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5 disput - Die Linke

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<strong>Linke</strong> Politik ist viel<br />

aufregender<br />

Von André Brie<br />

DIE LINKE lässt sich ihre Themen<br />

wegnehmen.« Das liest und hört<br />

man nicht nur in einigen Medien,<br />

das lässt sich auch von Mitgliedern<br />

der Partei selbst vernehmen. Klar,<br />

SPD und Grüne tun in der Opposition,<br />

als wären nicht vor allem sie es in ihrer<br />

Regierungszeit gewesen, die – unterstützt<br />

von CDU/CSU und FDP – die<br />

massive Deregulierung der Finanzmärkte<br />

in Deutschland und in der Europäischen<br />

Union oder die unsägliche Agenda<br />

2010 durchgepeitscht haben. Viele<br />

ihrer heutigen Positionen haben sie sich<br />

bei der LINKEN geguttenbergt. Dass sie<br />

nach wie vor kein Wort der Selbstkritik<br />

über ihre Verantwortung für die immer<br />

tiefere soziale Spaltung, die Selbstbedienungsmöglichkeiten<br />

der Finanzspekulanten<br />

oder die Gefährdung der europäischen<br />

Integration verlieren, sollte<br />

und muss von uns<br />

angesprochen werden.<br />

Doch müssen<br />

wir wirklich klagen?<br />

Ist das tatsächlich<br />

die Ursache für die<br />

zurückgegangenen<br />

Umfragedaten und<br />

die enttäuschenden<br />

Wahlergebnisse des<br />

vergangenen Jahres?<br />

Sicherlich nicht, und darüber will ich<br />

hier auch gar nicht schreiben. Den Grünen<br />

sind Gott sei Dank viele ihrer Themen<br />

von den anderen Parteien inzwischen<br />

»weggenommen« worden, einige<br />

fast zu gesellschaftlichem Konsens geworden;<br />

andere ihrer Themen, wie jene<br />

der Friedensbewegung, aus der sie sich<br />

ja auch speisten, haben sie zugunsten<br />

ihrer Kriege gegen Jugoslawien oder Afghanistan<br />

auch weggeworfen. Dennoch<br />

sind sie noch immer im Umfragehoch.<br />

Doch auch das nur am Rande.<br />

Sehen wir einmal davon ab, dass es<br />

sich nicht verbieten lässt, dass andere<br />

sich unserer Themen, vielleicht ehrlich,<br />

vielleicht auch nur opportunistisch, populistisch<br />

und wahlkampftaktisch, bedienen:<br />

Was eigentlich ist schlimm daran,<br />

dass unsere Analysen, Kritiken und<br />

Alternativen zum Maastrichtvertrag, zur<br />

Euro-Politik, zur Deregulierung der Finanzmärkte,<br />

unsere Forderungen nach<br />

einer Finanztransaktionssteuer, zu einem<br />

branchenübergreifenden Mindestlohn<br />

oder zu einer Überwindung der bildungspolitischen<br />

Kleinstaaterei inzwischen<br />

von anderen Parteien und Organisationen<br />

aufgegriffen werden? Warum<br />

sind wir nicht stolz darauf?! Warum geht<br />

von uns nicht die Freude darüber aus?<br />

Links setzt zwar nicht sich selbst, aber<br />

für die Menschen lebenswichtige Themen<br />

durch! Es ist doch das Zweitbeste,<br />

das man in der Politik erreichen kann!<br />

Auch wenn nicht übertrieben werden<br />

sollte – es ist nicht allein unser Erfolg<br />

–, so haben wir doch durch jahrelange,<br />

teilweise jahrzehntelange Beharrlichkeit<br />

und Arbeit wesentlich dazu beigetragen,<br />

dass solche Themen mehrheitsfähig<br />

und öffentlich wurden. In gewisser<br />

Hinsicht und auf durchaus entscheidenden<br />

Gebieten haben wir ganz im<br />

Gramsci‘schen Sinne geschafft, das<br />

geistige und politische Klima zu verändern.<br />

Noch besser wäre nur, wenn aus<br />

dem aktuellen und noch immer folgenlosen<br />

Gerede der SPD, Grünen, Teilen<br />

von CDU/CSU und FDP auch einmal entsprechende<br />

Gesetze und Praxis würden.<br />

Das ist natürlich der entscheidende, der<br />

nächste Schritt, den wir gemeinsam mit<br />

anderen durchsetzen müssen.<br />

Im Übrigen bleiben uns doch unendlich<br />

viele Themen, die niemand<br />

sonst haben will: die brennend aktuell<br />

gewordene und dennoch so schwierige<br />

Frage einer gesellschaftlichen und<br />

wirtschaftspolitischen Alternative zur<br />

Marktgesellschaft; die Überwindung der<br />

totalitären Herrschaftstendenz der globalen<br />

Finanz- und Wirtschaftsmächte,<br />

die Demokratie und demokratische Gestaltbarkeit<br />

und Teilhabe der Menschen<br />

zerstört (<strong>Linke</strong>s Dramatisieren? Da lese<br />

man mal Jürgen Habermas’ neuen Essay<br />

»Zur Verfassung Europas«!); Verteilungsgerechtigkeit<br />

und Beendigung der<br />

immer weiter fortschreitenden Umverteilung<br />

von unten in die wenigen Hände,<br />

die über die größten Vermögen verfügen;<br />

eine gerechte und solidarische<br />

Weltwirtschaftsordnung; die gesellschaftlichen,<br />

unweigerlich radikaldemokratischen<br />

und eigentumspolitischen<br />

Konsequenzen eines tatsächlichen ökologischen<br />

Umbaus; Frieden und radikale<br />

Abrüstung. Eine Vielzahl von tagespolitischen<br />

und wirklich wichtigen Themen<br />

ließe sich ergänzen.<br />

Es gibt nur ein Problem: Jede andere<br />

Politik mag sich darauf verlassen, früher<br />

oder später mit Regierungsmacht durchgesetzt<br />

zu werden. <strong>Linke</strong> Politik braucht<br />

natürlich auch parlamentarische Mehrheiten<br />

für gesetzliche Veränderungen.<br />

Vor allem aber braucht sie gesellschaftliche<br />

Mehrheiten, soziale und politische<br />

Bewegung, demokratische Selbstbeteiligung<br />

und -entscheidung der Betroffenen,<br />

geistige und kulturelle Voraussetzungen.<br />

<strong>Linke</strong> Politik benötigt daher<br />

kontinuierliche und umfassende Organisation,<br />

Organisation und noch einmal<br />

Organisation solcher Wirkungsmöglichkeiten.<br />

Andere Parteien können sich<br />

mit der Organisation von Wahlkämpfen<br />

und PR-Strategien begnügen. <strong>Linke</strong> Politik<br />

würde an solcher Genügsamkeit zugrunde<br />

gehen. <strong>Linke</strong> Politik ist schwieriger,<br />

aber auch viel aufregender.<br />

47 DISPUT Februar 2012 FEBRUARKOLUMNE<br />

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