30.10.2012 Aufrufe

Antifaschistische Kultur - Die Linke

Antifaschistische Kultur - Die Linke

Antifaschistische Kultur - Die Linke

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Und noch 1855 analysiert er in der<br />

großen klassischen Ballade „Das Sklavenschiff“<br />

den ökonomischen Zusammenhang<br />

von Sklavenhandel, Unterhaltungskultur<br />

und Religion, es endet:<br />

„Verschone ihr Leben um Christi willn,/<br />

Der für uns alle gestorben!/Denn bleiben<br />

mir nicht dreihundert Stück,/So ist<br />

mein Geschäft verdorben.“<br />

<strong>Die</strong>s schmetterte ein Mensch in die europäische<br />

Öffentlichkeit, der mit einer<br />

rätselhaften Nervenlähmung, seit fast<br />

einem Jahrzehnt unbeweglich ans Bett<br />

gefesselt war und der 1855 noch ein<br />

knappes Jahr zu leben hatte. Wenn er<br />

auch, mehr oder weniger ironisch, am<br />

Ende fromm wurde, was man angesichts<br />

seiner körperlichen Leiden vielleicht<br />

verstehen kann, so blieb er doch<br />

immer Sympathisant der revolutionären<br />

Arbeiterbewegung. Harry Heine, wie er<br />

vor seiner Taufe 1823 anlässlich des<br />

juristischen Examens hieß, war schon<br />

Kommunist, als Marx und Engels noch<br />

in die Windeln machten.<br />

Heines Kommunismus war der von Babeuf<br />

und seiner „Verschwörung der<br />

Gleichen“, ein idealer Traum aus intellektueller<br />

Konsequenz: „Kann ich der<br />

Prämisse nicht widersprechen, ‚daß alle<br />

Menschen das Recht haben zu essen‘,<br />

so muß ich mich auch allen Folgerungen<br />

fügen.“ (Lutetia) Als lebenslang gut gesponserter<br />

Bankiersneffe und Empfänger<br />

erheblicher französischer Subsidien<br />

brauchte er den praktischen Beweis<br />

seiner Solidarität mit dem Proletariat<br />

nie anzutreten, ja er hatte sogar persönlich<br />

Angst vor der unausbleiblichen<br />

Revolution, weil dann das „Manifest der<br />

Gleichen“ gälte: „Mögen, wenn es sein<br />

muß, alle Künste untergehen, wenn uns<br />

nur die wirkliche Gleichheit bleibt!“ (Babeuf).<br />

Aber Heine war bereit, dass die<br />

Blätter mit seinen edlen Gedichten darauf<br />

nach der Revolution zum Erbsenabwiegen<br />

benutzt würden, wenn denn nur<br />

jeder genügend Erbsen erhielte, auch<br />

Zuckerebsen.<br />

Das ist das wahre Heinesche Vermächtnis:<br />

Der Klassenverrat des bürgerlichen<br />

Intellektuellen wird ihm nicht zum persönlichen<br />

Vorteil gereichen, wohl aber<br />

zur allgemeinen Befreiung mithelfen.<br />

Heine fühlt eine „geheime Angst des<br />

Künstlers und des Gelehrten, die wir<br />

unsre ganze moderne Zivilisation, die<br />

mühselige Errungenschaft so vieler<br />

Jahrhunderte, die Frucht der edelsten<br />

Arbeiten unsrer Vorgänger, durch den<br />

Sieg des Kommunismus bedroht sehen.“<br />

(Geständnisse) Heinrich Heine ist<br />

einverstanden. Acht Jahre lang Gefangener<br />

der Matratzengruft und dennoch<br />

kein Zaudern und kein Jammern, sobald<br />

es gegen die Reaktion geht. Welch ein<br />

Held!<br />

Dann kamen die deutschen „Doktoren“<br />

Marx und Engels und erfanden die Politik<br />

der Klassenbündnisse und den Begriff<br />

des „historischen Erbes“, das Kommunistische<br />

Manifest empfahl die Fortsetzung<br />

der bürgerlichen Revolution, nicht ihre<br />

Rücknahme. Daher Heines Hochachtung<br />

für sie. Der linke Intellektuelle darf<br />

nun, dank Marx, ohne Furcht vor kulturloser<br />

Gleichmacherei das politisch-ökonomische<br />

Bündnis mit der Bourgeoisie,<br />

von der er vorerst noch lebt, aufkündigen<br />

und sich bedenkenlos mit den revolutionären<br />

Klassen in eine gemeinsame<br />

Kampffront begeben. Der genaue Zeitpunkt<br />

dieser unter Künstlern heute wieder<br />

umkämpften Entscheidung lässt sich<br />

bei Heine philologisch genau feststellen.<br />

Noch 1854 am Ende des in der DDR oft<br />

und falsch zitierten berühmten Satzes<br />

aus „De L´Allemagne“ findet sich jenes<br />

bedeutungsschwere „je le crains/ich<br />

fürchte es“. Erst in der letzten Auflage<br />

1855 fehlt es: Heinrich Heine starb getröstet!<br />

Hier nun die ganze Wahrheit:<br />

„<strong>Die</strong> mehr oder weniger geheimen Führer<br />

der deutschen Kommunisten sind<br />

große Logiker, deren stärkste aus der<br />

Hegelschen Schule hervorgegangen<br />

sind, und sie sind ohne Zweifel die fähigsten<br />

Köpfe, die energischsten Charaktere<br />

Deutschlands. <strong>Die</strong>se Doktoren<br />

der Revolution und ihre mitleidslos entschlossenen<br />

Schüler sind die einzigen<br />

Männer in Deutschland, die Leben in<br />

sich haben, und ihnen, fürchte ich, gehört<br />

die Zukunft.“<br />

Appendix: „HOTEL CALIFORNIA“<br />

Hören Sie mit Ihrem inneren Ohr den<br />

Popsong „Hotel California“, 1976 von<br />

der amerikanischen Softrockgruppe<br />

„Eagles“ eingespielt. Es blieb deren einziger<br />

Welterfolg: “Welcome to the Hotel<br />

California, what a lovely place, such a lovely<br />

place …” <strong>Die</strong> „Eagles“ gehörten zu<br />

jenen bedauernswerten Gruppen, die<br />

einen großen Hit hatten, der bis heute<br />

in jedem Supermarkt zu Tode gedudelt<br />

wird, von denen man aber ansonsten<br />

nie wieder etwas Nennenswertes gehört<br />

hat. <strong>Die</strong> Musik läuft unter dem folgenden<br />

Text weiter. Falls Sie die CD besitzen,<br />

könnten Sie sie jetzt auflegen.<br />

Es ist, aus Gründen, die mir nie ganz<br />

klar wurden, einer meiner Lieblingssongs<br />

aus den 70ern, vielleicht wegen<br />

ganz intimer Erinnerungen drum herum.<br />

Das „Hotel California“ in dem Lied ist eine<br />

heruntergekommene Armenabsteige<br />

am Rande der Wüste, voller skurriler Gestalten;<br />

ein Ort, so geheimnisvoll, verzaubernd<br />

und gemütlich, dass man von<br />

dort einfach nie mehr wegkommt. <strong>Die</strong><br />

Hotelgäste bleiben für immer. Ein lyrisches<br />

Bild für die existentialistische Gebundenheit<br />

des modernen Menschen<br />

an sein Geschick bei allen Möglichkeiten,<br />

aller Freiheit, die scheinbar da ist.<br />

Ein Ort, von dem man nicht loskommt.<br />

Seit dreißig Jahren gehört dieser melancholisch<br />

kitschige Song zur gefühlsmäßigen<br />

Grundausstattung alternder<br />

Popfans. <strong>Die</strong> bittersüße Stimmung der<br />

Musik verschränkt sich mit Jugenderinnerungen,<br />

verletzten Träumen und nebelhaften<br />

Bildern von ersten Küssen,<br />

frühen Lieben und Räuschen. Was der<br />

Film „Casablanca“ für den Filmfan, ist<br />

„Hotel California“ für die tiefen Schichten<br />

des Schlagergemüts: Dudelt der<br />

Song im Hintergrund bei „Edeka“, bleibt<br />

man noch drei Minuten länger im Laden,<br />

kurvt um die Regale herum und weiß<br />

nicht warum, legt aber eine Tafel Moccaschokolade<br />

oder einen großen gelben<br />

Vanillepudding extra in den Einkaufskorb.<br />

Aus Musik ist „muzak“ geworden.<br />

„Hotel California“ steht für den unverletzbaren<br />

Persönlichkeitskern unseres<br />

Kinder-Ichs, das wir bis zum Lebensende<br />

schützen und behüten müssen, weil<br />

es uns heimisch sein lässt in der Welt.<br />

Ich hoffe, Ihre CD ist jetzt gerade beim<br />

Refrain angekommen und Sie lauschen,<br />

ein letztes Mal in aller Harmlosigkeit –<br />

Wissen verändert die Wahrnehmung.<br />

US-amerikanische Soldaten nämlich<br />

nennen „Hotel California“ die geheimen<br />

Gefangenenlager der US-Armee, die diese<br />

in „befreiten“ Ländern errichtete. Ich<br />

entnehme folgenden Bericht einer Meldung<br />

der „Basler Nachrichten“ vom 2.<br />

März 2003:<br />

„Das ‚Hotel California‘, zynisch benannt<br />

nach einem Song der Eagles über eine<br />

Stätte, von der man so schnell nicht wieder<br />

loskommt, ist ein ‚Verhörzentrum‘<br />

der USA im Kampf gegen den weltweiten<br />

Terror. <strong>Die</strong> wichtigsten befinden sich in<br />

Baghram, in Kandahar und auf der abgelegenen<br />

Insel <strong>Die</strong>go Garcia im Indischen<br />

Ozean. In Baghram wird seit seiner Verhaftung<br />

Khalid Mohammed, die angebliche<br />

No. drei im Terrornetzwerk Al Qaida,<br />

unter ‚höchstmöglichem Druck‘ in<br />

die Mangel genommen. Manchmal sterben<br />

auch Gefangene an den Verhörmethoden,<br />

von denen Washington steif und<br />

fest behauptet, dass es sich nicht um<br />

Folter handelt. Zum Beispiel ein Mann,<br />

von dem nur das Alter 22 und der Vorname<br />

Dilavar bekannt sind. Bei der Obduktion<br />

seiner Leiche fanden Ärzte heraus,<br />

dass der junge Mann sein Verhör<br />

nicht überlebte, weil er ‚Verletzungen<br />

mit einem stumpfen Gegenstand an den<br />

unteren Extremitäten‘ erlitt. Der 30jäh-<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!