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Thesenpapier Helga Nielebock, Deutscher Gewerkschaftsbund

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<strong>Helga</strong> <strong>Nielebock</strong><br />

Leiterin Abteilung Recht<br />

DGB-Bundesvorstand<br />

Symposium Werkverträge<br />

11. März 2013, Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />

Diskussionsrunde „ Handlungsoptionen für Verbände und Politik“<br />

Thesen<br />

I. Missbräuchlicher Einsatz von Werkvertragsarbeit und Arbeit von Selbständigen<br />

1. Werden auf Basis eines Werk- oder Dienstleistungsvertrages Tätigkeiten, die dem Betriebszweck oder<br />

einem Hilfszweck entsprechen, nicht nur für eine kurze Einsatzzeit, sondern in der Regel auf Dauer, im<br />

Betrieb oder auf dem Betriebsgelände verrichtet und sind damit schlechtere Entgelt- und<br />

Arbeitsbedingungen und weniger Schutzrechte im Vergleich zu den Stammbeschäftigten des<br />

Einsatzbetriebes verbunden, so liegt ein Missbrauch dieser Vertragsformen zu Lasten der<br />

Soloselbständigen bzw. Arbeitnehmer des Werkvertragnehmers vor.<br />

2. Diese Voraussetzungen sind insbesondere dann gegeben, wenn<br />

a der Soloselbständige oder der Werkvertragsnehmer überwiegend von einem Auftraggeber<br />

abhängig ist und nicht darüber hinaus unternehmerisch tätig ist, oder<br />

b Werk- oder Dienstverträge entweder durch ihre Vertragsgestaltung oder die tatsächliche<br />

Ausführung so gefasst bzw. praktiziert werden, dass eigene Dispositionen zur Erstellung als<br />

Werk oder Erbringung der Dienstleistung sich ggf. gerade noch auf dem Personaleinsatz<br />

beziehen, weitere eigener Entscheidungsspielraum über Ort, Zeit und Art der Erbringung und<br />

Erstellung des Werks oder der Leistung aber kaum besteht, oder<br />

c die Vertragsleistung in Ketten von Subunternehmertätigkeiten erbracht wird, wobei einzelne<br />

Kettenglieder nicht in der Lage sind, den Auftrag selbst auszuführen.<br />

3. Praktisches Indiz für das Vorliegen von Missbrauch ist, dass Tätigkeiten, die zuvor von zwischenzeitlich<br />

gekündigten Beschäftigten oder von Leiharbeitnehmern verrichtet wurden, an Selbständige oder<br />

Werkvertragsunternehmen zu deutlich niedrigen Kosten für den Auftraggeber und mit einer schlechteren<br />

rechtlichen oder sozialen Absicherung der Ausführenden vergeben werden. Vor allem fehlt es bei den<br />

Selbstständigen häufig an einer Absicherung bei Erkrankungen, Erwerbsminderung und im Alter.<br />

4. Bei Tätigkeiten von Soloselbständigen fehlt es in der Regel an einer Vergütungshöhe, die eine<br />

hinreichende soziale Absicherung einschließt; bei den ArbeitnehmerInnen eines<br />

Werkvertragsunternehmens wird ebenfalls eine deutlich niedrigere Vergütung und das Fehlen von<br />

sonstigen tariflichen Ansprüchen aber auch der Schutz einer betrieblichen Interessenvertretung<br />

beobachtet. Wird das Arbeitsverhältnis beim Werkunternehmen auf die Dauer seines Auftrages befristet,<br />

wird das volle Arbeitsgeberrisiko auf den Arbeitnehmer abgewälzt.<br />

5. Findet eine Vergabe von Tätigkeiten durch Übernahme von bereits Beschäftigten des Auftraggebers statt,<br />

schützen die Regelungen zum Betriebsübergang nur bedingt. Sie entfallen, wenn es sich nicht um eine<br />

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<strong>Helga</strong> <strong>Nielebock</strong><br />

Leiterin Abteilung Recht<br />

DGB-Bundesvorstand<br />

organisatorische Einheit handelt. Aber selbst wenn die Regelungen zur Anwendung kommen, stehen i. d.<br />

R. mittelfristig die Entgelthöhe und die Qualität der Arbeitsbedingungen zur Disposition, weil<br />

Tarifverträge nur statisch – wenn überhaupt – zur weiteren Anwendung kommen und der Schutz durch<br />

Betriebsvereinbarungen und Betriebsräte von deren Existenz abhängen. Immer kleinere Betriebe<br />

verringern die Wahrscheinlichkeit der Existenz von Betriebsräten und der Geltung von (erhöhenden)<br />

Tarifansprüchen.<br />

6. Verfolgt werden mit dieser Art der betrieblichen Personalpolitik der „unteren Linie“ Kostenvorteile für<br />

den Auftraggeber durch Einsparung von Personalkosten und Sozialversicherungsbeiträgen nicht nur im<br />

Hinblick auf die Beauftragung des Werkunternehmens, sondern auch in Bezug auf die eigenen<br />

Beschäftigten. Diese sind einem enormen Druck hinsichtlich der Rechtfertigung des Bestandes ihrer<br />

Entgelt- und Arbeitsbedingungen und einem erhöhten Leistungsdruck ausgesetzt. Ihre tariflichen und<br />

betrieblichen Ansprüche werden durch die Unterbietungskonkurrenz perspektivisch ausgehöhlt. Dies gilt<br />

auch für erreichte tarifliche Standards in der Leiharbeit, die nicht zur Anwendung kommen.<br />

Darüber hinaus verringert sich die Belegschaftsgröße, mit der Folge, dass der Schutz durch (verbesserte)<br />

Tarifverträge und betriebliche Interessenvertretungen schwerer gehalten oder gar verbessert werden<br />

kann. Durch die geringere Betriebsgröße werden gesetzliche Rechte, die an die Betriebsgröße gebunden<br />

sind, schwieriger erreicht: der Kreis derjenigen, die bei der Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten<br />

Kündigung zu berücksichtigen sind, wird kleiner, Versetzungsmöglichkeiten geringer.<br />

II. Lösungsansätze<br />

1. Wo immer möglich, versuchen die Gewerkschaften und Betriebsräte 1 die negativen Folgen der Vergabe<br />

von Tätigkeiten an Selbständige oder Werkvertragsunternehmen mit zu beeinflussen, um die<br />

dargestellten negativen Folgen für die Stammbeschäftigten und die Beauftragten zu minimieren. Die<br />

bisherigen Einflussmöglichkeiten über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen und im Zuge von<br />

Kündigungen/Versetzungen oder Betriebsänderungen sind dabei aber unzureichend. Die<br />

Handlungsnotwendigkeiten liegen vorwiegend auf betrieblicher Ebene, um der spezifischen Situation<br />

jeweils Rechnung tragen zu können.<br />

2. Die betrieblichen Interessenvertretungen und Institutionen, die mit der Kontrolle beauftragt sind, sowie<br />

die Betroffenen stehen einer riesigen Kasuistik von Gerichtsentscheidungen gegenüber. Verbindliche und<br />

transparente Abgrenzungskriterien und zeitnahe Klärungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten,<br />

insbesondere für betriebliche Interessenvertretungen, fehlen.<br />

3. Deshalb ist die gesetzliche Regelung mit zwei auf die jeweilige Ausgangssituation bezogenen<br />

Kriterienkataloge in Form einer widerlegbaren Vermutung für Beschäftigung beim Auftraggeber<br />

notwendig, ergänzt durch eine Beweislastverteilung wie im AGG, sodass der Vortrag von Indizien für die<br />

1<br />

andere betriebliche Interessenvertretungen sind umfasst<br />

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<strong>Helga</strong> <strong>Nielebock</strong><br />

Leiterin Abteilung Recht<br />

DGB-Bundesvorstand<br />

Vermutung ausreicht und die Darlegungs- und Beweislast dann beim Widerlegenden liegt. Eine<br />

bestehende Erlaubnis zur Leiharbeit darf zudem eine als Werkvertrag deklarierte Tätigkeit im Nachhinein<br />

nicht erfassen.<br />

4. Der betrieblichen Interessenvertretung und einer im Betrieb des Auftraggebers vertretenen Gewerkschaft<br />

ist im Rahmen eines eigenständigen Klagerechts die Klärung der vermuteten Beschäftigung beim<br />

Arbeitgeber auf der Basis einer vertraglichen oder tatsächlichen Gestaltung zu ermöglichen, sodass<br />

gemeinsame Handhabungen eines Vertrages für alle Betroffenen kollektiv und zügig geklärt werden<br />

können.<br />

5. Die Rechte der betrieblichen Interessenvertretungen sind deutlich zu stärken, da durch den Einsatz von<br />

Werkverträgen Rückwirkungen auf die Stammbeschäftigten gegeben sind, die nachteilig sein können und<br />

zudem Fragen der sozialen Angelegenheiten wie z. B. der Betriebsordnung, des Einsatzes von<br />

moderneren Informations- und Kommunikationsmitteln bei Einsatzzeiten und zum Arbeitsschutz betroffen<br />

sind. Zur Prävention von Konflikten bei betrieblicher Durchführung sollte im Rahmen von § 92a BetrVG 2<br />

eine umfangreichen Information, Beratung und Verhandlung über den Einsatz von Fremdpersonal<br />

zwischen den Betriebsparteien erfolgen bis hin zur Verhandlung vor einer Einigungsstelle bei<br />

Nichteinigung. Mögliche Nachteile für die Stammbelegschaft sollten sozial abgefedert werden können.<br />

Der jeweils konkrete Einsatz von Fremdfirmenarbeitnehmern sollte im Rahmen von § 99 BetrVG der<br />

Mitwirkung des Betriebsrats unterliegen, um auch konkrete Nachteile für Beschäftigte und Betroffene<br />

abwehren zu können. Die Rechte der betrieblichen Interessenvertretung sollten auch bei<br />

Betriebsübergängen zum ausreichenden Schutz von Stammbelegschaft und der vom Wechsel Betroffenen<br />

gestärkt werden.<br />

6. Die Kontrollmöglichkeiten durch Institutionen sind zu verbessern, inhaltlich wie personell. Die<br />

Informationsbeschaffung muss auch durch Informationen von Beschäftigten bei deren gleichzeitigem<br />

Schutz als Hinweisgeber verbessert werden.<br />

7. Die bessere Durchsetzung von Tarifverträgen zur Absicherung und besseren Gestaltung von Entgelt- und<br />

Arbeitsbedingungen zur Vermeidung von unfairen Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen<br />

und Schmutzkonkurrenz ist durch Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu<br />

ermöglichen.<br />

2<br />

BetrVG stellvertretend für andere Rechte betrieblicher Interessenvertretungen<br />

3

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