Aus der Einsatzrealität zurück in den Alltag ( PDF , 2,1 MB, 13 Seiten)
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IV. Neuer Auftrag <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
1. Legitimation und Akzeptanz<br />
Anja Seiffert<br />
<strong>Aus</strong> <strong>der</strong> <strong>E<strong>in</strong>satzrealität</strong> <strong>zurück</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Alltag</strong><br />
Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten <strong>der</strong> Bundeswehr kommen aus <strong>den</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätzen mit<br />
Erfahrungen im Gepäck <strong>zurück</strong>, die im <strong>Alltag</strong> unserer mo<strong>der</strong>nen westlichen<br />
Gesellschaften nur wenig präsent s<strong>in</strong>d. Viele von ihnen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationalen<br />
Krisenregionen fern von Deutschland mit Elend und Zerstörung konfrontiert wor<strong>den</strong>,<br />
erlebten Tod und Verwundung und manche haben <strong>in</strong> ihren E<strong>in</strong>sätzen auch selbst <strong>in</strong><br />
Gefechten gestan<strong>den</strong> und getötet. 1 In <strong>den</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätzen <strong>der</strong> Bundeswehr haben<br />
seit 1992 bislang 103 Soldaten ihr Leben gelassen, je<strong>der</strong> zweite davon <strong>in</strong> Afghanistan. In<br />
Kampfhandlungen gefallen s<strong>in</strong>d bisher 37 Bundeswehrsoldaten. Alle<strong>in</strong> im<br />
Afghanistane<strong>in</strong>satz fielen 35 deutsche Soldaten. 2<br />
E<strong>in</strong>schnei<strong>den</strong>de E<strong>in</strong>satzerlebnisse, zumal jene mit direktem und <strong>in</strong>direktem<br />
Gewaltbezug, aber auch <strong>der</strong> glückliche Abschluss e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes lassen sich nach <strong>der</strong><br />
Rückkehr nach Deutschland nicht so e<strong>in</strong>fach abhaken, son<strong>der</strong>n müssen verarbeitet und<br />
<strong>in</strong> das alltägliche Leben zuhause <strong>in</strong>tegriert wer<strong>den</strong>. Vielen gel<strong>in</strong>gt das sche<strong>in</strong>bar auch<br />
ohne größere Schwierigkeiten. Nicht wenige <strong>der</strong> <strong>zurück</strong>kehren<strong>den</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und<br />
Soldaten berichten <strong>in</strong> zahlreichen Interviews, die wir im Rahmen unserer Forschungen<br />
über die Langzeitfolgen von E<strong>in</strong>satzerfahrungen mit Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten des<br />
deutschen 22. ISAF Kont<strong>in</strong>gents geführt haben, sogar von positiven Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
Dazu gehören etwa e<strong>in</strong> gesteigertes Selbstwertgefühl o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e höhere Wertschätzung<br />
des Lebens. 3 Dennoch kann die Bearbeitung dieser Erfahrungen herausfor<strong>der</strong>nd und<br />
1 Siehe zu <strong>den</strong> Erfahrungswelten im E<strong>in</strong>satz Anja Seiffert, Generation E<strong>in</strong>satz, <strong>in</strong>: <strong>Aus</strong> Politik und<br />
Zeitgeschichte APuZ, 44/20<strong>13</strong>, 28. Oktober 20<strong>13</strong>, 11-17.<br />
2 Vgl.<br />
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/DcjBDYAgDAXQWVyA3r25hXohRT7YgMUE1ITpJe_2aKdB-<br />
ZXITYpyppW2Q2b3Gfd5mAgPTVDT-cxQ-6i3gVMb04pHDYycYeWyEK3cOt1pmX5GIQYT/#par4<br />
und http://www.icasualities.org (23.01.2014).<br />
3 E<strong>in</strong> Forscherteam des SOWI (jetzt ZMSBw) begleitet im Auftrag des Bundesm<strong>in</strong>isteriums <strong>der</strong><br />
Verteidigung nunmehr seit dreie<strong>in</strong>halb Jahren die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten des 22. Kont<strong>in</strong>gents<br />
ISAF, die überwiegend von März bis Oktober 2010 im E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Afghanistan waren. Die<br />
Angehörigen des Kont<strong>in</strong>gents wur<strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> vergangenen Jahren mehrfach befragt. In<br />
zahlreichen Interviews, mit Hilfe von Fragebogen und auch durch Beobachtungen im E<strong>in</strong>satz<br />
wur<strong>den</strong> Erkenntnisse zur <strong>E<strong>in</strong>satzrealität</strong> und zu <strong>den</strong> langfristigen Folgen von E<strong>in</strong>satzerfahrungen<br />
gesammelt. Die Studie ist die erste sozialwissenschaftliche Langzeitbegleitung von<br />
1
manchmal auch überwältigend se<strong>in</strong>. Die Spuren des Erlebten können sich nicht nur <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em verän<strong>der</strong>ten Wertehorizont, son<strong>der</strong>n ebenso <strong>in</strong> Fremdheitsgefühlen o<strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
seelischen Verletzungen zeigen, die mitunter noch lange nach dem E<strong>in</strong>satz o<strong>der</strong> auch<br />
erst nach <strong>Aus</strong>schei<strong>den</strong> aus dem aktiven Dienst auftreten. 4<br />
Gruppentherapieraum im<br />
Bundeswehrkrankenhaus Berl<strong>in</strong>.<br />
Mit An<strong>der</strong>en über Erlebtes<br />
sprechen – e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Behandlung<br />
von Posttraumatischen<br />
Belastungsstörungen (PTBS).<br />
Foto: Bundeswehr/Pulpanek<br />
Beredtes Zeugnis dafür legt die <strong>in</strong> <strong>den</strong> letzten Jahren gestiegene Zahl von Soldat<strong>in</strong>nen<br />
und Soldaten ab, die vor allem nach ihrem E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Afghanistan unter psychischen<br />
Erkrankungen lei<strong>den</strong>. 5 Die von Prof. Hans-Ulrich Wittchen vom Institut für Kl<strong>in</strong>ische<br />
Psychologie und Psychotherapie <strong>der</strong> TU Dres<strong>den</strong> geleitete sogenannte<br />
Dunkelzifferstudie kommt zu dem Schluss, dass von 10.000 Bundeswehrsoldaten rund<br />
300 pro Jahr mit e<strong>in</strong>er Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem E<strong>in</strong>satz<br />
<strong>zurück</strong>kehren. Im Vergleich zu <strong>den</strong> PTBS-Raten US-amerikanischer Soldat<strong>in</strong>nen und<br />
Soldaten, die im Irak o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Afghanistan e<strong>in</strong>gesetzt waren, s<strong>in</strong>d diese Zahlen noch<br />
ger<strong>in</strong>g. Allerd<strong>in</strong>gs bleibt <strong>der</strong> Studie zufolge nahezu je<strong>der</strong> zweite PTBS-Fall (45 Prozent)<br />
E<strong>in</strong>satzsoldaten und Veteranen <strong>der</strong> Bundeswehr. Die bisherigen Ergebnisse s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Form von<br />
Berichten dem Auftraggeber vorgelegt und <strong>in</strong> Teilen auch veröffentlicht wor<strong>den</strong>. Siehe etwa die<br />
Beiträge von Seiffert, Langer und Pietsch <strong>in</strong>: dies. (Hrsg.), Der E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Bundeswehr <strong>in</strong><br />
Afghanistan. Sozial- und Politikwissenschaftliche Perspektiven, Wiesba<strong>den</strong> 2012 sowie zu <strong>den</strong><br />
Spätfolgen Anja Seiffert/Julius Heß, Afghanistanrückkehrer. Der E<strong>in</strong>satz, die Liebe, <strong>der</strong> Dienst<br />
und die Familie. <strong>Aus</strong>gewählte Ergebnisse <strong>der</strong> sozialwissenschaftlichen Langzeitbegleitung des 22.<br />
Kont<strong>in</strong>gents ISAF, unveröff. Bericht, Potsdam 20<strong>13</strong>.<br />
4 Vgl. Seiffert/Heß, Afghanistanrückkehrer, S.35 sowie zu <strong>den</strong> <strong>Aus</strong>wirkungen von<br />
E<strong>in</strong>satzerfahrungen auf E<strong>in</strong>stellungen und Orientierungen: Anja Seiffert, Generation E<strong>in</strong>satz –<br />
<strong>E<strong>in</strong>satzrealität</strong>en, Selbstverständnis und Organisation, <strong>in</strong>: dies./Phil C. Langer/Carsten Pietsch<br />
(Hrsg.), Der E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Bundeswehr <strong>in</strong> Afghanistan, S. 79-100.<br />
5 Vgl. Psychotraumazentrum Bundeswehrkrankenhaus Berl<strong>in</strong> (Hrsg.), Jahrbuch 2011/2012, Berl<strong>in</strong><br />
20<strong>13</strong>, 20ff; Peter Zimmermann/Herbert Jacobs/Jens T. Kowalski, ISAF und die Seele – Zwischen<br />
Schädigung und Wachstum, <strong>in</strong>: Anja Seiffert/Phil C. Langer/Carsten Pietsch Der E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong><br />
Bundeswehr <strong>in</strong> Afghanistan, S. 143-152: 143.<br />
2
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundeswehr unerkannt und dementsprechend unbehandelt. Wesentlich<br />
unterschätzt wer<strong>den</strong> zudem an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>satzbed<strong>in</strong>gte psychische Störungen,<br />
beispielsweise Angststörungen o<strong>der</strong> beg<strong>in</strong>nende Alkoholabhängigkeit. Den Grund,<br />
warum sich die betroffenen Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten mit ihrem Lei<strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Bundeswehr nur selten offenbaren, besteht vor allem <strong>in</strong> „massiven Barrieren“, die die<br />
Betroffenen wahrnehmen. 6 Für Veteranen 7 , hier verstan<strong>den</strong> als bereits aus <strong>der</strong><br />
Bundeswehr ausgeschie<strong>den</strong>e Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten, die m<strong>in</strong>destens 30 Tage <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>gesetzt waren, liegen h<strong>in</strong>gegen noch ke<strong>in</strong>e offiziellen Zahlen<br />
zu psychischen Folgeerkrankungen vor.<br />
Zwischen <strong>in</strong>dividueller und gesellschaftlicher Aufarbeitung von E<strong>in</strong>satzerfahrungen<br />
E<strong>in</strong> neues Phänomen ist das unterdessen nicht. So formulierte <strong>der</strong> US-amerikanische<br />
Psychotherapeut Jonathan Shay Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre basierend auf E<strong>in</strong>drücken, die er<br />
im Laufe se<strong>in</strong>er Arbeit mit Vietnamkriegsveteranen gesammelt hatte: „Menschen<br />
verlassen das Land und kehren <strong>zurück</strong> mit Erfahrungen, die auf extreme Weise an<strong>der</strong>s<br />
s<strong>in</strong>d als die ihrer <strong>zurück</strong> gebliebenen Mitmenschen.“ 8 Beson<strong>der</strong>s die Zeit nach <strong>der</strong><br />
Rückkehr aus dem E<strong>in</strong>satz kann so für alle Beteiligten zu e<strong>in</strong>er großen Belastungsprobe<br />
wer<strong>den</strong>. Sowohl die heimkehren<strong>den</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten als auch ihr soziales<br />
Umfeld, müssen sich erst wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> geme<strong>in</strong>samen <strong>Alltag</strong> e<strong>in</strong>f<strong>in</strong><strong>den</strong> und sich an die<br />
alltäglichen Rout<strong>in</strong>en zu Hause und am Standort gewöhnen. Auch neu erworbene<br />
Wertvorstellungen und Verhaltensän<strong>der</strong>ungen, die die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten <strong>in</strong><br />
ihren E<strong>in</strong>sätzen kennen- und schätzen gelernt haben, müssen mit dem Leben zu Hause<br />
<strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang gebracht wer<strong>den</strong>.<br />
Durch die lange Abwesenheit können sich aber auch die Rollen- und Verhaltensmuster<br />
im familiären und sozialen Umfeld gewandelt haben und das Zusammenleben<br />
6 Vgl. Hans-Ulrich Wittchen/Sab<strong>in</strong>e Schönfeld et al., Traumatische Ereignisse und<br />
posttraumatische Belastungsstörungen bei im <strong>Aus</strong>land e<strong>in</strong>gesetzten Soldaten. Wie hoch ist die<br />
Dunkelziffer?, <strong>in</strong>: Deutsches Ärzteblatt Int. 2012; 109(35-36): S. 559-68.<br />
DOI:10.3238/arztbl.2012.0559 (20.12.20<strong>13</strong>); Hans-Ulrich Wittchen/Sebastian Trautmann Prävalenz,<br />
Inzi<strong>den</strong>z und Determ<strong>in</strong>anten von traumatischen Ereignisse, PTBS und an<strong>der</strong>en psychischen<br />
Störungen bei Soldaten mit und ohne <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>satz, Information zur Pressekonferenz am<br />
26.11.20<strong>13</strong>, S. 1-7.<br />
7 Im vorliegen<strong>den</strong> Beitrag wird zwischen aktiven Soldaten und Veteranen <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
unterschie<strong>den</strong>. Von Veteranen wird gemäß <strong>der</strong> offiziellen Def<strong>in</strong>ition immer dann gesprochen,<br />
wenn Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d, die bereits aus <strong>der</strong> Bundeswehr ausgeschie<strong>den</strong><br />
s<strong>in</strong>d und m<strong>in</strong>destens 30 Tage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>gesetzt waren. Vgl. zum<br />
Veteranenbegriff <strong>der</strong> Bundeswehr http://www.bundeswehr.de (28.12.20<strong>13</strong>).<br />
8 Jonathan Shay, Achill <strong>in</strong> Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust, Hamburg 1998<br />
(engl. 1995) , S. 57.<br />
3
herausfor<strong>der</strong>n. 9 Weit schwieriger noch ist das E<strong>in</strong>f<strong>in</strong><strong>den</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Alltag</strong> für diejenigen,<br />
die psychisch o<strong>der</strong> physisch versehrt <strong>zurück</strong>kehren. Für sie und ihr Umfeld verän<strong>der</strong>t sich<br />
das Leben von Grund auf. Sie müssen dann neue Lebensperspektiven entwickeln und<br />
dabei auch unterstützt wer<strong>den</strong>.<br />
Scharfschütze<br />
beim Feuern aus e<strong>in</strong>er<br />
Stellung <strong>in</strong> Afghanistan.<br />
Foto: Bundeswehr/Wayman<br />
E<strong>in</strong>satzerlebnisse haben also nicht nur <strong>in</strong>dividuelle, son<strong>der</strong>n auch gesellschaftliche<br />
<strong>Aus</strong>wirkungen, unabhängig davon, ob diese von <strong>den</strong> Betroffenen als positiv o<strong>der</strong><br />
negativ wahrgenommen wer<strong>den</strong>. Die Rückkehrer agieren nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
abgeschlossenen Raum, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sozialen Umfeld, das von ihren Erfahrungen<br />
ebenso mit bee<strong>in</strong>flusst wird wie umgekehrt <strong>der</strong> gesellschaftliche Kontext die<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Bearbeitung mitbestimmt.<br />
E<strong>in</strong>satzsoldaten und Veteranen <strong>der</strong> Bundeswehr kehren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gesellschaft <strong>zurück</strong>, <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> ihre Erfahrungen we<strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>en ausgeprägten kulturellen noch politischen<br />
Resonanzbo<strong>den</strong> treffen. Schon die Konfrontation mit Sterben, Trauer und Tod macht<br />
viele <strong>in</strong> unserer mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft sprach- und auch hilflos. Der gewaltsame Tod<br />
von Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten o<strong>der</strong> das Töten des Gegners <strong>in</strong> fernen E<strong>in</strong>satzlän<strong>der</strong>n<br />
stößt bei uns erst recht auf Befrem<strong>den</strong>. Zwar ist Deutschland nach <strong>der</strong> Zäsur des Ost-<br />
West-Konfliktes zu e<strong>in</strong>em – wenngleich <strong>zurück</strong>halten<strong>den</strong> – Akteur im weltpolitischen<br />
Interventionsgeschehen gewor<strong>den</strong>; <strong>den</strong> Deutschen wer<strong>den</strong> die möglichen Folgen, die<br />
E<strong>in</strong>sätze fern <strong>der</strong> Heimat für die eigene Gesellschaft haben können, aber offenbar erst<br />
langsam bewusst.<br />
9 Vgl. Anja Seiffert/Julius Heß, Afghanistanrückkehrer sowie Peter Wendl, Soldat im E<strong>in</strong>satz -<br />
Partnerschaft im E<strong>in</strong>satz. Praxis- und Arbeitsbuch für Paare und Familien <strong>in</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>satz und<br />
Wochenendbeziehung, (4. Aufl.) Freiburg et al. 20<strong>13</strong>; Maren Tomforde, E<strong>in</strong>satzbed<strong>in</strong>gte<br />
Trennung. Erfahrungen und Bewältigungsstrategien, Forschungsbericht des<br />
4
Das lässt sich auch an <strong>der</strong> <strong>in</strong> unserer Gesellschaft weit verbreiteten Sprach- und<br />
Begriffslosigkeit ablesen, wenn es um die öffentliche Er<strong>in</strong>nerung an die E<strong>in</strong>satztoten<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr o<strong>der</strong> um die Anerkennung und Würdigung jener geht, die <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
E<strong>in</strong>sätzen im Auftrag und mit Mandat des Parlaments hohe Risiken und große<br />
Verantwortung getragen haben. Veteranen und Gefallene, Traumatisierte und<br />
Versehrte s<strong>in</strong>d für die Bundeswehr ke<strong>in</strong>e Ran<strong>der</strong>sche<strong>in</strong>ung mehr. Die deutsche<br />
Gesellschaft aber kennt ganz offensichtlich we<strong>der</strong> für <strong>den</strong> Soldatentod noch für die<br />
neuen Veteranen e<strong>in</strong>e positive Konnotation o<strong>der</strong> kulturelle Repräsentation.<br />
Rettung<br />
Vier verwundete Soldaten<br />
wer<strong>den</strong> mit dem MedEvac-Airbus<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr im Mai 2011<br />
nach Deutschland transportiert<br />
und <strong>in</strong> das Zentralkrankenhaus<br />
Koblenz gebracht.<br />
Foto: Bundeswehr/Bicker<br />
Verwun<strong>der</strong>lich ist das nicht, s<strong>in</strong>d frie<strong>den</strong>s- und sicherheitspolitische E<strong>in</strong>stellungen doch<br />
von grundlegen<strong>den</strong> Haltungen und Wertüberzeugungen geprägt, die sich nicht so<br />
schnell än<strong>der</strong>n. 10 Im Verständnis <strong>der</strong> meisten Deutschen ist die Bundeswehr vor allem<br />
für frie<strong>den</strong>sbewahrende und -schaffende E<strong>in</strong>sätze gedacht. Das belegen die jährlichen<br />
Bevölkerungsbefragungen des Sozialwissenschaftlichen Instituts <strong>der</strong> Bundeswehr (seit<br />
20<strong>13</strong> <strong>in</strong> das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
<strong>in</strong>tegriert). Kampfe<strong>in</strong>sätze h<strong>in</strong>gegen wer<strong>den</strong> seit Jahren von e<strong>in</strong>er großen Mehrheit <strong>der</strong><br />
deutschen Bevölkerung abgelehnt. 11<br />
Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rückkehrdebatte zentralen Begriffe wie Gefallene, Versehrte o<strong>der</strong> Veteranen<br />
verweisen aber auf eben jenen, mit Kampfhandlungen verbun<strong>den</strong>en, E<strong>in</strong>satzkontext.<br />
Sozialwissenschaftlichen Instituts <strong>der</strong> Bundeswehr (78), Strausberg 2006.<br />
10 Vgl. hierzu im europäischen Vergleich Heiko Biehl, United we Stand, Divided we Fall? Die<br />
Haltungen europäischer Bevölkerungen zum ISAF-E<strong>in</strong>satz, <strong>in</strong>: Anja Seiffert/Phil C. Langer/Carsten<br />
Pietsch, Der E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Bundeswehr <strong>in</strong> Afghanistan, S. 169-186.<br />
11 Siehe die Ergebnisse <strong>der</strong> repräsentativen Bevölkerungsbefragungen des SOWI, jetzt ZMSBw,<br />
zum verteidigungs- und sicherheitspolitischen Me<strong>in</strong>ungsklima <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland unter:<br />
http://www.zmsbw.de/html/publikationen/sozialwissenschaften/forschungsberichte (22.12.20<strong>13</strong>).<br />
5
Dennoch trifft die weit verbreitete Auffassung, wonach mo<strong>der</strong>ne Gesellschaften immer<br />
weniger bereit s<strong>in</strong>d, eigene Opfer <strong>in</strong> <strong>den</strong> „neuen Kriegen“ h<strong>in</strong>zunehmen, 12 so pauschal<br />
offenbar auch für Deutschland nicht zu. <strong>13</strong> In e<strong>in</strong>er Analyse von Bevölkerungsdaten hat<br />
Rüdiger Fiebig beispielsweise darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass <strong>der</strong> Zuspruch <strong>der</strong> Deutschen zu<br />
e<strong>in</strong>em militärischen E<strong>in</strong>satz maßgeblich davon abhängt, ob dieser von <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
auch als Erfolg wahrgenommen wird. 14<br />
Soldat und Familie<br />
Der Soldat geht <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />
E<strong>in</strong>satz und verabschiedet<br />
sich von se<strong>in</strong>er Familie, die<br />
er nun e<strong>in</strong>e Zeitlang nicht<br />
sehen wird.<br />
Foto: Bundeswehr/Herholt<br />
Dieser Befund spricht zunächst e<strong>in</strong>mal dafür, dass die Deutschen e<strong>in</strong>en <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>satz<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr dann mittragen, wenn sie auch <strong>den</strong> S<strong>in</strong>n des E<strong>in</strong>satzes erkennen<br />
können. Nur noch je<strong>der</strong> vierte Bundesbürger aber bewertet <strong>den</strong> Afghanistane<strong>in</strong>satz als<br />
Erfolg. 15 Viele <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung fragen sich offenbar, wofür sie überhaupt noch die<br />
Risiken und Kosten des E<strong>in</strong>satzes mittragen sollen, wenn sie immer weniger erkennen<br />
können, welche Fortschritte durch diesen E<strong>in</strong>satz erzielt wer<strong>den</strong>. Dies wird aber<br />
sche<strong>in</strong>bar nicht <strong>der</strong> Bundeswehr angelastet. Die weit überwiegende Mehrheit <strong>der</strong><br />
Deutschen ist unverän<strong>der</strong>t von <strong>der</strong> Relevanz <strong>der</strong> Bundeswehr überzeugt. 16 Während<br />
also e<strong>in</strong> konkreter E<strong>in</strong>satz durchaus kritisch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung gesehen wer<strong>den</strong> kann,<br />
bleibt die Grundhaltung gegenüber <strong>den</strong> Streitkräften <strong>den</strong>noch relativ stabil.<br />
12 Vgl. zur postheroischen Gesellschaft Herfried Münkler, Der Wandel des Krieges. Von <strong>der</strong><br />
Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006.<br />
<strong>13</strong> Darauf hat jüngst auch Sönke Neitzel h<strong>in</strong>gewiesen. Vgl. <strong>der</strong>s., Der Westen und die neuen<br />
Kriege, <strong>in</strong>: Beilage zu Mittelweg 36(5), Hamburg, Oktober/November 20<strong>13</strong>, S. 63-78.<br />
14 Vgl. Rüdiger Fiebig, Die Deutschen und ihr E<strong>in</strong>satz – E<strong>in</strong>stellungen <strong>der</strong> Bevölkerung zum ISAF-<br />
E<strong>in</strong>satz, <strong>in</strong>: Anja Seiffert/Phil C. Langer/Carsten Pietsch (Hrsg.), Der E<strong>in</strong>satz <strong>der</strong> Bundeswehr <strong>in</strong><br />
Afghanistan, S. 187-204: 201.<br />
15 Vgl. Thomas Bulmahn, Ergebnisse <strong>der</strong> Bevölkerungsbefragung 2012. Wahrnehmung und<br />
Bewertung des Claims „Wir. Dienen. Deutschland“, Image <strong>der</strong> Bundeswehr sowie Haltungen zum<br />
Umgang mit Veteranen, Kurzbericht Strausberg 2012.<br />
16 Vgl. Bulmahn, Bevölkerungsbefragung 2012, S. 31.<br />
6
Auch <strong>den</strong> meisten E<strong>in</strong>satzrückkehrern ist bewusst, dass sich viele <strong>in</strong> unserer Gesellschaft<br />
gerade mit Kampfe<strong>in</strong>sätzen nicht leicht tun. Das erschwert die Verarbeitung dieser<br />
Erfahrungen für die betroffenen Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten. Vielfach berichteten<br />
E<strong>in</strong>satzsoldaten <strong>in</strong> Interviews davon, dass sie ihre im <strong>Aus</strong>land gemachten<br />
Gewalterfahrungen zu Hause o<strong>der</strong> am Standort lieber verschweigen. 17 Zu fremd<br />
sche<strong>in</strong>en <strong>den</strong> Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten die Erfahrungswelten ihrer E<strong>in</strong>sätze und die<br />
Lebenswirklichkeiten hier <strong>in</strong> Deutschland. Es gibt offenbar etwas Unaussprechliches,<br />
was man <strong>den</strong> Daheimgebliebenen lieber nicht zumutet; Themen, die an die menschliche<br />
Existenz rühren: die Lebensgefahr, die Angst, das Sterben o<strong>der</strong> auch das Töten.<br />
Menschen entwickeln verschie<strong>den</strong>e Strategien, um mit dem Erlebten fertig zu wer<strong>den</strong>.<br />
So gibt es Geschichten <strong>der</strong> Selbstbehauptung, etwa über die Kameradschaft und die<br />
enge Verbun<strong>den</strong>heit im E<strong>in</strong>satz. Soziale Anerkennung und Unterstützung aber s<strong>in</strong>d<br />
wichtige Faktoren für e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende Verarbeitung von dramatischen<br />
<strong>Aus</strong>nahmesituationen. 18 Wer beispielsweise auf e<strong>in</strong> unterstützendes und wohlwollendes<br />
soziales Umfeld <strong>zurück</strong>greifen kann, ist besser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, schwerwiegende Ereignisse<br />
und belastende Herausfor<strong>der</strong>ungen zu bewältigen. In <strong>der</strong> Heimat aber treffen<br />
E<strong>in</strong>satzrückkehrer häufig auf Mitmenschen, die mit ihren Erfahrungen nur wenig<br />
anzufangen wissen und ihren E<strong>in</strong>sätzen zudem <strong>in</strong> Teilen skeptisch o<strong>der</strong> gar ablehnend<br />
gegenüberstehen. Das kann die Sprachlosigkeit im Verhältnis von E<strong>in</strong>satzrückkehrern<br />
und Gesellschaft vergrößern und mit dazu beitragen, dass sich Heimkehrer aufgrund<br />
ihrer militärischen Gewalterfahrungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft marg<strong>in</strong>alisiert fühlen – mit<br />
<strong>der</strong> Folge, dass sich Fremdheits- und Distanzierungsgefühle im Verhältnis von<br />
E<strong>in</strong>satzrückkehrern und Gesellschaft verstärken.<br />
Zur gesellschaftlichen Wahrnehmung von E<strong>in</strong>satzrückkehrern und Veteranen<br />
Antworten auf Fragen wie jene, ob sich die deutsche Bevölkerung überhaupt für die<br />
Erlebnisse von E<strong>in</strong>satzrückkehrern <strong>in</strong>teressiert, ob diese auch mit Unterstützung und<br />
Verständnis rechnen können o<strong>der</strong> wie die Gesellschaft <strong>den</strong>jenigen begegnet, die<br />
körperlich und seelisch verletzt aus <strong>den</strong> E<strong>in</strong>sätzen <strong>zurück</strong>kehren, s<strong>in</strong>d daher ke<strong>in</strong>esfalls<br />
nur von psychologischem Interesse, son<strong>der</strong>n haben politische und gesamtgesellschaftliche<br />
Relevanz.<br />
17 Vgl. Seiffert, Generation E<strong>in</strong>satz, S. 95.<br />
18 Vgl. etwa Aaron Antonovsky, Salutogenese: Zur Entmystifizierung <strong>der</strong> Gesundheit. Dt.<br />
erweiterte Herausgabe von Alexa Franke, Tüb<strong>in</strong>gen 1997.<br />
7
Aufarbeitung ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne zu verstehen als Bereitschaft, sich auf verschie<strong>den</strong>en<br />
Ebenen – sowohl politisch als auch sozial – mit <strong>den</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätzen <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
und ihren Folgen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>zusetzen. Wie die Gesellschaft die E<strong>in</strong>satzrückkehrer <strong>der</strong><br />
Bundeswehr wahrnimmt und wie sie mit <strong>den</strong> Veteranen, Versehrten, Traumatisierten<br />
und Gefallenen umgeht, kann so wichtige H<strong>in</strong>weise darauf liefern, wie es <strong>der</strong>zeit um<br />
die Beziehungen von Militär, Politik und Gesellschaft <strong>in</strong> Deutschland bestellt ist. Dieser<br />
Themenkomplex soll im Folgen<strong>den</strong> anhand empirischer Befunde kurz umrissen wer<strong>den</strong>.<br />
Die sozialwissenschaftliche Forschung ist dem Me<strong>in</strong>ungsklima über die Bundeswehr <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Vielzahl von quantitativen und qualitativen Studien nachgegangen. Sie zeigen<br />
unisono, dass die Bundeswehr hohe Anerkennung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft genießt. 19 Wie<br />
E<strong>in</strong>satzrückkehrer von <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft wahrgenommen wer<strong>den</strong> und welche<br />
Unterstützung die Bevölkerung für angemessen hält, ist wissenschaftlich h<strong>in</strong>gegen noch<br />
nicht breiter untersucht wor<strong>den</strong>. In Deutschland besteht noch e<strong>in</strong> Forschungs- und<br />
Politikdefizit <strong>in</strong> Bezug auf die E<strong>in</strong>satzrückkehrer. 20 Diese Frage wird <strong>in</strong>tensiver erst seit<br />
wenigen Jahren diskutiert, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e im Zusammenhang mit <strong>den</strong><br />
Afghanistanrückkehrern.<br />
Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten<br />
erweisen ihrem gefallenen<br />
Kamera<strong>den</strong> die letzte Ehre.<br />
Foto: Bundeswehr/Bienert<br />
E<strong>in</strong> vollständiges Bild darüber, wie E<strong>in</strong>satzrückkehrer von <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
wahrgenommen wer<strong>den</strong>, liegt noch nicht vor. Erste Inhaltsanalysen <strong>der</strong> veröffentlichten<br />
Me<strong>in</strong>ung über die <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätze <strong>der</strong> Bundeswehr weisen jedoch darauf h<strong>in</strong>, dass die<br />
19 Vgl. Thomas Bulmahn/Meike Wanner, Ergebnisse <strong>der</strong> Bevölkerungsumfrage 20<strong>13</strong> zum Image<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr und Bewertung des Claims „Wir.dienen.Deutschland“, Potsdam 20<strong>13</strong>, S. 45.<br />
20 So auch Michael Daxner bei e<strong>in</strong>em von <strong>der</strong> grünen Bundestagsfraktion veranstalteten<br />
Fachgespräch zum Thema „Rückkehr ohne Dank und Anerkennung“ am 18. Februar 20<strong>13</strong> im<br />
Bundestag <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Im Rahmen unserer Studie zur Lebenswirklichkeit von E<strong>in</strong>satzrückkehrern<br />
sollen <strong>in</strong> Kürze erste empirische Ergebnisse zu diesem Thema ersche<strong>in</strong>en. Vgl. Seiffert/Heß,<br />
Afghanistanrückkehrer.<br />
8
Befunde überraschen nur wenig. Da das Militärische <strong>in</strong> unserer Gesellschaft im<br />
Gegensatz zu an<strong>der</strong>en westlichen Län<strong>der</strong>n wie <strong>den</strong> USA, Großbritannien o<strong>der</strong><br />
Frankreich bisher nicht groß sichtbar war, ersche<strong>in</strong>t vielen e<strong>in</strong>e militärische Ritual- und<br />
Symbolkultur eher befremdlich.<br />
Das sehen übrigens auch viele <strong>der</strong> befragten Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten ähnlich. Die<br />
meisten wollen we<strong>der</strong> als Opfer noch als Hel<strong>den</strong> stilisiert wer<strong>den</strong>. Wichtiger ist ihnen<br />
die öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung <strong>der</strong> Risiken, die sie im E<strong>in</strong>satz<br />
getragen haben. Bei dem vielfach geäußerten Wunsch nach mehr Anerkennung geht es<br />
ihnen daher meist um <strong>den</strong> gesellschaftlichen und politischen Rückhalt für die E<strong>in</strong>sätze.<br />
Im Bereich <strong>der</strong> rechtlichen, sozialen und mediz<strong>in</strong>ischen Versorgung von<br />
E<strong>in</strong>satzrückkehrern ist <strong>in</strong> <strong>den</strong> letzten Jahren bereits E<strong>in</strong>iges auf <strong>den</strong> Weg gebracht<br />
wor<strong>den</strong>. Dazu gehören unter an<strong>der</strong>em das E<strong>in</strong>satzweiterverwendungsgesetz ebenso<br />
wie die Etablierung psychosozialer Netzwerke an <strong>den</strong> Standorten, die E<strong>in</strong>richtung von<br />
Familienbetreuungszentren, E<strong>in</strong>satznachbereitungssem<strong>in</strong>are o<strong>der</strong> Präventivkuren.<br />
Nachholbedarf wird vor allem bei <strong>der</strong> Anerkennung gesundheitlicher Spätfolgen <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>sätze ebenso wie bei <strong>der</strong> Unterstützung durch Vorgesetzte, <strong>den</strong> psychosozialen<br />
Angeboten für Angehörige sowie bei <strong>den</strong> Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Veteranen gesehen.<br />
Mart<strong>in</strong>a de Maizière, Schirmherr<strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Familienbetreuung, spricht <strong>in</strong><br />
Mazar-e-Sharif mit Soldaten und<br />
Soldat<strong>in</strong>nen des<br />
E<strong>in</strong>satzkont<strong>in</strong>gentes ISAF.<br />
Foto: Bundeswehr/Bienert<br />
Bundeswehr<strong>in</strong>tern ist durchaus e<strong>in</strong>e größere Aufgeschlossenheit für die Belange von<br />
E<strong>in</strong>satzrückkehrern und ihren Familien zu beobachten. E<strong>in</strong>e Sensibilisierung ist aber<br />
auch notwendig, da e<strong>in</strong>e als falsch empfun<strong>den</strong>e Behandlung – etwa bei <strong>der</strong><br />
Antragstellung auf Anerkennung gesundheitlicher Folgeschä<strong>den</strong> – von <strong>den</strong> Betroffenen<br />
24 Vgl. Bulmahn, Bevölkerungsbefragung 2012, S. 35.<br />
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oft als zusätzliche Verletzung empfun<strong>den</strong> wird. Das Problem besteht dabei nicht alle<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> langwierigen Verfahren, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Distanzierung, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er das<br />
Leid versachlichen<strong>den</strong> Sprache ausdrücken kann und von <strong>den</strong> Betroffenen nicht selten<br />
als Abwehr empfun<strong>den</strong> wird.<br />
Gleichzeitig herrscht bei manchen <strong>in</strong> Deutschland die Me<strong>in</strong>ung vor, dass die Soldat<strong>in</strong>nen<br />
und Soldaten sich freiwillig gemeldet haben und daher nun auch mit <strong>den</strong> Folgen dieser<br />
Entscheidung leben müssten. Dieser Trend zur Privatisierung <strong>der</strong> Aufarbeitung kann sich<br />
angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass die Bundeswehr jetzt e<strong>in</strong>e Freiwilligenarmee ist, künftig<br />
noch verstärken. E<strong>in</strong> solches Verständnis verkennt jedoch, dass die Aufarbeitung von<br />
E<strong>in</strong>satzerfahrungen ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong> persönliche Angelegenheit ist. Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr sollen <strong>in</strong> <strong>den</strong> E<strong>in</strong>sätzen ja die Interessen und Werte <strong>der</strong> eigenen<br />
Gesellschaft vertreten. Sie s<strong>in</strong>d daher nicht irgendwelche Heimkehrer aus fernen<br />
Krisenregionen, son<strong>der</strong>n vom Parlament entsandte Soldaten. Die durch dieses<br />
Parlament repräsentierte Gesellschaft trägt daher Mitverantwortung.<br />
Auch e<strong>in</strong>e primär nur an <strong>der</strong> psychosozialen Versorgung orientierte Bewältigung von<br />
E<strong>in</strong>satzfolgen geht leicht an <strong>der</strong> Sache vorbei. Die Fokussierung <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Debatte auf traumatische E<strong>in</strong>satzfolgen hat <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ten<strong>den</strong>z bereits zu e<strong>in</strong>er<br />
Psychologisierung des Diskurses über die <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätze <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
beigetragen. Die politisch und gesellschaftlich so wichtige Frage, ob und wofür<br />
Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten <strong>in</strong> <strong>den</strong> E<strong>in</strong>sätzen notfalls auch militärische Gewalt anwen<strong>den</strong><br />
sollen, gerät dabei immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> H<strong>in</strong>tergrund. Die Gesellschaft aber braucht,<br />
ebenso wie die Soldat<strong>in</strong>nen und Soldaten, e<strong>in</strong>e verlässliche politische Legitimation <strong>der</strong><br />
E<strong>in</strong>sätze, auch zur E<strong>in</strong>ordnung <strong>der</strong> Erfahrungen <strong>der</strong> Rückkehrer.<br />
Fazit<br />
Die gesellschaftliche Dimension <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätze ist bis heute nur ungenügend<br />
aufgearbeitet wor<strong>den</strong>. Das zeigt sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen Diskussion. Manche <strong>in</strong><br />
Deutschland sehen die Veteranen und Gefallenen, die Versehrten und Verwundeten als<br />
Zeichen <strong>der</strong> Normalisierung und me<strong>in</strong>en, die Bundeswehr sei mit <strong>den</strong> E<strong>in</strong>sätzen,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Afghanistan nunmehr „‘erwachsen‘ gewor<strong>den</strong>.“ 25 An<strong>der</strong>e h<strong>in</strong>gegen<br />
befürchten, dass sich dah<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong> grundsätzlicher Wandel im Verständnis von Krieg und<br />
25 Interview mit Generalmajor Erich Pfeffer, <strong>in</strong>: Bundeswehr aktuell vom 18.2.20<strong>13</strong>, 5.<br />
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Frie<strong>den</strong> verbirgt. 26 In <strong>der</strong> Realität jedoch, ist die Situation komplizierter. Gerade die<br />
Beschäftigung und <strong>Aus</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>den</strong> Rückkehrern und ihren Erfahrungen<br />
kann verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass diese eigene Son<strong>der</strong>kulturen entwickeln und <strong>in</strong> Distanz zur<br />
Gesellschaft gehen aus dem Gefühl heraus, nicht verstan<strong>den</strong> zu wer<strong>den</strong>. In diesem S<strong>in</strong>ne<br />
kann e<strong>in</strong>e Anerkennungspolitik, die gleichermaßen von <strong>den</strong> Betroffenen wie von <strong>der</strong><br />
entsen<strong>den</strong><strong>den</strong> Gesellschaft mitgetragen wird, e<strong>in</strong> wichtiges Instrument zur Integration<br />
von E<strong>in</strong>satzrückkehrern se<strong>in</strong>.<br />
Wie diese Anerkennung aussehen kann, muss aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen Diskurs<br />
geklärt wer<strong>den</strong>. E<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiger <strong>Aus</strong>handlungsprozess wird ohne die Aufarbeitung <strong>der</strong><br />
bisherigen E<strong>in</strong>sätze nicht gut gel<strong>in</strong>gen. Er kann zudem we<strong>der</strong> als konfliktfrei noch kurzo<strong>der</strong><br />
mittelfristig als abschließbar bestimmt wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n ist durch Ambivalenzen<br />
und Gegenläufigkeiten gekennzeichnet. Das ist auch nicht zu kritisieren. Die<br />
gesellschaftliche Aufarbeitung von riskanten E<strong>in</strong>sätzen ist immer e<strong>in</strong> Prozess und<br />
folglich wie jede an<strong>der</strong>e Baustelle nicht fixiert, son<strong>der</strong>n ständiger Verän<strong>der</strong>ung<br />
unterworfen. Anerkennung muss von unten aus <strong>der</strong> Gesellschaft wachsen. Die Zeichen<br />
dafür stehen mit Blick auf die bisher vorliegen<strong>den</strong> quantitativen und qualitativen<br />
Erkenntnisse darüber, wie die deutsche Bevölkerung die E<strong>in</strong>satzrückkehrer und<br />
Veteranen <strong>der</strong> Bundeswehr wahrnimmt, gar nicht so schlecht, wie oft behauptet wird.<br />
Dafür aber braucht es politische Offenheit und Transparenz auch über die je konkreten<br />
<strong>E<strong>in</strong>satzrealität</strong>en <strong>der</strong> Bundeswehr.<br />
Autor<strong>in</strong><br />
Dr. Anja Seiffert, Jahrgang 1965, ist Projektleiter<strong>in</strong> Sozialwissenschaftliche<br />
E<strong>in</strong>satzbegleitung und E<strong>in</strong>satzdokumentation am Zentrum für Militärgeschichte und<br />
Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr. Zuvor war sie Leiter<strong>in</strong> des<br />
Forschungsschwerpunktes "Sozialwissenschaftliche Begleitung <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätze <strong>der</strong><br />
Bundeswehr" am Sozialwissenschaftlichen Institut <strong>der</strong> Bundeswehr. Ihre<br />
Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich <strong>der</strong> Sicherheitspolitik mit e<strong>in</strong>em Fokus auf<br />
<strong>den</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätzen <strong>der</strong> Bundeswehr und <strong>der</strong> Militärsoziologie.<br />
Literatur<br />
26 Vgl. ausführlicher hierzu Arm<strong>in</strong> Wagner/Heiko Biehl, Bundeswehr und Gesellschaft, <strong>in</strong>: <strong>Aus</strong><br />
Politik und Zeitgeschichte APuZ, 44/20<strong>13</strong>, 28. Oktober 20<strong>13</strong>, 23-30: 28.<br />
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Thomas Bulmahn, Ergebnisse <strong>der</strong> Bevölkerungsbefragung 2012. Wahrnehmung und<br />
Bewertung des Claims „Wir. Dienen. Deutschland“, Image <strong>der</strong> Bundeswehr sowie<br />
Haltungen zum Umgang mit Veteranen, Kurzbericht, Strausberg 2012.<br />
Michael Daxner/Hannah Neumann (Hrsg.), Heimatdiskurs. Wie die <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>sätze <strong>der</strong><br />
Bundeswehr Deutschland verän<strong>der</strong>n, Bielefeld 2012.<br />
Anja Seiffert/Julius Hess, Afghanistanrückkehrer. Der E<strong>in</strong>satz, die Liebe, <strong>der</strong> Dienst und<br />
die Familie. <strong>Aus</strong>gewählte Ergebnisse <strong>der</strong> sozialwissenschaftlichen Langzeitbegleitung<br />
des 22. Kont<strong>in</strong>gents ISAF, unveröff. Forschungsbericht des Zentrums für<br />
Militärgeschichte und Sozialwissenschaften <strong>der</strong> Bundeswehr, Potsdam 20<strong>13</strong>.<br />
Wendel, Peter, Soldat im E<strong>in</strong>satz - Partnerschaft im E<strong>in</strong>satz. Praxis- und Arbeitsbuch für Paare<br />
und Familien <strong>in</strong> <strong>Aus</strong>landse<strong>in</strong>satz und Wochenendbeziehung, (4. Aufl.), Freiburg et al. 20<strong>13</strong>.<br />
Psychotraumazentrum Bundeswehrkrankenhaus Berl<strong>in</strong> (Hrsg.), Jahrbuch 2011/2012<br />
Psychotraumazentrum, Berl<strong>in</strong> 20<strong>13</strong>.<br />
Weiterführende L<strong>in</strong>ks<br />
http://bit.ly/193FxSv<br />
Zusammenfassung <strong>der</strong> Dunkelzifferstudie zu E<strong>in</strong>satz und PTBS<br />
http://bit.ly/193EBxw<br />
Informationsseite <strong>der</strong> Bundeswehr zu Belastungsstörungen<br />
http://www.ptbs-hilfe.de/startseite.html<br />
Hilfeseite des Sanitätsdiensts <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
http://bit.ly/1dwXkAW<br />
Zentrum für Psychiatrie und Psychotraumatologie am Bundeswehrkrankenhaus Berl<strong>in</strong><br />
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