5 disput - Die Linke
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© Stefan Richter<br />
Exportschlager unerwünscht<br />
»Man spricht Deutsch« in Europa – auch bei der Rente erst ab 67 Von Klaus Ernst<br />
Was haben der ehemalige SPD-Arbeitsminister<br />
Franz Müntefering und<br />
die CDU-Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam?<br />
Beide setzten in der Großen<br />
Koalition, die das Land zwischen<br />
2005 bis 2009 regierte, die Rente erst<br />
ab 67 durch. Eine zentrale Rolle spielt<br />
für beide immer wieder das Hochsauerland.<br />
Und für beide scheint von diesem<br />
Landstrich eine – für andere nicht<br />
zu erkennende – mystische, ja diabolische<br />
Kraft auszugehen: So liegt Münteferings<br />
Wahlkreis im Hochsauerland.<br />
Im Januar 2006 verkündete er in einem<br />
Zeitungsinterview, entgegen zahlreicher<br />
Parteitagsbeschlüsse seiner eigenen<br />
Partei, dass die Rente erst ab 67<br />
nun schneller komme als geplant.<br />
Fünf Jahre später, im Mai 2011 und<br />
keine 30 Kilometer von Münteferings<br />
Heimatort entfernt, rügte Merkel auf<br />
dem Frühlingsfest der CDU-Hochsauerland<br />
die Leistungsverweigerer aus<br />
dem Süden Europas. Es gehe nicht<br />
an, so Merkel, dass man in Ländern<br />
wie Griechenland, Spanien und Portugal<br />
früher in Rente gehen könne als<br />
in Deutschland. Deutschland helfe<br />
nur dann, wenn sich die anderen anstrengen.<br />
Bereits im Februar schlug<br />
der mittlerweile geschasste FDP-Vorsitzende<br />
Westerwelle in einem Zeitungsinterview<br />
in die gleiche Kerbe: Es könne<br />
doch nicht sein, dass wir Deutschen<br />
mit 67 in Rente gehen müssten, andere<br />
SOZIAL<br />
Länder in Europa aber bei einem Renteneintrittsalter<br />
von 59 oder 60 Jahren<br />
bleiben wollten.<br />
Wer glaubt, es gehe Merkel und<br />
Westerwelle um reine Stimmungsmache,<br />
hat den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden<br />
Volker Kauder vergessen.<br />
Auf dem letzten CDU-Parteitag posaunte<br />
er, dass in Europa endlich einmal<br />
Deutsch gesprochen wird! Kauder<br />
meinte sicherlich nicht, Deutsch als<br />
weitere Amtssprache in Brüssel zu etablieren.<br />
Vielmehr begrüßte er das deutsche<br />
Diktat einer Spar- und Kürzungspolitik<br />
in den Krisenländern der europäischen<br />
Währungsunion nach Merkels<br />
Vorbild der »schwäbischen Hausfrau«.<br />
Hatte man sich 1988 noch mit Gerhard<br />
Polts Spielfilm »Man spricht<br />
deutsch« über das ignorante Deutschtümeln<br />
auf italienischen Campingplätzen<br />
und an Stammtischen amüsiert,<br />
war zumindest jedem Zuschauer klar,<br />
dass die bundesdeutsche Politik in ihrem<br />
Handeln und Denken keinesfalls<br />
hegemonial ausgerichtet war, sondern<br />
im Gegenteil: zutiefst europäisch dachte.<br />
<strong>Die</strong> Zeiten haben sich in den vergangenen<br />
fast 25 Jahren grundlegend verändert.<br />
Dass die europäischen Partner diese<br />
Äußerung nicht lange auf sich sitzen<br />
ließen, dürfte klar gewesen sein.<br />
Ausgerechnet Merkels Duzfreund, der<br />
Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Pre-<br />
Das Soziale fest im Blick: Bei einer DGB-Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt, 2011.<br />
mierminister Jean-Claude Juncker blies<br />
zum Gegenangriff. Merkel solle nicht so<br />
tun, als seien die Deutschen »die einzig<br />
Tugendhaften«, sagte er der »Süddeutschen<br />
Zeitung«. Was Juncker da<br />
andeutet, erweist sich bei näherer Betrachtung<br />
als durchaus stichhaltig.<br />
Denn betrachtet man das gesetzliche<br />
Renteneintrittsalter bei der Regelaltersrente<br />
in den von Merkel gebrandmarkten<br />
Staaten, trifft ihr Vorwurf nur auf die<br />
griechischen Frauen zu. Sie können –<br />
laut aktuell verfügbaren Daten von<br />
OECD (Organisation für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung) und<br />
der europäischen Statistikbehörde Eurostat<br />
aus dem Jahr 2009 – tatsächlich<br />
bereits mit 60 Jahren Altersrente beziehen.<br />
Anders die griechischen Männer:<br />
Wie in Deutschland bis Ende 2011<br />
gesetzlich geregelt, können diese erst<br />
mit 65 in Rente gehen. In Spanien und<br />
Portugal gilt für Männer und Frauen die<br />
gleiche gesetzliche Altersgrenze wie in<br />
Deutschland: 65 Jahre.<br />
Betrachtet man dagegen das tatsächliche<br />
Renteneintrittsalter, wird<br />
deutlich, dass Frau Merkel ein unübersehbares<br />
Argumentationsproblem hat.<br />
Und da könnten vor allem die portugiesischen<br />
Männer der deutschen Bundeskanzlerin<br />
böse sein: Sie arbeiten<br />
im Durchschnitt bis 67, während die<br />
deutschen Männer schon mit 61,8 Jahren<br />
berufl ich die Segel streichen. <strong>Die</strong><br />
spanischen und griechischen Männer<br />
gehen nicht früher, sondern gleichzeitig<br />
bzw. sogar einen Monat später als<br />
die Deutschen in Rente. Bei den griechischen<br />
Frauen sieht es ähnlich aus:<br />
Zwar steigen sie im Schnitt ein paar<br />
Monate früher als die deutschen Frauen<br />
aus dem Erwerbsleben aus, aber<br />
auch hier gehen die portugiesischen<br />
und spanischen Frauen 2,1 bzw. 1,9<br />
Jahre später in Rente als ihre deutschen<br />
Kolleginnen.<br />
Gleichzeitig haben sich die Krisenländer<br />
dem europäischen Stabilitätsdiktat<br />
der eisernen Kanzlerin unterwerfen<br />
müssen. Innerhalb der Europäischen<br />
Union ist es die deutsche Regierung,<br />
die in den einzelnen Ländern für<br />
einen brutalen Kürzungskurs plädiert<br />
und in vielen nationalen Regierungen<br />
dafür willige Helfer fi ndet. Das Muster<br />
der sogenannten Rettungsmaßnahmen<br />
ist dabei immer dasselbe: Im Gegenzug<br />
DISPUT Februar 2012 14