30.10.2012 Aufrufe

5 disput - Die Linke

5 disput - Die Linke

5 disput - Die Linke

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Die</strong> Abrechnung wird nicht ausbleiben<br />

August Bebel und Wilhelm Liebknecht in einem denkwürdigen Prozess vor 140 Jahren<br />

Von Stefan Richter<br />

Ein Besuch in »Auerbachs Keller«, ein<br />

Tropfen im Freundeskreis – fürwahr<br />

nichts Besonderes. An diesem <strong>Die</strong>nstag<br />

indes, am 26. März 1872, ist kaum<br />

etwas normal für die Familien Bebel<br />

und Liebknecht, und dass sie von Otto<br />

und Bernhard Freytag, zwei Rechtsanwälten,<br />

eingeladen werden, unterstreicht<br />

dies noch. Zu ernst, zu nachhaltig<br />

wirkt, was ihrer Einkehr in das<br />

Leipziger Traditionslokal vorausgegangen<br />

ist: August Bebel und Wilhelm<br />

Liebknecht, prägende Köpfe der Sozialdemokratischen<br />

Arbeiterpartei (SDAP),<br />

sind zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt<br />

worden in einem Prozess, den zeitgenössische<br />

Gerichtsreporter als spektakulär<br />

und Historiker als politische<br />

Sensation beschreiben.<br />

Stürmisch sind die Zeiten. Herrscher<br />

und Beherrschte produzieren<br />

auf ihre Weise Schlagzeilen, die uns<br />

selbst nach gut 140 Jahren eine Menge<br />

sagen: Deutsch-Französischer Krieg,<br />

Gründung des Deutschen Reiches, Pariser<br />

Kommune … Und die revolutionäre<br />

deutsche Arbeiterbewegung, organisiert<br />

vor allem in der SDAP, noch<br />

recht jung und organisatorisch wie politisch<br />

erst am Anfang ihres Weges zur<br />

Stärke, hat zu all diesen Konfl ikten ihre<br />

Position zu beziehen – so klar wie<br />

nötig, so schnell wie möglich: zu dem<br />

Krieg mit Frankreich, zur Annexion von<br />

Elsass und Lothringen, zur Reichsgründung<br />

und zur Reichsverfassung. Und<br />

zur Kommune.<br />

Wie August Bebel, Anfang 30, und<br />

der 16 Jahre ältere Wilhelm Liebknecht<br />

sich in diesen Monaten schlagen, wie<br />

sie auf völlig neue Fragen passende<br />

Antworten suchen (und manche fi nden),<br />

wie sie Kurs halten inmitten einer<br />

beängstigenden Kriegshysterie,<br />

wird beispielhaft für Generationen.<br />

Was für ein Aufsehen, auch international,<br />

als sie im Norddeutschen<br />

Reichstag ihre Stimme gegen den von<br />

den herrschenden Klassen angezettelten<br />

Krieg erheben und am 21. Juli 1870<br />

als »prinzipielle Gegner jedes dynastischen<br />

Krieges« (Bebel) den Kriegskrediten<br />

nicht zustimmen! – Vaterlandsverräter,<br />

französische Agenten<br />

… schallt es ihnen nicht allein in Parlament<br />

und Presse entgegen.<br />

Was für ein Aufschrei, als sie am 26.<br />

November 1870 in einem Antrag bekun-<br />

GESCHICHTE<br />

den: Nein zu Kriegskrediten! Schleunigst<br />

Friedensschluss ohne jede Annexion!<br />

Im Parlament bekennt Liebknecht,<br />

auf den preußischen König anspielend:<br />

»Es ist wahrlich ehrenhafter,<br />

der Bruder des französischen Volkes<br />

und der französischen Arbeiter zu sein<br />

als der liebe Bruder des Schurken auf<br />

Wilhelmshöhe.« Fortan erscheint die<br />

Zeitung der SDAP – der »Volksstaat« –<br />

allwöchentlich mit der Forderung nach<br />

einem gerechten Frieden ohne Annexion.<br />

<strong>Die</strong> Hetze gegen die »Vaterlandsverräter«<br />

prasselt durch Stadt und Land,<br />

hinterlässt im Kriegstaumel ihre Wirkung.<br />

Vielerorts werden Sozialisten<br />

ausgewiesen oder verhaftet, werden<br />

ihre Vereine aufgelöst und ihre Versammlungen<br />

verboten. Bebel und Liebknecht<br />

werden im Reichstag verhöhnt<br />

und beschimpft, auf offener Straße bedrängt,<br />

Liebknechts werden die Fensterscheiben<br />

eingeworfen …<br />

Ein kleines Vorpostengefecht<br />

<strong>Die</strong> beiden bleiben standhaft. Am 17.<br />

Dezember werden sie verhaftet, gut<br />

ein Vierteljahr später aus der Untersuchungshaft<br />

entlassen – die Anklage jedoch<br />

wird fortgeschrieben.<br />

August Bebel stimmt am 14. April<br />

1871 im neu gewählten Deutschen<br />

Reichstag gegen die Verfassung: Seine<br />

Partei werde unter den Bedingungen<br />

des Kaiserreiches »ganz verzichten<br />

müssen, die Freiheit des Volkes<br />

auf parlamentarischem Wege zu erreichen«.<br />

Das Podium des Parlaments<br />

nutzt er, um Solidarität zu bekunden<br />

mit der Pariser Kommune. Und als<br />

sie, nicht zuletzt durch deutsche Beihilfe,<br />

niedergeworfen ist und der Terror<br />

durch die Straßen von Paris tobt,<br />

spricht er am 25. Mai im Reichstag – gegen<br />

all die Prinzen, Barone, Freiherren,<br />

Militärs und hohen Beamten, Bankdirektoren<br />

und Professoren – prinzipiell<br />

und grenzenlos zuversichtlich: »… dass<br />

der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht<br />

ist, dass die Hauptsache<br />

in Europa uns noch bevorsteht und<br />

dass, ehe wenige Jahrzehnte vergehen,<br />

der Schlachtruf des Pariser Proletariats<br />

›Krieg den Palästen, Friede den<br />

Hütten, Tot der Not und dem Müßiggange!‹<br />

der Schlachtruf des gesamten eu-<br />

ropäischen Proletariats werden wird.«<br />

Das Protokoll be- und vermerkt nach<br />

Bebels Prophezeiung: Heiterkeit. Und<br />

Kanzler Bismarck, unmittelbar nach Bebel<br />

an der Reihe, spielt das Gehörte demonstrativ<br />

herunter: Es bedürfe keiner<br />

Antwort. Doch das Amüsement geht<br />

Bismarck gründlich verloren: 1878 wird<br />

er bei der Beratung des Sozialistengesetzes<br />

sagen, es sei eben diese Rede<br />

gewesen, die ihm die »Gefährlichkeit<br />

des Sozialismus vor Augen führte«.<br />

Auf Volksversammlungen wie in<br />

Meerane und Glauchau legen Bebel<br />

und Liebknecht ihre Haltung dar und<br />

werden mit Aufmerksamkeit und Applaus<br />

unterstützt. Im »Volksstaat« nutzen<br />

sie alle Spalten, die unbeugsame<br />

Haltung mit Argumenten zu erklären;<br />

im Juni und Juli 1871 erscheint in der<br />

Wochenschrift die berühmte »Inauguraladresse«<br />

der Internationalen Arbeiter-Assoziation<br />

aus Marx‘ Feder.<br />

Schließlich wird ihnen ab dem 11.<br />

März 1872 tatsächlich der Prozess gemacht:<br />

den Redakteuren des »Volksstaat«<br />

Wilhelm Liebknecht und Adolf<br />

Hepner sowie August Bebel, zuständig<br />

für die Expedition. Getroffen werden<br />

soll die widerständige unbeugsame<br />

Führung der jungen Arbeiterbewegung.<br />

<strong>Die</strong> ganze Richtung passt den<br />

Herrschenden nicht, in ihren Augen<br />

sind Bebel und Liebknecht die Anführer.<br />

Der Saal ist all die 14 Verhandlungstage<br />

voll gefüllt, Zeitungen unterschiedlichster<br />

Couleur schicken ihre Korrespondenten<br />

ins Leipziger Schwurgericht,<br />

die Angeklagten haben ihre Anhänger<br />

dringlich gemahnt, Ruhe zu bewahren:<br />

»Geschehe, was da wolle, verhaltet<br />

Euch ruhig. Mag unsere Gegnerschaft<br />

durch bübische Hetzartikel oder durch<br />

bezahlte Agents provocateurs Euch zu<br />

reizen suchen, macht diese perfi den<br />

Machinationen zuschanden. <strong>Die</strong> Abrechnung<br />

wird nicht ausbleiben.«<br />

Als Verbündete im Geiste weiß<br />

Staatsanwalt Hoffman die zwölf Geschworenen<br />

im Saal: einige Guts- und<br />

Rittergutsbesitzer, Kaufleute, einen<br />

Oberförster. Mindestens acht von ihnen<br />

müssen die »Vorbereitung zum<br />

Hochverrat« erkennen …<br />

Gerichtspräsident von Mücke – Bebel<br />

beschreibt ihn in seinen Erinnerungen:<br />

»Herr v. Mücke war im Gegensatz<br />

DISPUT Februar 2012 40

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!