichen<br />

für die Großbaustelle im Tempelbezirk von Baalbek. Der Stein ist 20 Meter lang, vier bis gut fünf Meter breit und etwas über<br />

vier Meter hoch. Sein Gewicht: 1000 Tonnen<br />

Foto: BTU Cottbus, Rheidt<br />

1000-Tonnen-Transport: Damit die Schwerlast nicht ins Rutschen kam, wurde <strong>der</strong> Megalith von einem Verankerungssystem gehalten<br />

und war an Ankerwinden vertäut.<br />

Zeichnung in: Jeanine Abdul Massih, Von den Steinbrüchen zu den Tempeln. Nach Jean-Pierre Adam<br />

38 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 39


I N F RASTRUKTURMASSNAHME<br />

Im aktuellen DAI-Projekt zu Baalbek wird nicht nur die römische<br />

Zeit untersucht. Vielmehr geht es um einen Zeitraum von 9000<br />

Jahren – vom Beginn <strong>der</strong> ersten Besiedlung bis in die Neuzeit. Dennoch<br />

bildet die Wechselbeziehung zwischen <strong>der</strong> Stadt und ihrem<br />

zentralen römischen Heiligtum, das 1984 in die Liste des UNESCO-<br />

Weltkulturerbes aufgenommen wurde, einen beson<strong>der</strong>en Schwerpunkt,<br />

an dem nicht nur Archäologen, son<strong>der</strong>n auch Bauhistoriker<br />

und Geophysiker mitarbeiten. Denn es geht um weit mehr als<br />

„nur“ die religiös-symbolische Bedeutung <strong>der</strong> Tempel-Großbaustellen<br />

für Jupiter und seine göttlichen Gefährten und auch um<br />

mehr als „nur“ die Analyse einer kaiserlichen Herrschaftsinszenierung<br />

<strong>der</strong> Son<strong>der</strong>klasse.<br />

Neue Fragen <strong>der</strong> Archäologie, die nur im Verbund mit Naturwissenschaftlern<br />

und Ökonomen zu beantworten sind, lauten: War<br />

das ganze gigantische Vorhaben vielleicht auch eine gezielte Infrastrukturmaßnahme<br />

für die Region? Ging es auch darum, die Wirtschaft<br />

in Gang zu halten und Menschen in Lohn und Brot zu bringen,<br />

was wie<strong>der</strong>um die Kaufkraft erhöhte? Wieviele Arbeiter haben<br />

eigentlich wie lange an den Anlagen gearbeitet? Und wer genau<br />

führte die Anweisungen des Kaisers zum Bau des Heiligtums aus?<br />

Der Kaiser selbst wird es kaum gewesen sein – wenn er auch gelegentlich<br />

im Kreise hoher Nobilitäten vorbeischaute. Dann tat man,<br />

wenn die Zeit bis zum hohen Besuch knapp wurde, manchmal<br />

auch schon in Baalbek das, was viel später als (eher sagenhafter)<br />

Trick in die Geschichte einging: Man baute Potemkinsche Dörfer. <br />

Uruk, die Stadt <strong>der</strong> Ziegel<br />

TITELTHEMA<br />

KOOPERATION<br />

„Forschungen zur Stadtentwicklung von<br />

Baalbek (Libanon)“ heißt <strong>der</strong> Teil des<br />

Projekts, <strong>der</strong> am Lehrstuhl Baugeschichte<br />

<strong>der</strong> Brandenburgischen Technischen<br />

Universität Cottbus (BTU) unter <strong>der</strong> Leitung<br />

von Prof. Dr.-Ing. Klaus Rheidt durchgeführt<br />

wird. Hier geht es u.a. um die Analyse von<br />

Technik, Konstruktion und Material <strong>der</strong><br />

Bauten, aber auch um den historischen<br />

Kontext von Bauten. Seit 2002 arbeiten DAI<br />

und BTU zusammen, im Jahr 2008 wurde die<br />

Zusammenarbeit in einem Kooperationsvertrag<br />

besiegelt. Ferner sind die Kooperationspartner<br />

eingebunden in das Projekt „XXL –<br />

Monumentalized Knowledge. Extra-Large<br />

Projects in Ancient Civilizations“ des<br />

Exzellenzclusters „Topoi“.<br />

Foto: BTU Cottbus, Rheidt<br />

Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de; wissenschaftliches Material: DAI<br />

Millionen und Abermillionen Lehmziegel bildeten in Uruk Bauwerke<br />

von unermesslicher Größe, geformt aus den Produkten einer<br />

Technologie, die vor 11.000 Jahren erfunden wurde, in einer Zeit,<br />

als Südmesopotamien noch nicht besiedelt war. Man hatte mit<br />

Steinen experimentiert, aber es gab zu wenige, und das Material<br />

hätte nicht getaugt für das, was man eines Tages vorhaben würde.<br />

Seit dem 6. Jahrtausend v. Chr. wurden in <strong>der</strong> Region Siedlungen<br />

angelegt, in Uruk ab dem Ende des 5. Jahrtausends. Dort konnten<br />

die Archäologen 35 übereinan<strong>der</strong> liegende Schichten ausmachen<br />

und inzwischen eine fast vollständige Besiedlungsgeschichte <strong>der</strong><br />

Stadt schreiben. Auch in Uruk leitet Margarete van Ess für das DAI<br />

die dortigen Arbeiten.<br />

Schon in frühen Schichten, ab ca. 3600 v. Chr., kamen Großbauten<br />

zutage, die typisch waren für das Ende <strong>der</strong> Epoche, die man später<br />

„Uruk-Zeit“ nennen würde. Um 3300 v. Chr. wurden die Gebäude<br />

eingeebnet und in ihrem eigenen Schutt begraben. Nun aber entstand<br />

auf diesem Schutt ein Heiligtum, das die Jahrtausende überdauern<br />

sollte: ein Tempel für die Göttin des Krieges und <strong>der</strong> Liebe<br />

Inanna (semitisch: Ischtar). Die Zikkurat, die König Urnamma dann<br />

um 2100 v. Chr. über den älteren Tempelbauten <strong>der</strong> Göttin errichten<br />

ließ, war ein Koloss aus zwei massiv gebauten Terrassen, die<br />

den Tempel trugen, erbaut aus 30 Millionen Ziegeln.<br />

Uruk ist, archäologisch gesehen, äußerst gut erhalten, und so offenbart<br />

es ohne Umschweife <strong>der</strong> Nachwelt bis heute seine enorme<br />

Bedeutung als wirtschaftliches, religiöses und wissenschaftliches<br />

Zentrum über einen Zeitraum von 3500 Jahren. Wenn auch seine<br />

Bedeutung Schwankungen unterworfen war, ist es doch immer<br />

präsent im Kreise <strong>der</strong> südmesopotamischen Stadtstaaten und später<br />

<strong>der</strong> Großreiche des Vor<strong>der</strong>en Orients.<br />

Der Art des Materials geschuldet, ist das Mauerwerk <strong>der</strong> Lehmziegel-Architektur<br />

Uruks zwar verschwunden, die Fundamente sind<br />

aber noch gut erkennbar. Überreste liegen in vielen Schichten<br />

übereinan<strong>der</strong>, und so entwickelte sich das detaillierte Präparieren<br />

von Bauresten und die Analyse <strong>der</strong> einzelnen Bauschichten zu einem<br />

methodischen Schwerpunkt <strong>der</strong> Ausgrabungen deutscher<br />

Archäologen insgesamt und auch des DAI in Uruk, ergänzt durch<br />

mo<strong>der</strong>ne Verfahren <strong>der</strong> Gebäude-Rekonstruktion.<br />

40 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 41


TITELTHEMA<br />

So konnten die Bauphasen zur Errichtung eines Gebäudes ausgesehen haben. Beispiel ist hier das sogenannte Steinstiftgebäude.<br />

Die einzelnen Bil<strong>der</strong> sind Momentaufnahmen aus einem Film.<br />

Rekonstruktion und Film: @artefacts-berlin.de, wissenschaftliches Material: DAI, Ricardo Eichmann<br />

Hier kann man den Film anschauen: http://www.dainst.org/de/project/visualisierung-uruk?ft=all<br />

EINE BAUSTELLE VOR 5500 JAHREN<br />

In eine Baugrube werden über Streifen aus gebrannten Ziegeln<br />

Schilfmatten gelegt und eine 1,9 Meter hohe Terrasse aus<br />

gestampftem Lehm eingebracht, die mit einer Asphaltschicht<br />

überzogen wird und von einer Ziegelbegrenzung umgeben ist.<br />

Das Gebäudefundament wird aus Kalksteinplatten hergestellt.<br />

Ein L-förmiger Raum wurde mit beson<strong>der</strong>s harten, grauweißen<br />

alabasterartigen Steinen verblendet, die in Asphalt verlegt<br />

sind, und mit einem Boden aus Steinplatten versehen. Nur in<br />

diesem Raum waren die Fundamentwände und <strong>der</strong> Boden<br />

mit einem gipsartigen Mörtel verputzt. Für an<strong>der</strong>e Räume<br />

wurden im Fundament Mauerblöcke aus gebrannten Ziegeln<br />

eingebracht.<br />

Außerhalb des Fundaments wurde die Baugrube mit<br />

Stampflehm, Steinsplittern und Asphalt verfüllt ebenso wie<br />

die Räume innerhalb des Gebäudes bis zur Höhe des<br />

oberirdisch sichtbaren Niveaus. Für das aufgehende Mauerwerk<br />

wurde neben den schon für das Fundament verwendeten<br />

Materialien außerdem ein Kunstgestein aus gelöschtem Kalk<br />

und Keramikgrus-Beimengungen eingesetzt. Er wurde in<br />

zähflüssigem Zustand verarbeitet und in Schichten aufgetragen.<br />

Keramikplatten, die in regelmäßigen Abständen zwischen den<br />

Kunststeinschichten verlegt sind, dienten zur Befestigung <strong>der</strong><br />

aus verschiedenfarbigen Steinen bestehenden Mosaikschalen.<br />

Die Rekonstruktion des Daches erfolgt in Anlehnung an die<br />

traditionelle Architektur des Vor<strong>der</strong>en Orients und analog zu<br />

Ausgrabungsbefunden aus jüngeren Kontexten. Aus <strong>der</strong><br />

bekannten Lage <strong>der</strong> Türen, <strong>der</strong> Umfassungsmauern sowie einer<br />

Feuerstelle, Pfostenlöchern und Rinnen kann bis zu einem<br />

gewissen Grade die Innenausstattung und die Erschließung über<br />

den Hof rekonstruiert werden.<br />

Der Lehm für die 30 Millionen Ziegel kam wohl vom Rande <strong>der</strong><br />

Stadt. Doch hatte man immer genug Stroh und Wasser zum Anrühren<br />

<strong>der</strong> Ziegelmasse? Die Ziegel mussten einzeln in <strong>der</strong> Sonne<br />

getrocknet und zuvor einzeln geformt werden. Sie in einer Schicht<br />

auszubreiten, erfor<strong>der</strong>te viel Platz. Und vor allem: Wer erledigte<br />

welche Arbeiten? Wie in Baalbek erforschen die Archäologen auch<br />

für die Situation in Uruk mit seinen gigantischen Bauten die Baustellenlogistik.<br />

Die Organisation einer solchen Großbaustelle erfor<strong>der</strong>te<br />

ein perfektes Management und den gezielten Einsatz <strong>der</strong><br />

Arbeiter, <strong>der</strong>en Zahl man passgenau festlegen musste.<br />

Das elaborierte technische und räumliche Wissen lernten die späteren<br />

Baumeister bereits in <strong>der</strong> Schule. So lautete eine typische<br />

Aufgabe im Mathematikunterricht: „Wieviele Ziegel einer bestimmten<br />

Größe brauche ich, um eine Mauer bestimmten Maßes<br />

zu bauen?“ Als Uruk um 2900 seine größte Ausdehnung hatte,<br />

wurde die große Stadtmauer gebaut: 9 Kilometer lang, 5 Meter<br />

breit, 8 Meter hoch o<strong>der</strong> mehr, mit 900 Türmen – aus mehr als 306<br />

Millionen Ziegeln. Sie wird im Gilgamesch-Epos als Werk dieses sagenhaften<br />

Königs von Uruk beschrieben. <br />

Architektur <strong>der</strong> „Uruk-Zeit“. das „Gebäude C (um 3300 v. Chr.)<br />

ist nur wenige Ziegellagen hoch erhalten.<br />

Die Rekonstruktion zeigt, wie Gebäude C<br />

ausgesehen haben könnte.<br />

Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de,<br />

wissenschaftliches Material: DAI<br />

42 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 43


TITELTHEMA<br />

STADT ODER NICHT STADT<br />

Die unterschiedlichen Konzepte von Siedlungspolitik<br />

in Mesopotamien und Osteuropa<br />

Zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr.<br />

hatte Uruk mit 5,5 Quadratkilometern<br />

seine größte Ausdehnung.<br />

Rekonstruktion: @artefacts-berlin.de,<br />

wissenschaftliches Material: DAI<br />

Uruk, die Stadt, scheint die<br />

Blaupause zu sein für alles, was<br />

wir uns heute unter einer<br />

größeren Stadt vorstellen: groß,<br />

laut, vielschichtig, innovativ,<br />

heterogen und von hohen Häusern<br />

beherrscht. Uruk, die erste<br />

Großstadt <strong>der</strong> Welt.<br />

Ein ganz an<strong>der</strong>es Konzept von „Großstadt“<br />

zeigt die antike Tripolje-Kultur im Osten<br />

Europas. Die zahlreichen Bewohner <strong>der</strong><br />

riesigen Siedlungen hatten keinerlei Neigung,<br />

Städte zu erschaffen.<br />

Sie blieben zwei o<strong>der</strong> drei Generationen<br />

am Ort, dann zogen sie weiter.<br />

Ihre Häuser verbrannten sie.<br />

Flaches Land, soweit das Auge reicht.<br />

Das gesamte Areal bis zum Fahrzeug<br />

(Markierung) ist nur <strong>der</strong> Südteil <strong>der</strong> Siedlung.<br />

44 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 45


Prototyp einer Großstadt<br />

TITELTHEMA<br />

DER UNSICHTBARE ARCHITEKT<br />

„Die kolossale Pracht <strong>der</strong> riesigen Bauwerke in<br />

Uruk wirft eine naheliegende Frage auf: Wer hat<br />

diese Architektur entworfen? Wer hat die Statik<br />

errechnet? Wer hat den Wunsch des Königs ins<br />

Werk gesetzt? Vergeblich sucht man nach den<br />

Namen <strong>der</strong> Baumeister. Denn einen – weltlichen<br />

– Architekten konnte es gar nicht geben.<br />

Baumeister waren die Götter, in ihrem Auftrag<br />

vielleicht <strong>der</strong> König. Die Baurituale fußten auf<br />

<strong>der</strong> Vorstellung, dass die Götter den Urtempel<br />

gebaut haben, den <strong>der</strong> König lediglich pflegte.<br />

Dies hatte eine überaus komplizierte Ritualchoreographie<br />

zur Folge, bei <strong>der</strong> rein gar nichts<br />

misslingen durfte. Musste etwa anlässlich einer<br />

Renovierung des Tempels <strong>der</strong> Gott in Form einer<br />

Kultstatue den Tempel verlassen, konnte dies<br />

eine Art staatlichen Ausnahmezustand zur Folge<br />

haben. Vom Gelingen des Rituals hing <strong>der</strong><br />

Fortbestand <strong>der</strong> Welt ab.<br />

Und so zeigen die komplizierten Rituale, worum<br />

es bei den Großbauten wirklich ging. Der<br />

Turmbau zu Babel ist das bekannteste Beispiel:<br />

Der Zweck dieser kolossalen Bauten war es, eine<br />

Verbindung zwischen den Menschen und <strong>der</strong><br />

Welt <strong>der</strong> Götter zu schaffen. Der irdische<br />

Architekt tritt dabei vollkommen hinter die<br />

Sache zurück.“<br />

Margarete van Ess<br />

Aus den kleinen Ansiedlungen bei<strong>der</strong>seits des damaligen Euphratlaufes<br />

entwickelte sich Uruk zu einer Großstadt, die schon um 3300<br />

v. Chr. eine Fläche von ca. 2,5 Quadratkilometern erreichte. Anfang<br />

des 3. Jahrtausends hatte sie mit 5,5 Quadratkilometern ihre größte<br />

Ausdehnung. Bevor dies geschehen konnte, hatte man gelernt,<br />

die Ströme Euphrat und Tigris zu beherrschen, die im April aus ihren<br />

Quellgebieten in <strong>der</strong> Türkei das Wasser <strong>der</strong> Schneeschmelze<br />

genau dann nach Südmesopotamien ergossen, wenn dort die Ernte<br />

anstand. Das erfor<strong>der</strong>te technisches Können, Organisation und<br />

Arbeitsteilung, Absprachen und Hierarchien, also die gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen, die nötig waren, um auch die riesigen Bauwerke,<br />

die Unmengen an Material und Arbeitskraft banden, ins<br />

Werk setzen zu können.<br />

Zwei bedeutende Kultzentren bestimmten den Ruhm <strong>der</strong> Stadt:<br />

dasjenige für den Himmelsgott Anu und das <strong>der</strong> Liebes- und<br />

Kriegsgöttin Inanna/Ischtar. Aber auch in politischer und wirtschaftlicher<br />

Hinsicht ist Uruk eine herausragende Größe in <strong>der</strong> Region,<br />

und um die größer werdenden Volumina an Gütern und Vorgängen<br />

zu bewältigen, erfindet man ein Zeichensystem, welches<br />

das Gedächtnis vor allem <strong>der</strong> Verwalter entlastet, denen die Haushaltung<br />

eines Heiligtums, eines Palastes, eines großen Hofes o<strong>der</strong><br />

die Verwaltung einer Großbaustelle oblag. Der Handel nahm stetig<br />

zu, bewegte Güter mussten erfasst werden: Schafe und Rin<strong>der</strong>, die<br />

Menge des eingelagerten Getreides, das Kupfer, das <strong>der</strong> Schmied<br />

zur Herstellung <strong>der</strong> Werkzeuge erhalten hatte, die Menge <strong>der</strong> zu<br />

liefernden Ziegel, die Zahl <strong>der</strong> Arbeitskräfte.<br />

Mit dem Anwachsen <strong>der</strong> Stadt war eine erste Massenfabrikation<br />

von Keramikgefäßen und Gegenständen des alltäglichen Lebens<br />

entstanden, <strong>der</strong>en Produktion reguliert und die verkauft werden<br />

mussten. Alle diese Prozesse konnten nicht mehr allein „aus dem<br />

Kopf“ gesteuert werden. Die Notizen, bestehend aus Köpfen von<br />

DIE ENTSTEHUNG DER SCHRIFT<br />

AUS DEM GEIST DER VERWALTUNG<br />

1 Liste mit Gefäßbezeichnungen aus Uruk,<br />

Ende 4. Jt. v. Chr. Mit solchen Listen wurden<br />

die Wortzeichen aufgelistet, die in den<br />

archaischen Texten verwendet wurden.<br />

Der Text befindet sich in <strong>der</strong> Uruk-Warka-<br />

Sammlung des DAI an <strong>der</strong> Universität<br />

Heidelberg.<br />

2 Einfache Schreibübung <strong>der</strong> Keilschriftzeichen<br />

KU-KA-KI aus Uruk, Sinkaschid-Palast,<br />

19./18. Jh. v. Chr. Der Text befindet sich in<br />

<strong>der</strong> Uruk-Warka-Sammlung des DAI an<br />

<strong>der</strong> Universität Heidelberg.<br />

Fotos: DAI, Orient-Abteilung, Wagner<br />

Rin<strong>der</strong>n, Kornähren und Trinkschalen in Kombination mit Zahlzeichen<br />

sind <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> sumerischen Keilschrift, die in Uruk<br />

erfunden wurde und die schnell die Runde machte. Weiterentwickelt<br />

in den altsumerischen Machtzentren Ur, Fara, Nippur und Lagash,<br />

wurde sie zu dem äußerst haltbaren Speichermedium, das<br />

die Jahrtausende überdauerte: die luftgetrocknete Tontafel.<br />

Die Erfindung <strong>der</strong> Schrift aus dem Geist <strong>der</strong> Verwaltung war zugleich<br />

<strong>der</strong> Grundstein für die Anfänge <strong>der</strong> Wissenschaft im Vor<strong>der</strong>en<br />

Orient. Es gab Listen von Alltagsgegenständen o<strong>der</strong> von Tierbezeichnungen,<br />

ab dem Ende des 3. Jahrtausends Listen von<br />

Sternen, als die Himmelsbeobachtung eine bedeutenden Rolle<br />

spielte. Schließlich fanden die Archäologen auch Listen mit Berufsbezeichnungen<br />

und Beamtenfunktionen, die ersten Belege dafür,<br />

dass die Gesellschaft sich in Hierarchien aufgespalten hatte. In einigen<br />

<strong>der</strong> Verwaltungstexte waren die Rationen vermerkt, die Personen<br />

für die Durchführung bestimmter Leistungen erhielten;<br />

Grundlage war ein äußerst ausgeklügeltes System <strong>der</strong> Zuteilung.<br />

Die Rationen waren offenbar gerade so bemessen, dass die Menschen<br />

nicht ganz verhungerten.<br />

Zentren des gesellschaftlichen Lebens waren die Tempel und Paläste.<br />

Im altbabylonischen Palast des Herrschers Sin-Kaschid aus<br />

dem 2. Jahrtausend v. Chr., ebenfalls vom DAI untersucht, wurde<br />

nicht „nur“ regiert. Hier trafen sich die Eliten, hier wurde Handel<br />

getrieben, wurden diplomatische Korrespondenzen und juristische<br />

Dokumente nie<strong>der</strong>gelegt. Spezialisierte Handwerker und<br />

Künstler verarbeiteten hier feinste Rohstoffe zu kostbaren Prestigegütern,<br />

und da das Schreiben in diesem nun ausdifferenzierten<br />

gesellschaftlichen Gefüge ein unverzichtbares Handwerk geworden<br />

war, war <strong>der</strong> Palast auch <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> Schreiberausbildung. <br />

URUK. GRUNDRISSE DER URUKZEITLICHEN BAUWERKE<br />

IM EANNA-BEREICH.<br />

Rekonstruktionszeichnungen sind seit langem wichtiger Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Bauforschung in Uruk. Sie vermitteln Vorstellungen vom Aussehen<br />

und von Details von Bauwerken, die im Laufe von 4 000 Jahren<br />

errichtet und je nach Periode nach ganz unterschiedlichen Plänen<br />

und mit unterschiedlichem technischen Knowhow gestaltet wurden.<br />

Abbildung: DAI. Orient-Abteilung<br />

46 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 47


Großstadt auf Zeit<br />

Das an<strong>der</strong>e Extrem archäologischer Arbeit zeigt sich in einer weiter<br />

nördlich gelegenen Weltgegend in einem an<strong>der</strong>en Extrem<br />

menschlicher Siedlungspolitik. Flaches Land, soweit das Auge<br />

reicht und nicht die Spur einer antiken Ruine – bis man mit ausgefeilten<br />

naturwissenschaftlichen Methoden unter die Erde schaut,<br />

um etwas zu finden, was mittlerweile zahlreiche Forscher aus <strong>der</strong><br />

internationalen Archäologenszene in die Ukraine zieht. Mit großflächigen<br />

geophysikalischen Prospektionen machten sich die Wissenschaftler<br />

<strong>der</strong> Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des<br />

DAI auf die Suche nach genauen Standorten früher kupferzeitlicher<br />

Großsiedlungen im Osten Europas. Tausende von Häusern<br />

standen hier, und die neuen Daten lieferten präzise Angaben zur<br />

Lage <strong>der</strong> Häuser, ihrer Größe und zu ihren technischen Einrichtungen.<br />

Vor allem aber erlauben sie die Rekonstruktion <strong>der</strong> gesamten<br />

Siedlungsanlage und ihrer Befestigungen.<br />

Gegraben wird zwar schon lange auf den Siedlungen <strong>der</strong> Kupferzeit.<br />

Ihre Bedeutung und wahre Ausdehung kennt man aber erst,<br />

seit in den 60er-Jahren Luftbil<strong>der</strong> aufgenommen wurden. Schnell<br />

wurde klar, dass man <strong>der</strong> gewaltigen Dimensionen mit traditionellen<br />

archäologischen Methoden allein nicht Herr werden konnte.<br />

Die Kombination mit mo<strong>der</strong>nen naturwissenschaftlichen Methoden<br />

war das Gebot <strong>der</strong> Stunde. Geomagnetische Untersuchungen<br />

lieferten detaillierte Pläne <strong>der</strong> Siedlung mitsamt den Hausstellen,<br />

ihrer Nebenbauten und den technischen Einrichtungen.<br />

Unterfangen, denn rekonstruieren kann man die Ereignisse im Osten<br />

Europas allein aus archäologischen Daten, da es – an<strong>der</strong>s als im<br />

Vor<strong>der</strong>en Orient – keine schriftlichen Zeugnisse gibt.<br />

<br />

Die riesigen Ausdehungen <strong>der</strong> Siedlungen machen raumgreifende<br />

Untersuchungsmethoden nötig. Die Forscher des DAI setzen bei<br />

den geomagnetischen Untersuchungen fahrzeuggestützte<br />

Systeme ein, mit <strong>der</strong>en Hilfe man in kurzer Zeit große Areale<br />

untersuchen kann.<br />

KUPFERZEITLICHE GROSSSIEDLUNGEN<br />

„Der Ausgangspunkt für die Entstehung von Siedlungen allgemein<br />

ist die Herausbildung von Ackerbau und Viehzucht im Vor<strong>der</strong>en<br />

Orient. In <strong>der</strong> Folge bilden sich bereits im 7. Jahrtausend ausgedehnte<br />

dorfartige Ansiedlungen heraus. Ein Jahrtausend später<br />

greift die neue Lebensweise nach Europa aus. Im Südosten Europas<br />

entstehen im 6. Jahrtausend erste Siedlungen von bis zu 30<br />

Hektar Größe, die mehrere hun<strong>der</strong>t bis ca. 2000 Einwohner beherbergen.<br />

Der Vergleich mit Dörfern im Mittelalter, die in <strong>der</strong> Regel<br />

kaum mehr 100 bis 200 Menschen beherbergten, verdeutlicht die<br />

erstaunliche Dynamik des sozialen und wirtschaftlichen Wandels.<br />

Dieser Prozess stabilisiert sich im Südosten Europas im 5. Jahrtausend.<br />

In dieser Zeit findet hier wie<strong>der</strong> ein weitreichen<strong>der</strong> Wandel<br />

statt. Er ist gekennzeichnet durch die Nutzung eines vollkommen<br />

neuartigen Werkstoffes: des Kupfers. Die neue Technologie verän<strong>der</strong>t<br />

nicht allein die Ökonomie, sie durchdringt die Gesellschaft<br />

und impliziert soziale Verän<strong>der</strong>ungen. In dieser Zeit formieren sich<br />

in einem Gebiet zwischen Karpaten und Dnjepr Gesellschaften,<br />

<strong>der</strong>en Siedlungen nicht nur aufgrund ihrer Größe eine neue Qualität<br />

proto-urbanen Lebens zeigen. Sie münden schließlich in <strong>der</strong><br />

ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. in Siedlungen <strong>der</strong> Tripolje-<br />

Kultur mit mehreren tausend Bewohnern.“<br />

Knut Rassmann<br />

Der Prähistoriker Dr. Knut Rassmann ist<br />

Leiter <strong>der</strong> Technischen Abteilung <strong>der</strong> RGK<br />

TITELTHEMA<br />

A LT E RNATIVE K ONZEPT E<br />

Doch an<strong>der</strong>s als in den Stadtstaaten des Vor<strong>der</strong>en Orients nahm<br />

die Entwicklung hier – trotz ähnlicher Komponenten – einen an<strong>der</strong>en<br />

Verlauf. Die Siedlungen wurden nur kurze Zeit genutzt und<br />

nach zwei bis drei Generationen wie<strong>der</strong> aufgegeben. Aber die Bewohner<br />

gingen nicht einfach weg – sie verbrannten die Häuser<br />

offenbar systematisch – genau wie an an<strong>der</strong>en Fundplätzen <strong>der</strong><br />

sogenannten Tripoljekultur, die das DAI in Rumänien, Moldawien<br />

und in <strong>der</strong> Ukraine bearbeitet. Ukrainische Archäologen fanden<br />

heraus, dass diese Zerstörungen nicht im Zuge kriegerischer Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

stattfanden. Zu regelmäßig sind die Brandmuster.<br />

Die Frage <strong>der</strong> Forscher ist nun, warum die Bewohner ihre<br />

Siedlungen nach so kurzer Zeit wie<strong>der</strong> aufgaben. Ein kompliziertes<br />

TALIANKI<br />

Beispiel für die hoch entwickelte Keramik <strong>der</strong> Tripolje-Kultur:<br />

Keramikgefäß in Form eines Schlittens, <strong>der</strong> von Rin<strong>der</strong>n gezogen wird.<br />

1 Das DAI unterstützte die Prospektion <strong>der</strong> Christian-Albrechts-Universität<br />

zu Kiel in Rumänien, bei <strong>der</strong> auch zwei Cucuteni-Siedlungen in<br />

Bessarabien untersucht wurden, die Römisch-Germanische Kommission<br />

des DAI prospektierte Schlüssel-Siedlungen in Moldawien und in <strong>der</strong><br />

Ukraine. In <strong>der</strong> Zusammenschau <strong>der</strong> Daten eröffnet sich eine neue<br />

Perspektive auf das Siedlungsgefüge <strong>der</strong> Kupferzeit in Südost-Osteuropa.<br />

2 Der Nordwestteil <strong>der</strong> Siedlung Talianki. Die Häuser sind alle fünf mal<br />

zehn Meter groß. Einige Bauten sind größer und liegen stets an<br />

prominenten Stellen.<br />

1 2<br />

3<br />

3 Nachbau eines Hauses im Freilichtmuseum von Legedsine, einem<br />

Nachbarort von Talianki. Die zweigesschossige Bauweise ist durch<br />

Grabungsbefunde belegt.<br />

Fotos und Abbildungen: DAI, RGK; CAU Kiel<br />

48 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 49


TITELTHEMA<br />

DIE BAULUST DER HERRSCHER<br />

Raumgreifende Inszenierungen von Macht in Rom und Jerusalem<br />

Der Gang war in zwei Teile geglie<strong>der</strong>t. Der<br />

nördliche, etwa 250 Meter lange Abschnitt<br />

wurde durch eine dichte Reihe von Fenstern<br />

beleuchtet, die sich zu einem auf einer Terrasse<br />

vorgelagertem Garten öffneten. Der südliche,<br />

insgesamt 90 Meter lange Abschnitt endete in<br />

einer Treppe, die zwischen den beiden<br />

Terrassenniveaus vermittelte. Die Halbtonne <strong>der</strong><br />

Decke war in diesem Bereich glatt belassen. In<br />

die Decke waren auf beiden Seiten Reihen<br />

kleiner Fenster eingefügt, so dass innerhalb des<br />

Ganges das Licht zunächst von <strong>der</strong> Seite und im<br />

zweiten Abschnitt von oben einfiel.<br />

Auf dem Weg zu seinem Kaiser wurde<br />

<strong>der</strong> Besucher von Domitians Castel<br />

Gandolfo durch Architektur und<br />

Lichteffekte vorangetrieben und auf<br />

sein „höheres“ Ziel gelenkt.<br />

Der „König von Jerusalem“ ist nicht<br />

in erster Linie als Baumeister bekannt.<br />

Dabei war das Architekturprogramm<br />

Herodes des Großen ein<br />

Paradebeispiel für Herrschaftsinszenierung<br />

am Bau.<br />

Herrschaftsinszenierung im großen Maßstab.<br />

Das „Herodium“ in <strong>der</strong> Nähe von Jerusalem.<br />

Abbildung: DAI, Abteilung Rom<br />

Wikimedia Commons<br />

50 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 51


Die Villa des Kaisers<br />

Kaiser Domitian und seine Baumeister hatten eine geniale Idee. Sie<br />

verwandelten das Konzept des unterirdischen Gewölbegangs<br />

o<strong>der</strong> Kryptoporikus in <strong>der</strong> kaiserlichen Villa in Castel Gandolfo in<br />

einen Empfangssaal, <strong>der</strong> alles bisher Dagewesene in den Schatten<br />

stellte.<br />

Ein Besucher, <strong>der</strong> sich von <strong>der</strong> Via Appia nähert, betritt diesen<br />

Raum durch den nördlichen Eingang und macht sich auf den Weg<br />

zu seinem Kaiser. Seitliche Türen fehlten, doch die unterschiedlich<br />

breiten Fenster erzeugen eine Wellenbewegung im Lichtfluss – immer<br />

weiter hineingezogen wurden die Besucher, nach vorn getrieben<br />

zum Podium, auf dem <strong>der</strong> Kaiser im Kreise seiner Prätorianer<br />

und ausgewählter Amtsinhaber allmorgendlich diejenigen empfing,<br />

die zur salutatio zugelassen waren.<br />

Im Gang unter ihm traten die unterschiedlichen Gruppen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

gestaffelt auf, und dem Herrscher bot sich Gelegenheit,<br />

mit ihnen jeweils angemessen in Verbindung zu treten, von einer<br />

allgemeinen Begrüßung bis hin zum Einzelgespräch. Henner von<br />

Hesberg, Direktor <strong>der</strong> Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s, leitet die Arbeiten zur Erforschung und Rekonstruktion<br />

<strong>der</strong> Villa.<br />

Die Kaiser besaßen das Monopol des Bauens, die Arbeiten wurden<br />

an private Firmen (redemptores) vergeben, die vom leitenden Architekten<br />

und dem curator des Unternehmens beaufsichtigt wurden.<br />

In einer solchen Konstellation konnte <strong>der</strong> Rohbau einer Anlage<br />

wie <strong>der</strong> Kryptoportikus in wenigen Wochen errichtet werden.<br />

Die Ziegelproduktion, die Marmorbrüche und an<strong>der</strong>e Einrichtungen,<br />

die für den Marmorbetrieb entscheidende Bedeutung besaßen,<br />

lagen vielfach in <strong>der</strong> Hand von Angehörigen <strong>der</strong> Familie des<br />

Kaisers mitsamt ihren Freigelassenen und Sklaven. Domitians<br />

Geldpolitik war entgegen mancher Aussagen seiner Opponenten<br />

sehr solide, so dass er keine Probleme hatte, umfangreiche Bauprogramme<br />

durchzuführen, seien es neue Residenzen auf dem<br />

Palatin, seine Villen o<strong>der</strong> neue große Bauten für Spiele und Theater.<br />

Bei den Unmengen von kaiserlichen Baumaterialien, die in diesen<br />

Zeiten bewegt wurden, konnte hin und wie<strong>der</strong> ein Hofbaumeister<br />

dem Versuch nicht wi<strong>der</strong>stehen, etwas für die Ausstattung eigener<br />

Projekte abzuzweigen. Der römische Autor und Historiker Sueton<br />

überliefert, dass Domitian einen Redemptor, <strong>der</strong> allzu viele Blöcke<br />

beim Neubau des Kapitolstempels für sein eigens Mausoleum abzweigte,<br />

hinrichten und in den Tiber werfen ließ. Das Grabmal wurde<br />

dem Erdboden gleich gemacht.<br />

<br />

TITELTHEMA<br />

Die Arbeiten zur Villa des Domitian werden dankenswerterweise unterstützt von <strong>der</strong> Direzione delle Villa Ponteficie und ihrem Direktor Dr. Saverio Petrillo<br />

sowie <strong>der</strong> Antikenabteilung <strong>der</strong> Musei Vaticani, seinerzeit Paolo Liverani.<br />

Der Terrasse war eine riesige Halle mit einer Länge von 340 Metern vorgelagert, die in <strong>der</strong> Antike offenbar den Hauptzugang in das Innere <strong>der</strong> Villa bildete. Theater und Kryptoportikus<br />

sind heute noch soweit erhalten, dass sich aus den erhaltenen Mauern und Bauteilen ihr Aufbau vollständig erschließen lässt, eine Arbeit, die von Henner von Hesberg und<br />

Ulrike Hess vom DAI Rom und in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführt wurde.<br />

Die Kryptoportikus bildete den vor<strong>der</strong>en<br />

Abschluss <strong>der</strong> Hauptterrasse innerhalb <strong>der</strong> Villa.<br />

Sie war 340 Meter lang, 7,35 Meter breit und<br />

im Scheitel des Gewölbes 10,35 Meter hoch.<br />

Damit war sie die größte bekannte Halle ihrer<br />

Art. Unterschiedlich breite Fenster erzeugen<br />

eine Wellenbewegung im Lichtfluss, so dass<br />

die Besucher immer weiter in den Raum<br />

hineingezogen wurden.<br />

Auf dem Podium empfing <strong>der</strong> Kaiser im<br />

Kreise seiner Prätorianer und ausgewählter<br />

Amtsinhaber allmorgendlich die Personen,<br />

die zur salutatio zugelassen waren.<br />

52 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 53


Der Archäologe Prof. Dr. Henner von Hesberg<br />

ist Direktor <strong>der</strong> Abteilung Rom des DAI.<br />

Herodes und die Großbaustelle Jerusalem<br />

DAS IDEOLOGISCHE RISIKO<br />

„Kaiserliche Großbauten dienten nicht nur<br />

dazu, die Principes in steter Fürsorge für<br />

die Kapitale des Imperium Romanum zu<br />

zeigen o<strong>der</strong> etwa für Arbeit zu sorgen. Vielmehr<br />

definierten sie in außerordentlich<br />

komplexer Weise den Anspruch <strong>der</strong> Herrscher.<br />

In ihnen wurden Beziehungen<br />

zwischen Herrscher und Volk, aber auch<br />

zwischen den verschiedenen Gruppen innerhalb<br />

des Volkes in ganz unterschiedlichen<br />

Bereichen <strong>der</strong> Kommunikation immer<br />

neu definiert und dazu erfor<strong>der</strong>liche<br />

Verhaltensmuster vorgezeichnet und stabilisiert.<br />

Diese Impulse gingen vom Herrscher<br />

und seiner engsten Umgebung aus.<br />

Diese Konstellation dürfte beson<strong>der</strong>s geeignet<br />

sein, eine Antwort auf die Frage<br />

nach <strong>der</strong> Qualität und Bedeutung <strong>der</strong><br />

Großbauten im kaiserlichen Rom zu geben.<br />

Eine schnelle Umsetzung war unbedingt<br />

erfor<strong>der</strong>lich, denn nicht zuletzt war<br />

darin Macht unmittelbar zu spüren.<br />

In diesem Zusammenhang wüsste man<br />

gerne, wie <strong>der</strong> Kaiser mit dem ‚ideologischen<br />

Risiko’ umging. Denn gerade die Einzigartigkeit<br />

des Baus zusammen mit seiner<br />

unerhörten Größe öffneten die Tür für<br />

Fehlverständnis und gehässige Interpretation<br />

unter <strong>der</strong> Bevölkerung. Zeugnisse dafür<br />

gab es in großer Zahl und beson<strong>der</strong>s<br />

die Überlieferung zur Domus Aurea, dem<br />

Palast des Nero in Rom, belegt solche Polemiken.<br />

Domitian und seine Vertrauten<br />

kannten ganz gewiss diese Kritik und<br />

mussten sie mit in ihr Kalkül einbeziehen.<br />

Wieweit sie da auf Risiko setzten o<strong>der</strong> womöglich<br />

einfach ihren Wünschen in <strong>der</strong><br />

Konzeption freien Lauf ließen, lässt sich<br />

kaum mehr beantworten.“<br />

Henner von Hesberg<br />

TITELTHEMA<br />

Modell des herodianischen Tempels in Jerusalem. Als Herodes den jüdischen Tempel in großer Pracht wie<strong>der</strong> aufbauen ließ,<br />

gründete er bei dieser Gelegenheit einen neuen Stadtteil.<br />

Wikimedia Commons<br />

Die Grenzen <strong>der</strong> Villa des Kaisers sind nicht exakt bekannt. Zu vermuten sind <strong>der</strong> See und die Via Appia sowie die Ortschaften Castel Gandolfo und<br />

Albano. Schon in dieser Ausdehnung gehörte die Villa zu den größten Kaiservillen überhaupt und kam <strong>der</strong> bekannten Anlage des Hadrian in Tivoli<br />

in etwa gleich. Fotos und Abbildungen: DAI, Abteilung Rom<br />

Im archäologischen Park unter <strong>der</strong> Erlöserkirche von Jerusalem<br />

führt <strong>der</strong> Weg in die Vergangenheit 2000 Jahre zurück durch eine<br />

mittelalterliche Kirche, einen Marktplatz Konstantins, durch Baureste<br />

aus <strong>der</strong> Zeit Hadrians und Schuttmassen nach Titus’ Zerstörung,<br />

bis man schließlich in einem Steinbruch ankommt. Er stammt<br />

aus <strong>der</strong> Zeit Herodes des Großen, <strong>der</strong> 37–4 v. Chr. „König Jerusalems“<br />

von Roms Gnaden war. Tatsächlich baute Herodes wie ein<br />

Römer. 27 v. Chr. ließ er ein Theater und ein Amphitheater errichten,<br />

wenige Jahre später einen großen Königspalast in Jerusalem<br />

und eine gewaltige Residenz in Judäa, das „Herodium“. Es folgte<br />

<strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Stadt Caesarea maritima und ihres Hafens. Wasserleitungen<br />

und Festungen waren weitere Projekte seiner Baulust,<br />

und als er ab dem Jahre 20 v. Chr. den jüdischen Tempel in großer<br />

Pracht wie<strong>der</strong> aufbaute, gründete er bei dieser Gelegenheit auch<br />

einen neuen Stadtteil. Als König <strong>der</strong> Provinz Juda vergaß er auch<br />

nicht, seine Herrschaft durch die Gewährung von Schutz kundzutun:<br />

Er ließ eine große Mauer errichten, die das neue Stadtviertel<br />

beschützen sollte.<br />

Über den Verlauf dieser „Zweiten Mauer“ berichtet <strong>der</strong> jüdisch-römische<br />

Historiker und Schriftsteller Josephus Flavius: „Die zweite Mauer<br />

nahm ihren Anfang bei einem Tor, das in <strong>der</strong> ersten Mauer [die<br />

alte Stadtmauer Jerusalems] lag und Gennat genannt wurde; indem<br />

sie lediglich den Nordteil <strong>der</strong> Stadt einschloss, führte sie bis hin zur<br />

Antonia [Festungsanlage im nördlichen Teil des Tempelareals].“<br />

D I E Z W E ITE M AUE R<br />

Lange wurde vermutet, die „Zweite Mauer“ läge direkt unter <strong>der</strong><br />

Erlöserkirche, <strong>der</strong>en Bau 1893 begonnen wurde. Doch diese Vermutung<br />

hielt neueren archäologischen Untersuchungen nicht<br />

stand. Die große Mauer unter <strong>der</strong> Kirche war vielmehr die Umfas-<br />

54 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 55


TITELTHEMA<br />

1<br />

2<br />

3 4<br />

1 Jerusalem zur Zeit Herodes d. Großen. 3D-Modell mit Tempelberg, Herodespalast und Gartenareal außerhalb <strong>der</strong> „Zweiten<br />

Mauer“. Die Nadel bezeichnet den heutigen Standort <strong>der</strong> Erlöserkirche.<br />

2 Die Stadt um 4 v. Chr. (grün und rot; grau hinterlegt) im Vergleich zur heutigen Altstadt (schwarz); mit * wird <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong><br />

heutigen Erlöserkirche bezeichnet; das A markiert die Festung Antonia.<br />

SCHEMATISIERTE ILLUSTRATION<br />

DER MESSSITUATION<br />

Oben: Querschnitt ; unten: Draufsicht.<br />

Die Messsonden können nur an<br />

den Wänden des Grabungsloches<br />

angebracht werden.<br />

3 Rekonstruktion des Steinbruchgeländes in <strong>der</strong> herodianischen Stadt. Original-Zeichnung vermutlich von Baurat E. W. Krüger.<br />

4 Unter <strong>der</strong> Erlöserkirche konnte ein großer Teil des Kirchenareals unterhöhlt und ein ca. 8 Meter tiefer Grabungsschnitt angelegt<br />

werden, <strong>der</strong> bis auf den Grund des von Herodes d. Gr. angelegten Steinbruchs führt. Bearbeitungsspuren im gewachsenen<br />

Felsen zeigen noch die Schnittrichtung <strong>der</strong> römischen Steinsägen.<br />

Abbildungen aus: Dieter Vieweger und Gabriele För<strong>der</strong>-Hoff<br />

Der archäologische Park unter <strong>der</strong> Erlöserkirche von Jerusalem. DEI Jerusalem<br />

sungsmauer des an die Grabeskirche anschließenden Marktplatzes<br />

aus <strong>der</strong> Zeit Konstantin d. Gr. Jetzt will das Deutsche Evangelische<br />

<strong>Institut</strong> für Altertumswissenschaft des Heiligen Heiligen<br />

Landes“ (DEI), das dem DAI in einem Kooperationsabkommen verbunden<br />

ist, zusammen mit Geophysikern <strong>der</strong> Technischen Universität<br />

Ilmenau eine Prospektion des Geländes vornehmen, um die<br />

genaue Lage <strong>der</strong> „Zweiten Mauer“ zu ermitteln und damit ein<br />

mehr als 150-jähriges Rätsel <strong>der</strong> Archäologe lösen.<br />

Infolge <strong>der</strong> dichten Bebauung des Geländes ist eine weitere Grabung<br />

nicht möglich, daher müssen die Forscher mit zerstörungsfreien<br />

Methoden arbeiten, um die Existenz <strong>der</strong> „Zweiten Mauer“<br />

nachweisen und <strong>der</strong>en Lage genau bestimmen zu können. Der<br />

Tiefschnitt unter <strong>der</strong> Kirche ist dafür ein guter Ausgangspunkt.<br />

Georadar ist das Mittel <strong>der</strong> Wahl. Die Experten von <strong>der</strong> TU Ilmenau,<br />

Prof. Dr.-Ing. Reiner S. Thomä und Dr.-Ing. Jürgen Sachs, ziehen Antennen<br />

mit direktem Bodenkontakt über das Untersuchungsareal.<br />

Falls die noch verborgenen Objekte einen ausreichend hohen<br />

Kontrast zum Einbettungsmaterial – Boden, Sand o<strong>der</strong> ähnliches<br />

– aufweisen, lassen sich anhand <strong>der</strong> Radardaten die Fundamentstrukturen<br />

wie ein leicht verschwommener Grundriss erkennen.<br />

Unter <strong>der</strong> Projektleitung von Dieter Vieweger macht man sich an<br />

diese nicht ganz leichte Aufgabe: Die Erlöserkirche liegt 14 Meter<br />

über dem Horizont, auf dem Herodes gebaut hatte.<br />

<br />

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger ist<br />

Leiten<strong>der</strong> Direktor <strong>der</strong> <strong>Institut</strong>e in Jerusalem<br />

und Amman<br />

„Das „Deutsche Evangelische <strong>Institut</strong> für Altertumswissenschaft<br />

des Heiligen Landes“ (DEI) wurde im Jahre 1900 durch einen Beschluss<br />

<strong>der</strong> evangelischen Landeskirchen gegründet, besiegelt<br />

durch die Unterschrift des Kaisers. Ziel des DEI sollte es sein, die<br />

Geschichte und Kulturgeschichte des Landes diesseits und jenseits<br />

des Jordan unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> biblischen<br />

Epochen und <strong>der</strong> Entstehung des Christentums wissenschaftlich<br />

zu untersuchen. Hierzu unternimmt das DEI eigene<br />

Projekte o<strong>der</strong> Ausgrabungen wie das „Gadara Region Project“ und<br />

unterstützt an<strong>der</strong>e deutsche Vorhaben, wobei die Forschungsergebnisse<br />

insbeson<strong>der</strong>e auf dem Gebiet <strong>der</strong> Archäologie und Landeskunde<br />

an ein weites Publikum vermittelt und in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Welt diskutiert werden sollen. Um dies realisieren zu<br />

können, unterhält das <strong>Institut</strong> eigene Bibliotheken, gibt eine Publikationsreihe<br />

heraus, organisiert Fachtagungen, Vortragsreihen<br />

und Ausstellungen. Eines <strong>der</strong> Vorhaben ist <strong>der</strong> archäologische Park<br />

unter <strong>der</strong> Erlöserkirche, ein „Schaufenster“ <strong>der</strong> Tätigkeit des <strong>Institut</strong>s<br />

in Jerusalem. Das <strong>Institut</strong> wird von <strong>der</strong> Evangelischen Kirche in<br />

Deutschland getragen und ist zugleich eine Forschungsstelle des<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> (DAI). Es unterhält Standorte<br />

in Jerusalem und Amman (www.deiahl.de).“ Dieter Vieweger<br />

56 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 57


Das Gefühl nach<br />

Hause zu kommen<br />

Vorausschauende<br />

Diplomatie<br />

PORTRÄT<br />

Dr. Margarete van Ess ist Wissenschaftliche<br />

Direktorin <strong>der</strong> Orient-Abteilung des<br />

DAI. Seit 1989 hatte sie die Grabungsleitung<br />

in Uruk/Warka im Irak inne, seit<br />

1997 leitet sie zudem Ausgrabungsprojekte<br />

im Libanon.<br />

Foto: Obeloer<br />

1994 war Margarete van Ess nach den langen<br />

Jahren des Bürgerkrieges zum ersten<br />

Mal wie<strong>der</strong> im Libanon. „Es roch wie in <strong>der</strong><br />

Kindheit“, sagt die Archäologin. Aufgewachsen<br />

ist sie in einer Familie von Orientalisten,<br />

die geraume Zeit ihres Lebens in<br />

dem Land verbrachte, das zu den schönsten<br />

des Nahen Ostens gezählt wird. Das<br />

Gefühl, nach Hause zu kommen, spürt Margarete<br />

van Ess überall im Orient, die Weltgegend<br />

steckt in den Knochen, wenn auch<br />

die Liebe immer wie<strong>der</strong> auf eine harte Probe<br />

gestellt wird. „Die politische Situation<br />

strengt mich an“, räumt sie ein. Das beste<br />

Gegenmittel sei, sich in die Arbeit zu stürzen.<br />

Dem Studium <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>asiatischen Archäologie,<br />

Altorientalistik und Ur- und<br />

Frühgeschichte in Tübingen und Berlin<br />

folgte 1989 <strong>der</strong> Berufseinstieg als Wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin <strong>der</strong> Abteilung<br />

Bagdad des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s und die Grabungsleitung in Uruk,<br />

dem heutigen Warka. Nach dem Abschluss<br />

<strong>der</strong> Promotion 1996 zum Thema „Die Architektur<br />

des Eanna-Heiligtums in Uruk zur Ur<br />

III- und altbabylonischen Zeit. Baukonzeption<br />

eines Heiligtums“ wurde sie Wissenschaftliche<br />

Direktorin <strong>der</strong> Orient-Abteilung<br />

des DAI. 1997 kam die Leitung von Ausgrabungsprojekten<br />

im Libanon dazu.<br />

„Kulturerhalt ist wie überall auch in den<br />

Län<strong>der</strong>n des Orients ein schwieriges Unterfangen“,<br />

sagt die Archäologin – und das<br />

nicht nur in schwierigen Zeiten. Der Reichtum<br />

an Zeugnissen antiker Kulturen ist<br />

nicht immer nur ein Segen. „Es kann nicht<br />

darum gehen, pauschal alles zu erhalten,<br />

was gefunden wird.“ Die Interessenlage ist<br />

komplex, die Bedürfnisse heutiger Bewohner<br />

sind zu respektieren. „Wichtig ist aber,<br />

dass man einen Mechanismus findet, nach<br />

dem entschieden wird, was bleibt und was<br />

nicht“, sagt van Ess. Transparenz sei das<br />

oberste Gebot für alle Beteiligten und die<br />

Frage sei stets, ob ein Konsens in <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

erzielt wurde o<strong>der</strong> ob die Interessen<br />

einzelner Gruppen bedient werden.<br />

Reden hilft, weiß van Ess, die als Wissenschaftlerin<br />

des DAI immer auch Diplomatin<br />

ist, wobei Belehrung die Todsünde <strong>der</strong> internationalen<br />

Zusammenarbeit sei. „Wenn<br />

junge irakische Wissenschaftler nach<br />

Deutschland kommen, zeigen wir ihnen,<br />

wie wir arbeiten – als eine Möglichkeit des<br />

Ansatzes. Wir erklären ihnen nicht, wie es<br />

geht.“ Margarete van Ess erinnert sich an<br />

eine gemeinsame Schifffahrt nach Potsdam.<br />

Vom Wasser aus versteht man die<br />

Sichtachsen und den ordnenden Gedanken<br />

dieses Teils des UNESCO-Weltkulturerbes.<br />

„Die irakischen Gäste verstanden, dass<br />

nicht nur materielle Kulturgüter, son<strong>der</strong>n<br />

auch Ideen schützenswertes Gut sein können.“<br />

Derlei diplomatisches Fingerspitzengefühl<br />

lernt man natürlich nicht im Studium.<br />

„Aber irgendwann erkennt man ohnehin,<br />

dass man an <strong>der</strong> Universität nicht für alles<br />

‚ausgebildet’ wurde“, sagt van Ess. Mehr als<br />

ein Ausgangspunkt für weiteres Fragen<br />

und Forschen kann ein Studium auch nicht<br />

sein, findet sie. Ohne intrinsische Motivation<br />

hält man viele <strong>der</strong> Arbeiten nicht aus,<br />

die indessen die Grundlage für alles Weitere<br />

sind. „Manche scheitern an 20.000 Scherben,<br />

die statistisch erfasst werden müssen“,<br />

weiß die Archäologin. „Natürlich kann so<br />

etwas tödlich langweilig sein, aber wenn<br />

man weiß, wo man hin will, ist es auch unglaublich<br />

spannend.“<br />

Am Ende hilft das harte Training bei <strong>der</strong><br />

forschenden Arbeit in Einsamkeit und Freiheit<br />

ebenso wie beim effizienten Projektmanagement,<br />

wenn es darum geht, eine<br />

Grabung zu organisieren. Seit dem Studium<br />

arbeitet Margarete van Ess zum Tempelbau<br />

in Mesopotamien. „Mein Wunsch<br />

ist, dazu einmal eine große Monographie<br />

zu schreiben und dabei die unterschiedlichen<br />

Tempelkonzepte in Süd- und Nordmesopotamien<br />

und <strong>der</strong> Levante miteinan<strong>der</strong><br />

zu vergleichen. Aber im Moment kann<br />

ich mich nicht einfach hinsetzen und monatelang<br />

daran durcharbeiten.“ Der Arbeitstag<br />

gehört nicht nur <strong>der</strong> Wissenschaft,<br />

son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> nicht gänzlich ungeliebten<br />

Verwaltung o<strong>der</strong> auch Studierenden,<br />

die betreut sein wollen.<br />

Margarete van Ess hat noch einen an<strong>der</strong>en<br />

Wunsch. „Es wäre schön – und im Sinne internationaler<br />

Zusammenarbeit auch hilfreich<br />

– wenn <strong>der</strong> hiesige Blick auf die Län<strong>der</strong><br />

des Nahen Ostens mehr von <strong>der</strong><br />

Realität mit all ihren kulturellen und<br />

menschlichen Stärken, die auch in schwierigen<br />

Zeiten nicht untergehen, geprägt<br />

wäre und nicht so sehr von sensationsheischen<strong>der</strong><br />

Dauerkriegsberichterstattung.“<br />

Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit.<br />

2009 wurde ihr die Ehrendoktorwürde<br />

des <strong>Institut</strong>s für Arabische Geschichte<br />

und wissenschaftliches Erbe des Irak,<br />

einer <strong>Institut</strong>ion <strong>der</strong> Union <strong>der</strong> Arabischen<br />

Historiker verliehen.<br />

<br />

Brita Wagener ist Botschafterin <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland in <strong>der</strong><br />

Republik Irak.<br />

Foto: Auswärtiges Amt, Pressestelle<br />

„Man kann auch im Kleinen wichtige Dinge<br />

bewirken“, weiß Brita Wagener – zu weltfremd<br />

wäre auch <strong>der</strong> Versuch, große Probleme<br />

mit einem großen Wurf wegwischen<br />

zu wollen. Nach Jahrzehnten verschiedener<br />

Facetten von Ausnahmezustand ist das<br />

Leben im Irak von <strong>der</strong> Anstrengung geprägt,<br />

Normalität und Alltag wie<strong>der</strong>herzustellen<br />

und <strong>Institut</strong>ionen funktionsfähig zu<br />

machen. Brita Wagener ist seit August 2012<br />

deutsche Botschafterin in Bagdad.<br />

Seit 1983 ist die Juristin im Auswärtigen<br />

Dienst. Als Spezialistin für Völkerrecht war<br />

sie auf verschiedenen Posten in Kairo, Neu<br />

Delhi, Istanbul und Tel Aviv. „Es ist wichtig,<br />

verschiedene Seiten zu sehen, damit sich<br />

<strong>der</strong> Blick nicht verengt.“<br />

Auch <strong>der</strong> Alltag <strong>der</strong> Botschaftsangehörigen<br />

ist – vor dem Hintergrund einer<br />

schwierigen Sicherheitslage – von erheblichen<br />

Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit<br />

geprägt. „Wir haben insgesamt<br />

aber guten Zugang“, sagt Wagener.<br />

„Die Iraker suchen das Gespräch auf allen<br />

Ebenen.“ Ein beson<strong>der</strong>es Interesse gilt den<br />

Wirtschaftsbeziehungen, die sich in einem<br />

komplizierten Aufbauprozess befinden.<br />

Traditionell gute und lange Beziehungen<br />

zwischen beiden Län<strong>der</strong>n gibt es in <strong>der</strong><br />

Kultur- und Wissenschaftspolitik. Eine wesentliche<br />

Komponente dieses Bereichs<br />

sind die Projekte und Kooperationen des<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s, das<br />

seit 1955 eine Außenstelle in Bagdad unterhalten<br />

hat. Von dort aus wurden in bester<br />

Kooperation mit <strong>deutschen</strong>, irakischen<br />

und internationalen Partnern die Arbeiten<br />

durchgeführt, die über 5000 Jahre in <strong>der</strong><br />

Geschichte zurückgehen und Bil<strong>der</strong> mächtiger<br />

Sakralbauten und Paläste hervorrufen<br />

und die von den kulturellen Meisterleitungen<br />

<strong>der</strong> ersten Großstadt <strong>der</strong> Welt berichten,<br />

die in Uruk, dem heutigen Warka, geschaffen<br />

wurden.<br />

„Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik<br />

hat einen erheblichen Stellenwert in<br />

unserer Arbeit“, sagt Brita Wagener. Politik,<br />

Kultur und Wissenschaft arbeiten Hand in<br />

Hand, was allen Beteiligten die Kommunikation<br />

auf schwierigem Terrain erleichtert.<br />

„Über Kultur und Bildung kann man nicht<br />

nur Zugang schaffen“, sagt die Diplomatin.<br />

„Man kann auch vorausschauend etwas für<br />

diejenigen tun, die unter <strong>der</strong> angespannten<br />

Situation beson<strong>der</strong>s leiden, Menschen,<br />

die das aber Land einmal am nötigsten<br />

brauchen wird.“ Wenn es nicht mehr die<br />

Waffen sind, die glauben, die politischen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen bestreiten zu können,<br />

werden es die Intellektuellen, die<br />

Künstler und die Wissenschaftler sein, die<br />

die öffentlichen Debatten bestreiten. Dann<br />

ist es wichtig, dass man das Land nicht aus<br />

dem Blick verliert und die richtigen Signale<br />

setzt. „Es geht nicht immer nur um Geld.“<br />

„Die Herausfor<strong>der</strong>ungen sind enorm“, weiß<br />

Brita Wagener. „Es gibt unendlich viel zu<br />

tun und zu diskutieren. Die wichtigen Themen<br />

sind die Fragen, wie die verschiedenen<br />

Komponenten des Landes Ihr Zusammenleben<br />

organisieren wollen. Sie<br />

betreffen darüber hinaus den Aufbau von<br />

Strukturen, das Management von <strong>Institut</strong>ionen<br />

und die Möglichkeiten, einigermaßen<br />

normale Abläufe zu organisieren.<br />

Für den deutsch-irakischen Kulturaustausch<br />

ist es schon ein Silberstreif am Horizont,<br />

wenn das Goethe-<strong>Institut</strong> mit Sitz in<br />

Erbil, in den ruhigeren Fö<strong>der</strong>alen Regionen<br />

Kurdistan-Irak, nach sehr langer Pause<br />

2013 hoffentlich erstmals wie<strong>der</strong> Deutschkurse<br />

in Bagdad anbietet. Wann die Außenstelle<br />

Bagdad des DAI wie<strong>der</strong> vor Ort arbeiten<br />

kann, ist noch ungewiss. Noch erlaubt<br />

die Sicherheitslage die Rückkehr <strong>der</strong> <strong>deutschen</strong><br />

Wissenschaftler nicht, so sehr die<br />

irakischen Kollegen <strong>der</strong>en Rückkehr auch<br />

wünschen. „Wir werden das regelmäßig<br />

prüfen“, sagt die Botschafterin.<br />

„Es ist manchmal sehr for<strong>der</strong>nd, wenn man<br />

kein normales städtisches Leben führen<br />

kann“, räumt Brita Wagener ein. Die kleine<br />

Runde um den Block verbietet sich von<br />

selbst. Dafür stehen die Türen <strong>der</strong> Residenz<br />

– wenn es die Lage erlaubt – offen für Veranstaltungen,<br />

seien es Aufführungen einer<br />

Frauentheatergruppe, sei es eine Podiumsdiskussion<br />

mit irakischen Künstlerinnen.<br />

„Bei allen Einschränkungen ist es gut zu<br />

sehen, dass es Dinge gibt, die wir tun können<br />

und die hoffentlich eine nachhaltige<br />

Wirkung haben“, sagt Brita Wagener. „Man<br />

darf die kleinen Schritte nicht unterschätzen.“<br />

<br />

PORTRÄT<br />

58 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 59


REPORTAGE<br />

An einem Sonntag im August empfängt Athen den Besucher nicht<br />

unbedingt mit offenen Türen. Es ist still in <strong>der</strong> riesigen Stadt, aber<br />

vor allem ist es heiß. Die Menschen haben sich in schattige Räume<br />

o<strong>der</strong> aufs Land zurückgezogen. Für die meisten Mitarbeiter <strong>der</strong><br />

Abteilung Athen des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s beginnt<br />

nun die Zeit <strong>der</strong> Grabungskampagnen. Athen, eine <strong>der</strong> ältesten<br />

Abteilungen des DAI, wurde 1872 gegründet und ist seit 1888 in<br />

einem Haus untergebracht, das einst Heinrich Schliemann im<br />

Athener Stadtzentrum errichten ließ. Olympia und Kerameikos<br />

sind klangvolle Namen, eine <strong>der</strong> Traditionsgrabungen des DAI mit<br />

dem schlichten Titel „Tiryns“ liegt etwa zwei Autostunden südlich<br />

von Athen am gleichnamigen Ort.<br />

TIRYNS<br />

Die Musterburg <strong>der</strong> mykenischen Könige<br />

Die „Musterburg“ <strong>der</strong> mykenischen Könige ist gut erhalten und<br />

zeigt in einzigartiger Weise die Art mykenischer Palastarchitektur.<br />

Der Bau entstand in drei Bauphasen vom 14. bis zum 12. Jh. v. Chr.<br />

und ist in drei Komplexe unterteilt: die Oberburg mit dem Palast,<br />

die etwa zwei Meter tiefer liegende Mittelburg und die Unterburg<br />

auf dem niedrigsten Teil des Hügels an <strong>der</strong> Nordseite.<br />

Foto: A. Papadimitriou:<br />

Tiryns. Historischer und archäologischer Führer, Athen 2001<br />

60 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 61


KRAGGEWÖLBE AN DER OSTGALERIE<br />

Meisterleistung <strong>der</strong> Ingenieure.<br />

Die Kragbauweise <strong>der</strong> Gänge und Kammern<br />

haben die Mykener womöglich von den<br />

Hethitern übernommen. Die Steinblöcke<br />

kragen stufenweise von <strong>der</strong> niedrigsten zur<br />

höchsten Stufe vor. An <strong>der</strong> Spitze sitzt ein<br />

Schlussstein, <strong>der</strong> die Last auf die Seiten ableitet.<br />

Fotos: A. Papadimitriou:<br />

Tiryns. Historischer und archäologischer Führer,<br />

Athen 2001<br />

Ausschnitt aus einer Wandmalerei mit <strong>der</strong> Darstellung eines<br />

Frauenkopfes. 13. Jh. v. Chr.<br />

Foto: A. Papadimitriou: Tiryns. Historischer und archäologischer<br />

Führer, Athen 2001<br />

REPORTAGE<br />

Nach eineinhalb Stunden Fahrt entdeckt man auf den Ortsschil<strong>der</strong>n<br />

einen <strong>der</strong> Namen, die man zuerst in <strong>der</strong> Schule gehört hat,<br />

wenn man etwas über die große Dichtung <strong>der</strong> Alten lernte, mythisch<br />

und schon im Altertum literarisch überhöht.<br />

Mykene. Im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. schien sie plötzlich da zu sein,<br />

eine Zivilisation in Mittel- und Südgriechenland, die seit Schliemanns<br />

Entdeckung <strong>der</strong> reich ausgestatteten Schachtgräber offenbar<br />

exponierter Personen im Jahre 1876 „mykenische Kultur“ genannt<br />

wird. In seiner Blütezeit während des 14. und 13. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

v. Chr. entwickelt „Mykene“ eine prachtvolle Palastkultur, treibt<br />

Handel auch mit weit entfernten Län<strong>der</strong>n und zeigt alle Anzeichen<br />

von Wohlhabenheit. Doch um 1200 v. Chr. geht es in einer Phase<br />

dramatischer Umwälzungen im Feuer unter, die Paläste verlieren<br />

ihre Pracht, die „Linear B“ genannte Schrift, mit <strong>der</strong> eine frühe Form<br />

von Griechisch geschrieben wurde, geht verloren, Verwaltungsstrukturen<br />

und Herrschertitel geraten in Vergessenheit.<br />

L OGISTISCHE G ROSSPLANUNG<br />

Die mykenischen Paläste versanken in den „Dunklen Jahrhun<strong>der</strong>ten“<br />

– so schien es. Über die Ursachen <strong>der</strong> Katastrophe wird diskutiert:<br />

Kriege, interne Auseinan<strong>der</strong>setzungen, Erdbeben o<strong>der</strong> Überfälle<br />

<strong>der</strong> „Seevölker“ rangieren auf den ersten Plätzen als<br />

Erklärungen für den spektakulären Untergang.<br />

Tiryns liegt 20 Kilometer südlich von Mykene, näher am Meer und<br />

gut geeignet als Hafen. Schon seit dem 6. vorchristlichen Jahrtausend<br />

war <strong>der</strong> Ort besiedelt und spielte schon lange, bevor die Könige<br />

kamen, eine bedeutende Rolle. Doch zwischen 1400 und<br />

1200 v. Chr. entsteht hier ein stark befestigter Palast mykenischer<br />

Art als logistische Großplanung, das geschlossene Konzept einer<br />

„planned community“ mit Musterzitadelle, <strong>der</strong>en mächtige Mauern<br />

noch lange sichtbar und lang auch im Gedächtnis <strong>der</strong> Menschen<br />

blieben. Die Könige besaßen die Macht und das Wissen, Arbeitskraft<br />

und Material zu ihrer Verfügung zu nehmen, um ein<br />

solches Projekt verwirklichen zu können. Aber auch Tiryns geht unter<br />

in den Feuersbrünsten, doch an<strong>der</strong>s als an den an<strong>der</strong>en Schauplätzen<br />

<strong>der</strong> Verwüstung entsteht hier aus den Trümmern etwas<br />

Neues. „Am interessantesten ist die Zeit nach <strong>der</strong> Katastrophe“,<br />

sagt <strong>der</strong> Archäologe Joseph Maran von <strong>der</strong> Universität Heidelberg,<br />

<strong>der</strong> das Projekt „Tiryns“ seit 1994 im Auftrag des DAI leitet. „Zwischen<br />

etwa 1200 und 1050 v. Chr. stellt sich Tiryns gleichsam gegen<br />

den Strom <strong>der</strong> Geschichte, da es expandierte, während die an<strong>der</strong>en<br />

vormaligen Palastzentren schrumpften o<strong>der</strong> verschwanden.“<br />

D AS I NNE RSTE DE R K ÖNIGSIDE OLOGIE<br />

Die Mauer ist gut sieben Meter dick und besteht aus riesigen Steinblöcken.<br />

Man erkennt die Ungeheuerlichkeit des Baus erst, wenn<br />

man sich nach <strong>der</strong> Passage des torlosen Haupteingangs im Inneren<br />

des Burgareals wie<strong>der</strong>findet. Nach einem Richtungswechsel<br />

erreicht man das Haupttor und betritt, noch geblendet vom gleißenden<br />

Tageslicht, einen engen, dunklen und bedrohlichen Torweg,<br />

dessen Wände aus kyklopischen, rohen, unbehauenen Steinen<br />

bestehen. Es geht bergauf, <strong>der</strong> Weg verengt sich weiter und<br />

führt tiefer ins Dunkel.<br />

Starke Gerüste stützen die noch stehenden Teile <strong>der</strong> einst mächtigen<br />

Mauer, damit sie sich nicht weiter in Schieflage neigt. An dieser<br />

Stelle wird ein Kran es richten und zum Stabilisieren wird Putz<br />

in die Risse eingebracht.<br />

1 2 3<br />

KOOPERATIONEN<br />

Am Eingang zu den Palastruinen von Tiryns informiert eine Tafel darüber, dass <strong>der</strong> Platz seit 1999 zum Weltkulturerbe <strong>der</strong> UNESCO gehört.<br />

Ein kleines Besucherzentrum und <strong>der</strong> Kiosk, in dem man Eintritt zahlt und den archäologischen Führer von Alkestis Papadimitriou in sieben Sprachen<br />

erhält, stehen in seltsamem Kontrast zu den kyklopischen Überresten <strong>der</strong> Anlage, die – wie <strong>der</strong>t griechische Geograph und Historiker Strabon<br />

in seinen Berichten beteuerte – nur von Riesen erbaut worden sein konnte.<br />

Kernpunkt <strong>der</strong> Erforschung von Tiryns ist seit Jahrzehnten eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen griechischen und <strong>deutschen</strong> Archäologinnen und<br />

Archäologen. Die Archäologin Alkestis Papadimitriou, Direktorin des griechischen Antikendienstes in den Landschaften Argolis und Lakonien, ist<br />

Marans Kooperationspartnerin in Tiryns und kennt den Ort seit den Zeiten, in denen Klaus Kilian von <strong>der</strong> Abteilung Athen des DAI Maßstäbe in <strong>der</strong><br />

Erforschung von Tiryns setzte, als er von 1976 bis 1983 die Großgrabung in <strong>der</strong> Unterburg leitete.<br />

Im Magazin, dem Arbeitsraum und Depot <strong>der</strong> heutigen Tirynther Grabung, das in einer alten Käsefabrik untergebracht ist, sind schon die ersten Grabungsarbeiter<br />

und Studierenden versammelt, in Kürze beginnt die diesjährige Kampagne. Alkestis Papadimitriou und Joseph Maran werden mit einer För<strong>der</strong>ung<br />

1 Joseph Maran und Susanne Prillwitz besprechen Einzelheiten <strong>der</strong><br />

Grabungskampagne.<br />

2 Susanne Prillwitz verteilt die Aufgaben, koordiniert die Arbeiten<br />

und weist die Beteiligten in die Abläufe ein. Sie bearbeitet für ihre<br />

Dissertation mit einem archäometrischen Schwerpunkt die Befunde<br />

zur Keramikproduktion in Tiryns von mykenischer bis in<br />

spätgeometrische Zeit.<br />

3 Die ersten Studierenden sind eingetroffen und helfen, die kommende<br />

Ausgrabungskampagne vorzubereiten.<br />

<strong>der</strong> Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Areal in <strong>der</strong> nördlichen<br />

Unterstadt ergraben, um zu erforschen, wie es dazu kam, dass direkt nach<br />

<strong>der</strong> großen Katastrophe Teile <strong>der</strong> Unterstadt offenbar systematisch bebaut<br />

wurden.<br />

Graben und Funde bearbeiten ist ein Teil <strong>der</strong> archäologischen Arbeit.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Teil ist es, die materiellen Zeugnisse <strong>der</strong> Antike zu erhalten.<br />

Diesem Zweck dient ein gewaltiges Restaurierungsprogramm, das <strong>der</strong><br />

griechische Antikendienst unter <strong>der</strong> Leitung von Alkestis Papadimitriou,<br />

die auf nationaler und europäischer Ebene erfolgreich für die Erhaltung<br />

Tiryns’ warb, seit 1997 in Zusammenarbeit mit dem DAI durchführt.<br />

„Liminale Punkte“ nennt Maran die Punkte erzwungener Richtungswechsel,<br />

die den Weg ins Innere des Palastes zu einer rituellen<br />

Expedition machen sollen. Mit jedem Wechsel steigert sich die<br />

symbolische Aufladung des Weges. Irgendwann werden die Steine<br />

kleiner, das Mauerwerk feiner, und plötzlich ist die kultivierte Zone<br />

erreicht, in <strong>der</strong> lebhaft farbige Fresken von großer Schönheit dem<br />

Besucher genau das zeigten, was ihn selbst herführte: eine Prozession<br />

zum Allerheiligsten im Zentrum des Palastes, wo sich vor den<br />

Augen weniger Eingeweihter am zentralen Herdfeuer die Gottheit<br />

manifestieren und mit dem König und <strong>der</strong> Königin vereinen würde.<br />

„Es ist das Innerste <strong>der</strong> Königsideologie“, sagt Maran. Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Könige gibt es indessen nicht. Wichtig war allein das Ritual, dessen<br />

Abläufe in allen Einzelheiten strengstens einzuhalten waren. „Die<br />

ganze Anlage war dafür bis ins kleinste Detail maßgeschnei<strong>der</strong>t“,<br />

erklärt Maran.<br />

DER TEU FELSKRE IS AUS FÜRSORGE<br />

UND A USBE UTUNG<br />

Der Versuch, die Harmonie von Göttern und Menschen immer wie<strong>der</strong><br />

von Neuem zu bekräftigen, hatte einen Preis. Und womöglich<br />

führte er erst herbei, was er abwenden sollte. Um seinen sakralen<br />

Pflichten nachkommen zu können, musste <strong>der</strong> Palast die umliegenden<br />

Ortschaften ausbeuten. Trafen Frondienste, schlechte Ernten<br />

und Bedrohungen von außen aufeinan<strong>der</strong>, konnte dies die<br />

Menschen an den Rand des Erträglichen treiben, und bei den ers-<br />

62 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 63


Die große Mauer droht zu kippen. Bis sie wie<strong>der</strong> gerichtet werden<br />

kann, müssen Gerüste sie stützen.<br />

NEUBAUP ROJE KTE<br />

Tiryns ist das einzige <strong>der</strong> mykenischen Zentren <strong>der</strong> Palastzeit, das<br />

nach den Zerstörungen um 1200 v. Chr. einen Neuanfang versucht.<br />

Jetzt erst wird das neu gewonnene Bauland in <strong>der</strong> nördlichen Unterstadt<br />

für architektonische Neuplanungen systematisch genutzt.<br />

„Es sieht alles so aus, als hätten Palastbeamte aus <strong>der</strong> dritten o<strong>der</strong><br />

vierten Reihe die längst existierenden Pläne aus <strong>der</strong> Schublade geholt,<br />

um sie in die Tat umzusetzen“, sagt Maran. Sie müssen das<br />

Wissen gehabt haben und fähig gewesen sein, soziale Strukturen<br />

zu steuern, die <strong>der</strong>lei Vorhaben möglich machten. Die Siedlung<br />

wuchs auf geschätzte 25 Hektar Größe an, eine für Zeit und Ort<br />

sensationelle Größe. Die politischen Hintergründe dieses Größenwachstums<br />

liegen ebenso im Dunkeln wie die Frage <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Grundlage und <strong>der</strong> ethnischen Zusammensetzung<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung, die zum Teil womöglich aus <strong>der</strong> weiteren und<br />

näheren Umgebung zugezogen war. Nach 1200 unternimmt die<br />

neue herrschende Schicht sogar einen Versuch, wichtige Areale<br />

des vom Feuer zerstörten Palastes in ihrem eigenen Sinne wie<strong>der</strong><br />

aufzuladen und zu besetzen, indem sie zentrale Symbole <strong>der</strong> vorten<br />

Anzeichen <strong>der</strong> Instabilität verwandelten sich in <strong>der</strong> stark hierarchisierten<br />

Gesellschaft die schwelenden Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

in offene Konflikte.<br />

Ob doch ein großes Erdbeben für den Untergang <strong>der</strong> Paläste verantwortlich<br />

war, untersuchen die Archäologen <strong>der</strong>zeit in einem<br />

von <strong>der</strong> Gerda Henkel-Stiftung und Fritz Thyssen-Stiftung geför<strong>der</strong>ten<br />

Projekt zusammen mit Alkestis Papadimitriou und dem<br />

Seismologen Klaus-Günter Hinzen von <strong>der</strong> Universität zu Köln.<br />

Joseph Maran hat durchaus Zweifel an <strong>der</strong> herrschenden Forschungsmeinung,<br />

wonach Erdbeben für die Palastzerstörungen<br />

um 1200 v. Chr. verantwortlich waren: „In historischen Zeiten je-<br />

denfalls gehörte die Argolis nicht zu den gefährlichsten Erdbebenzonen<br />

Griechenlands – an<strong>der</strong>es als zum Beispiel Korinth, das<br />

mehrfach zerstört wurde.“<br />

„Vielleicht haben sich die mykenischen Könige durch das Feuerwerk<br />

an Baumaßnahmen in den letzten Jahrzehnten ihrer Herrschaft<br />

vielmehr ihr eigenes Grab geschaufelt“, überlegt <strong>der</strong> Archäologe.<br />

Eine Chance, es an<strong>der</strong>s zu machen, hätten sie kaum<br />

gehabt, wenn sie Könige bleiben wollten. „Schließlich taten sie,<br />

was die Götter verlangten und gerieten so in einen Teufelskreis aus<br />

wirtschaftlicher Ausbeutung und sakraler Fürsorge – die von ihnen<br />

erwartet wurde.“<br />

Dazu gehörte auch die Abwehr von Naturgewalten. Ein kleiner<br />

Fluss überschwemmte und zerstörte die Fel<strong>der</strong>, so dass man –<br />

noch 50 Jahre vor <strong>der</strong> Katastrophe – einen gewaltigen Damm baute.<br />

„Es war <strong>der</strong> erste Damm, <strong>der</strong> das Flussbett komplett versiegelte“,<br />

erklärt Joseph Maran. „Am Konvergenzpunkt verschiedener Bäche<br />

fanden die Baumeister genau den richtigen Punkt, an dem sie den<br />

alten Wasserlauf schließen mussten. Parallel dazu leiteten sie den<br />

Fluss durch ein neues Bett weit an Tiryns vorbei.“ Seitdem blieben<br />

die Fel<strong>der</strong> unbeschadet und es konnte Bauland erschlossen werden<br />

– alles in allem eine ingenieurstechnische Meisterleistung.<br />

„Aber womöglich war <strong>der</strong> Bau dieses gewaltigen Damms auch <strong>der</strong><br />

Sargnagel, <strong>der</strong> den Untergang des Palastes besiegelte, als die Katastrophe<br />

schließlich hereinbrach.“<br />

herigen religiösen und politischen Ordnung wie den Thronplatz<br />

und einen Altar im Hof in ihre Neuplanungen einbezieht. Einen<br />

wesentlichen Teil dieser Bemühungen hatten Schliemann und <strong>der</strong><br />

Bauforscher Wilhelm Dörpfeld für einen unbedeutenden Tempel<br />

aus dem 8. Jahrhun<strong>der</strong>t gehalten, von denen es aus ihrer Sicht so<br />

viele gab, dass sie dem weiter keine Beachtung schenkten.<br />

1998 konnte Joseph Maran nachweisen, dass ein in <strong>der</strong> Ruine des<br />

Großen Megarons von Tiryns errichteter Antenbau ein letztes mykenisches<br />

Megaron war. Der Neubau des Megarons erhielt aber<br />

nicht den Charakter einer Herrscherresidenz, son<strong>der</strong>n eher den<br />

einer Halle, in <strong>der</strong> sich die Gemeinschaft zu bestimmten Anlässen<br />

unter Leitung des auf dem Thron sitzenden Anführers zusammenfand.<br />

Die neuen Würdenträger und Bauherren legitimierten ihre<br />

Macht mit dem Rückgriff auf die Geschichte, durch die Nutzung<br />

alter Symbole und durch die Selbstzuschreibung, aus den ältesten<br />

Familien <strong>der</strong> Region zu stammen. Sie nahmen also die Vergangenheit<br />

für sich in Anspruch, um ihre Position in <strong>der</strong> Gegenwart zu<br />

begründen – und solange die Bevölkerung einigermaßen homogen<br />

ist, funktioniert diese Art <strong>der</strong> Legitimierung von Macht auch.<br />

„Wenn aber Menschen aus an<strong>der</strong>en Regionen und Kulturen mit je<br />

eigener Vergangenheit und eigenem kulturellen Gedächtnis kommen<br />

und sich in einem Gemeinwesen ansiedeln, geht die Kohäsion<br />

mittels gemeinsamer Erinnerung verloren“, sagt Maran. „Der<br />

Bezug auf die Vergangenheit wird stumpf.“<br />

W ISSE NSCHAF TLICHE G ROSSBAUSTE LLE<br />

Die meisten Besucher des antiken Tiryns sind Urlaubsgäste aus<br />

dem nahe gelegenen Nafplion, die in <strong>der</strong> brütenden Augusthitze<br />

die leichte Brise auf <strong>der</strong> Oberburg genießen. Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler kommen inzwischen aus aller Welt nach Tiryns,<br />

das mit je<strong>der</strong> neuen Erkenntnis neue Fragen aufwirft und<br />

noch lange ein archäologische Großbaustelle bleiben wird, die<br />

Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften zusammenführt, um<br />

eine versunkene Kultur als Ganzes zu verstehen.<br />

Auf dem Weg zurück nach Athen kommt man wie<strong>der</strong> an Mykene<br />

vorbei. Es ist nicht mehr ganz das Mykene <strong>der</strong> Dichter, <strong>der</strong> mythisch<br />

überhöhte Ort, in <strong>der</strong> Dichtung geschaffen für eine Selbstvergewisserung<br />

aus <strong>der</strong> Vergangenheit. Es ist nun mehr das Mykene<br />

<strong>der</strong> Archäologen, die nicht nur die Pracht sehen, son<strong>der</strong>n auch<br />

den Preis, <strong>der</strong> dafür gezahlt wurde und die so „Mykene“ ein gutes<br />

Stück näher an die Gegenwart heranrücken.<br />

<br />

Mit großer Sorgfalt werden die „Kyklopischen“ Mauern<br />

von Tiryns restauriert.<br />

Der große Damm von Tiryns, heute kaum noch zu erkennen, war<br />

ein Meisterstück antiker Ingenieurskunst. Möglicherweise war er als<br />

letzte Großbaustelle auch <strong>der</strong> „Sargnagel“, <strong>der</strong> den Untergang des<br />

Palastes besiegelte, als die Katastrophe über Tiryns hereinbrach.<br />

REPORTAGE<br />

Im Zerstörungsschutt einer Werkstatt wurden Funde geborgen, die<br />

neue Perspektiven auf die Intensität <strong>der</strong> Kontakte von Tiryns nach<br />

Zypern und in die Levante eröffnen. Es fanden sich zahlreiche Objekte<br />

nahöstlicher Abkunft, darunter einzigartige Funde wie das Fragment<br />

eines Elfenbein-Stabes mit Keilschriftzeichen, <strong>der</strong> Kopf eines Affen<br />

o<strong>der</strong> des altorientalischen Dämons Humbaba und die erste außerhalb<br />

Zyperns und <strong>der</strong> nördlichen Levante gefundene Tonkugel mit<br />

zypro-minoischen Zeichen.<br />

1 2<br />

3<br />

1 und 2 Foto und Grafik: Kostoula<br />

3 Foto: Vetters<br />

64 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 65


STANDORT<br />

STANDORT<br />

Wort für Wort<br />

Die Kommission für<br />

Alte Geschichte<br />

und Epigraphik<br />

Schriftgelehrte und Entzifferer – so könnte<br />

man die Epigraphiker auch nennen. Historiker<br />

sind sie in jedem Fall, Spezialisten für<br />

Alte Geschichte und beson<strong>der</strong>s für diejenigen<br />

Aspekte des Fachs, die eine Brücke zur<br />

Archäologie schlagen. Griechische und lateinische<br />

Inschriften, Münzen und Papyri<br />

sind keineswegs ein abgeschlossener Kosmos.<br />

Sie zu entziffern heißt nicht nur, geduldig<br />

verwaschene Buchstaben zu lesen,<br />

son<strong>der</strong>n sie in ihren Kontexten <strong>der</strong> Sozial-,<br />

Politik- o<strong>der</strong> Wirtschaftsgeschichte <strong>der</strong><br />

Antike zu verorten und zum Sprechen zu<br />

bringen.<br />

Die Kommission wurde 1951 in München<br />

gegründet und 1967 dem Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong> angeglie<strong>der</strong>t. Der<br />

Auftrag zur interdisziplinären Arbeit stand<br />

von Anfang an im Mittelpunkt und hat seither<br />

nichts von seiner Aktualität verloren.<br />

Das Herz <strong>der</strong> Kommission ist ihre Bibliothek,<br />

die für ihre Schwerpunktgebiete zu<br />

den weltweit besten Einrichtungen gehört<br />

und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern<br />

aller Nationen frequentiert wird.<br />

Neben <strong>der</strong> Grundlagenforschung sind die<br />

Publikationen ein Markenzeichen <strong>der</strong><br />

Kommission: Die Zeitschrift »Chiron. Mitteilungen<br />

<strong>der</strong> Kommission für Alte Geschichte<br />

und Epigraphik des Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong>s« und die Reihe<br />

»Vestigia« sind feste Größen in <strong>der</strong> internationalen<br />

Alten Geschichte.<br />

Der För<strong>der</strong>ung des wissenschaftlichen<br />

Nachwuchses dient das Jacobi-Stipendium,<br />

das von <strong>der</strong> Elise und Annemarie Jacobi-Stiftung<br />

und <strong>der</strong> Gerda Henkel Stiftung<br />

finanziert wird. Es ermöglicht Doktorandinnen<br />

und Doktoranden meist zweimonatige<br />

Forschungsaufenthalte in <strong>der</strong> Bibliothek<br />

<strong>der</strong> Kommission und findet seit<br />

seiner Einführung im Jahr 2005 großes internationales<br />

Interesse. An ihrem Standort<br />

ist die Kommission in das Münchner Zentrum<br />

für Antike Welten (MZAW) eingebunden.<br />

Innerhalb dieser gemeinsamen<br />

Plattform <strong>der</strong> Münchner Altertumswissenschaften<br />

beteiligt sich die Kommission<br />

an dem fächerübergreifenden Promo-<br />

tionsprogramm Altertumswissenschaften<br />

(PAW) und <strong>der</strong> im Rahmen <strong>der</strong> Exzellenzinitiative<br />

bewilligten Graduiertenschule „Ferne<br />

Welten/Distant Worlds“. Wie an an<strong>der</strong>en<br />

Standorten des DAI auch sind die Mitarbeiter<br />

des Hauses in <strong>der</strong> universitären Lehre<br />

engagiert, insbeson<strong>der</strong>e an <strong>der</strong> Ludwig-<br />

Maximilians-Universität, zu <strong>der</strong> die Kommission<br />

enge Kontakte pflegt. <br />

ARCHÄOLOGIE WELT WEIT<br />

Die Standorte des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

Berlin<br />

Bonn<br />

München<br />

Frankfurt am Main<br />

Athen<br />

Istanbul<br />

Rom<br />

Lissabon<br />

Madrid<br />

Kairo<br />

Jerusalem<br />

Amman<br />

Sana‘a<br />

Peking<br />

Bagdad<br />

Damaskus<br />

Ulaanbaatar<br />

Teheran<br />

www.dainst.org/de/department/rgkinfo.rgk@dainst.de<br />

66 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 67


Unbekannte Größe<br />

Die Linse ist eine <strong>der</strong><br />

ältesten Kulturpflanzen <strong>der</strong><br />

Menschheitsgeschichte<br />

PANORAMA<br />

PANORAMA<br />

Zarte Pflanze mit gefie<strong>der</strong>ten Blättern auf anspruchslosem Boden: die Linse.<br />

Fotos: Neef<br />

Eine Bäuerin in Yeha in Äthiopien bei<br />

<strong>der</strong> Ernte. Linsen haben schwache<br />

Wurzeln und lassen sich daher leicht<br />

aus dem Boden ziehen.<br />

In Ain Gazhal fanden<br />

die Archäobotaniker<br />

riesige Mengen 10.000<br />

Jahre alter Linsen.<br />

Allein das ist schon ein<br />

Zeichen, dass es sich<br />

um Kultursorten und<br />

nicht um Wildarten<br />

handelte.<br />

Die Linse ist eine zarte Pflanze mit gefie<strong>der</strong>ten<br />

Blättern, bläulichweißen Blüten<br />

und schwachen Wurzeln. Linsen sind anspruchslos<br />

und gedeihen auf unterschiedlichen<br />

Böden, nur saure Böden und schwere<br />

Tonböden mögen sie nicht. Die meisten<br />

Kulturformen haben graubraune Samen –<br />

geschält sehen sie rötlich aus – , aber es<br />

gibt mit schwarzen, grünen und gelben<br />

Früchten auch farbenfrohere Formen.<br />

Wie alle Hülsenfrüchte sind Linsen enorm<br />

nahrhaft und gesund. In <strong>der</strong> Kombination<br />

mit Getreide können sie ohne weiteres<br />

Fleisch ersetzen, da sie alle wichtigen Aminosäuren<br />

mitbringen. Obwohl von den römischen<br />

Eliten wenig geschätzt und sogar<br />

biblisch geschmäht als Ausdruck für ein<br />

schlechtes Geschäft, ist ein „Linsengericht“<br />

also alles an<strong>der</strong>e als ein billiges Ausweichmanöver.<br />

Aber das ist noch nicht alles, was die kleinen<br />

runden Früchte können. „Linsen gehören<br />

zu den ältesten Kulturpflanzen <strong>der</strong><br />

Menschheit überhaupt“, erklärt Rein<strong>der</strong><br />

Neef, leiten<strong>der</strong> Archäobotaniker am Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong>. Die ältesten<br />

Funde stammen aus dem östlichen<br />

Mittelmeerraum. Über Süd-Ost-Europa kamen<br />

sie bis nach Mitteleuropa. „Wir haben<br />

sogar bronzezeitliche Linsenfunde aus<br />

Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Neef.<br />

Aber mittlerweile ist <strong>der</strong> Linsenanbau in<br />

Mitteleuropa völlig erloschen. Heute liegen<br />

die wichtigsten Anbaulän<strong>der</strong> <strong>der</strong> Linse<br />

traditionell in eher südlichen Regionen,<br />

zum Beispiel in Äthiopien, in <strong>der</strong> Türkei, im<br />

Iran, in Nordafrika und in Teilen Süd- und<br />

Westasiens.<br />

10.000 J A HRE<br />

Ain Ghazal ist eine Siedlung in <strong>der</strong> Nähe<br />

von Amman in Jordanien. Sie war ungefähr<br />

von 7500 v. Chr. bis 5000 v. Chr. bewohnt<br />

und gehört zu den ältesten Fundplätzen<br />

Ackerbau betreiben<strong>der</strong> Gesellschaften.<br />

„Akeramisches Neolithikum“ nennen die<br />

Archäologen diese Zeit. Mit 15 Hektar Ausdehnung<br />

war Ain Ghazal zudem zeitweise<br />

eine sehr große Siedlung, sie gehört zu den<br />

größten prähistorischen Siedlungen des<br />

Vor<strong>der</strong>en Orients überhaupt. Schon in den<br />

90er-Jahren fand Rein<strong>der</strong> Neef hier Linsen.<br />

Im ersten Moment drängt sich <strong>der</strong> Gedanke<br />

auf, dass es sich um wilde Formen gehandelt<br />

haben müsse. „Wir fanden Linsen<br />

in Massen – weit über 200.000 Stück“, erzählt<br />

Neef. Und allein das, erklärt <strong>der</strong> Archäobotaniker,<br />

ist schon ein Zeichen dafür,<br />

dass es sich um Kultursorten handelt. „Es<br />

handelte sich auch nicht um erste Experimente<br />

<strong>der</strong> Kultivierung, son<strong>der</strong>n um ausgereifte<br />

Zuchtsorten“, sagt Neef. Das gilt<br />

für die Linsen wie auch die an<strong>der</strong>en Kulturpflanzen,<br />

die man in Ain Ghazal fand. „Normalerweise<br />

sitzen bei Getreide o<strong>der</strong> bei<br />

Hülsenfrüchten die Körner ganz locker, damit<br />

sie auf die Erde fallen können“, beschreibt<br />

Neef die Eigenschaften <strong>der</strong> Wildarten.<br />

„Schließlich will die Pflanze sich<br />

vermehren.“ Das aber ist eine höchst unpraktische<br />

Eigenschaft, wenn man die Absicht<br />

hat, ein Nahrungsmittel daraus zu<br />

machen. Also haben die Menschen durch<br />

Selektion Sorten mit einer festen Ährenachse<br />

o<strong>der</strong> Schote gezüchtet.<br />

Ob und wie Menschen wilde o<strong>der</strong> kultivierte<br />

Pflanzen verwendeten, können die<br />

Archäobotaniker anhand botanischer<br />

Makroreste o<strong>der</strong> Pollen ermitteln. Diese<br />

Untersuchungen liefern verlässliche Indikatoren<br />

darüber, wie Menschen in prähistorischer<br />

Zeit natürliche Ressourcen nutzten,<br />

Kulturpflanzen und Landwirtschaft<br />

entwickelten und schließlich auch Handelswege<br />

etablierten.<br />

Hülsenfrüchte setzten den Domestikationsversuchen<br />

von Menschen wenig Wi<strong>der</strong>stand<br />

entgegen. Sie lassen sich schnell in<br />

Zuchtsorten verwandeln, was nicht nur<br />

botanisch interessant ist, son<strong>der</strong>n auch<br />

Schlüsse zulässt über die Lebensweise <strong>der</strong><br />

Menschen, die zu den ersten Ackerbauern<br />

gezählt werden müssen. In einer großen<br />

Siedlung lebten relativ viele Menschen, die<br />

alle ernährt werden mussten. Hülsenfrüch-<br />

te lassen sich gut lagern, und sie sind ausgesprochen<br />

nahrhaft. Linsen sind zwar etwas<br />

mühsam zu gewinnen, da die Schoten<br />

nicht mehr als ein, zwei o<strong>der</strong> drei Körner<br />

enthalten, aber sie lassen sich leicht ernten<br />

– die Pflanzen werden einfach aus <strong>der</strong> Erde<br />

gezogen. Das Grün gibt eiweißreiches<br />

Stroh fürs Vieh, und in <strong>der</strong> Wurzel sitzt ein<br />

Bakterium, das dafür sorgt, dass die Pflanze<br />

Stickstoff aus <strong>der</strong> Luft in den Boden einträgt<br />

– ein natürlicher Dünger.<br />

Wie die Linsen – ebenso wie Getreide kann<br />

man Hülsenfrüchte nicht roh essen – vor<br />

10.000 Jahren zubereitet wurden, wird<br />

wohl immer ein Rätsel bleiben. „Im präkeramischen<br />

Neolithikum gab es zum Kochen<br />

we<strong>der</strong> metallene noch keramische<br />

Gefäße“, sagt Neef. „Holz- o<strong>der</strong> Steingefäße<br />

sind ungeeignet. Was bleibt, sind Glutöfen,<br />

offene Feuerstellen o<strong>der</strong> heiße Steine als<br />

‚Backplatten’.“ Eine Alternative wäre das<br />

Tauchsie<strong>der</strong>prinzip, bei dem Wasser, Gemüse,<br />

Fleisch und Fett in Le<strong>der</strong>beutel gefüllt<br />

wurde, und <strong>der</strong>en Inhalt mit zugefügten<br />

heißen Steinen gegart wurde. „Was wir<br />

aber wissen, ist, dass auch nach fast 10.000<br />

Jahren die biologischen Funde eine Rekonstruktion<br />

<strong>der</strong> Lebensgrundlage und <strong>der</strong><br />

Umwelt <strong>der</strong> Menschen ermöglichen“, erklärt<br />

Rein<strong>der</strong> Neef.<br />

Im nächsten Jahr wird <strong>der</strong> Archäobotaniker<br />

wie<strong>der</strong> Proben nehmen in Ain Ghazal.<br />

Und auch danach wird man nur vermuten<br />

können, wie die Bewohner <strong>der</strong> frühen<br />

Siedlung ihre Linsen gegessen haben.<br />

Marcus Gavius Apicius, ein ausgewiesener<br />

römischer Feinschmecker aus dem ersten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t n. Chr., <strong>der</strong> Plinius dem Älteren<br />

gar als luxusbesessener Prasser galt,<br />

verschmähte die kleinen Hülsenfrüchte<br />

keineswegs. In seinem Kochbuch „De re coquinaria“<br />

(„Über die Kochkunst“) nennt er<br />

Rezepte, die zwar ziemlich raffiniert, aber<br />

immerhin „Linsengerichte“ sind. Dazu<br />

passt <strong>der</strong> botanische Name <strong>der</strong> gemeinen<br />

Linse ausgezeichnet: Lens culinaris. <br />

Drs. Rein<strong>der</strong> Neef leitet das Archäobotanische<br />

Labor im Naturwissenschaftlichen<br />

Referat des DAI.<br />

68 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 69


Klimaarchiv Baobab<br />

Ein alter Riese als Zeuge <strong>der</strong> Geschichte<br />

PANORAMA<br />

Der Baobab o<strong>der</strong> „Afrikanische Affenbrotbaum“ (Adansonia digitata) wird sehr groß und sehr alt. Er könnte Zeuge sein für lang vergangene<br />

Geschehnisse im alten Königreich Simbabwe.<br />

240 Kilometer südlich von Harare, <strong>der</strong><br />

Hauptstadt des heutigen Staates<br />

Simbabwe, liegt das einstige „Groß-<br />

Simbabwe“. Der Ort beherbergt<br />

spektakuläre Großbauten, <strong>der</strong>en Ruinen<br />

sich über eine Fläche von sieben<br />

Quadratkilometern ausdehnen, die<br />

Mauern sind aus Granitblöcken<br />

ohne Mörtel erbaut.<br />

Fotos: Slotta<br />

Innen ist er fast wie ein Schwamm, Ringe<br />

sind kaum zu erkennen. Als Gegenstand<br />

einer dendrochronologischen Untersuchung<br />

ist <strong>der</strong> Baobab eine echte Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />

Der Baumriese, bekannter als<br />

„Afrikanischer Affenbrotbaum“ (Adansonia<br />

digitata) aus <strong>der</strong> Familie <strong>der</strong> Malvengewächse,<br />

gehört zu den stammsukkulenten<br />

Pflanzen, das heißt, er lagert für schlechte<br />

Zeiten Wasservorräte in seinem mächtigen<br />

Stamm ein. Dies führt zu <strong>der</strong> eher<br />

schwamm artigen Konsistenz des Holzes.<br />

„Aber es geht“, sagt Karl-Uwe Heußner, <strong>der</strong><br />

am DAI das dendrochronologische Labor<br />

leitet. Die Wissenschaftler wollen herausfinden,<br />

ob sich <strong>der</strong> Baobab als Klimaarchiv<br />

eignet.<br />

Franziska Slotta und Dr. Karl-Uwe Heußner untersuchen,<br />

ob sich <strong>der</strong> Baobab als Klimaarchiv eignet.<br />

Gut ausgeprägte Jahrringe kennt je<strong>der</strong> von<br />

heimischen Bäumen. Mit ihrer Vermessung<br />

kann man die Wachstumsbedingungen für<br />

den Baum ablesen – gute Jahre ergeben<br />

breitere Ringe als schlechte Jahre, das<br />

heißt, die so gewonnenen Daten können<br />

weit in die Zeit zurückreichende Informationen<br />

zu Klimaverän<strong>der</strong>ungen ergeben.<br />

Durch die Überlagerung <strong>der</strong> Ringmuster<br />

vieler Bäume (Crossdating) entsteht eine<br />

gemittelte Baumringabfolge, die aufgrund<br />

<strong>der</strong> überlappenden Lebenszeiten <strong>der</strong> Bäume<br />

viele Jahrtausende abdecken kann.<br />

Auch das Alter verbauter Baumproben<br />

kann auf diese Art bestimmt werden.<br />

Durch Hölzer, die in archäologischen Grabungen<br />

geborgen werden, können solche<br />

Reihen weit in <strong>der</strong> Zeit zurückverfolgt werden.<br />

„Störfaktoren“ wie Nährstoffzufuhr,<br />

Arten-Konkurrenz, Brände o<strong>der</strong> Krankheiten<br />

werden mittels mathematischer Verfahren<br />

herausgerechnet.<br />

ENDE E INE R S TADT<br />

Es ist das alte Königreich Simbabwe, das<br />

die Wissenschaftler veranlasst, sich mit<br />

dem Baobab zu befassen. Heute ist Groß-<br />

Simbabwe ein archäologischer Platz, <strong>der</strong><br />

240 Kilometer südlich von Harare liegt, <strong>der</strong><br />

Hauptstadt des heutigen Staates Simbabwe.<br />

Der Ort beherbergt spektakuläre Großbauten,<br />

<strong>der</strong>en Ruinen sich über eine Fläche<br />

von sieben Quadratkilometern ausdehnen,<br />

die Mauern sind aus Granitblöcken ohne<br />

Mörtel erbaut. Archäologen fanden chinesische<br />

Importkeramik, Zeichen von Luxus<br />

und Pracht allenthalben. Die große Mauer<br />

hat eine Basis von fünf Metern, ist neun<br />

Meter hoch und 244 Meter lang. 18.000<br />

Menschen lebten hier. Bis ungefähr 1500 n.<br />

Chr. Dann wurde die prächtige Stadt aufgegeben,<br />

und bis heute ist nicht geklärt,<br />

warum dies geschah.<br />

Die Baobabs, die in <strong>der</strong> Stadt o<strong>der</strong> in ihrer<br />

Nähe stehen, waren schon da, als die Bewohner<br />

Groß-Simbabwe verließen. Bis zu<br />

2000 Jahre sollen sie alt werden, 1000 Jahre<br />

erreichen sie im Durchschnitt. Allein dies<br />

sichert ihnen einen Platz unter den Heiligtümern<br />

<strong>der</strong> Region. Darüber hinaus sind<br />

ihre Früchte nicht nur schmackhaft, son<strong>der</strong>n<br />

auch gesund und heilsam, und die<br />

Funktion als Wasserreserve macht sie außerdem<br />

schützenswert und verehrungswürdig.<br />

Könnte man also den mächtigen<br />

Bäumen durch dendrochronologische Untersuchungen<br />

ihre Wachstumsgeschichte<br />

entlocken, wären sie ein ideales Klimaarchiv.<br />

J AHRRINGE UNTE R UV- L ICHT<br />

Auch wenn man sie auf den ersten Blick<br />

nicht immer sieht: „Der Baobab hat auch<br />

Ringe“, sagt die Paläontologin Franziska<br />

Slotta, die mit einem Elsa-Neumann-Stipendium<br />

an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin<br />

ihre Doktorarbeit zum Baobab schreibt<br />

und dabei mit den DAI-Naturwissenschaftlern<br />

zusammenarbeitet. „Die Strukturen im<br />

Holz sind aber sehr schwer zu interpretieren.“<br />

Im Frühjahr 2011 nahm Franziska Slotta<br />

bereits Bohrkerne des Baobabs für ihre<br />

Masterarbeit. „Nach <strong>der</strong> Regenzeit waren<br />

die Stämme vollgesogen mit Wasser und<br />

die Bohrkerne sehr weich, fast wie Nudeln.“<br />

Doch unter UV-Licht können die Experten<br />

die Struktur des schwammartigen Gebildes<br />

„lesen“.<br />

Bei den holzanatomischen Untersuchungen<br />

kooperieren die Wissenschaftler mit<br />

dem Geoforschungszentrum Potsdam<br />

(GFZ), das auch bei <strong>der</strong> Beprobung vor Ort<br />

dabei war. „Langfristig sind wir in <strong>der</strong> Lage,<br />

die Klimageschichte des südlichen Afrika<br />

zu rekonstruieren“, erklärt Heußner. Möglicherweise<br />

lassen sich aus den Ergebnissen<br />

Rückschlüsse auf die Ursachen ziehen, warum<br />

die Stadt verlassen wurde. Bei ihren<br />

Untersuchungen betreten die DAI-Forscher<br />

Neuland. „Den Baobab als Klimaarchiv<br />

zu erschließen, ist Grundlagenforschung“,<br />

sagt Heußner. Das Potenzial des<br />

alten Riesen allerdings ist enorm. <br />

70 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 71


IMP R E SSUM<br />

Archäologie Weltweit<br />

Magazin des Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

1. Jahrgang / 2 · 2013<br />

DAS KLEINE BOOT Sophia gehört <strong>der</strong> Abteilung Madrid des<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s. Es liegt im Hafen von Mogador,<br />

einer kleinen Insel vor Essaouira an <strong>der</strong> marokkanischen Atlantikküste<br />

und erkundet die Insel auf den Spuren <strong>der</strong> Phönizier.<br />

Seit dem 9. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. wird das Mittelmeer zu einem<br />

grenzübergreifenden Raum, <strong>der</strong> die Küsten dreier Kontinente miteinan<strong>der</strong><br />

vereint. Die Phönizier waren aus ihrer Heimat Libanon<br />

aufgebrochen, durchsegelten das Meer, trieben Handel und ließen<br />

sich hier und da an den Küsten nie<strong>der</strong>. Diese Nie<strong>der</strong>lassungen werden<br />

zu pulsierenden Knotenpunkten unterschiedlicher Kulturen<br />

und Wirtschaftsräume – bis hin zum exotischen Mogador – am<br />

Rande <strong>der</strong> Antiken Welt.<br />

<br />

HERAUSGE B E R<br />

<strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong><br />

www.dainst.org<br />

TEXT, REDAKTION<br />

UND O RGANISATION<br />

Wortwandel Verlag<br />

Susanne Weiss (sw)<br />

weiss@wortwandel.de<br />

www.wortwandel.de<br />

GESTALTE RISCHE S K ONZEPT<br />

SCHÜTZ BRANDCOM Agentur für<br />

Markenkommunikation GmbH<br />

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www.schuetz-brandcom.de<br />

D RUCK<br />

H.Heenemann GmbH&Co.KG<br />

<br />

www.heenemann-druck.de<br />

VERTRIE B<br />

<strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong><br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Nicole Kehrer<br />

<br />

<br />

72 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT


In <strong>der</strong> nächsten Ausgabe von Archäologie Weltweit<br />

VERNETZTE WELTEN<br />

Land und Meer, Wege und Handel


Wenn wir unser<br />

kulturelles Erbe erhalten<br />

wollen, brauchen wir<br />

Ihre Unterstützung.<br />

Wie Sie uns helfen<br />

können, sehen Sie hier:<br />

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T WG<br />

Gesellschaft <strong>der</strong> Freunde des<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

Theodor Wiegand Gesellschaft e.V.<br />

Wissenschaftszentrum Bonn<br />

Ahrstraße 45, 53175 Bonn<br />

Dorothea Lange<br />

Tel.: +49 228 30 22 64<br />

Fax: +49 228 30 22 70<br />

lange@wzbonn.de<br />

Theodor Wiegand Gesellschaft<br />

Deutsche Bank AG, Essen<br />

Konto Nr. 247 194 400<br />

BLZ 360 700 50<br />

o<strong>der</strong><br />

Sparkasse Köln-Bonn<br />

Konto Nr. 290 058 08<br />

BLZ 370 501 98<br />

Ihre Spenden sind<br />

steuerbegünstigt.<br />

Der Zahn <strong>der</strong> Zeit nagt an den Antiken, unser Kulturerbe ist an vielen Stellen gefährdet.<br />

Der Naiskos des Agathon im Grabbezirk <strong>der</strong> Herakleoten an <strong>der</strong> Gräberstraße ist<br />

ein marmornes, giebelbekröntes Grabdenkmal, dessen Rückwand mit dem gemalten<br />

Bildnis des Agathon geschmückt war. U-Bahn-Bau und immer wie<strong>der</strong> starker Regen<br />

verursachten Schäden an <strong>der</strong> Bausubstanz.<br />

1863 war <strong>der</strong> Naiskos entdeckt worden – und stürzte noch im selben Jahr ein. Seit dem<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t wurden wie<strong>der</strong>holt Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt, doch<br />

inzwischen zeigen einige Metallteile aus früheren Sicherungsmaßnahmen starke Korrosionserscheinungen,<br />

<strong>der</strong> gesamte Naiskos ist nach vorne geneigt. Wasser kann von<br />

<strong>der</strong> Dachschräge nicht richtig abfließen, was wie<strong>der</strong>um die Korrosion verstärkt. Eine<br />

Reparatur, die nach dem Erdbeben von 1999 erfolgte, musste dringend ausgebessert<br />

werden, da einige <strong>der</strong> Bruchstücke des Naiskos unmittelbar absturzgefährdet waren.<br />

Die Arbeiten erfolgen im Rahmen einer umfangreichen Kampagne des DAI zur Restaurierung<br />

und dauerhaften Präsentation von Bodendenkmälern auf dem Kerameikos,<br />

die in den kommenden Jahren systematisch fortgesetzt werden soll. Das Grabdenkmal<br />

des Agathon werden die Archäologen für die Restaurierung vorsichtig in<br />

Teile zerlegen, im Gelände wird es durch eine Kopie ersetzt.<br />

Vielen Dank!<br />

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