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Antifaschistische Kultur - Die Linke

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der Tschechoslowakei lebenden Emigranten<br />

anzufertigen. Dass aus dem Dritten<br />

Reich überdies Spitzel in die Tschechoslowakei<br />

entsandt werden, die über<br />

die Tätigkeit einzelner Emigranten zu<br />

berichten haben, ist aus den zahlreichen<br />

Verhaftungen bekannt.“ 16<br />

Goldemanns Festnahmen<br />

Ab Herbst 1933 wird die Aktenlage zu<br />

„Go“ noch lückenhafter. Recherchen im<br />

Bundesarchiv ergaben lediglich, dass<br />

die Gestapo Anfang Dezember 1933 eine<br />

„Aufenthaltsermittelung“ in die Wege<br />

leitete 17 und ihn ab Februar 1935 in ihren<br />

Listen als „unzuverlässige Vertrauensperson“<br />

führte. 18 Deshalb kennen<br />

wir auch nicht die Gründe, die ihn bewegen,<br />

am 3. September 1935 abermals<br />

von Deutschland aus die Grenze nach<br />

der ČSR zu passieren, – dieses Mal<br />

bei Polubn´y (dt. Polaun), einem kleinen<br />

Grenzort im Isergebirge. <strong>Die</strong> tschechoslowakische<br />

Polizei greift ihn dort auf.<br />

Im Kommissariat von Gablonz a. N. legt<br />

er wieder seinen Gewerbeschein vor. In<br />

der Vernehmung gibt Goldemann folgende<br />

Geschichte zu Protokoll. „Ich<br />

bin Geschäftsmann jüdischer Religion<br />

aus Breslau, war in der Sozialdemokratischen<br />

Partei Deutschlands organi-<br />

Deutsche Gesandtschaft in Prag um 1930<br />

siert und bin wegen der Zugehörigkeit<br />

zu dieser Partei im Jahr 1933 im KZ Osnabrück,<br />

von März bis Dezember, inhaftiert<br />

gewesen. Nach der Entlassung<br />

aus dem Lager wurde mir auferlegt,<br />

mich jeden Mittwoch in der Polizeibehörde<br />

und jeden Sonnabend im Braunen<br />

Haus zu melden. <strong>Die</strong> Polizei bot mir<br />

dann an, über staatsfeindliche Aktivitäten<br />

von SPD-Mitgliedern Spionagedienste<br />

zu leisten, für Geldleistungen. Als ich<br />

das Anerbieten ablehnte, wurde ich geschäftlich<br />

boykottiert und politisch verfolgt.<br />

(…) Ich bin erst jetzt geflohen, weil<br />

für Ehen mit Juden verschärfte Bestimmungen<br />

ausgegeben worden sind, in deren<br />

Folge ich gezwungen war, mich von<br />

meiner [evangelischen] Frau zu trennen.“<br />

19<br />

Auch wolle er bei einem Max Simm,<br />

der in der Mozartova in Gablonz wohnt,<br />

übernachten und sich am Folgetag<br />

nach Prag begeben, um sich dort an die<br />

Flüchtlingszentrale zu wenden.<br />

Man fotografiert Goldemann, nimmt Fingerabdrücke<br />

und lässt ihn laufen. <strong>Die</strong> jüdische<br />

Gemeinde von Gablonz gewährt<br />

ihm obendrein eine Zuwendung von 30<br />

Kronen.<br />

Ein halbes Jahr später. Abermals wird<br />

Goldemann, am 27. April 1936 beim<br />

Versuch, die Grenze zu wechseln, aufgegriffen;<br />

dieses Mal auf dem Weg vom<br />

ostschlesischen Annaberg zum Grenzstädtchen<br />

Bohumín (dt. Oderberg) in<br />

der ČSR. Er zeigt einen Ausflugsschein 20<br />

und ein Patent vor, das ihn als elektrotechnischer<br />

Ingenieur ausweist. Er wolle<br />

sich, so äußert er gegenüber den Beamten,<br />

in Mährisch Ostrau (Moravská<br />

Ostrava) niederlassen, mit Hilfe seines<br />

Patentes eine Arbeitserlaubnis und die<br />

tschechoslowakische Staatsangehörigkeit<br />

erwerben.<br />

Tatsächlich reicht Goldemann die Anträge<br />

in Prag ein und wird beim Evidenzamt<br />

zur Miete bei Frau Weissová auf dem<br />

Smetanovo náměstí in Ostrau gemeldet.<br />

Heimisch wird er dort nicht, denn<br />

nur wenig später wird er festgenommen<br />

und bleibt in Polizeihaft, bis er mittels<br />

rechtskräftigem Bescheid des Polizeipräsidiums<br />

Ostrava am 25. Mai 1936<br />

für immer vom Territorium der ČSR ausgewiesen<br />

und noch am selben Tag, um<br />

11 Uhr 06 in Bohumíl, über die Grenze<br />

nach Deutschland abgeschoben wird. 21<br />

Eine Begründung für diese Ausweisung<br />

ist in den Archiven nicht mehr aktenkundig.<br />

Man kann aber unterstellen, dass<br />

die Widersprüche zwischen den Aussagen<br />

zu seiner angeblichen KZ-Haft<br />

im Jahr 1933 und den Meldedaten über<br />

seinen ersten Prag-Aufenthalt Verdacht<br />

erregt haben.<br />

Das weitere Schicksal Max Goldemanns<br />

liegt im Dunkeln.<br />

Bei den Verhaftungen nach der so genannten<br />

Reichskristallnacht in Deutschland<br />

im November 1938 werden 8.000<br />

jüdische Männer ins KZ Buchenwald<br />

eingeliefert. Unter den Inhaftierten in<br />

Buchenwald sind auch zwei Personen<br />

des Namens Max Goldemann. Auf den<br />

Zugangslisten dieser Verhaftungsaktion<br />

werden jedoch keinerlei Geburtsdaten<br />

vermerkt, so dass heute unklar ist, ob<br />

er überhaupt zu den Verhafteten gehört.<br />

Gewiss ist aber dass beide Buchenwalder<br />

Häftlinge seines Namens wieder<br />

entlassen werden, der eine am 9.12.<br />

1938, der andere am 5.1. 1939. 22<br />

Goldemanns Ende<br />

Nur noch mit wenigen Daten wird die Biographie<br />

Goldemanns aktenkundig. <strong>Die</strong><br />

Volkszählung im Mai 1939 erfasst seine<br />

Anschrift: Breslau, Israelitische Kranken-<br />

und Pflegeanstalt Hohenzollernstraße<br />

96. Breslau war nach Lissa seine<br />

zweite Heimat.<br />

Zusammen mit 160 Menschen wird er<br />

vom 9. bis 11. Juni 1943 mit dem Transport<br />

IX/5 von Breslau ins Ghetto Theresienstadt<br />

deportiert. Am 23. Oktober<br />

1944 kommt er mit dem Transport<br />

„Et“ von Theresienstadt nach Auschwitz<br />

(es ist der vorletzte Zug von Theresienstadt<br />

nach Auschwitz überhaupt) und<br />

wird dort am Tag der Einlieferung, am<br />

24. Oktober 1944, umgebracht. 23 Über<br />

das Schicksal seiner Familie ist nichts<br />

bekannt.<br />

René Senenko<br />

1 Staatliches Zentralarchiv Prag (SUA), Akten der Polizeidirektion<br />

Prag, Bestand Polizeipräsidium 1933,<br />

unsig.<br />

2 SUA, Akten der Polizeidirektion Prag, Bestand Allgemeine<br />

Registratur 1933 und Bestand Bevölkerungsevidenz<br />

1933, unsig.<br />

3 Deutschland-Berichte der Sopade. Erster Jahrgang<br />

1934, Nr. 1, April/Mai 1934 (Prag, am 17. Mai<br />

1934). Teil A: Nachrichten und Berichte.<br />

4 Vgl. Reiner Zilkenat, „Volkstumspolitik“, faschistische<br />

Geheimdienste und die Politik der Sudetendeutschen<br />

Partei. Zur Vorgeschichte der Zerstückelung<br />

der Tschechoslowakei 1938, in: Rundbrief,<br />

hrsg. v. d. AG Rechtsextremismus/Antifaschismus<br />

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