Antifaschistische Kultur - Die Linke
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Dort, wo es ihr möglich war, half sie mutig<br />
„rassisch“ Verfolgten. So wohnte bei<br />
ihr seit dem 1. Oktober 1933 die „nichtarische“<br />
Ärztin Dr. Martha Kassel, die<br />
ihre Zulassung als „Kassenärztin“ verloren<br />
hatte und Jahre später, im Dezember<br />
1938, nach Argentinien emigrierte.<br />
Von 1939 bis 1943 fanden in ihrer Wohnung<br />
mehrfach Personen ein Obdach,<br />
die von den Nazis verfolgt wurden. Auch<br />
ihr im Jahre 1939 erworbenes Wochenendhäuschen<br />
in Wandlitz diente oft als<br />
Quartier für Menschen auf der Flucht,<br />
bis es im August 1943 beschlagnahmt<br />
wurde, um Obdachlose unterzubringen.<br />
Neben ihrer mutigen Hilfe für Verfolgte<br />
ist Elisabeth Schmitz vor allem als unermüdliche<br />
und kompromisslose Streiterin<br />
für die Sache der vom NS-Staat mit Repressionen<br />
überzogenen Juden zu würdigen.<br />
Hervorgehoben werden muss,<br />
dass sie sich dabei nicht nur derjenigen<br />
evangelischen Christen annahm, die jüdischer<br />
Herkunft waren. Häufig genug<br />
reduzierten Geistliche wie Laien beider<br />
Konfessionen ihre Aktivitäten auf diesen<br />
Personenkreis, während sie die für die<br />
verfolgten „Glaubensjuden“ keinerlei<br />
Empathie und Engagement zeigten.<br />
Innerhalb der Bekennenden Kirche, in<br />
Briefen an den in der Schweiz lehrenden<br />
Karl Barth, der den wohl größten theologischen<br />
Einfluss auf die Bekennende<br />
Kirche ausübte, aber besonders durch<br />
eine von ihr verfasste Denkschrift „Zur<br />
Lage der deutschen Nichtarier“ (Erstfassung<br />
September 1935, einen Nachtrag<br />
brachte sie im Mai 1936 zu Papier), die<br />
bis vor nicht allzu langer Zeit einer anderen<br />
Autorin zugeschrieben wurde, dokumentiert<br />
sie ihre Empathie, ihr hohes<br />
Maß an Moralität und ihre Entschlossenheit,<br />
die Bekennende Kirche mit ihren<br />
schwachen Kräften zu einem öffentlich<br />
geäußerten, unmissverständlichen<br />
Wort der Solidarität mit den verfolgten<br />
Juden zu bewegen. Elisabeth Schmitz<br />
ist jedes „wenn und aber“, ist auch die<br />
geringste Konzession an die Nazis und<br />
den von ihnen geprägten „Zeitgeist“ zuwider.<br />
Für sie ist die christliche Barmherzigkeit<br />
Leitlinie ihres Denkens und<br />
Handelns. Sie spricht Klartext. Und sie<br />
formuliert in einer Art und Weise, die unter<br />
die Haut geht:<br />
„Wer ruft die Gemeinden und unser ganzes<br />
Volk zurück zu dem, nach dem alles<br />
Christentum sich nennt? Zu dem, der<br />
seiner Kirche gerade den Samariter, den<br />
‚artfremden‘, verachteten ‚Mischling‘ als<br />
das große Beispiel der Barmherzigkeit,<br />
des praktischen Christentums handelt?<br />
Zu dem, der gesagt hat: Liebe Deinen<br />
Nächsten wie Dich selbst – und gegen<br />
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dessen Gebote es sich empört? Und<br />
wer von uns wagt, sich zu sondern von<br />
seinem Volk, das diese Schuld auf sich<br />
lädt? <strong>Die</strong>ses Volkes Schuld ist auch unsere<br />
Schuld. (…) Was wollen wir antworten<br />
einst auf die Frage: Wo ist Dein Bruder<br />
Abel? Es wird auch uns, auch der<br />
Bekennenden Kirche keine andere Antwort<br />
übrig bleiben als die Kainsantwort.<br />
(…) Einer Judenverfolgung im Namen<br />
von Blut und Rasse muss eine Christenverfolgung<br />
notwendigerweise folgen. Einen<br />
Anfang davon hat die Bekennende<br />
Kirche, haben vor allem ihre Pfarrhäuser<br />
zu spüren bekommen. Aber trotz allen<br />
Leides wird es niemand einfallen, es in<br />
einen Vergleich setzen zu wollen zu dem<br />
Leid der deutschen Juden und Nichtarier.<br />
Und ganz abgesehen von der Größe<br />
des Leides bleibt der große Unterschied:<br />
Der Christ leidet persönlich, der<br />
Jude und Nichtarier mit Kindern und Enkeln.<br />
(…) Alle diese Menschen mit ihrem<br />
unermesslichen Leid Leibes und der<br />
Seele sind die Opfer des Glaubens an<br />
Blut und Rasse. Aber welcher Arzt, welcher<br />
Rechtsanwalt, welcher Beamte, Angestellte,<br />
Geschäftsinhaber weiß, ob er<br />
nicht der Nutznießer dieser Götter ist?<br />
Ob nicht seine Existenz aufgebaut ist auf<br />
der vernichteten Existenz eines andern?<br />
Auch, wenn er es nicht will, auch wenn<br />
er mit allen Fasern seines Wesens sich<br />
wehrt gegen diese Möglichkeit. Unvermeidlich<br />
hat er Vorteile aus seiner Abstammung,<br />
aus seinem ‚Blut‘ und seiner<br />
‚Rasse‘. In diese Schuldgemeinschaft ist<br />
unentrinnbar jeder verstrickt.“ (S. 199,<br />
207, 209, 209f.)<br />
Und Elisabeth Schmitz stellt unbequeme<br />
Fragen an ihre Kirche:<br />
„Warum tut die Kirche nichts? Warum<br />
lässt sie das namenlose Unrecht geschehen?<br />
Wie kann sie immer wieder<br />
freudige Bekenntnisse zum nationalsozialistischen<br />
Staat ablegen, die doch politische<br />
Bekenntnisse sind und sich gegen<br />
das Leben eines Teiles ihrer eigenen<br />
Glieder richtet? Warum schützt sie nicht<br />
wenigstens die Kinder? Sollte denn alles<br />
das, was mit der heute so verachteten<br />
Humanität schlechterdings unvereinbar<br />
ist, mit dem Christentum vereinbar<br />
sein? Und wenn die Kirche um ihrer völligen<br />
Zerstörung willen in vielen Fällen<br />
nichts tun kann, warum weiß sie dann<br />
nicht wenigstens um ihre Schuld? Warum<br />
betet sie nicht für die, die dies unverschuldete<br />
Leid und die Verfolgung<br />
trifft? Warum gibt es nicht Fürbittegottesdienste,<br />
wie es sie gab für die gefangenen<br />
Pfarrer? <strong>Die</strong> Kirche macht es einem<br />
bitter schwer, sie zu verteidigen.<br />
Menschlich geredet bleibt die Schuld,<br />
das alles dies geschehen konnte vor<br />
den Augen der Christen, für alle Zeiten<br />
und vor allen Völkern und nicht zuletzt<br />
vor den eigenen künftigen Generationen<br />
auf den Christen Deutschlands liegen.<br />
Denn noch sind fast alle Glieder<br />
des Volkes getauft, und noch trägt die<br />
Kirche Verantwortung für Volk und Staat<br />
…“ (S. 211)<br />
Elisabeth Schmitz fordert aber nicht nur<br />
von ihrer Kirche sichtbare Taten. Sie<br />
selbst zieht nach der Reichspogromnacht<br />
am 9. November 1938 die einschneidende<br />
Konsequenz, ihr Amt als<br />
Gymnasiallehrerin nicht mehr länger<br />
ausüben zu können. In ihrem Entlassungsgesuch<br />
vom 31. Dezember 1939<br />
schreibt sie in mutiger Offenheit: „Es ist<br />
mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden,<br />
ob ich den Unterricht bei meinen<br />
weltanschaulichen Fächern – Religion,<br />
Geschichte, Deutsch – so geben<br />
kann, wie ihn der nationalsozialistische<br />
Staat von mir erwartet und fordert.<br />
Nach immer wiederholter Prüfung bin<br />
ich schließlich zu der Überzeugung gekommen,<br />
dass das nicht der Fall ist.“<br />
(S. 67f.) Elisabeth Schmitz Entlassungsgesuch<br />
wurde akzeptiert und ihr zugleich<br />
eine Pension gewährt, die 306<br />
Reichsmark monatlich betrug.<br />
<strong>Die</strong> Reichspogromnacht hatte sie innerlich<br />
schwer erschüttert. Sie wartete<br />
endlich, endlich!, auf ein sichtbares Zeichen<br />
ihrer Kirche angesichts der barbarischen<br />
Ereignisse, auf eine öffentliche<br />
Manifestation, auf ein „Bis hierher und<br />
nicht weiter!“ Erneut musste sie bitter<br />
enttäuscht werden. Dem Herausgeber<br />
ist zu danken, dass er den im Evangelischen<br />
Zentralarchiv in Berlin überlieferten<br />
Brief vollständig abdruckt, den Elisabeth<br />
Schmitz am 24. November 1938<br />
an Helmut Gollwitzer sandte, damals<br />
junger Pfarrer der Bekennenden Kirche<br />
in der Gemeinde Berlin-Dahlem. <strong>Die</strong>ser<br />
Brief wäre es wert, obligatorisch als<br />
Quelle im Geschichtsunterricht sowie<br />
im zeithistorischen Proseminar gelesen<br />
zu werden. Es handelt sich zweifellos<br />
um ein herausragendes Zeitdokument.<br />
Beinahe prophetisch klingen ihre Worte<br />
über die bevorstehende Ermordung<br />
der Juden:<br />
„Das Wort der Kirche ist nicht gekommen.<br />
Dafür haben wir das Grauenhafte<br />
erlebt und müssen nun weiterleben<br />
mit dem Wissen, dass wir daran schuld<br />
sind. Als wir zum 1. April 33 schwiegen,<br />
als wir schwiegen zu den Stürmerkästen,<br />
zu der satanischen Hetze der Presse,<br />
zur Vergiftung der Seele des Volkes<br />
und der Jugend, zur Zerstörung der Existenzen<br />
und der Ehen durch so genannte<br />
‚Gesetze‘, zu den Methoden von Buchenwald<br />
– da und tausendmal sonst