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5 disput - Die Linke

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<strong>Die</strong> Stalin-Note<br />

Vor sechzig Jahren unterbreitete die Sowjetunion einen Vorschlag für ein<br />

wiedervereinigtes neutrales Deutschland Von Ronald Friedmann<br />

Am 10. März 1952 überreichte der<br />

stellvertretende sowjetische Außenminister<br />

Andrej Gromyko den diplomatischen<br />

Vertretern der USA, Großbritanniens<br />

und Frankreichs, den vormaligen<br />

Verbündeten der Sowjetunion<br />

in der Anti-Hitler-Koalition, eine Note,<br />

in der die Schaffung eines neutralen<br />

wiedervereinigten Deutschlands vorgeschlagen<br />

wurde. Mit Deutschland,<br />

so das sowjetische Angebot, sollte<br />

ein Friedensvertrag abgeschlossen<br />

werden, in dessen Ergebnis innerhalb<br />

eines Jahres alle ausländischen Besatzungstruppen<br />

abgezogen werden<br />

würden. Deutschland müsste im Gegenzug<br />

die im Potsdamer Abkommen<br />

festgelegten Grenzen, einschließlich<br />

der Oder-Neiße-Grenze zu Polen, als<br />

unantastbar anerkennen und sich verpfl<br />

ichten, sich niemals einem Militärbündnis<br />

anzuschließen, das sich gegen<br />

einen Staat richten würde, der<br />

Mitglied der Anti-Hitler-Koalition gewesen<br />

war. Allerdings dürfte Deutschland<br />

Streitkräfte für die Verteidigung<br />

unterhalten und dazu auch eine eigene<br />

Rüstungsindustrie betreiben.<br />

Keineswegs überraschend<br />

<strong>Die</strong>ser diplomatische Schritt der Sowjetunion<br />

kam für aufmerksame Beobachter<br />

keineswegs überraschend, denn in<br />

der Bundesrepublik standen die umfassende<br />

Remilitarisierung und die<br />

Eingliederung in ein westliches Militärbündnis<br />

mit klarer antisowjetischer Orientierung<br />

auf der politischen Tagesordnung.<br />

Eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik<br />

in der im April 1949 gegründeten<br />

Nato war zu diesem Zeitpunkt<br />

noch nicht zu realisieren, doch sollte<br />

die Wiederbewaffnung durch die sogenannte<br />

Europäische Verteidigungsgemeinschaft<br />

möglich gemacht werden.<br />

Frankreich, die Benelux-Staaten,<br />

Italien und die Bundesrepublik, so die<br />

Idee, sollten eine gemeinsame (west-)<br />

europäische Armee schaffen, in der die<br />

Bundesrepublik in politischer und militärischer<br />

Hinsicht eine gleichberechtigte<br />

Rolle spielen sollte.<br />

Knapp sieben Jahre nach dem Ende<br />

des Zweiten Weltkrieges, der allein<br />

in der Sowjetunion 27 Millionen Menschenleben<br />

gefordert hatte, waren Stalin<br />

und die sowjetische Führung vor al-<br />

GESCHICHTE<br />

© Archiv<br />

lem daran interessiert, die äußere Sicherheit<br />

der UdSSR zu gewährleisten.<br />

Bereits die Gründung der Nato war mit<br />

vollem Recht als eine unmittelbare Bedrohung<br />

verstanden worden. Eine Wiederbewaffnung<br />

der Bundesrepublik mit<br />

Streitkräften, an deren Spitze frühere<br />

Generäle der Hitler-Wehrmacht stehen<br />

würden, war ein politischer Alptraum.<br />

Schon deshalb war die Sowjetunion<br />

bereit, im Interesse ihrer Sicherheit<br />

weitgehende Zugeständnisse zu machen.<br />

Mit großer Selbstverständlichkeit<br />

wurde daher auch die Existenz der<br />

DDR zur Verhandlungsmasse.<br />

Doch im Westen war man nicht bereit,<br />

das sowjetische Angebot, das sehr<br />

schnell den bis heute gebräuchlichen<br />

Namen »Stalin-Note« erhielt, ernsthaft<br />

zu prüfen. Insbesondere Bundeskanzler<br />

Konrad Adenauer, dem der Ausspruch<br />

»Lieber das halbe Deutschland<br />

ganz als das ganze Deutschland halb«<br />

zugeschrieben wird, wehrte sich energisch<br />

dagegen, in der sowjetischen Offerte<br />

mehr als einen Propagandatrick<br />

zu sehen. Obwohl die Bundesrepublik<br />

überhaupt nicht Empfängerin der Note<br />

war, setzte die Bundesregierung alle<br />

Hebel in Bewegung, um die drei Westmächte,<br />

an die die Note gerichtet war,<br />

zu einer abschlägigen Antwort zu veranlassen.<br />

Bereits am 25. März 1952 wurde die<br />

DDR-Plakat zur Stalin-Note. Nur eine propagandistische<br />

Finte oder tatsächliche<br />

Chance für die Wiedervereinigung?<br />

Antwortnote der USA, Großbritanniens<br />

und Frankreichs in Moskau übergeben.<br />

Sie war – ganz im Sinne Adenauers –<br />

darauf angelegt, jede ernsthafte Verhandlung<br />

unmöglich zu machen: Zu<br />

den westlichen Kernforderungen gehörten<br />

das Offenhalten der Grenzfrage<br />

bis zum Abschluss eines Friedensvertrages,<br />

was also auch eine Revision<br />

der polnischen Westgrenze bedeuten<br />

konnte, und das Recht des wiederbewaffneten<br />

Deutschland, sich jedem Militärbündnis<br />

anzuschließen.<br />

Vorstoß fehlgeschlagen<br />

Der sowjetische Vorstoß war damit<br />

fehlgeschlagen, auch wenn seitens der<br />

Moskauer Führung noch bis zum September<br />

1952 mit weiteren Noten und<br />

Kontakten im Hintergrund der Versuch<br />

unternommen wurde, eine Remilitarisierung<br />

der Bundesrepublik und ihre<br />

Eingliederung in ein westliches Militärbündnis<br />

zu verhindern. (<strong>Die</strong> angestrebte<br />

Europäische Verteidigungsgemeinschaft<br />

scheiterte zwar 1954 an einem<br />

französischen Veto, doch 1955 wurde<br />

die wiederbewaffnete Bundesrepublik<br />

Mitglied der Nato.)<br />

Bis heute wird unter Historikern und<br />

Politikwissenschaftlern darüber diskutiert,<br />

ob das sowjetische Angebot vom<br />

10. März 1952 tatsächlich nur eine propagandistische<br />

Finte war oder ob es<br />

nicht Pfl icht der Westmächte gewesen<br />

wäre, die Chancen für eine deutsche<br />

Wiedervereinigung durch ernsthafte<br />

Verhandlungen umfassend auszuloten.<br />

Unannehmbar, wie gelegentlich unterstellt<br />

wird, waren die von Stalin gesetzten<br />

Bedingungen keineswegs, wie das<br />

Beispiel Österreich zeigt: Im Mai 1955<br />

wurde mit dem sogenannten Österreichischen<br />

Staatsvertrag die Souveränität<br />

der Alpenrepublik wieder hergestellt.<br />

Zwar war die »Immerwährende<br />

Neutralität«, wie sie seit Oktober 1955<br />

in der österreichischen Verfassung festgeschrieben<br />

ist, kein Bestandteil dieses<br />

Abkommens, doch war und ist sie<br />

inhaltlich eng mit Geist und Buchstaben<br />

des Staatsvertrages verbunden.<br />

So oder so, mit einem seit sechzig<br />

Jahren neutralen Deutschland sähe die<br />

Welt heute anders aus: Sie wäre, und<br />

da kann es keinen Zweifel geben, friedlicher.<br />

DISPUT Februar 2012 44

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