Antifaschistische Kultur - Die Linke
Antifaschistische Kultur - Die Linke
Antifaschistische Kultur - Die Linke
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Jahren erklärte er schriftlich seine Unterstützung<br />
für die Forderung nach Anerkennung<br />
der Oder-Neiße-Grenze.<br />
Doch das ist lange her …<br />
Den Hauptteilen vorgeschaltet ist ein<br />
Rückblick, der kurz nach der Vertreibung<br />
von Adam und Eva aus dem Paradies<br />
beginnt und mit einer Aufzählung<br />
von Flucht- und Vertreibungsereignissen<br />
im 20. Jahrhundert endet. Nachgeschaltet<br />
dann ein Bildschirm, auf dem<br />
kommentarlos Video-Sequenzen von<br />
„Vertreibungen“ in der zweiten Hälfte<br />
des 20. Jahrhunderts und dem Anfang<br />
des 21. Jahrhunderts laufen. Auch hier<br />
also eine „Europäisierung“ bzw. „Globalisierung“<br />
im oben beschriebenen<br />
Sinne. <strong>Die</strong>s bestätigt Hermann Schäfer<br />
in seiner Einleitung zu dem Ausstellungskatalog:<br />
„Dass das fürchterliche<br />
Schicksal der deutschen Flüchtlinge<br />
und Vertriebenen nicht singulär in der<br />
Geschichte des 20. Jahrhunderts war,<br />
ist Grundgedanke unseres historischen<br />
Rückblicks zu Beginn. Zum einen werden<br />
die Ereignisse in einen größeren<br />
historischen Kontext eingeordnet. Vertreibungen<br />
und ethnische Entflechtungen<br />
waren während des gesamten 20.<br />
Jahrhunderts häufig ein Instrument der<br />
Großmächtepolitik. Es war ein übergeordnetes<br />
Ziel, ethnisch homogene Staaten<br />
zu schaffen.“ 19<br />
Vielfach wurde behauptet, dass in dieser<br />
Ausstellung der Kausalzusammenhang<br />
zwischen den Verbrechen des<br />
deutschen Faschismus und den großen<br />
Umsiedelungen der Deutschen ohne<br />
Wenn und Aber dargestellt sei. In Wirklichkeit<br />
lässt die gewählte Form der Darstellung<br />
viel Raum für verschiedene Interpretationen.<br />
Ein kurzer Tunnel, eher<br />
ein Tor, zwischen Vorraum und erstem<br />
Hauptraum ist mit großen Schwarzweiß-<br />
Fotos von Verbrechen der Nazis in den<br />
besetzten Ländern ausgekleidet. Am Fuße<br />
der Tunnelwände befinden sich flache<br />
Vitrinen, in denen Dokumente wie<br />
z. B. der „Generalplan Ost“ ausgestellt<br />
sind. <strong>Die</strong> vorhandenen Erklärungen sind<br />
knapp und schwer zu lesen. Man müsste<br />
verweilen, sich bücken, um sie zu entziffern.<br />
Der Tunnel, der eher ein Tor ist,<br />
bildet jedoch einen Engpass; wer hier<br />
stehen bleibt, ist ein Hindernis und wird<br />
weitergedrängt. Eine eindeutige Aussage<br />
über den Zusammenhang ist weder<br />
in der Ausstellung selbst noch in den<br />
Begleitmaterialien zu finden. Man liest<br />
nur Aussagen, die ohne Weiteres auch<br />
mit Frau Steinbachs Version – „Hitler<br />
hat die Tore aufgestoßen, durch die andere<br />
dann gegangen sind, um zu sagen,<br />
jetzt ist die Gelegenheit, die packen wir<br />
beim Schopfe“ – zu vereinbaren sind.<br />
In der Einleitung von Hermann Schäfer<br />
heißt es beispielsweise: „Ohne den Waffengang,<br />
der von deutscher Seite vor allem<br />
im Osten als Rassen- und Vernichtungskrieg<br />
geführt worden war, wäre es<br />
nicht zu millionenfacher Flucht und Vertreibung<br />
gekommen. Der Zweite Weltkrieg<br />
und die nationalsozialistischen<br />
Verbrechen waren unmittelbarer Anlass<br />
für die Vertreibung der Deutschen aus<br />
den Ostgebieten.“ 20 Unmittelbarer Anlass<br />
– nicht Ursache. Auch der Werbe-<br />
Prospekt zu der Ausstellung tut nur so,<br />
als ob er die Ursache benennen würde:<br />
„Zwischen 60 und 80 Millionen Menschen<br />
müssen in der ersten Hälfte des<br />
20. Jahrhunderts allein in Europa ihre<br />
Heimat verlassen. Durch den vom nationalsozialistischen<br />
Deutschland entfesselten<br />
Zweiten Weltkrieg erreichen<br />
Flucht und Vertreibung eine neue, erschreckende<br />
Dimension. <strong>Die</strong> Deutschen<br />
sind mit bis zu 14 Millionen Flüchtlingen<br />
und Vertriebenen am stärksten betroffen.“<br />
Im Katalog fährt Schäfer fort: „Gleichwohl<br />
muss hier angemerkt werden, dass<br />
in einigen mittel- und osteuropäischen<br />
Staaten – vor allem in der Tschechoslowakei<br />
– bereits im Vorfeld des Zweiten<br />
Weltkrieges Entflechtungspläne existierten,<br />
die geprägt waren vom Traum<br />
eines ethnisch homogenen Staatsvolkes.“<br />
21 Das ist nun der blanke Zynismus.<br />
Wenn Edvard Benes 1938, kurz vor dem<br />
Münchner Diktat, Überlegungen anstellte,<br />
wie er die von Berlin aus dirigierte<br />
Destabilisierungspolitik der Sudetendeutschen<br />
Partei unter Konrad Henlein<br />
entschärfen könnte, ohne dass die junge<br />
Tschechoslowakische Republik ihrer<br />
Verteidigungsanlagen und eines großen<br />
Teils ihres Wirtschaftspotenzials verlustig<br />
gehen würde, dann hatte das mit einem<br />
Traum von einem ethnisch homogenen<br />
Staatsvolk wahrlich nichts zu tun,<br />
wohl aber mit dem Albtraum der Bedrohung<br />
durch Hitler-Deutschland und dessen<br />
Fünfter Kolonne im eigenen Land.<br />
Der entsprechende Abschnitt der Ausstellung<br />
ist denn auch von skandalöser<br />
Bedenkenlosigkeit im Umgang mit den<br />
historischen Tatsachen geprägt – bis<br />
dahin, dass das Sudetendeutsche Freikorps,<br />
eine aus mehr als 30.000 22 sudetendeutschen<br />
Separatisten bestehende<br />
bewaffnete Terrortruppe, die im<br />
September 1938 von Bayern und Sachsen<br />
aus die Tschechoslowakei angriff,<br />
als Instrument einer unterdrückten Minderheit<br />
im Kampf um ihre Rechte dargestellt<br />
wird.<br />
Nicht nur Schäfer, auch Bernd Neumann<br />
in seiner jetzigen Konzeption für<br />
das „sichtbare Zeichen“ drückt sich um<br />
eine klare Aussage über die Kausalzusammenhänge<br />
herum. Wohl heißt es auf<br />
seiner Internet-Seite: „Dargestellt wird<br />
auch die Ursache von Flucht und Vertreibung<br />
während und nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg: die nationalsozialistische<br />
Expansions- und Vernichtungspolitik.“ 23<br />
In der Konzeption selbst kommt aber<br />
das Wort „Ursache“ nicht vor. Neumann<br />
windet und schlängelt sich mit den Begriffen<br />
„Voraussetzungen“ und „Hintergrund“<br />
darum herum (siehe oben).<br />
Keine Wendung zum Besseren<br />
Aus all dem wird klar: <strong>Die</strong> Auseinandersetzung<br />
um das „Zentrum gegen Vertreibungen“<br />
bzw. das „sichtbare Zeichen“<br />
geht mit einer massiven Umdeutung<br />
der Geschichte einher. <strong>Die</strong>se betrifft<br />
nicht nur den ursächlichen Zusammenhang<br />
der Umsiedelung der Deutschen<br />
mit der Kriegs- und Vernichtungspolitik<br />
Hitler-Deutschlands, sondern das Wesen<br />
des NS-Regimes insgesamt: Stellte<br />
dieses – wie es die Sichtweise vom<br />
angeblichen „europäischen Irrweg“<br />
suggeriert – nur eine besonders krasse<br />
Ausprägung damaliger europäischer<br />
Normalität dar – oder liegen die Wurzeln<br />
in der Bedenkenlosigkeit, mit der<br />
der deutsche Imperialismus seine hegemonialen<br />
Bestrebungen in Europa und<br />
der Welt durchzusetzen versuchte? <strong>Die</strong><br />
Antwort auf diese Frage nach der Verantwortung<br />
für 53 Millionen Tote und<br />
die Verwüstung ganzer Kontinente zieht<br />
gegensätzliche Folgerungen nach sich.<br />
Antje Vollmer erwartete geradezu Wunder<br />
von der Errichtung eines „europäisch<br />
ausgerichteten“ Vertreibungszentrums:<br />
„Es wird Europa stabilisieren, es<br />
wird es sicherer machen, und es wird<br />
dieses wunderbare Europa der vielen<br />
Völker und Staaten fähig zum Zusammenleben<br />
machen.“ 24<br />
Der FDP-Abgeordnete Hans-Joachim<br />
Otto – und nicht nur er – leitete davon<br />
die Berechtigung zu Militäreinsätzen in<br />
aller Welt ab; es sei die Aufgabe, „auf<br />
der Grundlage dieser historischen Erfahrungen<br />
Strategien zu entwickeln, um<br />
das Menschenrecht auf Heimat weltweit<br />
dauerhaft zu sichern, zum Beispiel<br />
auch in jüngster Zeit im Kosovo, im Sudan,<br />
in Liberia und in anderen Teilen der<br />
Welt“. 25<br />
Dem steht die Forderung gegenüber, auf<br />
alle militärischen Interventionen zu verzichten<br />
und mit den Traditionen deutscher<br />
Hegemonialpolitik zu brechen.<br />
<strong>Die</strong>s könnte sich beispielsweise in der<br />
Anerkennung der Null-und-Nichtigkeit<br />
des Münchner Abkommens von Anfang<br />
an ausdrücken. Der 70. Jahrestag (29.<br />
September 2008) dieses Ereignisses,<br />
41