Antifaschistische Kultur - Die Linke
Antifaschistische Kultur - Die Linke
Antifaschistische Kultur - Die Linke
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
sind wir schuldig geworden am 10. November<br />
1938. Und nun? Es scheint, dass<br />
die Kirche auch dieses Mal, wo ja nun<br />
wirklich die Steine schreien, es der Einsicht<br />
und dem Mut des einzelnen Pfarrers<br />
überlassen, ob er etwas sagen will,<br />
und was. (…) Es gehen Gerüchte um,<br />
dass ein Zeichen an der Kleindung beabsichtigt<br />
sei. (…) Geht man dazu über,<br />
die Menschen zu bezeichnen – so liegt<br />
ein Schluss nah, den ich nicht weiter<br />
präzisieren möchte. Und niemand wird<br />
behaupten wollen, dass diese Befehle<br />
nicht ebenso prompt, ebenso gewissenlos<br />
und stur, ebenso böse und sadistisch<br />
ausgeführt würden wie die jetzigen. (…)<br />
Ich bin überzeugt, dass – sollte es dahin<br />
kommen – mit dem letzten Juden auch<br />
das Christentum aus Deutschland verschwindet.“<br />
(S. 223 u. 225)<br />
<strong>Die</strong> Beiträge des Bandes behandeln jeweils<br />
spezielle Abschnitte bzw. Aspekte<br />
der Biographie von Elisabeth Schmitz:<br />
unter anderem die Ausprägung ihrer<br />
Persönlichkeit und ihrer religiös-weltanschaulichen<br />
Überzeugungen im intellektuell-akademischen<br />
Milieu Berlins,<br />
vom Beginn ihres Studiums 1915 bis<br />
weit in die 1920er Jahre hineinreichend.<br />
Dass hier noch manches der Aufhellung<br />
bedarf, ist offensichtlich. Wertvoll<br />
ist auch die Nachzeichnung ihrer Karriere<br />
als Gymnasiallehrerin, die ihren<br />
sensiblen und komplizierten Charakter<br />
verdeutlicht. Ihr Briefwechsel mit Karl<br />
Barth kann nur in gewissen Grenzen<br />
nachgezeichnet werden, da der in der<br />
Schweiz verwahrte Nachlass des berühmten<br />
Theologen nur eingeschränkt<br />
für die Forschung zur Verfügung steht.<br />
Sehr wertvoll ist der von Martina Voigt<br />
verfasste Beitrag über die Weggefährtin<br />
von Elisabeth Schmitz, die Professorin<br />
der Biologie Dr. Elisabeth Schiemann.<br />
Besonders der von der Autorin<br />
auf S. 149f. angestellte Versuch, eine<br />
„Typologie“ der in der Bekennenden<br />
Kirche aktiven Frauen zu formulieren,<br />
ist außerordentlich anregend – auch<br />
vor dem Hintergrund der mehrfach von<br />
Manfred Gailus belegten These, es habe<br />
sich bei der Bekennenden Kirche im<br />
Kern um eine „Frauenbewegung“ gehandelt.<br />
2<br />
Der vorliegende Sammelband kommt<br />
fast unscheinbar daher, leicht verfremdet<br />
das Gesicht der Elisabeth Schmitz<br />
auf dem Titel, mit 230 Seiten Umfang<br />
nicht besonders umfangreich. Der Wert<br />
dieser Publikation kann indes gar nicht<br />
überschätzt werden. Man möchte mehr<br />
wissen, mehr lesen über diese herausragende<br />
Persönlichkeit der Bekennenden<br />
Kirche, die, nach ihrem Rückzug<br />
aus dem Gymnasiallehrerinnen-Dasein<br />
und der Zerstörung ihres Wohnhauses<br />
im Bombenkrieg 1943, in ihre Heimatstadt<br />
Hanau zurückkehrte, in der<br />
sie nach dem Kriege, bis zu ihrem Tode<br />
1977, lebte und als Oberstudienrätin<br />
sowie aktives Mitglied des örtlichen<br />
Geschichtsvereins wirkte. Um ihre Ak-<br />
tivitäten im „3. Reich“ machte sie kein<br />
Aufheben. <strong>Die</strong> Autorenschaft ihrer oben<br />
zitierten Denkschrift, sie wurde fälschlich<br />
Marga Meusel zugeschrieben, klärte<br />
sie zu Lebzeiten – aus welchen Gründen<br />
auch immer – nicht auf. Ihre Beerdigung<br />
fand in aller Stille statt. Immerhin hat sie<br />
inzwischen eine Gedenk-Stele auf ihrem<br />
Grab bekommen, immerhin gedenkt<br />
man in Hanau von Zeit zu Zeit durch<br />
Veranstaltungen unterschiedlichster<br />
Art dieser überaus klugen und mutigen<br />
Frau. Und in Berlin? Bisher ist fast nichts<br />
geschehen, um ihr Andenken zu würdigen.<br />
Vielleicht trägt der von Professor<br />
Gailus edierte Band dazu bei, dass dies<br />
sich zukünftig ändert?<br />
Dr. Reiner Zilkenat<br />
1 Zur hoch interessanten Biographie Themels vgl.<br />
Manfred Gailus, Vom evangelischen Sozialpfarrer<br />
zum nationalsozialistischen Sippenforscher. <strong>Die</strong><br />
merkwürdigen Lebensläufe des Berliner Theologen<br />
Karl Themel (1890–1973), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft,<br />
49. Jg., 2001, H.9, S. 773ff.<br />
2 Vgl. vor allem Manfred Gailus, <strong>Die</strong> mutigen Frauen<br />
in einer kirchlichen Männergesellschaft. Anmerkungen<br />
zur Frauen- und Geschlechtergeschichte<br />
am Beispiel des Berliner „Kirchenkampfes“, in:<br />
Wolfgang Benz, Hrsg., Selbstbehauptung und Opposition.<br />
Kirche als Ort des Widerstandes gegen<br />
staatliche Diktatur, Berlin 2003, S. 145ff.; derselbe,<br />
Von der selbst gewählten hundertjährigen Gefangenschaft<br />
der Kirche im Nationalen, in: Von der<br />
babylonischen Gefangenschaft der Kirche im Nationalen.<br />
Regionalstudien zu Protestantismus, Nationalsozialismus<br />
und Nachkriegsgeschichte 1930 bis<br />
2000, hrsg. v. Manfred Gailus u. Wolfgang Krögel,<br />
Berlin 2006, S. 523f.<br />
85