5 disput - Die Linke
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Alt, arm und arbeitslos<br />
Auf großer Bremer Bühne: das richtige Leben. Mit richtigen Arbeitslosen<br />
Von Sabine Bomeier<br />
Was bei den LINKEN schon längst und<br />
stets ein Thema ist, schafft es nun auch<br />
auf die Bühne. Am Bremer Theater am<br />
Goetheplatz hatte das Stück »altarmarbeitslos«<br />
unter der Regie von Volker<br />
Lösch im Januar dieses Jahres Premiere.<br />
Grundlage bildet das Märchen der<br />
Gebrüder Grimm von den Bremer Stadtmusikanten.<br />
Ein Esel, ein Hund, eine Katze und<br />
ein Hahn waren altersbedingt nicht<br />
mehr so recht leistungsfähig und gerieten<br />
in Gefahr, von der jeweiligen Herrschaft<br />
entsorgt zu werden. Kochtopf,<br />
Schlachthof oder schlicht der Rausschmiss<br />
aus der Gemeinschaft standen<br />
an. So beschlossen die vier im Grunde<br />
doch noch recht rüstigen Gesellen, das<br />
Schicksal in die eigene Hand zu nehmen<br />
und es in Bremen als Stadtmusikanten<br />
zu versuchen. Ihr Denkmal steht<br />
noch heute in bronzener Form vor dem<br />
alten Rathaus. Und das, obwohl sie<br />
Bremen nie erreichten, denn auf dem<br />
Weg in die Hansestadt fanden sie eine<br />
ihnen sehr genehme Unterkunft, aus<br />
der sie, bevor sie selbst dort einziehen<br />
konnten, allerdings erst ein paar Räuber,<br />
wahrscheinlich elende Kapitalisten,<br />
vertreiben mussten. Fortan lebten<br />
sie glücklich, zufrieden und selbstbestimmt<br />
in jenem Haus und teilten, was<br />
sie hatten und erwirtschafteten, miteinander.<br />
Musik sollen sie dann und<br />
wann auch gemacht haben.<br />
Viel anders als den berühmten Bremer<br />
Stadtmusikanten ergeht es zahlreichen<br />
älteren Menschen auf dem Arbeitsmarkt<br />
ebenfalls nicht, auch wenn<br />
diese nur selten zum guten Ende dann<br />
doch noch ein Auskommen finden.<br />
Zwar sollen wir alle künftig bis 67 Jahre<br />
arbeiten, aber dazu bedarf erst einmal<br />
eines Arbeitsplatzes bis zu diesem Alter.<br />
Statt dessen verlieren immer mehr<br />
ältere Arbeitnehmer ihren Job, werden<br />
von oft jüngeren, vor allen Dingen billigeren<br />
Arbeitskräften ersetzt.<br />
Das brachte Regisseur Volker Lösch<br />
auf die Idee, sich der Thematik auf einer<br />
Bremer Bühne mittels des in dieser<br />
Stadt angesiedelten Märchens anzunehmen.<br />
Lösch, 1963 in Worms geborenen<br />
und seit 2008 Regisseur und Leitungsmitglied<br />
am Staatstheater Stuttgart,<br />
arbeitet immer wieder auch an<br />
anderen Bühnen, mehrfach bereits in<br />
Bremen. Er ist bekannt dafür, betroffe-<br />
KULTUR<br />
ne Laien auf die Bühne zu holen und<br />
mit diesen in Form von Sprechchören<br />
die Sachen auf den Punkt zu bringen.<br />
Stets geht es dabei um gesellschaftlich<br />
brisante Themen, oft um sogenannte<br />
Randgruppen unserer Gesellschaft.<br />
In den örtlichen Medien wurde per<br />
Anzeigen nach alten Arbeitslosen gesucht.<br />
Kein Problem in Bremen. Laut<br />
dem Arbeitsmarktbericht vom Dezember<br />
2011 waren im Land Bremen Ende<br />
des vergangenen Jahres 35.477 Personen<br />
erwerbslos gemeldet, rund ein<br />
Drittel davon sind Dauererwerbslose.<br />
Das entspricht einer Arbeitslosenquote<br />
von elf Prozent. Anderswo sieht es<br />
nicht besser aus. Das machten die Theaterleute<br />
dem Publikum in einer Schrift<br />
deutlich. Darin heißt es, dass es bundesweit<br />
offiziell 2.780.206 Arbeitslose<br />
gibt, hinzu kommen 1.020.757<br />
nicht gezählte Arbeitslose, davon sollen<br />
359.190 Menschen älter als 58 Jahre<br />
sein. Nicht gezählt wird, wer sich in<br />
einer Qualifizierungsmaßnahme befi<br />
ndet, einem Ein-Euro-Job nachgehen<br />
muss oder altersbedingt bereits aus<br />
der Statistik rausfällt.<br />
Rund 40 junge und alte Erwerbslose<br />
konnten zumindest für ein paar<br />
Wochen die Tristesse der ALG-I- und<br />
<strong>Die</strong> nächsten Termine der Aufführung<br />
von »altarmarbeitslos: 24. Februar,<br />
2. März, 10. März<br />
-II-Welt mit den Brettern, die die Welt<br />
bedeuten, vertauschen. Beim Casting<br />
wurde darüber entschieden, wer auf<br />
die Bühne darf. Neben Lösch waren dafür<br />
Chorleiter Bernd Freytag und Choreograph<br />
Miroslaw Zydowicz sowie die<br />
Dramaturgin Beate Seidel verantwortlich.<br />
Der Text ist eine gelungene Mischung<br />
aus dem Märchen und von den<br />
Mitwirkenden selbst verfassten Texten,<br />
die oft nahtlos ineinander übergehen,<br />
was deutlich macht, wie sehr das<br />
grimmsche Märchen die Realität alter<br />
Menschen ohne Arbeit widerspiegelt.<br />
Das Ganze wird abgerundet durch Heiner<br />
Müllers Texte aus Herakles 2/Hydra<br />
und Sätze von Karl Marx und anderen<br />
in der Schlusssequenz. <strong>Die</strong> Schauspieler<br />
treten in vier Gruppen auf, jeweils<br />
eine Gruppe stellt eines der vier Tiere<br />
des Märchens dar, verdeutlicht durch<br />
eine weiße Maske. Für diese Kostüme<br />
zeichnet Sarah Roßberg verantwortlich.<br />
<strong>Die</strong> Texte machen deutlich, wie ausgegrenzt<br />
die Menschen sind, wenn sie<br />
keiner formal anerkannten Beschäftigung<br />
nachgehen und viel zu wenig Geld<br />
haben. »Wo lernt man überhaupt noch<br />
Menschen kennen, wo soll ich ‘n Partner<br />
kennenlernen?« oder »... wir sind<br />
immer trauriger, weil das eigentlich gar<br />
keinen Spaß mehr macht« – Solche<br />
Sätze machen die Verzweifl ung spürbar,<br />
in denen Menschen sich befi nden,<br />
die glauben müssen, nichts mehr<br />
wert zu sein. Keine Arbeit zu haben be-<br />
DISPUT Februar 2012 34