Antifaschistische Kultur - Die Linke
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schismus profiliert Seine Publikationsliste<br />
ist lang. Nur das Wichtigste kann<br />
hier genannt werden. 4<br />
Er schreibt über die jüdischen Opfer: <strong>Die</strong><br />
„mir bekannt, ja vertraut gewordenen<br />
Menschen, die Opfer waren, (waren) bei<br />
meiner Arbeit immer gegenwärtig und<br />
mitunter sitzen sie, vertiefe ich mich in<br />
ein Dokument, das auch von ihnen handelt,<br />
gleichsam noch heute neben mir.<br />
Zählte ich die Eisenbahnzüge, die nach<br />
Auschwitz fuhren, wusste ich, dass die<br />
Kirsteins, Daniel, Stefan und Kurt in einem<br />
dieser Waggons verschleppt worden<br />
waren.“ (S. 193)<br />
Den „Rundbrief“ – Leser werden möglicherweise<br />
einige übergreifende Probleme<br />
mehr interessieren als ins Detail gehende<br />
Forschungsfragen.<br />
Erstens: befohlene Forschung in der<br />
DDR. Es gab keine zentralen Vorgaben<br />
für die Faschismusforschung in der<br />
DDR. Was geleistet wurde und was unterblieb,<br />
ist den handelnden Historikern<br />
zuzuschreiben. Nicht alle Handlungsräume<br />
wurden ausgeschritten.<br />
Gewiss, und Kurt Pätzold schildert dies,<br />
gab es eine vorauseilende Schere dergestalt,<br />
dass „man“ wusste, dass vor einer<br />
Thälmann-Biographie keine Hitler-<br />
Biographie erscheinen sollte. Oder dass<br />
gefragt wurde, warum in einigen Büchern<br />
(über den Faschismus!) unter „H“<br />
solche Namen wie Hitler, Himmler, Heydrich,<br />
aber nicht (oder zuwenig) die Antifaschisten<br />
Honecker und Hager auftauchen.<br />
Wäre das Thema nicht so ernst,<br />
könnte man dies dem Kabarettistischen<br />
zuordnen. Und es gab die Beschlüsse<br />
des Sekretariats des ZK der SED etwa<br />
zum 30. Januar oder zum 8. Mai, in denen<br />
die unterschiedlichsten Aktivitäten<br />
zusammengefasst wurden. In aller Regel<br />
arbeiteten daran Historiker mit und<br />
speisten das ihre ein.<br />
Rigide Vorgaben und Zwänge zur wissenschaftlichen<br />
Forschung sehen anders<br />
aus.<br />
Zweitens: die „Dimitroff-Formel“. Kurt<br />
Pätzold geht hier sehr umsichtig vor. Zunächst<br />
verweist er darauf, dass die bekannte<br />
Definition nicht von Dimitroff<br />
stammt, sondern von einem unbekannt<br />
gebliebenen Autor. Selbstverständlich<br />
vermag eine Definition niemals alle wesentlichen<br />
Merkmale zu erfassen. Man<br />
darf hinzufügen, dass die Gedanken Dimitroffs<br />
weiterreichend waren, als dass<br />
sie sich in diesem einen Satz erschöpft<br />
hätten. 5 <strong>Die</strong> Delegierten des VII. Weltkongresses<br />
der Komintern fanden 1935<br />
auf ihren Plätzen auch Hans Günthers<br />
Buch „Der Herren eigner Geist“ 6 vor. Das<br />
deutete schon auf das Bemühen um umfassendere<br />
Sicht der Kommunisten hin.<br />
Kurt Pätzold wägt die Vorzüge der Definition<br />
ab: Sie vollzog die Distanzierung<br />
von Deutungen, den Faschismus<br />
als Diktatur eines Einzelnen oder einer<br />
auf eigene Rechnung agierenden Clique.<br />
Dass die Geburtshilfe des Naziregimes<br />
durch eine Elite der aggressivsten Politiker,<br />
Militärs, Wirtschaftsführer und<br />
Ideologen geleistet worden war, hatten<br />
letztendlich auch die Richter der Alliierten<br />
1945ff. in Nürnberg in mehreren<br />
Prozessen befunden. <strong>Die</strong> Definition verfolgt<br />
nicht primär akademische Ambitionen,<br />
sondern sie sollte antifaschistische<br />
Kämpfer orientieren und verfehlte Frontstellungen<br />
vermeiden helfen.<br />
„Was an der Faschismus-Definition des<br />
Jahres 1933 zu bemängeln ist, trifft<br />
nicht deren unbekannt gebliebenen Autoren,<br />
sondern die Faschismusforscher<br />
in der DDR.“ (S. 173)<br />
Dabei denkt Kurt Pätzold in folgende<br />
Richtung; Terror und Nichtterror und<br />
die offenen Diktatur im Naziregime, die<br />
unerlässliche Hinzufügung des Platzes,<br />
den in der deutschen Variante von Faschismus<br />
der rassistische Antisemitismus<br />
besetzte. Weiterhin zählt dazu das<br />
Verhalten der Massen während der zu<br />
unterscheidenden Etappen der Diktatur.<br />
Drittens: das Viereck von Kapitalismus,<br />
Faschismus, Hitler und Antifaschismus.<br />
Es lässt viele Interpretationen, Verschiebungen<br />
und Korrekturen zu. Auch für die<br />
Faschismusforschung in der DDR galt:<br />
Erkenntnis ist Gespräch. 7 Kurt Pätzold<br />
bringt Beispiele für solche vorwärtsdrängenden<br />
Zusammenkünfte, Runden,<br />
Einzelgespräche.<br />
Das ist dann nicht unwichtig, wenn es,<br />
was in der wissenschaftlichen Diskussionsprozess<br />
nichts Besonderes darstellen<br />
sollte, geboten ist, Verkrustetes aufzubrechen,<br />
Verstaubtes auszubürsten<br />
und Verfinkeltes gerade zu rücken.<br />
Da ging es nicht nur korrekt und kollegial<br />
zu. Es gab ideologische Überfrachtungen<br />
und wenig hilfreiches Besitzstandsdenken.<br />
Kurt Pätzold zeigt leider nur sehr kurz,<br />
wie ein begabter Historiker in Bedrängnis<br />
kam und letztendlich aufgab, der<br />
u. a. Hitler einen größeren Platz zumessen<br />
wollte als bis dahin üblich. Auch<br />
hier wäre ein Gang ins Archiv, das diesen<br />
Vorgang in einer Akte spiegelt, für<br />
Kurt Pätzold angebracht gewesen. Seine<br />
Darstellung hätte an Prägnanz gewonnen.<br />
Das Hinausdrängen aus dem Berufsfeld<br />
gelang indes nicht mehr, als auf ei-<br />
nem der nunmehr schon fast legendären<br />
Jenaer Faschismus-Collquien, die<br />
der dortige Ordinarius Manfred Weißbecker<br />
initiiert hatte und umsichtig organisierte,<br />
der Faschismusforscher und<br />
antifaschistische Widerstandskämpfer<br />
Kurt Gossweiler über „Antifaschismus<br />
heute“ 8 sprach. Es handelt sich um einen<br />
Forscher, dessen faktengesättigte<br />
Bücher über Kapital und deutscher<br />
Faschismus einst in Westberliner APO-<br />
Zeiten dort in Raubdrucken erschienen<br />
waren. 9 Leider kennt Kurt Pätzold diese<br />
Diskussion nicht oder hat sie nicht persönlich<br />
miterlebt und mit gestaltet. Aus<br />
Bibliothek und Archiv sowie durch Befragungen<br />
hätte er sie, halten zu Gnaden!,<br />
mühearm nachvollziehen können.<br />
Gewiss, es sind „Erinnerungen“, über<br />
die wir hier reden …<br />
Schlussendlich: Es kann keine Rede davon<br />
sein, dass die Faschismusforscher<br />
in der DDR wie ein Buddha auf der sog.<br />
Dimitroff -Definition saßen.<br />
Viertens: Faschismus und Nationalsozialismus.<br />
Der Begriff Faschismus hat<br />
„einen wissenschaftlichen Abstraktionsprozeß“<br />
hinter sich; er fasste die<br />
italienische wie verwandte Bewegungen<br />
in anderen Ländern. Deren gemeinsame<br />
ideologisch-politische Charakteristika<br />
bilden Antiliberalismus, Antidemokratismus<br />
und Antisozialismus und ein<br />
kriegerischer Expansionismus. Jedoch:<br />
Keine dieser Bewegungen erschöpfte<br />
sich in diesen Charakteristika; vielmehr<br />
wies jeder ihre Eigenheiten auf.<br />
(S. 170f.)<br />
Fünftens: Zum Platz der Judenvernichtung<br />
im deutschen Faschismus. Das Kapitel<br />
„Judenmord – warum?“ (S. 190ff.)<br />
gehört unter forscherischen Gesichtspunkten<br />
zu den interessantesten Teilen<br />
des Buches. Der Verfasser verdeutlicht,<br />
wie er mit dieser Frage umgegangen<br />
ist, wie er sich an sie herangearbeitet<br />
hat. Das ist nicht nur für Geschichtsstudenten<br />
aufschlussreich. Er verdeutlicht,<br />
welch vorwärtstreibende Rolle die nichtmarxistische<br />
Forschung für ihn spielte.<br />
Kurt Pätzold hält zunächst fest, dass die<br />
Hauptstoßrichtung des deutschen Faschismus<br />
den Arbeiterparteien und den<br />
Gewerkschaften gegolten hatte. (S. 190)<br />
Vorliegende Interpretationen der nazistischen<br />
Judenpolitik verstanden sie<br />
ausschließlich oder überwiegend als<br />
durch den Rassenwahn der deutschen<br />
Faschisten verursacht. Mitunter diente<br />
der Massenmord an den europäischen<br />
Juden zum Beweis für die Untauglichkeit<br />
historisch-materialistischer Geschichtsauffassung<br />
schlechthin.<br />
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