04. Heroin - unirep - Humboldt-Universität zu Berlin
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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />
BGH, Urteil vom 14. Februar 1984, BGHSt 32, 262 – <strong>Heroin</strong><br />
Sachverhalt: Der 16-jährige Hans besucht gerne Diskotheken. Dort<br />
trifft er den ihm bekannten Rauschgiftdealer Jürgen, an den er sich<br />
wendet, um bei der Technomusik mal wieder „gut drauf“ <strong>zu</strong> sein. Gegen<br />
ein Entgelt von 20 € händigt ihm Jürgen, der weiß, dass Hans bereits<br />
Erfahrungen mit Drogen hat, zwei Tabletten LSD aus. Hans holt<br />
sich eine Wodka-Cola und nimmt die Tabletten ein. Dann begibt er<br />
sich auf die Tanzfläche. Eine halbe Stunde später wird er ohnmächtig<br />
und bricht <strong>zu</strong>sammen. Aus der Bewusstlosigkeit erwacht er nicht<br />
mehr. Infolge des LSD-Konsums stirbt Hans an einem Herz- und<br />
Kreislaufversagen. Die BAK von Hans lag im Zeitpunkt des Todes bei<br />
1,03 ‰. Wie hat sich Jürgen nach den Vorschriften des StGB strafbar<br />
gemacht?<br />
Thema: Objektive Zurechnung/Freiverantwortliche Selbstgefährdung<br />
Materialien: Arbeitsblatt AT 10<br />
<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong> / Strafrecht / Prof. Heinrich
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Lösungsübersicht<br />
Strafbarkeit des Jürgen<br />
A. Strafbarkeit gem. §§ 223, 227 StGB<br />
I. Objektiver Tatbestand<br />
1. Erfolg des § 223 StGB (+) Rausch<strong>zu</strong>stand<br />
2. Kausalität (+)<br />
3. Objektive Zurechnung<br />
Hier: Fallgruppe der eigenverantwortlichen Selbstverlet<strong>zu</strong>ng<br />
Nicht ausgeschlossen durch jugendliches Alter des Hans<br />
II. Ergebnis: Strafbarkeit entfällt<br />
B. Strafbarkeit gem. §§ 223, 224 I Nr. 1, 227 StGB (–)<br />
Auch hier entfällt mangels objektiver Zurechnung der Grundtatbestand<br />
C. Strafbarkeit gem. § 222 StGB<br />
I. Tatbestand<br />
1. Erfolg (+)<br />
2. Kausalität (+)<br />
3. Objektive Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng (+)<br />
Verkauf von Drogen ist sogar Straftat<br />
4. Objektive Zurechnung (–)<br />
Auch hier: Eigenverantwortliche Selbstgefährdung<br />
II. Ergebnis<br />
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Lösungsvorschlag<br />
Strafbarkeit des Jürgen<br />
A. Strafbarkeit wegen Körperverlet<strong>zu</strong>ng mit Todesfolge, §§ 223,<br />
227 StGB<br />
Dadurch, dass Jürgen an Hans zwei Tabletten LSD verkauft hat, könnte<br />
er sich wegen einer Körperverlet<strong>zu</strong>ng mit Todesfolge strafbar gemacht<br />
haben.<br />
I. Objektiver Tatbestand<br />
1. Erfolg<br />
Hans müsste körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt<br />
worden sein.<br />
Unter einer körperlichen Misshandlung versteht man eine üble unangemessene<br />
Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden nicht ganz<br />
unerheblich beeinträchtigt. Dies dürfte bei einem Rausch<strong>zu</strong>stand der<br />
Fall sein. Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen<br />
oder Steigern eines nicht nur vorübergehenden krankhaften<br />
Zustandes körperlicher oder geistiger Art. Vor seinem Tod befand sich<br />
Hans in einem Rausch<strong>zu</strong>stand. Dabei wichen sein körperlicher und<br />
geistiger Zustand negativ vom Normalfall ab. Damit hat Hans vor seinem<br />
Tod auch eine Gesundheitsschädigung nach § 223 StGB erlitten.<br />
2. Kausalität<br />
Fraglich ist, ob der Verkauf der Tabletten für den Rausch<strong>zu</strong>stand von<br />
Hans kausal gewesen ist.<br />
Dadurch, dass Jürgen dem Hans die Tabletten gab, hat er nach der<br />
Conditio-sine-qua-non-Formel die Gesundheitsschädigung von Hans<br />
verursacht.<br />
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Dass Hans sich die Tabletten selbst <strong>zu</strong>führte, unterbricht nicht den<br />
Kausal<strong>zu</strong>sammenhang.<br />
Jürgen setzte eine Bedingung, die fortgewirkt hatte. Es handelt sich<br />
dabei nicht um einen Fall der abgebrochenen Kausalität. Durch das<br />
Dazwischentreten des Opfers selbst wurde keine neue Ursachenkette<br />
in Gang gesetzt.<br />
Vielmehr kann die Handlung Jürgens nicht hinweggedacht werden,<br />
ohne dass der Erfolg der Körperverlet<strong>zu</strong>ng (und des späteren Todes)<br />
des Hans entfiele. Das Hingeben der LSD-Tabletten war daher kausal<br />
für die Körperverlet<strong>zu</strong>ng des Hans.<br />
Die Annahme, Hans hätte sich LSD in jedem Fall anderweitig besorgt<br />
(hypothetische Kausalität), ändert nichts an der Kausalität des Verhaltens<br />
des Jürgens. Folglich ist die Kausalität <strong>zu</strong> bejahen.<br />
3. Objektive Zurechnung<br />
Fraglich ist, ob der Rausch<strong>zu</strong>stand von Hans dem Jürgen auch als sein<br />
Werk im strafrechtlichen Sinne objektiv <strong>zu</strong><strong>zu</strong>rechen ist.<br />
Objektiv <strong>zu</strong>rechenbar ist ein tatbestandlicher Erfolg dann, wenn das für<br />
den Erfolg ursächliche Verhalten ein rechtlich relevantes Risiko geschaffen<br />
hat, welches sich im konkreten tatbestandsmäßigen Erfolg<br />
auch realisiert hat.<br />
Im Laufe der Zeit hat sich eine Vielzahl von Fallgruppen herausgebildet,<br />
in denen die objektive Zurechnung ausscheidet. Im vorliegenden<br />
Fall kommt die Fallgruppe der freiverantwortlichen Selbstschädigung<br />
des Opfers in Betracht.<br />
Objektiv nicht <strong>zu</strong>rechenbar sind Verhaltensweisen, die erst <strong>zu</strong>sammen<br />
mit einer eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstverlet<strong>zu</strong>ng<br />
oder einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers<br />
einen tatbestandlichen Erfolg bewirken.<br />
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Zu prüfen ist also, ob Hans sich durch Einnahme der LSD-Tabletten<br />
selbst gefährdet hat oder ob der Rausch<strong>zu</strong>stand als Werk des mit <strong>Heroin</strong><br />
handelnden Jürgen an<strong>zu</strong>sehen ist.<br />
Zwar ist der Handel mit <strong>Heroin</strong> grundsätzlich verboten. Auch der<br />
Grund, warum der Handel mit <strong>Heroin</strong> verboten ist, ist genau der, dass<br />
durch den Konsum von <strong>Heroin</strong> Gesundheitsschäden, psychische Schäden<br />
oder gar der Tod der Konsumenten eintreten kann.<br />
Dennoch kann dem Drogendealer der Tod des Konsumenten jedenfalls<br />
dann nicht <strong>zu</strong>gerechnet werden, wenn dieser anschließend durch ein<br />
freiverantwortliches Handeln das <strong>Heroin</strong> konsumiert.<br />
Dabei geht es letztlich um die Zuweisung von Verantwortungsbereichen.<br />
Jeder ist primär für sein Verhalten selbst verantwortlich. Daher<br />
sind diejenigen Risiken die ein Opfer selbst <strong>zu</strong> verantworten hat, einem<br />
anderen nicht <strong>zu</strong><strong>zu</strong>rechnen.<br />
Notwendig hierfür ist allerdings, dass das Opfer freiverantwortlich handelt<br />
und sich die Mitwirkung des Täters lediglich auf die bloße Veranlassung,<br />
Ermöglichung oder Förderung der Selbstgefährdung bezieht.<br />
Gegen die Freiverantwortlichkeit spricht jedoch, dass Hans erst 16<br />
Jahre alt und angetrunken war. Fraglich ist jedoch, ob dies die Eigenverantwortlichkeit<br />
ausschließt.<br />
Eigenverantwortlichkeit wird teilweise erst dann verneint, wenn die<br />
Merkmale der Schuldunfähigkeit erfüllt sind (§ 20 StGB).<br />
Etwas weniger strikt ist die Gegenansicht, die eine Freiverantwortlichkeit<br />
bereits dann ausschließt, wenn der Täter in eine Fremdverlet<strong>zu</strong>ng<br />
nicht mehr wirksam einwilligen könnte.<br />
Bei Jugendlichen wäre dies dann der Fall, wenn ihnen die erforderliche<br />
Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt, was für den Täter ungünstiger<br />
ist.<br />
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Einer Entscheidung bedarf es im vorliegenden Fall nicht, da Hans sich<br />
<strong>zu</strong>m einen weder in einem Zustand der Schuldunfähigkeit befand noch<br />
in seiner Einsichts- und Urteilsfähigkeit beeinträchtigt war. Insbesondere<br />
geht auch aus dem Sachverhalt hervor, dass Hans bereits Drogenerfahrung<br />
hatte und sich öfters in Diskotheken aufhielt, sodass man<br />
annehmen kann, dass er, auch wenn er erst 16 Jahre alt ist, wusste,<br />
was er tat.<br />
Somit ist die Fallgruppe der freiverantwortlichen Selbstgefährdung<br />
einschlägig, sodass der Rausch<strong>zu</strong>stand von Hans dem Jürgen objektiv<br />
nicht <strong>zu</strong><strong>zu</strong>rechnen ist.<br />
II. Ergebnis<br />
Da bereits der Grundtatbestand der einfachen Körperverlet<strong>zu</strong>ng entfällt,<br />
hat sich Hans nicht gem. §§ 223 I, 227 StGB strafbar gemacht.<br />
B. Gefährliche Körperverlet<strong>zu</strong>ng durch Vergiftung mit Todesfolge,<br />
§§ 223, 224 I Nr. 1, 227 StGB<br />
Bei den LSD-Tabletten handelt es sich um gesundheitsschädliche<br />
Stoffe i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Da Jürgen den Grundtatbestand<br />
des § 223 StGB aber nicht erfüllt hat, scheidet auch die Qualifikation<br />
nach § 224 StGB aus.<br />
C. Fahrlässige Tötung, § 222 StGB<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Handlung, Erfolg und Kausalität<br />
Jürgen hat durch die Hingabe der Tabletten den Tod des Hans verursacht.<br />
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2. Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng<br />
Jürgen müsste die objektiv gebotene Sorgfalt verletzt haben. Durch<br />
den Verkauf des LSD hat Jürgen gegen §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs.<br />
1 Nr. 1 BtMG verstoßen.<br />
Dadurch hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.<br />
3. Objektive Zurechnung<br />
Der Tod des Hans müsste dem Jürgen objektiv <strong>zu</strong>rechenbar sein.<br />
a) Fallgruppe atypischer Kausalverlauf<br />
Fraglich ist, ob die Fallgruppe des atypischen Kausalverlaufs einschlägig<br />
ist. Diese Fallgruppe der objektiven Zurechnung wird beim<br />
Fahrlässigkeitsdelikt üblicherweise mit dem Kriterium der objektiven<br />
Vorhersehbarkeit umschrieben. Bei LSD handelt es sich um eine besonders<br />
gefährliche Droge, dessen Auswirkungen auf den menschlichen<br />
Kreislauf noch nicht vollständig eingeschätzt werden können.<br />
Da es nach der Einnahme von LSD mitunter schon <strong>zu</strong> Todesfällen gekommen<br />
ist, war der Tod des Hans auch objektiv vorhersehbar. Dementsprechend<br />
lag kein atypischer Kausalverlauf vor.<br />
b) Fallgruppe Schutzzweck der Norm<br />
Der Tod des Hans ist vom Schutzzweck des BtMG erfasst. Dieses<br />
dient neben dem Schutz der Volksgesundheit (h.M., aber problematisch)<br />
auch dem Schutz der Gesundheit und des Lebens des einzelnen<br />
Konsumenten.<br />
c) Fallgruppe Pflichtwidrigkeits<strong>zu</strong>sammenhang<br />
Hätte Jürgen dem Hans die Tabletten nicht gegeben, wäre Hans nicht<br />
gestorben. Insoweit war der Tod des Hans auch vermeidbar, sodass ein<br />
Pflichtwidrigkeits<strong>zu</strong>sammenhang gegeben ist.<br />
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d) Fallgruppe eigenverantwortliche Selbstgefährdung<br />
Die Zurechenbarkeit scheitert aber wiederum an den oben genannten<br />
Gründen. Die Selbsttötung und Selbstverlet<strong>zu</strong>ng sind nicht tatbestandsmäßig.<br />
Tatobjekt der §§ 212 ff. StGB und der 223 ff. StGB muss jeweils eine<br />
andere Person sein. Insoweit ist die Selbsttötung nach deutschem<br />
Recht straflos. Da deshalb auch die vorsätzliche Anstiftung gemäß<br />
§ 26 StGB und die vorsätzliche Beihilfe gemäß § 27 StGB <strong>zu</strong>r Selbsttötung<br />
eines anderen Menschen straflos sind, darf aus Gründen der<br />
Widerspruchsfreiheit des Rechts auch die fahrlässige Mitverursachung<br />
(Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung) einer frei verantwortlichen<br />
Selbsttötung/Selbstverlet<strong>zu</strong>ng nicht <strong>zu</strong>r strafrechtlichen Verantwortlichkeit<br />
führen.<br />
II. Ergebnis<br />
Jürgen hat sich nicht gem. § 222 StGB strafbar gemacht. Die Strafbarkeit<br />
nach dem BtMG war laut Sachverhalt nicht <strong>zu</strong> prüfen.<br />
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