Antifaschistische Kultur - Die Linke
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der „einfachen Prämisse ausging, dass<br />
alle zu essen haben müssen, daraus<br />
folgt alles andere“. Der Künstler, solange<br />
er für Erfolg und Aufstieg für die<br />
Bourgeoisie arbeitet, ist für die Revolution<br />
unbrauchbar, der Künstler als Revolutionär<br />
entspricht aber eigentlich seiner<br />
objektiven Interessenlage.<br />
Warum die Künstler das meistens<br />
nicht so sehen, erklärt uns Ernst Bloch<br />
mit seiner Theorie der Ungleichzeitigkeit.<br />
Zwar bestimmt das gesellschaftliche<br />
Sein das Bewusstsein, das ja,<br />
aber nicht sofort und unmittelbar. In<br />
die Vermittlung der objektiven Interessen<br />
schummeln sich Illusionen ein, falsche<br />
Hoffnungen über die eigene Lage,<br />
Versprechen, Bestechungen und Ideologien<br />
der herrschenden Klasse sowie<br />
Dummheiten, Subjektivismus und abschreckender<br />
Terror der Revolutionäre.<br />
Das alles führt am Ende dazu, dass der<br />
Künstler stets „schwankt“ und deshalb<br />
nicht so recht als Revolutionsführer geeignet<br />
ist, was er aber nur zu gern wäre.<br />
Ich denke hier an die schöne Geschichte<br />
von Erich Mühsam, der den Dichter<br />
Rainer Maria Rilke auf eine Revolutionsversammlung<br />
der Münchener Arbeiter<br />
begleitet, wo sich dieser aber „nicht<br />
kommunikativ realisieren konnte“, wie<br />
Rudi Dutschke so etwas später zu benennen<br />
pflegte. Soweit hier in aller Kürze<br />
und holzschnittartig, wie ein orthodoxer<br />
Marxist das Künstlerproblem sieht.<br />
Eigentlich wäre bei dieser Einschätzung<br />
Schluss und die Künstler wären vom<br />
Fortschritt ein für alle mal wegen Unzuverlässigkeit<br />
ausgeschlossen.<br />
Aber dann erschien die Hegemonie-Theorie<br />
von Antonio Gramsci und zeigt uns<br />
weit reichende Perspektiven. <strong>Die</strong> beiden<br />
Richtungen oder Hauptklassen Bourgeoisie<br />
und Proletariat, Arbeiter und<br />
Kapitalisten, Fortschritt und Reaktion,<br />
egal wie man sie nennt, bilden quasi die<br />
zwei Pole eines Magneten, zwischen denen<br />
der Überbau, Zivilgesellschaft und<br />
<strong>Kultur</strong>, hin und her gerissen werden.<br />
Mal überwiegt die eine, mal die andere<br />
Seite, aber nicht vollständig, sondern<br />
es gibt immer Bereiche, in denen die<br />
Elemente ummagnetisiert werden können<br />
wie Eisenmoleküle in den Feldlinien<br />
eines Magneten. Es geht also, sagt<br />
Gramsci, um „molekulare Veränderungen<br />
der Zivilgesellschaft“. Mithin kann<br />
man auch zu Zeiten des vollständigen<br />
Sieges der Reaktion immer noch kleine<br />
Erfolge der Fortschrittskräfte erreichen,<br />
und zwar auf dem Gebiet der <strong>Kultur</strong>,<br />
der Bürgerinitiative, Ideologie und<br />
Kunst. Solange nicht die ganze Macht<br />
der Reaktion im Bürgerkrieg alles platt<br />
walzt, lassen sich Teile der Zivilgesell-<br />
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schaft entwickeln, und die <strong>Linke</strong>n müssen<br />
sogar hier erst viele Siege erringen,<br />
um überhaupt die Mehrheit der Gesellschaft<br />
zu gewinnen und der Revolution<br />
näher zu kommen. Und, so springt nun<br />
das Kaninchen aus dem Hut des marxistischen<br />
Zauberers, im Zentrum dieser<br />
Bemühungen steht der Künstler! Es<br />
ist mithin Pflicht der <strong>Linke</strong>n, auch wenn<br />
sie eigentlich nur auf die Macht der Arbeiterklasse<br />
schielen, eine linke <strong>Kultur</strong>-<br />
Hegemonie zu entwickeln, wie wir sie<br />
in den Jahren nach 1968 vielleicht einmal<br />
hatten, wo an den Universitäten keine<br />
einzige Seminararbeit angenommen<br />
wurde, die nicht eine fundierte marxistische<br />
Warenanalyse enthielt, und zwar<br />
in allen Fächern. Dafür erlebte man<br />
dann aber auch Geschichten wie sie mir<br />
der Menschenrechtsanwalt Eberhardt<br />
Schulz mal erzählt hat, der bei einer Ungelegenheit<br />
auf einem Dorfe von dem<br />
Bürgermeister Unterstützung erhielt mit<br />
der Bekundung: „Aber wenn sie dann an<br />
der Macht sind, dann denken Sie an uns<br />
…“ So soll es sein.<br />
Ich bin jetzt am Ende mit meinem kleinen<br />
Beitrag zur Klassenanalyse, es mag<br />
Ihnen manches holzschnittartig dogmatisch<br />
erscheinen, jedenfalls haben<br />
wir erstmal einen großen „Steinbruch“,<br />
um aus vielen Richtungen über Künstler<br />
zwischen den Klassen diskutieren zu<br />
können. Zum Abschluss noch drei Beispiele,<br />
die mir immer das Problem von<br />
Anpassung und Widerstand musterhaft<br />
beleuchteten:<br />
1. Paris: Edith Piaf war als Chansonsängerin<br />
auch unter der Nazibesatzung<br />
nicht verboten, die SS forderte sie sogar<br />
auf, für die Bewachungsmannschaften<br />
ein Konzert im Kriegsgefangenenlager<br />
zu geben. Sie nahm dieses wahrhaft unsittliche<br />
Angebot an, brachte aber ihren<br />
Fotografen mit, der von den Gefangenen<br />
schöne scharfe Bilder machte, die dann<br />
der Résistance zur Erstellung falscher<br />
Ausweise dienten, damit ihre Kader aus<br />
dem Lager fliehen konnten. Auch die<br />
„entartete Kunst“ eines Pablo Picasso<br />
wurde nicht, wie in Deutschland, unterdrückt<br />
und zerstört, es gab sogar ein reges<br />
Kommen und Gehen etwas intelligenterer<br />
deutscher Besatzungsoffiziere<br />
in seinem großen Atelier am Montmartre,<br />
wo er an seinem Riesenwerk „Guernica“<br />
arbeitete. Einem Besucher wurde<br />
das Bild vorgeführt und ergriffen von der<br />
neuartigen Formgewalt staunte er: „Das<br />
haben Sie gemacht?!“ – „Nein,“ sagte<br />
Picasso zu dem deutschen Fliegeroffizier,<br />
„das haben Sie gemacht …“<br />
2. Einer meiner vielen Versuche, linke<br />
Kunst zu machen, hieß „Le club existentialiste“<br />
und basierte auf dem Versuch<br />
Sartres, den Marxismus für die moderne<br />
Zeit wieder nutzbar zu machen. „Ich<br />
ließ ehemalige Partisanen auftreten, die<br />
entgegen der allgemeinen Erwartung<br />
das jugendliche Publikum zu Tränen<br />
rührten. <strong>Die</strong> jungen Sänger und Chansonniers<br />
hatten aber keine politischen<br />
Lieder und lehnten das auch als Zumutung<br />
ab, dann stellte sich aber heraus,<br />
dass sie sehr wohl alte Partisanenlieder<br />
kannten oder den ‚Déserteur‘ von Boris<br />
Vian, sie waren ihnen nur nicht als politische<br />
Lieder bewusst oder hatten die<br />
antikommunistische Nachkriegszeit als<br />
Kinderlieder überlebt. Es hatte nur keiner<br />
danach gefragt.“ Ebenso erging es<br />
mir mit einem ganz biederen Zuschauer<br />
aus Steglitz, der sich in meine Show verirrt<br />
hatte und der mir am Ende unter vier<br />
Augen gestand, dass „auch er immer<br />
zur Roten Fahne gehalten habe“, dass<br />
er nur seiner Familie das nicht zumuten<br />
wollte. Es musste nur einer deutlich die<br />
Fahne schwenken und sofort kamen andere<br />
dazu, das kann ich heute als meine<br />
beste politische Erfahrung bezeichnen,<br />
und das ist schließlich fast dasselbe was<br />
Gramsci sagt.<br />
3. Heute (18. Mai) ist der 102 Geburtstag<br />
von Herge = Georges Rémy, dem bedeutendsten<br />
europäischen Comiczeichner,<br />
dem in Frankreich und Belgien ganze<br />
Häuser, Straßen und Museen gewidmet<br />
sind. Er kam aus der katholischen Pfadfinderschaft<br />
und hat fürchterliche antisowjetische<br />
Machwerke zusammengemalt,<br />
so etwa „Toto in Russland“. Er war<br />
lange Zeit, so muss man es wohl analysieren,<br />
ein klerikalfaschistischer Propagandist,<br />
der auch für Leon Degrelle<br />
Illustrationen zeichnete und unter der<br />
deutschen Besatzung in einem Pronaziblatt<br />
arbeitete und deswegen vom Widerstand<br />
nach dem Krieg als Collaborateur<br />
erschossen werden sollte. Er wurde<br />
gerettet, weil sich einer der Résistanceführer<br />
seiner annahm und sagte, dass<br />
seine Tim-und Struppi-Streifen für die<br />
inhaftierten Kämpfer das einzige in den<br />
Nazizeitungen gewesen sei, was sie lesen<br />
konnten, ohne sich zu ärgern und<br />
dass sie Tim als einen der ihren verstanden<br />
und dort untergründige Botschaften<br />
gefunden hätten.<br />
Herge kam frei und veröffentlichte noch<br />
viele Comicbücher, darunter Tim und die<br />
Picaros, was man als humorvolle Hommage<br />
an Che Guevara lesen kann. Das<br />
typische „Schwanken“ des Künstlers sehen<br />
wir in „Tim im Lande des schwarzen<br />
Goldes“: in der ersten Fassung von<br />
1936 gibt es eine Gruppe jüdischer Terroristen,<br />
die den Reporter Tim in Haifa<br />
entführen, in der Fassung von 1968<br />
kommt das nicht mehr vor, offenbar wa-