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Antifaschistische Kultur - Die Linke

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en die Erben Herges der Meinung, es<br />

sei für die Leser heute unwichtig, mit<br />

der Tatsache konfrontiert zu werden,<br />

dass es jüdischen Terroristen gibt. Ich<br />

hielt das nicht für unwichtig, im Gegenteil<br />

verdanke ich dieser Stelle der gesamten<br />

Comicliteratur, die ich als Kind<br />

las, mein anhaltendes Interesse für die<br />

Fragen von Kunst und Politik, insofern<br />

ist quasi Herge schuld an diesem Beitrag,<br />

vielleicht, wenn er das erführe,<br />

keine schlechte Ehrung zum Geburtstag<br />

eines großen Künstlers, der angeblich<br />

völlig unpolitisch war.<br />

4. Ich erlaube mir viertens, sozusagen<br />

als Bonustrack 1 und 2, einen Beitrag<br />

von mir zum Heinrich-Heine Jahr 2006<br />

anzufügen, der das Problem „Kunst und<br />

Revolution“ noch tiefer beleuchten soll.<br />

Er passt sehr gut, weil mir bisher keine<br />

stärkeren Waffen im Kampf vorgekommen<br />

sind als Heinrich Heines bissige<br />

Satiren, deren Wirkung auch Erich<br />

Mühsam stets als Vorbild im Auge hatte.<br />

Dann zum Abschluss noch ein weiteres<br />

Beispiel aus meinen Arbeiten zum<br />

Thema „Kunst als Waffe“, bei dem Ihnen<br />

vielleicht ein wenig schlecht wird. Sei´s<br />

drum.<br />

Heinrich Heines Kommunismus<br />

Wir hatten im Jahre 2006 erstaunlich<br />

viele Jubiläen, in deren unterschiedlicher<br />

Behandlung das bürgerliche Feuilleton<br />

mal wieder beweisen konnte, auf<br />

welcher Seite es steht. Statt des mit der<br />

Revolution spielenden Mozarts, der einst<br />

den verfolgten Beaumarchais-Figaro<br />

propagierte, wurde uns der am Tourette-<br />

Syndrom erkrankte Furz-Liebhaber als<br />

kotzsüße Mozartkugel eingebrandauert.<br />

Der ungetreue Doktor Benn wurde wieder<br />

mal gegen Brecht und wieder mal gegen<br />

die gesamte Emigration in Stellung<br />

gebracht, während das in einzigartiger<br />

Schändlichkeit dastehende KPD-Verbot<br />

gleich ganz vergessen wurde. Schreckliches<br />

Freud-Jahr 2006, das soviel Verdrängung<br />

bot bei so wenig Analytik! Am<br />

schlimmsten aber erging es Heinrich Heine.<br />

Man dachte, nach der Barbaren-Posse<br />

der Nazis, die die „Loreley“ anonym<br />

im Lesebuch behalten, den Judendichter<br />

aber vergasen wollten – leider war er<br />

schon tot -, und nach der bundesdeutschen<br />

Blamage um die Benennung der<br />

Heine-Uni in Düsseldorf wäre der wohl<br />

größte deutsche Dichter endlich auch in<br />

seiner Heimat anerkannt und es könne<br />

schlimmer nicht kommen. Weit gefehlt;<br />

jetzt ist der arme Harry auch noch am<br />

Stalinismus Schuld! Erfunden hat diese<br />

nur freudianisch zu erklärende Ferkelei<br />

ein Schreiber, der von Heine alles<br />

kopiert hat außer Charakter: Wolf Bier-<br />

mann. Im „Spiegel“ schrieb er über „Heine<br />

und Le Communisme“ – und offenbar<br />

versteht er von beidem nichts:<br />

„Hellsichtig ahnte er, dass die soziale<br />

Gleichheit aller Menschen wahrscheinlich<br />

nur eine neue Form raffinierterer<br />

Ungleichheit gebären würde,…ein noch<br />

schlimmerer Kreis in der irdischen Hölle<br />

… In ‚Lutetia‘ klagte er: ‚Eine unsägliche<br />

Betrübnis ergreift mich, wenn ich an<br />

der Untergang denke, womit meine Gedichte<br />

und die ganze alte Weltordnung<br />

von dem Kommunismus bedroht ist.‘<br />

Aber dann kommt die flagellantische<br />

Volte, für die ihn die stalinistischen Bonzen<br />

liebten: ‚Gesegnet sei der Kräuterkrämer,<br />

der einst aus meinen Gedichten<br />

Tüten verfertigt, worin er Kaffee und<br />

Schnupftabak schüttet für die armen alten<br />

Mütterchen, die in unserer heutigen<br />

Welt der Ungerechtigkeit vielleicht eine<br />

solche Labung entbehren mussten – fiat<br />

iustitia, pereat munus!‘ … Aber: Es<br />

kam alles viel schlimmer, und es musste<br />

so kommen. <strong>Die</strong> arme alte Frau und<br />

ihre Kinder wurden einfach totgeschlagen.<br />

Im real existierenden Kommunismus<br />

brauchte kein Untertan mehr Gewürze,<br />

denn es gab hinter Stacheldraht<br />

für Millionen gar kein Huhn im Topf,<br />

das gewürzt werden müsste. <strong>Die</strong> Häftlinge<br />

in den Arbeitslagern tranken keinen<br />

Kaffee … und manche schlachteten<br />

im Wahnsinn des Hungers heimlich ihre<br />

krepierten Leidensgefährten, zum Fraß.<br />

Ideologisch verblendet … Brecht, Bloch,<br />

Gerhart und Hanns Eisler, Feuchtwanger,<br />

Heinrich Mann, denen es gelungen war,<br />

sich vor den Genossen Hitler und Stalin<br />

in Sicherheit zu bringen … Mir träumte,<br />

Heine sei ein Häftling auf der Insel Kuba<br />

… in einem grausam verdreckten Knast<br />

des Castro-Regimes, Abteilung ‚Staatsfeindliche<br />

Poeten‘ … Ich sagte: Lieber,<br />

verehrter Monsieur Heine, Sie sind doch<br />

der Verfasser der Verse …, hofften Sie<br />

immer noch auf einen Kommunismus<br />

mit Zuckererbsen für jedermann?“ 4<br />

Das ist dümmlich, zynisch, anbiederisch;<br />

man muss sich unter kulturnahen Menschen<br />

mit Erinnerungsvermögen heute<br />

schon entschuldigen, Biermann zu zitieren,<br />

noch dazu im Kontext mit Heine,<br />

aber das war es wohl, was der nationalistische<br />

Konvertit mit seiner ödipalen<br />

Anpisserei erreichen wollte. Heinrich<br />

Heine kannte seine Biermanns und hat<br />

sie schon vorsorglich und rechtzeitig abgewatscht:<br />

„Aus Hass gegen die Parteigänger des<br />

(teutonischen) Nationalismus könnte<br />

ich fast den Kommunisten meine Liebe<br />

zuwenden, wenigstens sind sie keine<br />

Heuchler.“<br />

So lautet eines der dialektisch formulierten<br />

Distichen aus Heines „Lutetia“.<br />

In diesem Buch, worin er dem<br />

deutschen Publikum das revoltierende<br />

Frankreich erklärte, unternahm er den<br />

weitesten intellektuellen Vormarsch gegen<br />

die herrschende Front aus feudaler<br />

Reaktion und feigem Kleinbürgertum.<br />

Es geht damals wie heute um „Klassenverrat“,<br />

die zentrale Kategorie fortschrittlicher<br />

Kunst im Kapitalismus. <strong>Die</strong><br />

Künstler wollen essen, die Bourgeoisie<br />

bezahlt – so einfach ist unter normalen<br />

Umständen das Verhältnis.<br />

Aber seit Gramscis Gefängnisschriften<br />

wissen die <strong>Linke</strong>n genauer, dass es auch<br />

zu Zeiten großer revolutionärer Schwäche<br />

möglich ist, auf dem Gebiet der<br />

<strong>Kultur</strong> linke Siege und sogar eine linke<br />

Hegemonie im öffentlichen Diskurs zu<br />

erringen, falls nur die Mehrheit der Intellektuellen<br />

„vorzeitig“ auf die Seite der<br />

Revolution übergeht: Weil nämlich die<br />

Kunst ihre Zahlherrn nicht mag und frei<br />

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