Exkursion 9 Integraler Lawinenschutz in Davos und Klosters ... - Aulis
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<strong>Exkursion</strong> 9<br />
<strong>Integraler</strong> <strong>Law<strong>in</strong>enschutz</strong> <strong>in</strong> <strong>Davos</strong> <strong>und</strong> <strong>Klosters</strong><br />
Von Stefan Margreth, SLF <strong>Davos</strong><br />
Gelände <strong>und</strong> Law<strong>in</strong>ensituation<br />
Das trichterförmige Anrissgebiet der Tallaw<strong>in</strong>e ist mit r<strong>und</strong> 135 ha äusserst gross (Abb. 1). Das E<strong>in</strong>zugsgebiet kann<br />
<strong>in</strong> fünf durch wenig ausgeprägte Rippen getrennte Geländekammern aufgeteilt werden, die von Osten über Süden<br />
bis nach Westen orientiert s<strong>in</strong>d. Die Hangneigungen variieren zwischen 35° <strong>und</strong> 39°. Häufig entladen sich diese<br />
Geländekammern unabhängig vone<strong>in</strong>ander. Im Extremfall kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich<br />
zwei oder mehrere Geländekammern gleichzeitig entladen. Ab Kote 1600m laufen die verschiedenen Sturzbahnen<br />
zusammen. Die Law<strong>in</strong>enbreite wird auf r<strong>und</strong> 100 bis 150 m e<strong>in</strong>geengt. Die Geländeneigung nimmt kont<strong>in</strong>uierlich<br />
ab, direkt oberhalb vom Auffangdamm beträgt sie r<strong>und</strong> 11°. Bei solchen Neigungen verzögern Grosslaw<strong>in</strong>en nur<br />
wenig, kle<strong>in</strong>e feuchte Law<strong>in</strong>en kommen aber zum Stillstand. Unterhalb des Dammes wird das Gelände flächig <strong>und</strong><br />
die durchschnittliche Hangneigung beträgt über e<strong>in</strong>e lange Strecke r<strong>und</strong> 9° (tanψ=0.158). Bei solchen Neigungen<br />
verzögern Grosslaw<strong>in</strong>en nur allmählich. Am Dammstandort berechnen sich für die verschiedenen Szenarien die<br />
folgenden Geschw<strong>in</strong>digkeiten <strong>und</strong> Fliesshöhen (Tab. 1):<br />
Tabelle 1: Law<strong>in</strong>enkennwerte am Dammstandort<br />
30-jährliche Law<strong>in</strong>e 100-jährliche Law<strong>in</strong>e 300-jährliche Law<strong>in</strong>e<br />
Geschw<strong>in</strong>digkeit 20 m/s 35 m/s 40 m/s<br />
Fliesshöhe 3.5 m 5.0 m 5.7 m<br />
Abb. 1: Übersichtsplan Tallaw<strong>in</strong>e, <strong>Klosters</strong> (Grafik: S. Margreth, SLF)
Law<strong>in</strong>engefahrenkarte, Zonenplan <strong>und</strong> Planung von Schutzmassnahmen<br />
Die sonnenexponierte Südlage führte nach 1950 zu e<strong>in</strong>er regen Bautätigkeit im Auslaufgebiet der Tallaw<strong>in</strong>e.<br />
• 1967 beauftragte die Geme<strong>in</strong>de <strong>Klosters</strong>-Serneus das SLF mit der Erarbeitung e<strong>in</strong>er Law<strong>in</strong>engefahrenkarte.<br />
Dieser Gefahrenkarte wurde re<strong>in</strong> gutachtlich auf Gr<strong>und</strong>lage vom Law<strong>in</strong>enkataster <strong>und</strong> Geländebegehungen<br />
ohne law<strong>in</strong>entechnische Berechnungen erstellt. Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Gefahrenkarte wurden die Gefahrenzonen<br />
im Zonenplan von 1973 (Abb. 2) ausgeschieden. Die Gefahrenzone 1 (rot) kommt e<strong>in</strong>em Bauverbot<br />
gleich, <strong>in</strong> der Gefahrenzone 2 (blau) ist Bauen mit Auflagen möglich.<br />
• 1970 wurde das SLF beauftragt <strong>Law<strong>in</strong>enschutz</strong>varianten für die Tallaw<strong>in</strong>e zu studieren. Law<strong>in</strong>entechnische<br />
Berechnungen zeigten, dass die 1967 ausgewiesene Gefährdung eher optimistisch war. Die Kosten für die<br />
Sicherung der beiden grössten Anrissgebiete 2 <strong>und</strong> 3 (Abb. 1) mit Stützverbauungen wurden auf r<strong>und</strong> 33<br />
Mio. CHF geschätzt. Als Alternative wurden zwei 20 bis 30 m hohe Auffangdämme mit e<strong>in</strong>em Fassungsvermögen<br />
von r<strong>und</strong> 600'000 m 3 vorgeschlagen.<br />
• 1984 wurde e<strong>in</strong>e Vorprojekt für Auffangbauwerke im Tal mit Gesamtkosten von 9.2 Mio. CHF ausgearbeitet,<br />
das von der Subventionsbehörde jedoch negativ beurteilt wurde.<br />
• 1990 wurde von der Gefahrenkommission des Amtes für Wald des Kantons Graubünden gestützt auf die im<br />
Jahre 1984 herausgegebene Richtl<strong>in</strong>ie über die Erstellung von Law<strong>in</strong>engefahrenkarten e<strong>in</strong>e neue Gefahrenkarte<br />
erstellt. Gemäss der Gefahrenkarte wären r<strong>und</strong> 30 Liegenschaften, die vor 45 Jahren gebaut wurden,<br />
im roten Gefahrengebiet. E<strong>in</strong>e solche Gefahrenzonenerweiterung wurde als unverhältnismässig angesehen.<br />
• 1992 wurde das SLF als Ober<strong>in</strong>stanz erneut beauftragt, die Gefährdung durch die Tallaw<strong>in</strong>e zu überprüfen.<br />
Im Auslaufgebiet wurde die Gefährdung für fünf verschiedene Geländeprofile beurteilt. Für die Abgrenzung<br />
des roten <strong>und</strong> blauen Gefahrengebietes erwies sich das Kriterium des Law<strong>in</strong>endruckes von 30 kN/m 2 bei e<strong>in</strong>er<br />
Wiederkehrdauer von 300 Jahren als massgebend. Beim 300 jährlichen Law<strong>in</strong>enszenario wurde von e<strong>in</strong>er<br />
Anrisskubatur von 800'000 m 3 bei e<strong>in</strong>er durchschnittlichen Anrissmächtigkeit von 1.2 m ausgegangen.<br />
Gegenüber dem Law<strong>in</strong>enzonenplan von 1967 wurde das rote Gebiet um r<strong>und</strong> 100 bis 150 m <strong>und</strong> das blaue<br />
Gebiet um r<strong>und</strong> 200 bis 300 m ausgedehnt. Im Extremfall, wenn der gesamte Kessel der Tallaw<strong>in</strong>e gleichzeitig<br />
anbrechen würde, können die ausgewiesenen Gefahrengebiete übertroffen werden.<br />
• 1993 wurden die Gefahrengebiete <strong>in</strong> den Zonenplan umgesetzt (Abb. 3). Im Kanton Graubünden erfolgt die<br />
gr<strong>und</strong>eigentümerverb<strong>in</strong>dliche Umsetzung der Gefahrenkarten durch die Gefahrenkommissionen. Im Falle der<br />
Tallaw<strong>in</strong>e wurde die Gefahrenkarte ohne Anpassungen umgesetzt. Die Zonenpläne müssen durch die Geme<strong>in</strong>de<br />
<strong>und</strong> die Regierung genehmigt werden.<br />
• 1999 wurde die Planung von Schutzmassnahmen im Bereich der Tallaw<strong>in</strong>e wieder aufgenommen<br />
Abb. 2: Zonenplan <strong>Klosters</strong>-Serneus, 1973 mit roter <strong>und</strong> blauer<br />
Gefahrenzone (Grafik: AfW GR / SLF)<br />
Abb. 3: Zonenplan <strong>Klosters</strong>-Serneus, 1993 mit roter <strong>und</strong> blauer Gefahrenzone<br />
(Grafik: AfW GR / SLF)
Auffangdamm<br />
Mit dem Auffangdamm sollten e<strong>in</strong>erseits<br />
r<strong>und</strong> 50'000 m 3 Geschiebe zurückgehalten<br />
<strong>und</strong> andererseits die Law<strong>in</strong>engefährdung<br />
reduziert werden. Das SLF wurde beauftragt<br />
zu untersuchen, welche Dammhöhe dazu<br />
erforderlich wäre. Um e<strong>in</strong>e 30-jährliche Law<strong>in</strong>e<br />
zu stoppen, wäre e<strong>in</strong>e Dammhöhe von<br />
r<strong>und</strong> 16 m erforderlich. Um e<strong>in</strong>e 100 jährliche<br />
resp. 300 jährliche Law<strong>in</strong>e zu stoppen,<br />
wären theoretisch Dammhöhen zwischen 30<br />
<strong>und</strong> 60 m erforderlich. Als Dammhöhe wurde<br />
schliesslich 17 m mit e<strong>in</strong>em Rückhaltevolumen<br />
von 260'000 m 3 gewählt (Abb. 4 <strong>und</strong> 7).<br />
Wir haben vorgeschlagen, die Gefahrenzonen<br />
<strong>in</strong>folge der Wirkung des Auffangdammes<br />
nicht zu verkle<strong>in</strong>ern, da 100 <strong>und</strong> <strong>in</strong>sbesondere<br />
300 jährliche Law<strong>in</strong>en den Damm<br />
ohne grossen Energie- <strong>und</strong> Massenverlust<br />
überfliessen können (Abb. 5 <strong>und</strong> 6). Weiter<br />
wirkt der Auffangdamm nicht gegen Staublaw<strong>in</strong>en.<br />
Abb. 4: Fertiggestellter Auffangdamm Fezi 2007 (Bild: S. Margreth, SLF)<br />
Abb. 5: Erforderliche Dammhöhe für 30, 100 <strong>und</strong> 300 jährliche<br />
Law<strong>in</strong>en (Grafik: S. Margreth, SLF)<br />
Abb. 6: Erforderliches Auffangvolumen für 30, 100 <strong>und</strong> 300 jährliche<br />
Law<strong>in</strong>en (Grafik: S. Margreth, SLF)<br />
Abb. 7: Längsschnitt Auffangdamm Fezi, Tal, <strong>Klosters</strong> (Grafik: Fromm & Partner AG).
Künstliche Law<strong>in</strong>enauslösung<br />
Seit 1967 wird das Anrissgebiet der Tallaw<strong>in</strong>e mit künstlicher<br />
Law<strong>in</strong>enauslösung gesichert. Als Methoden werden<br />
der 12 cm M<strong>in</strong>enwerfer mit 5 e<strong>in</strong>geschossenen Zielen <strong>und</strong><br />
nach jeder Grossschneefallperiode Helikoptersprengungen<br />
e<strong>in</strong>gesetzt. Bei den M<strong>in</strong>enwerfere<strong>in</strong>sätzen, die ohne Sicht<br />
durchgeführt werden können, kann von kle<strong>in</strong>eren Entladungen<br />
ausgegangen werden. E<strong>in</strong> M<strong>in</strong>enwerferschuss<br />
kostet 630.- CHF. Die künstliche Law<strong>in</strong>enauslösung oberhalb<br />
von Siedlungen ist heikel, da e<strong>in</strong>e zu grosse Law<strong>in</strong>e<br />
Schäden verursachen kann. E<strong>in</strong>e frühzeitige Auslösung<br />
oder gegebenenfalls e<strong>in</strong> Verzicht ist sehr wichtig. Der Geme<strong>in</strong>delaw<strong>in</strong>endienst<br />
beurteilt die lokale Law<strong>in</strong>ensituation<br />
mittels Messfeldern <strong>und</strong> den Daten von zwei automatischen<br />
Stationen. In der letzten extremen Law<strong>in</strong>ensituation vom<br />
Februar 1999 wurde die künstliche Law<strong>in</strong>enauslösung im<br />
Anrissgebiet der Tallaw<strong>in</strong>e erfolgreich e<strong>in</strong>gesetzt. In der<br />
Periode vom 25. Januar bis zum 28. Februar 1999 wurden<br />
10 Sicherungsaktionen mit total 65 Schüssen durchgeführt.<br />
Es wurden <strong>in</strong>sgesamt 14 Law<strong>in</strong>en ausgelöst, von denen<br />
e<strong>in</strong>e knapp das Siedlungsgebiet erreichte. Grössere spontane<br />
Law<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Periode nicht aufgetreten.<br />
Durch den Bau des Auffangdammes wurde das Risiko,<br />
dass durch e<strong>in</strong>e künstlich ausgelöste Law<strong>in</strong>e Schäden verursacht<br />
werden, stark reduziert.<br />
Abb. 8: M<strong>in</strong>enwerferziele Talgrat (Grafik: S. Margreth, SLF)<br />
Im Zusammenhang mit der künstlichen Law<strong>in</strong>enauslösung wurde von Eigentümern gefordert, die Gefahrenzonen<br />
<strong>in</strong>folge dem Beschiessen der Tallaw<strong>in</strong>e zu reduzieren. In der Schweiz ist man der Me<strong>in</strong>ung, dass die künstliche<br />
Law<strong>in</strong>enauslösung bei der Erarbeitung von Gefahrenkarten nicht berücksichtigt werden kann. Die Funktionsfähigkeit<br />
ist zu stark von der menschlichen E<strong>in</strong>flussnahme abhängig <strong>und</strong> die verbleibenden Risiken s<strong>in</strong>d relativ hoch.<br />
Diese Me<strong>in</strong>ung wurde durch e<strong>in</strong>en Entscheid des schweizerischen B<strong>und</strong>esgerichtes aus dem Jahre 1996 gestützt.<br />
Fazit<br />
‣ Das Gefahrenpotential der Tallaw<strong>in</strong>e ist ausserordentlich gross. Mit dem 17 m hohen Auffangdamm kann<br />
e<strong>in</strong> 30-jährliches Law<strong>in</strong>enereignis, sowie 50'000 m 3 Geschiebe gestoppt werden.<br />
‣ Mit der Komb<strong>in</strong>ation von Gefahrenzonen, Auffangdamm <strong>und</strong> künstlicher Law<strong>in</strong>enauslösung wird im Auslaufgebiet<br />
der Tallaw<strong>in</strong>e e<strong>in</strong> akzeptierbares Risiko erreicht.<br />
Impressum:<br />
WSL Institut für Schnee- <strong>und</strong><br />
Law<strong>in</strong>enforschung <strong>Davos</strong> SLF<br />
Geme<strong>in</strong>de<br />
<strong>Klosters</strong>-Serneus<br />
Auskünfte:<br />
WSL Institut für Schnee- <strong>und</strong><br />
Law<strong>in</strong>enforschung SLF<br />
Flüelastrasse 11<br />
2760 <strong>Davos</strong> Dorf<br />
Amt für Wald Graubünden<br />
Loëstrasse 14<br />
7000 Chur<br />
Bauamt <strong>Klosters</strong>-Serneus<br />
Rathaus<br />
7250 <strong>Klosters</strong><br />
Weiterführende Informationen:<br />
Amt für Wald Graubünden:<br />
www.wald.gr.ch<br />
WSL Institut für Schnee- <strong>und</strong> Law<strong>in</strong>enforschung<br />
SLF, <strong>Davos</strong>:<br />
www.slf.ch<br />
Geme<strong>in</strong>de <strong>Klosters</strong>-Serneus<br />
www.klosters-serneus.ch