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Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013<br />

M i g r a t i o n u n d I n t e g r a t i o n – I n f o<br />

M i g r a t i o n u n d I n t e g r a t i o n – I n f o<br />

Editorial<br />

<strong>Caritas</strong>-Kampagne „Familie<br />

schaffen wir nur geme<strong>in</strong>sam“<br />

Blickpunkt<br />

Die Lage von Familien mit<br />

Migrations h<strong>in</strong>tergrund<br />

Praxis<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien <strong>in</strong><br />

Geme<strong>in</strong> schafts unterkünften<br />

Nachgedacht<br />

Familienleben nur mit<br />

Sprachtest?<br />

Liebe Leser<strong>in</strong>nen und Leser,<br />

das <strong>in</strong>teresse an Familien hat <strong>in</strong> den vergangenen<br />

Jahren zugenommen und ist unter<br />

anderem mit der erwartung verbunden, dass<br />

die zukünftige entwicklung e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />

auch von den verfügbaren familiären<br />

ressourcen und der Gestaltungskraft der<br />

Familie abhängt. so werden Familien im<br />

7. Familienbericht als „<strong>in</strong>vestoren“ <strong>in</strong> die<br />

Zukunft e<strong>in</strong>es Geme<strong>in</strong>wesens gesehen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs wurden Zugewanderte und ihre<br />

Familien <strong>in</strong> der Vergangenheit vielfach<br />

anders, meist als „traditionelle Familien“<br />

und eher negativ wahrgenommen. Lange<br />

Zeit wurden sie mit blick auf e<strong>in</strong>e Anwerbepolitik,<br />

die nach dem Pr<strong>in</strong>zip der rota tion<br />

funktionierte, als hierzulande vorübergehendes<br />

Phänomen e<strong>in</strong>gestuft und gar nicht<br />

erst <strong>in</strong> politische strategien e<strong>in</strong>bezogen, sondern<br />

ignoriert. des Öfteren wurden sie als<br />

belastung des sozialen netzes und des bildungssystems<br />

gesehen. statt von ihnen zu<br />

profitieren, schien man nur <strong>in</strong> sie <strong>in</strong>vestieren<br />

zu müssen. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dritten Perspektive wurden<br />

sie als Teil e<strong>in</strong>er „Parallelgesellschaft“<br />

etikettiert, die sich von der Aufnahmegesellschaft<br />

abgrenze und e<strong>in</strong> eigenleben führe,<br />

das teilweise als unvere<strong>in</strong>bar mit den herrschenden<br />

Grundwerten e<strong>in</strong>er demokratisch<br />

verfassten Gesellschaft bewertet wurde. erst<br />

allmählich setzt vor dem H<strong>in</strong>tergrund des<br />

demografischen Wandels und im Zuge e<strong>in</strong>er<br />

Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013 1


lickpunkt<br />

nachholenden <strong>in</strong>tegration e<strong>in</strong> umdenken e<strong>in</strong>: Heute werden<br />

auch die entwicklungspotenziale von e<strong>in</strong>wanderung und damit<br />

auch die bedeutung der Förderung der Potenziale von Familien<br />

mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund gesehen.<br />

<strong>in</strong> deutschland leben etwa 15,5 Millionen Personen mit<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergrund. das entspricht e<strong>in</strong>em Anteil an der<br />

Gesamtbevölkerung von rund 19 Prozent. betrachtet man den<br />

Anteil der Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, denen m<strong>in</strong>destens<br />

e<strong>in</strong> m<strong>in</strong>derjähriges K<strong>in</strong>d angehört, liegt der Anteil bei rund<br />

29 Prozent deutlich höher. „Familie“ bedeutet für Migrant(<strong>in</strong> -<br />

n)en auf der e<strong>in</strong>en seite, ihre Herkunftskultur zu leben, und auf<br />

der anderen seite, gleichzeitig e<strong>in</strong>e Plattform für die Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit der Kultur der Aufnahmegesellschaft zu haben.<br />

dabei stellen sich e<strong>in</strong>e reihe von Fragen, die <strong>in</strong> dieser ersten<br />

Ausgabe 2013 der beilage „Migration und <strong>in</strong>tegration“ der neuen<br />

caritas beleuchtet werden: Wie ist die situation von Familien<br />

mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong> deutschland? Welchen stellenwert<br />

haben die Familien <strong>in</strong> der Migrations- beziehungsweise<br />

<strong>in</strong>tegrationspolitik? Wie s<strong>in</strong>d die regelungen zur Familienzusammenführung<br />

im europäischen Kontext zu bewerten? Welche<br />

spielräume haben Familien<br />

mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong><br />

deutschland, ihr Leben als<br />

Familie frei zu gestalten? diese<br />

und weitere Fragen, verbunden<br />

mit e<strong>in</strong>zelnen beispielen,<br />

werden <strong>in</strong> den folgenden beiträgen<br />

erörtert. der slogan der<br />

Jahreskampagne des deutschen<br />

<strong>Caritas</strong>verbandes 2013<br />

„Familie schaffen wir nur<br />

geme<strong>in</strong>sam“ ist auch e<strong>in</strong> Aufruf<br />

an die Politik, förderliche rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

für e<strong>in</strong> gel<strong>in</strong>gendes<br />

Familienleben Zugewanderter<br />

zu schaffen.<br />

ich wünsche e<strong>in</strong>e anregende Lektüre.<br />

Roland Fehrenbacher<br />

Referatsleiter K<strong>in</strong>der,<br />

Jugend, Familie, Generationen<br />

beim DCV <strong>in</strong> Freiburg<br />

E-Mail: roland.fehrenbacher<br />

@caritas.de<br />

Roland Fehrenbacher<br />

Forschung<br />

3 Situation von Familien mit<br />

Migrationsh<strong>in</strong>tergrund<br />

<strong>in</strong> welchem Verhältnis stehen Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund<br />

1 zu <strong>in</strong>tegration? Me<strong>in</strong>e These ist, dass <strong>in</strong>tegrationswünsche<br />

erst <strong>in</strong> zweiter L<strong>in</strong>ie an Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund<br />

zu richten s<strong>in</strong>d. denn <strong>in</strong>tegration kann nur so weit vorankommen,<br />

wie die aufnehmende Gesellschaft dazu bereit ist. die<br />

situation der Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong> der Aufnahmegesellschaft<br />

spiegelt daher die Qualität der <strong>in</strong>tegrationsverhältnisse<br />

wider.<br />

Das komplexe Generationenprojekt „Heimischwerden“<br />

das <strong>in</strong>teresse an Migrationsfamilien ist nicht selbstverständlich.<br />

sowohl die Migrationsforschung als auch die <strong>in</strong>tegrationspolitik<br />

haben Familie lange auffallend gemieden, obwohl ihr erhebliche<br />

bedeutung für den Migrations- und <strong>in</strong>tegrationsprozess zu -<br />

kommt. 2 im sechsten Familienbericht mit dem schwerpunkt auf<br />

Migrationsfamilien wurde festgestellt, dass das Ankommen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er neuen Gesellschaft e<strong>in</strong> „Generationenprojekt“ sei und Fa -<br />

milien daher e<strong>in</strong>e besondere bedeutung zukomme. 3 nun liegen<br />

die jahrzehntelangen Versäumnisse <strong>in</strong> der <strong>in</strong>tegrationspolitik<br />

offen. Fast erschrocken wurde zur Kenntnis genommen, dass<br />

mittlerweile 28,4 Prozent aller Familien Migrationsgeschichte<br />

haben: <strong>in</strong> Westdeutschland ist es sogar fast jede dritte Familie,<br />

im Osten s<strong>in</strong>d es 14 Prozent. 4 damit hat auch jedes dritte K<strong>in</strong>d<br />

e<strong>in</strong>en Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, von ihnen s<strong>in</strong>d 73 Prozent deutsche<br />

staatsangehörige. 5<br />

Anders als es Geme<strong>in</strong>plätze medialer debatten allzu häufig<br />

suggerieren, belegt die im Auftrag des bundesm<strong>in</strong>isteriums für<br />

Familie, Frauen, senioren und Jugend (bMFsFJ) durchgeführte<br />

Migranten-Milieu-studie des s<strong>in</strong>us-<strong>in</strong>stituts (2007/2008) e<strong>in</strong>e<br />

„bemerkenswerte Vielfalt von Lebensauffassungen und Lebensweisen“<br />

6 . die vorgefundenen Milieus bilden sich fast ebenso <strong>in</strong><br />

der Gesamtbevölkerung ab und verlaufen quer zu den Herkunftsländern.<br />

7 die <strong>in</strong> den Medien vielfach präsenten Migran -<br />

t(<strong>in</strong> n)engruppen aus der unterschicht mit Werthaltungen, die<br />

von e<strong>in</strong>em autoritären, patriarchalen Familialismus geprägt s<strong>in</strong>d,<br />

ließen sich zwar auch <strong>in</strong> der untersuchung rekonstruieren. diesem<br />

„religiös verwurzelten Milieu“ wurden aber lediglich sieben<br />

Prozent der repräsentativ befragten zugerechnet. 8<br />

Gleichwohl s<strong>in</strong>d Migrationsfamilien <strong>in</strong> bezug auf Lebensform,<br />

Wertorientierungen und erziehungsstile <strong>in</strong> der Tendenz<br />

konservativer als e<strong>in</strong>heimische Familien. sie zeigen e<strong>in</strong>e größere<br />

Wertschätzung von eheschließung, haben e<strong>in</strong>e höhere K<strong>in</strong>derzahl<br />

und frühere Geburten. 9 Feststellbar ist ebenso e<strong>in</strong>e<br />

höhere bedeutung (oft transnationaler) großfamiliärer netze.<br />

Weitere untersuchungen zu Wertorientierungen von Migran -<br />

2 Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013


lickpunkt<br />

t(<strong>in</strong>n)en <strong>in</strong> deutschland zeigen e<strong>in</strong>e Vielfalt von Vorstellungen<br />

zu Männlichkeits- und Weiblichkeitsmustern. 10 e<strong>in</strong>e schlichte<br />

Aufteilung <strong>in</strong> „modern“ und „traditionell“ wird den e<strong>in</strong>stellungen<br />

nicht gerecht. so sprechen sich etwa türkische Frauen stärker<br />

für e<strong>in</strong>e partnerschaftliche K<strong>in</strong>derbetreuung aus als Aussiedler<strong>in</strong>nen.<br />

diese wiederum halten berufstätigkeit von Frauen<br />

für ebenso wichtig wie den Familienbezug. 11<br />

Emanzipation als Gretchenfrage der Integration<br />

Wie gehen nun Politik und Praxis mit diesen komplexen <strong>in</strong>tegrationsbemühungen<br />

der Familien um? das tendenziell eher<br />

konservative Familienideal müsste weiten Teilen entgegenkommen.<br />

im Falle der Migrationsfamilien werden jedoch ger<strong>in</strong>ge<br />

Müttererwerbstätigkeit oder skepsis gegenüber frühzeitiger<br />

K<strong>in</strong>dertagesbetreuung als modernisierungsresistent und <strong>in</strong>tegrationshemmend<br />

beschrieben, als e<strong>in</strong> „Anlass zur sorge“ 12 . dasselbe<br />

M<strong>in</strong>isterium, das die e<strong>in</strong>führung des betreuungsgeldes<br />

vorantreibt, sieht als wesentliche Parameter für e<strong>in</strong>e gelungene<br />

<strong>in</strong>tegration bildungsaufstiege, mütterliche erwerbsarbeit und<br />

außerhäusliche K<strong>in</strong>dertagesbetreuung. Zwar wird auch im Falle<br />

der Migrant<strong>in</strong>nen von „Wahlfreiheit“ gesprochen, aber bedenklich<br />

seien „vielschichtige kulturell geprägte Vorstellungen von<br />

Frauen- und Mutterrollen, die der <strong>in</strong>dividuellen Wahlfreiheit entgegenstehen“<br />

13 .<br />

„Anlass zur sorge“ 14 geben Migrant<strong>in</strong>nen, die <strong>in</strong> ihren Familien<br />

nicht deutsch sprechen, nicht erwerbstätig s<strong>in</strong>d, „frühe“ und<br />

„mehrfache Mutterschaft“ aufweisen 15 , sich damit aber eigentlich<br />

entsprechend dem konservativen Mütterideal verhalten –<br />

e<strong>in</strong> aufschlussreicher Widerspruch.<br />

im <strong>in</strong>tegrationskonzept der bundesregierung wird an vielen<br />

stellen darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass die Akzeptanz der Grundwerte<br />

der Aufnahmegesellschaft e<strong>in</strong>e Voraussetzung für die Teilhabe<br />

und bleibeperspektive von Migrant(<strong>in</strong>n)en <strong>in</strong> deutschland<br />

ist. Hierbei wird stets Gleichberechtigung als wesentlicher<br />

Grundwert angegeben. 16 Auch <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>bürgerungstests spielen<br />

Genderbezüge <strong>in</strong>soweit e<strong>in</strong>e rolle, als damit „Modernität“<br />

abgefragt wird, etwa h<strong>in</strong>sichtlich der e<strong>in</strong>stellungen zu Mütter -<br />

erwerbstätigkeit oder Toleranz gegenüber Homosexuellen. da<br />

bekanntermaßen genau diese Fragen auch <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>heimischen<br />

bevölkerung durchaus umstritten s<strong>in</strong>d, wird an dieser stelle<br />

deutlich, dass Gender zur Gretchenfrage der <strong>in</strong>tegrationsdebatte<br />

gemacht wird. die Annahme traditioneller Geschlechter -<br />

regimes <strong>in</strong> Migrant(<strong>in</strong>n)enmilieus bestätigt sich <strong>in</strong> dieser Pauschalität<br />

nicht <strong>in</strong> den zitierten untersuchungen. dennoch wird<br />

immer wieder konstatiert: „Familien und <strong>in</strong>sbesondere die Mütter<br />

von heranwachsenden K<strong>in</strong>dern haben e<strong>in</strong>e schlüsselrolle im<br />

<strong>in</strong>tegrationsprozess“ 17 . daher wird der Fokus <strong>in</strong> besonderer Weise<br />

auf ihre erwerbsquoten und deutschkenntnisse, kurzum: ihre<br />

Modernität gelegt. Geschlechtergerechtigkeit wird zum Prüfste<strong>in</strong><br />

gel<strong>in</strong>gender <strong>in</strong>tegration – aufgestellt von jenen, die etwa<br />

e<strong>in</strong>e Frauenquote <strong>in</strong> der Privatwirtschaft ablehnen.<br />

Auch <strong>in</strong> Praxiskontexten etwa von Familienbildung und K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen<br />

zeigen sich bemerkenswerte Geschlechterdifferenzen<br />

<strong>in</strong> der um <strong>in</strong>tegration bemühten elternarbeit.<br />

untersuchungen im bereich Familienberatung und -bildung<br />

machen darauf aufmerksam, dass bei ger<strong>in</strong>gen deutschkenntnissen<br />

und damit e<strong>in</strong>hergehenden Verständigungsproblemen bei<br />

Müttern e<strong>in</strong>e deutliche Abwertung durch die pädagogischen<br />

Fachkräfte sichtbar wird. dagegen werden Väter vorwiegend <strong>in</strong><br />

ihren stärken wahrgenommen. Gleichzeitig werden Frauen <strong>in</strong><br />

traditionell weiblicher Arbeit bestärkt, etwa wenn für <strong>in</strong>ternationale<br />

Feste essensbeiträge angefragt werden. 18<br />

„Zweiheimisch“ werden – Aufgabe von Migrations -<br />

familien und E<strong>in</strong>heimischen<br />

unterm strich wird dreierlei deutlich. erstens s<strong>in</strong>d die vielseitigen,<br />

außerhalb und <strong>in</strong>nerhalb von Familien vollzogenen <strong>in</strong>tegrationsprozesse<br />

mit e<strong>in</strong>er je eigens<strong>in</strong>nigen balance von Tradierung<br />

und neuorientierung verbunden. durch die Verengung<br />

des <strong>in</strong>tegrationsdiskurses auf verkürzte, dem westlichen Vorbild<br />

angepasste, „emanzipierte“ Leitbilder können differenzierungen<br />

der „neuen deutschen“ nicht mehr wahrgenommen werden.<br />

dagegen könnten jene „Zweiheimischen“ 19 mit ihren<br />

hybriden identitätsmustern e<strong>in</strong>e produktive brücken- und Vermittlungsfunktion<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er globalisierten Welt e<strong>in</strong>nehmen. 20<br />

Hier zeigt sich zweitens, dass <strong>in</strong>tegration auch e<strong>in</strong>e Veränderung<br />

aufseiten der e<strong>in</strong>heimischen mit sich br<strong>in</strong>gt. die damit e<strong>in</strong>hergehenden<br />

Verunsicherungen und neuen Konkurrenzen brauchen<br />

e<strong>in</strong>en Ort des Aussprechens. schließlich zeigt sich, dass<br />

<strong>in</strong>tegrationsprobleme <strong>in</strong> aller regel mit wirtschaftlicher und<br />

sozialer not korrelieren. Chancen auf dem Arbeitsmarkt und<br />

bildungsaufstiege beugen rückwärtsgewandten Traditionalisierungen<br />

vor. die situation von Migrationsfamilien wird also<br />

wesentlich von den rahmenbed<strong>in</strong>gungen, <strong>in</strong> denen sie sich<br />

bef<strong>in</strong>den, bestimmt.<br />

Prof. Dr. Barbara Thiessen<br />

Lehrgebiet Gendersensible Soziale Arbeit<br />

an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Landshut<br />

Anmerkungen<br />

1. Zu den Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund zählen alle Eltern-K<strong>in</strong>d-<br />

Geme<strong>in</strong>schaften, bei denen m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Elternteil e<strong>in</strong>e ausländische<br />

Staatsangehörigkeit besitzt oder die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

durch E<strong>in</strong>bürgerung oder – wie im Fall der Spätaussiedler – durch<br />

e<strong>in</strong>bürgerungsgleiche Maßnahmen erhalten hat.<br />

2. ThiESSEn, Barbara: „Anlass zur Sorge“? Diskurse zu Geschlecht,<br />

Familie und Migration. <strong>in</strong>: KEDDi, Barbara; JurcZyK, Kar<strong>in</strong> (hrsg.):<br />

Gender und Familie. (un)klare Verhältnisse. Opladen : Verlag Barbara<br />

Budrich (im Druck).<br />

3. BunDESM<strong>in</strong>iSTEriuM Für FAMiliE, FrAuEn, SEniOrEn unD JuGEnD<br />

(BMFSFJ): Sechster Familienbericht. Familien ausländischer herkunft<br />

<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>. Bonn, 2000.<br />

Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013 3


thema<br />

4. STATiSTiSchES BunDESAMT: Familienland <strong>Deutschland</strong>. Wiesbaden,<br />

2008.<br />

5. BMFSFJ: Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund. lebenssituation,<br />

Erwerbsbeteiligung und Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie und Beruf. Berl<strong>in</strong>,<br />

2010a.<br />

6. WippErMAnn, carsten; FlAiG, Berthold Bodo: lebenswelten von<br />

Migrant<strong>in</strong>nen und Migranten. <strong>in</strong>: Aus politik und Zeitgeschichte, heft<br />

5/2009, S. 3–11, S. 5.<br />

7. Ebd., S. 7.<br />

8. Ebd., S. 10.<br />

9. hElFFErich, cornelia; Kl<strong>in</strong>DWOrTh, heike; KruSE, Jan: frauen leben<br />

– Familienplanung und Migration im lebenslauf. E<strong>in</strong>e Studie im<br />

Auftrag der BZgA. Köln: BZgA, 2011.<br />

10. BMFSFJ: Ehe, Familie, Werte. Migrant<strong>in</strong>nen und Migranten <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong>. Berl<strong>in</strong>, 2010b.<br />

11. Ebd., S. 19.<br />

12. BMFSFJ 2010a, a.a.O., S. 97.<br />

13. Ebd., S. 75.<br />

14. Ebd., S. 97.<br />

15. Ebd., S. 98.<br />

16. BunDESM<strong>in</strong>iSTEriuM DES <strong>in</strong>nErn: Migration und <strong>in</strong>tegration. Aufenthaltsrecht,<br />

Migrations- und <strong>in</strong>tegrationspolitik <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>. Berl<strong>in</strong>,<br />

2005, S. 104.<br />

17. BMFSFJ 2010a, a.a.O., S. 13.<br />

18. lüTErS, rosemarie; rOMppEl, Joachim; SchrEiEr, Maren: Fremdheit<br />

überw<strong>in</strong>den – Zusammenarbeit gestalten : e<strong>in</strong> praxisleitfaden für<br />

die Arbeit mit Müttern und Vätern <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen. hannover,<br />

2011.<br />

19. SpOhn, cornelia (hrsg.): „Zweiheimisch“. Bikulturell <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.<br />

Bonn, 2007.<br />

20. FOrOuTAn, naika; SchäFEr, isabell: hybride identitäten muslimischer<br />

Migranten. <strong>in</strong>: Aus politik und Zeitgeschichte, heft 5/2009,<br />

S. 11–18.<br />

Impressum<br />

neue caritas Migration und Integration – Info<br />

PO LI TIK PRA XIS FOR SCHUNG<br />

Re dak ti on: Roberto Albor<strong>in</strong>o (ver ant wort lich), Stefan Peetz, Klemens Bögner,<br />

Karls tra ße 40, 79104 Frei burg<br />

Re dak ti ons sek re ta ri at:<br />

Catia Mazzocchi, Tel. 0761/200-511, Fax: 200-211<br />

E-Mail: migration.<strong>in</strong>tegration@ca ri tas.de<br />

Ver trieb: Ru pert We ber<br />

Tel. 0761/200-420, Fax: 200-509, E-Mail: zeitschriftenvertrieb@ca ri tas.de<br />

Ti tel fo to: Rob/Fotolia.com<br />

Nach druck und elekt ro ni sche Ver wen dung nur mit schrift li cher Ge neh mi gung.<br />

He raus ge ge ben vom Referat Migration und Integration, Deutscher<br />

<strong>Caritas</strong>verband e.V. <strong>in</strong> Frei burg<br />

Aufenthaltsrecht<br />

3 Familienzusammenführung<br />

<strong>in</strong> Europa<br />

bei der Familienzusammenführung (FZF) ist das recht der<br />

europäischen union (eu) <strong>in</strong> dreifacher H<strong>in</strong>sicht zu beachten:<br />

n unmittelbar, soweit es für bestimmte Gruppen Zusammenzuführender<br />

gegenüber dem nationalen recht vorrangige regelungen<br />

enthält, <strong>in</strong>sbesondere für unionsbürger(<strong>in</strong> nen),<br />

n mittelbar, weil es <strong>in</strong>sbesondere mit der Familienzusammenführungsrichtl<strong>in</strong>ie<br />

(FZF-rL) 1 Garantien normiert, die die<br />

Mitgliedstaaten der eu bei der regelung der Familienzusammenführung<br />

nicht unterschreiten dürfen, und<br />

n mittelbar, <strong>in</strong>dem es die Auslegung des nationalen rechts<br />

bestimmt.<br />

Beispiel:<br />

Heiratet e<strong>in</strong> deutscher e<strong>in</strong>e drittstaatsangehörige 2 , die für ihr –<br />

ebenfalls drittstaatsangehöriges – K<strong>in</strong>d alle<strong>in</strong>e sorgeberechtigt<br />

ist, muss die ehefrau für die erteilung e<strong>in</strong>er familiären Aufenthaltserlaubnis<br />

bestimmte Voraussetzungen erfüllen. erhält sie<br />

mangels deutschkenntnissen ke<strong>in</strong>e oder nur e<strong>in</strong>e Aufenthaltserlaubnis<br />

aus humanitären Gründen gemäß § 25 AufenthG,<br />

scheidet e<strong>in</strong> nachzug des K<strong>in</strong>des zur Mutter aus, siehe § 29 Abs. 1<br />

und Abs. 3 satz 3 AufenthG. darf das K<strong>in</strong>d aber zum deutschen<br />

stiefvater zuziehen?<br />

Privilegierte Personengruppen<br />

dem regelungsregime des nationalen Gesetzgebers entzogen ist<br />

die FZF zu Freizügigkeitsberechtigten. so werden unionsbürger(<strong>in</strong>nen)<br />

bezeichnet, die von ihrem recht auf Freizügigkeit<br />

durch e<strong>in</strong>en umzug <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen Mitgliedstaat Gebrauch<br />

gemacht haben. sie s<strong>in</strong>d privilegiert zu behandeln und haben,<br />

jedenfalls wenn sie erwerbstätig s<strong>in</strong>d, das unbed<strong>in</strong>gte recht auf<br />

Zusammenleben mit ihren Familienangehörigen. dieses recht<br />

kann nur unter außergewöhnlichen umständen e<strong>in</strong>geschränkt<br />

werden, beispielsweise wegen nicht unerheblicher Gefährdung<br />

der öffentlichen sicherheit durch die wiederholte begehung von<br />

straftaten. Als Familienangehörige <strong>in</strong> diesem s<strong>in</strong>ne gelten auch<br />

K<strong>in</strong>der des ehegatten bis zum 21. Geburtstag. 3<br />

Hätte im beispielsfall der stiefvater se<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> Frankreich,<br />

Polen oder spanien, dürften sowohl die ehefrau als auch<br />

das K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>er ehefrau ohne weiteres zu ihm ziehen. Lebt der<br />

stiefvater h<strong>in</strong>gegen <strong>in</strong> deutschland, gilt das unionsrecht für ihn<br />

nicht unmittelbar, und er kann sich für den nachzug des K<strong>in</strong>des<br />

hierauf nicht direkt berufen.<br />

Nicht privilegierte Zusammenzuführende<br />

schwieriger als der nachzug zu e<strong>in</strong>em Privilegierten gestaltet<br />

sich der nachzug zu e<strong>in</strong>em drittstaatsangehörigen. Maßgeblich<br />

4<br />

Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013


thema<br />

Härtefallregelung beim Ehegattennachzug zu Deutschen<br />

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 4. September 2012<br />

entschieden, dass der Ehegattennachzug zu Deutschen auch<br />

ohne Deutschkenntnisse des nachziehenden Ehegatten möglich<br />

se<strong>in</strong> muss (10 C 12.12), wenn Bemühungen um den<br />

Spracherwerb unzumutbar s<strong>in</strong>d. Letzteres wird aber, da sprechen<br />

schon die ersten Stellungnahmen der Auslandsvertretungen<br />

e<strong>in</strong>e deutliche Sprache, die absolute Ausnahme se<strong>in</strong>. Weiter<br />

bedeutet das, dass zwar bei Unzumutbarkeit e<strong>in</strong> Visum<br />

zum Ehegattennachzug zu erteilen ist. Nach der E<strong>in</strong>reise muss<br />

sich der Ehegatte aber – weiterh<strong>in</strong> – um Deutschkenntnisse<br />

bemühen, da er anderenfalls nur e<strong>in</strong>e humanitäre Aufenthaltserlaubnis<br />

erhält.<br />

Dr. Elke Tießler-Marenda<br />

hierfür s<strong>in</strong>d die vom nationalen Gesetzgeber – <strong>in</strong> deutschland:<br />

§§ 27 bis 36 AufenthG – aufgestellten Kriterien unter berücksichtigung<br />

der FZF-rL. Für den nachzug müssen sowohl der<br />

Zusammenzuführende als auch der Familienangehörige zahlreiche<br />

Voraussetzungen erfüllen: <strong>in</strong>sbesondere muss grundsätzlich<br />

ausreichendes e<strong>in</strong>kommen vorhanden se<strong>in</strong>, das Visumverfahren<br />

muss e<strong>in</strong>gehalten werden, und es dürfen ke<strong>in</strong>e Ausweisungsgründe<br />

vorliegen.<br />

Auch nach der FZF-rL gehören stiefk<strong>in</strong>der zur Kernfamilie<br />

e<strong>in</strong>es/e<strong>in</strong>er jeden drittstaatsangehörigen und haben Anspruch<br />

auf Zuzug. 4 die bundesregierung stellt dies ausdrücklich <strong>in</strong> Abrede<br />

5 und sieht ke<strong>in</strong>en Änderungsbedarf für das nationale recht,<br />

obwohl stiefk<strong>in</strong>der dort an ke<strong>in</strong>er stelle erwähnt oder gar privilegiert<br />

werden. deren rechte müssen daher <strong>in</strong> jedem e<strong>in</strong>zelfall<br />

mittels richtl<strong>in</strong>ienkonformer Auslegung von § 36 Abs. 2 AufenthG<br />

geltend gemacht und gegebenenfalls durchgesetzt werden.<br />

Nachzug zu Deutschen<br />

Zwischen dem nahezu une<strong>in</strong>geschränkten recht von unionsbürger(<strong>in</strong>ne)n<br />

auf Zusammenleben mit ihren Familienangehörigen<br />

und dem von erheblichen e<strong>in</strong>schränkungen geprägten recht<br />

drittstaatsangehöriger steht das recht deutscher staatsangehöriger.<br />

Obwohl jeder deutsche unionsbürger ist, sollen die für<br />

Freizügigkeitsberechtigte geltenden Vergünstigungen für ihn nur<br />

gelten, wenn er von se<strong>in</strong>em Freizügigkeitsrecht Gebrauch<br />

gemacht hat – also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en anderen Mitgliedstaat umgezogen<br />

ist. Andernfalls obliegt es dem deutschen Gesetzgeber, den<br />

Zuzug se<strong>in</strong>er Familienangehörigen zu regeln.<br />

nach derzeit geltendem recht muss deshalb beispielsweise<br />

der ehegatte e<strong>in</strong>er deutschen, anders als der e<strong>in</strong>er sonstigen <strong>in</strong><br />

deutschland lebenden unionsbürger<strong>in</strong>, vor dem nachzug <strong>in</strong><br />

aller regel über ausreichende deutschkenntnisse verfügen und<br />

<strong>in</strong>sbesondere das Visumverfahren e<strong>in</strong>halten.<br />

e<strong>in</strong> Zuzugsrecht von stiefk<strong>in</strong>dern deutscher ist nirgends normiert.<br />

ihr Anspruch kann zwar, wie bei drittstaatsangehörigen,<br />

auf e<strong>in</strong>e richtl<strong>in</strong>ienkonforme Auslegung der §§ 28 Abs. 4, 36<br />

Abs. 2 AufenthG gestützt werden. dem Wortlaut der normen<br />

nach steht der Zuzug aber im freien ermessen der behörde und<br />

müsste außerdem zur Vermeidung e<strong>in</strong>er außergewöhnlichen<br />

Härte erforderlich se<strong>in</strong>.<br />

Gerechtfertigte Schlechterstellung Deutscher?<br />

diese „<strong>in</strong>länderdiskrim<strong>in</strong>ierung“ wird <strong>in</strong> deutschland zwar bislang<br />

weitgehend für zulässig erachtet. bedenkt man, dass sogar<br />

solche Familienangehörige vom Zuzug ausgenommen wurden,<br />

denen nach der FZF-rL e<strong>in</strong> unbed<strong>in</strong>gtes recht auf Zuzug zu<br />

e<strong>in</strong>em nicht privilegierten drittstaatsangehörigen zusteht –<br />

stiefk<strong>in</strong>der nämlich – und der Zuzugsanspruch der Verwirklichung<br />

e<strong>in</strong>es Grund- und Menschenrechts sowie dem Wohl des<br />

K<strong>in</strong>des dient, lässt sich diese diskrim<strong>in</strong>ierung me<strong>in</strong>es erachtens<br />

nicht mehr rechtfertigen.<br />

Zwar kann das recht auf Familienzuzug vor Gericht durchgesetzt<br />

werden. Allerd<strong>in</strong>gs ist e<strong>in</strong> jahrelanger rechtsstreit vorgezeichnet<br />

und damit e<strong>in</strong> ebenso langes Getrenntleben der<br />

Familienangehörigen. es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich die<br />

belastungen auszumalen, denen e<strong>in</strong>e Familie durch e<strong>in</strong> erzwungenes<br />

jahrelanges Getrenntleben ausgesetzt ist. selbst wenn der<br />

Anspruch letztlich anerkannt wird, ist die Familie oft nicht mehr<br />

<strong>in</strong>takt. Mehr als e<strong>in</strong> rechtsstreit hilft deshalb gelegentlich das<br />

Wissen, dass bestimmte rechte <strong>in</strong> anderen Mitgliedstaaten<br />

geachtet werden und e<strong>in</strong> umzug dorth<strong>in</strong> der realisierung der<br />

Familiene<strong>in</strong>heit dienlich ist. so wird der deutsche nach e<strong>in</strong>em<br />

umzug nach Frankreich als Freizügigkeitsberechtigter ke<strong>in</strong>e<br />

schwierigkeiten haben, se<strong>in</strong> stiefk<strong>in</strong>d zu sich zu holen. 6 Manche<br />

FZF kann deshalb nur <strong>in</strong> europa, aber außerhalb deutschlands<br />

stattf<strong>in</strong>den, solange die <strong>in</strong>länderdiskrim<strong>in</strong>ierung nicht beendet<br />

wird.<br />

RA Thomas Oberhäuser, Ulm<br />

Anmerkungen<br />

1. richtl<strong>in</strong>ie 2003/86/EG vom 22. September 2003.<br />

2. Ke<strong>in</strong>e Bürger<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Mitgliedstaats der Eu beziehungsweise des<br />

Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz.<br />

3. Art. 2 nr. 2 lit. c) der richtl<strong>in</strong>ie 2004/38/EG vom 29. April 2004<br />

geht § 4 Abs. 2 nr. 1 FreizügG/Eu vor.<br />

4. Zuletzt: EuGh, urteil vom 6.12.2012, rs. c-356/11 u.a. http://curia.europa.eu<br />

5. Bundestags-Drucksache 17/10442, Antwort auf Frage 19.<br />

6. und se<strong>in</strong>er Ehefrau steht <strong>in</strong> Frankreich auch ke<strong>in</strong>e nur „humanitäre“<br />

Aufenthaltserlaubnis, sondern e<strong>in</strong> angemessenes Aufenthaltsrecht<br />

zu!<br />

Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013 5


praxis<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gshilfe<br />

3 Familien <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schafts -<br />

unterkünften<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien leben nach dem Auszug aus e<strong>in</strong>er erstaufnahme-e<strong>in</strong>richtung<br />

oft <strong>in</strong> sogenannten Geme<strong>in</strong>schaftsunterkünften<br />

(Gus), bevor sie Privatwohnungen beziehen können.<br />

Auch wenn e<strong>in</strong>e Gu mancherorts als wichtiger Übergangsort der<br />

menschenwürdigen Aufnahme und <strong>in</strong>tegration von Familien dienen<br />

kann, treffen zentrale Kritikpunkte auf viele Gus zu: Häufig<br />

handelt es sich um alte Kasernenkomplexe, Plattenbauten,<br />

um Hochhäuser <strong>in</strong> <strong>in</strong>dustriegebieten, am stadtrand. die dezentrale<br />

Lage beh<strong>in</strong>dert die soziale Teilhabe der bewohner(<strong>in</strong>nen),<br />

die <strong>in</strong>frastruktur im umfeld ist schlecht und er schwert den<br />

Zugang zu sozialen Angeboten und beratung, Gesundheitsdiensten<br />

und Ämtern. dazu kommt oft e<strong>in</strong>e hohe belegungsdichte<br />

– Konflikte zwischen den bewohner(<strong>in</strong>ne)n s<strong>in</strong>d dann<br />

unumgänglich. die Gebäude s<strong>in</strong>d bisweilen <strong>in</strong> schlechtem Zu -<br />

stand, die hygienischen standards ungenügend. K<strong>in</strong>derspezifische<br />

Angebote halten sich <strong>in</strong> überschaubarem rahmen.<br />

umso wichtiger ist es, die Gus selbst – so die Menschen nicht<br />

bereits früher <strong>in</strong> Privatwohnungen ziehen können –, aber auch<br />

den sozialraum, <strong>in</strong> dem sie verortet s<strong>in</strong>d, verantwortungsvoll zu<br />

gestalten. dazu s<strong>in</strong>d bestimmte standards bezüglich der räumlichkeiten<br />

und des Fachpersonals sowie der Handlungskonzepte<br />

geboten: Wichtig s<strong>in</strong>d etwa e<strong>in</strong>e ausreichende Gesundheitsversorgung,<br />

bildungsmöglichkeiten für K<strong>in</strong>der und Jugendliche, die<br />

spracherwerbs- und sozialpädagogischen Angebote sowie sozialberatung,<br />

um Teilhabechancen zu fördern. nur so ist es möglich,<br />

dass sich das Leben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gu besonders für traumatisierte<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien etwas stabilisierend auswirken kann.<br />

NACHGEFRAGT<br />

Hiltrud Stöcker-Zafari über b<strong>in</strong>ationale Familien<br />

Ihr Verband b<strong>in</strong>ationaler Familien<br />

und Partnerschaften (iaf) feierte<br />

2012 se<strong>in</strong> 40-jähriges Jubiläum.<br />

In welchem Kontext wurde er gegründet?<br />

Die Gründung erfolgte im Nachgang<br />

zu den Olympischen Spielen<br />

1972 <strong>in</strong> München. Nach dem Anschlag<br />

auf das israelische Team<br />

wurden zahlreiche Paläst<strong>in</strong>enser<br />

aus <strong>Deutschland</strong> ausgewiesen,<br />

weil sie Mitglieder e<strong>in</strong>es paläst<strong>in</strong>ensischen<br />

Studentenvere<strong>in</strong>s waren.<br />

Sie hatten ke<strong>in</strong>e Chance gehabt, den Rechtsweg zu gehen,<br />

und es hatte auch ke<strong>in</strong>e Relevanz, ob sie deutsche Familienangehörige<br />

hatten. Daraufh<strong>in</strong> schlossen sich e<strong>in</strong>ige betroffene<br />

Ehefrauen mit deutscher Staatsbürgerschaft zusammen, weil<br />

sie geme<strong>in</strong>sam erreichen wollten, dass ihre Männer bei ihren<br />

Ehefrauen und Familien bleiben beziehungsweise wieder e<strong>in</strong>reisen<br />

durften. Ziel des Zusammenschlusses war es, die Familie zu<br />

schützen.<br />

Um welche Probleme handelte es sich dabei?<br />

Es gab etwa ke<strong>in</strong>e rechtliche Aufenthaltssicherung für ausländische<br />

Männer deutscher Frauen; ihr Zugang zum Arbeitsmarkt<br />

war nicht geregelt. Außerdem besaßen die K<strong>in</strong>der aus diesen b<strong>in</strong>ationalen<br />

Ehen nur die Staatsbürgerschaft des Vaters und unterstanden<br />

somit dem damaligen deutschen Ausländergesetz.<br />

In zivilrechtlichen Fragen galt damals schließlich für die Frauen<br />

das Heimatrecht ihrer ausländischen Ehemänner. Darüber h<strong>in</strong>aus<br />

wurde schnell klar, dass es sich gleichzeitig um Fragen der<br />

Geschlechtergleichstellung handelte. So hatten deutsche Männer<br />

mit ausländischen Ehefrauen deutlich ger<strong>in</strong>gere Probleme<br />

mit den Behörden, und ihre Frauen erlangten schneller e<strong>in</strong>en gesicherten<br />

Aufenthaltsstatus oder die deutsche Staatsbürgerschaft.<br />

Der Vere<strong>in</strong> hieß dementsprechend anfangs „Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

der mit Ausländern verheirateten Frauen“.<br />

Inwiefern änderte sich <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten die Problemlage<br />

b<strong>in</strong>ationaler Familien?<br />

K<strong>in</strong>der erhalten nun die deutsche Staatsangehörigkeit auch über<br />

die deutsche Mutter. Heute gilt der une<strong>in</strong>geschränkte Zugang<br />

zum Arbeitsmarkt bei der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis,<br />

und nach der Reform des Internationalen Privatrechts unterstehen<br />

deutsche Frauen nicht mehr dem Heimatrecht des Mannes.<br />

Ungleich schwieriger gestaltet sich noch die Situation b<strong>in</strong>ationaler<br />

Partnerschaften ohne Trausche<strong>in</strong>. Unverheiratete Partner<br />

können ke<strong>in</strong>e Aufenthaltserlaubnis bekommen. Sie haben somit<br />

nicht die Möglichkeit, den Beziehungsalltag geme<strong>in</strong>sam auszuprobieren.<br />

Ihnen wird der Hochzeitsterm<strong>in</strong> buchstäblich diktiert.<br />

Durch die Globalisierung haben sich zudem die Beziehungsformen<br />

stark verändert. Mithilfe neuer Kommunikationsmittel werden<br />

noch mehr grenzüberschreitende Partnerschaften geführt<br />

als früher. Unsere Herausforderung ist deshalb zunehmend die<br />

Frage, wie mit transnationalen Partnerschaften umgegangen<br />

wird und welche Bedürfnisse sie haben. Das Gesetz geht nach<br />

6 Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013


praxis<br />

Ziel muss es se<strong>in</strong>, Familien schon hier auf dem Weg zum eigenverantwortlichen<br />

Leben zu begleiten. Anschließend ist e<strong>in</strong><br />

durchdachtes „Auszugsmanagement“ für den Wechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

neue umgebung notwendig. das sozialarbeiterische Fachpersonal<br />

der Gu sollte hier se<strong>in</strong>e erfahrungen e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen können, da<br />

es die Problemlagen und regelungsbedarfe der Familien kennt.<br />

Das <strong>Caritas</strong>-Wohnheim für Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> Hannover<br />

die genannten standards zu berücksichtigen ist Anliegen des<br />

<strong>Caritas</strong>verbandes Hannover, <strong>in</strong> dessen Trägerschaft sich seit 1992<br />

e<strong>in</strong>e Gu mit 65 Plätzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er um 1900 erbauten schule bef<strong>in</strong>det.<br />

im unterschied zu den meisten anderen Gus liegt sie <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Wohngebiet. e<strong>in</strong>ige der 45 Quadratmeter großen ehemaligen<br />

Klassenzimmer wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelzimmer unterteilt, um<br />

mehr Privatsphäre zu schaffen. Mit folgenden schwerpunkten ist<br />

der <strong>Caritas</strong>verband Hannover <strong>in</strong> der Gu tätig:<br />

n Familien- und Jugendhilfeangebot<br />

seit 2010 besteht <strong>in</strong> Absprache mit dem Fachbereich Jugend und<br />

Familie der stadt Hannover e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit, an der andere<br />

Träger im rahmen e<strong>in</strong>es Kontraktmanagements beteiligt s<strong>in</strong>d.<br />

unter dem Präventionsaspekt wurde die niederschwellige Förderung<br />

von K<strong>in</strong>dern, Jugendlichen und ihren eltern unter e<strong>in</strong>beziehung<br />

ambulanter erziehungshilfen konzipiert. Von der<br />

stadt f<strong>in</strong>anziert, dient sie der nachhaltigen stabilisierung der<br />

K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Familie, schule und Freizeit. im wöchentlichen „Frauencafé“<br />

können sich zudem bewohner<strong>in</strong>nen kennenlernen und<br />

geme<strong>in</strong>same Aktivitäten planen und umsetzen, um mit dem alltäglichen<br />

Leben <strong>in</strong> Hannover vertraut zu werden.<br />

n Hausaufgabenhilfe sowie Spiel- und Lernangebote<br />

unter anderem mit Hilfe ehrenamtlicher bietet der <strong>Caritas</strong>verband<br />

tägliche Hausaufgabenhilfe für junge bewohner(<strong>in</strong>nen) an.<br />

wie vor davon aus: Jemand reist e<strong>in</strong> – und bleibt dann hier. Die<br />

Realität sieht jedoch anders aus: Viele Familien wandern e<strong>in</strong>,<br />

bleiben vielleicht e<strong>in</strong>e Weile, ziehen schließlich weiter oder kehren<br />

zurück.<br />

Wie sieht Ihre Arbeit auf der politischen sowie auf der regionalen<br />

Ebene beziehungsweise vor Ort aus?<br />

Wir haben neben unserer Zentrale <strong>in</strong> Frankfurt am Ma<strong>in</strong> momentan<br />

25 Gruppen im Bundesgebiet, wobei nur neun davon <strong>in</strong><br />

hauptamtlicher Hand s<strong>in</strong>d. Ehrenamtliches Engagement ist also<br />

nach wie vor e<strong>in</strong>e tragende Säule unseres Verbandes.<br />

Die Beratungsarbeit geschieht vorrangig <strong>in</strong> den regionalen<br />

Gruppen. Hier stehen oft rechtliche Themen im Vordergrund, daneben<br />

aber auch psychosoziale Aspekte, die aus familiären<br />

Konflikten wie Trennung oder Scheidung resultieren. Die Gruppen<br />

halten unterschiedliche Angebote vor wie K<strong>in</strong>dergruppen<br />

oder Gesprächskreise mit Selbsthilfecharakter. Wir veranstalten<br />

Tagungen zu Fragen der Migration und Integration, zur Mehrsprachigkeit<br />

oder zur Erziehungskompetenz. Die Bundesstelle<br />

bündelt die Erfahrungen aus der Praxis und bereitet sie für das<br />

Lobby<strong>in</strong>g und die Öffentlichkeit auf. Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> familien- und migrationspolitischen<br />

Gremien tätig und machen auf aktuelle Themen<br />

und Problemlagen aufmerksam.<br />

Wieso ist die Familienarbeit, die Sie leisten, gleichzeitig auch<br />

bedeutend für die Integrationsarbeit?<br />

Wir stellen immer wieder fest, dass die Entscheidung für E<strong>in</strong>wanderung<br />

und auch dafür, hier zu bleiben, oft nicht alle<strong>in</strong> für die<br />

eigene Person getroffen wird, sondern im Familienverbund. Insofern<br />

ist Integration <strong>in</strong> solchen Zusammenhängen auch familiär<br />

zu betrachten. Wenn familiäre Beziehungen gut gepflegt werden,<br />

gibt das der e<strong>in</strong>zelnen Person viel Sicherheit <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>wanderungssituation.<br />

In der Folge können sie die oft komplexen<br />

Problemlagen im Alltag, die sich ihnen als Neuzugewanderten <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er für sie noch fremden Umgebung stellen, besser bewältigen.<br />

Ganz wichtig ist es deshalb, dass gesetzliche Vorhaben Familie<br />

berücksichtigen und sich an ihr ausrichten – nicht umgekehrt.<br />

Welche Fragestellungen werden noch an Relevanz gew<strong>in</strong>nen?<br />

B<strong>in</strong>ationale Paare ohne Trausche<strong>in</strong> müssen aufenthaltsrechtlich<br />

be rücksichtigt werden, Eheschließungen vor allem mit Dritt staat -<br />

ler(<strong>in</strong>ne)n s<strong>in</strong>d zu erleichtern, <strong>in</strong>dem die Anforderungen an Doku -<br />

mente und Urkunden auf e<strong>in</strong> realistisches Maß herabgesetzt<br />

werden. Generelle Zulassung von Mehrstaatigkeit bei E<strong>in</strong>bürgerungen,<br />

Abschaffung des Spracherfordernisses beim Ehegattennachzug<br />

und <strong>in</strong>sbesondere Maßnahmen zur Erlangung e<strong>in</strong>er diskrim<strong>in</strong>ierungsfreien<br />

Gesellschaft s<strong>in</strong>d weitere Anliegen, ebenso<br />

die globalisierte Familie: Was Familien künftig benötigen, um Familie<br />

„über den Globus“ wirklich leben zu können, wird uns noch<br />

<strong>in</strong>tensiver beschäftigen. Entscheidend hierfür s<strong>in</strong>d auch ganz allgeme<strong>in</strong>e<br />

Fragen, die wichtige Bereiche e<strong>in</strong>er Gesellschaft <strong>in</strong> Vielfalt<br />

und Akzeptanz betreffen: Wie funktioniert Zusammenleben <strong>in</strong><br />

diesem Land, wie kann Diskrim<strong>in</strong>ierung entgegengewirkt werden,<br />

und wie kommen wir h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>klusiven Gesellschaft?<br />

Themen, die heute wieder so aktuell s<strong>in</strong>d wie zu Beg<strong>in</strong>n der Verbandsgründung.<br />

Wir machen auch weiterh<strong>in</strong> aufmerksam auf<br />

Schieflagen, aber auch auf Ressourcen <strong>in</strong> Familien, Gesellschaft<br />

und Politik.<br />

Interview: Stefan Peetz<br />

Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013 7


praxis<br />

e<strong>in</strong>e student(<strong>in</strong>n)engruppe ermöglicht K<strong>in</strong>dern regelmäßig<br />

spielerisches Lernen, um so veränderte Alltagsbed<strong>in</strong>gungen zu<br />

meistern oder Aggressivität zu bewältigen. diese Gruppenangebote<br />

dienen der Vorbereitung auf den Auszug aus dem Flüchtl<strong>in</strong>gswohnheim.<br />

ergänzt werden sie um regelmäßige An gebote<br />

der sprachförderung auch für erwachsene.<br />

n Vernetzung und sozialräumliche E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />

neben regelmäßigen Treffen mit Vertreter(<strong>in</strong>ne)n anderer Gus<br />

<strong>in</strong> Hannover arbeitet die Heimleitung im <strong>in</strong>tegrationsbeirat<br />

sowie am runden Tisch gegen rassismus und Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit<br />

mit. Hier wird der Austausch mit dem Wohnungs-, Ausländer-<br />

und sozialamt gepflegt. An das breite spektrum der <strong>Caritas</strong>-beratungsdienste<br />

können Flüchtl<strong>in</strong>ge weitervermittelt<br />

wer den. ehrenamtliche begleiten sie zu Ämtern oder Ärzt(<strong>in</strong> -<br />

n)en. e<strong>in</strong> Vorteil des Wohnheims ist, dass sich e<strong>in</strong>e <strong>Caritas</strong>-Kita<br />

im Hause bef<strong>in</strong>det, wo K<strong>in</strong>der schnell Aufnahme f<strong>in</strong>den.<br />

Perspektive<br />

um die Aufnahmebed<strong>in</strong>gungen für Flüchtl<strong>in</strong>ge und Asylsuchende<br />

<strong>in</strong> der bundesrepublik generell zu verbessern, sollten<br />

Gus – auch wenn diese möglichst bedarfsgerecht gestaltet werden<br />

– weiterh<strong>in</strong> als e<strong>in</strong>e Übergangsmaßnahme verstanden und<br />

die dauerhafte unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> notunterkünften unbed<strong>in</strong>gt<br />

vermieden werden. e<strong>in</strong>e humane unterbr<strong>in</strong>gung der Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

und Asylsuchenden jenseits der sammelunterkünfte ist anzustreben<br />

– unter besonderer beachtung der bedarfslagen von<br />

Familien. erfolgt e<strong>in</strong>e unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> Privatwohnungen, ist<br />

auch diese zu begleiten. so startet der <strong>Caritas</strong>verband Hannover<br />

zum 1. April 2013 unter dem Aspekt e<strong>in</strong>es erfolgversprechenden<br />

Auszugsmanagements modellhaft e<strong>in</strong> neues Projekt zur begleitung<br />

der Flüchtl<strong>in</strong>gsfamilien <strong>in</strong> ihr neues Wohnumfeld. Gefördert<br />

wird das Projekt von der regionalen ricarda-und-udo-niedergerke-stiftung.<br />

Hans-Joachim Ste<strong>in</strong>er<br />

<strong>Caritas</strong>verband Hannover e.V., Heimleiter<br />

Hedwig Mehr<strong>in</strong>g<br />

<strong>Caritas</strong>verband für die Diözese Hildesheim e.V.<br />

Referat Migration und Integration<br />

NACHGEDACHT<br />

Weihbischof<br />

Dieter<br />

Geerl<strong>in</strong>gs<br />

Im Zentrum der Bundespolitik<br />

steht angeblich Fa-<br />

Vorsitzender Kath.<br />

Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Migration (KAM) milienpolitik – als Querschnittsaufgabe.<br />

Für die<br />

Migrationspolitik gilt das<br />

wohl eher nicht. Stichwort:<br />

Familienzusammenführung. Beschäftigt man sich damit näher,<br />

gerät der Glaube <strong>in</strong>s Wanken, man lebe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Staat – e<strong>in</strong>em<br />

E<strong>in</strong>wanderungsland –, der im Interesse des Geme<strong>in</strong>wohls Familien<br />

gezielt stärken will.<br />

Beispiel: Deutschkenntnisse von Nachzugsberechtigten s<strong>in</strong>d<br />

vor der E<strong>in</strong>reise zu erwerben. Aber wie – ohne deutsches Umfeld,<br />

ohne Geld für e<strong>in</strong>en Sprachkurs? E<strong>in</strong> Ehemann schreibt 1 :<br />

„Ich (deutscher Staatsbürger) lebe zur Zeit <strong>in</strong> Thailand mit Frau<br />

und unseren zwei K<strong>in</strong>dern. Wir wollen nach <strong>Deutschland</strong> umziehen.<br />

Ich habe bereits e<strong>in</strong>e Wohnung angemietet und e<strong>in</strong>e<br />

Arbeitsstelle ge funden. Me<strong>in</strong>e Frau und die K<strong>in</strong>der waren bereits<br />

viermal <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>. Um das E<strong>in</strong>reisevisum zu bearbeiten,<br />

ist nach Auskunft der deutschen Botschaft die Prüfung<br />

der Deutschkenntnisse im Goethe-Institut vorgeschrieben.<br />

Wenn me<strong>in</strong>e Frau die Prüfung nicht besteht, gibt es ke<strong>in</strong> Visum.“<br />

Der Mann hat vergeblich auf e<strong>in</strong>e Ausnahmeregelung<br />

gehofft, ist fassungslos. Mit se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern kann er, weil sie<br />

Familienleben nur, wenn der Sprachtest klappt?<br />

wie er Deutsche s<strong>in</strong>d, ohne Problem nach <strong>Deutschland</strong> kommen<br />

– aber ohne ihre Mutter. Was geht <strong>in</strong> Menschen vor, die<br />

sich solche Regelungen ausdenken?<br />

Österreich und die Niederlande haben <strong>in</strong>zwischen wieder zum<strong>in</strong>dest<br />

für die E<strong>in</strong>reise sogenannter Assoziationsfreizügiger<br />

auf die Sprachtests verzichtet – <strong>Deutschland</strong> bleibt dabei. Das<br />

Bundesverwaltungsgericht hat diese Haltung im H<strong>in</strong>blick auf<br />

EU-Recht <strong>in</strong>frage gestellt. Die Bundesregierung aber weigert<br />

sich, hier etwas zu ändern. Man müsse eben e<strong>in</strong>en Spielraum<br />

<strong>in</strong> der EU-Regelung haben für jeden Staat, um Missbrauch effektiv<br />

zu bekämpfen, heißt es von Regierungsvertretern: Missbrauch<br />

durch die, die sich auf ihre Grund- und Menschenrechte<br />

berufen. Aber wird nicht gerade durch die Regierungshaltung<br />

menschenrechtlicher M<strong>in</strong>deststandard verweigert?<br />

Familienleben frei zu gestalten ist für deutsche Familien selbstverständlich<br />

– für viele e<strong>in</strong>gewanderte Familien aber unmöglich.<br />

„Nachgedacht“ steht über diesem Statement. Ja, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tensives<br />

Nachdenken ist hier dr<strong>in</strong>gend nötig – auch auf hoher<br />

Regierungsebene!<br />

Ihr Dieter Geerl<strong>in</strong>gs<br />

1. Beispiel von der Fachtagung der Katholischen Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Migration zum Thema Familienzusammenführung 2012.<br />

8 Migration und Integration – Info 1 • Februar 2013

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