Antifaschistische Kultur - Die Linke
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sozialdemokratischen Partei hier draußen<br />
geleistet werde, von Deutschland<br />
[aus] bezahlt würde. Während es noch<br />
vor 14 Tagen über Dresden (…) nach<br />
Prag kam, käme es jetzt über Breslau<br />
nach Prag. (…) <strong>Die</strong> sächsische Grenze<br />
sei weit besser gesichert als die nach<br />
Preußisch-Schlesien.“ 11<br />
Bibra bittet Goldemann, ihm an einem<br />
weiteren Abend die restlichen Evidenzlisten<br />
und die Korrespondenz der Flüchtlingshilfe<br />
in die Wohnung zu bringen. Bei<br />
der derzeitigen knappen Personalbesetzung<br />
in der Gesandtschaft sei es schwierig,<br />
Schreibkräfte „für derartige Anlässe“<br />
zur Verfügung zu haben. Goldemann<br />
willigt ein und gibt sich auch sonst jede<br />
Mühe, seinen Gastgeber mit zahlreichen<br />
Informationen zufrieden zu stellen. Er erklärt<br />
Bibra die genaue Arbeitsweise und<br />
Struktur der Flüchtlingshilfe in Prag und<br />
händigt ihm die komplette Abschrift eines<br />
Protokolls der Vorstandssitzung der<br />
Flüchtlingsfürsorge vom 13. Mai aus.<br />
Auch verrät er Kanäle nach Deutschland,<br />
durch die tagtäglich „größere Massen<br />
hier gedruckten Propagandamaterial<br />
über die Grenze nach Deutschland“<br />
gingen und gibt die nächsten Pläne seiner<br />
Fürsorgestelle preis. So weiß er zu<br />
berichten, dass die Sopade in München<br />
„gut durchgebildete Bergsteiger angefordert<br />
habe, um im Erzgebirge einen<br />
gesicherten <strong>Die</strong>nst [der Sopade-Grenzstellen]<br />
aufrecht erhalten zu können.“<br />
<strong>Die</strong> Niederschrift schließt mit der Bemerkung,<br />
noch seien die Gründe, „welche<br />
G. zu seinem offenen Verrätertum<br />
veranlassen“, nicht zu erkennen. Der<br />
Besucher habe betont, dies alles nicht<br />
um des Geldes willen zu tun, sondern<br />
„weil er ein Deutscher sei“ und Deutschland<br />
helfen wolle. „Als Bibra ihm allerdings<br />
500 Kronen 12 für seine Unkosten<br />
in die Hand drückte, hat er sie eingesteckt.“<br />
Der Bock als Gärtner<br />
Goldemann wird fortan ein eifriger Spion<br />
und Zuträger für Gesandtschaft und Gestapo.<br />
Am 30. Juni trifft er sich im Café<br />
„Tatra“ mit dem Gesandtschaftsmitarbeiter<br />
Teichmann, übergibt ihm eine Liste<br />
mit Personalien von 18 neu angekommener<br />
Emigranten und informiert über<br />
die in der letzten Nacht eingetroffenen<br />
10.000 Reichsmark, die ein Sopade-<br />
Kurier aus Breslau über die Grenze gebracht<br />
habe. Stolz gibt er bekannt, dass<br />
ihn die Fürsorgestelle jetzt zum „Leiter<br />
des Nachrichtendienstes“ berufen und<br />
ihn am letzten Wochenende „zur Inspektion<br />
wegen Spitzelgefahr“ zur Druckerei<br />
der Exil-SPD „Vorwärts“ nach Karlsbad<br />
geschickt habe. Auch plaudert er über<br />
die in Karlsbad gedruckten Materialien,<br />
die mit den Ausflugsschiffen der Sächsisch-BöhmischenDampfschifffahrtsgesellschaft<br />
nach Dresden geschmuggelt<br />
würden.<br />
Der Eifer und die offensichtlich ganz unproblematische<br />
Beschaffung der Materialien<br />
und Nachrichten durch ihren<br />
neuen Gewährsmann macht die Gesandtschaftsmitarbeiter<br />
misstrauisch.<br />
Teichmann notiert: „Es ist noch schwer,<br />
Go’s wahre Absichten zu durchschauen“.<br />
Auch Bibra hat große Vorbehalte.<br />
Doch „Go“, wie er in den Protokollen<br />
fortan genannt wird, beliefert die<br />
Gesandtschaft unbeirrt mit Listen neu<br />
angekommener Emigranten, warnt vor<br />
bevorstehenden Grenzaktionen der Antifaschisten,<br />
verrät Literaturtransporte<br />
nach Deutschland und gibt Parolenänderungen<br />
der Grenzkuriere bekannt.<br />
Beim nächsten Rendezvous verspätet<br />
sich Goldemann allerdings. Erregt<br />
betritt er am 3. Juli um 20 Uhr 45 das<br />
Kaffeehaus „Tatra“, erklärt dem wartenden<br />
Teichmann, er habe gerade an<br />
einer Versammlung der Sozialdemokraten<br />
teilgenommen. Und dann sprudelt<br />
es aus ihm heraus: „Um Gotteswillen!<br />
Man hat hier schon Kenntnis erhalten,<br />
daß der Reichsregierung sämtliche hiesige<br />
Emigranten bekannt sind. Wie kann<br />
das passiert sein?“ Und er berichtet von<br />
einer Emigrantin, die mit einer jungen<br />
Frau in Deutschland Briefkontakt pflege,<br />
die bei einem prominenten Nationalsozialisten<br />
in Stellung sei. Der Nazi<br />
habe gegenüber seiner Bediensteten<br />
über Emigrantenlisten geplaudert, die<br />
er selber habe einsehen dürfen. Teichmann<br />
hält über die Konsequenzen fest:<br />
„Auf Grund dieser Meldung wird im Evidenzbüro<br />
morgen ein Geldschrank aufgestellt,<br />
den Regierungsrat Wiszmeyer<br />
gestiftet hat. <strong>Die</strong> Schlüssel hat sich<br />
Go wieder zu verschaffen gewusst. Ursprünglich<br />
sollten im Evidenzbüro zur<br />
Bewachung einige Leute schlafen, doch<br />
will Go das dadurch verhindert haben,<br />
daß er sich bereit erklärt hat, nachts von<br />
1–4 das Evidenzbüro von der Straße aus<br />
zu bewachen.“<br />
1969 wird Kurt Grossmann in seinem<br />
Buch „Emigration“ auf die von ihm praktizierten<br />
Sicherungsmaßnahmen in der<br />
Demokratischen Flüchtlingsfürsorge<br />
Prag zurückkommen: „Wenn Flüchtlinge<br />
in die Fürsorgestellen kamen, wurden<br />
Protokolle aufgenommen, die Angaben<br />
über die Fluchtgründe, die illegale<br />
Arbeit usw. enthielten. <strong>Die</strong>se Protokolle,<br />
wenn sie jemals in die Hände der Gestapo<br />
gefallen wären, hätten für diese<br />
nicht nur eine willkommene Fundgrube<br />
dargestellt, sondern für Hunderte von<br />
Menschen Verfolgung, Konzentrationslager,<br />
ja möglicherweise den Tod bedeutet.<br />
Jede Fürsorge hatte ihr eigenes<br />
Sicherungssystem. <strong>Die</strong> Demokratische<br />
Flüchtlingsfürsorge nahm die Protokolle<br />
in einem Code auf und, was wichtiger<br />
war, sie und alle anderen entscheidenden<br />
Akten wurden jede Nacht in einem<br />
Bankschließfach aufbewahrt. <strong>Die</strong>se Methode<br />
des täglichen Abholens und Hinbringens<br />
war zwar mühevoll, aber sie garantierte<br />
einen ziemlich sicheren Schutz<br />
gegen Spitzel und Spionagearbeit.“ 13<br />
Grossmann verschweigt, dass die von<br />
ihm beschriebenen Sicherungsmaßregeln<br />
keineswegs von Beginn an in<br />
Kraft waren. Denn eben jene Protokolle,<br />
deren sichere Verwahrung Grossmann<br />
hier beschwört, hat „Go“ im Juni<br />
und Juli 1933 der Gestapo ausgeliefert,<br />
und zwar komplett. Welches Ausmaß an<br />
Verfolgung und Leid in Nazideutschland<br />
der Besitz dieser Protokolle und Listen<br />
in den Händen der Gestapo damals angenommen<br />
haben mag, ist gar nicht abzuschätzen.<br />
Doch zurück zum Agententreff im Kaffeehaus.<br />
„Go“ unterbreitet Teichmann<br />
weitere Vorschläge. Um den Geldfluss<br />
aus Breslau trocken zu legen, müsse<br />
man, so sein neuer Vorschlag, der „Zentrale<br />
in Breslau“ auf die Spur kommen.<br />
Dazu wolle er nach Deutschland reisen<br />
und benötige von der Gesandtschaft<br />
Ausweispapiere. Aber er hat noch mehr<br />
in petto: Er habe auch von einem am<br />
nächsten Tag geplanten Literaturtransport<br />
an der Tafelfichte bei Gablonz a. N.<br />
(Jablonec n. N.) erfahren. Zwanzig ausgesuchte<br />
Leute unter Leitung des Studenten<br />
Paul Bromme seien mit dem Unternehmen<br />
betraut. <strong>Die</strong> Gruppe müsste,<br />
so Goldemann, in Deutschland unbedingt<br />
abgefangen werden. Er wolle dabei<br />
mitwirken. Vorteilhaft sei, dass die<br />
Grenze von Preußisch-Schlesien nach<br />
Böhmen jetzt besser gesichert sei als<br />
noch vor Wochen, auch der Riesengebirgskamm.<br />
Der Agent schüttelt noch Statistisches<br />
aus dem Ärmel: <strong>Die</strong> Auflage des „Neuen<br />
Vorwärts“ sei auf 18.000 Exemplare<br />
geklettert, die der „Arbeiter Illustrierten-<br />
Zeitung“ (AIZ) um 3.000 erhöht worden,<br />
wovon der größte Teil nach Deutschland<br />
gehe. Teichmann schließt sein Protokoll<br />
mit dem Bemerken: „<strong>Die</strong> ihm angebotenen<br />
500 Kc nahm Go ohne weiteres an.<br />
(…) Schluß der Besprechung vom 3.7.,<br />
1/4 11 Uhr.“<br />
Eine Woche später teilt er beim Folgetreffen<br />
in Bibras Wohnung mit, er habe<br />
die Absicht, sich in das sozialdemokratische<br />
Flüchtlingskomitee versetzen<br />
zu lassen. Er plane, an seiner Stelle ei-<br />
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