aktuell Nr. 49 vom 16.12.2013 ( PDF , 2,8 MB) - Bundeswehr
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16. Dezember 2013 Innere Führung / MIlItärgeschIchte <strong>aktuell</strong> 9<br />
Große Ratsversammlung<br />
Vor zehn Jahren beschließt die Loya Jirga die erste afghanische Verfassung nach 25 Jahren Krieg.<br />
Schuhe von Toten<br />
von Bernhard Chiari, Zentrum<br />
für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften<br />
der <strong>Bundeswehr</strong><br />
geschichte. Die Konferenz auf<br />
dem Petersberg bei Bonn hatte<br />
2001 den Fahrplan der Internationalen<br />
Gemeinschaft für die<br />
Schaffung eines demokratisch<br />
legitimierten Gemeinwesens in<br />
Afghanistan festgeschrieben.<br />
Beim Aufbau von Staat und Verfassung<br />
griff man auf das Instrument<br />
der „Loya Jirga“ (wörtlich:<br />
Große Ratsversammlung) zurück,<br />
integraler Bestandteil der politischen<br />
Kultur Afghanistans. Im<br />
20. Jahrhundert war die Loya<br />
Jirga zu einem Forum institutionalisiert<br />
worden, mit dem afghanische<br />
Herrscher anlassbezogen<br />
Entscheidungen und Vorhaben<br />
vorbereiteten, durchsetzten und<br />
kommunizierten. Auch nach dem<br />
Ende des Taliban-Regimes schienen<br />
Loya Jirgas gute Aussichten<br />
zu bieten, Staat und Verfassung<br />
innerhalb der Bevölkerung zu<br />
legitimieren. Seit 1992, als die<br />
nationalkommunistische Führung<br />
unter Mohammed Najibullah<br />
stürzte, waren in Afghanistan<br />
keine derartigen Versammlungen<br />
mehr einberufen worden.<br />
Im Juni 2002 kam eine „Emergency<br />
Loya Jirga“ zusammen.<br />
Sie tagte erstmals nicht mehr<br />
unter Vorsitz eines Königs, Präsidenten<br />
oder Parteichefs, sondern<br />
unter Leitung eines unabhängigen<br />
Präsidiums mit einem<br />
gewählten Vorsitzenden. Der<br />
Loya Jirga fiel die Aufgabe zu,<br />
sich bis zum Abschluss regulärer<br />
Wahlen auf einen Übergangspräsidenten<br />
zu einigen. Bis zur<br />
Verabschiedung einer Verfassung<br />
hatte sie außerdem über die<br />
Gestalt einer Interimsverwaltung<br />
zu entscheiden. 1451 männliche<br />
und weibliche Delegierte, darunter<br />
1051 gewählte Abgeordnete<br />
sowie Vertreter der Übergangsverwaltung,<br />
der Geistlichkeit und<br />
gesellschaftlicher Institutionen,<br />
bestimmten in geheimer Wahl<br />
Hamid Karzai zum neuen Staatsoberhaupt.<br />
loya Jirga: Präsident hamid Karzai (M.) spricht vor der großen ratsversammlung in Kabul.<br />
Gemeinsam mit der „Emergency<br />
Loya Jirga“ wurde die<br />
Verfassungs-Loya Jirga geplant,<br />
die den zweiten wesentlichen<br />
Abschnitt des Bonn-Prozesses<br />
abschließen sollte. Im Oktober<br />
2002 begann eine neunköpfige<br />
Kommission unter Leitung des<br />
afghanischen Vizepräsidenten<br />
Nimatullah Shahrani mit der<br />
Arbeit an einem Verfassungstext.<br />
Bis in den Spätsommer 2003 wurden<br />
erste Entwürfe – ein Novum<br />
in der afghanischen Geschichte –<br />
öffentlich zur Diskussion gestellt.<br />
Präsident Karzai kündigte am 15.<br />
Juli die Zusammenkunft einer<br />
Loya Jirga für Ende 2003 an.<br />
Als Versammlungsort diente<br />
ein Zelt auf dem Gelände des<br />
Polytechnikums in Kabul. Einladungen<br />
gingen an 502 Delegierte<br />
aus ganz Afghanistan.<br />
344 im November und Dezember<br />
gewählte Abgeordnete aus<br />
den Provinzen machten die größte<br />
Gruppe aus, gefolgt von Vertretern<br />
gesellschaftlich relevanter<br />
Gruppen sowie aus Regierung<br />
und Staat. Arbeitsgruppen vor<br />
Ort fiel die Aufgabe zu, verschiedene<br />
Abschnitte der Verfassung<br />
im Detail zu beraten. Ein Vermittlungskomitee<br />
hatte Änderungsanträge<br />
in den Verfassungstext<br />
einzuarbeiten, der dann in der<br />
Hauptversammlung beraten werden<br />
sollte.<br />
Am 14. Dezember 2003 begann<br />
die Konferenz mit einem symbolischen<br />
Akt: Zahir Shah, Ex-<br />
König und „Vater der Nation“,<br />
sprach zu den Delegierten. Neben<br />
Karzai trat auch der Leiter der<br />
Verfassungskommission Shahrani<br />
auf. Die Abgeordneten benötigten<br />
einige Tage, um sich auf<br />
einen Vorsitzenden und über Einzelheiten<br />
des Abstimmungsverfahrens<br />
zu einigen. Diskussionen<br />
gab es auch über die Zusammensetzung<br />
der Arbeitsgruppen. So<br />
wurde der Vorwurf laut, diese<br />
spiegelten die ethnischen Verhältnisse<br />
in der Bevölkerung nicht<br />
ausreichend wider. Dass in den<br />
Komitees Warlords vertreten<br />
waren, die Delegierte einschüchterten<br />
und zu einem bestimmten<br />
Abstimmungsverhalten zu bewegen<br />
suchten, bildete einen weiteren<br />
Stein des Anstoßes.<br />
Die Arbeitsgruppen legten am<br />
21. Dezember, dem achten Tag<br />
der Loya Jirga, ihre Ergebnisse<br />
vor. Am 29. Dezember übermittelte<br />
das Vermittlungskomitee<br />
den Delegierten einen gedruckten<br />
Verfassungsentwurf in Dari<br />
und Paschtu, um diesen abschließend<br />
beraten zu lassen.<br />
Am 22. Tag der Versammlung<br />
billigte die Loya Jirga die neue<br />
Verfassung Afghanistans: Der<br />
Konvent tat dies nicht auf dem<br />
Wege einer geheimen Abstimmung.<br />
Der Vorsitzende der Loya<br />
Jirga Sibghatullah Mojaddedi,<br />
1979 Gründer der Nationalen Rettungsfront<br />
Afghanistans und nach<br />
dem Fall Najibullahs 1992 zwei<br />
Monate lang afghanischer Präsident,<br />
bat die Abgeordneten vielmehr,<br />
sich im Fall ihrer Zustimmung<br />
von ihren Plätzen zu erheben.<br />
Tatsächlich standen alle Delegierten<br />
auf und verabschiedeten so<br />
die Verfassung durch einen öffentlich<br />
zur Schau gestellten Konsens.<br />
Einige Tage später unterzeichnete<br />
Präsident Karzai die erste Verfassung<br />
Afghanistans nach 25 Jahren<br />
Krieg und Bürgerkrieg.<br />
Buch. D a s fünf Prozent eigene Migrationserfahrungen die <strong>Bundeswehr</strong> bezüglich des Verhältnisses<br />
Thema Migra- aufweisen, also nicht in Deutschland gebo- von Migration und Integration unternimmt,<br />
tion ist gesell- ren wurden. Und deren Eintritt in die Streit- welche Selbstdarstellungen, Entscheidungen<br />
schaftspolitisch kräfte setzt nicht nur eine hohe Integrations- und Maßnahmen existieren und was daraus<br />
hoch<strong>aktuell</strong>. bereitschaft voraus, sondern drückt auch aus, zu folgern ist. Der Bericht gibt die Ergeb-<br />
Auch die Bun- dass sich diese Soldaten in besonderer Form nisse dieses Projektes wieder. (miv)<br />
deswehr setzt<br />
mit Deutschland identifizieren. Im deutschen<br />
sich mit diesem Gesamtbevölkerungsschnitt weisen übrigens Cornelia Fedtke, Kai-Uwe Hellmann, Jan<br />
Thema ausein- weniger als zehn Prozent einen Migrations- Hörmann: „Migration und Militär – Zur<br />
ander. Etwa hintergrund auf. Integration deutscher Soldaten mit Migratizwölf<br />
Prozent Gegenstand eines Forschungsprojektes mit onshintergrund in der <strong>Bundeswehr</strong>“. Milesder<br />
Soldaten in den deutschen Streitkräften Studierenden an der Helmut-Schmidt-Uni- Verlag. Berlin 2013. 164 S. 16,80 Euro.<br />
besitzt einen Migrationshintergrund, wovon versität in Hamburg war zu untersuchen, was ISBN 978-3937885728.<br />
Foto: dpa/pa<br />
Ausstellung. Bald ist Heilige<br />
Nacht. Die Menschen bereiten<br />
sich emsig auf die Festtage vor,<br />
schmücken die Wohnungen, kaufen<br />
Geschenke. Bruno Gimpel<br />
(Foto) bekommt Post: „Rundschreiben<br />
über Zwangsabgaben“.<br />
Gimpel ist gebürtig aus<br />
Rostock, diente im Ersten Weltkrieg,<br />
ist verheiratet mit Irene,<br />
einer Musiklehrerin. Er lebt und<br />
arbeitet seit einigen Jahren im<br />
beschaulichen Dresden, als Maler<br />
und Graphiker.<br />
Doch Gimpel ist auch ein Deutscher<br />
jüdischen Glaubens. Seit<br />
einigen Jahren hat sich daher<br />
sein Leben schleichend verändert.<br />
1933 schloss ihn sein Künstlerverein<br />
aus, 1935 verhängte die<br />
Reichskulturkammer über ihn<br />
ein Berufsverbot. Seit 1938 war<br />
er mehrfach verhaftet und eingesperrt<br />
worden, musste zwangsarbeiten.<br />
Nun, kurz vor Weihnachten<br />
1941, befiehlt die Kreisleitung<br />
der NSDAP Dresden, dass die<br />
Pelz- und Wollbekleidung sowie<br />
Felle und Decken innerhalb eines<br />
Tages entschädigungslos abzugeben<br />
sind. Opfer dieser Zwangsabgabe<br />
sind alle Bürger der Stadt<br />
Dresden, die „zum Tragen des<br />
Kennzeichens verpflichtet“ sind.<br />
Das Kennzeichen ist der „Judenstern“.<br />
Es ist Weihnachtszeit und es<br />
wird eiskalt in Deutschland. In den<br />
nächsten Wochen werden 70 Frosttage<br />
gemessen. Im Juni 1942 werden<br />
Gimpel und den übrigen Juden<br />
in Dresden dann auch noch sämtliche<br />
Haushaltsgegenstände wie<br />
Heizöfen, Kochtöpfe und Kochplatten<br />
weggenommen. Als Gimpel<br />
die Zwangseinweisung in ein<br />
Judenhaus – eine Art Ghetto –<br />
droht, macht er am 28. April 1943<br />
der Pein selbst ein Ende. Er nimmt<br />
er sich in seiner Wohnung in der<br />
Deutsche-Kaiser-Allee 10 in Dresden-Blasewitz<br />
das Leben. (age)<br />
Die Geschichte von Bruno Gimpel<br />
und anderen jüdischen Deutschen<br />
erzählt ab dem 24. Januar 2014 die<br />
Sonderausstellung „Schuhe von<br />
Toten – Dresden und die Shoah“<br />
im Militärhistorischen Museum<br />
der <strong>Bundeswehr</strong> in Dresden.<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.mhmbw.de.<br />
Foto: Ahlers/Deutsches Historisches Museum, Berlin