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Antifaschistische Kultur - Die Linke

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Dem spürt Kurt Pätzold nach. Bei der<br />

Rekonstruktion der anfänglichen Schritte<br />

der Judenverfolgung fand er das nicht<br />

bestätigt. Sehr wohl hatten Überlegungen,<br />

welche die aktuelle Befriedigung<br />

des nazistischen Massenanhangs betrafen,<br />

ebenso hineingespielt, wie die<br />

Absicht längerfristig Vorteile zu erzielen<br />

(etwa Arbeits- und Aufstiegschancen<br />

für „Arier“ und deren Bindung ans Regime<br />

durch Vertreibung der Juden aus<br />

wichtigen Bereichen der Gesellschaft).<br />

In manchen Arbeiten wurden Auffassungen<br />

vertreten, wie jene, dass von einem<br />

gewissen historischen Punkt an, eben<br />

dem Beginn des Mordens, einzig der<br />

ideologisch verursachte Vernichtungsplan<br />

die Handlungen der Nazis geleitet<br />

habe. Nicht zuletzt als Produkt ideen-<br />

und personalgeschichtlicher historiographischen<br />

Tradition wird der Antisemitismus<br />

als das Zentrum der Naziideologie<br />

und der Judenmord als Drehachse und<br />

Ziel der Nazipolitik angesehen. (S. 199)<br />

Dem setzt Kurt Pätzold entgegen: Der<br />

Generalkurs bestand darin, Deutschland<br />

mittels Krieg die beherrschende<br />

Stellung in Europa und der Welt zu verschaffen.<br />

<strong>Die</strong>ser Generalkurs, von Hitler<br />

wesentlich geprägt, besaß „Stütze und<br />

Antrieb“ (S. 200) in jener Idee vom<br />

Ariertum, von der germanischen Herrenrasse.<br />

Im Augenblick höchster Siegeserwartung<br />

traten die Mörderschwadronen<br />

in Aktion und es erfolgte der Schritt<br />

von der Vertreibung, Gettoisierung und<br />

Verdrängung zur Ausrottung der Juden.<br />

„Der Weg grenzenloser Eroberung und<br />

die Vernichtung der Juden bildeten mithin<br />

keine zufälligen Parallel – oder gar<br />

Konkurrenzunternehmungen. Sie waren<br />

zu einem Generalplan verwoben, in<br />

dem, und das wurde unter Historikern<br />

zu einem besonderen Streitpunkt, die<br />

Judenpolitik jedoch der Eroberungspolitik<br />

nachgeordnet blieb.“ (S. 201) Hierzu<br />

wird es auch fürderhin lebhafte Diskussionen<br />

unter den Forschern geben.<br />

Sechstens: die Rolle der Volksmassen.<br />

Im Umgang mit diesem Problem<br />

habe sich in der DDR eine „sanfte Linie“<br />

(S. 209) herausgebildet. „<strong>Die</strong> Mitwirkung<br />

der Massen bei der Verwirklichung<br />

der Nazipolitik wurde konstatiert,<br />

jedoch nicht auf die Stadt, das Dorf, den<br />

Verein, die Belegschaft eines Betriebes,<br />

die Bewohner eines Wohnblocks bezogen.<br />

<strong>Die</strong> Mehrheit der einstigen Millionengefolgschaft<br />

war zufrieden, dass sie<br />

vor allem als verführt und betrogen galt.<br />

Das war eine verengte Sicht …“(S. 209)<br />

Das Schuldproblem ist indes viel komplizierter.<br />

Eine Sicht, die der Vielfalt der<br />

Bindungen, darunter selbst gewählte, an<br />

80<br />

den Führer und das Regime, nicht gerecht<br />

wurde, „erleichterte die Rückkehr<br />

zu der illusionären Vorstellung, wonach<br />

die Abeiterklasse aufgrund ihrer sozialen<br />

Stellung eo ipso fortschrittlich sei …“<br />

(S. 209)<br />

So etwas las man aus marxistischer Feder<br />

gar selten. Desto mehr verwundert<br />

es, dass Kurt Pätzold die Formel vom<br />

„verordneten Antifaschismus“ nicht differenziert<br />

behandelt, sondern schlankweg<br />

als Lüge bezeichnet. (S. 277) Natürlich<br />

mussten nach 1945 – siehe<br />

Potsdamer Abkommen – antifaschistisches<br />

Handeln zunächst recht eindeutig<br />

verordnet werden.<br />

Es offenbart sich so neben dem anschaulich<br />

und kurzweilig dargestellten<br />

Lebensweg auch forschungsmäßig eine<br />

konzentriert geschrieben beachtliche<br />

Bündelung von Erkenntnisschritten und<br />

Erkenntnissen.<br />

Freilich, es hätte den „Erinnerungen“ gut<br />

getan, wenn Kurt Pätzold auch ein Beispiel<br />

erbracht hätte, als ihm einmal als<br />

Geschichtswissenschaftler etwas nicht<br />

so gut gelang, wo er in die Irre lief, falschen<br />

Ratschlägen folgte, etwas falsch<br />

einschätzte. <strong>Die</strong> Leiter von Historischen<br />

Proseminaren wie von Doktorandenrunden<br />

würden es gewiss zu Nutz und<br />

Frommen der Lernbegierigen verwenden.<br />

Mitunter lernt man aus einem Fehler<br />

in der Forschung und Darstellung<br />

mehr als aus Gelungenem.<br />

Das Buch wird durchzogen zum Thema<br />

„Antifaschismus in der DDR“. Allein aus<br />

diesem Grund ist es lesenswert. Es löst<br />

Nachdenken aus. Der Autor äußert sich<br />

unter anderem zum Begriff „antifaschistischer<br />

Schutzwall“, zum Globke – Prozess<br />

in der DDR, zum Umgang mit dem<br />

Nichtangriffsvertrag von 1939, zum Antisemitismus<br />

in der DDR, zur Nachhaltigkeit<br />

des Antifaschismus, zum Thälmannbild.<br />

Dabei bemüht er sich um ein<br />

recht differenziertes Bild. Kritisch vermerkt<br />

er, dass im Osten Deutschlands<br />

die antifaschistische Tradition „verkürzt<br />

wurde und zwar um das Element Demokratie.“<br />

(S. 278)<br />

Ein solches Buch weckt, nachdem es<br />

auf dem Buchmarkt angekündigt worden<br />

ist, Erwartungen unterschiedlichster<br />

Art. Wer jedoch erhofft hatte, dass<br />

sich der international renommierte<br />

Historiker zum Thema des „schwierigen<br />

Erbes“ 10 des Zusammenhangs von<br />

kommunistischen Antifaschismus und<br />

Stalinismus äußern oder gar für jene<br />

marxistischen Historiker einstehe würde,<br />

die sich aus hoher Verantwortung<br />

für eine (wenige Quadratdezimeter große)<br />

Gedenkplatte für die Opfer des Stalinismus<br />

auf dem Friedhof der Sozialisten<br />

engagieren und deshalb (schon wieder!)<br />

unter den Druck besonders des Stalinismus<br />

geraten, sieht sich enttäuscht.<br />

Aber hier soll nicht mit Schulterchecks<br />

gearbeitet werden, sondern wir wollen<br />

uns wiederum in Selbsttröstung darauf<br />

besinnen, dass wir „Erinnerungen“<br />

vor uns liegen haben. Erwartungen und<br />

Hoffnungen indes dürfen, ja, müssen<br />

immer sein …<br />

Zu den politisch wichtigsten Kapiteln gehören<br />

jene, die die Beendigung der Arbeit<br />

als Hochschullehrer an der Humboldt-Universität<br />

betreffen. Auch für<br />

den, der jene Zeit nur wenige hundert<br />

Meter von der Berliner Universität entfernt<br />

in ähnlicher Situation erlebt hat,<br />

wird hier Aufhebenswertes in vorbildlicher<br />

Chronologie und beklemmender<br />

wie aufschlussreicher Genauigkeit dargestellt.<br />

Kurt Pätzold wurde noch im Juni<br />

1990 zum Dekan gewählt. Er zählte<br />

nicht zu denen, die märchenhafte Vorstellungen<br />

vom künftigen Leben im neuen<br />

Land mit sich trugen. Es entstand<br />

ein vielseitiger Druck, von unterschiedlichen<br />

neuen Kommissionen und anderen<br />

Gremien ausgeübt, mit dem das westdeutsche<br />

Hochschulwesen übergestülpt<br />

und die neue politische Macht befestigt<br />

wurde. Mittels Denunzierungen und<br />

Enthüllungen – auch über jene Fehler,<br />

an denen Kurt Pätzold beteiligt war und<br />

die zum Hinausschmiss von Studenten<br />

aus der Universität geführt hatten – alles<br />

lag über 20 Jahre zurück, und Kurt<br />

Pätzold schreibt dazu über sich: „In der<br />

Rückschau erschienen mir unsere Entscheidungen<br />

als Sargnägel der DDR …“<br />

(S. 248) <strong>Die</strong> meisten der Gemaßregelten<br />

konnten später ihr Studium fortsetzen<br />

und ihr Brot verdienen. Sie haben<br />

seinerzeit Arbeitsplätze bezogen, nach<br />

denen sich im neuen Deutschland bald<br />

eine zunehmende Zahl von Hochschulabsolventen<br />

strecken sollte. Gibt es eigentlich<br />

eine Liste derjenigen, denen<br />

Kurt Pätzold – wie auch immer – geholfen<br />

hat?<br />

Ohne Überprüfung der erbrachten Arbeitsleistung<br />

und unter Missachtung<br />

der Tatsache, dass Kurt Pätzolds Hörsaal<br />

nicht, wie erhofft, leer blieb, wurden<br />

die Arbeitsverträge als erloschen<br />

erklärt. Ich verlange, so sagte Kurt Pätzold,<br />

„nicht mehr, als das, was in der<br />

Bundesrepublik jedem KZ-Kommandanten<br />

zugebilligt worden wäre: die Einzelfallprüfung.“<br />

(S. 255) <strong>Die</strong>ser Satz gehört<br />

zu den härtesten, den bittersten dieses<br />

Kapitels.<br />

Am 31. August 1992 erhielt Kurt Pätzold<br />

das Kündigungsschreiben. Und dies ist<br />

der absolute Höhepunkt: In dem Schreiben<br />

wurde seine fachliche Qualifikation

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