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Antifaschistische Kultur - Die Linke

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Dregger kontra Weizsäcker<br />

<strong>Die</strong> Vorgeschichte des heutigen „sichtbaren<br />

Zeichens“ begann in der BRD lange<br />

vor Erika Steinbach. Bereits Ende der<br />

70er Jahre machte sich der BdV für ein<br />

zentrales „Mahnmal der Vertreibung“<br />

stark, das in der Rheinaue unweit des<br />

damaligen Bonner Regierungsviertels<br />

„an die Opfer der Vertreibung weltweit“<br />

hätte erinnern sollen. Das verlief zwar<br />

im Sande, doch wurde im Mai 1983 das<br />

Projekt einer „nationalen Gedenkstätte“<br />

an gleicher Stelle vorgestellt, durch das<br />

„den Kriegstoten des deutschen Volkes<br />

ein ehrendes Gedenken bewahrt“<br />

und dies zu einem „Anliegen unseres<br />

ganzen Volkes“ gemacht werden sollte.<br />

Zentrales Gestaltungselement sollte<br />

eine „maßstäblich überzogene Dornenkrone,<br />

schwebend oder bodennahe“<br />

sein – eine religiös überhöhte Märtyrerkrone<br />

also. Unter den Initiatoren war<br />

wieder der BdV, diesmal gemeinsam mit<br />

dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge<br />

und dem Ring Deutscher Soldatenverbände.<br />

<strong>Die</strong> neue Bundesregierung – im Oktober<br />

1982 war nach 14 Jahren SPD/FDP-<br />

Koalition Helmut Kohl (CDU) Chef einer<br />

CDU/CSU/FDP-Regierung geworden<br />

und hatte eine „geistig-moralische Wende“<br />

proklamiert – machte sich das Projekt<br />

zu eigen. Es scheiterte schließlich,<br />

weil sich im April 1986 die Parteien im<br />

Bundestag nicht über Gestaltung und Inschrift<br />

einigen konnten. <strong>Die</strong> CDU/CSU-<br />

Fraktion unter Führung ihres Vorsitzenden<br />

Alfred Dregger bestand darauf,<br />

die Gedenkstätte solle „den Opfern der<br />

Kriege und der Gewaltherrschaft, insbesondere<br />

den Toten unseres Volkes“<br />

gewidmet sein, die Grünen wollten gar<br />

kein Denkmal, und die SPD sprach sich<br />

für eine konkrete Benennung verschiedener<br />

Opfergruppen und die Ergänzung<br />

des Denkmals durch ein „Denkhaus“<br />

aus. Grundlage der SPD-Konzeption<br />

sollte die Rede sein, die Richard von<br />

Weizsäcker am 8. Mai 1985 zum 40.<br />

Jahrestag der Befreiung im Bundestag<br />

gehalten hatte. Der damalige Bundespräsident<br />

hatte erstmals in seiner Rede<br />

nicht zuerst der deutschen Opfer<br />

gedacht, sondern „der sechs Millionen<br />

Juden, die in deutschen Konzentrationslagern<br />

ermordet wurden“, und „aller<br />

Völker, die im Krieg gelitten haben, vor<br />

allem der unsäglich vielen Bürger der<br />

Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben<br />

verloren haben“. Er hatte ohne Ausgrenzung<br />

alle Gruppen des Widerstands<br />

genannt, den 8. Mai als Tag der Befreiung<br />

bezeichnet und im Zusammenhang<br />

mit der „erzwungenen Wanderschaft<br />

von Millionen Deutschen“ dazu aufge-<br />

fordert, „den widerstreitenden Rechtsansprüchen<br />

das Verständigungsgebot<br />

überzuordnen“. <strong>Die</strong> Ursache des Leides<br />

liege nicht im Kriegsende, sagte Weizsäcker.<br />

„Sie liegt vielmehr in seinem<br />

Anfang und im Beginn der Gewaltherrschaft,<br />

die zum Krieg führte. Wir dürfen<br />

den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar<br />

1933 trennen.“<br />

<strong>Die</strong> sog. Stahlhelmfraktion der CDU/<br />

CSU lehnte es vehement ab, diesen<br />

Passus aus der Rede ihres Parteikollegen<br />

und Präsidenten zur Grundlage<br />

der Konzeption für die nationale Gedenkstätte<br />

zu machen, und brach eine<br />

Kampagne gegen Weizsäcker vom<br />

Zaun. <strong>Die</strong>se gipfelte in einer Rede von<br />

Dregger am „Volkstrauertag“ 1986 in<br />

der Bonner Beethovenhalle. Darin würdigte<br />

der Fraktionsvorsitzende ausdrücklich<br />

die Wehrmachtssoldaten, die<br />

1944/45 die „ehrenhafte Wahl“ trafen,<br />

„dem Kriegsgegner bis zuletzt zu<br />

widerstehen“. Das gelte „insbesondere<br />

für die Soldaten des deutschen Ostheeres<br />

und der deutschen Marine“.<br />

Egal, an welchen Verbrechen sie beteiligt<br />

waren, für ihn „verdienen alle Toten<br />

des Krieges und der Gewaltherrschaft<br />

die gleiche Ehrfurcht“. 2 Der 8. Mai war<br />

für Dregger keinesfalls ein Tag der Befreiung,<br />

sondern Symbol für „eine der<br />

größten, wenn nicht überhaupt die<br />

größte Katastrophe der deutschen und<br />

europäischen Geschichte“. 3 Noch zehn<br />

Jahre später, Anfang Mai 1995, gehörte<br />

Dregger, zusammen mit prominenten<br />

Rechtsradikalen, zu den Unterzeichnern<br />

eines Aufrufs in der Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung, in dem es hieß: „Einseitig<br />

wird der 8. Mai von Medien und<br />

Politikern als Befreiung charakterisiert.<br />

Dabei droht in Vergessenheit zu geraten,<br />

dass dieser Tag nicht nur das Ende<br />

der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft<br />

bedeutete, sondern zugleich<br />

auch den Beginn von Vertreibungsterror<br />

und neuer Unterdrückung im Osten und<br />

den Beginn der Teilung unseres Landes.<br />

Ein Geschichtsbild, das diese Wahrheiten<br />

verschweigt, verdrängt oder relativiert,<br />

kann nicht Grundlage für das<br />

Selbstverständnis einer selbstbewussten<br />

Nation sein.“ 4<br />

Was Dregger unter „Befreiung“ verstand,<br />

hatte er in seinem 1985 erschienenen<br />

Buch „Der Preis der Freiheit“ deutlich<br />

gemacht: „Dass Hitler glaubte, das Patt<br />

im Westen 1940/41 durch einen Blitzkrieg<br />

gegen die Sowjetunion ausräumen<br />

zu können, war abenteuerlich. Dass dieser<br />

Krieg von Hitler zudem nicht als Befreiungs-,<br />

sondern als Eroberungskrieg<br />

konzipiert wurde, war ebenso dumm wie<br />

verbrecherisch.“ 5<br />

Kontinuitäten und<br />

scheinbare Brüche<br />

Aus dem Dunstkreis dieses Mannes, in<br />

dem sich auch Leute wie Martin Hohmann,<br />

Manfred Kanther, Roland Koch,<br />

Christian Schwarz-Schilling und Walter<br />

Wallmann (allesamt aus der CDU Hessen)<br />

tummelten, stammt Erika Steinbach,<br />

die für sich in Anspruch nimmt,<br />

den Stein des „sichtbaren Zeichens“ ins<br />

Rollen gebracht zu haben. Vom Bund der<br />

Vertriebenen wurde sie im April 2008<br />

erneut zur Präsidentin gewählt und für<br />

das Leitungsgremium des „sichtbaren<br />

Zeichens“ nominiert. Noch heute<br />

schwärmt Steinbach von der „charismatischen<br />

Persönlichkeit“ Dreggers,<br />

dessen politische Aussagen sie „doch<br />

sehr fasziniert“ und Anfang der 1970er<br />

Jahre zum politischen Engagement motiviert<br />

hätten. 6 Voller Bewunderung erinnert<br />

sie sich in einem Anfang 2008<br />

erschienenen Jubelband der Stadt Fulda<br />

– in der Dregger Oberbürgermeister<br />

war, bevor ihn Kohl nach Bonn holte –<br />

an ihren 2002 verstorbenen politischen<br />

Ziehvater: „1985 war auch das Jahr, in<br />

dem der damalige Bundespräsident von<br />

Weizsäcker mit einer umstrittenen Rede<br />

zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes<br />

mit der nicht akzeptablen Floskel<br />

von der ‚erzwungenen Wanderschaft‘<br />

für die brutale Massenvertreibung von<br />

mehr als zwölf Millionen Landsleuten<br />

aus dem Osten viel ‚böses‘ Blut stiftete.<br />

Wiederum war es Dregger, der in einer<br />

viel beachteten Rede zum Volkstrauertag<br />

wenige Monate später – wie zuvor<br />

schon Franz Josef Strauss – einen erforderlichen<br />

und gerade von den Vertriebenen<br />

als überfällig empfundenen Kontrapunkt<br />

setzte.“ 7<br />

Dort also ist der politische Standort<br />

der Erika Steinbach: in den hart gesottenen<br />

deutschnationalen Kreisen, die<br />

von Anfang an die Vertriebenenverbände<br />

beherrschten und jede Auseinandersetzung<br />

mit der Nazi-Vergangenheit<br />

beenden wollten, kaum dass sie begonnen<br />

hatte (Dregger 1982: „Ich rufe alle<br />

Deutschen auf, aus dem Schatten Hitlers<br />

herauszutreten – wir müssen normal<br />

werden“). Dennoch brachte die<br />

in Polen geborene Tochter eines deutschen<br />

Besatzungssoldaten („Ich selbst<br />

bin ein Flüchtlingskind“ 8 ), als sie 1998<br />

oberste Repräsentantin der „Vertriebenen“<br />

wurde, erhebliche Veränderungen<br />

in den Verein.<br />

An der Spitze des BdV hatte von 1970<br />

bis 1994 Herbert Czaja (CDU) gestanden.<br />

Der wollte sich noch in den 1990er<br />

Jahren nicht mit dem Verlust der „deutschen<br />

Ostgebiete“ abfinden. Er träumte<br />

weiterhin von der Auferstehung des<br />

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