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5 disput - Die Linke

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© Archiv<br />

zu seinem Namen ein herkulisch gebauter<br />

Mann, der Hände wie ein Fleischer<br />

und eine so niedere Stirn besaß,<br />

dass man sich erstaunt fragte, wo<br />

in jenem Kopf das Gehirn sitze« –, jener<br />

von Mücke gibt sein Bestes. Eifrig<br />

bringt er das gesammelte Anklagematerial<br />

zu Gehör. Und das im wahrsten<br />

Sinne des Wortes: Verlesen werden das<br />

Programm der SDAP ebenso wie das<br />

»Kommunistische Manifest« (das öffentlich<br />

nicht erhältlich ist, nun jedoch,<br />

sozusagen höchstrichterlich geadelt, in<br />

hoher Stückzahl wieder aufgelegt werden<br />

kann). Nicht zu vergessen die Inauguraladresse,<br />

das Vorwort des ersten<br />

Bandes vom »Kapital«, mitgeschriebene<br />

Versammlungsreden, abgefangene<br />

Briefe, Manuskripte und und und. (Allein<br />

die mutigen Parlamentsreden gelten<br />

strafrechtlich als Tabu.)<br />

Eine Art Werbeveranstaltung<br />

<strong>Die</strong> beabsichtige Abrechnung mit dem<br />

jungen Sozialismus gerät mehr und<br />

mehr zu einer Art Werbeveranstaltung,<br />

so dass von Mücke einmal rügt: »Es<br />

scheint, als ob Sie mehr zu Ihren Parteigenossen<br />

reden wollen als zum Gerichtshof<br />

und zu den Herren Geschworenen.«<br />

Ein andermal sticht von Mücke<br />

zu mit der Erklärung: »Ich kann nicht erlauben,<br />

dass Sie Ihren bisherigen Verbrechen<br />

noch weitere hinzufügen.«<br />

41 DISPUT Februar 2012<br />

Bebel glänzt schlagfertig, Liebknecht<br />

brilliert rhetorisch clever und<br />

scharfzüngig. Aus dem Fundus bemerkenswerter<br />

Aussagen nur zwei Kostproben:<br />

»Der Kapitalist fragt nicht, ob<br />

die Arbeiter, die er ausbeutet, deutsch<br />

oder schwedisch, englisch oder französisch<br />

sprechen, weiße oder schwarze<br />

oder gelbe Hautfarbe besitzen. Gegen<br />

diese ›internationale‹ Ausbeutung der<br />

Arbeiter gibt es nur ein Mittel: die internationale<br />

Verbrüderung der Ausgebeuteten.«<br />

(Bebel)<br />

Und: »Wir wollen revolutionär nur<br />

in dem Sinne sein, dass die soziale<br />

Frage nicht mit Palliativmitteln, nicht<br />

mit Suppenküchen und Konsumvereinen<br />

gelöst werden kann, sondern nur<br />

durch radikale Heilmittel. Ob diese Lösung<br />

friedlich oder gewaltsam, im Wege<br />

der Reform oder Revolution stattfi<br />

nden wird, hängt nicht von uns, sondern<br />

von unseren Gegnern ab …« (Liebknecht)<br />

Nicht alle Geschworenen wollen –<br />

und können! – den Vorträgen und Ideen<br />

folgen; einer gesteht einem der Verteidiger<br />

privatim, er wisse nicht, worum<br />

es eigentlich geht. Am 26. März weiß er<br />

es doch. Es fi nden sich genauso viele<br />

Verurteiler, wie gesetzlich im Sinne der<br />

Anklage erforderlich sind. Der Staatsanwalt<br />

hat sie noch im Schlussplädoyer<br />

mit den Worten angefeuert, die Beschuldigten<br />

hätten den Wind mit ge-<br />

sät, der nun als Sturm alle zivilisierten<br />

Länder durchbrause: »Wenn Sie die<br />

beiden Angeklagten nicht verurteilen,<br />

dann sanktionieren Sie für immer den<br />

Hochverrat«.<br />

Bebel und Liebknecht werden zu<br />

zwei Jahren Festungshaft verdonnert<br />

(der junge Hepner geht leer aus), bei<br />

Bebel kommen kurz darauf noch neun<br />

Monate wegen Majestätsbeleidigung<br />

hinzu.<br />

Natalie Liebknecht und Julie Bebel<br />

empfangen ihre Männer mit »lautem<br />

Weinen«. Sie selbst, als Politiker und<br />

Parteiagitatoren, urteilen im »Volksstaat«<br />

noch am selben Tag euphorisch:<br />

»<strong>Die</strong>ser Prozess hat so unendlich viel<br />

für die Verbreitung unserer Prinzipien<br />

gewirkt, dass wir gern die paar Jahre<br />

Gefängnis hinnehmen … <strong>Die</strong> Partei<br />

steht über dem Bereich eines Schwurgerichtes.<br />

Unsere Partei wird leben,<br />

wachsen und siegen.«<br />

Von immenser Zuversicht künden<br />

in den folgenden Tagen Protestversammlungen<br />

gegen das Tendenzurteil,<br />

unter anderem in Berlin, Chemnitz,<br />

Darmstadt, Dresden, Esslingen, Leipzig,<br />

Magdeburg, Nürnberg, Werdau.<br />

Und Friedrich Engels schreibt in Marxens<br />

Namen: »Wegen Eures Auftretens<br />

vor Gericht machen wir Euch alle unser<br />

Kompliment. Es war nötig …, dass dem<br />

Pack einmal die Stirn geboten wurde,<br />

und das habt Ihr redlich getan.«<br />

»Es scheint, als ob Sie mehr zu Ihren Parteigenossen reden wollen …« – A. Bebel, A. Hepner und W. Liebknecht (von rechts).

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